HomeModellgeschichte ist Kulturgeschichte

 

Eine Chronik von Modellgebrauch und Modellbegriff

A chronicle of model use - a chronicle of model concept

 

Ein Literaturbericht
zusammengestellt März 2001
August/ September 2008: Präzisierung und Erweiterung der Geschichte der Wörter „modulus“ (lat.) und „modello“ (it.)

 

Bitte öffnen Sie in separatem Fenster zu diesem Artikel: Literatur

 

Siehe auch die ca. 30seitige Kurzfassung: Modellgeschichte ist Kulturgeschichte

Ferner die ca. 30seitige englische Kurzfassung: The Concept of Model and its Triple History

Stark erweiterte englische Version: Model history is culture history

 

Abbildungen

Chronologie der Modellverwendung und -herstellung

Wortgeschichte von "modell", "model", "modèle", "modul(e)", "moule", "mould"

500-1500 Denkmodelle und Verhaltensanweisungen

„Ebenen“ von Modellen in Mathematik und Naturwissenschaften

 

Inhalt (ca. 100 Textseiten)

Was sind Modelle?

Eine Warnung: Begriffsgeschichte ist nicht gleich Sachgeschichte

Vom Bewusstsein, dass wir Modelle verwenden

Wortgeschichte von "modell", "model", "modèle", "modul(e)", "moule", "mould"

Model und Modelle in Mittelalter und Renaissance

Erste Bild- und Modelltheorien

Das Wort "modello"

Die Arbeit mit Modellen

Ab 1542: Modell im Französischen, Deutschen und Englischen

Das Schöpferische im Menschen: Modellieren im Kopf

Die Konkurrenten des Modellbegriffs

1550-1750: Die "Mechanisierung des Weltbildes"

Ab 1600: Der Gebrauch von Modellen in Wissenschaft und Unterricht

19. Jahrhundert: Realität, Anschauung und Theorie in Mathematik und Naturwissenschaften

1800-1916: Auseinandersetzung mit dem symbolischen Erfassen, mit Bildern und Vorstellungen, Zeichen und Fiktionen, Nachbildungen und Scheinbildern

Die Frage nach der Realität

Atomvorstellungen im 20. Jahrhundert

1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Bildhaftes Denken und Problemlösungen

1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Fast Funkstille für Modelle

2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Explosion der Modell-Literatur

Modelle werden entwickelt und diskutiert

Seit 1960: Erneut Forschungen über Imagery, Analogien und Metaphern

1960-2004: Verwirrender Gebrauch von „Repräsentation“

Fazit für die Modellbetrachtung

 

 

Modellgeschichte ist Kulturgeschichte

 

Die Beschäftigung mit Modellen ist die farbigste Art, Kulturgeschichte zu betreiben. Die Schaffung und Verwendung von Modellen gehört zu den elementaren Beschäftigungen des Menschen.

Sogar die neueste Physik ist kulturgeschichtlich, man denke nur daran, dass Begriff und Idee "Atom" etwa 2500 Jahre alt sind oder dass der Begriff "Quark" (im sog. "Standardmodell") dem Roman "Finnegans Wake" von James Joyce entlehnt ist.

 

Die Geschichte des Modellbegriffs in der westlichen Welt ist ebenfalls 2500 Jahre lang.

 

Ebenfalls zu beachten: Die Beschäftigung mit "Modell" ist gleichzeitig eine Entdeckungsreise in das geheimnisvolle und verwirrende Reich der menschlichen Sprache.

 

 

Was sind Modelle?

 

Definition und Funktion von Modellen

 

Folgende Definition ist knapp und präzis und deckt fast alle möglichen Fälle ab:

"Modelle sind vereinfachte Ausschnitte der Wirklichkeit oder Möglichkeit."

 

Modelle sind je nach Blickwinkel entweder Vorbild, Abbild, Entwurf oder Ersatz, aber auch Urbild, Muster und Form, Mass, Typ und Exemplar.

 

Die meisten Modelle sind materielle, grafische oder geistige Hilfsmittel zur Erreichung eines Zieles. Solche Ziele können sein: Spielen oder Bewegen, Regulieren oder Testen, Gestalten und Formen, Planen und Entscheiden, Registrieren, Verdeutlichen und Vermitteln von Kenntnissen, Erklären von Sachverhalten, Ermitteln und Überprüfen von Hypothesen.

 

Eine schöne Formulierung hat Holm Tetens 1986 gefunden, wenn er fragt: "Modelle in der Physik. Ars inveniendi für Strategien der technischen Verfügung über die Natur?"

Seit 1993 spricht man auch von "Models as Mediators" (Mary S. Morgan, Margaret Morrison 1999, 36, 168-196).

 

Modelle werden vielfach spielerisch - in der Wissenschaft: heuristisch (Herman Meyer 1951) oder gnoseologisch (Viktor A. Stoff 1969, 10, 323-328) - gebraucht, sie dienen dem Schaffen und Ausprobieren von Möglichkeiten und dem Erkennen durch Ausprobieren.

Viktor A. Stoff (1969, 32) definiert daher: "Unter einem Modell wird ein ideell vorgestelltes oder materiell realisiertes System verstanden, das das Forschungsobjekt widerspiegelt oder reproduziert und es so zu vertreten mag, dass uns sein Studium neue Informationen über dieses Objekt vermittelt."

 

Müssen Modelle bildhaft sein?

 

Modelle leben vom Drang nach Bildhaftigkeit: Es sind in vielen Fällen Versuche, Sachverhalte möglichst anschaulich (Friedrich Kaulbach 1958; Viktor A. Stoff 1969, 10, 41-45, 279-328; Brigitte Falkenburg 1999), einfach und verständlich darzustellen.

 

Bedauerlicherweise enthalten die meisten Bücher über Modelle keine Abbildungen.

Dabei sind selbst die abstraktesten heutigen Modelle - sei es das Harrod-Domar-Modell in der Ökonometrie (1952) oder das "Honnefer Modell" der Studienförderung in Deutschland (1957), seien es die Weltmodelle der 1970er Jahre (Christian Lutz 1983) oder das "Entity Relationship Model" in der Informatik (Peter Pin-Shan Chen 1977) - immer noch Versuche, Nicht-Sichtbares, z. B. wirtschaftliche Vorgänge oder Lagerströme, Verknüpfungen von Daten oder Elektronenflüsse sichtbar darzustellen, und zwar zum Verständnis der Sache, zum Brauchen, nicht als Selbstzweck.

 

Auseinandersetzungen um Modelle werden rasch emotional, egal, ob es um die Sache Modell allgemein oder um spezifische Inhalte geht. Die Gründe dafür werden durch die nachfolgenden Erläuterungen klar.

 

 

Eine Warnung: Begriffsgeschichte ist nicht gleich Sachgeschichte

 

Wir müssen von mehrerem ausgehen:

 

1.

Die Geschichte eines Begriffs und die Geschichte der damit bezeichneten Sachen sind zweierlei.

 

Gewiss haben schon die Frühmenschen und die Höhlenbewohner Modelle gebaut, erzeugt und verwendet, aber wir wissen nicht, wie sie das nannten. Desgleichen die frühen Hochkulturen und alle Völker des Altertums und des frühen Mittelalters. Immerhin können wir bei den alten Griechen und Römer für die verschiedenen Arten von Modellen vielerlei Bezeichnungen ausfindig machen.

 

Der Modellbegriff in den modernen Sprachen ("modell", "model", "modèle", "modul(e)", "moule", "mould") hat sich erst seit dem Jahr 1000 n. Chr. in mehreren Schritten herausgebildet.

 

2.

Die Geschichte der Sachen selbst ist gar nicht leicht festzustellen.

 

Es kommt einerseits auf die Reichhaltigkeit und Qualität des archäologischen oder archivalischen Materials an, anderseits auf die Darstellung und Deutung desselben. Gerade bei den Höhlenbewohnern und den ersten Hochkulturen ändert sich diese Deutung laufend.

Da gibt es ein breites Spektrum von begründeten Hypothesen bis zu den wildesten Spekulationen. Etwas bösartig kann man dies als "wissenschaftliche Folklore" (André Leroi-Gourhan 1981, 85 u. 165) bezeichnen.

 

3.

Man müsste ernst nehmen, ob der Autor selber von einem Modell spricht oder nicht.

 

Rückblickend können wir alle Auffassungen, "Philosophien", "Systeme" oder "Theorien" als "Modelle" bezeichnen. Doch weder Ptolemäus noch Kopernikus, weder Galilei noch Newton, weder Darwin noch Marx, usw. haben ihre Weltdeutungen oder -entwürfe als "Modelle" bezeichnet.

 

Einer der wenigen, die sich dessen bewusst sind, ist der holländische Ökonomieprofessor Geert Reuten, der 1999 das "Kapital" von Marx analysierte. Er bekennt: "Marx does not use the term model; he uses the term 'schema'. Without necessarily implying that these notions are the same generally, I will use the terms interchangeably in this chapter. The reason is, as I will argue, that Marx's schema may be conceived of as a model in the modern economic sense" (1999, 199).

 

4.

Es gibt viele andere "eigenständig" gebrauchte Begriffe, die dem Begriff "Modell" die Bedeutung oder Teile der Bedeutung streitig machen.

 

Dazu gehören etwa: Darstellung und Repräsentation, Abstraktion oder Konkretion, Vorstellung oder Idealisierung, Illustration, Versinnlichung oder Anschauung, Schema, Gestalt und Konfiguration, Bild, Symbol, Zeichen und Ikon, Metapher und Allegorie, Beispiel und Analogie, Fiktion und Vision, Konzept und Plan, usw.

Beliebt sind auch Prototyp und Archetypus, Paradigma und Exemplar.

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch seit etwa 1600 sind es System und Hypothese, Theorie, Philosophie, Traktat und Prinzipien, Doktrin und Lehrgebäude, Gesetz, Regel, Formel, usw.

 

Zu vielen dieser Begriffe bieten das "Reallexikon Antike und Christentum" (Theodor Klauser 1941-1960), das "Archiv für Begriffsgeschichte" (Erich Rothacker et al. 1955ff) und das "Historische Wörterbuch der Philosophie" (Joachim Ritter et al. 1971-1998) reichhaltig Auskunft.

 

Funk & Wagnalls' "New International Dictionary of the English Language" (1987) gibt für das Englische folgende Synonyme: archetype, copy, design, ectype, example, facsimile, image, imitation, mold, original, pattern, prototype, replica, representation, type; dazu: idea. ideal.

 

Noch mehr Synonyme für das Substantiv "model" hat "Collins English Dictionary and Thesaurus" (1993), nämlich:

1. copy, dummy, facsimile, image, imitation, miniature, mock-up, replica, representation

2. archetype, design, epitome, example, exemplar, gauge, ideal, lodestar, mould, norm, original, par, paradigm, paragon, pattern, prototype, standard, type

3. poser, sitter, subject

4. mannequin

5. configuration, design, form, kind, mark, mode, stamp, style, type variety, version

 

Synonyme für "mould" sind hier:

1. cast, die, form, matrix, pattern, shape, stamp

2.brand, build, configuration, construction, cut, design, fashion, form, format, frame, kind, line, make, pattern, shape, stamp, structure, style

3. calibre, character, ilk, kidney, kind, nature, quality, sort, stamp, type.

 

5.

Die Sprache lebt im Gebrauch.

 

Daher wäre es wünschenswert, dem realen Sprachgebrauch der wissenschaftlichen Forschern und ihren Alltagsaktivitäten empirisch, d. h. durch Beobachtung und Befragung, nachzugehen.

Solches geschieht seit etwa 1975. Pioniere waren Harry M. Collins, bekannt durch seine "Golem"-Bücher (1991, 1993) und Bruno Latour, bekannt durch seine "Pandora"-Essays (1999). Eine vergleichende Übersicht bietet Karin Knorr-Cetina (1999).

Einen lebhaften Bericht, wie in der Debatte über zwei theoretische Modelle der Quantentheorie das eine "siegte", gibt Andrew Pickering in "Constructing Quarks" (1984).

 

Ähnliches berichtet Peter Louis Galison (1997). Noch mehr auf das Bildhafte in der Wissenschaft ausgerichtet ist der monumentale Sammelband, den er zusammen mit Caroline A. Jones (1998) herausgegeben hat. Der Modelbegriff kommt darin allerdings erstaunlicherweise nicht vor.

Einen anderen Ansatz verfolgt mit Hilfe der kognitiven Psychologie Nancy J. Nersessian (1992, 1993). Wöchentliche Labor-Meetings von Molekularbiologen und Immunologen untersuchte Kevin Dunbar (1995, 1997, 1999).

 

Wie die Molekularbiologie entstand, erarbeitete in Interviews mit über hundert Beteiligten, darunter Max Perutz und Francis Crick, in zehn Jahren Horace Freeland Judson (1979): "Doing Physics" beleuchten Martin H. Krieger (1992) und Jed Z. Buchwald (1995).

 

6.

Manche Theoretiker verwenden den Begriff "Modell" gedankenlos.

 

Vielfach verwenden Autoren den Begriff "Modell" so, dass man sich fragt, ob sie sich überhaupt Rechenschaft über seine Bedeutung abgelegt haben, z. B.

·        Martin Frank: Ein automatentheoretisches Modellkonzept für ein fachgebietsbezogenes Simulationssystem zur Untersuchung diskreter technologischer Prozesse. 1979.

·        Jianchi Wie: Modellgesteuerte Szenen-Interpretation durch Fusion von Intensitäts- und Abstandsbildern. Diss. Univ. Karlsruhe 1989.

·        Xiao-Yi Jiang: Ein modellbasiertes Erkennungssystem dreidimensionaler Objekte basierend auf Baumsuche und EGI-Vergleich. Diss. Univ. Bern 1990.

·        Heike Köpke, Hermann Schmidt, Gudrum Schmidt-Naake: Modellverbindungen für reversible Vernetzung. Technische Universität Dresden 1993.

·        Jürgen Becker, Ralf Hartmann, Jörg Hubrich: Das Modell des standortgerechten Kompostes. Universität Bremen 1995.

·        Antje Korsten: Modelling the modelling language. Manchester: University of Manchester 1995.

·        Sabine Georg: Modell und Zitat. Mythos und Mythisches in der deutschsprachigen Literatur der 80er Jahre. Diss. Univ. Hannover 1995; Aachen: Shaker 1996.

·        Raymund Werle, Christa Lang (Ed.): Modell Internet? Frankfurt: Campus 1997.

·        Daniel Frey: Kleine Geschichte der deutschen Lyrik. Mit liebeslyrischen Modellen. München: Fink 1998.

·        Jörg Friedrich, Dierk Kasper (Ed.): Modelle einer rationalen Architektur. Sulgen: Niggli 1998.

·        Uwe Saint-Mont: Kontexte als Modelle der Welt. Subjektive Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Berlin: Duncker & Humblot 2000.

Mehrere Autoren haben den Titel gewählt: „Model(l)ing Nature“, z. B. Sharon E. Kingsland (1985), Richard J. Gaylord und Kazume Nishidate (1996), William A. Wallace (1996) und Margaret C. Morrison (1998).

 

7.

Zur Definition eines Begriffs werden meist zahlreiche andere "grosse" Begriffe gebraucht, die ihrerseits genauso definitionsbedürftig sind.

 

Zum Beispiel: "'Modell' heisst in der Logik ein System aus Bereichen und Begriffen, insofern es die Axiome einer passend formulierten Theorie erfüllt."

 

Oder: "Modell <ital.> das, Muster, Vorbild; Nachbildung oder Entwurf von Gegenständen (vergrössert, verkleinert, in natürlicher Grösse). Modell können ausser wirklichen Gegenständen auch gedankliche Konstruktionen sein."

 

8.

Noch schwieriger wird die Lage, wenn man zwei geschichts- und bedeutungsschwere Wörter kombiniert.

 

Das ergibt etwa

·        "Modellvorstellungen" (Carl Friedrich von Weizsäcker 1938; Carsten Bresch 1950; Hans Haalck 1952; Heinrich Dietz 1961 und viele andere)

·        "Vorstellungsmodelle" (Hans Thomae 1961)

·        "learning models" (S. Karlin 1953; Patrick Suppes, Richard C. Atkinson 1960)

·        "self-organizing models" (B. G. Farley 1960) oder sogar

·        "Analogiemodelle" (Hermann Lienhard 1971; Jörg Bernet 1973; Jürgen Golde 1976; Wifried Fiedler 1978; Albert Mülln 1984).

 

Ausserordentlich beliebt sind

·        "System Models" (Robert Chin 1962), im Deutschen ab Mitte der 60er Jahre "Systemmodelle" (z. B. Heinz Ries 1969; Franz Xaver Bea 1979; Matthäus Schobesberger 1986; Manfred Schneider 1993) und

·        "Modellsysteme" (z. B. Karl Netter 1953; Hannelore Fischer, Joachim Piehler 1974; Manfred Pils 1976).

 

Noch extremer sind die Titel von John Peter van Gigch: "System Design Modeling and Metamodeling" (1991), Romuald I. Zalewski: "Similarity Models" (1991), Peter F. E. Sloane: "Modellversuchsforschung" (1992) und H. Paul Williams: "Model Solving" (1993).

 

Seit 1985 ist in Physik und Kosmologie häufig vom "Standardmodell" die Rede (z. B. Herbert Steger 1985; Reinhard Breuer 1993).

 

9.

Dieselben Objekte oder Sachverhalte werden in jeder Sprache anders bezeichnet.

 

Schleiermacher sprach von der "Irrationalität der Sprache" und meinte damit den Umstand, dass Begriffe der einen Sprache (z. B. gr. phantasia) nicht ihre genauen Entsprechungen in den anderen Sprachen haben (z. B. lat. imago; scholast. imaginatio; engl.: idea; frz. idée; dt.: Einbildung, Vorstellung, aber auch Phantasie, Imagination).

 

10.

Es gibt bisher weder eine umfassende Erkenntnistheorie noch eine differenzierte Ontologie der Modelle.

 

Die meisten Gelehrten im 20. Jahrhundert hatten nur die Abbild-Relation des Modells im Visier. Einer der ersten, der dafür die dreistellige Relation Subjekt-Modell-Original herausgearbeitet hat, war Klaus-Dieter Wüstneck (1963). Georg Klaus übernahm sie 1967 in sein "Wörterbuch der Kybernetik".

Dabei wurde seit 1542 "Modell" nicht nur für Entwürfe und Muster aller Art verwendet, sondern auch für geistige Sachverhalte wie die Reformation oder die Weltbilder von Ptolemäus und Kopernikus. Nicht nur nebenbei, sondern ganz bewusst wurde das Wort im Sinne von Vorbild gebraucht, Abhandlungen und Utopien wurden "Modell" genannt, man sprach von Modellen für Lebens-, Staats- und Regierungsformen und im Deutschen von "Modellen von Schuhen und Kleidern".

Das Malermodell und andere Modelle in Kunst und Handwerk werden von der Wissenschaft gerne völlig ignoriert. Eine Ausnahme ist Bernd Mahr (2008), der auch kompliziertere Modellrelationen als Wüstneck vorschlägt.

 

Eine weiter Frage geht nach der Realität, die "hinter" dem Modell steckt. Und umgekehrt: Was ist die Realität des Modells selbst? Gedanke oder Idee, Hypothese oder Idealisierung? Im Deutschen spricht man häufig von "Vergegenständlichung" (Hypostasierung) und "Objektivität", "Vorstellung" (imaginatio) und "Einbildung" (phantasia).

Im kommunistischen Machbereich sprach man oft von "Widerspiegelung der Wirklichkeit" (Viktor A. Stoff 1969).

 

Interessante Beiträge zu solchen Fragen bringen u. a.: Peter Achinstein (1968), Rom Harré (1970), May Brodbeck (1972), Bernard d'Espagnat (1979), Bas C. van Fraassen (1980), Ronald Nelson Giere (1985), Michael A. Arbib, Mary Brenda Hesse (1986), Rom Harré, Michael Krausz (1986), Frederick Suppe (1989), Werner Diederich (1989), Jerrold L. Aronson, Rom Harré, Eileen Cornell Way (1994), George A. Cowan, David Pines, David Meltzer (1999), Wolfgang Eichhorn (2000).

 

 

Vom Bewusstsein, dass wir Modelle verwenden

 

Modellgeschichte in Kurzform

 

In äusserster Kürze kann man die Modellgeschichte wie folgt darstellen:

 

ab 2,5 Mio. v. Chr.    Schaffung und Verwendung von realen und mentalen Modellen (Werkzeugherstellung, Essensbeschaffung, Behausung, Sozialleben, ab 1,5 Mio. v. Chr. Feuerunterhalt; ab 500 000 v. Chr. Kalender, Sprache, Kannibalismus, Kult)

30 000 v. Chr.           "creative explosion" (Kunst, Skizzen, Waffen, Schmuck, Instrumente)

ab 6000 v. Chr.         viele gut erhaltene Modelle in Osteuropa, später Ägypten und Sumer (Haus- und Tempelmodelle, Kultschreine, Töpfereien, Siegelstempel, Kupferguss)

ab 3000 v. Chr.         Mythen, Grundrisse, Spielsachen, Gärten, Prozessionen mit Modellen

ab 750 v. Chr.           schriftliche Zeugnisse über Modellgebrauch (Bibel, Griechen, Römer)

ab 540 v. Chr.           Ansätze zu Reflexion auf Modellbildung (Xenophanes, Platon)

ab 1000                     fünffache Entwicklung des Begriffs "modulus"

ab 1092                     erste Reflexionen auf Modellbildung (Nominalismus; Hugo; Grosseteste; Scotus, Ockham; Kues)

ab 1355                     Herausbildung des Modellbegriffs beim Dombau zu Florenz

ab 1450/60                Modellmethode (Alberti, Filarete)

ab 1542                     Modellbegriff im Französischen, Deutschen und Englischen

ab 1840                     Anschaulichkeit und Analogien in den Naturwissenschaften

ab 1942                     Reflexion auf das Modelldenken.

 

 

Theologische und wissenschaftliche Eiferer

 

Von "falschen Vorstellungen" sprachen in 16. und 17. Jahrhundert manche Theologen. Die Katholiken (z. B. Giacomo Moronessa 1555) bezichtigten die Reformierten der Häresie, die Puritaner (William Perkins 1607, John Sheffield 1659, John Owsen 1682) umgekehrt die Anhänger des Papstes.

 

Eine andere Art von Reflexion finden wir zu Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft bei Francis Bacon in seiner Idolenlehre (1620), der Lehre von den falschen Vorstellungen oder Begriffen, die sich die Menschen machen. Er unterschied insbesondere "vier Arten von Vorurteilsgötzen, die im Besitze des menschlichen Gemüts sind", nämlich kollektive und individuelle "Abirrungen", öffentliche Meinung und Tradition (Reinhard Gammel 1983; Edmund Siegl 1983).

 

Das Bewusstsein verläuft in Schüben

 

19. Jahrhundert: Erste Studien zu Induktion, Zeichen und Symbolen, Fiktionen und Bildern

 

Es empfiehlt sich, zu Fragen der Modellbildung und -verwendung vier Gruppen von Forschern und Theoretikern zu beachten:

·        den Cambridge-Philosophen William Whewell (1840), den amerikanischen Naturwissenschafter und Philosophen Charles Sanders Peirce (1868-1903), den deutschen Philosophen Hans Vaihinger (1911) und den russischen Physiker Nikolai Alekseevich Umov

·        die ursprünglich von der Medizin herkommenden Inspiratoren der modernen Psychologie Rudolf Hermann Lotze (1952), Gustav Theodor Fechner (1860; 1882), Wilhelm Wundt (1862; 1874) und Hermann von Helmholtz (1865; 1867; 1921) mit ihren Theorien der Raumwahrnehmung. Dazu kommen die eigenständigen Aussenseiter: der schottische Philosoph Alexander Bain (1855; 1859), die Engländer Herbert Spencer (1855) und Sir Francis Galton (1883) sowie der amerikanische Mediziner James Rush (1865)

·        den bekannten irischen Physiker John Tyndall (1870) und die französischen Wissenschafter Ernest Royer (1867), Joseph-Florentin Bonnel (1890) und Charles-Ernest Adam (1890) zur Imagination in der Wissenschaft

·        die beiden österreichischen Physiker Ernst Mach (1883, 1902, 1905) und Ludwig Boltzmann (1892, 1902; 1905, 1909), den deutschen Physiker Heinrich Hertz (1894) und den französischen Physiker Henri Poincaré (1902, 1906, 1908).

 

1900-1932: Rolle und Bedeutung von mechanischen Modellen

 

Die meisten Wissenschaftsphilosophen beschränken sich beim Rückblick auf den Modellgebrauch in der Wissenschaft auf die unterschiedlichen Auffassungen von Pierre Duhem (1906) und Norman Robert Campbell (1920).

 

Dabei wäre von Josef Clemens Kreibig (1909), Paul Volkmann (1910), Moritz Schlick (1918), Alfred North Whitehead (1919; 1920; 1926), Ludwig Wittgenstein (1921), Charlie Dunbar Broad (1923), Ernst Cassirer (1923; 1950), Henry Jackson Watt (1925), Edwin Arthur Burtt (1925), Percy William Bridgman (1927), Joshua Craven Gregory (1927), Hermann Weyl (1927), Charles William Morris (1927; 1938; 1946), Hugo Dingler (1928; 1938; 1951), Herbert Feigl (1929), Aloys Wenzl (1929; 1935; 1954), Hans Reichenbach (1931; 1938; 1944), Philipp Frank (1932; 1946; 1949) und Cyril Edwin Mitchinson Joad (1932) noch einiges zum Thema beizubringen.

Etwas später kommen Abram Cornelius Benjamin (1936; 1937), Lizzie Susan Stebbing (1937; 1941) und William Heriot Watson (1938; 1963).

 

(Weitere Literatur gegen Ende dieses Artikels im Kapitel: Und was ist die "Realität"?)

 

1933-36: Logischer Empirismus

 

Der Logische Empirismus (Alfred Tarski; Rudolf Carnap; Morris Raphael Cohen und Ernest Nagel) hat Modelle zunächst nur als Randphänomene der Wissenschaft wahrgenommen. Dabei werden Theorien syntaktisch als uninterpretierte Kalküle oder Axiomensysteme rekonstruiert.

 

1942-50: Entdeckung der Modelle

 

Die gegenwärtige Reflexion auf das Modelldenken und die Verwendung von Modellen lag fast ausschliesslich in den Händen von Amerikanern und Briten sowie einigen wenigen Deutschen.

Sie setzt mit dem deutschen Physiker Jürg Johannesson (1942) und dem schottischen Experimentalpsychologen Kenneth James William Craik (1943) ein. Zu Craik heisst es in einem Bericht über mentale Modelle: "The idea that people rely on mental models can be traced back to Kenneth Craik's suggestion in 1943 that the mind constructs 'small-scale models' of reality that it uses to anticipate events."

Es folgte ein gemeinsam verfasster Aufsatz des mexikanischen Physiologen Arturo Rosenblueth und des amerikanischen Mathematikers Norbert Wiener (1945) sowie ein Buch des in Budapest wirkenden Arztes Anton Fischer (1947).

Ebenfalls bereits 1945 machte sich der Amerikaner Albert Gailord Hart Gedanken über „Model-Building“ und Steuerpolitik, und der Engländer Arthur Percy Rollett reflektierte über mathematische Modelle und Konstruktionen. 1953 schilderte der gebürtige Litauer Gregor Sebba die Konstruktion von theoretischen Modellen seit den Alten Griechen in der Physik und seit Adam Smith in der Ökonomie.

 

In den fünf Jahren 1945-1949 erschienen bereits über 80 Publikationen (Artikel und Bücher), in deren Titel das Wort „Modell“ vorkam.

Die Bewegung war so heftig, dass der Wiener Physiker Erwin Schrödinger schon 1951 in seinem Büchlein "Naturwissenschaft und Humanismus" auf fünf Seiten die "Natur unseres 'Modells'" schilderte.

 

Wortgeschichte von "modell", "model", "modèle", "modul(e)", "moule", "mould"
(Abb. 1)

 

siehe:   Nachschlagewerke für Begriffsgeschichte

 

Im Deutschen wie in allen andern europäischen Sprachen müssen Modell, Model und Modul, resp. "model" und "modèle, "module", moule" und "mould" aus sprachlicher wie historischer Sicht gemeinsam betrachtet werden (Randle Cotgrave 1611; Jacob und Wilhelm Grimm 1885; Godefroy 1888, 1902; Walther von Wartburg 1966; Roland Müller 1980, 1983, 1997).

 

Besonders schön zeigt sich die Vielfalt der Schreibweisen im Englischen. Im "Oxford English Dictionary" (1933) lesen wir folgende Formen für Modell: "modill, moddell, moddel, modell, modle, modull, modil, modelle, model".

 

Ähnlich lesen wir in Zedlers "Universallexicon" (1739): "Modell, Modele, Modello, Modulus, Typus, Exemplar, ein Modell, Vorbild, Abdruck, Form, Muster, Leisten, Richtschnur, oder Vorschrifft, darnach man etwas machet, heisset überhaupt eine jedwede cörperliche Abbildung eines Dinges ins kleine ..."

 

Festzuhalten ist, dass im Englischen rund zweihundert Jahre (bis ca. 1750) besonders auch die Schreibweise "modell" (also mit zwei l) verwendet wurde. Umgekehrt wurde in der deutschen Sprache bis gegen 1800 noch "Model" (also mit einem l) z. B. für Malermodell und Architekturmodell gebraucht.

 

In den Begriffen Modell, Model und Modul, resp. "model" und "modèle, "module", moule" und "mould", wie sie sich seit dem Jahr 1000 herausbildeten, verflechten sich fünf Bedeutungsfelder.

 

Fünf Bedeutungsfelder

 

Das erste Bedeutungsfeld geht auf das griechische Wort "metron" (Massstab, Mass, Grenze) und das lateinische "modus" (resp. in der Verkleinerungsform: "modulus") zurück. Die Grundbedeutung ist Mass in einer doppelten Bedeutung, als Einheit (Inhalt) und als Messinstrument (Massstab).

 

Das zweite Bedeutungsfeld geht auf das griechische Wort "typos" (Form, Skulptur, Gussform, Geformtes) zurück, lateinisch "forma" (Figur, Gussform, Abdruck), aber nicht: typus.

 "Typus" wird bis heute gebraucht, unter anderem als Prägeform, geprägte Form und Ausprägung sowie als" Type" (gegossener Metall- oder Druckbuchstaben, dt. "Letter", frz. "modèles des caractères"; engl.: printing types oder letter-forms).

 

Das dritte Bedeutungsfeld geht auf das griechische Wort "paradeigma", lateinisch "exemplar" zurück und wurde gebraucht für kleinmassstäbliche Darstellungen von Bauten, Schiffe und Maschinen, aber auch für das (meist männliche) Malermodell.

Die Verwendung von Architekturmodellen ist seit Herodot (450 v. Chr.) belegt. Teilmodelle - aus Wachs bossierte Rosetten und Blattschmuck - sind für die Decke des bald darauf erbauten Erechtheions auf der Akropolis belegt. Wie damals auch Bauausschreibungen und Wettbewerbe mit der Einreichung von Plänen wie Modellen aller Art durchgeführt wurden, beschreibt Otto Benndorf (1902), ferner dass "Modelle von Städten, Festungen, Schiffen und Belagerungsmaschinen" auf Wagen oder Bahren bei römischen Triumphzügen vorgeführt wurden

Freilich wurde das Wort auch abstrakt gebraucht. Aristoteles kritisiert in seiner "Metaphysik" (991a21) die Platonische Ideenlehre: "Wenn man aber sagt, die Ideen seinen Vorbilder/Musterbilder (paradeigmata) und das Andere nehme an ihnen teil, so sind das leere Worte und poetische Metaphern" (vgl. auch 1013a27).

 

Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn hat in den 50er Jahren das Wort Paradigma wieder hervorgekramt, allerdings in einer Spezialbedeutung, etwa im Sinne von "herrschender Meinung"; die Kulturanthropologen sprechen von "belief system". (Kuhn "glaubt" von den Paradigmata, "dass sie allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen sind, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten Modelle und Lösungen liefern" 1973, 11)

Im Deutschen gibt es bis heute die Wendungen "ein Exempel statuieren", "die Probe aufs Exempel machen", "ein Belegexemplar erhalten" und "ein seltenes/besonders schönes Exemplar".

 

Das vierte Bedeutungsfeld ist am vielfältigsten. Es geht auf die philosophisch schwer befrachteten griechischen Ausdrücke "idea" und "eidos" (Gestalt, Form, Idee, Urbild, Bild), "eidolon" (Abbild, Trugbild) und "eikon" (Bild) zurück. Im lateinischen werden dafür "imago" und "effigies" (Bild, Vorbild, Abbild, Vorstellung) verwendet (Lexikon der Kunst 1987-94).

Auch lat. "species" gehört in seiner Bedeutungsfülle (Aussehen, Bild, Schein, Idee, Musterbild, Art) hierher, desgleichen "simulacrum" (Abbild, Muster, Puppe, Schatten-, Traum-, Trugbild, Charakterbild).

 

Das fünfte Bedeutungsfeld betrifft plastische Darstellungen. Das gr. Verb "keroplasteo" (aus oder in Bienenwachs formen") kommt je einmal bei Hippokrates und Eubulus Comicus (um 400 v. Chr.) vor. In Platons Dialog "Timaios" schafft Gott den Körper des Menschen wie eine "Wachsmodellierer" ("keroplastes"). In den anakreontischen Schriften heisst dieser Beruf "kerotechnes". Die geformten Objekte haben aber keinen speziellen Namen.

Erst im Zuge der Wiederentdeckung des Griechischen am Ende der Aufklärung kam das Wort in die neuen Sprachen, ca. 1770 ins Italienische als "ceroplàstica" (vgl. La ceropastica 1977), kurz nach 1800 ins Englische als "ceroplastic", ins Französische als "céroplastique" und ins Deutsche (eventuell viel später) als "Zeroplastik".

 

Philon, der Mechaniker (um 200 v. Chr.) braucht einmal das gr. Verb "proplasso" im Sinne von "formen"; gr. "proplasma" kommt erst in der Römerzeit einmal bei Cicero als "roher Entwurf" und einmal bei Plinius als "Tonmodell für eine Skulptur" vor.

Für alle Arten von "Wachsbildern" brauchten die Römer häufig "cera" (Julius von Schlosser 1911; Reinhard Büll, Ernst Moser 1974; Charlotte Angeletti 1980; Lexikon der Kunst 1987-94). Mit Wachs-Abgüssen (effigies) von Köpfen Verstorbener betrieben sie einen regelrechten Totenpomp.

Goethe berichtet in "Wilhelm Meisters Wanderjahren" (3. Buch, 3. Kap., 1829) über die Anfertigung plastischer Modelle in der Anatomie und schuf für deren Hersteller den Kunstbegriff "Proplastiker".

 

Die dreifache Entwicklung des Begriffs "modulus"

 

Ausgangspunkt für die genaue Betrachtung des Modellbegriffs ist das lateinische Wort "modulus". Es wurde dreimal in die europäischen Sprachen aufgenommen (Walther von Wartburg, 1966):

·        zuerst vom 11.-14. Jahrhundert für Muster, Vorlage und Gussform als "Modul" und "Model" ins Deutschen, als "modle", "molle", "mole" und "moule" ins Französische, als "mòdano" ins Italienische und als "mould" ins Englische.

·        in einem zweiten Anlauf im Sinne des Vitruvschen Masses über das italienische "mòdulo" (13. Jh.) um die Mitte des 16. Jahrhunderts als "module" ins Französische und Englische

·        und schliesslich für Architekturmodell und Figur über das italienische "modello" (1355) ebenfalls um die Mitte des 16. Jahrhunderts als "modelle" oder "modèle" ins Französische, als "Modell" ins Deutsche und als "model" oder "modell" ins Englische.

 

Die indogrmanische Wurzel med-: Mass und messen

 

Das lateinische Wort „modulus“ ist die Verkleinerungsform von „modus“. Beide Wörter haben dieselbe Grundbedeutung: Mass, Massstab (Lewis, Short, 1879; von Wartburg, 1966, pp. 18-19). Das lateinische Wort „modus“ geht zurück auf die indogermanische Wurzel med-, die ebenfalls Mass und Messen bedeutet (Julius Pokorny, 1949; William Morris, 1969; Joseph Twadell Shipley, 1984; Calvert Watkins, 1985).

 

In unmittelbarer Nähe von “modulus” und “modus” finden wir gemäss der indogermanischen Wurzel die folgenden Wörter:

  • im Lateinischen: meditor, modestus, moderare, modius (Julius Pokorny, 1949)
    modicus, meditari, meditatum; medicina; etc. (Joseph Twadell Shipley, 1984)

  • im Englischen: modal, mode, model, modern, modicum, modify, modulate, module, modulus, mold, mood, moulage; accomodate, commode, commodious, commodity (William Morris, 1969).

 

 

40 v. Chr.-1750: "Modulus" (lat.): Mass, Rhythmus, Figur, erst ab 1450: kleine Nachbildung

 

„Modulus“ wurde im alten Rom selten gebraucht. Es taucht kurz nach 40 v. Chr. bei Horaz und Varro auf. Horaz hat neben „modulus“ als Mass und Massstab bereits mehrere Bedeutungen im Bereich der Musik: den „modulator“ (Musiker) und das Verb „modulor“ (musizieren, intonieren).

 

Bisher nicht beachtet wurde, dass schon vorher Cicero (55- 44 v. Chr.) und Vergil (in der 5. und 10. Ekloge; 42 und 39 v. Chr.) „modulor“ in Abwandlungen verwendet haben, und zwar im Bereich der Musik wie Rhetorik. In Varros „De re rustica“ kommt „modulus“ nur zweimal vor, und zwar in der Bedeutung „Regel“ und „Grenze“.

 

Der bekannte Architekt Vitruv verwendet „modulus“ in seinen „Zehn Büchern über die Baukunst“ (ca. 23 v. Chr.) an unzähligen Stellen, meist als architektonisches Grundmass, nämlich den halbe Säulendurchmesser. Aber er verwendet auch die Variante modulatio“, und zwar einerseits für die Säulenordung (z. B. die Dorische Methode) oder Proportion (Liber 5, Caput 9, 2-3), aber auch für Tonfall oder Melodie in der Musik (z. B. Liber 5, Caput 4). Für Modelle in der doppelten Bedeutung von Vorbild und Abbild verwendet er „exemplar“ - siehe: Vitruv über Modelle (exemplaria).

In der ersten Übersetzung ins Italienische durch Cesare Cesariano 1521 werden “exemplar” und “exemplum“ überall durch “exemplario” oder “exemplo” übersetzt. Erst die nächste vollständige Übersetzung von Daniele Barbaro 1556 hat für “exemplar” in Absatz 5 von Kapitel 16 des 10. Buches: “modello”.

Die französische Übersetzung von Jan Martin 1547 hat analog “exemplaire” und “exemple”, in Liber X, Caput 16: “modelle”. Die deutsche Übersetzung von Rivius (1548) hat „Muster oder Model“ (sieh weiter unten).

 

In Charlton T. Lewis, Charles Short „A Latin Dictionary“ (1879) finden wir:

modulus, i, m. dim. [modus], a small measure, a measure.

I. Lit.

2. In archit., a module

3. In aqueducts, a watermeter

4. Rhythmical measure, rhythm, music, time, metre, mode, melody

II. Trop.

 

Im "Thesaurus Linguae Latinae" (Vol VIII.2, ca. 1970) werden für "modulus" folgende Bedeutungen mit unzähligen Belegstellen angegeben:

I.                     mensura

A. de quantitate, quae mensuratur

1. pertinet ad corporea

a)     de numero

b)     de amplitudine spatiorum

c)      de pondere

2. pertinet ad incorporea

a)     usu generali

b)     sensu diminutivo

B. de mensura, qua metimur

1.      generatim

a)     pertinet ad hominum vitam moresque

b)     pertinet ad liquores

c)      pertinet ad incorporea

2.      speciatim (i. q. forma, exemplum)

II.                   ratio ac via, species

A.     rerum

B.     hominum

 

Tibull (ca. 20 v. Chr.), Plinius (77 n. Chr.), Gellius (um 150) und Apuleius (um 170) brauchten „modulor“ resp. „modulatus“ und „modulus“ für Töne in der Rhetorik und Musik, z. B. für Rhythmus und Wohlklang. Plinius und Gellius gebrauchten „modulus“ zusätzlich im Bereich der Medizin für den Puls (“arteriarum pulsus … in modulos certos”).

Horaz prägte die Formel: „metiri se quemquem suo modulo ac pede“ („sich halten nach seinem Mass und Vermögen“; Thesaurus Eruditionis, 1572; „sich nach seinem Mass messen, d. i. mit seinem Stande zufrieden sein“, Karl Ernst Georges), Apuleius steuerte die Wendung „pro modulo meo“ („nach meinen Kräften“) bei. Der homo "moduli bipedalis“ (Horaz) wird im Deutschen als „zweifüssiges Wichtlein“ (J. H. Voss), „Duodezmännchen“ (Karl Ernst Georges) oder „Dreikäsehoch“ bezeichnet.

 

In seinen zehn Büchern über die Wasserversorgung Roms verwendete der Politiker und Schriftsteller Sextus Julius Frontinus ums Jahr 100 den Begriff „modulus“ rund 30 Mal als Masseinheit. „Moduli“ sind standardisierte Wasserrohre, die es in 25 Grössen gibt.

 

Der Kirchenvater Tertullian (um 200) braucht das Wort mindestens in sieben Schriften und in unterschiedlicher Bedeutung. Unter anderem weitet die Bedeutung von „modulus“ auf die kleine Figur aus, welche Bildhauern als Vorlage für eine grössere Skulptur dient („inde circino et plumbeis modulis praeparatio simulacri, in marmor, in lutum uel aes uel argentum, uel quodcumque placuit deum fieri, transmigratura“; NAT. I, 12, 9).

 

Später wird „modulus“ auch von Ausonius (um 350), Ambrosius (vor 400), Augustinus (um 400), Paulus von Nola (um 400) und Fulgentius (um 500) mehrfach verwendet. Nachher wird „modulus“ nur noch selten gebraucht, aber immerhin bis etwa 1750, als Latein aufhörte als Gelehrtensprache zu dienen.

 

Der englische Gelehrte Francis Bacon schrieb sein “Novum Organon” (1620) in Latein, ebenso Leibniz seine “Ars inveniendi” (1669) und seinen “Atlas universalis” (1678), siehe weiter unten.

Einige Gelehrte, beispielsweite Mathematiker wie Carl Friedrich Gauss, schrieben noch 100 Jahre weiter lateinisch, und die katholische Kirche verwendete Latein noch im Vatikanischen Konzil 1962-65.

 

Zu beachten ist: Bis ganz am Ende des Mittelalters wurde das lateinische Wort „modulus“ nie für kleinmassstäbliche Abbildungen, Architekturmodelle oder Malermodelle verwendet wurde – wenigstens soweit wir über schriftliche Quellen verfügen (siehe: Du Cange, 1885; Franz Blatt, 1969; Ronald Edward Latham, 2001). Wer lateinisch schrieb, brauchte dafür stets wie die Alten Römer „exemplum“ (seit Plautus, um 200 v. Chr.) oder „exemplar“ (seit Lukrez und Cicero, um 50 v. Chr.). Diese Wörter wurden überhaupt für fast alle Objekte in den Bedeutungsbereichen Vorbild und Abbild gebraucht (was wir heute „Modell“ nennen) - siehe: Paul Lehmann, Johannes Stroux, 2007.

 

Erst seit 1450 - seit Albertis „De re aedificatoria“ - wird „modulus“ für verkleinerte Abbildungen von realen Objekten gebraucht. Ein prominenter Vertreter ist über 200 Jahre später noch Leibniz. Unmittelbar anschliessend an die Beschreibung der Vorzüge einer Herstellung von "Modulis" für den Festungsbau erwähnt er 1669 in seiner Skizze zur "Ars inveniendi" die in seiner Zeit verbreiteten Modellsammlungen: "de Theatro Naturae et Artis seu de Modulis rerum ipsarum conservatoriis" (G. W. Leibniz 1903, 163).

Wenig später schlägt er in seinem dem "Orbis pictus" nachempfundenen Entwurf eines "Atlas universalis" als Abteilung der Objekte, die den "oculis subjici possunt", vor: "Mechanica, ubi omnis generis Machinae et moduli" (223). Zur gleichen Zeit preist er auch im Detail die Verfertigung von "modulis ligneis (aut cereis)" zur Förderung der Imagination (596f.).

 

 

1. Schritt: Aus "modulus" wird dt. "Model"/ "Modul", frz. "modle"/ "molle"/ "mole"/ "moule", engl. "mould", it. "mòdano"

 

Unter dem Stichwort "Model" behauptet das Grimmsche Wörterbuch ohne Belege, dieses frühe hochdeutsche Lehnwort aus dem Lateinischen sei wahrscheinlich zuerst in der Sprache der geistlichen Baumeister verwendet worden. "Sie lernten das Wort von den namentlich unter Karl dem Grossen ins Land gezogenen römischen und südfranzösischen Werkleuten, denen modulus ein Mass für die Anlegung der Säulen und des Verhältnisses der einzelnen Teile derselben zueinander war, in welchem Sinne es auch der späteren Baukunst verblieben ist, hier wie bei jenen auf Grund Vitruvscher Vorschriften."

 

Eine der ersten Verwendungen von „Modul“ als Regel findet sich bei Notker Labeo (um 1000):

“si conditionalis est (syllogismus),

ubi sunt formule eius,

uuâr sint sîniu modul?“

 

Schon ab1000 ist "Model" - zusammen mit "Modul" - auch in freierem Gebrauch, einerseits abstrakt als Regel, Muster, Form, Vorbild, anderseits als gewerbliche Musterform für Dinge wie Zugnetze und Ziegel, später Schriftstücke (z. B. Verträge), Gewebe und Stickereien. Auch die Druckformen für den Zeugdruck und allerlei Hohlformen für Gusswaren und Gebäcke wurden bald Model genannt.

Zwei schöne Belegstellen gibt es im Minnesang (um 1200):

„nach rehtem model ein zimberman sol mit siten howen, sus

kann uns diu maze leren“

und

„grozer übermuot, daz er dem edeln schöpfer sin

wolte an wirde gar gelichez model schone tragen“.

 

Ganz ähnlich im Französischen "modle" (vor 1100), "molle" (1165), "mole" - z. B. bei Villard de Honnecourt 1235 als Schablone zum Behauen der Steine - und "moule" (ab 1260; sonst: patron) und im Englischen "mould" (sonst: pattern).

Interessanterweise wurde "mould" im Englischen zuerst im abstrakten Sinne gebraucht, als "distinctive nature as indicative of origin" (1225), erst hundert Jahre später wurde es konkret im Sinne einer Gussform ("pattern", 1320) verwendet. Genauso interessant ist, dass sowohl die Hohlform als auch das geformte Objekt (z. B. Käse, Pudding) bis heute als „mould“ bezeichnet werden.

Das italienische "mòdano" taucht im 13. Jahrhundert als Instrument für die Sternmessung auf; erst im 16. Jh. wird es als Mass, Modell und Gussform (für letzteres eher: stampo) verwendet. Seit 1563 wird auch „modanatura“ für "profilatura" oder „elemento decorativo architettonico“ gebraucht.

 

Die dazugehörigen Verben sind im Deutschen „modeln“ (seit dem Minnesang), im Englischen „mold“ oder „mould“ und im Französischen „mouler“.

 

"Moulding" finden wir im Englischen seit 1327, als Ornament oder geformte Leiste in der Architektur seit 1448, als ziselierte Schnitzerei auf Holz oder Metall seit 1679.

„Mollage“ auf Französisch gibt es seit 1415 (droit des mouleurs du bois), „moulage“ seit 1680 (terme de potier), auf Englisch seit 1886, auf Deutsch vermutlich seit etwa 1850.

 

2. Schritt: Aus "modulus" wird it. "mòdulo", frz. und engl. "module"

 

"Mòdulo" kommt im Sinne des Vitruvschen Säulenmasses schon im 13. Jahrhundert im Italienischen vor. "Module" erscheint im Französischen 1547, im Englischen 1583 (oder 1586) und wird z. B. im Englischen nicht nur für "Mass" (measure), "Masseinheit" (standard) verwendet, sondern auch für Entwurf (design), Architekturmodell, Abbild, Vorbild.

 

Im strengen Sinn als "Mass" hat sich Modul durch die ganze Neuzeit gehalten, ähnlich in der Physik als Proportionalitätsfaktor bei Verformungseigenschaften (Elastizität: seit Hooke, 1660/78; Young, 1807), in der Technik (bei Zahnrädern) und in der Mathematik, z. B. bei Logarithmen - seit Roger Cotes (1722, lateinisch) resp. Abraham de Moivre (1756) im Englischen "modulus" -, Kongruenzen, Abelsche Gruppen, usw.

Zum Thema Moduln und Ringe verzeichnet die Deutsche Bibliothek in Frankfurt von 1960-2000 über 150 deutsche Publikationen. Ein gutes Handbuch stammt von Robert Wisbauer (1988). Günter Geisler schrieb eine Dissertation: "Zur Modelltheorie von Moduln" (1994).

 

Der berühmte Schweizer Architekt Le Corbusier (1950) entwickelte in den Jahren 1942-48 den "Modulor", ein architektonisches Grundmass, basierend auf einem 1,83 Meter grossen Menschen.

 

Die Verwendung von "module" für eine standardisierte Baueinheit taucht erst 1946 im Englischen auf; sie hat sich von da rasch in die anderen Sprachen ausgedehnt. Dazu Pierre Bussat (1963), György Kepes (1966), Bernhard Bilger (1992) und "Module und Segmente" (1995).

 

3. Schritt: Aus „modulatio“ wird it. „modulazione“, frz. und engl. „modulation“

 

Vitruv verwendete auch eine Variation von “modulus”: “modulatio” für die Säulenordnungen, aber auch für „rhythmisches Mass“.

 

Im Italienischen taucht „modulazione“ vor 1342 auf und zwar im Sinn von „parlare, cantare, suonare armoniosamente; variazione regolata“. Das dazugehörige Verb heisst „modulare“ (seit vor 1492).

 

„Modulation“ gibt es im Französischen seit 1365 und im Englischen seit 1398. Die Bedeutungen sind „changement d’intensité dans l’émission de la voix“ und „chant d’allégresse, harmonie“ resp. „the action of singing or making music“. Später wurde die Bedeutung ausgeweitet auf: etwas formen nach Mass und Proportion.

Die dazugehörigen Verben sind „moduler“ (1458) und „moduliser“ (1508) im Französischen, „modulate“ (1557 oder 1567) wie auch „modulize“ (1605 oder 1656) im Englischen.

 

Im Deutschen erscheint „Modulation“ 1571 für „Akkordfolge, Übergang einer Tonart in eine andere“. Das Verb „modulieren“ taucht zur selben Zeit auf.

 

Der Gebrauch der englischen Wörter „modulate“ und „modulation“ bei der Nachrichtenübermittlung beginnt 1908. Die Wörter werden rasch auch in den anderen Sprachen verwendet.

 

4. Schritt: Das lateinische „modulus“ wird direkt aufgenommen

 

In die englische Sprache wurde modulus“ zuerst als Vitruvsches Mass aufgenommen (1563). Rund 150 Jahre später führte Robert Cotes „modulus“ als terminus technicus in die englische Mathematik ein – allerdings in einem lateinischen Text. Ins Englische wurde „modulus“ erst um 1800 aufgenommen. Gebraucht wird das Wort bis heute in mehreren unterschiedlichen Bedeutungen in Mathematik und Physik.

 

In die deutsche Mathematik führte „modulus“ Carl Friedrich Gauss in seinen lateinisch geschriebenen „Disquisitiones arithmeticae“ (1801) ein. In deutschen Texten verwendete erstmals 1847 der Mathematiker Eduard Heine „Modulus“. Der Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Gauss in Göttingen, Peter Gustav Lejeune-Dirichlet, benützte in seinen posthum herausgegebenen „Vorlesungen zur Zahlentheorie“ (1863) gleichermassen „Modulus“ wie „Modul“.

Das Wort „modulo“ findet sich im Deutschen z. B. bei Ernst Eduard Kummer (1847); es wurde später auch im Französischen und Englischen (1887) verwendet.

 

 

Model und Modelle in Mittelalter und Renaissance

 

0-1200: Bauen nach Modellen und Ideen, aber ohne Zeichnungen?

 

Über die Bemühungen der Baumeister und Künstler seit Vitruv bis etwa 1200 sind wir nur unzureichend informiert. Was anhand von Quellen rekonstruierbar ist, findet sich umfassend und hervorragend dargestellt bei Martin Warnke (1976) und Günther Binding (1993).

 

Bischof Gregor von Nyssa (380 n. Chr.) berichtet in einer Osterpredigt über kleine Wachsmodelle ("holigo cero") für ganze Gebäude; daran sind auch Skulpturformen angedeutet. Beim Bau der Klosterkirche von Saint-Germain in Auxerre (9. Jh.) verfertigen die mit der Ausführung betrauten Künstler zuerst ein Modell aus Wachs ("concepti operis exemplar conficitur...caeris brevibus").

Um 830 sandte der Baumeister Einhard seinem Sohn ein Verzeichnis dunkler technischer Ausdrücke Vitruvs, die dieser sich an einem Kästchen "mit elfenbeinernen Säulen, nach Art der Werke der Alten", welches Abt Eigil verfertigen liess, erklären lassen solle.

 

Architekturzeichnungen sind erst für die Gotik erhalten (ab 1230: Reims, Siena, Villard de Honnecourt). Eine soziologische Erklärung dafür gibt Martin Warnke (1976, 138):

"Den Plan 'im Kopf' zu haben, bedeutet die Verfügungsgewalt über den ganzen Baubetrieb innezuhaben. Die Schriftquellen gehen alle von einer persönlichen Präsenz des Baumeisters am Bau aus. Ein detaillierter Bauriss aber könnte einen Baumeister wenigstens zeitweise entbehrlich gemacht haben."

Im allgemeinen berief sich der Architekt auf göttliche Eingebung (durch Vision oder Traum) oder archetypische Vorstellungen. "In mente conceptum" hiess eine stehende Formel.

 

Eine erste Modelltheorie dazu stellte kurz vor 1228 Robert Grosseteste, Lehrer von Roger Bacon und Kanzler an der Universität Oxford, Bischof von Lincoln, in einem Brief an Magister Adam Rufus auf ("imaginare in mente artificis ... utpote in mente architecti" - Günther Binding 1993, 20-21, 181-182).

 

0-1600: Stiftermodelle

 

Eine kulturgeschichtliche Kuriosität sind die sogenannten "Stiftermodelle" (Julius von Schlosser 1891; Otto Benndorf 1902; Dirk Kocks 1971).

Es gibt etwa 100 Berichte oder Abbildungen von der römischen Kaiserzeit bis 1600. Zuerst findet man sie auf Bronzemünzen (Neokorate): Eine Stadtgöttin trägt ein Tempelmodell auf den Händen. Seit 500 n. Chr. tragen Bischöfe oder Päpste, später Könige auf Mosaiken oder Fresken - später auch auf Gemälden und als Plastiken - ein Modell.

 

Der erste Architekt mit einem Modell findet sich auf einer Grabplatte des Hugo Libergier in der Kathedrale von Reims (1266). Um 1300 werden die Modelle realistischer.

 

Seit dem 6. Jahrhundert: Lustgärten

 

Seit Urzeiten sind Gärten Modelle: Abbilder oder Entwürfe des "Paradieses" oder Abbilder oder Entwürfe der "Welt". Derek Clifford (1962, 16) meint: "It is a world made to our own measure."

 

Ab dem 7. Jahrhundert sind grosszügig ausgestattete Teichgärten in Japan bekannt, die von reichen und meist adligen Grossgrundbesitzern nach chinesischem Vorbild entworfen wurden, und als Lustgärten dienten. Oft waren sie als Miniaturansicht der damals bekannten Welt nachgebildet und mit üppiger Pflanzenpracht ausgestattet.

In der Blütezeit des Amida-Buddhismus wurde ein eher esoterischer Gartenstil bevorzugt, der im Sinne eines "Paradiesgartens" die sagenhafte Inselwelt chinesischer Mystik verkörperte.

Der Zen-Buddhismus, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Kultur Japans massgeblich beeinflusste, beschränkte diesen in Grösse und Ausstattung überschwenglichen Gartenstil auf eine reduzierte und wieder der weltlichen Natur entsprechende Form. Der Zweck der Gärten wurde nicht mehr zur Unterhaltung, sondern zur besinnlichen Betrachtung und Kontemplation ausgerichtet.

 

Der Sassanidenfürst Chosru I. (oder Chosros I.; um 570) soll wunderbare Gärten bei seinen Lustschlössern in Persien gehabt haben (Hans Sarkoticz 1998).

 

Etwa zur gleichen Zeit wurden im arabischen Kulturraum (auch in Spanien unter den Mauren) der Bau von Gärten mit Blumen, Bäumen und Sträuchern sowie farbigen Fliesen, Wasserbecken und Fontänen gepflegt. Der heute noch beeindruckende Garten "Generalife" in Granada soll vor 1250 angelegt worden sein (Germain Bazin 1988).

 

In dem um 1230 geschriebenen "Roman de la Rose" beschreibt Guillaume de Lorris einen Traum-Garten, den "Garten der Freude". Das Werk wurde 40 Jahre später von Jean de Meun fertiggestellt. Im 15. Jahrhundert wurde er mehrfach reich illustriert.

 

Auch von Jean de Garlande (um 1230) sind Beschreibungen von Gärten erhalten. Er soll in einer Apotheke Gewürze und aromatische Kräuter verkauft haben.

 

Um 1257 beschreibt der grosse Gelehrte Albertus Magnus (im Kapitel "de plantatione viridariorum" im Buch "de Vegetabilibus") neben Obstbaumsorten, Gemüse-, Gewürz- und Arzneipflanzen auch Zierpflanzen wie Hortensie, Lilie, Pfingstrose, Ringelblume, Narzisse und Raute. Als Zierbaum wird der Buchs empfohlen.

 

Bereits 1350 wird bei der Burg de Grafen von Württemberg in Stuttgart ein Lustgarten erwähnt.

 

In einem Bericht über die italienischen Gärten der Renaissance lesen wir:

 

"The earliest stirrings of the Renaissance period were recorded by Boccaccio in 1348 in his 'Third Day of the Decameron'; with his vivid description of the garden at the Villa Palmieri which he reports as having featured arbors, pergolas, formal parterres with geometrically designed flower beds and a central fountain made of white marble.

Not long after Boccacio, Pietro de Crescenzi in a work entitled 'Ruralia commoda' (1306!), writes about the design of gardens and advises that small orchards of fruit trees and small herb and vegetable plots have square borders planted with scented herbs, that all paths should be of grass, that the gardens be surrounded by hedges and walls, that they should contain vined pergolas and have, at their centers, a "lawn" and, if possible, a fountain as well."

 

Im "Menagier de Paris" (1393) findet sich ebenfalls eine Beschreibung von Gärten.

Es ist nicht erstaunlich, dass Leon Battista Alberti in seinem Buch "De re aedificatoria" (um 1450/60) auch den idealen Garten beschrieb.

 

In einem andern Bericht lesen wir:

"Zunächst war die italienische Gartenkunst vom Willen getragen, innerhalb der Natur und mit der Natur zu bauen. Sodann kam der Gedanke dazu, das Wesen und die Gesetze der Natur im Garten darzustellen. Der Garten wurde nun als Erlebnisraum angesehen, dem eine umfassende Harmonie innewohnen und der den Betrachter erstaunen lassen sollte. All dies entsprang der Inszenierung eines Programmes, das in der Gestaltung der Natur Form annahm. Es beflügelte die Vorstellungskraft und regte die Phantasie an."

"Die Hypnerotomachia Poliphili des Francesco Colonna (1499) ist das erste Buch, das am direktesten auf die architektonische Gestaltung des Renaissancegartens eingewirkt hat. Einen ebenso starken Einfluss wie auf die Gestaltung nahm es auch auf Symbolgehalt und geistige Haltung."

 

Das erste deutsche Buch über "Lustgärten und Pflanzungen" erschien 1530 bei Egenolff in Strassburg und bei Steiner in Augsburg. Von grossem Einfluss war das Buch "Tutti l'opera architecttura" von Sebastiano Serlio (1537-1547).

 

Seit 1494 nannte man die nach Mustern schön gestalteten Gärten auf Englisch "knot gardens", seit 1579 auf Französisch "parterres" (Frank Crisp 1966, 65ff).

 

Seit 400: Kinderspielzeug

 

Die meisten Spielzeuge schaffen Modellwelten. Kinderspielzeug ist seit dem frühesten Altertum bekannt.

Da das mittelalterliche Erziehungssystem rau und anspruchslos war, wird man sich auch das Spielzeug ebenso vorstellen müssen.

Weihnachtskrippen werden bereits in Predigten um das Jahr 400 erwähnt, Lappenpuppen (simulacra de pannis) im 8. Jahrhundert. Berichte über mechanisch bewegte Puppen und Vögel gibt es seit dem Jahr 1000 (Indien, Byzanz, Arabien). Im "Hortus Deliciarum" (1175-95) sind zwei Kinder beim Spiel mit Ritterfiguren dargestellt, die sie nach dem Prinzip des Hampelmannes in Bewegung setzen.

Man nimmt an, dass auf den Jahrmärkten seit dem 12. Jahrhundert von fliegenden Händlern Spielzeug angeboten wurde (Antonia Fraser 1966). Doch erst seit etwa 1250 sind erhalten: Frauenfiguren und Fabeltiere aus Ton, die Zinnfigur eines Reiters in Rüstung auf seinem Pferd, ein Wasserkännchen in der Gestalt eines Pferdes.

Die "Bücher vom Schach-, Würfel- und Brettspiel" des Königs Alfons X, des Weisen (1283), belegen nicht nur den hohen Stand der Kunst des Schachspiels, sondern geben auch Einblick in andere zeitübliche Unterhaltungsspiele.

Seit 1300 finden sich einige wenige bildliche Darstellungen, z. B. Steckenpferd, Windrädchen, Kasperltheater (Handpuppenspiel 1338), Drachen (1405) und Papierspielzeug. Szenische Darstellungen mehrerer Spielzeuge gibt es erst seit 1500, berühmt wurden Pieter Breughels "Kinderspiele" (1560).

 

Der erste berufsmässige Puppenmacher ("Dockenmacher") wird in Nürnberg 1413 erwähnt. Die Erfindung des Guckkastens wird Leon Battista Alberti (1437) zugeschrieben. Von einem Puppenhaus (baby-house) wird erst 1558 berichtet, von silbernen Hausgeräten für Kinder 1571. Eine mechanische Weihnachtskrippe mit Musik schuf 1589 der Augsburger Automatenbauer Hans Schlottheim.

 

Seit 600: Schönheit des Bronzegusses

 

Die Geschichte des Metallgusses reicht bis etwa 4000 v. Chr. zurück. Reich bebilderte Chroniken stammen von Karl Stölzel (1978) und Heinz Wübbenhorst (1984).

Aus dem Altertum sind fast keine Bronzestatuen erhalten, weil sie leicht eingeschmolzen werden konnten.

 

Einen Höhepunkt erlebte der Kunstguss bereits im Mittelalter. Hervorragende Beispiele für Endprodukte sind etwa

·        die Torslund-Plaketten der Wikinger, Bronzereliefs aus dem 7. Jh.

·        die vergoldete Platte mit der Krönung des Langobarden Agilulfs (7. Jh.)

·        die "Wolfstüren" am Hauptportal des Aachener Doms aus der Giesshütte Karl des Grossen

·        die Bronzestatuette von Karl dem Grossen hoch zu Ross (9. Jh.)

·        der "Thron des Dagobert", ein bronzener Faltstuhl aus der Abteikirche von Dt. Denis (frühes 9. Jh.)

·        die Bronzetüren des Doms zu Hildesheim (des Heiligen Bernward 1015)

·        die fast vier Meter hohe Bernwardsäule im Dom zu Hildesheim (1020)

·        das aus Messing gegossene Taufbecken des Rainer de Huy in der Kirche St. Barthélemy in Lüttich (1118)

·        die Bronzetüre des Westportals von San Zeno in Verona (1138)

·        der Burglöwe von Braunschweig (1166)

·        die Bronzetüre der Sophien-Kathedrale von Nowgorod (um 1200)

·        das bronzene Taufbecken im Hildesheimer Dom (1225)

·        die Bronzetüren des Florentiners Baptisteriums (Andrea Pisano 1356)

·        die Bronzerelief von Antonio del Pollaiuolo am Grabmal des Papstes Sixtus IV. (um 1490)

·        das Sebaldus-Grab in Nürnberg, ein Messingguss um 1500.

 

Im 11. Jahrhundert begann die allgemeine Verbreitung der gegossenen Bronzeglocken für den kirchlichen Gebrauch. Gebrauchszinn ist seit dem 12. Jahrhundert in Europa verbreitet. Eisenguss wird seit etwa 1300 praktiziert, zuerst für Grenzpfähle, bald auch für Kanonenkugeln und Geschützrohre. Seit 1500 sind viele bilderreiche Kaminplatten erhalten. Sie wurden mit Holzstempeln (Modeln) geformt.

Das einzige erhaltene Werk, in dem der Guss von Kunstgegenständen beschrieben wird, stammt von Theophilus Presbyter (um 1123). Es ist das erste Lehrbuch für den künstlerisch tätigen Goldschmied und Metallhandwerker.

 

Die Renaissance entdeckte den Menschen wieder, insbesondere den nackten Menschen. Imposant sind die Standbilder und Skulpturen von Donatello ("David" 1430; "Judith und Holofernes" 1455-60), Verrocchio ("Il Condottiere Colleoni" 1490), Michelangelo ("Papst Julius II., nicht erhalten) und Giovanni da Bologna ("Badende Venus" ca. 1580).

 

Leonardo da Vinci hatte mit dem Bronzeguss nicht viel Glück. Er berichtet in seinen Tagebüchern darüber. Von Benvenuto Cellinis "Perseus" (1554) ist das Modell erhalten geblieben. Cellini hat auch genau beschrieben, wie er seine Figuren gegossen hat.

 

0-1500: Druckmodel

 

Ebenfalls eine lange Geschichte haben die Druckformen für den Zeugdruck (Robert Forrer 1894, 1898; Robert Haller 1951; Anne Jean Richard 1968; Alfred Bühler, Eberhard Fischer 1974).

 

In Japan sind schon zur Zeitenwende druckartige Stoffmalereien bekannt. Nach Robert Forrer geht die hellenistische Textilkunst Ägyptens auf das 4. Jahrhundert n. Chr. zurück und zeigt vor allem Direktdrucke auf hellem, ungefärbtem Leinen.

Chinesische Farbdrucke auf Seide sind seit dem 7. Jahrhundert erhalten, ebenso Zeugnisse für den Direktdruck mit Modeln in Europa und in koptischen Gebieten Nordafrikas. Sie weisen eine derartige Perfektion auf, dass man auf eine länger zurückreichende Tradition schliessen kann.

Während in der vorromanischen Zeit Schwarzdruck auf naturfarbenen Leinengründen bevorzugt wurde, hat man später grossen Wert auf Drucke in Gold und Silber gelegt. Die gotischen Bildzeugdrucke waren Andachtsbilder in Holzschnitttechnik.

Manche Drucke dienten auch als Vorlage für Stickereien, das heisst sie wurden von Hand überstickt. Schöne Exemplare sind etwa seit dem 13. Jahrhundert erhalten.

Erste urkundliche Belege für Formschneider, d. h. die Schnitzer der hölzernen Druckmodel, stammen aus dem Jahre 1397 aus Nürnberg und 1398 aus Ulm. Solche Model wurden sowohl für den Textildruck als auch für Blockbücher (aus Holzschnitten und kurzen Texten bestehendes volkstümliches Buch) verwendet. Der Ornamentstich entstand um 1450.

 

Der Druck mit beweglichen Lettern soll um 1000 bereits in China praktiziert worden sein. In Europa führte ihn um 1440 Johannes Gutenberg ein - vermutlich unabhängig von den Chinesen. Er verlor nach dem Druck seiner Bibel Hab und Gut, starb als gebrochener Mann und war bald vergessen.

 

13.- 15. Jahrhundert: Backmodel

 

Eine lange Geschichte haben die Hohlformen für Gusswaren und Gebäcke (Max Währen 1968, 1972; Herbert Kürth 1981; Edith Hörander 1982).

 

Das älteste erhaltene Backmodel (ausser aus dem Altertum) datiert aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts und ist aus Kalkstein. Aus dem 15. Jahrhundert haben sich im mittleren Europa bereits etwa 150 Model erhalten, vor allem aus Ton, aber auch aus Schiefer, Speck- und Graphitstein. Repräsentative, grosse Model bis zu 40 Zentimeter Durchmesser gibt es ab 1500. Sie wurden in der Regel in Holz gestochen und für Marzipan, Lebkuchen, Spekulatius und Tirggel (Honigkuchen) verwendet.

 

Seit 970: Model- und Musterbücher

 

Wie Ottfried Dascher (1984, 32) und Shai-Shu Tzeng (1993) klarstellen, muss man unterscheiden zwischen

·        Vorlagen für Kunsthandwerker und Frauen (für Buchillustrationen, Ornamente und Bauteile später Nähereien und Stickereien, Möbel und andere Gegenstände)

·        und "Mustern", im Sinne von Probestücken (vorab von Tuchen und Seiden, später Möbeln und Keramik), für Handel und Verkauf.

 

28 "Modelbücher" mit Bild- und architektonischen Vorlagen aus der Zeit von 900-1470 hat Robert W. Scheller nach seinem ersten Versuch (1963) gut dreissig Jahre später (1995) auf über 400 Seiten akribisch und reich illustriert vorgestellt. Die bekannte Sammlung von Arthur Lotz (1933) mit Musterbüchern für Nähereien und Stickereien schliesst sich daran an.

Wunderschöne Beispiele sind aus dem 11. Jahrhundert das Modelbuch des Mönches Adémar von Chabannes (1025) und aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert das "Bauhüttenbuch" von Villard de Honnecourt sowie die "Musterbücher" von Rein und Wolfenbüttel.

Dante (im "Purgatorio", 1321) setzte die Benutzung eines Musterbuchs beim Maler als selbstverständlich voraus: "Come pittor che con esemplo pinga ..."

 

Gemäss Ottfried Dascher ist davon auszugehen, "dass bereits dem späten Mittelalter die Praxis der folgenden Jahrhunderte vertraut ist, von Tuchen Proben (Muster) abzuschneiden und aufzuheben". Schon um 1300 hatte die Florentiner Tuchindustrie Weltgeltung. Es ist leicht vorstellbar, dass die Praxis des Zeigens und Versendens von Mustern (it. "mostra") hier seinen Anfang nahm.

Seit ziemlich genau 1400 gibt es dafür im Deutschen das Wort "Muster" und im Französischen "échantillon".

Laut Dascher ist es dann "nur ein Schritt, diese Muster nach Güte, Farbe und der Art des verwandten Materials (Wolle, Flachs, Baumwolle, Seide) auf Kartons aufzukleben. Das mochte ursprünglich zur eigenen Ausbildung, zur Vervollkommnung eigener Kenntnisse, zum Vergleich, zur Gedächtnisstütze ("pro memoria") geschehen sein, versetzte es doch einen Verleger oder einen Kaufmann in die Lage, fremde Techniken des Webens und Appretierens kennenzulernen und eigene Musterproben zur Anschauung und Qualitätskontrolle aufzuheben.

Die Sammlung derartiger Muster ermöglichte die Anlage von Musterkarten, deren nachträgliche Bindung das Musterbuch. Das konnte in einfachsten Formen geschehen, wie die in den Akten des 17. und 18. Jahrhunderts überlieferten Tuchproben zeigen."

 

Seit 1300: Kleiderpuppen

 

Bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. gab es in Babylon Gliederpuppen. Im Grab des ägyptischen Königs Tutenchamon fand man ein hölzernes Torso, das vermutlich als Schneiderpuppe Verwendung fand. Im Alten Griechenland verwendete man Gliederpuppen aus Ton.

An den Höfen der Adeligen im Mittelalter gab es Schneiderpuppen in den genauen Grössen der Herrschaften, damit der Schneider seine Stoffe anpassen konnte, ohne sie zu belästigen.

 

Seit etwa 1300 werden Gliederpuppen von den Künstlern in ihren Ateliers verwendet (Beschreibungen finden sich z. B. in den Schriften von Filarete, um 1450).

Ebenfalls seit dieser Zeit werden Kleiderpuppen in verschiedensten Grössen als Trägerinnen und Botschafterinnen der neuesten Mode eingesetzt. 1396 soll die Frau des französischen Königs Charles VI., Isabella von Bayern, ihrer siebenjährigen Tochter Isabella, die gerade vom englischen König Richard II. zur zweiten Frau auserkoren wurde, eine lebensgrosse Kleiderpuppe mit den neuesten Kreationen des französischen Hofes nach London geschickt haben (andere Quellen nennen die Jahreszahlen 1321 und 1391).

Vor 1600 sandte der französische König Henri IV. seiner Verlobten Marie de Medici kleine, elegant gekleidete Puppen nach Florenz, um sie über die neueste Mode auf dem Laufenden zu halten. Später wurden Pariser Puppen sogar nach Amerika gesandt.

 

Seit 950: Cerae und Effigies

 

Wie die katholische Kirche seit etwa 950 (erste Wallfahrt nach Santiago de Compostela) einen Kult mit Votivplastiken aus Wachs (auch "Boti" genannt) betrieb, schildern etwa Klaus Beitl (1973), Reinhard Büll (1978) und Adolf Reinle (1984).

In seiner Habilitationsschrift über "Bildnis und Brauch" hat Wolfgang Brückner (1966) den magischen Gebrauch der Effigies bei Totenriten und bei Bildzauber (Schändung, Hinrichtung) von etwa 1300 bis1800 beschrieben.

 

Seit 12. Jahrhundert: Künstlerische und anatomische Wachsmodelle

 

Vermutlich ohne Unterbruch seit dem Altertum gab es in den Werkstätten der Künstler stets Tonmodelle und Wachsvorbilder aller Art, insbesondere zum Üben der gestalterischen Fertigkeiten.

Eine byzantinische Miniatur aus dem 12. Jahrhundert ("St. Luc. Atelier d'artiste") zeigt sehr schön, wie antike Masken, eine Statue und eine Säule als Modell verwendet wurden.

 

Man nimmt an, dass erste anatomische Modelle bereits im frühen 14. Jahrhundert angefertigt wurden, und zwar zur Darstellung der Blutgefässe. Dazu wurde geschmolzenes Wachs in sie eingespritzt, und der erkaltete Guss wurde nachher sorgfältig vom umgebenden Gewebe befreit.

Kein Geringerer als Leonardo da Vinci fertigte einen solchen Abguss von Kammern des Gehirns an, um die feinen Strukturen deutlich sichtbar zu machen. Er beschrieb seine Methode sorgfältig in seinen Notizbüchern (T. N. Haviland, L. C. Parish 1970; J. T. Chen et al. 1999).

 

Die Herstellung von aus "Helffenbein" bestehenden Augen- und Ohrenmodellen hat Johann Martin Teuber 1740 beschrieben (auch: E von Philippovich 1960).

Seit 1400: „Muskelmänner“ („écorchés“)

Das gezeichnete oder rundplastische anatomische Modell eines Menschen ohne Haut, wird als "Muskelmann" oder frz. "Ecorché" (abgehäutet) bezeichnet. Die ersten Künstlerzeichnungen stammen von Antonio und Piero Pollaiuolo ("Kampf der zehn nackten Männer", 1465; auch auf 1470 und 1488 datiert) und Leonardo da Vinci (H. Meige 1926; L. v. Szladits 1954).

 

Dreidimensionale Muskelmänner sind laut dem Zeugnis Vasaris (1568) bereits seit dem frühen 15. Jahrhundert angefertigt worden (Boris Röhrl, 2000, 10-11; 79-82). Nach 1550 wurde sie häufiger gebraucht. 1734 schuf der Bildhauer Ercole Lelli zwei lebensgrosse Muskelmänner aus Holz für das „Teatro anatomico dell’Archiginnasio“ der Universität Bologna. Noch Goethe (in seiner „Italienischen Reise“, 1787) war in Rom beeindruckt von einem „sehr schönen Muskelkörper“. Bedeutende Schöpfer von Muskelmännern zu dieser Zeit waren die Bildhauer Edme Bouchardon (in Paris), Jean Antoine Houdon (in Rom), Johann Martin Fischer (in Wien) und Jean Galbert Savage (in Paris).

 

Sie galten als eigenständige Lehrstücke für angehende Künstler. Daher gab es lange Zeit keine erklärenden Texte oder Illustrationen dazu. Erst im Jahre 1586 erschien ein Bildwerk, in dem einige Platten mit Abbildungen von Lodovico Cigoli’s „Bella notomia“ enthalten waren. Bekannt für seine markant übertriebenen Zeichnungen von Muskeln ist der Sammelband von Kupferstichen nach Peter Paul Rubens, die sogenannte „Rubens Anatomy“ (um 1650). Der Künstler erfand sogar neue Muskeln, und er zeichnete manche Körperteile ungenau, um den Figuren mehr Ausdruck zu geben, wie das manche flämische Maler praktizierten (Boris Röhrl, 2000, 101, 120-124, 131). 1679 publizierte der Maler und Graveur Carlo Cesio ein Handbuch „Cognitione de muscoli“, das unter dem Titel der zweiten Ausgabe, „Anatomia dei pittori“ (1697), bekannt wurde. Es wurde ins Deutsche, Französische und Russische übersetzt. 1780 und 1781 fertigte Antonio Cattani drei fast lebensgrosse Radierungen der hölzernen Muskelmänner an, die Ercole Lelli ein halbes Jahrhundert zuvor für die Universität von Bologna hergestellt hatte.

Seit 1530 Musterbücher der Anatomie des Menschen

Musterbücher der Anatomie des menschlichen Körpers tauchen erst nach 1530 auf (Boris Röhrl, 2000, 62-100). Anfänglich handelte es sich nur um einzelne Blätter, nach denen gezeichnet werden musste. Frühe Sammlungen sind das sogenannte Bandinelli-Album im British Museum in London und die Zusammenstellung „Siena MS.S.II.5“ in der Biblioteca Comunale degli Intronati in Siena, welche auf die Zeit um 1550 datiert werden.

 

 

500-1500: Denkmodelle und Verhaltensanweisungen (Abb. 1b)

 

Einige wichtige Weltmodelle, Denkmodelle, Ideen, Ideale und Verhaltensanweisungen des Mittelalters - in Europa und Nahost - waren:

 

  • Stile/ Kulturen

    Byzanz (330-1200), Islam (650-1250), Karolinger (751-987), Normannen (800-1200), Romanik (950-1200), Gotik (1140-1400), Renaissance und Humanismus (1300-1600)

  •  

  • Wirtschaftsformen

    Feudalismus (Anfang 6. Jh.), Dreifelderwirtschaft (6. Jh.), Lehenswesen (merowingische Landschenkungen; Karl Martell 725), Leibeigenschaft, Fron-Dienst, Herrenhof und Fronhof, Städte (ab 1000), Sklavenhandel (Papst Urban II. 1095; Heinrich der Seefahrer 1441), Messen (12. Jh.), private Banken (1163), Franz von Assisi (Armut 1208), Haushalt (Walter de Henley 1250; Leon Battista Alberti 1444; auch Ökologie), Thomas von Aquin (Zinsverbot, Arbeitslehre, Eigentumstheorie 1270), Eigentumstheorie (Aegidius Romauns 1279), Greshamsches Gesetz (Johannes Duns Scotus 1300), Geldwirtschaft löst Naturalwirtschaft ab, Geldtheorie (Nikolaus von Oresme 1350), öffentliche Banken (1401), Börse (1460/85 Antwerpen)

  •  

  • Organisationsformen

    gallofränkische Klerikergilden (6. Jh.), karolinigsche Ortsgilden (2. H. 8. Jh.), Gilden von Berufsleuten, Bruderschaften mit religiösen Zielen und städtische "Kommunen" (alle ab 1000), Zünfte und Lehrlinge (ab 1149); Verschwiegenheitspflicht (1212); Gesellen und überregionale Vereinigungen von Handwerkern (ab 1300), Privatclub (1400)

  •  

  • Verhaltensanweisungen

    Benedikt von Nursia (529), Konstantin VII ("De ceremoniis" 950), Avicebron (1050), "Regimen sanitatis" (1050), Petrus Alfonsi (1120), Petrus Abaelard ("Ethica" 1136), Johannes von Salisbury (1159), Kleidermode (12. Jh.)

  •  

  • Juristische Kodifizierungen

    Justinian (534), "Tabulae Amalphitanae" (12. Jh.), "Magna Charta libertatum" (1215), Eike von Repgow (1232), Accursius (1250)

  •  

  • Schulreformen

    Schulreformen von Alkuin (782), Hrabanus Maurus (850), Fulbert (990), Petrus Hispanus (1270), Pier Paolo Vergerio (1404), Vittorino und Guarino (1423/29: öffentliche Schulen)

  •  

  • Mathematische Konzepte

    Null und Bruchrechnen (Brahmagupta 624), Stellenwert der Ziffern (Al Khwarizmi 830), Trigonometrie (Al Battani 900), arabische Zahlen (Gerbert 990), Lösung kubischer Gleichungen (Omar Khayyam 1100), "Liber abaci" (Leonardo Fibonacchi 1202), doppelte Buchhaltung (Ranieri Fini 1296; Benedetto Cotrugli 1458)

  •  

  • Wiederbelebung der esoterischen Weltsicht:

    "Corpus alichimisticum" (8. Jh.), "Liber de causis" (825), Alchemie (9. Jh.: Geber/Jabir; "Turba Philosophorum"), Neuplatonismus und Astrologie (Al-Kindi 850), Mystik (Hasan al-Basri 680; Johannes Eriugena 870; Bernhard von Clairvaux 1110), Kabbala (Jezira, 9. Jh.; Sohar 1270), Gnosis (Bogumilen 950), erneut Alchemie (Michael Scotus 1220), Tarot (15. Jh.), Neuplatonismus (Marsilius Ficino 1471)

     

  • Andere Weltmodelle

    Weltuntergang (999), Bernhard Silvestris (1148), Hildegard von Bingen (1180), Joachim de Fiore (1190), Sacrobosco (1220/30), Robert Grosseteste (Metaphysik des Lichts 1250), Konrad von Megenberg (1350), Nikolaus von Kues ("coincidentia oppositorum" 1438)

  •  

  • Entdeckung der Individualität

    Gesinnung und Gewissen (Petrus Abaelard 1136; Albertus Magnus 1280), "aktiver Intellekt" (Thomas von Aquin 1270; Albertus Magnus 1280), Primat des Willens (Johannes Duns Scotus 1300; Wilhelm von Ockham 1330; Johannes Buridan 1350), Individualität (Dante 1321; Petrarca um 1350; Pico della Mirandola 1486)

  •  

  • Wissenschaftlichkeit

    "Haus der Weisheit" (Bagdad 813), Gerbert (990), Nominalismus (Roscelin 1092; Wilhelm von Ockham 1330; Nicolaus d'Autercourt 1347), Trennung von Glauben und Wissen (Adelard von Bath und Wilhelm von Conches, vor 1150; Alfredus Anglicus 1217; Siger von Brabant 1270; Johannes Duns Sotus 1300), Universitäten (ab 1155: Bologna, Paris, Oxford), Erfahrung (Roger Bacon 1268; Petrus Peregrinus 1269), Platonische Akademie (1459)

  •  

  • Religiöse Ideen

    Missionsreisen und Beichte (Columban 590; 1215 jährliche Beichte), "Fegefeuer" (Gregor der Grosse 593), "Heiliger Krieg" (Mohammed 628; Papst Urban II. 1095), Glockenläuten (800), Prädestination (850: Gottschalk, Johannes Eriugena), Pilgerfahrten (950 nach Santiago de Compostela), Zisterzienser-Kultur (1098), Transsubstantiation (12. Jh.), Maria als "Madonna" (12. Jh.), "Die Frau ist ein Missgriff der Natur" (Thomas von Aquin 1270), "Devotio moderna" (Gerhard Groote 1374), "De imitatione Christi" (Thomas a Kempis 1427)

  •  

  • Religiöse Orthodoxie

    Ketzerei ist ein Verbrechen (Justinian 534), Unauflösbarkeit der Ehe (Ludwig der Fromme 820), Zölibat (1074), Judenpogrome (12. Jh.), Ketzerverbrennungen (12. Jh.), Scheiterhaufen (Friedrich II. 1224), Inquisition (Papst Gregor IX 1231), "Corpus iuris canonici" (Papst Gregor IX 1234), Folter (Papst Innozenz IV, 1252), Hexenhammer (Heinrich Sprenger: "Malleus maleficorum" 1487)

  •  

  • Märchen und Sagen

    "Tausendundeinenacht" (9. Jh.), König Artus und Zauberer Merlin (1135), Gral (ca. 1150; bald mit Lancelot und Parzifal), Tristan (1165); "Legenda Aurea" (Jacobus de Voragine 1273)

  •  

  • Ideale Lebensformen

    Heldenlied ( "Digenis Akritas", 10. Jh., "Ruodlieb" 1050, "Rolandslied" 1090; "El Cid" 1140; "Nibelungenlied 1200), "christlicher Ritter" (Bonizo 1090), Minne, höfisches Leben (Troubadourdichtung seit 1100), Dienst am Menschen (Franz von Assisi 1210), "Humanismus" (ab 1300: Dante, Petrarca, Boccaccio), "Della vita civile" (Matteo Palmieri 1438)

  •  

  • Besondere Verfahren

    Notenlinien (8. Jh.), Notenschrift (Guido von Arezzo 1025), Portolani-Karten (13. Jh.), Landschaftsmalerei (ab 1300: Giotto, Duccio, Lorenzetti), Volkssprache benützen (1321 Dante, Petrarca), geometrische Perspektive (Brunelleschi 1412), Ephemeriden (1412), Globus (Martin Behaim 1492)

  •  

  • Medizin

    "Liber medicinalis Almansoris" (Rhazes 900), Chirurgie (Abul Kasim 1000; Roger von Salerno 1180), "Kanon der Medizin" (Avicenna 1025), "Al-Taisir" (Avenzoar 1160), "Colliget" (Averroes 1169), Chirurgie und Narkose (Theodoricus de Cervia 1266), Beobachtung und chemische Medizin (Arnaldus de Villanova 1300), Anatomie (Mondino de'Luzzi 1316), antiseptische Wundbehandlung (Jehan Yperman 1329), Chirurgie (Guy de Chauliac 1370)

  •  

  • Politische Verfahren

    Volkssouveränität (Manegold 1085), "Domesday Book" (1086 in England: Grund-, Kataster- und Steuerbuch), Parlament (1265 in England); "freiwilliger Unterwerfungsvertrag" (Wilhelm von Ockham 1330)

  •  

  • Kriegsführung

    Schwerter aus Damaszener Stahl (500), "Griechisches Feuer" (Byzanz, 7. Jh.), Reiterei (725), melée (11. Jh.), Kanonen (1324), mobile Langbogenschützen gegen schwerfällige Reiterei (1346)

  •  

  • Denkmodelle

    Schachspiel (500), Dialektik (Berengar von Tours 1050), "Sic et non" (Petrus Abaelard 1140), Kombinatorik (Raimundus Lullus 1303)

  •  

  • Sport und Wettkampf

    Hockey (10. Jh.), "Jeu de paume" ("hand ball", 11. Jh.); Turnier (1135), Fussball (12. Jh.), Cricket (1300), Regatta (1315), Fechten (1410), Golf (15. Jh.)

 

 

Erste Bild- und Modelltheorien

 

Vitruvs Erkenntnisse zu Modellen

 

Am Schluss seiner „Zehn Bücher über Architektur“ hat Vitruv seine Erkenntnisse zu Modellen prägnant zusammengefasst (Übersetzung von Curt Fensterbusch, 1964):

„Es kann nämlich nicht alles nach denselben Methoden ausgeführt werden, sondern es gibt Dinge, die, in grossem Format hergestellt, ähnlich funktionieren wie in einem nicht grossen; andere aber dulden keine Herstellung in einem Modell, sondern können nur in ihrer natürlichen Grösse hergestellt werden.
Manche Dinge aber gibt es, die offensichtlich im Modell möglich sind, die aber, wenn man beginnt, sie in immer grösserem Format herzustellen, (von einer gewissen Grösse an) nicht mehr verwirklicht werden können …
So sieht man es auch bei einigen Modellen. Wie sie in sehr kleinem Format hergestellt werden können und in der gleichen Weise auch in etwas grösserem, so können sie doch nicht in der gleichen Weise und mit derselben Methode in sehr grossem Format ausgeführt werden.“

 

"Repraesentatio" im Mittelalter

 

"Zum Begriff der repraesentatio im Mittelalter" fand 1970 eine grosse Mediävistentagung in Köln statt. Die Referate wurden von Albert Zimmermann (1971) herausgegeben. Umfassend zur gesamten Geschichte des Begriffs informieren Hasso Hofmann (1974), Adalbert Podlech (1984) und Eckart Scheerer (1992, 1993).

Eine grundsätzliche Untersuchung bot in seinem Todesjahr (1907) der Pariser Professor Octave Hamelin, eine phänomenologische ein halbes Jahrhundert später der deutsch-amerikanische Kunsthistoriker Richard Bernheimer (postum 1961).

Der Repräsentations-Theorie in der römischen Literatur widmete L. Schnorr von Carolsfeld (1980) eine Untersuchung, derjenigen in der Spätscholastik M. M. Tweedale (1990), derjenigen in der französischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts Katharine G. MacCornack (1996).

 

13.-15. Jahrhundert: Vorstellungs- und Bildtheorien

 

Erste Ansätze zu Modelltheorien lassen sich nach 1200 in der Scholastik finden:

·        in einem Brief von Robert Grosseteste kurz vor 1228 zum Thema Architektur

·        in der Vorstellungstheorie von Duns Scotus (Reinhold Messner 1942; Etienne Gilson 1952; G. Scheltens 1965; Martin M. Tweedale 1990, 1999; Giovanni Pizzo 1998) und

·        im Konzeptualismus seines Schülers Wilhelm von Ockham mit dem Begriff der Fiktion (figmentum) (Josef Reiners 1910; Erich Hochstetter 1926; Sebastian J. Day 1947; Wolfgang Stegmüller 1956/57; G. Leff 1975; Elisabeth Leinfellner 1986; Jan P. Beckmann 1996; Jürgen Goldstein 1998).
Gemäss Ockham sind unsere Vorstellungen nicht Abbilder der Dinge, sondern Zeichen (signa), die wir auf die Dinge beziehen.

·        in der Bildtheorie, welche der Bischof und geistliche Philosoph Nikolaus von Kues (Norbert Henke 1969; Norbert Herold 1986: Hubert Benz 1999) um 1450 entwickelte.

 

 

Die schwere Geburt des italienischen Wortes "modello"

 

Um 1330: spärliche Belege für „modellus“

 

Die vielfach verbreitete Behauptung, Vorläufer von "modello" oder der verschiedenen Formen von "Modell" sei das vulgärlateinische Wort "modellus", ist nicht plausibel. „Modellus“ taucht weder in den Wörterbüchern von Blatt und Niermeyer noch bei Faber und Forcellini auf.

Einzig Du Cange (1885) verzeichnet es um 1330/40 in einem militärischen Traktat eines italienischen Autors zweimal als Mauerbrecher, einmal in den Aufzeichnungen eines Pariser Klosters als Flasche; Latham (2001) fand ebenfalls ein Gefäss (1965 noch als „cheese-mould“ bezeichnet) im Inventar eines irischen Haushalts. Fast zur gleichen Zeit taucht in Italien ein einziges Mal „modelo“ als Backform in einem Haushalt in Modena auf.

 

1355-1416 it. „modello“ und lat. „modellus“ betreffen Modelle oder Zeichnungen

 

Das italienische Wort "modello" entstand in Zusammenhang mit dem Bau des Florentiner Doms.

 

Obwohl die Autoritäten des Chronisten Giorgio Vasari (um 1550) und des Basler Historikers Jacob Burckhardt (1868, 26 u. 84) hinter den Behauptungen stecken: Weder der erste Baumeister des seit 1294 geplanten Neubaus, Arnolfo di Cambio, noch der Künstler Giotto hat ein dreidimensionales Modell für den Campanile (um 1334) vorgelegt (Howard Saalman, 1964; Rolf Bernzen, 1986 = B; Roland Müller, 1988; Andres Lepik, 1994, 27-38 – anderer Meinung ist auf Grund archäologischer Ausgrabungen Franklin Toker, 1975, 1978, 1983).

 

Erst unter capomaestro Francesco Talenti werden zwei Holzmodelle erwähnt: 1353 eines für den Campanile, zwei Jahre später eines für die Chorkapellen und einen Teil des Langhauses. Beide wurden als "disegniamento ... di legniame" bezeichnet (B, 77, 81ff, 319f).

 

Es ist ein Glücksfall, dass zum Bau des Domes eine Fülle von Aufzeichnungen sowohl in Italienisch wie in Lateinisch vorliegen – fast 500 von 1294-1421 (Cesare Guasti, 1887) und viele weitere zum Bau der Kuppel (Cesare Guasti, 1857). Es handelt sich um Buchhaltungsblätter, Notizen, Verträge, Wettbewerbsausschreibungen, etc., die oft in beiden Sprachen gleichzeitig verfasst wurden. Anhand dieser Dokumente können wir die Entwicklung des Wortgebrauchs wie auch der damit bezeichneten Sachen gut verfolgen.

Es scheint, dass sich das lateinische Wort „modellus“ und das italienische „modello“ parallel entwickelten, nicht konsekutiv.

 

Weder die Künstler noch die Chronisten kannten damals einen terminus technicus für Modell. Sie gebrauchten dafür mehrere Wörter, neben “disegniamento” auch “asempro” (d. h. “esempio”) und seit 1366 “piccola chiesa”, im Lateinischen seit 1366 “ecclesia parva” und “exemplum” (B, 98, 231).

Das italienische Wort „modello“ wurde zwar erstmals 1355 und 1357 für ein dreidimensionales Objekt verwendet („i modelli delle colonne“ - siehe Andres Lepik, 1994, 30-33, 182-183), aber nachher in Florenz 60 Jahre lang nicht mehr.

 

Dafür wurde ein Modell, das Heinrich von Gmünd 1392 für einen Pfeiler des Mailänder Domes angefertigt hatte, als „modello“ bezeichnet, desgleichen ein Gewölbemodell für denselben Dom von Simone da Cavagnera (Andres Lepik, 1994, 46-48).

 

1366 gab die Florentiner Baubehörde Entwürfe für die Vollendung des Doms in Auftrag. Nach kurzer Zeit lagen zwei Zeichnungen und ein Modell aus Ziegelmauerwerk vor. Pikanterweise lief die eine Grundrisszeichnung unter "desingnum seu modellum". Das dreidimensionale Gebilde nannte man "chiesa piccola". Es musste einem doppelten Ähnlichkeitsverhältnis (similitudo) genügen: Einerseits musste es der Zeichnung ähnlich sein, anderseits musste nachher die Kirche dem Modell ähnlich gebaut werden. (Vermutlich zeigt das bekannte Fresko in der Spanischen Kapelle von S. Maria Novella in Florenz dieses Modell.)

 

Halten wir fest: Von 1367 bis 1416 wurden in Florenz die neuen italienischen Wörter “modello” und “modeglio” wie auch das lateinische „modellus“ (seit 1366) für Zeichnungen verwendet (B, 91). “Desingnum” (lat.) und “disengno” (it.) wurden schwankend gebraucht, manchmal für Modell, manchmal für Zeichnung (B, 96-111). Zwischen „disegniamento“ und „modello“ taucht 1367 “rilievo” (it.) und “relievum” (lat.) auf, und zwar für eine Aufrisszeichnung, vielleicht auch für ein dreidimensionales Modell (B, 99-103, 111), beispielsweise in einem lateinisch-italienischen Mischsatz: “pro desingno i’rilievo per eos factos in dicto operi” (B, 100).

 

Erst seit 1417: „modello“, "modelo" und „modeglio“ wie „modellus“ werden ausschliesslich für Architekturmodelle gebraucht

 

Nach genau einem halben Jahrhundert ändert der Wortgebrauch plötzlich: Seit 1417 wurden die italienischen Wörter „modello“, ”modelo” und “modeglio” wie auch das lateinische “modellus” für Architekturmodelle gebraucht (B, 123ff), besonders für die vielen Entwürfe von Filippo Brunelleschi für die Kuppe des Domes und für die Aufzugs- und Hebevorrichtungen, welche für deren Konstruktion notwendig wurden (schön rekonstruiert bei Howard Saalman, 1980, 108-134).

Der Bezug zum früheren Wortgebrauch wurde mehrfach hergestellt durch die Formel „modellum sive designum“.

In einigen wenigen Protokollen und Notizen zu späteren Bauprojekten taucht das lateinische Wort „modellus“ noch bis ins 16. Jahrhundert auf. Als Gegenstück dazu wurde, z. B. 1436 „designum“ für Zeichnung gebraucht (B, 143).

 

Die Unsicherheit in der Verwendung der Wörter blieb. So heisst es beispielsweise in späteren Protokollen von Reparaturen an der Kuppel des Florentiner Doms: „quinque modellis vel modulis“ (1507) und „omnes modellos et designamenta necessaria“ (1513). Ein weiteres Beispiel ewähnt Carmen Bambach Cappel (1990, 1992):

„Soderini's "Io vorrei facessi uno modello, o vogl[i]amo dire disegno, di quella cosa vi scripsi," in a letter of 24 July 1518, or Rosselli's "àne fatto fare uno ischizo o vero disegno di detta fac[i]ata," in a letter of 4 February 1526, suggest a self-conscious attempt on the part of artists and non-artists to use artistic terms correctly.“

 

1450/60: Der Architekturtheoretiker Alberti braucht im Lateinischen “”moduli” anstatt das neue “modelli”

 

Es ist unerklärlich, warum der Universalgelehrte und Exil-Florentiner Leon Battista Alberti einige Jahre nach Vollendung der Kuppel das „alte“ lateinische Wort „modulus“ statt des neuen „modellus“ verwendete, und zwar für Zeichnung wie Modell.

 

In seiner Schrift „De Pictura“ (geschrieben 1435; gedruckt 1540) zweimal das Wort „exemplar“ (III, 56 und 59), aber auch zweimal „moduli“ (III, 61). „Exemplar“ ist gebraucht für das Modell des Malers – der bekannte Fall des griechischen Malers Zeuxis -, „modulus“ für Zeichnungen oder Skizzen.

Ein Jahr nachdem Alberti seine Schrift in Latein verfasst hatte, übersetzte er sie selber ins Italienische (gewidmet ist sie seinem Freund Brunelleschi; gedruckt wurde sie 1547). Dabei gebraucht er für „exemplar“ „essemplo“ und „essempio“. Den Akkusativplural von „modulus“ übersetzte er zweimal mit „modelli“.

 

In seinem lateinisch geschriebenen und 1485 posthum erschienenen Werk „De re aedificatoria“ führt Alberti das Wort „modulus“ für Architekturmodelle ein, mehrmals auch in der merkwürdigen Formel „modulis exemplaribusque“ (Liber II, chap. I-III; Liber IX, chap. VIII-X). Das wäre nicht nötig gewesen, denn er verwendet dafür im selben Werk bereits „exemplar“ (z. B. Liber IIII, chap, II; 1755, ed. 1955, 68; Liber VIII, Chap. III, 1755, ed. 1955, 166).

Die kurz nach der ersten (1546) erfolgte Übersetzung von Albertis Architekturtheorie ins Italienische (1550) gebrauchte die Wörter „modegli“ und „modello“ resp. „modegli & esempi“. Die deutsche Übersetzung von 1912 spricht von Modellen und "Kopien" (wobei sie das erstmalige Auftreten von "exemplar" unterschlägt).

(An anderen Stellen gebraucht Alberti „exemplum“ und „exemplar“ auch bloss für Beispiel.)

 

Die bislang einzige französische Übersetzung datiert aus dem Jahr 1553. Sie stammt von Jan Martin, der auch Vitruvs Architekturbuch - unter fast demselben Titel (1547) - übersetzt hat. Die Übersetzung von Alberti ins Englische erfolgte erstmals 1726; vielfach neu aufgelegt wurde die Übersetzung durch James Leoni von 1755.

 

Etwa zur gleichen Zeit wie Alberti schrieb ein weiterer Florentiner, Antonio Averlino, detto Filarete, einen Traktat über Architektur auf italienisch. Hier taucht nun erstmals in einem Buch (das allerdings nur handschriftlich verbreitet wurde) "modello" für Modell auf, und zwar meist zusammen mit dem synonymen Ausdruck "disegno rilevato" (Rolf Bernzen, 1986, 219-229, 232).

 

Um 1550: Die ersten italienischen Bücher mit "Modell" im Titel

 

Die ersten italienischen Bücher mit dem Begriff "Modell" im Titel erschien um 1550.

Der Schriftsteller Antonio Francesco Doni schrieb 1549 unter dem Titel "Disegno" eine Antwort auf den "Dialogo della pittura" von Paolo Pino (1548), zugleich eine Anweisung für Malerei und Plastik, darunter auch für Modelle. Wie frisch der Begriff ist, zeigt sich deutlich in der sprachlichen Unsicherheit: Auf dem Umschlag steht "modegli", im Text heisst es: "modelli di terra, di legno".

Kurz darauf zerpflückte der Mönch Giacomo Moronessa in einer umfangreichen Arbeit: "Il modello di Martino Lutero" (1555).

In zwei Dialogen gab schliesslich der Ingenieur Giacomo Lanteri (1557), welcher dem spanischen König in Neapel und Nordafrika diente, Anweisungen zum militärischen Festungsbau - gemäss Euklid - und für die Herstellung von Modellen dazu (Gloria Vivenza 1975).

Das zeigt - was bis heute immer wieder übersehen wird -, dass der Begriff "Modell" seit Anbeginn nicht nur für Architekturmodelle, sondern einerseits für kleine Vorbilder (z. B. für Skulpturen), anderseits auch für geistige Entwürfe gebraucht wurde.

 

 

Die Arbeit mit Modellen

 

Alberti: Die Verbesserungsfähigkeit der Modelle

 

Etwas vom wichtigsten beim Modell sind Anschaulichkeit. Manipulierbarkeit und Verbesserungsfähigkeit. Keiner hat das schöner ausgedrückt als Alberti (Roland Müller, 1988). Er hat als erster versucht, Kunst und Architektur auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. In "De Pictura" (1435; it. 1436) und "De re aedificatoria" (1450/60) fasst er Kunst als ein Gebiet objektiver, erforschbarer Gesetze auf. Grosse Bedeutung misst er der Arbeit mit Modellen zu (2. Buch, 1.-3. Kap; 9. Buch, 8. u. 9. Kap.).

 

"Hier kann man ungestraft vergrössern, verkleinern, ändern, erneuern und gänzlich umgestalten, bis alles ordentlich zusammenstimmt und Beifall findet."

Es ist auch sinnvoll, Kopien herzustellen, damit das ursprüngliche Modell erhalten bleibt, auch wenn an den Kopien Veränderungen durchgespielt werden. Alberti rät ja dem Architekten: "Geh, bitte, zweimal, dreimal, viermal, siebenmal, ja zehnmal mit Unterbrechungen und zu verschiedenen Zeiten alle Teile des zukünftigen Bauwerkes durch." Das ist nur risikolos, wenn das Ausgangsmodell, das die "Idee" verkörpert, separat erhalten bleibt.

 

Alberti berichtet sogar von sich selber: "Von mir gestehe ich, dass mir des öfteren viele Bauentwürfe in den Sinn gekommen sind (multas incidisse persaepius in mentem coniectationes operum), die mir dann erst in höherem Masse gefielen, wenn ich sie zu Papier brachte (ad lineas redegissem). Ich fand sogar in jenem Teile, der mich am meisten entzückt hatte, tadelnswerte Irrtümer. Als ich dann wieder die Zeichnung (perscripta) betrachtete, und mit Zahlen zu messen begann, erkannte ich meine Unachtsamkeit und widerlegte sie. Hatte ich schliesslich hievon Modelle und Kopien hergestellt, da kam es mir manchmal beim Durchgehen aller Einzelheiten vor, dass ich mich darauf ertappte, dass ich mich auch in den Zahlen getäuscht hatte."

 

Also: An die Stelle des fertigen - "idealen" - Konzepts treten versuchsweise Entwürfe, die fehlerhaft sind und daher schrittweise verbessert werden müssen. Architektur ist ein ständiges Bemühen.

 

Alberti: Das Vorbild grosser Architekten = Erfinder

 

Alberti geht noch weiter: Durch das Beispiel hervorragender Architekten werden wir "angeeifert, durch neue und bessere Entwürfe (novis nos proferendis inventis) gleiches oder womöglich noch grösseres Lob zu ernten".

Der Architekt richtet sich nicht mehr nur nach der göttlichen Weltschöpfung aus, sondern er ist ein Erfinder. Die Modelle sollen nicht sosehr die "Hand des Verfertigers" (fabri manum) zum Ausdruck bringen, sondern den "Geist des Erfinders" (inventoris ingenium).

 

Ab 1420: Architekturmodelle erhalten

 

Inspiriert von Florenz begannen um 1390 auch die Baumeister von San Petronio in Bologna und für den Mailänder Dom - wo es grosse Diskussionen gab - mit zum Teil riesigen Modellen für ihre Bauwerke zu arbeiten.

Abgesehen von den drei Teilmodellen des Gesamtmodells für den Dom von Florenz aus dem Jahre 1420 (Andres Lepik, 1994, 66-71, 197-198, Abb. 21ff.) sind erst ab 1490 kleine Architekturmodelle noch erhalten, beispielsweise vom Palazzo Strozzi in Florenz und vom Dom von Pavia (Ludwig Heinrich Heydenreich 1937). Das Papiermaché-Modell von St. Maclou in Rouen (um 1500) ist erst nach der Fertigstellung der Kirche angefertigt worden.

 

Luca Pacioli

 

Das etwa handgrosse Modell eines Dodekaeders findet sich auf einem Bild, das Jacopo de Barbari 1495 vom Mathematiker Luca Pacioli gemalt hat.

Ferner zeichnete Leonardo da Vinci zahlreiche Holzmodelle von geometrischen Figuren für Paciolis Buch "De Divina Proportione", das 1509 erschien, darunter zum ersten Mal ein Ikosidodekaeder.

 

Leonardo und Michelangelo

 

Leonardo da Vinci und Michelangelo (Herbert von Einem 1959, 1973) haben das Wort "modello" häufig gebraucht, aber auch alle Arten von Modellen gebaut und verwendet, und zwar nicht nur für Bauwerke und Geräte aller Art, sondern auch für Zeichnungen und Gemälde, Skulpturen und Riesenplastiken.

 

Über Leonardo schrieb Vasari:

"Und alle Tage verfertigte er Modelle und Zeichnungen von Vorrichtungen, um mit Leichtigkeit Berge abzutragen oder sie, damit man von einer Ebene zur andern gelangen könne, zu durchbohren; desgleichen zeigt er, wie man mittels Hebeln, Winden und Schrauben grosse Lasten heben und ziehen könne; ferner erfand er Verfahren zu Ausbaggerung von Häfen und Pumpen zur Entwässerung tiefergelegener Landstriche; denn niemals hörte dieses wunderliche Hirn auf zu phantasieren" (Giorgio Nicodemi 1939, VIII).

 

Clare Bambach Cappel (1990, idem 1992) berichtet, dass Michelangelo Buonarotti das Wort “modello” und die Varianten „modelo“ und „modegli“ seit 1505 in etwa 34 Briefen für dreidimensionale Modelle und in weiteren 20 eher für Modelle als für Zeichnungen verwendet hat.

 

Mehrmals braucht Michelangelo die Formel “disegni e modegli” und “desegni et modeli”. Freilich hat er auch „exemplar“ verwendet. Etwa in dem bekannten Gedicht „S’egli è che n dura pietra“ (1540-44):

„E par ch’esempro pigli

ognor da me, ch’i’ penso di far lei.“

 

Oder in einer ähnlichen Formulierung auf Deutsch:

„In jedes Bildnis malen

Zugleich mit dem Modelle

Wir Künstler uns hinein“

und

„Oft gleicht ein Bild dem Bildner mehr, o Jammer!

Als dem Modell ...“

 

Um 1600: Shakespeare beschreibt das Vorgehen beim Bauen

 

Eine literarische Schilderung des Vorgehens bei Bauen gibt William Shakespeare um 1600 in seinem Drama Heinrich IV (I, iii):

„Wenn wir bauen wollen,

Beschaun wir erst den Platz, ziehn einen Riss;

Und sehn wir die Gestalt des Hauses nun,

Dann müssen wir des Baues Aufwand schätzen.

Ergibt sich's, dass er über unsre Kräfte,

Was tun wir, als den Riss von neuem ziehn,

Mit wenigern Gemächern, oder ganz

Abstehn vom Bau? Vielmehr noch sollten wir

Bei diesem grossen Werk, das fast ein Reich

Danieder reissen heisst und eins errichten,

Des Platzes Lage und den Riss beschaun,

Zu einer sichern Gründung einig werden,

Baumeister fragen, unsre Mittel kennen,

Wie fähig, sich dem Werk zu unterziehn,

Den Gegner aufzuwiegen; sonst verstärken

Wir uns auf dem Papier und in Figuren

Und setzen statt der Menschen Namen bloss;

Wie, wer den Riss von einem Hause macht,

Das über sein Vermögen; der, halb fertig,

Es aufgibt und sein halberschaffnes Gut

Als nackten Knecht den trüben Wolken lässt

Und Raub für schnöden Winters Tyrannei.“

 

(Übersetzung 1800ff von August Wilhelm von Schlegel/ Ludwig Tieck. Im englischen Original von 1598 kommt einmal „model“ vor, in der viel längeren Fassung von 1623 heisst es als Vorlage für „Riss“ stets „Modell“. Christoph Martin Wieland - 1762ff - übersetzte je einmal mit „Riss“, „kleineres Modell“ und „Entwurf“ in Szene I, iv)

 

 

Ab 1542: Modell im Französischen, Deutschen und Englischen

 

Ab 1542: "modello" gelangt ins Französische, Deutsche und Englische

 

Erst um 1550 Jahre kam das italienische Wort "modello"

als "modelle" oder "modèle" ins Französische,

als "Modell" ins Deutsche und

als "model" oder "modell" ins Englische,

wobei sich die Bedeutungsvielfalt rasch fast in die heutig Fülle ausweitete.

 

Die erste Belegstelle im Französischen (1542) findet sich in den "Comptes des bâtiments du Roi, 1528-1571" (Bd. 2, 282; publiziert Paris: J. Baur 1877-1880) von Léon de Laborde: "modelle" wurde gebraucht für eine "figure destinée à être reproduite".

In der französischen Übersetzung der Zehn Bücher über Architektur von Vitruvi (1547) wird „modulus“ ein oder zwei Mal bereits mit „modelle“ (5+) und „Modele“ (33) übersetzt, sonst aber meist mit „module“ (38+, 53+, 56+, 80+, 101+), „reigle“ (38+), „proportions“ (43+) und „mesures“ (149+).

 

Der erste Beleg für „model“ im Englischen findet sich im Vorwort zu einer Übersetzung der „Elemente der Geometrie“ von Euklid:

“Now, all those thinges, which Vitruuius in his Architecture, specified hable to be done, by dubbling of the Cube: Or, by finding of two middle proportionall lines, betwene two lines giuen, may easely be performed. Now, that Probleme, which I noted vnto you, in the end of my Addition, vpon the 34. of the 11. boke of Euclide, is proued possible. Now, may any regular body, be Transformed into an other, &c. Now, any regular body: any Sphere, yea any Mixt Solid: and (that more is) Irregular Solides, may be made (in any proportiõ assigned) like vnto the body, first giuen. Thus, of a Manneken, (as the Dutch Painters terme it) in the same Symmetrie, may a Giant be made: and that, with any gesture, by the Manneken vsed: and contrarywise. Now, may you, of any Mould, or Modell of a Ship, make one, of the same Mould (in any assigned proportion) bigger or lesser.“

 

Der Fluss im Sprachgebrauch zeigt sich sehr schön im Englischen, wo für Modelle von Bauwerken, Maschinen und Landschaften seit Mitte des 16. Jahrhunderts "modell" und "model", seltener "moddel", aber auch "module" verwendet wurde; umgekehrt wurde Vitruvs modulus mit "module" (1563), "model" (1598) und "modulus" (1664) übersetzt.

Shakespeare gebrauchte “modle” (1597), “model” (1598, 1600), “modill” (1604) und “Modell” (1623) z. B. im Sinne von Architekturmodell (an architect’s set of designs), Abbild (a person that is the likeness or „image” of another) und Gussform (mould).

„Mould“ wurde auch wie frz. „moule“ geschrieben, aber auch „mowle“.

 

Wenig plausibel ist, was Grimm, wiederum ohne Beleg, behauptet: Das deutsche Wort "Modell" habe

"schon im 16. Jahrhundert besonders unter oberdeutschen Goldschmieden bestanden, die von Italien her vielfach Musterformen in Blei und Gips für ihre Arbeiten bezogen, und ist von Künstlerkreisen aus nach und nach allgemeiner geworden, 'model' zurückdrängend, und namentlich die Sprache der Kunst und des höheren Gewerbes beherrschend, bei Formern, Kunstgiessern, Malern, Bildhauern u. a., auch bei Kunstgärtnern, wo es in den französischen Gartenanlagen die zierlichen Blumenbeetfiguren bezeichnete."

 

Wahrscheinlicher ist die erste Verwendung im Deutschen für Architekturmodelle. Wie langwierig und subtil die Bildung eines neuen Wortes erfolgt, erhellt aus der Übersetzung des Buchs von Vitruv durch den Strassburger Wundarzt und Mathematiker Walther Rivius (Ryff) ins Deutsche (1548; 1575). Vorne im Register findet sich einmal das Wort "Modell", das mit einer ungenauen Seitenangabe auf die Schreibweise "Model" verweist. Für das legendäre Modell (lat. exemplar) einer Stadtmauer und eines Hebekrans, das Kallias den staunenden Bewohnern von Rhodos vorführte, findet sich die Formulierung "Muster oder Model". (Für das "Grundmass" d. h. modulus, braucht Rivius "Model oder Messstab".)

 

Zum ersten Mal "richtig" gebraucht wird Modell dann bei Daniel Speckle ("Architectura von Vestungen", 1589). Es ist ein möglichst detailgetreues Holzwerk für den Architekten, bei dem "alles nach dem jungen Massstab auffzogen und für augen gestelt werden kann, wie es gebawen werden soll, darnach man sich zu richten".

Die Bedeutung wurde rasch ausgeweitet auf Muster und Vorbild. Die Unsicherheit der Schreibweise hielt jedoch noch lange an. Beispielsweise finden sich in Briefen von Hainhofer die Formulierungen: "...dient zu einem modell" (1610) und "... oder ein klein model machen" (1612).

Im Bereich der Mode (frz. "à la mode" oder "modo") ist im Deutschen bereits 1640 von "Modellen von Kleidern und Schuhen" die Rede. In den andern Sprachen scheint dies erst 200 Jahre später der Fall zu sein.

 

Die dazugehörigen Verben sind „modeler“ (frz., seit 1585: „rendre semblable“) und „modellare“ (it., 1598), im Englischen „modelize“ (1605 oder 1656) und „model“ (1581), im Deutschen „modellieren“ (siehe 1739 in Zedlers Lexikon).

 

Ab 1555: Geistige Entwürfe oder Formen als Modelle

 

Seit der Mönch Giacomo Moronessa die Reformation als Modell bezeichnet hat, wurden immer wieder geistige Entwürfe, Muster, Vorschläge oder Strukturbeschreibungen als Modelle bezeichnet wurden.

1576 verbesserte und ergänzte der englische Astronom Thomas Digges die "Prognostication" seines Vaters und erklärt am Schluss dem Leser:

"Amonge other thinges I founde a description or Modill of the world and situation of Spheres Coelestial and Elementare according to the doctrine of Ptolome, whereunto all Universities sithens have consented.
But in this our age one rare witte…hath by long studie, painfull practise, and rare invention delivered a new Theorick or model of the world, shewing that the earth resteth not in the Center of the whole world, but only in the Center of thys our mortal world or Globe of Elements."

 

1620 verfasste Francis Bacon sein „Novum Organon“, und zwar lateinisch. Er gebraucht „modulus“ für Druck-Letter (i. 110) und für Versuche, die Welt geistig zu erfassen – für letzteres auch das altbekannte „exemplar“.

“For I lay foundations in the human intellect for a true pattern of the world (verum exemplar Mundi) as we actually find it and not as someone’s own private reason hands it down to him. And this cannot be achieved unless we undertake a most painstaking dissection and anatomy of the world. But I proclaim that the botched and (if you like) apish patterns of worlds (Modulos vero ineptos Mundorum) which men’s fancies have thrown together into philosophical systems should be utterly destroyed” (i. 124).

 

Die erste Übersetzung von Bacon’s Novum Organon ins Englische erfolgte erst mehr als ein Jahrhundert später, 1733, durch Peter Shaw. Er schrieb “a true Model of the World” und “ridiculous Mock-models of Worlds”. Die vielfach aufgelegte Übersetzung von James Spedding (1858) nahm „model“ für „exemplar“ und „image“ für „modulus“. Die neueste Übersetzung von Graham Rees mit Maria Wakely (2004) hat in beiden Fällen „pattern“.

 

Im Vorwort zu Francis Bacons Utopie "New Atlantis" (1627) schreibt der Herausgeber William Rawley:

“This Fable my Lord devised, to the end that He might exhibite therein, a Modell or Description of a Colledge, instituted for the Interpreting of Nature, and the Producing of Great and Marveilous Workes for the Benefit of Men …
Certainely, the Modell is more Vast, and High, then can possibly be imitated in all things; Notwithstanding most Things therein are within Mens Power to effect.
His Lordship thought also in this present Fable, to have composed a Frame of Lawes, or of the best State or Mould of a Common-wealth …”

In der 11 Jahre später erschienenen lateinischen Fassung heisst es: „modulum quendam et descriptionem“.

 

Wenig Beachtung fand dagegen Descartes eigenhändige Mahnung in seinem "Discours de la méthode" (1637 2.3a): "Zeige ich Ihnen hier also das Modell (frz.: modèle) meines Unternehmens, weil es mir ziemlich gut gefallen hat, so bedeutet dies nicht, ich wolle irgend jemandem raten, es nachzuahmen."

Als Descartes 13 Jahre später in Schweden starb, verfasste der ihn wie einen Vater verehrende 20jährige Christiaan Huygens ein Klagegedicht, in dem es unter anderem heisst: "apres avoir produit le modele du monde, s'informe desormais du mystère des cieux" (R. Specht 1966, S. 31).

 

Die Vision des Begründers der Rosenkreuzer Johann Valentin Andreae, der utopische Staat "Christianapolis" (1619) hiess in einer englischen Übersetzung bereits "A modell of a Christian Society" (1647).

Ebenfalls als Modelle bezeichnete der Kameralist Veit Ludwig von Seckendorff seinen "Teutschen Fürsten-Stat" (1656 I, 36): "darvor sc. von einer Beschreibung eines Fürstentums wir in diesem Werck hauptsächlich handeln, und gleichsam ein Modell geben wollen".

James Harrington schliesslich bezeichnete seine Utopie "Rota" (1660) als "A model of a free-state or equall common-wealth".

 

Der Philosoph Pascal definierte (1657) in diesem Sinne Modell als: "ouvrage d'esprit ou action morale, dont on peut s'inspirer".

 

Friedrich Kaulbach schildert (1984) eine Auseinandersetzung von Leibniz mit Locke um 1700: "Während Locke die empiristisch-nominalistische Seite auch in der Auffassung des Modells vertritt, plädiert Leibniz für eine Orientierung des Wissens an den 'inneren' Wesenheiten der Dinge. Damit bringt er eine platonisch-augustinische Tradition zur Geltung." Für Leibniz sind die geistigen Formen, nach denen Gott die Welt schöpft, "Modelle"; diese dienen zugleich auch als Vorbilder für das menschliche Erkennen.

 

Ab 1600: "Modell" in deutschen, englischen und französischen Buchtiteln

 

Abgesehen von den zahlreichen Modelbüchern für Stickereien und dergleichen stammt der erste deutsche Buchtitel von Christian Gottlieb von Friedberg: "Newer Calvinischer Modell dess heiligen Römischen Reichs" (1616). Es ist ein Pamphlet gegen die Calvinisten, welche den religiösen Frieden stören. Ein weiteres Pamphlet stammt von Ludwig Camerarius (1620). Im Jahre 1660 sammelte Johann Kissling Weisheiten berühmter Männer als christliches Erbauungsbuch: "Hertzbewegliche Buss-, Beicht-, Abendmahls- und Lebens-Modell. Darinnen gelehret und gezeiget wird: Wie ein bussfertiges Christen-Hertz seine begangene Sünde bereuen, beweinen ... soll."

 

Eine der ersten englischen Publikationen, in deren Titel "Modell" vorkommt, ist ein Nachruf aus dem Jahr 1603: "Vertues due: or, A true modell of the life of the right Honourable Katharine Howard, late Countesse of Nottingham" (T. P. Gentleman, Thomas Powell). Es folgt ein Gartenbuch von William Lawson (1618) mit "models for trees". Ein nächster Titel ist religiös: "A modell of divinitie, catechistically composed", und stammt von John Yates (1622). Das Decamerone, die 100 Erzählungen von Giovanni Boccacio, wurden unter dem Titel "The modell of vvit, mirth, eloquence, and conuersation" 1620-25 auf Englisch angeboten.

Weitere frühe englische Buchtitel heissen: das Anstandsbuch "The English gentleman, and The English gentlewoman - both in one volume couched, and in one modell portrayed" (Richard Brathwait 1641), "A modell of the government" (George Walker, 1646), "A model of true spiritual thankfulnesse" (Thomas Case, 1646), "Ichnographia. Or a model of the primitive Congregational way" (William Bartlet, 1647), "A model of church-government" (John Dury, 1647), "A model for the maintaining of students of choice abilities at the university" (Matthew Poole, 1658), "A brief answer unto the Cambridge model" (1658) und schliesslich nach dem grossen Brand von London "Proposals of a new model for rebuilding the city of London" (Valentine Knight 1666).

 

Verblüffend ist, dass sich die französischen Autoren seit 1598 ganz ähnlichen Themen widmeten, z. B. Joseph Boillot, Jean Gujon, Robert Poisson, Guillaume Gazet, François Véron, Benedetto Scotto, Jean de Lannel, R. Dognon, Jean Auvray, Diego Nissenon und Jacques de Cambolas.

Samuel Fouquet steuerte 1671 "Le modèle du parfait cavalier" bei, wobei es, ganz im ursprünglichen Wortsinne, um die Bändigung und Haltung von Pferden ging.

 

Anweisungen für Handwerker und Bastler

 

"Muster für Goldschmiede, Kunstschreiner, Büchsenschäfter usw." gab es weiterhin, z. B. eines, das 1549 in Zürich gedruckt wurde. Im selben Jahr erschien von P. Flötner postum in Nürnberg eine Folge von Ornamentholzschnitten mit Vorlagen für Tischlerarbeiten nach oberitalienischen Vorbildern. Ihr folgten bald die sogenannten "Schreinerbücher".

Seit 1545 sind Modellierbögen erhalten. Auf etwa 1550 datiert Gabriel Schlüsselbergers "Musterbuch für Stuckaturen".

 

Spätere Anweisungen für Handwerker sind z. B. Simon Cammermeier (1678) über das Vitruvsche Grundmass (mit der Bezeichnung "Modell") oder Thomas Miller: "The compleat modellist, or, Art of rigging; shewing an exact way of raising the model of any ship or vessel" (1676).

 

Eine Fülle von Modell- und Musterbüchern wurde seit ca. 1750 aufgelegt. Legendär wurde der Verkaufskatalog für Möbel von Thomas Chippendale (1754). Ein anderes stammt von Johann Michael Kirschbaum (1771). Ein Bestseller wurde von Thomas Sheraton: "The cabinet-maker and upholsterer's drawing-book" ab 1793, sofort auch in Deutsch erschienen unter dem Titel: "Lehrbuch für Innenausstatter. Modell- und Zeichnungsbuch" (1794). Umgekehrt wurde Bernhard Heinrich Blasches "Papparbeiter" (1797, 5. Aufl. 1847) auf Englisch übersetzt: " Papyro-plastics, or The art of modeling in paper" (1824). Von Johann Riem erschien: "Modell-Magazin für Ökonomen" (1802-1803).

 

 

Das Schöpferische im Menschen: Modellieren im Kopf

 

Die Beschäftigung mit Vorstellungen, Imagination, Phantasie, Einbildungskraft

 

Altertum und Mittelalter: phantasia und imaginatio

 

Die Verhältnisse im Umkreis von Vorstellung-Idee-Bild-Anschauung sind mindestens so kompliziert wie diejenigen im Bereich "Modell". Sie hängen überdies auf vielfältige Weise mit dem Modelldenken, -erzeugen und -verwenden zusammen.

 

Die Alten Griechen bezeichneten die Modellbildung im Kopf als "phantasia". Grossen Einfluss hatte die Schilderung von Aristoteles in "De anima III, 3" (Gerard Watson 1988; Dorothea Frede 1992; Bryn Rhys Williams 1996).

 

Im Lateinischen wurde dafür am ehesten "imago" (fast nie: imaginatio, repraesentatio, perceptio) gebraucht (Raimund Daut 1975).

Erst Boethius (um 500 n. Chr.) erklärt in seiner "Consolatio" (V. Buch): "Imaginatio vero solam sine materia iudicat figuram" (dt.: Die Vorstellungskraft beurteilt die Gestalt ohne Materie).

 

In der mittelalterlichen Philosophie war dann das Wort "imaginatio" geläufig, z. B. bei Abälard (Paivi Hannele Jussila 1995), Hugo von St. Viktor (Heinrich Ostler 1906; John Philip Kleinz 1944; Roger Baron 1957; Heinz Robert Schlette 1961) oder Thomas von Aquin (Pirmin Klaunzler 1949, Karl Bürgi 1972 - generell: Murray Wright Bundy 1927; John Martin Cocking 1991).

 

Reproduktiv oder produktiv?

 

Was das Verständnis des Modelldenkens auch heute noch so schwer macht, zeigt sich schon bei der Vorstellung oder Phantasie; nämlich die Doppeltheit von reproduktiv und produktiv: Vorstellungen - aber auch Modelle - können sowohl Abbilder oder Nachbildungen von irgendetwas sein als auch schöpferische Gestaltungen oder freie Entwürfe.

Bereits Augustin (400 n. Chr.) unterschied sogar drei Arten von Phantasie: produktive, reproduktive und synthetische.

Der Scholastiker Johannes von Salisbury (1159) meinte, die Vorstellungen (Phantasien!) entstünden durch Vermittlung von "species", als "rerum imagines in mente apparentes".

 

Hochrenaissance: Psychologie des Erkennens

 

Erst postum (1501) erschien vom Grafen Pico della Mirandola das Buch "De imaginatione", das bald (1536) auch unter dem Titel "De Phantasia" gedruckt wurde.

 

Die Okkultismus-Expertin Fanny Moser (1935) weist darauf hin, dass "die Alten, so auch Giordano Bruno und Agrippa von Nettesheim, sehr wohl den Einfluss der Suggestion kannten und diesem viele der merkwürdigen Erscheinungen zuschrieben".

 

Der päpstliche Leibarzt Giovanni Fracastoro stellte um 1540 eine Psychologie des Erkennens auf, welche durch sinnliche Symbole erfolgt ("cognitionem omnem per rerum simulacra fieri"). Verknüpfung und Trennung sind die Grundfunktionen des Denkens.

 

Sehr beliebt waren die Wörter "fantaisie" und "imagination" bei Montaigne. Er verwendet sie je über hundert Mal in seinen bekannten "Essais" (1580). Dem Thema ist auch der Essai "De la force de l'imagination" gewidmet (Ian Dalrynple McFarlane 1968).

 

1600-1700: unterste Stufe der Erkenntnis - Götzendienst

 

Der Arzt Thomas Fienus (1608) diskutierte bereits die "imaginatio" als Ursache, aber auch Heilmittel für körperliche Krankheiten (L. J. Rather 1967). Auch der flämische Arzt und Chemiker Johann Baptist van Helmont (um 1610) war von der Kraft der Imagination überzeugt und von der Existenz der psychischen Energie, die durch Suggestion aktivierbar ist (postum: "Aternary of paradoxes" 1650).

 

Bei Descartes (1641) ist die "imaginatio" eine Art Anwendung des Erkenntnisvermögens auf den ihm unmittelbar gegenwärtigen Gegenstand, der folglich existiert (Jean Henri Roy 1944).

 

Spinoza (Ethica II, prop. XLIV; 1677) nannte die unterste Stufe der Erkenntnis "imaginatio". Es ist die auf Sinneseindrücken beruhende Erkenntnis der Einzeldinge, die als verstümmelt, verworren, unzulänglich, inadäquat gekennzeichnet werden muss, während die "ratio", die Vernunft, adäquate Erkenntnis des Seins vermittelt.

Die höchste Erkenntnisart ist nach Spinoza die "scientia intuitiva". Sie erschliesst uns als anschauendes Wissen das Wesen der Dinge, trifft immer das Wahre (Robert von Voss 1901; Maximilian Herer 1971; Klaus Peters et al. 1975).

Seither befasst sich die Philosophie mit dieser "modernen" Auffassung von "Intuition".

 

Zur gleichen Zeit sprach man im theologischen Bereich gerne von den "natürlichen bösen Gedanken" des Menschen. Dafür wichtig wurde "A treatise of mans imagination" (1607) des theologischen Schriftstellers William Perkins, D. D., Fellow of Christ's College, Cambridge. Dieser wird gerne als Vater des englischen Puritanismus bezeichnet.

Eine andere Formel benützten zwei weitere englische Puritaner, John Sheffield und John Owen. Sie sprachen von den "Chambers of imagery". Das nimmt Bezug auf eine Bibelstelle (Ez. 8, 12) und bedeutet soviel wie "Götzendienst".

 

Offenbar hatte damals "imaginatio" einen negativen Beiklang.

 

1700-1800: im Bannkreis der Dichtung und Philosophie

 

1711 erschien im Londoner "Spectator" vom Schriftsteller und Oxford-Dozenten Joseph Addison "The pleasures of the imagination". Doch ein Bestseller wurde erst das gleichnamige Lehrgedicht in drei Büchern des Dichters und Arztes Mark Akenside (1744 - dazu Charles Theodore Houpt 1944; Harriet Jump 1987; John Brewer 1997; Robin Dix 2000).

 

Um 1700 wurde Imagination in England und Frankreich vor allem in Zusammenhang mit der Dichtkunst diskutiert (William Powell Jones 1966; Th. Klimek 1968; Peter-Eckhard Knabe 1972). In Deutschland dagegen blieb sie noch länger im Einzugsgebiet der Philosophie.

 

Nach Locke (1690) widmeten sich im 18. Jahrhundert vor allem die noch sehr theoretischen Philosophen Leibniz und Wolff, Hume und Reid, Kant und Fichte, Reinhold und Maimon dem Thema Vorstellung resp. Einbildungskraft (Carl Knüfer 1911; Hans-Ulrich Baumgarten 1992; Karlheinz Bark 1993; Gabriele Dürbeck 1998)

Ausgerechnet in diesem aufklärerischen Jahrhundert entspann sich eine Diskussion über die "Einbildungskraft der schwangern Weiber, und derselben Wirkung auf ihre Leibesfrucht" (James Augustus Blondel, John Henry Mauclerc, Benjamin Bablot).

 

Gemäss Fanny Moser (1935) hat bereits 1784 eine französische Expertenkommission bei der Untersuchung des sogenannten "tierischen Magnetismus" (eine These des Arztes Franz Anton Mesmer) den Einfluss der Imagination erkannt und ist zum Schluss gekommen: "Imagination ist alles."

 

Aufklärung: Verwirrung um Einbildung, Vorstellung und Anschauung

 

Paracelsus hatte für "imaginatio" das deutsche Wort "Einbildung" eingeführt (I. Betschart 1952).

100 Jahre später erfand Georg Philipp Harsdörffer für "facultas imaginandi" das Kunstwort "Einbildungskraft" (Hans Langendörfer 1940; Dietmar Kamper 1981; Isabel Zollna 1990).

Nochmals fast ein Jahrhundert später führte Christian Wolff den Ausdruck "Vorstellung" in die philosophische Sprache ein. Ausgerechnet er, der doch Präzision in der Philosophie voranbringen wollte, schuf damit heillose Verwirrung. Seine Behauptungen lauten:

·        "Die Vorstellung solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildung zu nennen. Und die Kraft der Seele, dergleichen hervorzubringen, nennet man die Einbildungskraft" (1712).

·        Ideen sind Vorstellungen einer Sache, sofern sie objektiv betrachtet wird (1734)

·        Der Verstand ist das "Vermögen, das Mögliche deutlich vorzustellen"

·        Ingenium (Genie) ist die "Leichtigkeit in der Beobachtung der sinnfälligen Ähnlichkeit der Dinge" (1732).

 

Kurz darauf machte Christian August Crusius, der bedeutendeste Gegner von Wolff, die Verwirrung komplett. Er brachte 1747 den deutschen Begriff "Anschauung" (ursprünglich für lat. contemplatio gebraucht) ins Spiel und formulierte: "Es ist also die anschauende Erkenntnis diejenige, da man sich ein Ding durch dasjenige vorstellet, was es an sich selbst ist."

 

Wenig hilfreich ist Kant. In der ersten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" (1781) befasst er sich ja mit den beiden hauptsächlichsten Seelenvermögen: Sinnlichkeit und Verstand. Über das dritte, die «Einbildungskraft» (Andreas Heinrich Trebels 1967; Hans Georg Juchem 1970), geriet er ins Schwanken. Martin Heidegger meinte, mit der zweiten Auflage (1787) habe er sich "für den reinen Verstand gegen die reine Einbildungskraft entschieden, um die Herrschaft der Vernunft zu retten".

 

Jakob Friedrich Fries habilitierte sich 1801 mit einer Schrift "de intuitu intellectuali". Posthum erschien von ihm die Klarstellung: "Über den Unterschied zwischen Anschauung und Denken" (1847). "Zum Wesen der Anschauung" äusserte sich 1899 Ulrich Diem in seiner Berner Dissertation. Heinrich Reitz doppelte mit einer Zürcher Dissertation ("Zur Geschichte und Theorie des Anschauungsbegriffs" 1901) und Karl Düssel mit einer Heidelberger Dissertation ("Anschauung, Begriff und Wahrheit" 1906) nach.

 

Sprachliche Differenzierungen

 

Im Englischen brauchte man übrigens zu dieser Zeit für Vorstellung resp. "imaginatio" meistens "idea" (z. B. Locke, Berkeley, Hume, Reid - John William Yolton 1956, 1990, 1993, 1996; George Pitcher 1971, 1988; Stephen P. Stich 1975; Peter Alexander 1985; Willis Doney 1989; Roger D. Gallie 1989; Michael Ayers 1997), im Französischen "idée" (Condillac, Bonnet; im 19. Jh.: Fouillée). Um 1900 brauchte man dafür auch "images".

 

Im Deutschen wird "Imagination" bereits seit etwa 1700, aber selten, gebraucht.

 

Die "Phantasie" wird seit etwa 1750 (Georg Friedrich Meier, Johann Georg Heinrich Feder, Johann Nicolaus Tetens) gerne als "Dichtkraft" oder "Dichtungsvermögen" gefasst.

 

Ebenfalls seit 1750 häufen sich die Betrachtungen über Genie (Edgar Zilsel 1926; Hans Thüme 1927; Jochen Schmidt 1985; Penelope Murray 1989), aber auch über Heuristik resp. Erfindungskunst (Michael von Matuschka 1974).

 

Viele unterschiedliche Arten von Vorstellungen

 

Für den praktischen Gebrauch empfiehlt sich die Unterscheidung von über einem Dutzend verschiedener Vorstellungen.

 

Da sind einerseits die zehn "klassischen" Arten, die fast alle auf Platon oder Aristoteles zurückgehen:

·        Erinnerungsvorstellung ("anamnesis", Gedächtnis; Thomas von Aquin)

·        Zukunftsvorstellung (Erwartung, Vorfreude, Wunsch, Vorsatz, Ahnung, Befürchtung, Angst; Antizipation, Plan, Szenario, Prognose)

·        Phantasievorstellung (durch freie Umbildung von Wahrnehmungsinhalten; dank der "facultas fingendi" Christian Wolff 1732; Fiktionen, Utopien, Luftschlösser; Tagträume, Hirngespinste, Dichtung, Kunst)

·        Assoziation (Verknüpfung von Empfindungen oder Vorstellungen)

·        Abstraktion (Absehen von Merkmalen - dem Besonderen, Zufälligen, Unwesentlichen - einer Vorstellung oder eines Begriffs; Thomas von Aquin, Descartes, Kant)

·        Traumbilder in unterschiedlichsten Graden der Lebhaftigkeit (Vorstellungen ohne Wahrnehmungen)

·        Trugbilder (auch: Sinnestäuschungen, z. B. Illusionen, Halluzinationen und Visionen)

·        Wahrnehmungsvorstellungen (Komplex von Empfindungen)

·        falsche Vorstellungen ( Schatten-, Trugbilder, Platon; "hairesis"; "böse Gedanken", William Perkins 1607; "Idola", Götzenbilder; Francis Bacon 1620; Aberglauben, Vorurteile, Voreingenommenheit, Fehleinschätzungen, Rationalisierungen)

·        Ideal (Musterbild des Handelns und Gestaltens, oberster Zielpunkt des Willens, Francesco Lana Terzi 1670, Kant 1781; erlebnis- und handlungsorientierende Vorbilder, "idées-forces"; Alfred Fouillée 1890; Leitbilder, Idole)

 

Hinzu kommen die zehn "neueren" Arten, die zum Teil nicht scharf auseinanderzuhalten sind:

·        Projektion (Hinausverlegung von Empfindungsinhalten und Bildern in den Raum ausser uns, Hobbes 1651, 1655, 1658; Condillac 1754; Tetens 1776; Johannes Müller 1840; Abwehrmechanismus des Ich, Sigmund Freud 1921; 1924: Mythos).

·        gegenstandslose Vorstellungen (objektive "Vorstellungen an sich"; Bernard Bolzano 1837)

·        Generalisierungen (Verallgemeinerung, John Stuart Mill 1843; Poincaré 1902; Husserl 1913; Übertragung auf andere Gebiete, Pawlow, Dewey)

·        Zwangsvorstellungen (fixe Ideen; Max Stirner 1845; Pierre Janet 1897)

·        Wertvorstellungen (Georg Simmel 1900; Ideologien, Destutt de Tracy, 1803, Karl Mannheim 1929; Weltbilder; Normvorstellungen, Regeln, Prinzipien, Grundsätze, Dogmen, Einstellungen, Meinungen)

·        Lebensplan ("script", Lebensaufgaben; Alfred Adler 1912)

·        Imago (im Unbewussten existierende typenhafte Vorstellung von realen Personen oder Phantasiegestalten, zu denen im Kindesalter die ersten Beziehungen geknüpft worden waren, z. B. Mutter-Imago; Sigmund Freud 1912)

·        eidetische Anschauungsbilder (besonders anschaulich und intensiv; Erich Rudolf Jaensch 1925)

·        Stereotype ("charakteres", Theophrast, um 300 v. Chr.; Klischees, Verhaltenserwartungen oder Vorstellungen, welche Einzelne oder Gruppe von sich oder von andern haben; Walter Lippmann 1922; Stigma; Erving Goffman 1963)

·        Image (Marken-, Firmenbild, Aura, Ruf, Reputation einer Persönlichkeit; Burleigh Bradford Gardner, Sidney J. Levy 1955)

 

Davon abzugrenzen wären, je nach Vorgang, der dahintersteckt, etwa zwanzig weitere Arten von Bildern, Vorstellungen oder Phantasmen:

·        beim Lesen und Zuhören

·        beim Riechen bestimmter Düfte, Essenzen, Parfums, beim Schmecken

·        bei Blindheit

·        im Halbschlaf, bei Dämmerzuständen

·        bei Empathie, Einfühlung

·        bei Erschöpfung, Überreizung, Schwindel, Sensory Deprivation

·        bei Vergiftung, Delirium, Alptraum

·        bei Mentaltraining, "aktiver Imagination", Ideokinetik, Desensibilisierung

·        bei Kontemplation, Meditation, Versenkung

·        bei Einfall, Inspiration, Eingebung, Erleuchtung, Channeling

·        bei Indoktrination, Gehirnwäsche

·        bei Suggestion, Heuchelei, Täuschung, Irreführung, List

·        beim Schlafwandeln

·        bei Spuk, Séancen, Geisterbeschwörungen, Astralreisen

·        bei Telepathie, Hellsehen, Präkognition, Mantik

·        bei Jenseitskontakt, medialer Kunst

·        bei Nahtoderfahrungen

·        unter Hypnose

·        bei Rückführungen

·        unter Trance, Ekstase, Ergriffensein ("Begeisterung")

·        unter Drogeneinfluss

Sowie

·        Wahnideen (z. B. Grössenwahn, Euphorie) bei Geisteskranken

·        virtuelle Bilder im Cyberspace.

 

Die Deutung von Metaphern

 

"... ein Zeichen natürlicher Begabung"

 

Die Alten Griechen produzierten auch Metaphern (Hugo Blümner 1891; Robert Thomas 1891; Martin Christinger 1920; William Bedell Stanford 1936; Gerd Breitenbürger 1975), also Bilder, mit denen ein gewöhnlicher Ausdruck veranschaulicht - ""Schiff der Wüste" -, Sinnliches personifiziert - "das Meer tobt" - oder Abstraktes durch Anschauliches ersetzt wird - "die Säulen des Staates".

Aristoteles meinte: Die richtige Verwendung von Metaphern "ist ein Zeichen natürlicher Begabung (gr. euphyia, lat.: ingenium), denn gute Metaphern erfinden, heisst einen guten Blick für Ähnlichkeiten haben (homoion theorein)".

 

Metaphern in der Bibel

 

Das Hauptinteresse der Gelehrten konzentrierte sich aber auf die Deutung von Metaphern und ähnlichem im Alten und Neuen Testament (Charles Goldwell 1621; Joannes Janus 1650; Ralph Venning 1652). Das hiess damals Tropology (Thomas Delaune/ Benjamin Keach 1681; Johann Andreas Fabricius 1736; John Brown 1768) oder Troposchemalogia (Benjamin Keach 1682).

 

"Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik" untersuchte Michael Egerding (1997).

 

Sammlungen schöner Aufsätze zu Metaphern in der Geschichte stellten 1978 Hayden V. White und 1994 Frank Rudolf Ankersmit zusammen.

 

Analogien in Sprache und Literatur, Mystik und Theologie, Kunst und Technik

 

Selbstverständlich kannten schon die Alten Griechen Analogien (Franz Brentano 1862; Paul Grenet 1948; André Rivier 1952; Erhard-Wolfram Platzeck 1954; Karl Bärthlein 1957; Johannes Hirschberger 1960; Eberhard Jüngel 1964; Geoffrey E. R. Lloyd 1966; Wilfried Fiedler 1978; Mario Puelma 1986; Ralf M. W. Stammberger 1995).

 

Der Analogiebegriff wird seit dem Franziskaner und Mystiker Bonaventura (um 1250 - Karl Werner 1876; L. Berg 1955) und dem Dominikaner Thomas von Aquin (um 1270 - Ludwig Schütz 1881; Gerald Bernard Phelan 1941; George Peter Klubertanz 1960; Ralph M. McInerny 1961, 1996; Barbara Delp Alpern 1980; Norbert W. Mtega 1981) bis auf den heutigen Tag vor allem in der katholischen Theologie reich gebraucht und diskutiert (Battista Mondin 1963; Richard Swinburne 1992).

Legendär und vielfach aufgelegt wurde von Bischof Josef Butler "The analogy of religion" (1736).

 

Die Künstler und Gelehrten der Renaissance haben die Analogie virtuos und vielfach gebraucht (Leonardo Olschki 1918-27; Ernst Cassirer 1927).

Michael Randall hat 1996 die "analogical imagery" der französischen Renaissance untersucht.

 

 

Die Konkurrenten des Modellbegriffs

 

Der Modellbegriff in Konkurrenz mit "System" und "Hypothese"

 

Nikolaus Kopernikus hat weder in seinem "Commentariolus" (ca. 1515) noch in seinem Hauptwerk "De revolutionibus orbium coelestium" (1543) die Begriffe System und Modell verwendet. Doch schon im Titel des Hauptwerks kommt das Wort "Hypothese" vor ("et novis insuper ac admirabilibus hypothesibus ornatos").

Der Wittenberger Professor Kaspar Peucer - Schwiegersohn von Melanchthon und kurzzeitiger Lehrer von Tycho Brahe - eröffnete 1571 den Reigen der Schriften, welche die Kopernikanischen Auffassungen als Hypothesen bezeichneten mit: "Hypotheses astronomicae, seu theoriae planetarum. Ex Ptolemaei et aliorum veterum doctrina ad observationes Nicolai Copernici, et canones motuum ab eo conditos accomodatae."

"Theses Physicae de mutationibus et motu" legte 1570 Johannes Bruno vor, "Theses astronomicae" Lambertus Croppet 1598.

 

Schon 1540 sprach Joachim Rheticus vom "systema des Kopernikus"; 1576 schrieb Thomas Digges vom "model of the world" des Kopernikus. Digges bezeichnete in diesem Zusammenhang auch die ptolemäische Beschreibung als "modill of the world". Das bedeutet jedoch nicht, wie Viktor A. Stoff (1969, 13) schreibt, "dass die Modellmethode schon sehr alt ist".

 

Seit 1600 wurde System fast explosionsartig zum Modewort und fasste in allen Wissenschaften Fuss.

Bereits 1605 erschien in Hannover beim bekannten Verleger Wilhelm Anton von Clemens Timpler die Schrift "Physicae seu philosophiae naturalis Systema methodicum". 1610 erschien von Bartolomäus Keckermann im selben Verlag ein "Systema Physicum", und 1611 ein "Systema astronomiae compendiosum". 1617 erschien wiederum von Timpler: "Opticae Systema Methodicum Per Theoremata Et Problemata Selecta."

 

1613 erschien in Frankfurt von Henricus Nollius ein "Systema Medicinae Hermeticae generale". Zwei Jahre später erschien in Hannover von Johann Gigas das "Enchiridon sphaericum - id est systema cosmographicum compendiosum ... continens utriusque globi, caelestis et terrestris ... descriptionem". Galilieo Galilei widmete eines seiner Hauptwerke (1632) den "due Massimi Sistemi" des Ptolemäus und Kopernikus.

 

Während Francis Bacon 1620 bereits von "philosophischen Systemen" sprach, taucht bei Descartes das Wort "système" nicht auf (dafür "modèle").

Descartes Auffassungen wurden von Henricus Regius (1649) und Johann Clauberg (1651) als "Philosophie", von Petrus Gassendi (1650) als "Metaphysik" und von Malebranche als "système" bezeichnet.

 

Der Cambridger Platoniker Ralph Cudworth schrieb: "The True Intellectual System of the Universe" (1678). Er stellte seine Auffassung den anderen "systems of the world" gegenüber. Auch Leibniz nannte seinen Welterklärungsversuch durchwegs "mon système".

 

Weitere Konkurrenz: "Theorie", "Philosophie", "Traktat", "Prinzipien"

 

Eine weiter wichtige Bezeichnung ist "Theorie".

Etwa ab 1470 erschienen mehrere Bücher mit dem Titel "Theorica planetarum" - unter anderem von Gerhard von Cremona (um 1180; auch Gherardus de Sabbioneta zugeschrieben; Venetiis: Florentius de Argentina 1472).

Die "Theoricae novae planetarum" des Österreichers Georg von Peurbach, dem Erneuerer der abendländischen Astronomie, erschien erstmals fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod 1488 (Venetiis: Santritter/ de Sanctis). Von seinem Schüler und engsten Mitarbeiter Johannes Regiomontanus war schon 1482 ein Text "Contra Cremonensia in eorundem planetarum theoricas" erschienen.

1528 wurde vom französischen Physiker und Kartographen Oronce Finé "La Theorique des cielz" über die Bewegungen der sieben Planeten gedruckt. Seither erschienen unzählige Schriften zur Theorie der Planeten.

Texte zu Theorien der Medizin gab es bereits ab 1500, zu Thesen der Medizin ab 1520.

 

Eine "Theoriae philosophiae hermeticae" erschien 1617 von dem gerade vorher erwähnten Heinrich Nolle.

Die Bezeichnung "theoria" wurde später auch gebraucht von Thomas Burnet ("The theory of the earth" 1684-90), John Norris (1701-4), George Berkeley ("An Essay towards a new theory of vision" 1709), Adam Smith ("The theory of moral sentiments" 1759) oder den Schweizern Euler ("Theoria motus corporum", 1765) und Sulzer ("Allgemeine Theorie der schönen Künste" 1773-1775). Eine "Philosophiae naturalis theoria" von Ruder Josip Boiskovich erschien 1759 in Wien, vier Jahre später in Venedig (engl. Chicago 1922 und Cambridge 1966).

 

Schon in Gregor Reischs populärer enzyklopädischer Übersicht der Wissenschaften "Margarita philosophica" (ca. 1495 abgeschlossen; erstmals 1503 gedruckt) gab es zwei verschiedene Kapitel über Naturkunde (VIII: De principiis rerum naturalium; IX: De origine rerum naturalium). Veit Amerbach wandte sich nach seiner Auseinandersetzung mit Melanchthon auch direkt gegen Aristoteles in seinen "Libri sex de philosophia naturali" (1549).

Doch erst Francis Bacon (1605) begründete den Unterschied zwischen Naturgeschichte (als beschreibende Naturwissenschaft) und "Naturphilosophie" oder Naturlehre ("doctrina de natura"). ("Natural philosophy" heisst heute noch im Englischen Physik.)

 

Wenn man nach den Titeln von Publikationen geht, so waren also beliebt:

·        Philosophie: Agrippa ("De occulta Philosophiae" 1510), Paracelsus ("Philosophia magna" 1533), Patrizzi ("Nova de universis philosophia" 1591), Campanella ("Universalis philosophia" 1638), Clauberg (1651), Boyle ("the corpuscular philosophy",1664), Arnold Bachimius ("philosophia universalis experimentalis", 1682), Newton (1687), Johann Hefrich Jüngken ("Chymia experimentalis sive naturalis philosophia mechanica", 1701), Wolff (1703), Linné (1751), Klemens Becker ("Philosophia rationalis, experimentalis et moralis", 1757)

·        Traktat: Pico ("Tractatus de ente et uno" 1498), Ficino ("Tractatus de epidemiae morbo" 1516), Sanchez (1581), Cherbury (1624), Descartes (1649), de la Forge (1666), Spinoza (1670), Malebranche (1680), Bayle (1686), Huygens ("Traité de la lumière", 1690), Locke (1690), Newton (1704), Berkeley (1710), Crousaz (1715), Huet (1723), Cudworth (1731), Voltaire (1734), Hume (1740), d'Alembert (1743). La Mettrie (1745) und Condillac (1749)

·        Prinzipien: Petrus Cracoviensis ("Principia astronomie" 1515), Gemma-Frisius (1548), Nizolius (1553), Telesio (1565), Descartes (1644 - dazu Spinoza 1663), Newton (1687), Leibniz (1714), Vico (1725), Swedenborg (1734), Hume (1751), d'Alembert (1753).

 

Eine frühe Schrift über "Sir Isaac Newton's philosophy" erschien 1728 von Henry Pemberton. Voltaire schrieb sowohl über die Philosophie (1738) von Newton als auch über dessen Metaphysik (1640) und bekämpfte Holbachs "Système de la nature" (1777). Der englische Prediger und Entdecker des Sauerstoffs Joseph Priestley kritisierte den Begründer der Assoziationspsychologie, David Hartley, in seiner Schrift: "Hartley's Theory of human mind on the principles of the association of ideas" (1775).

 

Weitere Konkurrenten des Modellbegriffs sind in anderer Perspektive „Repräsentation“, „Analogie“ und „Metapher“ – nicht zu vergessen: „Bild“, „Abbild“, „Abbildung“ und „Vorstellung“.

Seit etwa 1960 wurden diese Themen erneut diskutiert, am wenigsten Analogie, in steigendem Mass Metapher und Repräsentation – siehe weiter unten. Bei letzterer wurde die Begriffsverwirrung bald so deutlich, dass man ab 1990 von einer „Krise der Repräsentation“ sprechen musste. Im englischsprachigen Raum entspann sich zusätzlich eine Diskussion über „imagery“ derart intensiv, dass man ab 1980 einen „pictorial turn“ oder „iconic turn“ diagnostizierte. Deutschland folgte zögernd mit dem Versuch einer „Bildwissenschaft“.

 

 

1550-1750: Die "Mechanisierung des Weltbildes"

 

Die Loslösung von Platon und Aristoteles

 

Erst nach der Hochblüte der Renaissance begann sich die Welt aus den Fängen der Antike zu lösen. Seefahrt und Kapitalismus, Akademien und Reformation, Vernunft- und Wirtschaftsethik, Utopien und Naturrecht führten zu Horizonterweiterungen.

Einer der ersten Gelehrten, die dem Aristotelismus weitgehend entsagten, war Bernardino Telesio in seinem Werk "De natura rerum" (1565; vollständig 1586).Für die Naturerklärung verwirft er alle damals gerade im Schwange befindlichen astrologischen und magischen Einflüsse und vertritt wieder einen mechanischen Grundgedanken, der alle qualitativen Unterschiede auf die Bewegung zurückführt. Die gegensätzlichen Prinzipien von Wärme und Kälte rufen durch Ausdehnung und Zusammenziehung die Mannigfaltigkeit der Gestaltung und des Geschehens hervor.

Das klingt ein bisschen nach Stoa, und das stimmt. Es ist fast paradox, in dem Masse als Platon und Aristoteles in den Hintergrund traten, wurden Stoa und Epikuräer wiederentdeckt, z. B. durch den erwähnten Telesio resp. durch Giordano Bruno.

 

Galilei und Newton haben als Kinder Modelle gebastelt

 

Um 1575 beschäftigte sich der junge Galilei mit Maschinen und mechanischen Spielen. Die ältesten Biographen berichten davon. "Während Gherardini beständig auf Galileis technische Tätigkeit in Verbindung mit der Theorie der Mathematik hinweist, erzählt Viviani mit überzeugendem Reichtum an Einzelheiten, dass Galilei in den ersten Jahren seiner Kindheit sich an der Herstellung von Instrumenten und Maschinen vergnügte, die er selbst erfand oder den allgemein gebräuchlichen nachbildete" (L. Olschki 1927, III, S. 143).

Später hat er einmal geäussert, dass ihm gerade die Erfahrung der Maschinen- und Apparatebauer "oft den Kausalzusammenhang wunderbarer Erscheinungen eröffnete, die zuvor für unerklärbar und unglaublich gehalten wurden".

 

Der vierzehnjährige Newton (1656) wollte eigentlich Bauer werden. Da er aber die meiste Zeit mit Problemlösen und Experimentieren sowie dem Bau mechanischer Modelle verbrachte, fand seine Mutter, jung Witwe geworden, er sei zu Höherem geboren. Sein Onkel, der selbst am Trinity College in Cambridge gewesen war, empfahl ihr, Isaac auch hierhin zu schicken. 1661 trat Newton in Cambridge ein. Seine Erfahrungen hielt er in einem Tagebuch fest.

 

Übrigens: Fast 100 Jahre später bastelte der junge James Watt im Laden seines Vaters (um 1745) an allerlei Geräten herum und versuchte, sie "wie ein Uhrwerk" zum Laufen zu bringen. Er lernte später Instrumentenmacher.

Nochmals 100 Jahre später bastelte auch der junge James Clerk Maxwell an der Edinburgh Academy (um 1842) Modelle.

 

Die Mechanisierung des Weltbildes im 17. Jahrhundert

 

Um 1600 erfolgte die sogenannte "Mechanisierung des Weltbildes", welcher der holländische Wissenschaftshistoriker Eduard Jan Dijksterhuis ein dickes Buch gewidmet hat (1956; holl. 1950). Seine These findet sich im letzten Satz: "Die Mechanisierung, die das Weltbild beim Übergange von antiker zu klassischer Naturwissenschaft erfahren hat, besteht in der Einführung einer Naturbeschreibung mittels der mathematischen Begriffe der klassischen Mechanik; sie bedeutet den Beginn der Mathematisierung der Naturwissenschaft, die in der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Vollendung findet." Diese These blieb nicht unumstritten.

 

Mindestens so wichtig war aber die Loslösung aus der mythologischen und religiösen Welt, pauschaler gesagt, die Loslösung sowohl aus der Philosophie wie aus der Theologie. Ein bezeichnendes Beispiel bietet der Astronom Johannes Kepler. Anfänglich sah er die Natur noch als "göttlich beseeltes Wesen" an, seit 1623 bloss noch als "Uhrwerk" (E. J. Dijksterhuis 1956, 345ff). Er ersetzte in diesem Jahr auch die Vorstellung, dass in den Planeten "bewegende Seelen" wären, durch diejenige der blossen Kraft.

 

Etwas später (1632) legte Galilei "mit völliger Schärfe endgültig die wissenschaftliche Methode zur Erforschung der anorganischen Natur fest" (377) und Descartes begann mit der Mathematisierung. Bei diesem zeigen sich bereits beide Bedeutungen von "mechanisch", nämlich 1. mittels der Mechanik (besser: Kinetik als Mathematik) zu erklären, und 2. in einem mechanischen Modell nachzuahmen (463f; vgl. 552ff.).

 

Descartes

 

Descartes ist in mehrfacher Hinsicht wichtig für die Sache "Modell".

 

1) Er wies darauf hin, dass von derselben Sache ganz verschiedene Modelle möglich sind. Zum Beispiel sagte er über einen Forscher: "Wie gut seine Theorien auch alles zu erklären vermöchten, so könne man doch nie mit Sicherheit behaupten, dass sie richtig seien; der Schöpfer hätte dieselben Erscheinungen allezeit auch auf einem anderen Wege hervorbringen können" (467).

Auch wenn später Newton behauptet haben soll: "hypotheses no fingo", tat er eigentlich "nichts lieber, als Hypothesen zu ersinnen" (541, 543).

 

2) Im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" heisst es:

"Bereits Descartes lieferte ein zentrales Beispiel für den geometrischen Modell-Begriff. Interpretiert man nämlich die Grundbegriffe der euklidischen Geometrie durch analytische Koordinaten (z. B. Punkte P durch reelle Zahlenpaare (x1, x2), Geraden g durch die Verhältnisse y1:y2:y3 von Zahlentripeln, die geometrische Relation 'P liegt auf g' durch die Gleichung y1x1 + y2x2 + y3 = 0 usw.), so liefern die geometrischen Axiome wahre analytische Aussagen. Daher liefert das 3-dimensionale (rechtwinklige) Koordinatensystem des reellen Kontinuums ein analytisches Modell der euklidischen Geometrie".

Etwa 250 Jahre später gelang den Mathematikern Beltrami und Klein (1870) ein anschauliches euklidisches Modell der nicht-euklidischen Geometrie.

 

3) Wie hinlänglich bekannt, ist Descartes auch sonst für die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens von eminenter Bedeutung, etwa durch seinen Traum einer "mathesis universalis" oder durch seine Trennung von "res cogitans" und "res extensa". Es ist jedoch anzunehmen, dass er manches viel anders gemeint hat, als es in heutigen Wörterbüchern und populären Streitschriften behauptet wird.

 

Die Kontroverse zwischen Newton und Leibniz

 

Eine interessante Studie hat Giedeon Freudenthal "Atom und Individuum im Zeitalter Newtons" (1982) gewidmet. Ausgangspunkt ist die Diskussion zwischen Newton und Leibniz über den absoluten Raum. "Newton geht von einer Annahme über die Beschaffenheit der Elemente aus und schliesst auf das Resultat für das Weltsystem. Leibniz geht von einer Annahme über das System aus und schliesst von demselben auf die Beschaffenheit der Systemelemente" (Giedeon Freudenthal 1982, 79).

Newton hielt einen Eingriff von Gott ins Weltsystem für notwendig. Er formulierte, der Raum sei das "Sensorium Gottes". Leibniz dagegen fasste die Welt als eine von Gott vollkommen konstruierte Uhr, die ohne seine Mitwirkung weiter funktioniere.

 

Etwa zur selben Zeit ergab sich übrigens im theologischen Bereich eine analoge Auseinandersetzung. Während die bisherige Auffassung, der Theismus, ein ständiges Eingreifen Gottes in der Welt sieht, verkündete der Deismus etwa eines John Toland (1696), dass Gott nicht mehr wundertätig ins Geschehen eingreifen müsse. Denn Gott hat mit der Welt zugleich auch die Gesetze geschaffen, nach denen sie sich aus ihrem unvollkommenen Zustande allmählich zur Vollkommenheit entwickeln soll. Ein Gott, der Wunder tun müsste, um die Welt im Gang zu erhalten, würde der Vollkommenheit entraten, ohne die er unvorstellbar ist. Gottes Wille zeigt sich also im gesetzmässigen Geschehen in der Welt, vor allem in der Natur.

Toland führt mit Leibniz Religionsgespräche, die zum Teil erhalten sind.

 

Sorgfältig hat Gideon Freudenthal herausgearbeitet, dass um 1715 zwei verschiedene Arten von Uhren als Modelle verwendet werden konnten: die grobe Handwerkeruhr (clock) und die Pendel- oder Wissenschafteruhr à la Galilei und Huygens (watch). Die erstere bedarf häufig der Eingriffe eines Aufsehers. Samuel Clarke, ein Newtonianer, nennt daher die Welt, das Werk Gottes, "clock", und spricht Gott Aufsicht und Leitung ("inspection and government") zu. Die Wissenschafteruhr dagegen läuft allein von selbst; bei G. W. Leibniz ist daher Gott der vollkommene Mechaniker: Wissenschafter und gelehrter Uhrmacher in einem (108).

Den Briefwechsel von Clarke mit Leibniz hat der Meiner-Verlag in Hamburg 1990 auf Deutsch herausgebracht.

 

Obwohl sich in allgemeiner Betrachtung eher Newton als Leibniz in der Naturwissenschaft durchgesetzt hat, kann man mit Dijksterhuis (1956, 549) sagen: "Die Mechanisierung des Weltbildes führte mit unwiderstehlicher Konsequenz zur Auffassung Gottes als eines Ingenieurs im Ruhestand, und von da zu seiner völligen Ausschaltung war es nur noch ein Schritt." Laplace tat ihn 100 Jahre später.

 

Desgleichen im Bereich der Sozialphilosophie: Kurz nach 1800 entwarf Saint-Simon eine Newton-Religion mit Newton-Tempeln, usw., basierend auf der Behauptung: "...Die universale Schwerkraft ist die einzige Ursache aller physischen und moralischen Erscheinungen". Auch sein Schüler Comte wollte die gesellschaftlichen Erscheinungen Naturgesetzen unterstellen. Ist die Gesellschaft mechanisch, so kann sie auch unter wissenschaftliche Kontrolle gebracht, d.h. von einem Konzil von Sozialphysikern regiert werden (vgl. Floyd W. Matson 1969).

 

siehe weiter unten: Seit 1800: Musterschulen seit Pestalozzi

 

 

Ab 1600: Der Gebrauch von Modellen in Wissenschaft und Unterricht

 

Ab 1600: Die Projektemacher

 

Etwa zur gleichen Zeit wie die moderne Naturwissenschaft entstand als praktisches Gegengewicht der Beruf des "Projektemachers", auch "undertaker" genannt. Der Dramatiker Ben Johnson schrieb ein Theaterstück zum Thema "What is a Projector?", Thomas Brugis beschrieb 1641 "The discovery of a Proiector".

 

Frühe Projektemacher waren etwa die Niederländer Simon Stevin und Cornelius Drebbel. Der vielseitige Mathematiker, Physiker und Ingenieur Stevin begann als Buchhalter und Kassier und baute das erste mit einem Windsegel versehene Landfahrzeug (1599). Der Tausendsassa Drebbel baute auch den ersten alchemistischen Ofen mit automatischer Temperaturregelung (1610). Sein Unterseeboot soll bei einer Probefahrt in der Themse funktioniert haben (1624). Das Geschäft machte er jedoch durch die Einführung einer scharlachroten Farbe.

 

Der Chemiker Johann Rudolf Glauber war Erfinder und Produzent in einer Person. Um 1650 stellte er in seinem Labor eine ganze Reihe Mineralsäuren und organische Verbindungen wie Azeton, Benzol und Phenol dar, und verkaufte sie auch mit Erfolg. Ähnliches Geschick, wissenschaftliche Eifer und kaufmännisches Talent zu verbinden zeigte um 1700 der Arzt Friedrich Hoffmann. Neben seinen "Tropfen" erfand er eine ganze Reihe neuer Arzneien.

 

Die Pendeluhr des grossen Wissenschafters Christian Huygens wurde 1657 von den Generalstaaten patentiert. Seine Erfindung des Torsionspendels (1675) erlaubte erstmals die Herstellung von Schiffschronometern. Schon ein paar Tage nachdem er es der französischen Akademie der Wissenschaften vorgeführt hatte, erhielt er die alleinigen Herstellungsrechte. Sie machten ihn bald zum reichen Mann.

Sein Zeitgenosse William Petty war ein Multitalent und unermüdlicher Projektemacher. Weniger Glück hatte zur gleichen Zeit der Alchemist, Pädagoge, Arzt und unermüdliche Erfinder Johann Joachim Becher. Er beriet um 1670 Kaiser Leopold I.

 

Ab 1600: Modellexperimente

 

Ebenfalls seit Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft wird nicht nur der Begriff Modell häufiger verwendet, sondern man beginnt auch mit Modellexperimenten. Der Geistliche Simon Sturtevant schilderte 1612 in seiner Patentschrift "Metallica" die heuristische Verwendung von Modellen.

Die ersten Modellexperimente in den Wissenschaften werden den Holländern Simon Stevin und Cornelius Drebbel sowie dem Engländer William Gilbert (1600) - mit seiner terrella, einer kleinen Eisenkugel als Erde - zugeschrieben.

 

Der Italiener Galileo Galilei beschrieb in seinen "Discorsi" (1638) die Idealisierung der schiefen Ebene. Dazu gibt es ganz unterschiedliche und interessante Gedanken und Experimente von Viktor A. Stoff (1969, 52-53), I. Bernard Cohen (1977), Ernan McMullin (1985), Martii Kuokkanen (1994), Andreas Hüttemann (1995) sowie von Vasilis Raisis (1999) und Jan M. Zytkow (1999).

Zur Idealisierung in der modernen Physik hat Niall Shanks 1998 einen Sammelband herausgegeben.

Ein Bild zu Galileis Experimenten zur Balkenbiegung findet sich bei John Desmod Bernal (1970, 405), eine ausführliche Betrachtung bei Helga Portz (1994).

 

Der Deutsche Otto von Guericke führte1663 seine legendären Versuche mit den Magdeburger Halbkugeln durch (John Desmond Bernal 1970, 440-442).

 

Auch die Entwicklung der Dampfmaschine erfolgte am Modell, wie um 1700 die Beispiele von Thomas Savery, Thomas Newcomen und John Theophilus Desaguliers und später von James Watt (ab 1763) zeigen.

Vom berühmten Physiker Desaguliers stammt auch das Werk: "The Newtonian system of the world, the best model of government: an allegorical poem. With a plain and intelligible account of the system of the world, by way of annotations with copper plates" (1728).

 

Ab 1600: Schiffsmodelle zu Versuchszwecken

 

Schiffsmodelle sind bereits aus dem alten Mesopotamien (Ur), aus Ägypten, Griechenland und dem römischen Reich erhalten (Arvid Göttlicher, Walter Werner 1971; Arvid Göttlicher 1978; Paul Forsythe Johnston 1984). Danach ist eine Lücke bis ca. 1450 (Heinrich Winter 1956).

Das türkische Schiffahrtstmuseum in Istanbul behauptet, es verfüge über Modelle aus dem 14. Jahrhundert.

Selbstverständlich befasste sich Leonardo da Vinci auch intensiv mit den Geheimnissen von Wind und Wellen, beispielsweise mit dem Fliessen des Wassers durch einen Kanal. Eine schöne Studien-Skizze eines Segelschiffs am Wind ist von ihm erhalten (Codex Madrid II, fol. 7r, 123v; Ludwig Rank 1984). Seine Wolkenzeichnungen sind kleine Kunstwerke.

Seit 1600 wurden in England, bald auch in Holland, Frankreich und Russland Schiffsmodelle zu Versuchszwecken gebaut. Der vielseitige und originelle Barockgelehrte William Petty brach sich mit 13 Jahren als Schiffsjunge das Bein. Er lernte Sprachen, Mathematik und Astronomie. 1648 doktorierte er in Oxford in Medizin. In London gehörte er zu den Gründern der Royal Society (1662) und bereicherte die von König Charles II. ins Leben gerufenen Segelregatten mit der Konstruktion der ersten Katamarane. Bedeutsamer allerdings waren seine Beiträge zur Statistik und zu sozioökonomischen Fragen.

 

1679 beauftragte Jean Baptiste Colbert, Marineminister von Ludwig XIV, die Aufseher aller königlichen Marinehäfen, von jedem Schiff, das sie zu bauen vorhatten, ein Modell zu erstellen. Seine Absicht war, auf diese Weise eine Sammlung von Modellen zu gewinnen, welche als Standard für sämtliche künftigen Schiffe dienen sollten. In kurzer Zeit entstanden so Tausende von Schiffsmodellen. Sie fanden später den Weg in Sammlungen am französischen Hof und in einem um 1800 speziell errichteten Marinemuseum.

 

Ab 1600: Anschauungsunterricht unter Verwendung von Modellen

 

"Im ausgehenden 16. Jahrhundert begann man, plastische anatomische Modelle aus Wachs für das Medizinstudium herzustellen. Vorläufer waren Wachsplastiken, die als Modelle für Künstler und als Sammelobjekte für die in jener Zeit beliebten Kunst- und Raritätenkammern dienten. Als Hersteller sind u. a. bekannt Ludovico Cardi aus Florenz im 16. (um 1590), der Genuese Guillaume Desnoues und der Niederländer Swammerdam im 17. Jahrhundert (um 1650; Charlotte Angeletti 1980, 25).

Ebenfalls um diese Zeit finden wir Wachsfigurenkabinette. "Einer der ersten, der die von ihm gefertigten Wachsporträts kommerziell nutzte, war Antoine Benoist, der 1668 die Konzession für eine öffentliche Schau von Wachsfiguren erhielt, die Mitglieder des Hofes, der Gesandtschaften von Marokko, Algier und Moskovien zeigte" (a.a. O., 31).

 

Der Dominikaner und Revoluzzer Giovanni Domenico Campanella, ein Schüler des greisen Telesio, stellte in seinem "Sonnenstaat" (1602 geschrieben) ein Reformprogramm für die Erziehung auf, das massgeblich auf der Verwendung von Modellen beruht. "New Atlantis" (1624 geschrieben) des adeligen Juristen und Politikers Francis Bacon bringt ähnliches. Bacon machte auch bereits den Vorschlag, ein Museum mit Erfindungen und eine Galerie mit Porträts von Erfindern einzurichten.

 

Der grosse Pädagoge Jan Comenius betonte in seiner "Böhmischen Didaktik" wie in seiner "Grossen Didaktik" (1633-38; ersch. 1657) den stets verbesserungsfähigen Vorbildcharakter von Modellen und propagierte den Anschauungsunterricht, nämlich: Lernen durch Nachahmung und Übung am Modell, die Verwendung von Originalen, Mustern und bildhaften Darstellungen mit Erläuterungen (siehe auch seinen "Orbis sensualium pictus", 1658), das Bemühen um stufenweisen Aufbau und Methodik sowie die Förderung des Verständnisses durch Einsicht statt blossem Auswendiglernen.

 

Die Französische Akademie der Wissenschaften begann bald nach ihrer Gründung 1666 Modelle zu sammeln, die ihr von Erfindern zugestellt wurden, die sich dadurch offizielle Anerkennung ihrer Werke erhofften. Ein Katalog dieser Modelle erschien in sieben Bänden: "Machines et inventions approuvées par l'Académie royale des sciences, depuis son établissement jusqu'à present", Paris, 1735-77; der erste Band enthält die vor 1700 eingereichten.

 

Unmittelbar anschliessend an die Beschreibung der Vorzüge einer Herstellung von "moduli" für den Festungsbau erwähnt Leibniz 1669 in seiner Skizze zur "Ars inveniendi" die damals weit verbreiteten Modellsammlungen (Johann Schultes, Mattheus Rembolten 1660; Friedrich Carl Gottlob Hirsching 1786), welche die bisherigen Naturaliensammlungen ergänzten ("Theatrum Naturae et Artis").

 

Wenig später schlägt Leibniz in seinem dem "Orbis pictus" nachempfundenen "Atlas universalis" eine Sammlung von allerlei Maschinen und Modellen vor. Zur gleichen Zeit preist er auch im Detail die Verfertigung von Modellen aus Holz oder Wachs zur Förderung der Imagination.

Schöne Schilderungen solcher "Wunderkammern" bieten Julius von Schlosser (1908) und Friedrich Klemm (1973).

 

Der Vermittlung anschaulichen Wissens dienten seit 1635 (Merian) illustrierte Zeitungen und Wochenschriften.

Johann Joachim Becher strebte seit 1660 mit "Werkhäusern" und der Forderung nach "Kunstschulen" die Verbreitung technischer Kenntnisse an. Leibniz folgte 1692 mit dem Wunsch nach "Handwerkerschulen". August Hermann Franckes Idee einer Verbindung von Frömmigkeit und Nützlichkeit im "Werkunterricht" (ab ca. 1670) und ab 1700 auch in sogenannten "Realschulen" breitete sich bald über ganz Europa aus (Hartmut Sellin 1972), und zwar als anschaulicher "praktischer Unterricht", der auf einer breiten Lehrmittelsammlung basiert.

 

Vermutlich gab es damals für den Unterricht Modelle mit Schnüren und Drähten, aus Karton oder Gips für geometrische Körper.

Jedenfalls werden solche in Christian Wolffs "Mathematischem Lexikon" (1734) erwähnt (vgl. Gerd Fischer 1986). Zu dieser Zeit gab man sogar im Mathematikunterricht Anweisungen zum Modellieren anhand der fünf Platonischen Körper. Die Begründung: "Besonders werden die, welche sich auf Professionen und Handwercke legen, einen grossen Nutzen spüren, wenn sie zuvor in der Stereometrie nach den Geometrischen Handgriffen richtige Modelle machen lernen" (J. H. Zedler, 1739, Sp. 714f.; später: Ernst Prieger 1978).

 

Ab 1600: Der Gebrauch von hydrodynamischen und mechanischen Analogien

 

Im Zug der "Mechanisierung des Weltbildes" kamen hydrodynamische Analogien auf. So standen bei William Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs hydraulische Vorstellungen Pate (1616 - vgl. Franz Vonessen 1989).

Auch Descartes wurde von den Wasserbaukünsten seiner Zeit zu Bildern angeregt. In "Les passions de l'âme" und im "Traité de l'homme" (postum 1664) besteht der beseelte Leib aus Blutgefässen, die wie ein Röhrensystem für den Transport der sog. "Lebensgeister" (die schon Telesio beschrieb) sorgen. Im Kopf, genauer im Gebiet der Zirbeldrüse unter dem Hirn "regiert" die Seele als eine Art Röhrenmeister, welcher bestimmt, welche und wie viel Lebensgeister wie lange durch die Adern fliessen (Rainer Specht 1966; Richard Burnett Carter 1983).

 

Giovanni Borelli verwendete seit 1666 ebenfalls gerne Analogien aus der Hydrostatik; er erfand die Iatromathematik oder Iatrophysik, eine Vorstufe der Biophysik.

 

Im 18. Jahrhundert hat man Staat und Wirtschaft gerne als Maschine betrachtet. So schrieb etwa der Kameralist J. H. G. Justi 1764: "Ein wohl eingerichteter Staat muss vollkommen einer Maschine ähnlich seyn, wo alle Räder und Triebwerke auf das genaueste ineinander passen." Für Europa wurde dies von Ahlrich Meyer (1969) und Barbara Stollberg-Rilinger (1986, 1998), für Amerika 1997 im Harvard Law Review untersucht. [Genaueres zum Zitat siehe: Der Staat als Maschine]

 

Das legendäre Wirtschafts-Kreislaufmodell des Physiokraten Quesnay (1758) lehnte sich - obwohl dieser Arzt war - nicht an den Blutkreislauf an, sondern an die mechanistische Naturphilosophie seiner Zeit. Der Ökonom Heinz Rieter wies in einer akribischen Untersuchung 1983 nach: "Es ist eine Bewegungs- oder Mechanismusanalogie, die Erkenntnisse der cartesianischen Physik auf die Ebene der politischen Ökonomie überträgt mit dem Ziel, 'natürliche' Sozialgesetze abzuleiten" (1983, 65).

Diese mechanistische Tradition bauten die sogenannten "klassischen" Ökonomen Adam Smith (1776), Jean-Baptiste Say (1803), David Ricardo (1817) und J. H. von Thünen (1826) aus.

 

In der Physik des Elektromagnetismus seit 1820 (Faraday, Gauss, Maxwell) wurden hydrodynamische Analogien zuhauf gebraucht.

Davon inspiriert konstruierte der Geldtheoretiker Dalgairns Arundel Barker 1906 ein „hydraulisches Modell“ für das Währungssystem zwischen Volkswirtschaften. Ganz ähnlich konstruierte der Ökonom Irving Fisher 1894/1911 ein „connecting-reservoirs model“ (Mary S. Morgan 1999, 369-388; Marcel Boumans, 2005, 149-174). Recht bekannt wurde das nach dem Zweiten Weltkrieg an der London School of Economics erbaute Modell des neuseeländischen Ökonomen Alban William Phillips (Mary S. Morgan, Marcel Boumans, 2004, 369-401; Marcel Boumans, 2005, 11-14).

 

1895 hat Sigmund Freud in seinem "Entwurf einer Psychologie" (publiziert 1950) ein hydraulisches Modell für seine erste Darstellung der "Triebdynamik" des "psychischen Apparats" gebraucht. Der Physiologe Archibald Vivian Hill (1936) verwendete ebenfalls ein hydraulisches Modell zur Illustration von „Erregung“ und „Anpassung“ in den Nervenzellen.

 

Konrad Lorenz stützte seine Instinkttheorie seit 1935 ebenfalls auf ein hydraulisches Modell ab (siehe bereits Robert Aubrey Hinde, 1956). Noch in den 1970er Jahren musste dieses in einer "Einführung in das Studium der Psychologie" als einzige Illustration eines "Modells" herhalten.

Auch der Psychologe Raymund B. Cattell (1957) verwandte ein hydrodynamisches Modell für "Persönlichkeit und Motivation".

 

Ganzheitliches Denken: Der Organismus als Analogie

 

Doch auch Analogien in die umgekehrte Richtung sind möglich. Nicht minder beliebt war der (freilich: idealisierte) Organismus als Modell für soziale und wirtschaftliche Gebilde, manchmal auch fürs Weltall.

Der englische Staatsmann und Philosoph Thomas Hobbes verglich den Staat (1651) mit einem "künstlichen Menschen". Als um 1670/80 die Eizelle und die Samenzelle entdeckt wurden, meinte man, darin sei schon der ganze fertige Mensch im kleinen zu finden (homunculus).

 

Das "ganzheitliche Denken" wurde eingeführt von den deutschen Geistesgrössen der Klassik und Romantik, des Idealismus und Historismus. Vielleicht war es eine Reaktion auf die seit 1760 anlaufende "industrielle Revolution", jedenfalls aber eine Gegenbewegung zur Verherrlichung der Vernunft und des mechanischen Denkens in der Aufklärungszeit.

 

Die Romantiker (Adam Müller 1809; Franz von Baader 1832) waren von einem naturphilosophischen Organismusbegriff inspiriert.

Der prominenteste Vertreter des Organismusdenkens im 19. Jahrhundert war Albert Schäffle. Die extremen Formulierungen seines Hauptwerks "Bau und Leben des sozialen Körpers" (1875-78) hat er in der zweiten Auflage (1896) abgeschwächt.

Über organismische Metaphern in der Entwicklungsbiologie des 20. Jahrhunderts berichtet D. J. Haraway (1976).

 

17. und 18. Jahrhundert: Statistik und Wahrscheinlichkeitslehre

 

Im 17. Jahrhundert wurden Statistik, Wahrscheinlichkeitstheorie und "Politische Arithmetik " entwickelt. Es sind vereinfachte Abbilder von sozialen oder ökonomischen Situationen und Verhältnissen.

Durch die Diskussion biologischer Fragen einerseits, die Bevölkerungsverminderung durch Kriege, Seuchen und Auswanderung anderseits, gewann das Bevölkerungsproblem an Bedeutung. Statistik wurde um 1610 unter dem Finanzminister von Heinrich IV., Maximilien de Béthune, Duc de Sully, eingeführt. Hermann Conring (ab 1660), John Graunt (1661), William Petty und Gregory King zählten Geburten- und Sterbeziffern aus.

Petty begründete auch die "Politische Arithmetik" (1676 geschrieben, 1690 veröffentlicht). Sie ist weit mehr als Statistik. Sie ist eher eine "politische Anatomie", eine Ganzheitsbetrachtung des sozioökonomischen Lebens. Sie ist die Grundlage für wirtschaftliche und politische Pläne und Regulierungsmassnahmen. Auch der Vorschlag einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung findet sich in diesem Werk.

Petty sieht alle drei Funktionen des Geldes: Masseinheit, Zirkulationsmittel und Reichtum. Er forderte ein ganzheitliches und gerechtes Steuersystem, sah, dass Arbeitsteilung die Dinge besser und billiger macht und entwickelte eine Arbeitswerttheorie.

 

Blaise Pascal, der Bedeutendes für Mathematik, Physik und Religionsphilosophie leistete, konstruierte auch Rechenmaschinen. Er war sich auch nicht zu gut, auf Anfragen eines Glücksspielers einzugehen und daraus die Wahrscheinlichkeitstheorie zu entwickeln. Angeregt durch einen Briefwechsel mit Pascal und Pierre Fermat (Ian Hacking 1975, 59-92) entwarf dann der Mathematiker, Physiker und Astronom Christian Huygens eine vollständige Theorie des Würfelspiels (1657).

 

Leibniz befasste sich seit 1663 mit Mathematik und arbeitete seit 1665 an der Quantifizierung von logisch begründbaren Wahrscheinlichkeitsaussagen. 1678 entwickelte er für das Glücksspiel eine Wahrscheinlichkeitslehre, basierend auf dem Erwartungswert ("Spes est probabilitas habendi"), und trug vier Jahre später eine juristische Rechtfertigung der Barwertberechnung vor, eine Grundlage für die Investitionstheorie. Das Rechtsproblem lautet: Wieviel ist bei einer vorzeitig getilgten Schuld zu bezahlen?

Bei den Volkswirtschaftern stiesse Leibnizens Arbeiten zur Bevölkerungsstatistik und Vorschläge zum Versicherungswesen immer wieder auf Interesse.

 

Im 18. Jahrhundert erschienen die ersten Arbeiten zum Dominanzprinzip in der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Jakob Bernoulli 1713; geschrieben 1692) und zur ökonomisch orientierten Wahrscheinlichkeitslehre (Daniel Bernoulli 1738).

 

1763/64 publizierte Thomas Bayes in den Philosophical Transactions of the Royal Society seinen "Versuch zur Lösung eines Problems der Wahrscheinlichkeitsrechnung". Der Mathematiker Condorcet entwarf 1785 die erste Wahrscheinlichkeitstheorie für Gruppenentscheidungen. Sein Essay gilt als Vorläufer der Spieltheorie.

Zehn Jahre später folgte Pierre Simon de Laplace mit seinem "philosophischen Versuch über die Wahrscheinlichkeit".

 

Ökonomie und Moral, Erwartungen und Wertschätzungen, Zweck und Nutzen bilden seither zentrale Fragen der Auseinandersetzung.

 

Subjektive Wertlehre und Arbeitswert

 

Als Vorläufer der subjektiven Wertlehre gilt Bernardo Davanzati ("Lezione delle monete" 1588). Er erkannte bereits, dass der Wert nicht eine den Gütern anhaftende Eigenschaft ist, sondern sich ständig mit den Wünschen und Bedürfnissen sich ändert.

 

Nicholas Barbon (1690) ist nicht nur der frühestes Verfechter einer nominalistischen Geldtheorie, sondern er entwickelte auch eine Werttheorie, die in manchem der Grenznutzenlehre entspricht. Der Wert jedes Gutes beruht auf seinem Gebrauch oder Nutzen, den es zu stiften vermag; und dieser resultiert aus der Befriedigung körperlicher oder seelischer Bedürfnisse, wobei erstere verhältnismässig begrenzt, letztere unbeschränkt sind. Ein Gut verliert seinen Wert, wenn das Bedürfnis vollkommen befriedigt ist oder verschwindet, etwa weil etwas anderes Mode wird oder es ausser Gebrauch kommt, weil sich die Bedürfnisse ändern. Der Warenpreis als Ausdruck des Güterwerts richtet sich nach Angebot und Nachfrage: "plenty, in respect of the occasions, make things cheap, and scarcity dear." Dabei bestimmen die Konsumenten das Marktgeschehen. Sie sollen nicht sparsam sein.

Kurz darauf löste Pierre de Boisguillebert (1695), nach Marx, erstmals den Tauschwert der Ware in Arbeitszeit auf.

Nachdem Marx 1851 die beiden einzigen rein ökonomischen Schriften Lockes (1691 und 1695) studiert hatte, reihte er ihn ein unter die "originellen Köpfe", welche die Grundlagen der politischen Ökonomie schufen. Das waren die Arbeitswerttheorie, die Theorie des Geldumlaufs und die Eigentumstheorie.

 

Richard Cantillon trennte (um 1730; publiziert 1755) den "inneren Wert" einer Ware von ihrem Marktpreis. Dieser wird beeinflusst von Angebot und Nachfrage; er hängt von der Mode, dem Geschmack ab und kann damit von den Handelstreibenden selbst beeinflusst werden. Der Marktpreis ist aber nur von sekundärer Bedeutung; er ist die kurzfristige Abweichung vom inneren Wert.

 

Subjektive Werttheorien wurden sowohl von Ökonomen (Galiani 1751, Genovesi 1766, Graslin 1767) als auch von Naturforschern (Buffon) und Gelehrten (Condillac: "Le commerce et le gouvernement", 1766) entwickelt.

 

Der Mensch als "Vorbild"

 

Zeichnen nach einem menschlichen Modell wurde erst wieder in der Renaissance gewagt. Cimabue malte 1270 die "Gräfin X". Doch es vergingen noch über 100 Jahre, bis man es (1380/1400) wagte, nach dem nackten Körper (Akt) zu malen (Kenneth Clark 1956; Friedrich Bayl 1964).

Erst dreihundert Jahre später brauchte man dafür das Wort "modello" (it. 1672; ab 1800 auch: modella), "modelle" (frz. 1676), "model" (engl. 1691), "Modell" (dt. 1717).

 

1887 erschien in Philadelphia ein Band von Emile Zola mit dem Titel: "Christine, the model, or, studies of love."

Die Kurzgeschichte "The Model Millionaire" (1887) von Oscar Wilde schliesst mit dem Satz: "Millionaire models are rare enough; but, by Jove, model millionaires are rarer still!" Ebenfalls 1887 publizierte John Addington Symonds seinen Essay "The Model", worin er den nackten männlichen Körper preist.

Zwei Jahre später begann Oscar Wilde den Essay über "Londoner Malermodelle" mit dem Satz: "Das Berufsmodell ist eine Erfindung unserer Tage."

Franz von Suppé starb am 21. Mai1895 während der Arbeit seiner letzten Operette "Das Modell". Sie wurde am 4. Oktober desselben Jahres uraufgeführt.

 

In den Jahren 1953-54 malte Picasso 70 Bilder zum Thema "Der Maler und sein Modell" (Picasso 1956-72).

 

siehe Literatur: Maler und Modell/ Aktmodell/ Der nackte Mensch

 

Mannequins

 

Das Wort "mannequin" stammt aus dem Holländischen. Seit 1535 bezeichnet man im Englischen kleine Figürchen des Menschen als "manikin", manchmal auch Gliederpuppen und kleine Skulpturen aus Wachs oder Holz als Vorlagen für Künstler. Im Französischen wird dafür das Wort "mannequin" seit 1671 gebraucht. Seit 1806 wird im Französischen auch die Schneiderbüste als "mannequin" bezeichnet (auch: poupée).

 

Es war daher nahe liegend, zwei bedeutende Innovationen im Bereich der Mode des 19. Jahrhunderts ebenfalls als "mannequin" zu bezeichnen (Nicole Parrot 1981):

  • eine Frau, die Kleider vorführt (seit etwa 1850 im Französischen, um 1900 im Deutschen und seit 1902 im Englischen – hier ab 1904 auch: model)

  • eine Schaufensterpuppe (seit etwa 1880 im Französischen, erst seit 1939 im Englischen; hier auch "display model").

 

Emile Zola beschreibt in seinem Roman "Au bonheur des dames" (1883) ein französisches Kaufhaus und die Faszination, die von den darin aufgestellten lebensgrossen Kleiderpuppen ohne Köpfe ausging.

Anatole France schrieb einen Roman mit dem Titel "Le mannequin d'osier" (1893), englisch" The Wicker Work Women" (1910), deutsch "Die Probierpuppe" (1920); daraus wurde ein Theaterstück, das 1904 uraufgeführt wurde.

 

Vor 1920 wurden in England „women to show offgarments“ auch „dummies“ genannt, weil sie so nichtssagend („wooden“) dreiblickten.

Eine Geschichte des "Catwalking" gibt Harriet Quick (1997). Über das "hässliche Geschäft der schönen Frauen" schrieb 1995 Michael Gross.

 

Eines der vielen Beispiele der "Amerikanisierung" der deutschen Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Ersatz der Bezeichnungen "Probierfräulein", "Fotomodell", "Vorführmodell" und "Mannequin" durch "Model" seit 1968, wobei bis in die 1980er Jahre noch beide Formen nebeneinander gebraucht wurden (Gertrud Lehnert 1996).

 

Model als Euphemismus für Prostituierte ist in England seit 1963 in Gebrauch und kam bald auf den Kontinent. Im "Duden Fremdwörterbuch" von 1990 ist dieser Gebrauch verzeichnet.

 

siehe Literatur: Mannequin/ fashion model/ Pin-up/ Glamour Girl/ Fotomodell/ Schneiderbüste/ Schaufensterpuppe

 

 

19. Jahrhundert: Realität, Anschauung und Theorie in Mathematik und Naturwissenschaften

 

Das Problem der Ähnlichkeit

 

Bereits Vitruv (10. Buch, 16. Kapitel) schildert folgendes Problem: "Es gibt Dinge, die, in grossem Format hergestellt, ähnlich funktionieren wie in einem nicht grossen; andere aber dulden keine Herstellung in einem Modell, sondern können nur in ihrer natürlichen Grösse hergestellt werden."

 

Laut der Dissertation von Moritz Weber (1919, 364) hat schon Aristoteles in seinen "Mechanica Problemata" Untersuchungen über das statische Verhalten geometrisch ähnlicher Holzstäbe gegen Biegung angestellt. Galilei (1638 - Viktor A. Stoff 1969, 122) beschäftigte sich mit Betrachtungen statischer Art über Ähnlichkeit von Maschinen und fand, dass der Festigkeitswiderstand eines Konstruktionsgliedes nicht im Verhältnis seiner linearen Abmessungen wächst (1890, 106-109).

Jedoch erst Isaac Newton hat in seinen "Principia mathematica" (1687) den Begriff der "mechanischen Ähnlichkeit" klar ausgesprochen, indem er die Frage aufwarf, unter welchen Bedingungen zwei geometrisch ähnliche Vorgänge auch mechanisch ähnlich verlaufen.

 

In einer technologischen Enzyklopädie wird beschrieben, dass seit den Untersuchungen von Pierre Bouguer (1746) über den Bau von Schiffen und Schiffsmodellen zu beachten ist, dass die kleine Kopie "sich bey der Untersuchung seines Verhältnisses in Folge der Bemastung unmöglich so bezeugen" kann, "wie das Original in seiner wahren Grösse. Denn man kann ja den Wind auch nicht verkleinern" (J. K. G. Jacobsson 1783, 79).

 

Doch erst im 19. Jahrhundert wurden diese Probleme mathematisch angegangen, etwa von Augustin Louis Cauchy (1829), Joseph Bertrand (1847, 1848) William Froude (1870) und Osborne Reynolds (1883).

Von Hermann von Helmholtz stammt die schöne Untersuchung: "Über ein Theorem geometrisch ähnliche Bewegungen flüssiger Körper betreffend, nebst Anwendung auf das Problem, Luftballons zu lenken" (1873). Später entwickelte er (1889) eine "Theorie von Wind und Wellen".

 

Seither tragen mehrere "Modellgesetze" die Namen von Cauchy, Froude und Reynolds. Eine breite Übersicht gab Henry Louis Langhaar in seinem Buch "Dimensional analysis and theory of models" (1951). Weitere Übersichten geben Jon Valer L. Chirila (1967), Jürgen Zierep (1972), Walter Rehwald (1975) und Johann Stichlmair (1990).

 

Isomorphie

 

Georg Klaus (1972, 542) greift weit zurück, wenn er meint:

"Leibniz hat die Bedeutung der Isomorphierelation für die Erkenntnistheorie erkannt (Dialog über die Verknüpfung zwischen Dingen und Worten, 1677). Die Abbildung eines Bereichs der Wirklichkeit auf Begriffe, Aussagen, Theorien ist letztlich nichts anderes als die Herstellung einer Isomorphierelation. Den Dingen des objektiv-realen Bereichs, der abgebildet werden soll, entsprechen Namen für diese Dinge. Den objektiv-realen Beziehungen zwischen den Dingen entsprechen logische Beziehungen zwischen den Namen.

Vermöge einer solchen Isomorphierelation kann dann im Prozess der Erkenntnis u. U. die praktisch-konkrete Bearbeitung und Handhabung der Dinge und ihrer Beziehungen durch das gedankliche Operieren mit den Namen der Dinge und ihren logischen Beziehungen ersetzt werden. Im Idealfall ist es möglich, objektiv-reale Bereiche isomorph auf mathematische Theorien abzubilden."

Möglicherweise gibt die Arbeit von Beate Monika Dreike (1973) darüber näher Aufschluss.

 

Der Isomorphiebegriff wird in ganz unterschiedlichen Wissenschaften verwendet.

In der Chemie entdeckte Eilhard Mitscherlich 1819 den Isomorphismus als Gestaltgleichheit bei Kristallen (Gottlob Linck 1896; Hans-Werner Schütt, Otto Krätz 1973; Hans-Werner Schütt 1984, 1992).

 

Für die Mathematik wird auf die "Isomorphismen" bei Camille Jordan, 1870, und Felix Klein, 1884, auf die "Ähnlichkeit" bei S. Lie, 1876, und Georg Cantor, 1884 und 1886; sowie auf die "abstrakten Gruppen" bei Heinrich Weber, 1893, sowie auf den 2. Band der "Principia Mathematica" von Bertrand Russell und Alfred North Whitehead, 1913, hingewiesen.

 

Die Isomorphie wurde für die Physik des 19. Jahrhunderts grundlegend, wie Max Jammer (1965, 169) beschreibt: "Der Wahrheitsgehalt der Physik wird nicht mehr in einer objekt-treuen Spiegelung der Realität sondern in einer strukturtreuen Beziehung gesehen. Da dieser Isomorphismus keine objekt-treue Abbildungsmöglichkeit voraussetzt, darf er mit blossen Symbolen arbeiten ..., denen vielleicht gar kein Element der objektiven Realität entspricht."

 

Analogie

 

Mit Kant und Goethe ist der Analogiebegriff wieder interessant geworden.

 

Nach Kant ist die Analogie, wie auch die Induktion, "nützlich und unentbehrlich zum Behuf der Erweiterung unserer Erfahrungserkenntnis. Da sie aber nur empirische Gewissheit gibt, so müssen wir uns ihrer mit Behutsamkeit und Vorsicht bedienen" (Logik, 1800, § 84 - vgl. Ernst Laas 1876; Ernst Konrad Specht 1952; Sueo Takeda 1969; Arthur Melnick 1973; Muus Gerrit Jan Beets 1986; Georg Sans 1999).

Für Goethe (Ferdinand Weinhandl 1932) hat die Analogie "den Vorteil, dass sie nicht abschliesst und eigentlich nichts Letztes will; dagegen die Induktion verderblich ist, die einen vorgesetzten Zweck im Auge trägt und, auf denselben losarbeitend, Falsches und Wahres mit sich fortreisst" (Maximen und Reflexionen, 1833, 532).

 

1843 präzisierte Richard Owen die für die Biologie so wichtige Unterscheidung von Analogie und Homologie (Leonid J. Bljacher 1982) - just nachdem ein Jahr zuvor in der Physik William Thomson eine Analogie zwischen den Formeln der Wärme und der Anziehungslehre aufgestellt hatte.

 

Analogie bildete ein recht schwer zu fassendes Thema. Man konnte sie der Sprachphilosophie (Laurenz Lersch 1838; Victor Henry 1883), Physik (Ludwig Merz 1842), Etymologie (Christian Friedrich Ludwig Wurm 1848), Biologie (Heinrich Hess 1851) oder Logik (Janus Hoppe 1873), dem Metaphorischen (Alfred Biese 1893) oder dem volkstümlichen Denken (Abram Smythe Palmer 1882; L. William Stern 1893) zuordnen.

Als einer der ersten untersuchte William Stanley Jevons ("The principles of science" 1874) den Gebrauch der Analogie in der Wissenschaft.

 

Die Erforschung von Metaphern beginnt 1844 mit Johann Jakob Langbehn und Johann Guthe und breitet sich bald aus. Später befassten sich Alfred Biese mit dem "Metaphorischen in der dichterischen Phantasie" (1889) und Gustav Kohfeldt (1892) mit der Ästhetik der Metapher.

Eine psychologische Untersuchung der Metapher in der Rhetorik bot Gertrude Buck (1899).

 

1902 diagnostizierte Ernst Mach "Die Ähnlichkeit und die Analogie als Leitmotive der Forschung". Ein Jahr zuvor hatten Albert Thumb, Karl Marbe im Rahmen der Pionierarbeiten zur Denkpsychologie an der Universität Würzburg "Experimentelle Untersuchungen über die psychologischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung" angestellt.

 

Äquivalenz

 

"Äquivalenz" findet sich zuerst in der Physik bei der Energieumwandlung (Robert Mayer, 1842), dann in der Elektrotechnik, Chemie und Optik.

"Äquivalenz" ist auch ein zentraler Begriff in der Mathematik, insbesondere in der Mengenlehre (wiederum Cantor, 1886 - vgl. auch Freges "eindeutige Zuordnung", 1884) und in der Logik (eingeführt durch Hugh McColl, 1877-78 und Giuseppe Peano, 1889; ferner bei Peirce und in Russell/ Whiteheads "Principia Mathematica", 4.01).

 

Tiere als Ersatz für Menschen

 

Tierpsychologische Forschungen kamen seit La Mettries "L'homme machine" (1748) in Schwang: Etienne Bonnot de Condillac und Georges-Louis Leclerc de Buffon, Georg Friedrich Meier und Hermann Samuel Reimarus sowie Charles Bonnet und David Hume lieferten kurz hintereinander wichtige Erkenntnisse. Dann erlahmte das Interesse für rund 100 Jahre, bis 1880-1900 neue Untersuchungen durch George John Romanes und Conwy Lloyd Morgan vorgelegt wurden.

Seit 1898/99 forschten Robert Mearns Yerkes hauptsächlich an Affen und Edward Lee Thorndike hauptsächlich an Katzen und Ratten (Abraham Aaron Roback 1961).

 

Ähnlich verlief die Entwicklung in der Medizin. Die Tierversuche des Universalgelehrten Albrecht von Haller (um 1750) legten den Grundstein für die Neurobiologie. Ihm folgten François Magendie (seit etwa 1820) und sein Schüler Claude Bernard. Pierre Flourens, Professor für vergleichende Anatomie in Paris, entfernte nach der Exstirpationsmethode vor allem bei Tauben und Hunden bestimmte Hirnteile und beobachtete danach die Leistungsausfälle, so entdeckte er z. B. die Lokalisation des Gleichgewichtsorgans im Ohr. Sein Forschungsbericht (1824) wurde bereits wenige Wochen nach Erscheinen ins Deutsche übersetzt.

 

Wie William Paton (1984, 1-2) berichtet, hat schon 1831 der Neurologe und Physiologe Marshall Hall Richtlinien für Experimente mit Tieren aufgestellt. Die ersten Untersuchungen an isolierten Herzen fanden 1846 statt (William Paton 1984, 104). Und schon regten sich die ersten Proteste gegen Vivisektion (Evalyn Westacott 1949).

Seit etwa 1850 wirkten Hermann von Helmholtz und Rudolf Virchow. Weniger bekannt sind die deutschen Ärzte Ludwig Traube (1847: die Ursachen der Pneumonie) und Julius Cohnheim (ab 1860. über Entzündungen). Beide haben ebenfalls Tierexperimente auf neue Weise zur Erzielung von Resultaten eingesetzt.

1889 entfernten v. Mehring und Oskar Minkowski einem Hund die Bauchspeicheldrüse und erzeugten damit einen Diabetes mellitus.

Bereits 1900 berichtete Stephen Paget umfassend über "Experiments on Animals".

 

Der vielseitige Sir John Lubbock forschte nicht nur über die Frühgeschichte sondern auch seit etwa 1870 an Ameisen. Zur selben Zeit begann auch Iwan Petrowitsch Pawlow mit seinen ersten physiologischen Experimenten. Nicht nur seine Konditionierungen von Hunden machten ihn später berühmt, sondern auch die Erzeugung von "experimentellen Neurosen".

 

Peter Franz und Nina Hager (1991, 614) behaupten, in der Biologie werde die Modellmethode bewusst seit Otto Bütschli und Stéphane Leduc (Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert) angewandt.

 

Kenneth Joel Shapiro kam 1998 zum Schluss, dass die Untersuchung von Tieren wenig hergibt für das Verständnis des Verhaltens von Menschen.

 

Samples als Ausschnitte aus der Gesellschaft

 

Schon William Petty hatte 1655-56 die erste soziographische Untersuchung angestellt und bald darauf die "Politische Arithmetik" begründet. Erste statistische Arbeiten stammen ebenfalls aus der Zeit um 1660.

Doch erst sein etwa 1740 - als sich die ersten Folgen der Industrialisierung zu zeigen begannen - kümmerte sich die Wissenschaft vermehrt um die Probleme der einfachen Bevölkerung. Der Franzose Abbé Herni Baptiste Grégoire und die Engländer David Davies und Sir Frederick Morton Eden verwendeten seit 1790 bereits eine Art von Fragebogen.

Bereits soziale Experimente mit repräsentativem Anspruch führten seit 1800 die sogenannten utopischen Sozialisten wie Charles Fourier (1804-1836: "Phalanstère", davon inspiriert ab 1841-46: Brook Farm Kolonie in Massachusetts), Robert Owen (1824-27: "New Harmony") und Louis Blanc (1840: Produktivgenossenschaften) durch.

Zu den Pionieren der empirischen Sozialforschung gehören die Mitglieder der "Royal Commissions" von 1825, deren Bemühungen im Gesetz für Fabrikinspektion von 1833 gipfelten. Ihre Forschungsergebnisse wurden noch von Marx und Engels benützt.

Seit etwa 1840 gehören Sozialenquêten in vielen Ländern zur Tagesordnung.

 

Der Journalist Henry Mayhew wandte 1851 bereits Mittel des "nondirective interviews" an. Der Bergbauingenieur Frédéric Le Play verfeinerte 1855 die "Beobachtungsmethode".

1895 präsentierte der Norweger Anders N. Kiaer die "repräsentative Methode" erstmals der Öffentlichkeit. Er verwendete später viele repräsentative Samples als Grundlage für Statistiken, besonders in Bezug auf Einkommensverhältnisse. In England wandte Sir Arthur L. Bowley 1912-14 erstmals das Stichprobenverfahren (random sample) an.

Einen farbigen Bericht gibt Heinz Maus (1967).

 

Seit 1800: Musterschulen seit Pestalozzi

 

Seit der Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi 1800 in Burgdorf seine erst Modellschule errichtet hatte gab es bald darauf in Deutschland „Musterschulen“ (Frankfurt, 1803 – Peter Müller, 1928; Hanno Schmitt, 2001) und seit etwa 1820 im angelsächsischen Raum „model schools“. Das waren musterhafte Volksschulen resp. Ausbildungsstätten (training school; laboratory school) für künftige Lehrer (Outlines, 1827; William Jordan Unwin, 1849) – im Gegensatz zu den herkömmlichen Lateinschulen.

 

1790-1880: amerikanische Patent Models

 

Das amerikanische Patentsystem lehnt sich, wie das Rechtssystem, an englische Verfahren an. Präsident George Washington unterzeichnete das erste Patentgesetz 1790. Bis 1880 mussten sämtliche schriftlichen Eingaben für ein technisches Gerät an das Patent Office nicht nur von einer Zeichnung, sondern auch von einem Modell begleitet sein. Bekannte Beispiele sind Waschmaschinen, Klärgruben oder Alarmanlagen gegen Einbrecher (William and Marlys Ray 1974; Jan Greenberg 1977; American Enterprise 1984; Icons of Invention 1990).

Feuer im Patentamt 1836 und 1877 zerstörten über 80 000 Modelle, doch 150 000 blieben übrig als man aus Platzgründen den Zwang zur Einreichung eines Modells abschaffte. Heute verlangt das Amt nur noch ein Modell, wenn der Gesuchsteller beweisen muss, dass seine Erfindung auch funktioniert.

Heute gibt es mehrere öffentliche und private Sammlungen solcher Patentmodelle, z. B. bei der Smithsonian Institution oder der N. E. C. Group, Inc.

 

Seit 1840: Der Modellbegriff in den Naturwissenschaften

 

Ab etwa 1840 ergab sich eine weiter Differenzierung des Modellbegriffs. Einerseits wurde er für massenweise hergestellte industrielle Produkte gebraucht (Floyd Clymer 1955; David S. Landes 1968), anderseits spielte er in der Physik eine neue Rolle.

Es heisst, die moderne Modelldiskussion beginne 1840 mit der von Kant beeinflussten Untersuchung des Cambridger Professors William Whewell "The Philosophy of the Inductive Sciences" (Robert E. Butts 1968; 1987; Menachem Fisch 1991; Richard Yeo 1993). Sein Begriff "conception" könnte für "Modell" stehen.

Gleichzeitig setzte in den Naturwissenschaften eine zweite Welle der Veranschaulichung ein. Dafür wurden Begriffe wie Bild, Illustration, Vorstellung, Analogie, usw. verwendet. 1855 wollte der Schotte James Clerk Maxwell ein "geometrical model" der physikalischen Kräfte geben (Peter Michael Harman 1987; 1998).

 

Im Deutschen taucht der Begriff "Modell" in der Physik erst 1879, im Todesjahr Maxwells, mit den Übersetzung von "Matter and Motion" (1976) auf.

Der deutsche Physiker Heinrich Hertz brachte dann 1894 den Modellbegriff explizit in die deutsche Fachsprache der Naturwissenschaft ein.

 

Zwei Arten von Illustration bei Maxwell

 

Der Begriff "Analogie" wurde vom 24jährigen Maxwell in seinen 1855-56 gehaltenen Vorlesungen "über Faraday's Kraftlinien" als Fachbegriff in die Physik eingeführt:

"Unter einer physikalischen Analogie verstehe ich jene teilweise Ähnlichkeit zwischen den Gesetzen eines Erscheinungsgebietes mit denen eines andern, welche bewirkt, dass jedes das andere illustriert." Da z. B. der Bereich der Mechanik, samt Gravitation und Hydrodynamik, sehr anschaulich ist, kann man seine Gesetze zur Illustration von Erscheinungen in allen anderen Bereichen verwenden, und zwar, wie Maxwell bezüglich der Elektrizität betont, "ohne irgendwelche Annahmen über die physikalische Natur der Elektrizität zu machen" (Maxwell 1895, 4 und 9; vgl. Edmund Taylor Whittaker 1910; Joseph Turner 1955-56; Alan Chalmers 1973; 1986; Nancy J. Nersessian 1984; Walter Kaiser, 1989).

 

Nun gibt es aber noch eine andere Art von Illustration. Zur Erklärung der elektromagnetischen Erscheinungen hat Maxwell eine "Theorie der Molekularwirbel" (1861-62) entwickelt. Es handelt sich dabei aber bloss um ein gedachtes Bild. Kernpunkt ist das "Medium", in welchem sich diese Wirbel wie Räder in einem Mechanismus drehen. Damit sich diese gleichsinnig drehen, braucht es "Zwischenräder". Also macht Maxwell "die Annahme, dass sich eine Lage von Teilchen zwischen je zwei Wirbeln befindet, welche wie Frictionsrollen wirken".

Selbstkritisch bemerkt er allerdings: Die "Vorstellung" von Friktionsteilchen "mag einigermassen unbefriedigend scheinen. Ich will sie nicht als die richtige Ansicht über das, was in der Natur existiert ... angesehen wissen. Diese Art der Verbindung ist jedoch mechanisch denkbar, leicht zu untersuchen und geeignet, die wirklichen mechanischen Beziehungen zwischen den bekannten elektromagnetischen Erscheinungen darzustellen" (1898, 25, 35, 50).

Maxwell hat also, in seinen eigenen Worten, einzig gezeigt, "in welcher Weise die elektromagnetischen Erscheinungen durch die Fiction eines Systems von Molekularwirbeln nachgeahmt werden können" (52).

 

Reale Veranschaulichung der "gedachten Bilder" durch Apparate

 

Doch damit nicht genug. Diese gedachten mechanischen Bilder reizten zu einer dreidimensionalen, also plastischen Darstellung. Vorangegangen sein soll hier Maxwell selber in den 1870er Jahren. Er löste damit eine richtige Manie aus (H. A. Lorentz 1904; Leo Graetz 1908; Rudolf Seeliger 1948: Max Jammer 1965; Suzanne Bachelard 1979). Als Apparatebauer taten sich insbesondere der Engländer Oliver Lodge (der sich später auch der Untersuchung parapsychologischer Phänomene widmete) und der Ire George Francis Fitzgerald (Bruce J. Hunt 1987) hervor.

 

Im Herbst 1892 führte die Deutsche Mathematiker-Vereinigung in München eine Ausstellung durch. Der umfangreichen "Katalog mathematischer und mathematisch-physikalischer Modelle, Apparate und Instrumente" (hrsg. von Walther Dyck 1892) erschien mit einem Vorwort von Ludwig Boltzmann und gibt eine Beschreibungen der abenteuerlichsten Modelle aus England, Norwegen und Deutschland.

 

Schon im nächsten Jahr machte sich der französische Physiker Pierre Duhem (1893) in einem Aufsatz über die Bemühungen seiner "englischen" Kollegen, insbesondere des Schotten William Thomson, lustig (Armand Lowinger 1941; Stanley L. Jaki 1984; Russell Niall Dickson Martin 1991). Er brachte eine auf 70 Seiten erweiterte Fassung davon als 4. Kapitel in seinem legendären Werk "La théorie physique - son objet et sa structure" (1906): "So bedeutet für die Physiker der englischen Schule ein physikalisches Phänomen verstehen so viel wie ein Modell zusammenstellen können, das dieses Phänomen nachahmt" (90).

 

Wesentlich verständnisvoller für diese Bemühungen zeigte sich der österreichische Physiker Paul Ehrenfest in einem Nachruf auf seinen Lehrer Ludwig Boltzmann (1906).

 

Wie sehr suchte William Thomson (Lord Kelvin) nach Modellen?

 

Generationen von Wissenschaftshistorikern und -theoretikern haben folgende Sätze von Sir William Thomson, später Lord Kelvin, zitiert:

"I never satisfy myself until I can make a mechanical model of a thing. If I can make a mechanical model, I can understand it. As long as I cannot make a mechanical model all the way through I cannot understand; and that is why I cannot get the electro-magnetic theory… I can get a model in plain dynamics, I cannot in electro-magnetics."

 

Diese Sätze stammen vom Anfang der letzten der 20 Vorlesungen, die Thomson im Oktober 1884 an der Johns Hopkins Universität in Baltimore gehalten hat. A. S. Hathaway machte davon eine stenographische Niederschrift. Davon erschien im Dezember desselben Jahres ein "papyrograph volume". Die sofort von Thomson in Angriff genommene Revision der Texte nahm fast 20 Jahre in Anspruch.

Erst im Jahre 1904 erschien die Buchausgabe der "Baltimore Lectures on Molecular Dynamics and the Wave Theory of Light". Mehrere Vorlesungen hatte er mittlerweile ergänzt, Nummern 16-20 in den Jahren 1901-03 völlig neu geschrieben. Daher fehlen die oben zitierten Sätze.

Man kann sich also fragen, ob es fair war, über Jahrzehnte die stenographischen Notizen zu zitieren und die gedruckte Version von 1904 zu verleugnen. Die völlig unbeachtet gebliebene deutsche Übersetzung erschien 1909 in Leipzig.

 

Die 20 Vorlesungen wurden erst 1987 von Robert Kargon und Peter Achinstein "in their original form" herausgegeben. Hier finden sich die zitierten Sätze auf Seite 206.

Einen umfangreichen Briefwechsel mit Hermann von Helmholtz hat Herbert Hörz (2000) herausgegeben.

 

Veranschaulichung auch in Chemie und Mathematik, Medizin und Psychologie

 

Ursula Klein (1999, 153-164) beschreibt, wie die Chemiker Justus Liebig und Jean Dumas in den Jahren 1832-1840 "Modelle" bauten; sie versteht darunter Formeln auf dem Papier und bezeichnet sie als „paper tools“.

Archibald Couper, ein Schotte, führte 1858 die graphische Darstellung durch die Strukturformel mit den Valenzstrichen ein. Der deutsche Chemiker August Kekulé baute zur selben Zeit (ab 1857) "aus einem unwiderstehlichen Bedürfnis nach Anschaulichkeit" aus Kugeln und Drähten dreidimensionale Atom- und Molekülmodelle (H. A. Staab, 1958; Leopold Horner 1965, 240; Christoph Meinel, 2004, 259).

 

Ebenfalls zu dieser Zeit wandten sich viele Mathematiker, darunter Julius Plücker und Ernst Eduard Kummer, der plastischen Modellierung komplizierter mathematischer und geometrischer Kurven und Körper zu (Karl Fink 1890). Gerd Fischer (1986) hat zwei rechhaltige Bildbände davon herausgegeben.

Seit 1875 bauten Felix Klein und Alexander Brill an der Technischen Hochschule München eine grosse Sammlung mathematischer Modelle auf. Bis1884 entstanden über 100 Modelle aus Holz oder Gips. Sie gingen um 1900 in die Hände von Martin Schilling über. Dessen „Catalog mathematischer Modelle“ verzeichnete 1903 etwa 300 Objekte.

 

Kataloge von Sammlungen mathematischer resp. geometrischer Modelle gibt es nicht nur von Walther Dyck (1892), Martin Schilling (1903) und Gerd Fischer (1986). Ebenfalls über Sammlungen berichteten oder stellten Kataloge zusammen: Benjamin Pike (1848), Ferdinand Engel (1854), James W. Queen, S. L. Fox (1859), William Ladd (1868), H. Smith (1876), Alexander Brill (1889), E. M. Horsburgh (1914), Arnold Emch (1921, 1927), George W. Cussons (1929-1973), David Hilbert, Stephan Cohn-Vossen (1932), Hugo Steinhaus (1938), Henry Martyn Cundy, Arthur Percy Rollett (1951), P. A. Kidwell (1996) und Herbert Mehrtens (2004).

 

siehe auch: Literatur: mathematische Modelle

 

Einem vielfach aufgelegten Lehrbuch der Physiologie von 1876 (Michael Foster, J. N. Langley) ist zu entnehmen, dass auch in diesem Bereich versucht wurde, mit Gummischläuchen, Glasverbindungen, Handpumpen und Druckmessern die Prinzipien der Blutzirkulation zu veranschaulichen.

Von dreidimensionalen Gehirnmodellen aus Drähten und Schnüren oder Kork, Papier und Wachs berichtet bereits 1891 Henry H. Donaldson. Er beschreibt unter anderem diejenigen von Charles Aeby, Sigmund Exner, Ludwig Fick und Adolph Ziegler. Der französische Physiologe Louis Thomas Jérome Auzoux hatte bereits seit 1822 anatomische Modelle des ganzen Menschen und von einzelnen Körperteilen und Organen aus preisgünstiger Papiermaché hergestellt. Sie wurden das ganze jahrhundert verwendet.

 

Die Psychologie benützte seit Wilhelm Wundt (um 1880) für den Unterricht zwei- und dreidimensionale Demonstrationsmodelle (Hugo Münsterberg, 1893; Edmund C. Sanford, 1893; Edward Bradford Titchener, 1903; Christian A. Ruckmich, 1916). 1923 beschrieben Edwin Garrigues Boring und Titchener Modelle aus Karton und Holz zur Demonstration von insgesamt 360 Gesichtsausdrücken mit vielen Zeichnungen. Sieben Jahre später baute Joy Paul Guilford mit William E. Walton ein neues Modell, das Gesichtsausdrücke frontal zeigte.

 

 

1800-1916: Auseinandersetzung mit dem symbolischen Erfassen, mit Bildern und Vorstellungen, Zeichen und Fiktionen, Nachbildungen und Scheinbildern

 

Unbewusste Vorstellungen und Vorstellungsdynamik

 

Vielfach inspiriert von Fichte (Jakob Barion 1929; Jürgen Stolzenberg 1986) wimmelt es seit Anfang des 19. Jahrhunderts nur so von theoretischen Erörterungen und praktischen Untersuchungen einerseits zum Thema Vorstellung resp. Imagination, anderseits zur Intuition (Josef König 1926) resp. intellektuellen oder produktiven Anschauung.

 

"Unbewusste" Vorstellungen hatte schon Cudworth (1678) postuliert. Einige Berühmtheit erlangten die "petites perceptions" bei Leibniz (1704). Nach Fichte (1794) erzeugt das Ich durch seine unbewusste Tätigkeit, die produktive Einbildungskraft, die Vorstellungswelt.

 

Seither hat fast jeder Philosoph und Psychologe " unbewusste" Dispositionen oder Tätigkeiten angenommen. Doch erst der Arzt Carl Gustav Carus führte in seinem Buch ""Psyche" (1846) die beiden Termini "unbewusst" und "das Unbewusste" in die psychologische Fachsprache ein. Er meinte: "Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewussten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewusstseins."

Der Schriftsteller Eduard von Hartmann popularisierte diese Terminologie in seiner "Philosophie des Unbewussten" (1869), und er verpflanzte die Intuition aus den intellektuellen Höhen in die Tiefen des Unbewussten.

 

Auf der rationalen Ebene ist die Vorstellungsmechanik, besser Vorstellungsdynamik, des Pädagogen, Philosophen und Psychologen Johann Friedrich Herbart (seit 1816) anzusiedeln. Sie ist ziemlich bekannt geworden (Matthias Heesch 1999).

 

Ähnlich bekannt wurde die Intentionalität: Nach Franz Brentano (1874) haben die psychischen Akte ein "intentionales Objekt". Edmund Husserl (1900) sprach hierauf von der "intentionalen Einheit" als dem gemeinten identischen Inhalt einer Bedeutung.

 

Imagination in der Naturwissenschaft

 

Eine Rarität blieb eine Übersetzung aus dem Holländischen: "Forschung und Phantasie" von Jacobus Geel (1838).

Ebenfalls ohne Beachtung blieben die Untersuchungen von Ernest Royer (1867), John Tyndall (1870), Joseph-Florentin Bonnel (1890) und Charles-Ernest Adam (1890) über die "imagination" in den exakten Wissenschaften.

 

1852-1883: Begründung der modernen Psychologie

 

Gerade zur Zeit als der junge Maxwell seine Erkenntnisse zu den Kraftlinien zu Papier brachte, wurde die moderne, d h. experimentelle und messende Psychologie begründet. Beteiligt waren vor allem studierte Mediziner, auch wenn sie später Lehrstühle für Philosophie oder Physik erhielten. Häufig beriefen sie sich auf Kant und modifizierten seine Thesen.

 

Wichtig wurden die sinnesphysiologischen Forschungen und die erkenntnistheoretischen Folgerungen daraus.

siehe: 1850-1900: Begründung der modernen Psychologie

 

Kaum Beachtung fanden die psychologischen Untersuchungen der "imagination" durch Narcisse Michot (1876) in Nancy und durch Henri Joly (1877). Erst der Essay von Théodule Ribot über "L'imagination créatrice" (1900) errang weitherum Ansehen.

 

Wilfrid Lay beschrieb in seiner Dissertation an der Columbia Universität in New York Ende des Jahrhunderts (1898), was die Erforschung der "mental imagery" bislang gebracht hatte.

 

Charles Sanders Peirce, Hans Vaihinger und Nikolai Alekseevich Umov

 

Bereits in seinen frühen Aufsätzen von 1868 hat der Begründer des Pragmatismus, Charles Sanders Peirce († 1914), die Ansätze seiner Zeichentheorie entwickelt (Virgil C. Aldrich 1932; Arthur Walter Burks 1949; Elisabeth Walther 1962, 1989; Douglas Greenlee 1964). Er hat mehrfach bekannt, dass er an Duns Scotus anknüpfe.

Die Dreiheit Ikon, Index und Symbol hat er 1893 entwickelt und 1902/03 verfeinert. Leider konnte Mechtild Keiner in ihrer Dissertation dazu (1978) noch nicht auf alle als Mikrofilm verfügbaren Manuskripte von Peirce zurückgreifen.

 

Zu seinen Lebzeiten publiziert wurden nur drei Hinweise im zweiten Band des "Dictionary of Philosophy and Psychology" (1902). Erst Anfang der 30er Jahre wurden in den "Collected Papers" die Manuskripte und Briefe publiziert, beispielsweise in Band 2 die "Speculative Grammar" (2.282) und in Band 5 die "Vorlesungen über Pragmatismus" aus dem Jahre 1903 (5.73). "Semiotische Schriften" nach weiteren Manuskripten publizierten Christian Kloesel und Helmut Pape 1986-1993.

 

Eine ähnliche Verzögerung erhielt die "Philosophie des Als Ob" des deutschen Philosophen Hans Vaihinger. Er hat die Schrift 1873-78 verfasst, konnte sie aber erst 1911 publizieren. Darin hat er Modelle als "schematische" Fiktionen bezeichnet (Thomas Conrad 1983; Klaus Ceynowa 1993; Andrea Wels 1997).

 

Viktor A. Stoff (1969, 42, 60-62) behauptet, dass der russischen Physiker Nikolai Alekseevich Umov (1846-1914 - Dmitrij Danilovic Gulo 1971) in seinen Werken "eine tiefgehende materialistische Analyse der Rolle der Modelle in der wissenschaftlichen Erkenntnis" geboten hat.

 

Ernst Mach

 

1883 schrieb Ernst Mach († 1916) in seinem Buch "Die Mechanik in ihrer Entwickelung" (1883, 463f - engl. 1893): "Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche Funktion, wie gewisse mathematische Hülfsvorstellungen, sie ist ein mathematisches Modell zur Darstellung der Thatsachen."

Wie geht das genau? Mach sah einen stufenweisen Vorgang der Naturwissenschaft. "Sind einmal alle wichtigen Thatsachen einer Naturwissenschaft durch Beobachtung festgestellt, so beginnt für diese Wissenschaft eine neue Periode, die deductive... Es gelingt dann, die Thatsachen in Gedanken nachzubilden, ohne die Beobachtung fortwährend zu Hülfe zu rufen" (369).

Ferner: "Die Abbildung der Thatsachen in Gedanken, oder die Anpassung der Gedanken an die Thatsachen ermöglicht dem Denken, nur teilweise beobachtbare Thatsachen gedanklich zu ergänzen, soweit die Ergänzung durch den beobachteten Teil bestimmt ist."

Also: "Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung und Vorbildung von Thatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind als die Erfahrung selbst, und dieselbe in mancher Beziehung vertreten können" (452). Zu beachten ist aber stets: "Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach, sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervorgewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Abstractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer Zug aus" (454). Kurz: Ein Modell liefert die übersichtliche Darstellung funktionaler Abhängigkeiten und Zusammenhänge von Tatsachen.

 

Heinrich Hertz

 

Elf Jahre später hat der frühverstorbene Heinrich Hertz (Charles Susskind 1995; Albrecht Fölsing 1997; Davis Baird et al. 1998) in den unmittelbar nach seinem Tod erschienenen "Prinzipien der Mechanik" (1894 - engl. 1956) darauf zurückgegriffen, wenn auch mit etwas andern Begriffen.

 

Er meint: "Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äusseren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände."

Und: "Verschiedene Bilder derselben Gegenstände sind möglich, und diese Bilder können sich nach verschiedenen Richtungen unterscheiden" (1894, 1 u. 2).

Können wir demnach mehrere zulässige und richtige Bilder derselben Sache haben, so müssen wir nach Nützlichkeit und Zweckmässigkeit auswählen. "Von zwei Bildern des selben Gegenstandes wird dasjenige das zweckmässigere sein, welches mehr wesentliche Beziehungen des Gegenstandes widerspiegelt als das andere; welches, wie wir sagen wollen, das deutlichere sei. Bei gleicher Deutlichkeit wird von zwei Bildern dasjenige zweckmässiger sein, welches neben den wesentlichen Zügen die geringere Zahl überflüssiger und leerer Beziehungen enthält, welches also das einfachere ist."

Warum ist dieses Unterfangen nützlich? Hertz meint: "Es ist die nächste und im gewissen Sinne wichtigste Aufgabe unserer bewussten Naturerkenntnis, dass sie uns befähige, zukünftige Erfahrungen vorauszusehen, um nach dieser Voraussicht unser gegenwärtiges Handeln einrichten zu können" (1 - dazu Jerrold L. Aronson et al. 1994, 85-87).

 

Im Kapitel "Dynamische Modelle" (197-199) schlägt dann Hertz den Bogen zum Modellbegriff, den er spezifischer als bisher verwendet. "Das Verhältnis eines dynamischen Modells zu dem System, als dessen Modell es betrachtet wird, ist dasselbe, wie das Verhältnis der Bilder, welche sich unser Geist von den Dingen bildet, zu diesen Dingen. Betrachten wir nämlich den Zustand des Modells als eine Abbildung des Zustandes des Systems, so sind die Folgen der Abbildung, welche nach den Gesetzen dieser Abbildung eintreten müssen, zugleich die Abbildung der Folgen, welche sich an dem ursprünglichen Gegenstand nach den Gesetzen dieses ursprünglichen Gegenstandes entwickeln müssen.

Die Übereinstimmung zwischen Geist und Natur lässt sich also vergleichen mit der Übereinstimmung zwischen zwei Systemen, welche Modelle voneinander sind, und wir können uns sogar Rechenschaft ablegen von jener Übereinstimmung, wenn wir annehmen wollen, dass der Geist die Fähigkeit habe, wirkliche dynamische Modelle der Dinge zu bilden und mit ihnen zu arbeiten" (199).

 

Henri Poincaré

 

Einen nachhaltigen Einfluss auf die Wissenschaftsauffassungen hatte der französische Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré († 1912) mit seiner Trilogie über die Grundfragen der Wissenschaft (1902-08). Viele seiner Bücher gingen auf Vorlesungen zurück, die er sei 1883 in Paris vor allem über Anwendungen der Mathematik in Physik und Astronomie hielt. Vermutlich weil er ursprünglich als Ingenieur ausgebildet war, berücksichtigte er auch die praktischen Probleme und Bedürfnisse der Forscher (Tobias Dantzig 1954; Jerzy Giedymin 1982; Corinna Mette 1985).

Es waren weniger die Philosophen als die Naturwissenschafter, welche seine Ansichten aufgenommen haben.

 

Theorie und Hypothese müssen auseinandergehalten werden

 

Wie kaum ein anderer hat Poincaré Theorie und Hypothese scharf auseinandergehalten. Schon Vaihinger hat herausgearbeitet, dass manche Hypothese eigentliche nur eine "Fiktion" ist. Mach hat die (geistige) Ökonomie der "Nachbildungen" beschreiben, Hertz diejenige der "Scheinbilder".

Whewell (1840) hat dagegen die Theorie mit "Fact" in Verbindung gebracht. Es sind reziproke Begriffe: A "Fact is a familiar Theory" und umgekehrt: "A true Theory is a Fact".

Theorien beruhen nach Poincaré auf drei Arten von Hypothesen: natürliche (z. B. "dass die Wirkung eine stetige Funktion ihrer Ursache ist"), indifferente (z. B. Metaphern) sowie "die wirklichen Verallgemeinerungen".

Hypothesen sind meist "vorläufige Annahmen"; manche Modelle gehören dazu.

Theorien dagegen erheben oft Erklärungswert oder den Anspruch, Wahres, Gültiges oder Nützliches über die Realität auszusagen - und stellen sich doch immer wieder als falsch heraus.

Wenn zwischen zwei Theorien ein Widerspruch liegt, dann liegt er " in den Bildern..., deren wir uns an Stelle der wirkliche Objekte bedient haben", meint Poincaré.

 

Wissenschaft beruht auf Übereinkommen (Konventionen)

 

Poincaré gilt als Begründer des Konventionalismus:

·        Die Mathematik ist eine auf stillschweigenden denkerischen Übereinkünften beruhende Schöpfung des Geistes, das heisst ein willkürlich gesetztes Zeichensystem zu Darstellung realer Beziehungen.

·        Ebenso sind die Prinzipien der Physik freie Annahmen des Geistes: nicht wahr oder falsch, sondern bequem, gemäss den Erfahrungen, an denen sie entwickelt wurden.

Diese Übereinkommen sind aber nicht willkürlich, sondern sie beruhen auf Annahmen (Hypothesen), die von Experimenten herkommen. Denn: "Das Experiment ist die einzige Quelle der Wahrheit." Ein gutes Experiment ist ein solches, das uns erlaubt zu verallgemeinern.

 

Hypothesen müssen verifiziert oder falsifiziert werden

 

Und nun kommt die Kreativität ins Spiel.

Kreativität ist auch für die Wissenschaft von höchster Bedeutung. Über dreissig Jahre vor Karl Raimund Popper ("Logik der Forschung" 1935) hat Poincaré (1902) festgehalten, dass der Fortschritt der Wissenschaft nicht durch Verifikation (Bestätigung), sondern durch Falsifikation erfolgt.

Die zugrundeliegende Überlegung ist einfach: Wissenschaft beruht auf Verallgemeinerungen von experimentell ermittelten Tatsachen. «Jede Verallgemeinerung ist eine Hypothese», und sie «muss immer sobald als möglich und so oft als möglich der Verifikation unterworfen werden; es ist selbstverständlich, dass man sie ohne Hintergedanken aufgeben muss, sobald sie diese Prüfung nicht besteht».

Und genau dies ist nach Poincaré «eine unverhoffte Gelegenheit zu einer Entdeckung». Eine umgestossene Hypothese gibt Anlass zu neuen Experimenten. Hätte man diese nur zufällig gemacht, hätte man keine Schlüsse daraus gezogen.

 

"Ebenen" von Modellen in Mathematik und Naturwissenschaften (Abb. 2)

 

Wenn wir die Bemühungen der Mathematiker und Naturwissenschafter des 19. Jahrhunderts zusammenfassen wollen, empfiehlt es sich, sechs "Ebenen" ihres Zugangs zu den Sachen zu unterscheiden:

 

1.      Als Ausgangspunkt oder "Objekte" mögen dienen: einerseits mathematische Ideen oder Idealgebilde, anderseits die "Realität", also physikalische und chemische Objekte und Vorgänge.

2.      Der Bereich der Gleichungen und Formeln, Gesetze und Axiome, welche bezüglich der Erscheinungen und Strukturen der ersten Ebene aufgestellt werden.

3.      Die Ebene der "gedachten Bilder" oder hypothetischen Konstruktionen.

4.      Diese "Bilder" können als graphische Darstellungen zu Papier gebracht werden.

5.      Die Ebene der dreidimensionalen, materiellen Veranschaulichung dieser "Bilder".

6.      Die Ebene der Theorien.

 

Leider haben viele namhafte Physiker für grosse Verwirrung gesorgt, weil sie sowohl Gebilde der Ebene 2 (z. B. Axiome oder aber Analogien) als auch Gebilde der Ebenen 3 und 6 als "Modell bezeichnet haben.

Allen voran hierin ging kein Geringerer als Ludwig Boltzmann in seinen Schriften über Maxwells Theorie (1891-93), einem Aufsatz im Modellkatalog (Walther Dyck 1892), in den beiden von ihm auf Deutsch herausgegebenen frühen Vorlesungen von Maxwell (1985; 1898) sowie in seinem Beitrag in der "Encyclopaedia Britannica" (1902). Dazu kommen seine populären (1905) und seine wissenschaftlichen (1909) Schriften (Engelbert Broda 1955; Martin Vincent Curd 1978; Wolfgang Stiller 1989; John Blackmore 1995).

 

Muss denn alles "Modell" sein?

 

Die Frage ist unausweichlich: Muss denn alles "Modell" sein?

Gerade in der Wissenschaft sind die Auseinandersetzungen immer noch offen, ob etwa Axiomensysteme, mathematische und physikalische Formeln und Gesetze resp. Tatsachen oder Daten einerseits, Theorien anderseits als Modelle bezeichnet werden sollen.

In seinem Vortrag an der Zürcher Modell-Konferenz im Oktober 2000 präzisierte Daniel M. Hausman: "What Suppes, Sneed, Stegmüller and Giere call a 'theory', I shall call a 'model'" (2000, 46).

 

Man kann noch weiter gehen und fragen, ob jeder Begriff oder jeder Gedanke, jedes Zeichen oder jedes Symbol schon ein Modell sei, ja, ob jede Abstraktion, jede Abbildung, ob auch schon jede Aussage, ja die Sprache überhaupt ein Modell sei.

 

 

Die Frage nach der Realität

 

Was ist "Realität"?

 

Eine weitere Grundfrage betrifft die Realität überhaupt (Ebene 1). Ist sie Original oder Fiktion, etwas "an sich", blosse Illusion oder Projektion, Schein oder Erscheinung, Nachbildung (z. B. "eikon") des idealen Seins oder einer himmlischen Idee, ein Traum Gottes oder eine pragmatische Konvention, ein Epiphänomen der Gehirntätigkeit oder eine soziale Konstruktion, usw.?

 

Oder: Wie entsteht Realität? Ist sie schon immer da ("gegeben"), entsteht sie in der Interaktion des Beobachters mit "Daten" und "Fakten" oder liegt sie nur im Kopf eines Lebewesens? Wächst sie in Beschreibungen und Behauptungen heran oder harrt sie immer neuer Entdeckung und Entfaltung?

 

Die wichtigsten philosophischen Strömungen um 1900

 

Schon Ludwig Boltzmann hatte sich 1897 in einem Vortrag "Über die Frage nach der objectiven Existenz der Vorgänge in der unbelebten Natur" (in: Populäre Schriften 1905) ausgelassen.

Im Jahre 1912 führte die Société française de physique eine Tagung zum Thema "Les Idées modernes sur la constitution de la matière" durch (Edmond Bauer et al. 1913).

 

Von den grossen philosophischen Strömungen um die Jahrhundertwende sind zur Beantwortung dieser Fragen wichtig:

·        Kritischer Realismus (Külpe, Volkelt), in der Nachfolge von Fechner und Lotze

·        Neukantianismus (Windelband und Rickert; Cohen und Natorp), in der Nachfolge von Friedrich Albert Lange (1866)

·        Humanismus (F. C. S. Schiller 1903) und Instrumentalismus (Dewey 1903) als extreme Formen des von Peirce (1877) und James (1897) begründeten Pragmatismus

·        Phänomenologie (Husserl 1900), welche den Intentionalismus von Franz Brentano (1874) fortsetzt

·        Analytische Philosophie (Russell 1905, Whitehead) und Neurealismus (G. E. Moore 1903, C. D. Broad 1914)

·        Idealismus in unzähligen Varianten als Aktivismus (Eucken), Aktualismus (Croce und Gentile; Alexander; Collingwood), Mathematismus (Brunschvicg), Neospiritualismus (Boutroux), Ontologie (Bosanquet, Bradley, McTaggart) oder Personalismus (Royce)

 

1870-1926: Naturphilosophie und Philosophie der Wissenschaften

 

Die ganze Palette der Möglichkeiten eröffnen folgende Schriften deutschsprachiger Philosophen:

·        Emil Du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens (1872; 11. Aufl. 1916; Reprints 1961 und 1967)

·        Otto Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit (1876; 4. Aufl. 1911)

·        Gustav Teichmüller: Die wirkliche und die scheinbare Welt (1882)

·        Fritz Schultze: Philosophie der Naturwissenschaft. Eine philosophische Einleitung in das Studium der Natur und ihrer Wissenschaften (1881-1882)

·        Wilhelm Schuppe: Grundriss der Erkenntnistheorie und Logik (1884, 2. Aufl. 1910)

·        Eduard Zeller: Über die Gründe unseres Glaubens an die Realität der Aussenwelt (1884)

·        Otto Liebmann: Die Klimax der Theorieen (1884; Reprint 1914)

·        Richard Avenarius: Kritik der reinen Erfahrung (1888-90, 3. Aufl. 1921)

·        Adolf Lasson: Vorbemerkungen zur Erkenntnistheorie (1889)

·        Heinrich Rickert: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung (1896; 5. Aufl. 1929)

·        Ernst Haeckel: Die Welträtsel - gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie (1899, 11. Aufl. 1919, Reprints bis 2000)

·        Wilhelm Ostwald: Vorlesungen über Naturphilosophie (1902; 1914 u. d. T.: Moderne Naturphilosophie)

·        Alexius Meinong: Über Annahmen (1902; 3. Aufl. 1928; Reprints 1970, 1977)

·        Eduard von Hartmann: Die Weltanschauung der modernen Physik (1902; 2. Aufl. 1909)

·        Hans Driesch: Naturbegriffe und Natururteile (1904)

·        Max Verworn: Prinzipienfragen in den Naturwissenschaften (1905, 2. Aufl. 1917)

·        Josef Petzold: Das Weltproblem (1906; 4. Aufl. 1924)

·        Theodor Lipps: Naturwissenschaft und Weltanschauung (1906)

·        Erich Becher: Philosophische Voraussetzungen der exakten Naturwissenschaften (1907)

·        Rudolf Eisler: Einführung in die Erkenntnistheorie (1907, 2. Aufl. 1925)

·        Eberhard Dennert: Die Weltanschauung des modernen Naturforschers (1907; 2. Aufl. 1911)

·        Benno Erdmann: Die Funktionen der Phantasie im wissenschaftlichen Denken (1907; Neudruck 1913)

·        Leonard Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem (1908; 2. Aufl. 1930)

·        Oswald Külpe: Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft (1910)

·        Paul Natorp: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften (1910, 2. Aufl. 1921, Reprints 1969, 1981)

·        Bruno Bauch: Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften (1911)

·        Hugo Dingler: Die Grundlagen der Naturphilosophie (1913; Reprint 1967)

·        Bernhard Bavink: Ergebnisse und Problem der Naturwissenschaften (1914, 3. Aufl. 1924, 10. Aufl. 1954)

·        Theodor Ziehen: Grundlagen der Naturphilosophie (1922)

·        Wilhelm Sauer: Grundlagen der Wissenschaft und der Wissenschaften (1926)

·        Rudolf Carnap: Physikalische Begriffsbildung (1926, Reprint 1966).

 

In anderen Sprachen wichtig sind:

·        Thomas Squire Barrett: A new view of causation (1871; 2. Aufl. u. d. T.: The philosophy of science 1872)

·        William Stanley Jevons: The Principles of Science (1874; mehrer Aufl. bis 1907)

·        Karl Pearson: The Grammar of Science (1892)

·        Francelin Martin: La perception extérieure et la science positive (1894)

·        Eduard Le Roy: Science et philosophie (1899/1900)

·        Federigo Enriques: Problemi della scienza (1906).

 

Ontologie

 

Schon 1912 rätselte Max Frischeisen-Köhler über "Wissenschaft und Wirklichkeit".

Hans Driesch verfasste eine "Wirklichkeitslehre" (1917, 3. Aufl. 1930), Hedwig Conrad-Martius legte 1924 eine "Realontologie" vor, Günther Jacobi 1925 eine "Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit" (2. Aufl. 1993), Heinrich Maier 1926 eine "Philosophie der Wirklichkeit" und Nicolai Hartmann 1935 eine "Grundlegung der Ontologie" (4. Aufl. 1965) vor.

 

Eino Kaila stellte ein mehrstufiges "System der Wirklichkeitsbegriffe" (1936) auf, ergänzte es mit einer Untersuchung "Über den physikalischen Realitätsbegriff" (1941) und schloss eine "Metatheorie der Quantenmechanik" (1950) an.

 

Extreme Positionen vertraten Bertrand Russell (1914), Rudolf Carnap (1928) und der junge Alfred Jules Ayer (1936). Der frühverstorbene Benjamin Lee Whorf zog in seinen linguistischen Betrachtungen 1936-42 (erschienen unter dem Titel: Language, Thought and Reality. 1956) unter anderem die Hopi-Indianer und die indische Philosophie zum Vergleich bei.

 

Auch die Physiker philosophierten

 

Von Seiten der Physiker machten sich über die Realität Gedanken:

·        Max Planck: Die Einheit des physikalischen Weltbildes (1909), Das Weltbild der neuen Physik (1929; 16. Aufl. 1967), Positivismus und reale Aussenwelt (1931) und: Wege zur physikalischen Erkenntnis (1933; 4. Aufl. 1944; 5. Aufl. u. d. T.: Vorträge und Erinnerungen 1949, zahlreiche Aufl. bis 1983)

·        Max von Laue: Das physikalische Weltbild (1921), Geschichte der Physik (1946; 4. Aufl. 1966)

·        Sir Arthur Stanley Eddington: The nature of the physical world (1928, mehrere Reprints bis 1958; dt.: Das Weltbild der Physik, und ein Versuch seiner philosophischen Deutung. 1931, 2. Aufl. 1939); The philosophy of physical science (1939, mehrerem Aufl. bis 1978; dt.: Philosophie der Naturwissenschaft 1939, 1949, 1952)

·        Niels Bohr: Atomtheorie und Naturbeschreibung (1931; engl.: Atomic theory and the description of nature 1934; mehrere Aufl. bis Reprint 1987), fortgesetzt in: Atomphysik und menschliche Erkenntnis (1958, Neuausgabe 1985; engl. Atomic Physics and Human Knowledge 1958, 1961; Reprint 1987) und: Über Erkenntnisfragen der Quantenphysik (7 Seiten 1959)

·        James Jeans: The new background of science (1933, 2. Aufl. 1934, Reprint 1959; dt.: Die neuen Grundlagen der Naturerkenntnis. 1933, 2. Aufl. 1934), Physics and Philosophy (1942, 1958, 1981; dt.: Physik und Philosophie. 1944; erneut 1951).

·        Fritz Zwicky: On the Principle of the Flexibility of Scientific Truth (1934)

·        Albert Einstein: Mein Weltbild (1934; erweitert 1953, 26. ed.1998; engl.: The world as I see it 1934; Reprints 1979, 1999; nach der dt. Aufl. von 1953 engl.: Ideas and Opinions 1954, letzte Aufl. 1995)

·        Werner Heisenberg: Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft (1935; 3. erw. Aufl. 1942; 11. Aufl. 1980), Das Naturbild der heutigen Physik (1955, bis 1979) und: Physics and Philosophy (1958, Reprint 1999; dt.: Physik und Philosophie 1959; 6. Aufl. 2000)

·        Pascual Jordan: Die Physik des 20. Jahrhunderts - Einführung in den Gedankeninhalt der modernen Physik (1936; 9. Aufl. 1956 u. d. T.: Atom und Weltall), Das Bild der modernen Physik (1947, 1957)

·        Ernest Rutherford: The newer alchemy (1937), Science in development (1937)

·        Louis de Broglie: Matière et lumière (1937; dt.: Licht und Materie 1939, 7. Aufl. 1949; als TB 1958), Physique et microphysique (1947; dt.: Physik und Mikrophysik 1950)

·        George Gamow: Mr. Tompkins in Wonderland (1939; dt.: Mr. Tompkins im Wunderland 1954); Mr. Tompkins explores the atom (1944); beide zusammen in: Mr. Tompkins in paperback (1965; dt.: Mister Tompkins seltsame Reisen durch Kosmos und Mikrokosmos 1980; zahlreiche Reprints)

·        Max Born: Experiment and theory in physics (1943; erneut 1956; dt.: Experiment und Theorie in der Physik 1969); Natural Philosophy of cause and chance (1949; Reprint 1964), Physics in my generation (1956, 2. Aufl. 1969; dt.: Physik im Wandel meiner Zeit 1957; 4. Aufl. 1966; Reprint 1983), Der Realitätsbegriff in der Physik (1958) und: Von der Verantwortung des Naturwissenschaftlers 1965

·        Carl Friedrich von Weizsäcker: Zum Weltbild der Physik (1943; 13. Aufl. 1990)

·        Erwin Schrödinger: Der Geist der Naturwissenschaft (Eranos-Vortrag 1946), Was ist wirklich? (1960; in: Meine Weltansicht 1961, 1963)

·        Henry Margenau: The nature of physical reality (1950; Reprint 1977)

·        Gerald Holton: Introduction to Concepts and Theories in Physical Science (1952, 2. Aufl. 1973) und: Scientific Imagination (1978; erneut 1998)

 

How real is real?

 

Weitere Hinweise findet sich bei Justus Schwarz (1947), Willard Van Orman Quine (1948), Max Hartmann (1948), Arthur March (1948; 1955) und Béla Juhos (1950; 1963).

 

Grundlegend sind Rom Harré (1961), J. J. C. Smart (1963), Wilfrid Sellars (1963), Peter Mittelstaedt (1963), Hans Albert (1964), Wolfgang Büchel (1965), Carl Gustav Hempel (1966), Allen Phillips Griffiths (1967), Mario August Bunge (1970), Ulric Neisser (1976) und Paul K. Feyerabend (1978). Schliesslich lohnt sich ein Hineinschauen bei Reinhardt Grossmann (1992), Renate Wahsner und Horst-Heino von Borzeszkowski (1992), Craig Dilworth (1996) sowie in die von Hans Jörg Sandkühler (1993-2003) herausgegebenen Sammelbände.

 

Eine ganz andere Sichtweise vermitteln der Bestseller von Paul Watzlawick: "How real is real?" (1976), "An Idiot's Fugitive Essays on Science" von Clive Truesdell (1984) oder "Yoriks's World" von Peter Caws (1993). Einen humorvollen Zugang bietet Bruno Latour mit "Die Hoffnung der Pandora" - besonders das 1. Kapitel: "Glaubst du an die Wirklichkeit?" (2000, 7-35).

In einem Tagungsband stellten Alexander Riegler et al. (2000) die Frage: "Does representation need reality?", und der amerikanische Philosophieprofessor und Locke-Spezialist John William Yolton versuchte es mit einem "Essay in ontology" (2000).

 

Ist die Beschreibung von Tatsachen objektiv?

 

Der "alte" Werturteilsstreit

 

Von etwa 1898 bis 1913 schwelte in der deutschen Soziologie der erste sogenannte "Werturteilsstreit". Es ging dabei um die Frage, welchen Einfluss persönliche Meinungen auf die wissenschaftliche Arbeit haben. 1904 erregten die Behauptungen des Soziologen Max Weber Aufsehen. Sie lauteten:

1.      Die Auswahl der Fragestellung ist wertend.

2.      Die Beschreibung von Tatsachen ist objektiv.

3.      Die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist wertend.

4.      Wertungen können Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnisse sein.

 

Weber postuliert Wertfreiheit nur für den Begründungszusammenhang. Im Entdeckungs- und Verwertungszusammenhang werden Wertungen dagegen als zulässig und unvermeidlich angesehen.

 

Die Gegenposition vertrat folgende Argumente:

1.      In den Sozialwissenschaften ist der Forscher Teil seines Objektbereichs und kann schon deshalb nicht neutral sein.

2.      Forschungsergebnisse können ohne zwangsläufig wertende Begriffe nicht kommuniziert werden.

 

Der "neue" Werturteilsstreit

 

Nach Vorgeplänkel in den 1950er Jahren inspiriert durch den von Ernst Topitsch herausgegebenen Sammelband "Logik der Sozialwissenschaften" (1965) flammte der Werturteilsstreit im Rahmen des sog. Positivismusstreits zwischen Vertretern der Frankfurter Schule (Adorno, Habermas) und Vertretern des kritischen Rationalismus (Popper, Albert) wieder auf. Das war vor allem eine gesellschaftspolitische Kontroverse über die Bedeutung der Sozialwissenschaften.

 

Die Frankfurter Schule forderte, Theorien müssten stets auch im Lichte der Wünschbarkeit geprüft werden. Die Kritischen Rationalisten hielten eine objektive Setzung der Wünschbarkeit für unmöglich.

 

Immerhin führte die Debatte zu einer Verdeutlichung des Objektivitätsbegriffs. Von Seiten des Kritischen Rationalismus wurde betont, dass Wertungen auch innerhalb des Begründungszusammenhangs unabdingbar seien. Wichtig sei es darum, alle Arbeitsschritte hierbei so offen zu legen, dass sie jederzeit von Dritten kritisiert werden können. Wertfreiheit entsteht dann in einem Prozess der Kritik und Gegenkritik. Objektivitätskriterium ist die "intersubjektive Nachvollziehbarkeit".

Hans Albert und Ernst Topitsch gaben 1971 den 550seitgen Wälzer "Werturteilsstreit" heraus.

 

Die Theoriebeladenheit von Beobachtungen

 

Seit Norwood Russel Hansons Schrift "Patterns of Discovery" (1958) wird von Wissenschaftstheoretiker häufiger die Frage der "Theoriebeladenheit aller Beobachtungen" diskutiert.

Die ersten Ansätze dieser Auffassung werden bei Pierre Duhem (1906) und Karl Raimund Popper (1935) ausgemacht. In Thomas S. Kuhns "Structure of Scientific Revolutions" (1962) finden sich ähnliche Behauptungen.

 Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas stellte in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung 1965 fünf Thesen auf, darunter: "Die erkenntnisleitenden Interessen bilden sich im Medium von Arbeit, Sprache und Herrschaft" (siehe auch "Erkenntnis und Interesse" 1968).

Weiter in der Diskussion führten Frederick Suppe und Ernan McMullin.

Die Gegenposition bezogen die Vertreter des sog. "Scientific Realism", beispielsweise J. J. C. Smart (1963), R. Boyd (1973) und Hilary Putnam (1975, 1981). 1994 publizierten Jerrold L. Aronson, Rom Harré und Eileen Cornell Way die kleine Schrift "Realism rescued".

 

Die Psychologie macht alles noch komplizierter

 

In der Psychologie wurde die Sache mit der Realität inzwischen noch schwieriger. Insbesondere die Fähigkeit des Menschen zur präzisen Beobachtung von Ereignissen und Sachverhalten wurde unter die Lupe genommen.

 

1903 publizierte der vielseitige deutsche Psychologe L. William Stern, der Begründer der "differentiellen" Psychologie, ein Pamphlet unter dem Titel: "Angewandte Psychologie - Beiträge zur Psychologie der Aussage" (auch 1902). Im Jahr darauf beschrieben Max Wertheimer und J. Klein die "Psychologischen Tatbestandsdiagnostik" (auch 1905). Insbesondere die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen vor Gericht wurde in Frage gestellt. Besonders von italienischen Psychiatern (Ferarri, Lombroso, Longo) wurden diese Untersuchungen sofort aufgenommen. Otto Lipmann gab 1908 einen kleinen "Grundriss der Psychologie für Juristen" heraus.

1913 fasste Karl Marbe die Ergebnisse unter dem Titel "forensische Psychologie" zusammen. 1927 gab Otto Lipmann mit einigen Kollegen den fast 600seitigen Band "Die Lüge" heraus.

 

Im Bereich der psychologischen Forschung führte Edward Chace Tolman 1932 die "intervenierende Variable" ein.

Im weiteren sprechen die Psychologen von "hypothetischen Konstrukten" (Kenneth MacCorquodale, Paul Everett Meehl 1948) und "persönlichen Konstrukten" (George Alexander Kelly 1955).

 

 

Atomvorstellungen im 20. Jahrhundert

 

Niels Bohr versucht, "die Phänomene zu retten"

 

Im Jahre 1913 stellte Niels Bohr sein legendäres Atommodell vor (Paul Kirchberger 1922; John L. Heilbron, Thomas S. Kuhn 1969; Ulrich Hoyer 1974; Arthur I. Miller 1984). Er nannte es auch gleich "atom-model", nachdem Ernest Rutherford (1911; vgl. Lawrence Badash 1987) noch zwei Jahre vorher von "atomic system" gesprochen hatte.

Beide Autoren sprachen aber auch von der "theory of the structure of atoms": Rutherford von derjenigen von Sir J. J. Thomson, Bohr von derjenigen von Prof. Rutherford.

 

Im selben Jahr sprach bereits im Deutschen Kasimir Fajans (1913) aus Karlsruhe vom "Atommodell" Rutherfords. Im nächsten Jahr übernahmen auch Rudolf Seeliger (1914) aus Charlottenburg und der Viscount Cherwell of Oxford, Frederick Alexander Lindemann (1914), diese Ausdrucksweise. Sofort sprach man auch von „atomic model“ (z. B. Gilbert N. Lewis, 1917; Alan W. C. Menzies, 1922; R. B. Lindsey, 1927).

 

In den 1920erJahren sprach Bohr von Atombau (1923 - engl. atomic structure und atomic constitution), Atomtheorie (1925), Atomistik (1927) und Atomphysik. Die Übersetzungen ins Englische resp. Deutsche sind unterschiedlich.

1920 erschienen bei der Londoner Royal Society die Baker-Vorlesungen von Ernest Rutherford "Nuclear constitution of atoms" (dt.: Über die Kernstruktur der Atome 1921).

1964 erschien in Stuttgart eine Schrift: Das Bohrsche Atommodell", 1971 legte der Physiker Gerald Holton wieder einmal "Models of the Atom" vor.

 

Brigitte Falkenburg (1997, 30) schreibt: "Das Atommodell, das Bohr innerhalb weniger Monate des Jahres 1913 konzipierte, lässt sich als Musterbeispiel einer Einführung von ad hoc-Annahmen zur Rettung der Phänomene betrachten. Die Streuexperimente, die ab 1906 in Rutherfords Labor in Manchester durchgeführt worden waren, hatten 1909 unerwartete Rückwärtsstreuung von a-Strahlen an dünner Goldfolie gezeigt, woraus Rutherford 1911 definitiv auf die Existenz einer punktförmigen positiven Zentralladung innerhalb des Atoms schloss. Nun galt es die Stabilität der Atome als Materiebestandteile zu retten.

In einem Atom, das wie eine Art Sonnensystem im Kleinen aufgebaut ist, also aus einem elektrisch positiv geladenen Kern und darum kreisenden Elektronen besteht, stürzen die Elektronen nach den Voraussagen der Maxwellschen Elektrodynamik innerhalb kürzester Zeit durch Strahlung in den Atomkern ab. Bohr 'rettete' die Elektronenbahnen im Atom, indem er sie 'einfror': er führte ad hoc eine Quantisierungsbedingung für die Elektronenenergie im Atominnern ein, die den Elektronen diskrete Energiezustände zuweist und ihnen verbietet, zu strahlen wie klassische beschleunigte Ladungen. Damit waren die Gesetze der klassischen Elektrodynamik für das Atominnere ausser Kraft gesetzt, ohne dass klar war, wie sich dieses Atommodell mit den übrigen Gesetzen der Physik verträgt." (Zur Rettung der Phänomene Jürg Mittelstrass 1961).

 

Interessant dabei ist, dass die Analogie des Sonnensystems bereits 1904 von J. J. Thomson verwendet wurde. Niels Bohr (1913, 2) nahm selbstverständlich darauf Bezug. Weniger bekannt dürfte sein, dass 1904 der Japaner Nagaoka ein "saturnisches" Modell für das Atom aufgestellt hatte: Eine zentrale anziehende Masse ist umgeben von Ringen kreisender Elektronen.

Ebenfalls weniger bekannt dürft die Bemerkung von Niels Bohr sowohl am Anfang wie am Ende seiner 25seitigen Abhandlung sein, es handle sich um eine Hypothese. Umfassend kommentieren Bohrs Philosophie Henry J. Folse (1985), Dugald Murdoch (1987), Jan Faye (1991), David Favrholdt (1992) und Sandro Petruccioli (1993).

 

Carl Friedrich von Weizsäcker unterscheidet zwischen Gesetzen und Modellen

 

25 Jahre später berichtete Carl Friedrich von Weizsäcker über "Neuere Modellvorstellungen über den Bau der Atomkerne". Das Interesse der Physiker hatte sich mittlerweile - nicht zuletzt, weil 1932 das Neutron entdeckt worden war - von der Elektronenhülle auf den Atomkern verschoben.

Dabei unterschied man nun einerseits "die Kraftgesetze, die im Kern herrschen" von den "Modellvorstellungen, die wir uns vom Zustand der Kerne bilden". Wir haben also wie schon im 19. Jahrhundert, eine Unterscheidung zwischen Gesetzen und Modellen. Wie formuliert von Weizsäcker (1938, 210)?

 

"Unter einem Modell eines Kerns verstehen wir eine mehr oder weniger bildliche Vorstellung von seinem Aufbau und Zustand, die einfach genug ist, um das Ziehen bestimmter Schlüsse auf seine Eigenschaften zu erlauben, und gleichzeitig allgemeingültig genug, um die Einordnung dieser Schlüsse in eine grössere Systematik der Kerneigenschaften zu ermöglichen. Das Modell steht also gewissermassen in der Mitte zwischen einer strengen quantenmechanischen Theorie der Kerneigenschaften und ihrer rein empirischen Zusammenfassung. Von der Erfahrung aus gesehen ist es der erste Schritt zur theoretischen Verarbeitung beobachteter Regelmässigkeiten, für die mathematische Theorie bildet es einen Hinweis auf den zweckmässigsten Ansatz einer Näherungsrechnung."

Von Weizsäcker schildert nun die drei Modelle der damaligen Zeit, das sogenannte Tröpfchenmodell und seine beiden Verfeinerungen, das Hartreesche Schalenmodell und das a-Teilchenmodell von Wefelmeier.

 

Leider gibt er, wie schon Niels Bohr, keinerlei bildliche Darstellung (vgl. aber Johann Weninger et al. 1976-78).

 

Neuere Verwendungen des Modellbegriffs in der Physik

 

Sechs schöne Beiträge zu philosophischen Problemen der Quantenmechanik hat Robert G. Colodny 1972 zusammengestellt.

Neuere Verwendungen des Modellbegriffs in der Physik finden sich unter anderem bei H. J. Groenewald (1954), Friedrich Kaulbach (1958), I. B. Novik (1965), Max Jammer (1966), Ernan McMullin (1968), Klaus Bernstein (1969), Noel Mouloud et al. (1971), Michael Redhead (1980), Nina Hager (1982), Nancy Cartwright (1983, 1999), John D. Barrow (1990), Renate Washner et al. (1992), Hans Jörg Sandkühler (1994), William E. Herfel et al. (1995) und Brigitte Falkenburg (1999).

 

An der University of London hat im Jahre 2000 Demetridis Panayiotis Portides eine Dissertation vorgelegt, welche "The case of models of the nuclear structure" genau untersucht.

 

Kritisches zur Begriffsbildung

 

Kritisch zur Begriffsbildung in der Physik äussern sich ganz unterschiedlich unter anderem Lothar von Strauss und Torney (1949), Carl Gustav Hempel (1952), Heinz R. Schierle (1958), Evert Willem Beth (1960), Friedrich Otto Sauer (1977), Rolf-Albert Weber (1978), Bernard d'Espagnat (1979), Wolfgang Balzer, Andreas Kamlah (1979), Gerig Lind (1980), Günther Ludwig (1981), Günter Skorsky (1982, Holm Tetens (1986) und August Meessen (1986).

 

1997: Gerät das "Standardmodell" ins Wanken?

 

1964 führte der Physiker Murray Gell-Mann in einem Aufsatz "Ein schematisches Modell der Baryonen und Mesonen" die Idee und den Begriff "Quark" in die Theorie der kleinsten Teilchen ein. In einem Brief 1978 an den Herausgeber des "Oxford English Dictionary" schrieb er, dass er sich bei der Namengebung, zumindest unbewusst, auf den Roman "Finnegans Wake" von James Joyce gestützt habe, in dem er seit seinem Erscheinen 1939 immer wieder geschmökert habe.

Die Sache wird heute "Standardmodell" genannt. Es handelt sich dabei allerdings eher um eine Theorie.

 

Im Februar 1997 gab es Aufruhr. In einem Zeitungsartikel war zu lesen: "Mit dem Standardmodell der Teilchenphysik stimmt möglicherweise etwas nicht. Darauf deutet ein nun drei Jahre laufendes Experiment mit dem Teilchenbeschleuniger Hera am Deutschen Elektron-Synchrotron (Desy) in Hamburg hin. Das Standardmodell erklärt, woraus die Welt gebaut ist und was sie in ihrem Innersten zusammenhält: Zwölf Teilchen und vier Kräfte sind bislang dazu nötig.

In einer Pressemitteilung erklärten die rund 400 beteiligten Physiker, die Wahrscheinlichkeit, die Beobachtungen mit dem Standardmodell erklären zu können, sei 'geringer als ein Prozent'. 'Unsere Theoretiker haben alles versucht, um die Daten mit dem Standardmodell in Einklang zu bringen', erklärte Ralph Eichler, Professor am Institut für Teilchenphysik der ETH Zürich und Sprecher des Hamburger Experiments, 'es ist ihnen nicht gelungen.' Aus der Schweiz arbeiten etwa 20 Forschende von der ETH, der Uni Zürich und vom Paul-Scherrer-Institut mit" (Thomas Müller, Frank Grotelüschen 1997).

 

Eine der Spekulationen geht dahin, dass Quarks ebenso wie Elektronen doch teilbar seien. Möglicherweise drängen sich auch supersymmetrische Theorien auf.

 

 

1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Bildhaftes Denken und Problemlösungen

 

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist von eine starken Gegensatz geprägt.

Auf der einen Seite traten die Würzburger Denkpsychologen und die Behavioristen als Bilderstürmer in Erscheinung, anderseits brach ein richtiger Kreativitätsfimmel aus, in dessen Gefolge auch über Imagination und Genie geforscht wurde.

 

Es ist nicht mehr schick, von bildhaftem Denken zu sprechen

 

Oswald Külpe hatte in den 1880er Jahren eine solide Ausbildung in experimenteller Psychologie bei Wilhelm Wundt in Leipzig erhalten. Nach seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Philosophie in Würzburg begann er, die systematische Selbstbeobachtung erstmals zur Erforschung der "höheren" geistigen Prozesse anzuwenden.

 

Seit 1901 stellten er und seine Studenten die bisherigen Thesen über das symbolische Erkennen und bildhafte Denken in Frage (A. Mayer, Johannes Orth 1901; Karl Marbe 1901; Albert Thumb, Karl Marbe 1901; Oswald Külpe 1904; 1912; Henry Jackson Watt 1905; Narziss Ach 1905; August Messer 1906, 1908; Karl Bühler 1907/8). Untersuchungen nach dem Verfahren "Introspektion unter experimentellen Bedingungen" zeigten nämlich, dass die meisten Versuchspersonen bei kognitiven Aufgaben "nichtanschauliches Denken" vollzogen, also Bewusstseinsinhalte ohne sensorische oder wahrnehmungsbezogene Qualitäten produzierten (George Humphrey 1951; Steffi Hammer 1990; Horst Gundlach 1999).

 

Wilhelm Wundt protestierte aufs heftigste, und es entspannte sich in den Jahren 1907-09 eine Kontroverse, welche im Endeffekt zu einer Diskreditierung der introspektiven Methode führte - obwohl Wundt im Unrecht war.

 

Den Todesstoss (Akhter Ahsen 1990) führte 1913 John Broadus Watson (David Abraham Lieberman 1979; John Michael O'Donnell 1985; Nigel J. T. Thomas 1989), indem er das Programm des Behaviorismus mit folgenden Worten eröffnete: "Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht, ist ein vollkommen objektiver, experimenteller Zweig der Naturwissenschaft. Ihr theoretisches Ziel ist die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten. Introspektion spielt keine wesentliche Rolle."

Etwa in der Mitte seines Pamphlets kommt er zu einer "konstruktiven Aussage". Er meint, es sei möglich, eine Psychologie zu schreiben, ohne "Begriffe wie Bewusstsein, Bewusstseinszustände, Seele, Bewusstseinsinhalt, introspektiv verifizierbar, Vorstellung und ähnliches zu gebrauchen".

 

Von "mental imagery" zu reden, war von da an in gewissen Kreisen bis etwa 1960 verpönt.

Auch die Analytische Philosophie und später der Logisch Empirismus, welche bald den ganzen angelsächsischen Raum beherrschten und die Sprache als das tragende Medium des Denkens betrachteten, bestritten die traditionelle Auffassung, dass sich die sprachliche Bedeutung von "Bildern im Gehirn" herleite.

 

Nebenbei: Die Frage des bildlosen Denkens ist bis heute nicht gelöst (Nigel J. T. Thomas 1989; John Heil 1998).

 

Dennoch psychologische Forschungen im Bereich imagery und creativity

 

Das Gegengewicht zur Würzburger Schule und zu Watson bildeten die Bücher der beiden Franzosen Théodule Ribot ("L'imagination créatrice" 1900) und Henri Bergson ("L'évolution créatrice" 1907). Sie lösten einen wahren Boom von Untersuchungen sowohl über imagery wie über creativity aus.

 

Mental und visual imagery

 

In der Zeit von 1909-1939 haben über ein Dutzend psychologische Forscher - hauptsächlich Frauen - an amerikanischen Universitäten wie Cornell (Ithaca, NY) oder Columbia (New York) Dissertationen über mental und visual imagery vorgelegt. Manche davon wurden um 1970 nachgedruckt.

In Deutschland erschienen 1900-1920 mehrere Arbeiten zum Thema Vorstellungen und Reproduktion.

 

Imagination in der Esoterik und bei Mentaltraining

 

In "Harper's Encyclopedia of Mystical and Paranormal Experience" (1991) wird darauf hingewiesen, dass in der Parapsychologie seit etwa 1870 der Zusammenhang von Psi und Imagery erforscht wurde. Der irische Dichter William Butler Yeats war seit 1887 Mitglied des hermetischen Ordens "Golden Dawn" und beschäftigte sich hier mit Magie, Symbolik und Imagery (Gordon Mills Harper 1974).

Im "Lexikon des Geheimwissens" von Horst E. Miers (1970) heisst es: "Das Wort Imagination wurde wohl zuerst von Coué verwendet und dann von den Theosophen übernommen." Der Apotheker Emil Coué entwickelte um 1910 das "Autogene Training". Harper' Encyclopedia verfolgt die Techniken des "creative visualizing" (bekannt geworden durch Shakti Gawain 1978) nur auf Norman Vincent Peales Buch "The Power of Positive Thinking" (1952) zurück.

Jedenfalls verbessern Künstler und Sportler mit Imagery ihre Leistung. Seit etwa 1970 werden diese Techniken auch in der medizinischen und psychologischen Therapie eingesetzt, besonders bei Krebs.

1955 erschien in einer Schriftenreihe "Bücher der praktischen Magie" von Henri E. Douval "Imagination als geistige Wegbahnung", das mehrere Auflagen erlebte.

Im Fernen Osten wird Imagery nicht nur bei den "Martial Arts", sondern auch Meditation und Yoga praktiziert - hier um kosmisches Bewusstsein oder höchste Erleuchtung zu erleben.

 

1940-1960: psychologische Arbeiten zu Imagination

 

Auf den ersten Blick sieht es aus, als sei 1940-1960 keine ernsthafte Forschung auf dem Gebiet imagery/imagination betrieben worden. Doch lassen sich leicht über ein Dutzend psychologischer Arbeiten dazu finden.

Ohne Beachtung blieb etwa von Austin Larimore Porterfield "Creative factors in scientific research" (1941) oder die Dissertation von Abraham Antoine Moles "La création scientifique" (1952).

 

Ungleich mehr Publikationen widmen sich in diesen zwei Jahrzehnten aber der Imagination in der Dichtung (Sophokles, Properz, Shakespeare, Wordsworth, Poe, Keats, Shelley, Coleridge, Tennyson, Browning, Browne, Ruskin, Claudel, Malraux), in der Religion, in der Mathematik und bei Philosophen (Platon, Bacon, Descartes, Hobbes, Locke, Kant, Fichte).

 

"Genie" ist ein hauptsächlich deutsches Thema

 

Mit dem Genie, dies aber auch historisch, befassten sich im Zeitraum von 1884-1934 mindestens 50 Arbeiten in Deutschland und in der Schweiz, aber fast keine in den andern Ländern.

 

Alles wird "creative" oder "schöpferisch"

 

Ebenfalls von 1909-1939 erschienen weit über 100 Untersuchungen und Bücher zur Kreativität, darunter mindestens sechs mit dem Titel "creative imagination".

Die Engländer und Amerikaner schmückten bald jedes Objekt mit dem Begriff "creative" (Logan Pearsall Smith 1924), z. B. Spirit, Thought, Process, Power, Factor, Personality, Will, Involution, Intelligence, Mind, Psychics, Criticism, Impulse, Chemistry, Experience, Effort, Expression, Thinkers, Youth, Work, Learning, Management, Adult.

Besonders beliebt war Kreativität auch im Bereich des Schreibens und der Kunst. Es gab zahlreiche Schulen und Zeitschriften für "creative writing", "creative reading" und "creative art".

 

Die Deutschen sprachen zur selben Zeit - als Antwort auf Vorstellung und Reproduktion - einerseits von Phantasie und produktivem Denken, anderseits bezeichneten sie alle möglichen Sachen als "schöpferisch", z. B. Phantasie, Persönlichkeit, Indifferenz, Pädagogik, Erziehung, Pause, Funktion, Theater, Erkenntnis, Gewissen, Rechtswissenschaft, Kredit, Sinn, Macht, Philosophie, Denktätigkeit, Weltbetrachtung (Thomas Stocker 1988).

 

Spärliche Untersuchungen zu Metapher und Analogie

 

Spärlich blieben die Untersuchungen der Metapher ausserhalb von Theologie, Rhetorik und Literatur. Die einzige psychologische Forschungsarbeit legte Heinz Werner, der später als Entwicklungspsychologe bekannt wurde, über "die Ursprünge der Metapher" 1919 an der Universität Leipzig vor.

30 Jahre später erschien von Martin Foss "Symbol and metaphor in human experience" (1949).

 

Einsam auf weiter Flur blieben auch die Studien über die Analogie von Harald Höffding (1905, 1924), Scott Milross Buchanan (1932), S. T. Cargill (1947) und Maurice Dorolle (1949).

 

Orientierungspläne im Gehirn

 

Eine wichtige experimentelle Untersuchung über das Denken legte 1924 die amerikanische Psychologin Edna Heidbreder vor. Mehr als zwanzig Jahr später (1946; 1947) veröffentlichte sie interessante Forschungsberichte über das "Konzeptlernen".

 

Der amerikanische Psychologe Edward Chace Tolman studierte das Verhalten von Ratten im Labyrinth und entwickelte auf Grund seiner Beobachtungen eine systematische Lerntheorie. Er vertrat die Auffassung, diese Tiere schüfen sich ein Bild des Labyrinths, in dem sie sich bewegten, eine Art innere Landkarte ("cognitive map", vgl. 1948), eine interne Repräsentation der geometrischen Beziehungen wichtiger Punkte in der Umgebung des Tieres.

 

Erste Berichte über "higher mental processes in animals" und "'insight' in rats" veröffentlichte er bereits 1927 resp. 1930. Sein Wälzer "Purposive Behavior in Animals and Men" (1932) erreichte mehrere Auflagen.

 

Der englische Experimentalpsychologe Frederick Charles Bartlett berichtete in seinem Buch über "Erinnern" (1932) über den Einfluss sozialer Faktoren auf das Gedächtnis. Die meisten Untersuchungen hatte er bereits im Ersten Weltkrieg (1916; 1921) gemacht.

Statt sinnlose Silben verwendete er "sinnvolles" Material. Dabei zeigte sich, dass die Versuchspersonen dieses nicht nur reproduzierten, sondern im Lichte vergangener Erfahrungen neu ordneten. Das bezeichnete Bartlett als "schema" oder "conceptual model".

 

Wie lösen wir Probleme?

 

Anfänge der Forschung

 

Mit den Untersuchungen von Denken, Vorstellen und Kreativität waren oft auch Studien zum Problemlösen verbunden.

Der Problembegriff wurde erstmals in der philosophischen Marburger Schule (Cohen, Natorp) wichtig.

Die ersten Impulse kamen dann von der psychologischen Würzburger Schule. Hernach ging es ganz international weiter mit den Engländern Charles Spearman (1904) und William McDougall (1910), den Deutschen Karl Bühler (1907/8) und Otto Selz (1913), dem Franzosen Henri Poincaré (1908), dem Amerikaner John Dewey (1909) und dem Wiener Sigmund Freud (1911).

 

Ablauf der Problemlösung

 

Poincaré beschrieb 1908 den Ablauf einer neuen Entdeckung wie folgt:

1.      bewusste Arbeit (z. B. etwas zu beweisen suchen)

2.      unbewusste Arbeit ("Die Gedanken überstürzen sich.")

3.      bewusste Arbeit

4.      plötzliche Inspiration, Erleuchtung

5.      weitere bewusste Arbeit (Ausarbeitung der Resultate).

Die unbewusste Arbeit wird dabei vom "sublimen Ich" getan. "Es arbeitet nicht rein automatisch, es hat die Fähigkeit zu unterscheiden, es hat Feingefühl; es kann auswählen; es kann ahnen."

 

John Dewey (1909) unterschied:

1.      Begegnen

2.      Präzisierung

3.      Lösung

4.      Konsequenzenanalyse und

5.      Weitere Beobachtungen.

 

Der deutsche Psychologe Richard Müller-Freienfels unterschied 1916 im Denken die Schritte: Problemsetzung, Problembearbeitung, Problemlösung.

Vom britischen politischen Philosophen Graham Wallas (1926) soll die Reihenfolge Präparation-Inkubation-Illumination-Verifikation stammen.

 

Kreative Problemlösungsmethoden

 

Die beiden ersten Problemlösungsmethoden wurden in den 1930er Jahren entwickelt: Morphologie von Fritz Zwicky (erstmals vorgestellt 1946; ferner 1959, 1966) und Brainstorming von Alex F. Osborn (erstmals vorgestellt 1948). Von William F. Gordon (1961) wurde seit 1944 "Synectics" entwickelt. Er bezeichnete sein Verfahren auch als "The metaphorical way of learning & knowing" (1971) - ähnlich Roberta Cummings Baade in ihrer Dissertation 1979.

 

Rationale Problemlösungsmethoden

 

Die 1940er Jahre waren - nicht zuletzt wegen der militärischen Anstrengungen im Zweiten Weltkrieg - für die Entwicklung weiterer Problemlösungsmethoden und Denkansätze äusserst fruchtbar.

·        In Deutschland organisierte Hermann Schmidt (1941) bereits 1940 ein Symposium von Technikern und Biologen an der TU Berlin zum Thema "Regelung als Grundproblem der Technik wie der Physiologie".

·        Der amerikanische Ökonom Herbert Alexander Simon befasste sich mit dem Entscheidungsverhalten in Organisationen (1943-47).

·        Der ungarische Mathematiker John (János) von Neumann und der deutsche Ökonom Oskar Morgenstern steuerten die Spieltheorie (1944) bei.

·        Der ungarische Mathematiker George Pólya instruierte das Lösen mathematischer Probleme (1945).

·        Der Wiener Biologe Ludwig von Bertalanffy entwickelte die "Allgemeine Systemlehre" (1945), später "General Systems Theory" (1950) genannt.

·        Der deutsche Kommunist und Jurist Ossip K. Flechtheim entwickelte die Futurologie (1945).

·        1945 wurde die Entscheidungstheorie begründet (William Spencer Vickrey; Louis Leon Thurstone; Abraham Wald).

·        Le Roy Archibald Mac Coll (1945) sowie Gordon S. Brown und Donald P. Campbell (1948) beschrieben die Theorie der "Servomechanismen".

·        Der Amerikaner Norbert Wiener, Sohn eines Russen, beschrieb die "Kybernetik" (1948).

·        Der amerikanische Mathematiker und Elektroingenieur Claude Elwood Shannon legte zusammen mit dem mathematische Physiker Warren Weaver eine mathematische Fassung der "Informationstheorie" (1949) vor.

·        Der amerikanische Physiker Philip McCord Morse (Verwaltungsrat bei der RAND Corporation) fasste seine Erfahrungen mit "Operations Research" (1951) zusammen.

·        Der Einkaufschef Lawrence D. Miles (1961) entwickelte bei der General Electric Company seit Herbst 1947 die Wertanalyse.

·        Die amerikanischen Betriebwirtschafter C. West Churchman und Russell Lincoln Ackoff legten 1950 einen Wälzer zur "Systemanalyse" vor. Im Jahr darauf beschreib Norman Norton Barish "Systems Analysis for Effective Administration". Als PPBS (Planning, Programming, Budgeting System) hielt dieses Verfahren in den 60er Jahren in den amerikanischen Ministerien Einzug (Joseph H. Kaiser 1972).

 

Qualitätsdenken und Projektmanagement

 

Ebenfalls in den 1940er Jahren arbeitete der amerikanische Statistiker William Edwards Deming (1982) seine Vision des Qualitätsdenkens aus. 1950 wurde er für einen Vortrag nach Japan eingeladen, drei Jahre später auf seine Veranlassung auch Joseph Juran (1951; 1964; 1970 arbeitete auch mit Barish zusammen). Beide unterrichteten seither in Japan derart erfolgreich, dass die Amerikaner in den 1970er Jahren nach Japan pilgerten um die dortigen Qualitätssysteme zu studieren.

Armand Vallin Feigenbaum (1951) baute zur gleichen Zeit die Qualitätskontrolle zur "Total Quality Control" aus.

 

Die Netzplantechniken CPM (Critical Path Method) und PERT (Program Evaluation and Review Technique) wurden erst um 1957 bei der Renovation einer Raffinerie von Du Pont resp. beim Projekt "Polaris" der US Navy erfolgreich zum Sparen von Zeit und Kosten eingesetzt (David M. Stires, Maurice M. Murphy 1962).

Bald darauf sprach man von Projektmanagement (John Stanley Baumgartner 1962; Joseph J. Moder, Cecil R. Phillips 1964; David Ira Cleland, William R. King 1968) und Netzplantechnik (Jürg Brandenberger, Robert Konrad 1965).

 

Strukturalismus

 

1926 gründeten einige Sprachwissenschafter, darunter Roman Jakobson und Nikolay Trubetzkoy, den Prager Linguisten Zirkel, die Keimzelle des Strukturalismus. Der erste Band "Travaux du Cercle Linguistique de Prague" erschien 1929.

Eine Ausweitung erfuhr das strukturalistische Denken in den 1930er und 40er Jahren, besonders in der

·        Linguistik (Louis Hjelmslev 1947, Adolf Stender-Petersen 1949; Zellig Sabbetai Harris 1951)

·        Soziologie (Talcott Parsons 1937; 1951; Robert King Merton 1947, Marion Joseph Levy 1952)

·        Ethnologie (Alfred Reginald Radcliffe-Brown 1940; Alfred Louis Kroeber 1943; Claude Lévi-Strauss 1949, George Peter Murdock 1949) und

·        Psychologie (Maurice Merleau-Ponty 1942; Jean Piaget 1942; 1950)

 

 

1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Fast Funkstille für Modelle

 

Fast Funkstille für Modell in der Physik der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts

 

Die erwähnten Strömungen und Ansätze bilden den Hintergrund für die erstaunliche Tatsache, dass nach 1900 der Modellbegriff - abgesehen vom "Atommodell", der Lernpsychologie (um 1930) und Ökonometrie - fast ein halbes Jahrhundert nur noch ein Mauerblümchendasein fristete.

Die meisten Autoren in der Physik wissen nicht viel damit anzufangen und verwenden ihn gar nicht (z. B. Norman Robert Campbell 1920) oder sie erwähnen nur kurz die materiellen Modelle von Maxwell, Thomson und Boltzmann (z. B. Paul Volkmann 1910; Abram Cornelius Benjamin 1937).

 

Philipp Frank (1927), James Jeans (1933) und Pascual Jordan (1936) machten sich Gedanken über die Anschaulichkeit in der Physik (auch Alwin Diemer 1964; Viktor A. Stoff 1969, 287-298).

 

Für Hermann Weyl (1927) gehört der Modellbegriff allein in den Bereich der Logik.

Immerhin meinte im gleichen Jahr der Physiker Percy W. Bridgman (1927, 53): "I believe that the model is a useful and indeed unescapable tool of thought, in that it enables us to think about the unfamiliar in terms of the familiar."

 

Öfters wurde versucht, stattdessen die Begriffe "Symbol" (z. B. Abram Cornelius Benjamin) oder "Ikon", "Isomorphie" und "Analogie" (z. B. Norman Robert Campbell) einzuführen und zu präzisieren.

 

Lothar von Strauss und Torney (1936), Rudolf Seeliger (1948), Werner Theis (1951) und Joseph Turner (1955-56) untersuchten in kürzeren Beiträgen den Analogiebegriff in der Physik.

 

Mary B. Hesse hat 1963 literarisch versucht, einen Gegensatz zwischen den Anhängern von Pierre Duhem (1906) und Campbell (1920) zu konstruieren, doch dies überzeugt nicht, weil gar keine derartige Auseinandersetzung stattfand (siehe auch Kurt Hübner 1971).

 

In Titeln von Aufsätzen in der Physik kommt der Modellbegriff nur bei Frederick H. Gettman (1905), Frederick Alexander Lindemann (1914), Franz Tank (1919), Edwin C. Kemble (1920), Ralph de Laer Kronig (1923), Paul S. Epstein (1924) und Alfred James Lotka (1924), R. B. Lindsey (1927), P. M. Davidson (1933) und H. S. W. Massey, C. B. O. Mohr (1933), M. H. Johnson (1934), H. A. Stuart (1934), W. E. Danforth (1936), A. C. Candler (1937), Wilfried Wefelmeier (1938), Carl Friedrich von Weizsäcker (1938), F. Renner (1938) und Jürg Johannesson (1942) vor.

 

Einen für die Physik recht ungewöhnlichen Gebrauch des Wortes Modell machte Albert Einstein. 1920 eröffnete er eine Vortrag über "Äther und Relativitätstheorie" mit dem Satz: "Der Raum-Zeittheorie und Kinematik der speziellen Relativitätstheorie hat die Maxwell-Lorentzsche Theorie des elektromagnetischen Feldes als Modell gedient" (1978, 647).

1930 verkündete er (1966, 118) in einer Ansprache: "Ich glaube noch an die Möglichkeit eines Modells der Wirklichkeit, d. h. einer Theorie, die die Dinge selbst und nicht nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens darstellt."

 

Seit 1915: Erweiterung des Modellbegriffs in der modernen Logik

 

Eine Ausweitung erfuhr der Modellbegriff durch den Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein (1921 - vgl. Jörg Burkhardt 1965; Wolfgang Stegmüller 1966; Friedrich Waismann 1976, 446-470; Hans-Joachim Glock 1996 - zur Philosophie aus Wien: Kurt Rudolf Fischer 1991) und den deutschen Mathematiker Hermann Weyl (1927).

 

In den 1930er Jahren nahmen die Logiker (Rudolf Carnap 1934ff; Morris Raphael Cohen und Ernest Nagel 1934, Alfred Tarski 1935 und 1935/36) den Modellbegriff schliesslich als "Erfüllung" von axiomatischen Systemen und formalisierten Theorien auf.

Eine klassische Definition von Alfred Tarski (1953) lautet: "A possible realization in which all valid sentences of a theory T are satisfied is called a model of T."

 

Im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" (1984, Sp. 50) lesen wir ganz genau:

"'Modell' heisst in der Logik ein System aus Bereichen und Begriffen, insofern es die Axiome einer passend formulierten Theorie erfüllt. Die Sprache dieser Theorie muss dafür die mit Bereichen und Begriffen zu interpretierenden Grundsymbole enthalten, die durch die Interpretation zu sogenannten 'Grundbegriffen' werden. 'Interpretation' heisst dann auch die Abbildung, welche den Symbolen, ohne Bezugnahme auf Axiome, ihre jeweilige Bedeutung zuordnet. Interpretationen werden, nach einer Anordnung der Symbole, oft als Folgen gegeben."

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich eine ausgedehnte Modelltheorie in der Logik, Semantik und Mathematik. Der erste Aufsatztitel in diesem Bereich, in dem der Ausdruck "theory of models"" vorkommt, stammt nicht, wie vielfach behauptet wird, von Alfred Tarski (1954/55) oder Chen Chung Chang (1954), sondern von Henry Langhaar (1951). Eine erste Einführung in diese Modelltheorie gab 1963 Abraham Robinson.

 

In einem Anhang zum Symposiumsbericht von John W. Addison et al. (1965, 442-492) sind in einer "Bibliography of the theory of models" bereits über 940 Literaturangaben zusammengetragen.

 

An einem Symposium zu Ehren Alfred Tarskis im Sommer 1971 in Berkeley referierten Robert L. Vaught (1974) und Chen Chung Chang (1974) über die Geschichte dieser Art von Modelltheorie von 1915-1971 mit viel Literaturangaben. Chen Chung Chang und H. J. Keisler gaben 1973 auch eine vielbeachtete "Model Theory" heraus.

 

Seit 1920: elektrische und elektronische Roboter

 

Inspiriert von Karel Čapeks Theaterstück "R. U. R." ("Rossum's Universal Robot",1920) wurden bald zahlreiche sogenannte "Roboter" gebaut, beispielsweise vom amerikanischen Ingenieur Whitman der "Radiomensch Occultus" (1924), ein Soldat auf Raupenketten, mit rotierenden Scheiben an den Armen und einem Giftgasbehälter. Ein Ingenieur von Westinghouse, R. J. Wensley, baute 1927 den Haushaltsroboter "Televox".

Die jährliche Ausstellung der "Model Engineering Society" 1928 wurde von "Eric" (gebaut von Captain W. H. Richards), einem "Roboter in Ritterrüstung" mit einer Ansprache eröffnet. Seither hatte jeder grössere Jahrmarkt und jede Ausstellung, die etwas auf sich hielt, ihren, meist überlebensgrossen Roboter (Gary Jennings 1962; René Simmen 1967, Helmut Swoboda 1967, 179ff, 204f; Jasia Reichardt 1978; Brian Morris 1985; Gero von Randow 1997, Bodo Michael Baumunk 2007). Eine ganze Serie "Sabor I" bis "Sabor V" (1960) baute der Appenzeller August Huber (Helmut Swoboda, 1967, 184), nach anderer Quelle Peter Steuer (Siegfried Richter 1989, 8). Richtig ist: „Sabor V“ war ein ferngesteuerter Werberoboter. August Huber hatte ihn entwickelt, Peter Steuer ging mit ihm auf Welttournee, Eric Lanz bediente die Fernsteuerung..

 

Edwin Garrigues Boring (1946) erwähnt eine ganze Reihe von Versuchen namhafter psychologischer Forscher zwischen 1929 und 1938, lernende Roboter zu entwerfen. Zur Illustration des bedingten Reflexes konstruierte H. D. Baernstein für Clark Leonard Hull 1929 ein elektromechanisches Modell, und im selben Jahr stellte J. M. Stephens eine „learning machine“ zur Demonstration des Effektgesetzes vor. Im Jahr darauf beschrieb Albert Walton nebst anderen Demonstrationsgeräten auch eine „conditioned reflex machine“. Eine Verfeinerung zeigten 1933 George K. Bennett und Lewis B. Ward.

1930 versuchte der Psychologe und Behaviorist Karl S. Lashley eine Theorie der Gehirnfunktionen in Analogie zum Telephonsystem aufzustellen: „The model for the theory is a telephone system. Just as two instruments can be connected only by certain wires, so the sense organs and muscles concerned in any act are connected by nerve fibers specialized for that act.“

 

Den ersten wissenschaftlichen Roboter baute 1938 der Amerikaner Thomas Ross. Es war eine kleine Maschine, die wie eine Maus, durch Versuch und Irrtum lernend, den Weg aus einem Irrgarten herausfand.

Seither ist das Basteln mit "lebensähnlichen" Maschinen bei den Forschern beliebt. Legendär wurden die elektronischen Schildkröten "Elmer" und Elsie" des amerikanisch-englischen Gehirnforscher William Grey Walter (1948), der "Homöostat" des Engländers William Ross Ashby (1948) und die "machina labyrinthea" des Amerikaners R. A. Wallace (1952). Auch die sonst eher als Theoretiker der Kybernetik und Nachrichtentechnik bekannten Norbert Wiener (mit seinem Assistenten Jerome Wiesner), Claude Shannon, Heinz Zemanek und Albert Ducrocq konstruierten zu dieser Zeit einfache kybernetische Tierchen.

Das erste komplette Robotersystem mit Sensoren und optischem Wegfinder wurde 1968 am Stanford Research Institute entwickelt und hiess "Shakey". Er wurde 1971 für andere Aufgaben erneut gebaut.

Der erste Computer für eine Prozessteuerung in der Industrie war 1957 funktionsfähig. Elektronisch gesteuerte Industrieroboter sind seit 1960 im Einsatz.

Seit Anfang der 1970 Jahre sprach man von "Computer-aided Manufacturing" (Douglas A. Cassel 1972) und "Computer Integrated Manufacturing" (Joseph Harrington 1973).

 

Seit 1930: Mathematische Behandlung ökonomischer Fragen

 

Wichtige mathematische Behandlungen ökonomischer Fragen boten in den 1930er Jahren neben Ragnar Frisch und Jan Tinbergen unter anderen John von Neumann (1938; ursprünglich 1932), Michal Kalecki (1935), Victor Edelberg (1936; 1936), James E. Meade (1936), John Richard Hicks (1937), Roy F. Harrod (1939) und Paul A. Samuelson (1939). Schon 1938 sprach man – neben „Keynes’ model“ - von „Kalecki’s model“, und zwei Jahre später bot Nicholas Kaldor eine Erweiterung. Daher sprach 1946 Vittorio Marrama vom „Kalecki-Kaldor model“.

In den Jahren 1948/49 zerpflückte William Jack Baumol die Modelle von Harrod und Samuelson. John Richard Hicks (1949) zerpflückte ebenfalls Harrods „Dynamische Theorie“; Sidney S. Alexander folgte 1949/50. Merkwürdigerweise sprach Baumol in der Folge nicht vom Harrod-Samuelson-Modell, sondern vom Harrod-Domar-Modell (1952).

Bereits seit 1940 spricht man vom „Hicksian model“, seit 1951 vom „Hicksian IS-LM diagram“ seit 1963 vom „Hicks IS-LM“ und seit 1968 vom „Hicksian IS-LM model“. Es wurde 1962 von Robert Mundell und Marcus Fleming erweitert.

 

Die Bezeichnung „ökonometrische Modelle“ finden wir bereits bei Victor Edelberg (1936). 1941 doktorierte Sami Semsiddin Tekiner an der Cornell Universität über „dynamische ökonomische Modelle“.

 

1944 sprach Leonid Hurwicz von „Haavelmo’s model“, „Koopman’s model“ und „Samuelson’s system“. Seit 1941 spricht man vom „Leontief system“, seit 1943 von „Leontief’s model“, seit 1950 von „Leontief’s input-output model“.

 

 

2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Explosion der Modell-Literatur

 

Daniela Bailer-Jones und Stephan Hartmann (1999) haben versucht, die "Problemgeschichte" der Modellverwendung seit 1900 in Phasen einzuteilen. Sie sei hier etwas ausgeweitet und weiter differenziert.

 

Nachdem der Logische Empirismus dem Modellbegriff eine ganz spezifische Bedeutung gegeben hat, setzte 1945 eine Welle von Modellbetrachtungen unterschiedlichster Art ein.

 

Die rasante Ausbreitung des Modellbegriffs

 

Die rasante Ausbreitung des Modellbegriffs lässt sich beispielsweise am jährlichen Wachstum der Buchtitel zu Modell, Modellierung, Modellversuchen usw. ablesen.

Bis etwa 1965 hielten sich die Publikationen in einem überschaubaren Rahmen, dann setzte ein beinahe explosives Wachstum ein. Das zeigt sich auch in absoluten Zahlen.

So lauten die Bestände der Deutschen Bibliothek in Frankfurt - hauptsächlich deutschsprachige Titel - pro Jahrgang ungefähr folgendermassen:

1950:     30

1960:     50

1970:   350

1980:   700

1990: 1100

2000: 1950

2004: 2300.

 

In den 10 Jahren von 1990-1999 erschienen über 17 000 Modelltitel, in den 5 Jahren von 2000-2004 rund 12 000.

Der gemeinsame Online-Katalog der grössten britischen Bibliotheken (COPAC) verzeichnet für 1990-1999 über 16 000 englische Titel (allerdings mit sehr vielen Doubletten).

 

1947-1955: Die ersten wissenschaftlichen Bücher mit "Modell" im Titel

 

Zu den ersten wissenschaftlichen Modelltiteln in Buchform gehören die Dissertationen von Clifford Dixon Firestone (1947), Marjorie Hall Harrison (1947) und Detlef Schmidt (1949).

 

Die nächsten Modell-Buchtitel erzielten erstaunlicherweise meist hohe Auflagen. Dazu gehören unter anderen:

·        "Statistical Inference in Dynamic Economic Models", hrsg. von Tjalling C. Koopmans (1950)

·        "Le modulor" von Le Corbusier (1950)

·        "Mathematical Models" von Henry Martyn Cundy und A. P. Rollett (1951)

·        "Dimensional Analysis and Theory of Models" von Henry Louis Langhaar (1951)

·        "Theoretical Models and Personality Theory", hrsg. von David Krech und George Stuart Klein (1952)

·        "Das 'physikalische Modell' und die 'metaphysische Wirklichkeit'" von Erwin Nickel (1952)

·        "Modelling Geography" von Eric John Barker (1954)

·        "Stochastic Models for Learning" von Robert R. Bush und Frederick Mosteller (1955)

·        "An Econometric Model of the United States 1929-1952" von Lawrence R. Klein und A. S. Goldberger (1955)

 

1951-1956: Einflussreiche Werke der Wissenschaftstheorie und der neuen Ansätze

 

Für die Auseinandersetzung mit Modellen aber viel einflussreicher wurden vorerst von

·        Herbert Feigl und May Brodbeck der 800seitige Sammelband: "Readings in the philosophy of science" (1953)

·        Richard Bevan Braithwaite "Scientific Explanation" (1953)

·        Stephen Toulmin "The Philosophy of Science" (1953)

·        Nelson Goodman "Fact, Fiction and Forecast" (1954)

·        Mary Brenda Hesse "Science and the human imagination" (1954)

·        Marjorie Hope Nicolson "Science and imagination" (1956)

·        Ernest Hirschlaff Hutten "The language of modern physics" (1956)

·        Alfred Jules Ayer "The Problem of Knowledge" (1956).

 

Besonders für die Sozialwissenschaften wichtig wurden von

·        Kenneth Joseph Arrow "Social choice and individual values" (1951)

·        Daniel Lerner und Harold Dwight Lasswell der 344seitige Sammelband "The Policy Sciences" (1951)

·        Talcott Parsons und Edward A. Shils der 500seitige Sammelband "Toward a General Theory of Action" (1951)

·        Lawrence Robert Klein "A textbook of econometrics" (1953)

·        Arnold Tustin "The mechanism of economic systems" (1953)

·        Frank Harary und Robert Zane Norman "Graph theory as a mathematical model in social science" (1953)

·        Paul Felix Lazarsfeld der 444seitige Sammelband "Mathematical Thinking in the Social Sciences" (1954)

·        Leonard Dupee White der 500seitige Sammelband "The State of the Social Sciences" (1956)

·        Talcott Parsons und Neil J. Smelser "Economy and society" (1956)

·        Jerome Seymour Bruner et al. "A study of thinking" (1956)

 

Im Bereich der Entscheidungstheorie wurden wichtig von:

·        John Charles Chenoweth McKinsey "Introduction to the theory of games" (1952)

·        Paul Everett Meehl "Clinical versus statistical prediction" (1954)

·        Robert MacDowell Thrall et al. der 300seitige Sammelband "Decision Processes" (1954)

·        Leonard Jimmie Savage "The Foundations of Statistics" (1954)

·        David Blackwell und Meyer A. Girshick: "Theory of games and statistical decisions" (1954)

·        John Davis Williams "The compleat strategyst" (1954)

·        John Cohen und Mark Hansel "Risk and Gambling" (1956).

 

Im Bereich der Kybernetik und Informationstheorie wurden unter anderem wichtig von:

·        William Ross Ashby "Design for a brain" (1952)

·        Louis Couffignal "Les machines à penser" (1952)

·        Pierre de Latil "La pensée artificielle" (1952)

·        Albert Ducrocq " Appareils et cerveaux électroniques" (1952)

·        John Diebold "Automation" (1952)

·        Stanford Goldman "Information Theory" (1953)

·        David Arthur Bell "Information theory and its engineering applications" (1953)

·        William Grey Walter "The living brain" (1953)

·        Georges Théodule Guilbaud "La Cybernétique" (1954)

·        Hsue Shen Tsien "Engineering cybernetics" (1954)

·        Richard Wagner "Probleme und Beispiele biologischer Regelung" (1954)

·        Winfried Oppelt: "Kleines Handbuch technischer Regelvorgänge" (1954)

·        Colin Cherry "Kybernetik" (1954)

·        Albert Ducrocq "Découverte de la cybernétique" (1955)

·        Vitold Belevitch "Langage des machines et langage humain" (1956)

·        Léon Brillouin "Science and information theory" (1956)

·        Horst Mittelstaedt der Tagungsband "Regelungsvorgänge in der Biologie" (1956)

·        Colin Cherry der 400seitige Sammelband "Information Theory" (1956)

·        William Ross Ashby "An Introduction to Cybernetics" (1956)

·        Ludwig von Bertalanffy und Anatol Rapaport die "Yearbooks of the Society of General Systems Research: General Systems" (1956ff).

 

1957-63: Die ersten Symposien und grundlegenden Werke

 

Von 1957-63 werden Modelldenken und Modellbegriff an zahlreichen internationalen Symposien in den USA und in Europa diskutiert:

1957:  Cornell University, Ithaca, N. Y. (Alfred Tarski et al. 1957)

            Amsterdam (Arend Heyting 1959)

            Symposium on Sociological Theory (Llewellyn Gross 1959)

1959:  Stanford (Kenneth J. Arrow et al. 1960)

Bristol (J. W. L. Beament 1960)

Warschau ("Infinitistic methods" 1961)

1960:  Utrecht (Leo Apostel et al. 1960; Hans Freudenthal 1961)

            London (Colin Cherry 1961)

            Berlin (Friedrich Jung et al. 1961)

            Stanford (Ernest Nagel et al. 1962)

1961.  Los Angeles (Austin Curwood Hoggatt et al. 1963)

1962:  OJAY, Stanford (Richard F. Reiss 1964)

1963:  Berkeley (John W. Addison et al. 1965)

 

Die meisten Sammelbände wurden weitherum zitiert.

 

Viel beachtete und grundlegende Werke erscheinen von

·        Earl Francis Beach ("Economic Models" 1957)

·        Herbert Alexander Simon ("Models of Man" 1957)

·        Robert Duncan Luce und Howard Raiffa ("Games and Decisions" 1957)

·        Colin Cherry ("On human communication" 1957)

·        Norwood Russell Hanson ("Patterns of discovery" 1958)

·        Frank Honywill George ("Automation, cybernetics and society" 1959)

·        Rom Harré ("An introduction to the logic of the sciences" 1960)

·        Ernest Nagel ("The Structure of Science" 1961)

·        Max Black ("Models and Metaphors" 1962)

·        Thomas S. Kuhn ("The Structure of Scientific Revolutions" 1962)

·        Mary Brenda Hesse ("Models and Analogies in Science" 1963).

 

1964-1979: Explosion der Modell-Literatur

 

Nun setzt eine enorme Zunahme der Publikationen ein.

Laut Daniela Bailer-Jones und Stephan Hartmann versuchen die einen, formalistische und modelltheoretische Ansätze stärker mit der Vielfalt wissenschaftlicher Praxis in Einklang zu bringen, die andern bieten Alternativvorschläge zur Sichtweise der Logischen Empiristen.

Nicht verschwiegen werden darf, dass Begriffe wie Analogie, Metapher und Repräsentation viel Verwirrung stifteten - aber auch Symbol, Theorie und Realismus.

 

Wichtige Monographien aus dieser Zeit stammen von Viktor A. Stoff (1966), Peter Achinstein (1968), Rom Harré (1970), May Brodbeck (1972), Mario August Bunge (1973), Herbert Stachowiak (1973), William Hilton Leatherdale (1974), Gerald Holton (1979) und Ronald Nelson Giere (1979).

Dazu kommen die Dissertationen von Klaus-Dieter Wüstneck (1966) und Frederick Roy Suppe (1967).

 

1980-89: Konstruktion und Konsequenzen von Modellen

 

Seit 1980 werden Modelle noch stärker als wesentliche Elemente der wissenschaftlichen Praxis herausgehoben. "In vielen detaillierten Untersuchungen und Fallstudien aus verschiedenen Einzelwissenschaften wird versucht zu verstehen, wie Modelle funktionieren und wie sie in der wissenschaftlichen Praxis konstruiert werden. Dabei wird z. T. auf Wissensbereiche ausserhalb der Philosophie, insbesondere die kognitive Psychologie zurückgegriffen.

Weiterhin wird herausgearbeitet, welche Konsequenzen die Benutzung von Modellen für andere philosophische Fragen, wie die Debatten über Realismus und Reduktionismus, hat" (Daniela Bailer-Jones, Stephan Hartmann 1999, 856).

 

Wichtige Schriften sind:

·        Bas C. van Fraassen: The Scientific Image. 1980.

·        Hilary Putnam: Reason, Truth and History. 1981.

·        Nancy Cartwright: How the Laws of Physics Lie. 1983.

·        Ian Hacking: Representing and Intervening. 1983.

·        Ronald Nelson Giere: Explaining Science. 1988.

·        Frederick Roy Suppe: The Semantic Conception of Theories and Scientific Realism. 1989.

 

Erstmals - nach Max Jammer (1965) - wurde auch die historische Dimension der Modellverwendung und des Modellbegriffs erschlossen (Roland Müller 1983; Rolf Bernzen 1986).

 

1990-2000: Wieder wichtige Ringvorlesungen und Symposien

 

Nach langer Pause wird "Modell" wieder Thema von grossen Veranstaltungen.

 

Wichtige Ringvorlesungen zum Thema Wirklichkeit, Repräsentation und Modell fanden an der Universität Bremen statt (Hans Jörg Sandkühler 1993-2003).

Im August 1994 widmete die IUHPS (International Union for the History and Philosophy of Science) dem Thema Modell in Warschau (William E. Herfel 1995) einen Kongress.

Interessante Beiträge lieferten des weiteren:

·        eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe an der Freien Universität Berlin 1992 über „zeitgenössische Modelle des Denkens“ (Sybille Krämer 1994)

·        ein Workshop des Santa Fe Institute Studies in the Sciences of Complexity (George A. Cowan, David Pines, David Meltzer 1994)

·        ein Kolloquium an der Technischen Universität Berlin im Juni 1996 (Brigitte Falkenburg, Wolfgang Muschik 1998)

·        Tagungen der Philosophy of Science Association (PSA) im Herbst 1996 in Cleveland (Lindley Darden 1997) und im Herbst 1988 in Kansas City (Don A. Howard 2000)

·        eine internationale Konferenz in Cortona im September 1997 (Rosaria Conte et al. 1997)

·        zahlreiche Treffen von Wissenschaftstheoretikern aus Kanada und USA, Grossbritannien, den Niederlanden und Deutschland von 1990-1996, die in einem Sammelband von Mary S. Morgan und Margaret Morrison (1999) resultierten

·        mehrere internationale Tagungen an der Universität Pavia seit 1998 zum Thema "model-based reasoning", 2006 in China (Lorenzo Magnani et al. 1999, 2002, 2002, 2004, 2006, 2006, 2007).

 

Vom 19.-22. Oktober 2000 fand an der Universität Zürich eine DHS-DLMPS Joint Conference der IUHPS statt (Erwin Neuenschwander 2000).

 

An der Tagung der Philosophy of Science Association (PSA) vom 2.-4. November 2000 in Vancouver galt eine Session unter dem Vorsitz von Margaret Morrison (University of Toronto) dem Thema "Scientific Modeling", eine andere unter dem Vorsitz von Paul Teller (University of California, Davis) dem Thema "Models and Analogy" (Jeffrey A. Barrett, J. McKenzie Alexander 2002).

Auch an den nächsten Tagungen der PSA 2002 in Milwaukee (Sandra D. Mitchell 2003, 2004), 2004 in Austin (Miriam Solomon 2005, 2006), in 2006 in Vancouver (Cristina Bicchieri, Jason McKenzie Alexander, 2007) and in 2008 in Pittsburgh galten zahlreiche Vorträge dem Thema Modell.

Ferner fand im September 2003 an der Universität Bielefeld ein Kolloquium “’Models’ in the Philosophy of Science” am Fünften Internationalen Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie statt (Christian Nimtz, Daniela Bailer-Jones 2006).

 

1940-2000: Wichtige Rolle der Zeitschriften

 

Eine grosse Tradition haben Modellartikel in vierzehn Zeitschriften.

 

Im „Economic Journal“ erschienen Artikel von Nicholas Kaldor (1940), A. C. Pigou und Nicholas Kaldor (1942), Richard Stone und E. F. Jackson (1946), William Jack Baumol (1948, 1949, 1952), Sidney S. Alexander (1950), Burgess Cameron (1952) und Joan Robinson (1952), D. G. Champernowne (1953), Malcolm R. Fisher (1954), E. F. Norton (1956), Nicholas Kaldor (1957), Robert Eisner (1958), R. D. G. Allen (1960), usw.

 

In “Econometrica” erschienen Aufsätze von Leonid Hurwicz (1944, 1952), Kenneth May (1946), Lawrence R. Klein (1947), André Nataf (1948), George B. Dantzig (1949), Tjalling C. Koopmans (1949), Theodore W. Anderson, Jr. (1950), N. F. Morehouse, R. W. Strolz, S. J. Horwitz (1950), Julian L. Holley (1952, 1953), Robert M. Solow (1952), usw.

 

In den „American Economic Review“ erschienen Aufsätze von Albert Gailord Hart (1945), W. S. Woytinsky (1946), Orme W. Phelps (1948), Morris A. Copeland (1951), G. H. Fisher (1952), Arnold C. Harberger (1952) und David M. Wright (1952), Gregor Sebba (1953), D. M. Bensuatt-Butt (1954) und Paul J. Strayer (1954), Stefan Valvanis-Vail (1955), Paul A. Samuelson (1957), John C. Dawson (1958), Geoffrey H. Moore (1959), Joseph V. Yance (1960), usw.

 

In den „Review of Economic Studies“ erschienen Artikel von John Von Neumann (1945) und D. G. Champernowne (1945), Vittorio Marrama (1946), Börje Kragh (1949), Harry G. Johnson (1950), Richard Stone (1951), Burgess Cameron (1952), Robert Solow (1953) und K. K. F. Zawadski (1953), R. Bentzel, K. Hansen (1954) und Peter Newman (1954), S. A. Ozga (1955), J. R. Hicks (1959), usw.

 

In "Philosophy of Science" erschienen Aufsätze von Arturo Rosenblueth und Norbert Wiener (1945), Eugen Altschul und Erwin Biser (1948), Karl Wolfgang Deutsch (1951) und Herman Meyer (1951), Mary Brenda Hesse (1952, 1964), James Bates (1954), David Harrah (1956, 1963), Rafael Rodriguez Delgado (1957), Peter Achinstein (1964), Joseph Agassi (1964, 1972), Robert Ackermann, Alfred Stenner (1966), Philip K. Bock (1967), A. V. Bushkovitch (1970, 1974), I. A. Omer (1970), Bas van Fraassen (1970), Robert J. Wolfson (1970), James A. Blachowicz (1971), Jack C. Carloye (1971), T. R. Girill (1971, 1972), Charles G. Morgan (1972), Nancy Cartwright (1974), D. A. Thorpe (1974), L. S. Schulman, R. G. Newton, R. Shtokhamer (1975), F. Dretske (1977), Timothy McCarthy (1977), Kenneth M. Sayre (1977), G. H. Merrill (1980), M. Elaine Botha (1986), Y. Y. Haimes, A. Weiner (1986), Ryan D. Tweney (1986), R. J. Nelson (1987), James Woodward (1987), Newton C. A. da Costa und Steven French (1990), Ronald Nelson Giere (1994), Clark A. Chinn, William F. Brewer (1996), Gregory Cooper (1996), usw.

 

In der „Synthese“ erschienen Aufsätze von Evert Willem Beth (1948 und 1960), Karl Wolfgang Deutsch (1948), H. J. Groenewald (1954), Leo Apostel et al. (1960; the Utrecht Colloquium), J. Hannah (1966), J. Cushing (1982) und Henk W. De Regt (1999).

 

Im „Journal of Symbolic Logic“ erschienen die einflussreichen Aufsätze von John G. Kemeny (1948, 1956), A. W. Burks (1949) und Leon Henkin (1949, 1956), J. Barkley Rosser, Hao Wang (1950), J. C. Shepherdson (1951-53), Vaclav Edvard Benes (1954) und William Craig (1957).

 

In „Psychological Review“ erschienen die Berichte von Edward Chace Tolman (1948; 1949), William Kaye Estes (1950; 1960; 1976), Robert R. Bush und Frederick Mosteller (1951; zweimal), William Kaye Estes, Cletus Joseph Burke (1953), Clyde H. Coombs, Howard Raiffa und Robert MacDowell (1954), Donald Eric Broadbent (1957), E. J. Green (1958), R. J. Audley (1960), Roy Lachman (1960), J. R. Anderson (1978), John Malcolm Pearce, G. Hall (1980).

 

In den „Public Opinion Quarterly“ erschienen Aufsätze von Meyer A. Girshick, Daniel Lerner (1950), Stanley L. Payne (1951), Karl W. Deutsch (1952) und Robert P. Abelson (1954).

 

Im „Journal of Personality“ erschienen die Beiträge von Ludwig von Bertalanffy (1951) und Neal E. Miller (1951), Joseph Zubin (1952) sowie J. H. Bryan und M. A. Test (1967).

 

In „Psychometrika“ erschienen Beiträge von Bert Green, Jr. (1951), George A. Miller und W. J. McGill (1952), William Kaye Estes (1957), Cletus Joseph Burke und William Kaye Estes (1957) sowie R. C. Atkinson (1958).

 

Im "British Journal of the Philosophy of Science" erschienen Mary Brenda Hesse (1952, 1953-54), John Oulton Wisdom (1952), Richard Langton Gregory (1953), Ernest Hirschlaff Hutten (1953-54), Robert Aubrey Hinde (1956) und Joseph Turner (1955-56), William Kaye Estes, Patrick Suppes (1959), Peter Achinstein (1965), Marshall Spector (1965), R. Ackerman (1965/66), Jeffrey Wallace Swanson (1966/67), G. L. Farre (1967), Henry C. Byerly (1969), Michael Redhead (1980), Richard Josza (1986), Adam Grobler (1990), R. K. Tavakoi (1991), Rebecca Kukla (1992), Adam Morton (1993), James Horgan (1994).

 

Der "American Psychologist" begann mit William Kaye Estes (1957) und Alphonse Robert Everysta Chapanis (1961); es folgten Robert Rutherford Holt (1964), J. P. Guilford (1966), Albert Bandura (1974), William A. Mason (1976), Roger Newland Shepard (1978), David Abraham Lieberman (1979) sowie Keith James Holyoak, Paul Thagard (1997), Dedre Gentner, Abe Markman (1997).

 

"Philosophia naturalis" begann mit Gerhard Frey (1957), Herbert Stachowiak (1957) und Friedrich Kaulbach (1958), und führte dann über Walter Heistermann (1965), Kurt Hübner (1971) und Patrick Suppes (1988) bis zu Heft 1, 1998, das 14 Beiträge eine Kolloquiums im Juni 1996 in Berlin zu Fragen der Physik enthält (Brigitte Falkenburg, Wolfgang Muschik 1998) sowie Margaret Morrison (1998).

 

 

Modelle werden entwickelt und diskutiert

 

Seit 1944: verfeinerte Modelle in der Ökonomie, neue Modelle in anderen Wissenschaften

 

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die Modelle in der Ökonometrie verfeinert durch Leonid Hurwicz, Tjalling C. Koopmans; Lawrence Robert Klein; Robert W. Solow.

Neue Gebiete waren

  • Entscheidungs- und Risikotheorie (Herbert Alexander Simon, Abraham Wald, Leonard J. Savage; Ward Edwards; Kenneth Joseph Arrow, Robert McDowell Thrall, Clyde H. Coombs),

  • Spietheorie (John von Neumann und Oskar Morgenstern, Melvin Dresher, Martin Shubik) und

  • Börsentheorie (Harry M. Markowitz, James Tobin).

 

Eine mathematische Behandlung der Lerntheorie versuchten William Kaye Estes, Robert R. Bush und Frederick Mosteller..

 

Seit seiner Dissertation 1950 publizierte Patrick Suppes Dutzende von Beiträgen zu Fragen der Modelle und Wissenschaft. Sammelbände davon erschienen 1979 und 1993.

 

Die weiteren Pioniere der ersten Stunde bilden eine internationale Vielfalt. Dazu gehören Ernest Hirschlaff Hutten, Mary Brenda Hesse und Karl Wolfgang Deutsch sowie Evert Willem Beth, John G. Kemeny, Georg Kreisel, Abraham Robinson und Chen Chung Chang.

 

Die mathematisch-logische "Modelltheorie" wurde von Alfred Tarski (1954-55) ausgebaut.

 

Seit 1950: Computersimulation und Modellierung

 

In den frühen 1950er Jahren fing man mit Simulationen auf dem Computer an (dazu B. G. Farley, W. A. Clarke 1954: R. P. Rich 1955; M. H. Blitz 1957). Man versuchte für die unterschiedlichsten Vorgänge mathematische, statistische oder stochastische Modelle einzuführen und sprach von "system simulation" (z. B. W. E. Alberts 1956), und die AIIE hielt 1958 in Baltimore ein erstes Symposium dazu ab. Walter J. Karplus stellte 1958 Angaben über "Analog Simulation" zusammen, Keith Douglas Tocher 1963 über "The Art of Simulation".

Einen Reader zu Simulationen in den Sozialwissenschaften stellte Harold Steere Guetzkow 1962 zusammen. Zusammenfassungen boten 1958 Francis F. Martin und John McLeod.

 

Immer wieder wichtig Impulse kamen in den 50er und 60er Jahren von der 1948 gegründeten RAND-Corporation in Santa Monica, einem Think Tank, der auch bedeutende Beiträge zur "Systemanalyse" lieferte.

Ende der 70er Jahre zählte Per Holst in einer Bibliographie der Literatur zu "Computer Simulation" (1979) bereits über 6000 Titel.

Parallel dazu liefen Bemühungen, für wirtschaftliche, biologische und psychische Vorgänge "mechanische Modelle" zu finden (N. F. Morehouse et al. 1950; O. J. M. Smith, H. F. Erdley 1952; Arnold Tustin 1953; Donald E. Broadbent 1957). Schon 1957 äusserte sich Rolf Günther in seiner Dissertation "Das Problem der Analogie zwischen wirtschaftlichen und elektrotechnischen Vorgängen" kritisch dazu.

 

Der Begriff "Modellierung" taucht etwas später auf, einerseits im Russischen (und den ostdeutschen Übersetzungen), anderseits im Englischen (Eric John Barker 1954; N. L. Irvine, L. Davis 1955; Herbert A. Simon 1961; Kenneth M. Sayre 1963; Richard F. Reiss 1964).

"Models of Data" führte Patrick Suppes 1960 am Internationalen Kongress in Stanford ein. In den 80er Jahren kam es zu einem inflationären Gebrauch des Wortes "Datenmodell" (Karl Kurbel, Horst Strunz 1990).

 

Seit 1960: Eine Revolution - Computer-aided Design (CAD)

 

Seit etwa 1960 werden viele liebgewordenen Techniken des Entwurfs und Konstruierens von Modellen für Gebäude, Schiffe oder Automobile, elektrische Schaltkreise oder Spritzgussformen ersetzt durch Computer-aided Design (CAD).

Dieses rechnergestützte Entwerfen und Konstruieren wurde zuerst im militärischen Beriech der US-Raumfahrt vorangetrieben und später auch dem öffentlichen Bereich zugänglich gemacht.

1964 entwickelte IBM den ersten CAD-Computer, das "System 2250". Eine erste allgemeine Einführung erschien 1968 von Charles Russell Mischke

 

Ein Lexikon definiert:

"CAD-Programme dienen zum Beispiel Architekten oder technischen Zeichnern beim Erstellen von Grundrissen, Schaltplänen und Karten. Sie werden zum Entwerfen, Bearbeiten, Drucken und Speichern von maßstabsgerechten Entwurfszeichnungen eingesetzt. Sie finden auch beim Entwurf virtueller Realitäten Verwendung.

Wenngleich das Entwerfen am Computer zunächst aufwendiger erscheint als auf dem Reissbrett, hat CAD jedoch mehrere Vorzüge gegenüber dem Zeichnen am herkömmlichen Zeichenbrett:

·        Wiederholt benötigte Elemente einer Zeichnung (Module) können gespeichert und jederzeit in den Entwurf eingefügt oder modifiziert werden. Für manche CAD-Anwendungsbereiche können bereits "Bibliotheken" mit vorgefertigten Zeichnungen von Standard-Modulen erworben werden.

·        Nachträgliche Änderungen an einer CAD-Zeichnung sind sehr viel einfacher als bei einer herkömmlichen.

·        CAD-Zeichnungen sind skalierbar, das heißt, es können unkompliziert Maßstabsveränderungen vorgenommen oder Ausschnittsvergrößerungen angefertigt werden.

·        Änderungen können rückgängig gemacht, alte Versionen derselben Zeichnung können wiederhergestellt werden.

·        einzelne Bild-Elemente (Module) können sehr einfach dupliziert, gespiegelt oder rotiert werden.

·        Manche CAD-Programme können dreidimensionale Modelle aus zweidimensionalen Zeichnungen errechnen. Außerdem können sie den Materialbedarf und die Materialkosten errechnen.

·        CAD-Programme, die zum "Computer Aided Manufacturing" (CAM) geeignet sind, können die Daten einer Zeichnung direkt an eine entsprechende Werkzeugmaschine übermitteln."

 

 

Seit 1960: Erneut Forschungen über Imagery, Analogien und Metaphern

 

1960-1979: Zaghafte Beachtung von Imagery

 

Siehe: Literatur Imagination/ imagery

 

Um 1960 ergab sich wie am Anfang des Jahrhunderts eine paradoxe Situation: Einerseits breitete sich der sogenannte "kognitive" Ansatz in Psychologie, Anthropologie (Ethnologie) und Ethologie rasch aus, anderseits stürzte sich die Forschung geradezu auf "imagery" und holte auch Analogie und Metapher aus der Versenkung.

 

Zuerst breiteten sich Diskussionen aus über

·     "imagery" (Silvan Solomon Tomkins 1962; Alice Constance Owens 1963; Robert Rutherford Holt 1964; Stanley M. Jencks, Donald M. Peck 1968; Alan Richardson 1969; R. C. Anderson, J. L. Hidde 1971; Allan Paivio 1971; Sydney Joelson Segal 1971; Joel R. Levin et al. 1972; Peter W. Sheenan 1972; Martha Crampton 1977; Geir Kaufmann 1979, 1980; R. L. Solso 1979)

·     "mental maps" (Peter Robin Gould 1966; 1974) oder

·     "mental images" (James Wreford Watson 1967; Alastair Hannay 1971; Roger Newland Shepard (1971 with Jacqueline Metzler, 1978, 1982),

 

Heftige Kritiken an den Theorien der imagery übten etwa Zenon Walter Pylyshyn (1973), Jerry A. Fodor (1975, 1981, 2000), John Robert Anderson (1978) und Peter Slezak (1990). Einen ersten Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen der pictorialists und der propositionalists boten Stephen Michael Kosslyn und James R. Pomerantz (1977). Eine gute Übersicht über die Debatte von 1973 bis 2002 gibt Verena Gottschling (2003).

 

Eine nachhaltige Wirkung hatte die "Psycho-imagination therapy" von Joseph E. Shorr (1972, 1974, 1980, 1989). Er faste seine Erfahrungen mit dieser Form von Psychotherapie 1998 zusammen.

 

1980-2000: Erstaunliche Fülle von Forschungen über "imagery"

 

Nun gab es kein Halten mehr.

Schriften zu "imagery" erschienen von Stephen Michael Kosslyn (1980), John T. E. Richardson (1980), Roger Newland Shepard und Lynn A. Cooper (1982), Peter Edwin Morris, Peter J. Hampson (1983), Akhter Ahsen (1984), Martha J. Farrah (1984), Artur I. Miller (1984; 1996), Allan Paivio (1986, 1991), David Henry Tudor Scott (1986), Mark Rollins (1989) und Ronald A. Finke (1989).

 

Dazu wurden zahlreiche Sammelbände herausgegeben, z. B. von Ned Block (1981), John C. Yuille (1983), Malcolm L. Fleming und Deane W. Hutton (1983), Anees Ahmad Sheikh (1983; 1986), Mark A. McDaniel und Michael Pressley (1987), Michel Denis et al. (1988).

 

Von 1990 bis 2000 wurden über 200 von Studien über "imagery" veröffentlicht.

Alan Richardson legte 1993 eine Bibliographie über "mental imagery" von 1872-1976 vor. Offenbar ging ihm dann der Schnauf aus.

Im Jahr darauf behauptete Stephen Michael Kosslyn mit der Vorlage eines 500seitigen Werks ("Image and Brain"), die Debatte über Imagery - so ein Titel von Michael Tye (1991) - endgültig gelöst zu haben.

Interessante Studien legten Robert H. Logie und Michel Denis ("Mental images in human cognition" 1991), Beverly Roskos-Ewoldsen et al. (" Imagery, creativity, and discovery", 1993), Ralph D. Ellis ("Questioning consciousness. The interplay of imagery, cognition, and emotion in the human brain", 1995) und Marlene Behrmann et al. ("The neuropsychology of mental imagery", 1995) vor.

Eine Standortbestimmung im Jahre 2000 bot Michel Denis (2000), und der Altmeister der Sprach- und Denkphilosophie Jerry Alan Fodor warnte: "The mind doesn't work that way!"

 

1960-2000: Spärlichere Forschungen über Analogien

 

Siehe: Literatur Analogie/ analogy

 

Das Büchlein von Mary Brenda Hesse "Models and Analogies in Science" (1963) brachte für die Beachtung der Analogien die Initialzündung. Zuerst meldeten sich Peter Achinstein (1964) und Joseph Agassi (1964). In der Zeitschrift „Philospohy of Science“ entspann sich 1971/72 eine Auseinandersetzung zwischen Jack C. Carloyle, T. R. Girill und Peter Achinstein.

1974 erschienen die Dreifachtitel von William Hilton Leatherdale „Analogy, model, metaphor“ sowie von Danielle und George Arthur Mihram „The role of models, metaphors and analogy“.

Es folgten eher kuriose Auffassungen von Hermann de Witt (1974-83) und Kurt Seidl (1981).

 

Zurück in wissenschaftlichere Gefilde führten unter vielen anderen John Haugeland (1981), Dedre Gentner (1980, 1981, 1982, 1997, 2001), Rom Harré (1988) und Keith James Holyoak (1989, 1994, 1995, 1997, 2001).

 

1960-2000: Nach verhaltenem Anfang Hunderte von Studien über Metaphern

 

Siehe: Literatur Metapher/ metaphor

 

Nach einigen Artikeln (Max Black, 1954, R. R. Boyle, 1954, S. E. Asch, 1958; Paul Henle, 1958; Rom Harré, 1960) fand schon 1960 an der Universität Bristol ein Symposium über „Metaphor and Symbol“ (Lionel Charles Knights, Basil Cottle 1960) statt.

 

Eine fruchtbare Wirkung auf die Auseinandersetzung mit Metaphern hatten der persönliche Sammelband von Max Black („Models and Metaphors“ 1962; Ergänzungen dazu 1977) sowie die Schriften von Colin Murray Turbayne ("The myth of metaphor" 1962), Philip Ellis Wheelwright ("Metaphor & reality" 1962), Douglas Berggren ("The Use and Abuse of Metaphor" 1963), Barbara Mary Hope Strang ("Metaphors and models" 1964) und Weller Embler ("Metaphor and meaning" 1966).

 

Doch so richtig los ging es erst mit dem Sammelband von Andrew Ortony ("Metaphor and thought" 1979) und dem Bestseller von George Lakoff und Mark Johnson "Metaphors we live by" (1980). Eine Fülle von Studien aller Art entstand, insgesamt mehrere hundert.

 

Mark Johnson gab 1981 einen 360seitigen Sammelband zu "Philosophical Perspectives on Metaphor" heraus, David S. Miall 1982 einen kleineren ("Metaphor. Problems and perspectives") und Anselm Haverkamp 1983 einen 500seitigen zur "Theorie der Metapher". Daniel Rotbart (1984, 1997) befasste sich über längere Zeit mit der Funktion von Metaphern in der Wissenschaft.

Wichtig wurde die Untersuchungen von Earl Ronald Mac Cormac (1985), Georg Schöffel (1986) und Eileen Cornell Way (1991).

Sonst erschienen fast nur Sammelbände, z. B. von Jaakko K. Hintikka (1994), George A. Cowan et al. (1994), Hans Julius Schneider (1996), Wolfgang Bergem et al. (1996), Bernhard Debatin et al. (1997), Lynne Cameron et al. (1999) und Ruben Zimmermann (2000) und Marin J. Gannon (2001).

 

1960-2004: Ungenauer Gebrauch von „Repräsentation“

Siehe: Literatur Repräsentation/ representation

Viel Verwirrung brachte die Verwendung des Worts „Repräsentation“, engl. „representation“ seit 1960, etwa durch William Heriot Watson (1960), Bernard Kaplan (1961) und Hanna Fenichel Pitkin (1967), dann von Peter Caws (1974), William A. Mason (1976), S. E. Palmer (1978) und Jerry Alan Fodor (1979, 1981).

Zwei der ganz wenigen Autoren, die sich gegen die unbedachte Verwendung des Wortes „Repräsentation“ statt Abbild oder Modell wehrten, waren Wilfried Neugebauer (1977) und Wolfgang Brezinka (1984, 837-838).

In den 1980er Jahren wurde der Begriff „mental representation“ Mode, wie die Schriften folgender Autoren zeigen: Joan W. Bresnan (1982), Jacques Mehler et al. (1982), Alan Paivio (1986), Ruth M. Kempson (1988), Hilary Putnam (1988) und Patrick Suppes (1988) sowie Robert A. Cummins (1989; siehe auch 1996), Stuart Silvers (1989) sowie John Dinsmore (1991) und Eduard Marbach (1993).

Über “mental models” publizierten Dedre Gentner und Albert J. Stevens (1983), Philip Johnson-Laird (1983), Alan Garnham (1987) und K. J. Gilhooly (1987), Colin McGinn (1989), D. Ackermann, M. J. Tauber (1990), Michael E. Gorman (1992) und Nancy J. Nersessian (1993) sowie Clark A. Chinn, William F. Brewer (1996).

1996 gaben Jane Oakhill und Alan Garnham einen Sammelband zu Ehren von Philip N. Johnson-Laird heraus: “Mental models in cognitive science”.

Von „knowledge representation” sprachen Jay L. Garfield (1987), Eileen Cornell Way (1991), Ellen Hisdal (1998) und John F. Sowa (2000). 1993 gaben Kenneth M. Ford; Jeffrey M Bradshaw einen Sammelband heraus unter dem Titel: „Knowledge Acquisition as Modeling”.

Wichtige Schriften zum Thema Repräsentation erschienen von Ian Hacking (1983), Donald Davidson (1984), Hilary Putnam (1988) und Patrick Suppes (1988, 1994), W. G. Lycan (1989), dann von Kenneth J. Gilhooly (1990), T. Goschke, D. Koppelberg (1991), Rebecca Kukla (1992), W. J. Thomas Mitchell (1994) und R. I. G. Hughes (1997).

Sammelbände publizierten Daniel Guresako Bobrow, Allan Collins (1975), Jacques Mehler et al. (1982), Stuart Silvers (1989), Michael Lynch, Steve Woolgar (1990), Stephen P. Stich, Ted A. Warfield (1994) und Yosef Grodzinsky, Lewis P. Shapiro, David Swinney (2000).

An der Tagung der Philosophy of Science Association (PSA) 2002 in Milwaukee sprachen an einer Session „Pragmatics of Scientific Representation“ Ronald N. Giere, Mary S. Morgan, Mauricio Suárez, Andrea I. Woody und Bas C. van Fraassen (Sandra D. Mitchell 2004).

Bereits 1994 befand Michael Lynch: „Representation is Overrated“ und 1999 stellten Alexander Riegler et al. die von ihnen herausgegebenen Vorträge eines Kongresses zur „Cognitive Science“ 1997 in Wien unter den Titel: „Does representation need reality?“ Im Jahre 2003 versuchte Steven French „A Model-Theoretic Account of Representation“.

Von historischen Kenntnissen kaum beeinflusst sind die vielen unterschiedlichen Verwendungsarten von Repräsentation, die sich etwa finden bei Stephen Michael Kosslyn, James R. Pomerantz (1977), John Robert Anderson (1978), Max Wartofsky (1979), Cesare Cornoldi et al. (1996), Michael A. Forrester (2000) und Elisabeth Cathérine Brouwer (2003).

VKein Wunder, dass spätestens in den 1990er Jahren eine „Krise der Repräsentation“ deutlich wurde (Silja Freudenberger, Hans Jörg Sandkühler, 2003; Winfried Nöth, Christina Ljungberg 2003).

 

Fazit für die Modellbetrachtung

 

Vom "Model Muddle" zur "Allgemeinen Modelltheorie"

 

Das Lamento über die verwirrende Fülle der Bedeutungen und Verwendungen von "Modell" - die jedem Kunstgeschichtsstudenten vertraut sind - beginnt schon bei Rudolf Seeliger (1948, 127): "Leider gehört der Modellbegriff zu dem Worten, durch die man recht Verschiedenes bezeichnet. Allein in der Physik gibt es zwei oder drei Dinge, die man so nennt."

 

Trotz des programmatischen Titels "Models" ist der Sammelband mit 18 Aufsätzen des Philosophen Max W. Wartofsky aus den Jahren 1953-1978 enttäuschend. Die mechanischen Modelle von Maxwell und Lord Kelvin, mit der Kritik von Duhem, werden auf einer einzigen Seite erwähnt.

Wie vielen anderen ist ihm mit dem Modellbegriff überhaupt nicht wohl und er sprach daher 1966 von einem "model muddle" (1979, 1). Seine Lösung lautet: "I propose to collapse the distinction between models, theories, analogies, and to take all of these, and more besides, as species of the genus representation; and to take representation in the most direct sense of image or copy."

Das kommt - mit der Verwischung aller Differenzierungen - einer Bankrotterklärung gleich.

 

Eine ähnliche Hilflosigkeit gegenüber Modellen bemerkt auch noch Karl H. Müller (1996, 33), der einen spottenden Kollegen zitiert: "The modeling paradox can be summarized as an alchemical GIGO-Principle (Garbage in - Gold out)".

 

Dabei haben unter anderem die Deutschen Max Jammer (1965) und Friedrich Kaulbach (1965) in ihren Aufsätzen in der Zeitschrift "Studium Generale" sowie der russische Philosoph Viktor A. Stoff (1969) in seinem schönen Buch den Modellbegriff in ziemlicher Breite aufgenommen.

 

Ebenfalls 1965 knüpfte der Mathematiker Herbert Stachowiak in seinen "Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle" an pragmatisch-zeichentheoretische Vorläufer an und eröffnen die Möglichkeit einer logisch wie empirisch adäquaten Präzisierung des Modellbegriffs. Acht Jahre später begründete er mit seinem umfangreichen Werk "Allgemeine Modelltheorie" (1973 - vgl. auch 1988) eine neopragmatische ("modellistische") Erkenntnistheorie" und bot auf über 170 Seiten (128-303) eine umfassende musterhafte Strukturierung und Klassifizierung des Modellbegriffs. Das Werk hat nicht die Beachtung erhalten, die es verdient.

Stachowiak folgten u. a. Christian Salzmann (1972) und Roland Müller (1976, 1977), Kurt Wuchterl (1979), Bernd Schmidt (1982), Veit Pittioni (1983), Stephan Dutke (1994), Wolfgang Jonas (1994, 101-105), Wolfgang Peters (1998), Marco Thomas (2001) und Oliver Thomas (2005).

Horst Franz Flaschka (1976, 4-29) und Hermann Fertig (1977, 28-30, 34) stützen sich erstaunlicherweise auf einen Artikel Stachowiaks von 1965, nicht auf den voluminösen Band von 1973.

Jörg Wernecke hat in seiner umfangreichen Dissertation (1994, 87-92, 241-440) eine Fortsetzung dieses Systematischen Neopragmatismus versucht.

 

Im internationalen Vergleich erstaunt, wie wenig deutschsprachige Literatur - von Hermann Rudolf Lotze (1852), Ernst Mach (1883, 1902, 1905) und Ludwig Boltzmann (1892, 1902) über Paul Volkmann (1910) und Anton Fischer (1947) bis Klaus-Dieter Wüstneck (1963, 1969), Max Jammer (1965) Hannelore Fischer (1968, 1974), Herbert Hörz (1975) und Herbert Stachowiak - beachtet wurde.

 

Wie weiter?

 

In einem kurzen Beitrag über Modelle in der Physik behauptet Brigitte Falkenburg (1997, 28) - unter den Titelbalken "Models in the Biological Sciences", was wohl ein technisches Versehen ist -, der Modellbegriff werde von der empiristisch orientierten Wissenschaftstheorie "nicht als etwas Eigenständiges aufgefasst, sondern als ein Derivat des formalen Theoriebegriffs: Modelle sind demnach abstrakte mengentheoretische Darstellungen von Sätzen einer axiomatischen Theorie, die wiederum konkrete empirische Repräsentationen haben können."

 

Brigitte Falkenburg verwendet einen andern Modellbegriff. Sie weist auf zwei Bücher (von Nancy Cartwright, Ian Hacking) hin, welche 1983 begonnen haben, "die Aufmerksamkeit auf Weisen der Modellbildung zu richten, wie man sie in der Physik auf Schritt und Tritt findet - auf Modelle mit inkohärenten theoretischen Grundlagen, die schon wegen ihrer Inkohärenz keine Modelle von Theorien im formalen, modelltheoretischen Sinn sein können" (29).

Was sind sie dann? Das verrät die Autorin nicht. Es scheint sich aber um Phasen auf dem Weg zu fertigen Theorien zu handeln. Denn der Alltag physikalischer Grundlagenforschung besteht nach der Theoretikerin Falkenburg "in der Suche nach fundamentalen Theorien auf der Basis inkohärenter Prinzipien und Modelle" (38).

 

Darüber berichten Mary S. Morgan und Margaret Morrison unter der einprägsamen Formel "Models as Mediators" (1999). Doch schon in der Einleitung (1999, 8) bekennen die Autorinnen nach 10 Jahren intensiven Diskussionen:

"We have very little sense of what a model is in itself and how it is able to function in an autonomous way."

 

Im Jahre 2004 skizzierte Giuseppe Lanzavecchia in einem kurzen Artikel die nützlichen „powers of models“. Allerdings hält er Modelle – wie die reale Praxis der Wissenschaft zeigt – Modelle für unnütz. Er behauptet sogar, dass die Quantenmechanik eine Theorie sei, welche der Modelle nicht bedürfe (2004, 230).

 

Modelle dienen der Wissenschaft und der Technik

 

Woran können wir uns denn heute halten?

 

Brigitte Falkenburg und Susanne Hauser eröffnen ihr Editorial zum Sammelband über "Modelldenken in den Wissenschaften" (1997) mit den Sätzen:

"Bei aller inhaltlichen und methodologischen Uneinheitlichkeit weisen die heutigen Natur- und Kulturwissenschaften eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit auf: Die Modellbildung spielt in ihnen eine prominente Rolle. Modelle sind konstitutiv für wissenschaftliche Erkenntnis; sie sind neben hermeneutischen Methoden wohl die wichtigsten Werkzeuge zur Erschliessung der Gegenstandsbereiche der Einzelwissenschaften."

 

Ganz ähnlich behaupten Margaret Morrison und Mary S. Morgan (1999, 10): "Models are one of the critical instruments of modern science. We know that models function in a variety of different ways within the sciences to help us learn not only about theories but also about the world."

 

Carl W. Halls 500seitige alphabetische Zusammenstellung von "Laws and Models" enthält vielleicht 2000 physikalische Gesetze, aber nur zwei richtige "Modelle", seltsamerweise von Dirac und Turing. Dennoch schreibt George A. Hazelrigg (in Carl W. Hall: Laws and models. 2000, viii) in der Einleitung Wichtiges zum Thema Modell:

"A model is an abstraction of reality. It is only through models, and especially inferences of cause and effect, that we gain an understanding of nature. In engineering we use models to combine disparate elements of knowledge and data to make accurate predictions of future events."

 


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