Die Modellmethode der Renaissance
dazu Literatur: Architekturmodelle und Musterhäuser (23. v. Chr. – 2006) Kapitel: Bauen, Architekturtheorie und Modelle in der Renaissance
Pionier für die Planung mittels Architekturmodellen in der Renaissance war Florenz. Der Bau des Doms erstreckte sich über 180 Jahre. Rolf Bernzen (1986) hat die Planungsphasen mit bewunderungswürdiger Akribie nachgezeichnet. Dabei musste er allerdings viele liebgewordene Vorstellungen über den Haufen werfen.
Die «neue» Modellmethode der Renaissance
Der erste Baumeister des seit 1294 geplanten Neubaus, Arnolfo di Cambio, hat kein dreidimensionales Modell vorgelegt, und auch vom berühmten Künstler Giotto ist kein Modell für den Campanile (um 1334) nachweisbar [siehe auch Howard Saalman, 1964]. Erst unter Francesco Talenti werden zwei Holzmodelle erwähnt: 1353 eines für den Campanile, zwei Jahre später eines für die Chorkapellen und einen Teil des Langhauses. Beide wurden als «disegniamento... di legniame» bezeichnet und dienten, im heutigen Jargon, «als zielprojezierendes Arbeitsmittel mit einer resultatantizipierenden Funktion, die mit dem Übergang von der Planungs- zur Realisierungsebene zwangsläufig handlungs- und vorgehensorientierende Funktion erhält» (Rolf Bernzen, S. 81).
Als der Campanile vollendet und der Bau des Langhauses weiter fortgeschritten war, musste 1366 die «letztlich endgültige Konzeption des Projektes» an die Hand genommen werden. Die Baubehörde gab Entwürfe in Auftrag. Nach kurzer Zeit lagen zwei Zeichnungen und ein Modell aus Ziegelmauerwerk vor. Pikanterweise lief die eine Zeichnung unter «desingnum seu modellum». Für das Modell hatte man noch keinen Fachausdruck. Es wurde daher als «chiesa picchola» oder «ecclesia parva, facta pro desingnamento» oder «... per exemplum» bezeichnet.
Ausgewählt wurde die eine Zeichnung; das Modell musste deshalb zerstört werden. Die Veranschaulichung der Grundrisszeichnung erfolgte dann vermutlich durch Aufrisse (rilievo) und dreidimensionale Modelle, und zwar in einem stark auch von politischen Auseinandersetzungen beeinflussten Tauziehen zwischen verschiedenen Gruppen. Ein Jahr später lagen schliesslich zwei Konkurrenzmodelle vor, wovon sich das eine auf die Zeichnung bezog («in similitudine del detto modello»). Ein Bürgerausschuss musste nun entscheiden, welches «nützlicher, schöner und für die Stadt prestigeträchtiger» sei. Der Dom müsste dann möglichst ähnlich diesem Modell fertiggebaut werden («ad cuius similitudinem ecclesia debeat hedificari»). Deshalb mussten fortan alle Bauleiter einen Eid auf dieses Modell ablegen. Doch technisch war das vorgesehene Programm gar nicht zu realisieren; die Kuppel mit ihrem riesigen Durchmesser stellte zu grosse Probleme.
Modelle für den Bau der Kuppel: zum Erproben technischer Lösungen
Erst fünfzig Jahre nach diesem Grundsatzentscheid kam wieder Bewegung in die Sache. 1417 wurde Brunelleschi als Berater beigezogen, und bald waren eine ganze Reihe Schreiner beauftragt, Modelle für die Ausführung der Kuppel - also für die technische Lösung - herzustellen. Diese heissen nun erstmals it. «modello», «modeli», «modeglio», lat. «modellum» oder «modello». Nach langwierigen Evaluationen wurde 1420 ein Modell ausgewählt, vermutlich ein Gemeinschaftswerk von Ghiberti und Brunelleschi. Die beiden wurden auch zusammen mit Battista d'Antonio zu Bauleitern ernannt. Mit Hilfe weiterer Modelle - auch für Aufzugs- und Hebevorrichtungen - wurde dann der Bau der Kuppel Schritt für Schritt vorangetrieben. Als der Dom schliesslich 1436 geweiht wurde, fehlte nur noch die Laterne. 35 Jahre später konnten endlich die goldene Kugel und das Kreuz auf dem Laternendach angebracht werden.
Von all diesen Modellen ist heute nichts mehr erhalten (ausser drei Teilmodelle von 1420 - siehe Andres Lepik, 1994, 66-71, 197-198, Abb. 21ff.). Einige Rekonstruktionen der Aufzüge und Kranen finden sich im reich illustrierten Buch von Howard Saalmann: «Filippo Brunelleschi. The Cupola of Santa Maria del Fiore» (1980, 108-134). Aber die Arbeit mit Modellen liess sich deutlich nachweisen: Zuerst dienen sie der Entscheidungsfindung in Kommissionen (1355), dann sogar für die breitere Öffentlichkeit (1367); gleichzeitig dienen sie der Prüfung statischer Verhältnisse (1367), später dem Entwerfen und Testen von Lösungen für technische Probleme der Realisation des Geplanten.
Die Modellmethode breitet sich aus
Die Verwendung von Modellen beim Dombau in Florenz hat wohl rasch die Aufmerksamkeit der Fachwelt erregt. Insbesondere die Planungsverantwortlichen in Bologna orientierten sich daran. Antonio di Vincenzo wurde hier 1390 mit der Ausführung eines Modells für San Petronio beauftragt. Es soll im Massstab 1:12, also 15 bis 18 Meter lang, aus Stein und Gips errichtet worden sein (wie Jacob Burckhardt 1868 schrieb). Gleichzeitig wurden auch bei den Auseinandersetzungen um die Weiterführung des Mailänder Doms mehrere Holzmodelle angefertigt. Seither ist immer wieder von Modellen die Rede. Heute noch erhalten sind aber erst drei Teilmodelle des Doms von Florenz, vermutlich von 1420 (Andres Leipk, 1994, 66-71, 198) und seit 1490 z. B. Modelle des Palazzo Strozzi in Florenz sowie des Doms von Pavia. Das Papiermache-Modell von St. Maclou in Rouen (um 1500) ist erst nach der Fertigstellung der Kirche angefertigt worden (Pierre du Colombier 1973, 95).
Die ersten Architekturtheoretiker schaffen Verwirrung
Fast eineinhalb Jahrtausende nach Vitruv (Abbildung 1a und 1b) hat der Exilflorentiner Leon Battista Alberti, ein echter «uomo universale» der Renaissance, zur Zeit der Fertigstellung des Doms von Florenz als erster versucht, Kunst und Architektur auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. In «De Pictura» (1435, it. 1436) und «De re aedificatoria» (um 1450/60, gedruckt 1485) fasst er Kunst als ein Gebiet objektiver, erforschbarer Gesetze auf. Grosse Bedeutung misst er der Arbeit mit Modellen zu (vgl. Abbildung 2). Leider hat er einer neuerlichen terminologischen Verwirrung Vorschub geleistet:
1. statt des neu-lat. «modellum» benützt er das Wort «modulus»,
2. darüber hinaus verwendet er «modulus» aber auch im alten vitruvschen Sinne als Mass der Säulen. Die erst fast hundert Jahre später erfolgte Übersetzung ins Italienische (1550) hat für den ersten Fall «modegli», aber auch «modelli».
Einige Jahre nach Alberti, zwischen 1461 und 1464, hat ein anderer Florentiner, Antonio Averlino, der sich den Beinamen Filarete zulegte, einen «Trattato di Architettura» verfasst. Bis vor kurzem gab es davon nur handschriftlich überlieferte Exemplare. Hier ist nun erstmals in einem «Buch» von «modello» die Rede, und zwar meist zusammen mit dem synonymen Ausdruck «disegno rilevato» (d.h. erhabene, nicht ebene Darstellung). Im Unterschied zu Alberti sieht er das Modell eher als definitives, vor allem in den Proportionen massgebliches Vorbild für den Bau, während es bei Alberti noch technische, experimentelle Funktionen hat, die an den Kopien durchgespielt werden.
Das deutsche Wort für «desingnum» um diese Zeit war «Visierung». Gefolgt von einem Materialbegriff bedeutet es Modell der Steinmetzen. So heisst es in der Regensburger Ordnung von 1514: Wer Meister werden möchte, soll «ain visier machenn von ledtenn oder aus tägl», also ein Modell aus Ton oder Lehm.
Die Unsicherheit der Begriffe
Aus sprachlicher Sicht ist die Unsicherheit der Begriffe auffällig. Zuerst - beim Florentiner Dombau - hatte man für Modell nur eine allgemeine Bezeichnung (disegniamento, disengno oder Visierung, bald auch Riss), welche durch eine Materialangabe präzisiert wurde (in Holz oder Lehm). "Desingnum seu modellum" war 1366 eine blosse Grundrisszeichnung. Erst 50 Jahre später wurde "Modello" zum Fachbegriff. Dies erfolgte mit direktem Bezug zum Früheren, hiess es doch 1418 in einer Wettbewerbsausschreibung für Modelle der Domkuppel: "modellum sive disegnum". Warum Alberti Jahrzehnte später diese begriffliche Präzisierung durch die Verwendung von "modulus" rückgängig machte, ist nicht ersichtlich.
Bisher ungedeutet geblieben ist die häufige Verknüpfung der Bezeichnungen für Modelle mit dem von den alten Römern dafür gebrauchten Ausdruck, nämlich "exemplar" (oder "exemplum"). Schon das Modell von 1355 wurde präzisiert: "un disegniamento asempro (= esempio) di legniame". Die "chiesa piccola" von 1366 war gemacht "per exemplum". Mehrere Modelle von 1418/19 trugen den Zusatz "per esenpro" oder "pro exemplum". Und schliesslich ist bei Alberti eine stehende Wendung: "modulis exemplariisque" (it. später: "modegli & esempi"); die deutsche Übersetzung von 1912 spricht von Modellen und "Kopien" (wobei sie das erstmalige Auftreten von "exemplar" unterschlägt).
Man müsste Sprach- und Mentalitätsforscher sein, um das klären zu können.
Modelle und Kopien von Modellen
Halten wir fest: Es gibt bei Alberti 1. Architekturzeichnungen (perscriptiones, disegno di linee) 2. Modelle und 3. Kopien der Modelle.
Da er besonderen Wert auf das handwerkliche Experimentieren am Modell legt, ist es sinnvoll, Kopien herzustellen, damit das ursprüngliche Modell erhalten bleibt, auch wenn an den Kopien Veränderungen durchgespielt werden. Alberti rät ja dem Architekten: «Geh, bitte, zweimal, dreimal, viermal, siebenmal, ja zehnmal mit Unterbrechungen und zu verschiedenen Zeiten alle Teile des zukünftigen Bauwerkes durch.» Das ist nur risikolos, wenn das Ausgangsmodell, das die «Idee» verkörpert, separat erhalten bleibt.
Literatur
Ausgaben von Alberti siehe: Literatur: Architekturmodelle
Jacob Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien. Bd. 4 von Franz Kuglers "Geschichte der Baukunst". Stuttgart: Ebner und Seubert 1868 (VIII. Kap.: Das Baumodell; vgl. auch S. 70f, 324ff). Ludwig Heinrich Heydenreich: Architekturmodell. In Otto Schmitt (Ed.): Reallexikon zu deutschen Kunstgeschichte (RDK). I, Stuttgart: Metzler 1937, Sp. 918-940. Andreas Grote: Das Dombauamt in Florenz, 1285-1370. Studien zur Geschichte der Opera di Santa Reparata zu Florenz im vierzehnten Jahrhundert. München: Prestel 1960; Richard A. Goldthwaite: The Building of Renaissance Florence. Johns Hopkins University Press 1980, Kap. 7: "The Architect", bes. S. 367-385. Howard Saalman: Santa Maria del Fiore: 1294-1418: The Art Bulletin 46.4, December 1964, 471-500. Howard Saalman: Filippo Brunelleschi. The Cupola of Santa Maria del Fiore. London: Zwemmer 1980. Rolf Bernzen: Die praktische und theoretische Konstruktion des Modellverfahrens. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der neuzeitlichen Wissenschaft. Frankfurt: Peter Lang 1986.
[Andres Lepik: Das Architekturmodell in Italien 1335-1550. DIss. Univ. Augsburg 1990; Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana (Max-Planck-Institut) in Rom. Worms: Werner 1994. Bernd Evers (Ed.): Architekturmodelle der Renaissance: Die Harmonie des Bauens von Alberti bis Michelangelo. München: Prestel 1995. Ross King: Brunelleschi's Dome. The story
of the great cathedral in Florence. London : Chatto & Windus,
2000;
(Am 23. Dezember 1988 unter dem Titel „Die ‚neue’ Modellmethode der Renaissance“ an die Zeitschrift „Hochparterre“ geschickt; am 10. Februar 1989 zurückerhalten; [Abgedruckt im Sammelband: Innovation gewinnt. Kulturgeschichte und Erfolgsrezepte. Zürich: Orell Füssli 1997, als erster Teil von Kap .11: „Innovatives Lernen am Modell“, 127-130] Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright
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