HomeVorgeschichte und Frühgeschichte der Bauhütten

(bis ca. 1550)

 

zusammengestellt 1983 bis Januar 1984;

ein Auszug in drei Teilen, der das Mittelalter betrifft (ab „Gilden")

erschien gekürzt und in anderer Reihenfolge der Kapitel 1985 mit zahlreichen Illustrationen

unter dem Titel „’Fabrica’ und Geheimnis – Organisation und Brauchtum der Bauleute im Mittelalter“

in der Zeitschrift des Verbands Schweizerischer Bildhauer- und Steinmetzmeister

 „Kunst und Stein“, Nr. 4, August, 17-23, Nr. 5, Oktober, 18-26, Nr. 6, Dezember, 14-19

 

Inhalt (ca. 40 Seiten)

Prähistorisches Bauen: Zelte, Hütten, Siedlungen

Die frühen Hochkulturen: Tempel und Paläste

Eine Art "Bauhütte" im Alten Ägypten

Die "collegia" im alten Rom waren keine Zünfte

Römische Kaiserzeit: Zwangskorporationen und prächtige Kirchenbauten

Gilden: Eid, gemeinsames Mahl und Totengedenken

Bauleute im frühen Mittelalter

Wie wurde im frühen Mittelalter gebaut?

Die Bauwut nach dem Jahr 1000

Hochmittelalter: Die Verwalter leiten den Bau

Ab 1000: Berufsgilden, ab 1150 Zünfte

Bauhütten, Logen oder Ateliers der Gotik

Die Hierarchie der Bauorganisation der Spätgotik

Der Lohn: Geld und Naturalien - über Jahrhunderte stabil und ungenügend

Das Steinhandwerk im späten Mittelalter

Überregionale Organisationen

Die drei Geheimnisse

Die Schutzheiligen: Qatuor Coronati und die beiden Johannes

 

Anhang 1:

Vereinigungen der Bauleute; Ämter, Bruderschaften. Zünfte, Logen, Bauhütten (einigermassen beglaubigt)

 

Anhang 2:

Die Mobilität der Bauleute und Künstler (500-1200)

 

Anhang 3:

Frühe namentlich bekannte Baumeister, Steinmetzen und Bauleute (600-1500)

 

Anhang 4:

Die Werkstatt: officina, domus fabri, loge, atelier

 

Anhang 5:

Münster- und Dom-"Fabriken"

(1165-1500)

 

Anhang 6:

Die Leiter der Bauarbeiten:

Bauverwalter, Schaffner und Werkmeister und Pfleger der Spätgotik

(1150-1500)

 

Anhang 7:

Zum Bauhüttenbuch von Villard de Honnecourt (1235)

und den praktischen Anleitungen der Gotik

 

Anhang 8:

Zur sog. „Strassburger Ordnung“

1459, 1464, 1515, 1563

 

Anmerkungen 1 - 119

 

Wesentliche Literatur

 

 

Seit zwei Millionen Jahren baut der Mensch Hütten.

Vor etwa 12'000 Jahren fing er an, Behausungen aus Stein und Ziegeln zu bauen; vor 6000 Jahren kamen Tempel dazu, vor 1700 Jahren Kirchen und Klöster.

 

Der Begriff "fabrica" bezeichnet seit dem 4. Jahrhundert die Kirche als Bau, seit 750 auch die Bauführung. Seit 750 wird das Wort "opus" ebenfalls für Bau gebraucht, seit 1000 für Bauführung. Ab 800 diente das Wort "officina" zur Bezeichnung von Werkstätten.

"Hütten" (in deutschsprachigen Ländern) resp. "Logen" (in England und Schottland) als Organisationen der Bauleute, sind erst seit 1350 - also nach der Errichtung der Wunderwerke der Gotik - nachgewiesen.

Das Wort "Bauhütte" wurde von Goethe (1816) geprägt, das Wort "Dombauhütte" von Carl Heideloff (1844).

 

 

Prähistorisches Bauen: Zelte, Hütten, Siedlungen

 

2 Mio. v. Chr. - 500 000 v. Chr.

 

Die moderne Archäologie hat in Ostafrika kreisförmig angeordnete Steine freigelegt, die als Fundamente für Windschirme oder Hütten gedient haben könnten. Der Fund ist auf mehr als 2 Millionen Jahre vor unserer Zeit datiert [1].

Seit dieser Zeit benutzt der Mensch auch Steinwerkzeuge, die im Laufe der Jahrhunderttausende langsam verbessert wurden: Faustkeile, Stichel, Klingen, Schaber usw.

Vor mehr als 800'000 Jahren bekam der Mensch ("homo erectus") das Feuer in den Griff und wärmte sich in Höhlen oder unter Felsvorsprüngen.

Vor einer halben Million Jahre organisierte er bereits Jagdgemeinschaften für Grosswildjagden und stellte Kleidung und "Zelte" oder Windschirme her [2].

 

500 000 v. Chr. - 12 000 v. Chr.

 

Vor wenigen Jahren konnte man bei Nizza Überreste einer prähistorischen Siedlung ausgraben, die aus 21 freistehenden Hütten bestand: Sie hatten eine längliche, ovale Form und waren 4 bis 6 m breit und 8 bis 15 m lang. Als Wände dienten Pfähle und Gerten, die nebeneinander in den Sand gesteckt und mit Steinen beschwert wurden. Im Innern gab es eine Küchen- und eine Toilettenzone, einen Abfallhaufen und einen Arbeitsplatz für die Herstellung von Steinwerkzeugen. Das war vor 380'000 Jahren [3].

 

Funde aus späterer Zeit betreffen Hütten in Höhlen oder Höhleneingängen [4].

 

Erst zur Zeit des Neandertalers (100'000 - 40'000 v. Chr.) finden sich wieder Siedlungen im Freien, gehäuft dann seit dem Auftreten des "Homo sapiens sapiens" vor etwa 40/35'000 Jahren [5].

 

Seit 12 000 Jahren: Der sesshafte Mensch

 

Als der Mensch vor 12'000 oder mehr Jahren vom Jäger und Sammler zum Pflanzen- und Tierzüchter und damit sesshaft wurde, entstanden die ersten Ackerbausiedlungen, aber auch schon bald richtige Städte. Neben vielen andern sind vor allem Jericho (ab 8350 v. Chr.) und Çatal Hüyük (ab 6250 v. Chr.) bekannt geworden, mit bereits mehreren tausend Einwohnern [6].

Seit dieser Zeit lässt sich die Entwicklung von Kultstätten oder Heiligtümern (Schreinen) zu immer grösseren Tempeln verfolgen.

 

 

Die frühen Hochkulturen: Tempel und Paläste

 

Mit dem Aufblühen der ersten Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten um 3000 v. Chr. setzt das Zeitalter der Monumentalarchitektur ein.

Dabei sind zweierlei Unterschiede zu beachten:

  • In Mesopotamien baute man aus Lehmziegeln; die Tempel waren als Wohnstätten der Götter auf Erden gedacht.
  • In Ägypten baute man - ausser aus Ziegeln - schon bald aus Stein; die Mastabas und Pyramiden waren Grabstätten für die Pharaonen.

 

Dass die frühen Hochkulturen wirklich Hochkulturen waren, hat die moderne Forschung immer mehr zu Tage gebracht. Manche Leistungen in organisatorischer und technischer, künstlerischer und moralischer Hinsicht nötigen uns, lange geblendet von den alten Griechen und Römern, je länger je mehr vollen Respekt ab. Ihre Bauten allerdings haben die modernen Menschen stets fasziniert.

 

Mesopotamien: Tempel und Paläste

 

Gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. bauten die Sumerer bereits mehrere grosse Tempel. Schon vor dem Jahr 3000 erreichten diese recht beachtliche Ausmasse. Der Tempel D in Uruk (IV) mass 55 auf 80 Meter. Bei der etwas älteren Säulenhalle im Eanna-Bezirk waren die Säulen und Wände mit Lehm verputzt und mit verschiedenfarbigen Stiften aus gebranntem Ton mosaikartig besetzt. Bald entstanden etwa zwei Dutzend Städte im Zweistromland mit Tempeln, Palästen, Stadtmauern und Strassen. Leider lagen diese Städte jahrtausendelang miteinander im Kampf [7].

 

Einer der ersten legendären Herrscher war Gilgamesch (um 2700 v. Chr.), der eine 9,5 Kilometer lange Stadtmauer mit 900 Wehrtürmen um Uruk gebaut haben soll.

Die ersten deutlich fassbaren Feldherren, Organisatoren und Bauherren waren Sargon von Akkad (um 2300 v. Chr.), Gudea von Lagasch (um 2200 v. Chr.) und Hammurabi von Babylon (um 1750 v. Chr.). Letzterer zerstörte die Stadt Mari, wo König Zimrilim einen Palast besass, der mit seinen offenen Höfen und 300 Zimmern eine Fläche von mehr als 28'000 Quadratmeter bedeckte.

Noch grössere Paläste - gewaltige Zitadellen - hatten die späteren Könige von Assyrien und Babylon.

Seit etwa 2100 v. Chr. wurden immer höhere Stufentürme, sogenannte Ziggurats, errichtet, auf deren oberster Plattform ein Tempel stand. Die Höhe des Turms von Babel (unter Nebukadnezar im 6. Jh. v. Chr. errichtet) wird mit 75 bis 90 m angegeben.

Über die Organisation der Bauarbeiten und deren Durchführung in Mesopotamien wissen wir kaum etwas. Das ist in Ägypten anders.

 

Ägypten: Grabstätten für den Pharao

 

Durch das Material Stein wollten die Ägypter den Grabstätten ihrer Pharaonen Ewigkeitswert verleihen.

Die erste monumentale Steinarchitektur wurde ca. 2650 v. Chr. von einem richtigen Universalgenie erbaut: Imhotep war nicht nur Baumeister und Architekt, sondern auch Arzt, Priester, Staatsmann und Manager. Seine Leistungen waren derart überragend, dass er später zum Gott erhoben wurde.

Er errichtete für den König Djoser in Sakkara eine gewaltige Grabanlage aus Kalkstein: eine 60 m hohe sechsstufige Mastaba mit bis 28 m in die Tiefe gehenden Grabanlagen, darum herum Gebäude, Kapellen und Höfe, eingeschlossen von einer zehn Meter hohen massiven, aber reich gegliederten Mauer von 1,7 Kilometer Länge (550 x 300 m). Man hat ausgerechnet, dass für diesen Komplex in nur 20 Jahren 1 Million Tonnen Stein verbaut wurde. Etwa 3-5000 Mann standen dauernd im Einsatz [8].

 

In den nächsten Generationen entstanden die Pyramiden von Gizeh (2600-2500 v. Chr.) mit einer Höhe von fast 150 m. Für den Bau dieser staunenswerten Bauwerke wurden in 100 Jahren insgesamt 25 Millionen Tonnen Stein transportiert, bearbeitet und aufeinandergeschichtet. Die allergrössten Blöcke wogen 30 Tonnen. Man schätzt, dass für den Bau etwa 70'000 Saisonarbeiter - nicht Sklaven im Einsatz standen, jeweils während der dreimonatigen Überschwemmungszeit.

 

Ägypten: Die Handwerker konnten Karriere machen

 

Die echten Fach-Steinmetzen waren jedoch keine Saisonarbeiter, sondern arbeiteten das ganze Jahr sowohl in den Steinbrüchen als auch auf den Baustellen. Schon vor 100 Jahren entdeckte man bei der Pyramide des Chephren Arbeiterhütten, die Unterkunft für 4000, oder gar, wie man heute schätzt, für 10'000 Facharbeiter Unterkunft boten [9].

 

Man kann im Alten Ägypten nicht von "Gilden" oder "Zünften" sprechen.

Der Handwerkerstand war nie selbständig. Denn: Kein Handwerker besass eigenes Produktionsmaterial, und jeder Handwerker stand in einem Dienstverhältnis zum Staat, König oder einer Privatperson, welche ihm die Rohstoffe verschafften und ihm den Auftrag zur Arbeit gaben.

Jedoch konnte ein Handwerker Karriere machen, und zwar über mehrere Stufen, wobei zuerst der Aufseher und Vorsteher, dann der Meister zu absolvieren waren.

Dabei muss der Vorsteher und Meister nicht mehr unbedingt selber Handwerker sein oder selber arbeiten, sondern der Vorsteher wirkt oft als Beamter, der Meister als Leiter der Rituale. Der höchste Titel ist der "Königliche Meister". Das heisst, dieser zum Beamten avancierte ehemalige Handwerker pflegt einen direkten persönlichen Umgang mit dem König und erhält nur von ihm Weisungen.

Belegt sind die Titel "Königlicher Meister der Bauleute" ("Königlicher Architekt") und "Königlicher Meister der Metallhandwerker". Die "Königliche Kunst" wäre damit angewandtes Wissen in persönlicher Nähe des Königs [10].

 

Der Tempel: Vom Totenkult zum Gottesdienst

 

Die Tempel des Alten Reiches waren noch klein. So wies derjenige für Chephren 45 m2 Grundfläche und eine Höhe von 14 m auf.

Die Tempel waren damals noch Teil des Totenkults, für den Gottesdienst wurden sie erst in der Zeit des Neuen Reichs, ab dem 16. Jh. v. Chr., errichtet. Nun erst erreichten sie und die zugehörigen Anlagen ebenfalls staunenswerte Ausmasse: Der Amun-Tempel enthielt auf einer Fläche von 50 mal 100 m 134 Säulen von über 20 m Höhe und 10 m Umfang; in Luxor gab es einen 190 m langen Tempel, und die Umgebungsmauer von Karnak ist 8 m breit und 2,4 km lang.

 

Ebenfalls zu dieser Zeit liessen sich die Könige ihre Gräber auch in den Felsen bauen. Nach einem auf Papyrus festgehaltenen Plan mussten die Arbeiter die Gänge, Kammern und Schächte der Königsgräber aus dem anstehenden Fels aushauen, manchmal über 100 m schräg hinab.

Auf Grund von Ausgrabungen und Inschriften kann man Organisation und Ausführung der Arbeiten rekonstruieren.

 

 

Eine Art "Bauhütte" im Alten Ägypten (Anhang 1)

 

Arbeiter in zwei Kolonnen

 

Seit dem Alten Reich (ab ca. 2900 v. Chr.) waren die Arbeiter, sei es für Transport- oder Bauarbeiten oder auch bei ständiger Beschäftigung in einem Magazin nach der Art einer Schiffsbesatzung organisiert: Es gab eine Backbord- und eine ranghöhere Steuerbordabteilung, die ihrerseits in eine unterschiedliche Zahl von Phylen oder "Bordwachen" unterteilt waren [11].

Ähnlich waren auch noch die Arbeiten an den Felsengräbern organisiert: Am Arbeitsplatz unterstand der Bautrupp zwei Vorarbeitern oder Vorstehern, die für jeweils eine Seite zuständig waren. Der Trupp setzte sich aus verschiedenen Facharbeitern zusammen, aus Steinbrucharbeitern und Steinmetzen, Tischlern und Schmieden (für die Meissel), Zeichnern und Malern.

 

Die aufsichtsführenden Beamten

 

Die Stellung des Vorarbeiters, der vom Wesir - als Vertreter des Königs - ernannt wurde, war sehr begehrt. Nicht selten war Bestechung im Spiel, um diesen Posten zu ergattern. Der Vorarbeiter, der die Arbeiter einteilte und beaufsichtigte, wurde als "Vorgesetzter" angesprochen und in den Lohnlisten vom Trupp gesondert geführt. Er hatte "seine" Seite gegenüber den Behörden zu vertreten, bei internen Auseinandersetzungen als Schlichter zu fungieren, und in Rechtsangelegenheiten trat er als Sprecher, Zeuge oder Mitglied des Gerichts auf.

 

Ebenfalls vom Wesir ernannt wurde der "Schreiber".

"Offensichtlich waren die Schreiber für den administrativen Bereich, die Vorarbeiter für den technischen zuständig. Zu ihren Aufgaben gehört es, Abwesenheitslisten zu führen, die auf Kalksteinsplittern, den sogen. Ostraka, notiert wurden, um später auf Papyrusrollen übertragen zu werden. Diese 'Arbeitstagebücher' wurden im Büro des Schreibers aufbewahrt, bis der Wesir von Zeit zu Zeit auszugsweise Berichte aus diesen Unterlagen erhielt.

Die Schreiber führten ausserdem Buch über die angelieferten und an den Trupp ausgehändigten Werkzeuge und sonstigen Arbeitsmaterialien.

Die Lohnabrechnungen gehörten zu den wichtigsten Aufgaben der Schreiber, die zwar den Lohn in Form von Kornrationen im allgemeinen aus den königlichen Kornkammern oder den Tempelscheunen bezogen, manchmal aber auch in Begleitung der 'Türhüter' selbst bei den Bauern Getreide eintreiben mussten.

In der Dorfgemeinschaft waren die Schreiber Anlaufstelle für alles Berichtenswerte, kleinere Streitigkeiten schlichteten sie an Ort und Stelle, auch problemlose Erbschaftsangelegenheiten wurden von ihnen geregelt. Ausserdem übernahmen sie hier die Funktionen des `Dorfschreibers'.

 

Die Tätigkeit des Lagerverwalters übten die 'Grabwächter' aus. Sie führten die Aufsicht über Werkzeuge und Arbeitsmaterial und gehörten nicht zum 'Trupp'. Die Stellung des Grabwächters galt als verantwortungsvoll, was allein schon daraus erhellt, dass sie wie die Vorarbeiter und Schreiber als Gerichtsmitglieder und Zeugen beim Schwören, bei Orakelentscheidungen und Tauschgeschäften auftraten.

 

Ausserhalb des 'Trupps', aber doch eng mit ihm verbunden, waren auch die 'Türhüter'. Sie wurden als Boten eingesetzt, aber es fiel ihnen auch die unangenehme Aufgabe zu, als eine Art Leibwächter der Schreiber zu dienen, wenn es um die Konfiskation von Getreide ging oder Schulden eingetrieben wurden. Ihnen oblag ferner der Transport der (Lohn-)kornrationen, die bisweilen vom thebanischen Ostufer auf die Westseite herübergebracht werden mussten" [12].

 

Soweit die Beschreibung einer, wenn man so will, "Bauhütte" vor 3500 Jahren.

 

Privilegierte Facharbeiter - strenge Arbeit

 

Dass die Facharbeiter eine privilegierte Schicht bildeten und die Arbeiter an den Felsentempel einen beträchtlichen Lebensstandard aufwiesen, ist ebenfalls nachweisbar.. Sie wurden reichlich verköstigt, wohnten in gut ausgestatteten Dreizimmer-Häusern und hatten einen Achtstundentag, unterbrochen durch eine mittägliche Arbeitspause. Sie konnten auch mal "blau" machen, ohne dass das zu Konsequenzen geführt hätte. Ihre Freizeit war ausreichend bemessen, und die Teilnahme an den häufigen religiösen Festen war Verpflichtung.

 

Immerhin: Die Arbeit war streng. Schon in früherer Zeit hatte eine Klage gelautet: Wenn der Steinmetz seine Arbeit "vollendet hat, so versagen ihm seine Arme, und er ist müde; wenn er bei seinem täglichen Brot sitzt, so sind seine Knie und sein Rücken vor Müdigkeit gekrümmt" [13].

 

 

Die "collegia" im alten Rom waren keine Zünfte

 

In Griechenland bestimmte die Volksversammlung

 

Über das Bauen im Alten Griechenland sind wir gut unterrichtet. Das öffentliche Bauwesen lag ganz in der Kompetenz der Gemeinde, also der Volksversammlung. Sie beschloss auf Anträge hin Neubauten, legte den Platz dafür fest und regelte die Finanzierung. Sie wählte eine Baukommission, veranstaltete Architekturwettbewerbe, entwarf in Zusammenarbeit mit dem Architekten Bauanweisungen und Kostenvoranschläge, die meist der Rat genehmigen musste und die dann Grundlage der öffentlichen Ausschreibung bildeten, deren Bedingungen sich der oder die Unternehmer zu unterziehen hatten. Der Unternehmer konnte, wenn er wollte, auf eigene Kosten besser oder teurer arbeiten lassen, sonst aber war er genauen Kontrollen unterworfen.

 

In Rom war es ähnlich, nur weniger kompliziert, da das öffentliche Bauwesen in der Republik den Censoren und später den Kaisern selbst - vertreten durch Kuratoren - unterstand [14].

 

Die "collegia fabrorum" werden erst ab 300 v. Chr. fassbar

 

Was die sogenannten "collegia fabrorum" betrifft, so ist ihre Herkunft immer noch umstritten.

Die Freimaurerei hat die Berichte über ihre Gründung durch die Könige Numa Pompilius (um 700 v. Chr.) oder Servius Tullius (um 550 v. Chr.) stets für bare Münze genommen [15].

Die Fachwissenschaft der letzten 100 Jahre verwies jedoch diese Herkunft ins Reich der Sage [16]. Man nahm an, dass sich bei den konservativen Römern die Handwerke und Gewerbe nur sehr langsam aus dem häuslichen Bereich gelöst hätten.

Erst in allerjüngster Zeit nimmt man die Gründung durch Numa Pompilius und Servius Tullius wieder ernst: Die alten Texte werden dahin gedeutet, dass die Stiftung eines Collegiums einen Hoheitsakt voraussetzt. Es handelt sich also ursprünglich nicht um eine freie Körperschaftsbildung.

Erst seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. entstehen Collegien "jüngeren Rechts" [17].

 

Wie dem auch sei:

Jedenfalls werden erst in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten vor Christus Handwerkervereinigungen in der römischen Republik fassbar.

Zur selben Zeit existierten solche auch im ptolemäischen Ägypten, während sie in Griechenland selber erst nach der Zeitwende nachzuweisen sind.

 

Die Handwerkstypen

 

Am bedeutendsten unter den Handwerkerverbänden in Rom waren diejenigen der "fabri", also derjenigen, die einen harten Gegenstand bearbeiten.

  • Der tign(u)arius ist der Bauhandwerker allgemein (gr. oikodomos) oder im speziellen der Zimmermann (tekton),
  • der structor (lithologos) ist der Maurer,
  • der lapidarius (latomos) der Steinmetz,
  • der marmorarius (marmaropoios) bearbeitet den Marmor,
  • der faber navalis (naupegos) ist der Schiffsbauer,
  • der aerarius oder ferrarius (kalkeus) der Kupfer- resp. Eisenschmied [18].

Am ehesten als eigenständige Vereinigung erscheinen die fabri tignarii und fabri navales.

 

Wenn häufig nur von den "collegia fabrorum" die Rede ist, sind damit meist die Vereinigungen der Bauhandwerker gemeint. Interessant ist, dass sie auch als Feuerwehr dienen mussten.

 

Die "collegia" waren keine Zünfte oder Gilden

 

Im Mittelpunkt aller Handwerkervereinigungen stand das religiöse Bedürfnis. Mit der Errichtung jedes Collegiums ging Hand in Hand die Annahme eines Schutzgottes, zu dessen Verehrung man gemeinsame Opfer und Feste abhielt, ja sogar eigene Tempel erbaute.

Bei den Opfermahlzeiten wurden Freundschaft und Geselligkeit gepflegt. Manchmal arteten diese zu Gelagen aus. Jeder Verein von Berufsgenossen war also eine Kultgenossenschaft und zugleich ein Geselligkeits- und Freundschaftsklub, gewissermassen eine Familie im grossen - daher auch die Bezeichnungen "geliebte Brüder" und "Schwestern".

Aus der gemeinsamen Pflege eines Kultes entwickelte sich die gemeinsame Sorge für das Begräbnis der Mitglieder, so dass die meisten Collegia auch Sterbekassen waren. Weitere gegenseitige Unterstützung gab es nicht.

 

Überhaupt verfolgten diese Vereinigungen keine wirtschaftlichen Ziele. Sie dürfen also nicht als Zünfte oder Gilden aufgefasst werden, denn sie wurden niemals zur Ordnungsmacht oder Interessenvertretung des betreffenden Berufes [19].

Im Gegenteil, sie wurden bald, etwa ab 70 v. Chr., zu politischen Klubs, wenigstens in Mittelitalien (Rom, Pompeji). Sie waren es, welche die städtische Bevölkerung und die Sklaven erstmals organisierten und für die vermehrte Beteiligung des Volkes am Wahl- und Regierungsgeschehen eintraten.

Da dies nicht genehm war, wurden die meisten Collegia in der Folge immer wieder aufgelöst, die jeweils erfolgten Neugründungen gerieten immer mehr unter staatliche Kontrolle.

Nie verboten wurden die Vereinigungen der Bauhandwerker, da sie für den Feuerwehrdienst notwendig waren. Aber auch sie wurden wie die andern ehemals freien Zusammenschlüsse "Vereine" unter staatlicher Fuchtel [20].

 

Mit dem heiligmässigen Charakter der Arbeit war es in diesen Collegia nicht weit her. Dass der Eintritt in den Beruf eine echte Initiation mit Probe- und Sühnestationen erforderte [21], ist wohl daneben gegriffen, wurde doch die Arbeit im allgemeinen als notwendiges Übel betrachtet [22]. Und nicht vergessen darf man, dass sowohl das klassische Griechenland wie Rom Sklavenhaltergesellschaften waren.

 

Auch Sklaven konnten in den "collegia" mitmachen und aufsteigen

 

Beachtenswert ist anderseits, dass in Rom Sklaven und freie Bürger gleichberechtigte Mitglieder der Collegia waren. Sklaven konnten in diesen Vereinigungen sogar Ämter übernehmen. Solche waren etwa: magister, curator, quaestor, scriba.

 

Eine grosse Zahl von Handwerkstätten wurde von qualifizierten Sklaven, die auch einen Teil der Einkünfte erhielten, eigenverantwortlich geleitet. Sie konnten sich nicht nur eigenen Besitz erwerben, sondern auch damit rechnen, in einigen Jahren freigelassen zu werden. Mitunter brachten sie es zu einem grossen Vermögen und einer angesehenen Stellung.

Solange sie Sklaven waren, verrichteten sie die regelmässig anfallende Arbeit in den Produktionsstätten oder im Transportwesen. Die kurzfristigen Arbeitsaufträge, die im Hafen, im Baugewerbe oder in andern Berufen anfielen, wurden von Tagelöhnern erfüllt. Das heisst, Lohnarbeit war Gelegenheitsarbeit.

Es ist weitgehend unklar, wie die Tagelöhner Arbeit fanden; vermutlich versammelten sie sich am Morgen in bestimmten Stadtvierteln oder auf bestimmten Plätzen. Ihr Leben war mit grossen sozialen Unsicherheiten verbunden, wussten sie doch nur selten, ob sie auch am folgenden Tag Arbeit finden würden. Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit müssen in den grossen Städten an der Tagesordnung gelegen haben [23].

 

 

Römische Kaiserzeit: Zwangskorporationen und prächtige Kirchenbauten

 

Die "collegia fabrorum" waren im ganzen römischen Reich verbreitet. Es gab sie in Dalmatien, Afrika, Spanien, Britannien und Gallien, unter anderem auch in Lyon, Mainz und Wien und sogar in Helvetien, nämlich in Amsoldingen bei Thun.

Auf asiatischem Boden dagegen gab es keine collegia, dafür zahlreiche eigenständige Berufsverbände unter zunehmend griechischen Einfluss.

 

Zentren politischen und sozialen Aufruhrs

 

Nach der Zeitwende galten die Vereine und Kollegien den römischen Behörden als Zentren politischer und sozialen Aufruhrs [24]. Bischof Cyprian von Karthago erklärte um 250 die Teilnahme von Christen an den "turpia et lutulenta convivia" der Kollegien für unstatthaft.

 

 

Die Handwerker müssen sich zu Korporationen zusammenschliessen

 

Als im Jahre 180 n. Chr. Mark Aurels Sohn Commodus auf den Kaiserthron stieg, begann die Zeit des politischen und militärischen wie wirtschaftlichen Niedergangs. Die arbeitende Bevölkerung wurde immer grösseren Belastungen ausgesetzt.

Gegen diese wachsende Ausbeutung wehrte sie sich auf zwei Arten: durch Revolten und Flucht. Bauern verliessen das von ihnen bebaute Land, Soldaten desertierten, Berufsleute zogen sich aus den Collegia zurück.

 

Der Erlass Diokletians (297), dass sich Handwerker und Gewerbetreibende zu Zwangsverbänden ("corporati" oder "collegiati") zusammenzuschliessen hätten, war nur ein verzweifelter Versuch, diese Absatzbewegung einzudämmen.

Die Zugehörigkeit zur Korporation wurde erblich; die Korporationen mussten regelmässig Steuern bezahlen und hatten ausschliesslich vom Staat auferlegte Dienste und Lieferungen zu erfüllen; die "fabri" leisteten richtiggehend Frondienst bei der Ausführung öffentlicher Bauten [25].

Von einer "goldenen Zeit" [26] kann daher kaum gesprochen werden.

 

Es war der selbe Diokletian, welcher der Sage nach von einer Gruppe von Steinmetzen verlangte, sie sollten heidnische Götterstatuen anfertigen. Ihre Weigerung brachte ihnen den Tod, aber ihre Auflehnung gegen diese Einschränkung sowohl der persönlichen wie korporativen Freiheit erhielt symbolische Bedeutung. Deshalb wurden sie als die "Vier Gekrönten" ("Quatuor Coronati") von den Steinmetzen zu ihren Schutzheiligen erkoren [27].

 

Nach 300: prächtige Kirchenbauten

 

Eine Generation nach Diokletian begründete Konstantin der Grosse das byzantinische Reich, das über 1100 Jahre Bestand haben sollte. Er führte nicht nur die Gleichberechtigung des Christentums ein, sondern liess auch zahlreiche prächtige Bauten dafür errichten: etwa die erste grosse Peterskirche und die sogenannte Maxentius- oder Konstantinsbasilika (ein Gerichtsgebäude) in Rom, ferner die Grabeskirche in Jerusalem.

200 Jahre später liess Kaiser Justinian S. Vitale in Ravenna fertig stellen und die Hagia Sophia in Konstantinopel neu erbauen. 10'000 Arbeiter waren fünf Jahre lang daran tätig. Zur gleichen Zeit (529) wurde auf dem Monte Cassino in Italien das erste Benediktinerkloster gebaut. Seither breiteten sich Kirchen- und Klosterbau über das ganze Abendland aus.

 

 

Gilden: Eid, gemeinsames Mahl und Totengedenken

 

Wie waren die Berufsleute im frühen Mittelalter organisiert?

 

Was die Berufsleute generell betrifft, so gab es Vereinigungen weiterhin in Italien [28] und Spanien [29] sowie in Byzanz [30] und Ägypten [31].

 

Dazu lassen sich folgende Fragen stellen:

1. Stellen die byzantinischen "Zünfte" eine Fortsetzung der römischen Zwangskollegien dar? [32]

2. Sind die "Zünfte" in Italien seit dem 8. oder 9. Jh. und später nördlich der Alpen aus den byzantinischen hervorgegangen oder aus den in Italien noch unter den germanischen Herrschern bestehenden? [33]

3. Wurzeln die Gilden der Karolingerzeit im germanischen Heidentum? [34]

 

Alle diese Fragen sind ebenso bejaht wie verneint worden. Der Laie steht in dieser Auseinandersetzung relativ hilflos da. Kaum hat er sich die Argumente der einen Seite als überzeugend zu eigen gemacht, stösst er auf einen Aufsatz, der ebenso zwingend das Gegenteil nachweist.

 

Ferner gab es Bruderschaften und Schutzgilden

 

Religiöse Bruderschaften (confratriae; fraternitates) gibt es, vermutlich im Zusammenhang mit den frühen Klöstern, seit dem 4. Jahrhundert. Dazu Vereinigungen von Klerikern und Laien, sogenannte "convivia" (Verbände).

Im Reich der Franken existierten seit etwa 500 Schutz- und Ortsgilden, seit 800 auch in England [35].

Alle derartigen Vereinigungen waren der offiziellen Kirche suspekt und der Lasterhaftigkeit oder Verschwörung verdächtigt. Daher wurden sie auch immer wieder bekämpft. Dabei tat sich Bischof Augustin (um 400) besonders hervor. Verbote erfolgten unter anderem durch die Konzile von Chalcedon (451) und Orléans (538), die Synoden von Vannes (461/491) und Agde (506) und die Kapitularien von 779, 789 und 884.

 

Freiwilliger Eid, gemeinsames Mahl und Totengedenken

 

Schon die allerersten Gilden kurz nach 500 waren geschworene Einungen (conjuratio), also durch gegenseitig geleisteten Eid entstandene Personenvereinigungen "zu gegenseitigem Schutz und Beistand, zu religiöser und gesellschaftlicher Tätigkeit, sowie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder".

Neben dem freiwilligen Eid war auch das Gildemahl, das gemeinsame Essen und Trinken (convivium) wichtig. Beides war der weltlichen und geistlichen Obrigkeit ein Dorn im Auge, was durch zahlreiche Verbote belegt ist.

 

Bei allen "conjurationes" verpflichteten sich die Schwörenden, untereinander eine bestimmte Rechts- und Friedensordnung einzuhalten und nach aussen zu verteidigen. Daher hatten sie auch ihre eigene Gerichtsbarkeit. Das Vorlesen der Statuten beim gemeinsamen Mahl bewirkte eine stete Erneuerung der geschworenen Einung.

 

Eng damit verbunden waren auch Gottesdienst und Almosenspendung, ferner Totenkult und Totenmahl. Gerade das Totengedächtnis ist bedeutsam für die Dauer der Gruppe in der Zeit und für ihr Wissen um die eigene Geschichte.

 

Christliche Brüderlichkeit: Laster und Verschwörung?

 

Geistige Norm der Gilden war die christliche Brüderlichkeit im doppelten Sinne, als Liebes- und Friedensgemeinschaft (fraterna dilectio) und als gegenseitige Hilfe und Mildtätigkeit (caritas). Die den Brüdern - und Schwestern - in der Gilde zu leistenden Verpflichtungen waren umfassend. Symbol dafür war in späteren Zeiten die "Büchse", in welche regelmässig Abgaben, aber auch Strafzahlungen abgeführt werden mussten.

 

Die Gilden wurden wegen ihrer gemeinsamen Mähler nicht nur der Lasterhaftigkeit und Ausschweifung bezichtigt, sondern wegen ihres durch Eid geschlossenen Charakters auch der Verschwörung (conspiratio). Man argwöhnte ein "Geheimnis".

 

Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass schon die Christen des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. der Praktizierung eines "Geheimkultes" verdächtigt wurden.

 

Was sich zusammenschliesst und von der Umwelt absondert, lief stets Gefahr, Diffamierungen oder gar massiven Formen der Feindseligkeit von Seiten der "Öffentlichkeit" ausgesetzt zu sein.

Als Reaktion darauf kann man die Leistung eines zweiten Eides sehen, der für die Zünfte in Deutschland als Verschwiegenheitspflicht seit dem Jahre 1212 nachzuweisen ist.

 

Ab 1330: Gesellengilden

 

Der nicht zu bestreitende oppositionelle Charakter der Gilden zeigte sich schliesslich seit etwa 1200 in den Zusammenschlüssen von Studenten und Magistern (zu "societates" oder "universitates") sowie seit 1330 in der Bildung von Gesellengilden, die sich schon bald auch durch "Streiks" bemerkbar machten.

Anderseits erhielten dadurch die wandernden Gesellen - wie seit dem Jahre 1000 die reisenden Kaufleute - einigen Schutz und ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Für den "Compagnonnage" gibt es erst seit dem 15. Jh. Belege.

 

 

Bauleute im frühen Mittelalter (Anhang 2, Anhang 3)

 

Mit dem Untergang des Römischen Reiches wird die Sache kompliziert.

 

Das Mittelalter dauerte ein ganzes Jahrtausend, von ca. 500 bis 1500.

Die erste Hälfte gilt als "finster". Das muss nicht unbedingt die tatsächlichen Verhältnisse bezeichnen, sondern es liegt daran dass sich nur wenige Dokumente bis zum Jahr 1100 erhalten haben. Das zeigt sich etwa deutlich in den eidgenössischen und kantonalen Quellenwerken.

 

Die Bauwerke aus dem frühen Mittelalter wurden immer wieder erweitert, umgebaut, geplündert oder zerstört.

 

Legenden oder Vermutungen?

 

Die daraus resultierenden Lücken unseres Wissen hat man auf zwei Arten zu schliessen versucht: durch die Bildung von Legenden oder durch mehr oder weniger begründete Vermutungen, die sich aus der Interpretation von Ausgrabungen oder spärlichen Texten - die manchmal erst Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nach dem beschriebenen Ereignis verfasst wurden - ergeben.

 

Sowohl an den Legenden wie an den Behauptungen der Wissenschafter haben sich die heftigsten Kontroversen entzündet. Das betrifft sowohl die Frage der Vereinigungen von Berufsleuten allgemein wie der Bauleute im besonderen.

 

Die Legenden der Bauleute

 

Ausgerechnet für die Organisation der Bauleute fehlen etwa vom Jahre 400 bis zum Jahr 1200 n. Chr., also für 800 Jahre, jegliche Zeugnisse in Europa [36].

 

Kein Wunder, dass sich deshalb ein reiches Geflecht von Legenden entsponnen hat. So leiten sich etwa

  • die italienischen Bauleute von den "Meistern von Como" (643, 741),
  • die französischen Bauleute von Karl Martell (gest. 741),
  • die englischen Bauleute von König Athelstan (926) oder dessen Bruder Edwin (932),
  • die schottischen Bauleute vom Bau von Kilwinning (1140),
  • die deutschen Bauleute von Odo von Metz (um 800),
    Wilhelm von Hirsau (gest. 1091)
    von einer Bauhütte am Dom von Magdeburg (876 oder 1211)
    oder am Dom von Strassburg (1273)
    oder von Albertus Magnus (gest. 1280) ab [37].

 

"commacinus" führte zu "maçon" und "mason": Maurer und Steinmetz

 

Bis in die heutigen Tage haben die "Meister von Como" in der Baugeschichte eine legendäre Rolle gespielt [38]. Dabei hat man einfach nicht genau gelesen.

Im Text aus dem Jahre 643 ist von "magistri commacini", also von Maurermeistern, die Rede. Daraus hat man unter Weglassung eines "m" "Baukünstler aus Como" gemacht. Dass es diese nicht gab, hat 1969 der Tessiner Aldo Crivelli nachgewiesen [39].

 

Das Wort "commacinus" ist jedoch interessant. Zwar wissen wir nicht, was es bedeutet, aber die zweite Hälfte "-macinus" deutet auf einen Beruf im Bauwesen hin.

"Machina" ist eine mechanische Vorrichtung wie Rolle, Hebel, Walze oder Gerüst. "Machinarius" war schon im Römischen Reich einer, der auf dem Gerüst arbeitete. "Machinator" war später der Ingenieur oder Architekt, der Gebäude oder Strassen konstruierte.

"Machio" schliesslich war der Maurer. Davon stammt das französische "maçon", das im Englischen zu "mason" (zuerst "mazon" 1165/6) wurde [40]. Dieser Name bezeichnet aber meist den Maurer wie den Steinmetz.

 

Bauberufe

 

An anderen Bauberufen stossen wir in den schriftlichen Quellen des Mittelalters immer wieder auf den

  • caementarius (oder cementarius), ebenfalls Maurer;
  • carpentarius (im Römischen Reich noch Wagner oder Stellmacher) oder lignarius, Zimmermann;
  • latomus oder lapidicus (oder lapidarius, lapicida), den Steinhauer oder Steinmetzen [41].

 

Das deutsche Wort "Maurer" kommt von "cementarius murari" oder "faber murarius" (Mauer-Bauer).

 

Bearbeiter der "freien Steine" tauchen in England erstmals 1212 auf.

Zur Bezeichnung "mestre mason de franche peer" kommt es erst 1351, zur Bezeichnung "freemason" erst 1376. Herleitung und Bedeutung sind umstritten.

Klar ist nur, dass das englische Wort "mason" nicht dem deutschen "Maurer" entspricht, sondern stets auch die Steinmetzen (lathomi) umfasst [42].

 

Es gab freie und unfreie Bauleute

 

Die Sache mit den "commacini" ist aus einem weiteren Grund interessant:

Aus dem Edictum Rothari von 643 geht hervor, dass es zwei Arten von Baumeistern gab: In Kapitel 144 wird der Fall erörtert, dass ein selbständiger Baumeister (magister commacinus) es mit seinen freien "collegantes" gegen einen festen Betrag übernommen hat, ein Haus instand zu setzen oder zu bauen. Nun geschieht es, dass ein Dritter von einem herabfallenden Stein erschlagen wird. In diesem Fall soll nur der selbständige Handwerker, nicht aber der Herr des Hauses haften.

 

In Kapitel 145 handelt es sich um Baumeister, mit denen kein fester Werklohn vereinbart worden ist, sondern die angemietet worden sind. Sie sollen die Sklaven des Bauherrn bei der Arbeit anweisen oder ihnen bei ihrem Tagewerk vorstehen. Wenn nun bei dem Bau des Hauses einer der "commacini" umkommt, soll der Herr des Hauses nicht belangt werden. Wird jedoch ein Dritter durch ein Bauholz oder einen Stein vom Bauwerk getroffen, sollen nicht die angemieteten "commacini", sondern der Bauherr selbst für den Schaden aufkommen.

 

Frühe Aufsteiger

 

Es gab also freie und unfreie Bauleute. Sie arbeiteten auf dem Lande (in den vici = Dörfern) genauso gut wie in der Stadt und am Hof.

 

Ebenfalls bestand die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Bischof Leo von Tours (vor 500) war einst Drechsler gewesen, Argerich von Verdun (605) soll als "architectus" und Maler hervorgetreten sein.

Manche der freien Bauleute kamen im 7. Jh. zu Ansehen oder Besitz. So führte ein "magister murarium" den Titel "vir honestus", und ein "magister commacinorum" verfügte über umfangreichen Grundbesitz.

 

Dass nicht nur Kaufleute, sondern auch Bauunternehmer und andere Handwerksmeister (z. B. Schmiede) weit über die Grenzen ihrer engeren Heimat hinaus wanderten, ist zur gleichen Zeit belegt. Aber auch unfreie Handwerker wurden unter geistlichen und weltlichen Herren ausgetauscht.

 

Es gab keine klösterlichen Bauhütten, sondern mobile Bauleute und Künstler

 

Wie war das Bauwesen im Mittelalter organisiert?

Einigermassen fest steht, dass es keine klösterlichen Bauhütten gab. Gewiss haben die Mönche zahlreiche Handwerke und Gewerbe ausgeführt, aber sie waren Selbstversorger. Sie betätigten sich nicht als Bauleute. Diese Arbeit taten hörige Bauern, Leibeigene und Wanderhandwerker [43].

 

Die Bezeichnung Wanderhandwerker ist allerdings ungenau, denn diese Bauleute, Baumeister und Künstler wanderten nicht, sondern wurden an einen wichtigen Bauplatz geholt.

So finden sich schon im Jahre 560 Bauhandwerker aus Italien in Trier. Gut 100 Jahre später wurden Maurer und Glasmacher von Gallien nach England geholt, um die Angelsachsen in den Steinbau und in die Glaskunst einzuführen; und Wilfrid, Bischof von York, soll die Kirche von Hexham mit überseeischen Künstlern ("transmarinis artificibus") erneuert haben [44].

Als Karl der Grosse die Aachener Pfalzkapelle erbauen liess, soll er Arbeiter "aus allen Teilen des Abendlandes" berufen haben [45].

 

Besonders darauf bedacht, fremde Künstler beizuziehen, waren die islamischen Kalifen. Bereits für die Ausschmückung der grossen Moschee in Damaskus (Anfang 8. Jh.) wurde die Hilfe von Mosaiklegern aus Byzanz angefordert. Bildhauer kamen aus Syrien, Stukkateure aus dem Irak, Holzschnitzer aus Ägypten.

Für den Bau der Residenz von Bagdad (762) wurde jede Stadt des islamischen Reiches aufgefordert, ihre fähigsten Handwerker zu schicken. Etwa 100'000 Arbeiter aus Syrien, Ägypten, Mesopotamien und Persien kamen und bauten in vier Jahren diese aussergewöhnliche Stadt [46].

 

 

Wie wurde im frühen Mittelalter gebaut?

 

Gebaut wurde auch im frühen Mittelalter wie eh und je. Im merowingischen Gallien (431-751) und in den meisten Völkerwanderungsgebieten herrschte eine rege allgemeine Bautätigkeit.

Allerdings ruhte der Kirchenbau in Italien und Byzanz von etwa 550 n. Chr. bis ins 10. Jahrhundert fast vollständig.

Die grossen Bauten entstanden erst etwa ab 750 in den Gebieten, die unter dem Einfluss des Islams oder der Karolinger standen.

 

Bauherren waren die weltlichen Hoheitsträger, die Grafen und Herzöge, und die geistlichen Hoheitsträger, die Äbte oder Bischöfe.

 

Kirchen und Klöster in der Schweiz

 

Im Gebiet der heutigen Schweiz gab es damals noch die römischen Kastelle, zur Verteidigung ausgebaute gallo-römische Gutshöfe und dazwischen die alemannischen Einzelhöfe.

Die ersten christlichen Kirchen entstanden in den Kastellen (z. B. schon im 4. Jh. in Zurzach und Oberwinterthur), seit dem 7. Jh. in alemannischen Siedlungen.

Die ältesten Klöster in der Westschweiz sind Romainmôtier (450) und St. Maurice (515). Im 7. Jh. veranlassten die fränkischen Könige auch Klostergründungen in der Ostschweiz, etwa durch Columban und Gallus.

 

Schon im 9. Jh. markante Bauten in Zürich

 

In Zürich wurden im 9. Jahrhundert die Kirche St. Peter, ein Kloster und die Kirche des Fraumünsters und das Grossmünster errichtet. (Die heutigen Bauten stammen freilich erst aus späterer Zeit.)

In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts war Zürich bereits eine der wichtigsten Siedlungen im Herzogtum Schwaben. Kaiser und Könige besuchten es, und unter Heinrich III. (um 1050) wurde es Reichsstadt.

Einzelne steinerne Schutz-Türme gab es seit dem 9. Jh.

Im 12.-14. Jh. dokumentierten die vornehmen Familien ihren Einfluss auch sichtbar durch Adelstürme. Insbesondere nach der Feuersbrunst von 1280 begann man, auch die brandgefährdeten Holzhäuser durch steinerne Bauten zu ersetzen; gleichzeitig wurde um die ganze Stadt ein Mauerring gelegt.

 

Auch im Burgenbau verlief die Entwicklung ähnlich. Habsburg und Kyburg werden kurz nach dem Jahr 1000 erwähnt. Nach mehrfachen Zerstörungen wurden sie um 1100 in Stein wieder aufgebaut.

Chillon war schon um 1050 in Stein begonnen worden, der Ausbau erfolgte aber erst Mitte des 13. Jh; genauso derjenige der Kyburg.

 

Vornehme Holzbauten

 

Zwar herrscht die Meinung vor, man habe vorwiegend aus Holz gebaut, doch heisst es in einem Handbuch, von 750-850 seien im ganzen Karolingerreich 544 steinerne Grossbauten, Kirchen und Pfalzen entstanden, darunter 417 Klöster und 27 Kathedralen [47]. Vielfach wird man aber auch bloss Ziegel verwendet haben.

 

In Holz gab es zwei Bauweisen: Bauten aus Holzpfosten mit Lehmflechtwerk und Gebäude in Stabbauweise. Wenn ein Chronist um 600 in seinem Gedicht "Das Holzhaus" die Vorzüge dieser Bauweise lobt und die Kunstfertigkeit des Handwerkers preist, der das Haus mit Schnitzarbeiten verschönert, so zeigt das, dass die Verwendung dieses Materials kein Zeichen von Armut war.

Die Zimmerleute waren aber nicht immer sehr geschickt: Oft kam es vor, dass Balken, die sie aus den reichen Wäldern holten, zu kurz waren. Überdies wurde das benötigte Bauholz erst unmittelbar vor seiner Verwendung geschlagen, so dass man die Gebäude mit frischem, nicht abgelagertem Holz errichtete.

 

Um 700: Baugerüste 18 m hoch, Brunnen 30 m tief

 

Viele römische Traditionen lebten fort: So verfügte der Königshof Athies über Thermen, ebenso das Kloster der Hl. Radegunde in Poitiers; auch bischöfliche Villen wiesen Bäder auf. Kamine und Kachelöfen wurden ebenfalls gebaut.

 

Bedeutsam war der Steinbau.

Schon um 650 liess Bischof Desiderius von Cahors eine Kirche "nach Art der Alten", nämlich "aus behauenen Quadern" errichten und nicht "nach unserer gallischen Art".

Bald darauf wurden auch in England Steinkirchen "nach römischer Art" von Bauleuten errichtet, die aus Gallien geholt wurden.

Behauen wurden die Steine wie schon in römischer Zeit mit dem "dolabrum" (Spitz-, Kreuzhacke).

Die Baugerüste erreichten mitunter beachtliche Höhen; bezeugt sind 60 Fuss, also etwa 18 Meter. Brunnen wurden bis zu 100 Fuss tief gegraben.

 

Plünderung von Ruinen

 

Das Material für Steinbauten wurde zum grossen Teil alten Gebäuden entnommen. Säulen wurden aus der Umgebung oder aber von weither herbeigeschafft. Karl der Grosse lies welche aus Ravenna und Rom holen.

875 unternahm eine Gruppe Mönche aus Auxerre eine "gefährliche Expedition" nach Arles und Marseille, um dort teils geheim, teils mit Geld aus den Ruinen der antiken Gebäude die Steine zu nehmen und per Schiff nach Auxerre zu bringen.

Auch Marmorschmuck wurde überall beschafft.

Im 11. und 12. Jh. wurde viel Steinmaterial über den Kanal nach England transportiert. Von Abt Desiderius von Montecassino (gest. 1087) wird berichtet, er habe "die Gelder grosszügig und richtig ausgegeben" als er für seinen Kirchenbau Säulen, Basen, Kapitelle und bunten Marmor aus Rom herbeibringen liess.

 

Steinbrüche wurden im frühen Mittelalter nicht sehr häufig benützt. Das Material wurde bereits im Steinbruch bearbeitet, um den Transport zu erleichtern. Kleinere Bauten wurden aus Feldsteinen errichtet. Ziegel wurden auf dem Streichbrett aus Lehmbrei oder Mörtel hergestellt.

Die Pfalz auf dem Zürcher Lindenhof (ca. 880-1218) wurde im 13. Jahrhundert ebenfalls als Steinbruch für Bürgerhäuser, Klöster und den Mauerring verwendet - vielleicht auch für das 1252 erstmals erwähnte Rathaus.

Nach der Reformation wurden Klöster (z. B. Selnau) und Kirchen ebenfalls als Steinlieferanten genützt.

 

Glasfenster, Mosaiken, Zinndächer

 

Fast jede Kirche war mit Glasfenstern versehen sowie mit Mosaiken und Fresken ausgeschmückt.

Viele Kirchendächer waren mit Blei gedeckt. Sogar Zinndächer werden im 6. Jh. mehrfach erwähnt; das Material könnte aus Südengland (Cornwall) beschafft worden sein.

Auch Eisen wird erwähnt. Werkzeuge aus Eisen waren aber selten. Das Material stammte meist auch aus antiken Bauten, die ihres Metall beraubt wurden. Bronze wurde vorwiegend aus Altmaterial gewonnen.

Die Beschaffung von Kalk und Gips war mitunter mit Schwierigkeiten verbunden.

 

 

Die Bauwut nach dem Jahr 1000

 

Nach dem Jahr 1000 packte eine Bauwut ganz Europa

 

Das Jahr 1000 war von grosser kulturgeschichtlicher Bedeutung gewesen. Als der damals erwartete Weltuntergang nicht eintrat, breiteten sich nicht nur eine Welle der Erleichterung, sondern Zuversicht und Optimismus aus. Eine richtiggehende Bauwut packte das ganze Abendland. Bald konnte ein Zeitgenosse berichten: "Es war, als ob die Welt sich heftig geschüttelt, ihr Alter abgeworfen und ein glänzendes Kleid von Kirchen angezogen hätte" [48].

Jean Gimpel (1958) nennt einige erstaunliche Zahlen: So wurden allein in Frankreich in der Zeit von 1050-1350 80 Kathedralen, 500 grosse Kirchen und einige 10'000 Pfarrkirchen gebaut.

Der Hundertjährige Krieg und die Pest um 1350 brachten die Bautätigkeit vielerorts zum Erliegen.

Aber auch Brücken, Strassen und Mauern, Wohnhäuser und -Burgen wurden errichtet. Dahinter standen nicht immer nur praktische Bedürfnisse, sondern es ging auch darum, die andern oder frühere Bauwerke zu übertrumpfen. Martin Warnke berichtet in "Bau und Überbau" (1976) eindrücklich davon, aber auch, wie die Bauarbeiten geplant, organisiert und ausgeführt wurden.

 

Der Wunsch, die andern zu übertreffen

 

Gewölbehöhe

Paris: Notre-Dame   35 m

Chartres                     37 m

Reims                         37,5 m

Amiens                       42 m

Beauvais                    48 m

(1284 eingestürzt, 12 Jahre nach der Vollendung)

 

Tempo, Tempo!

 

Gelegentlich hören wir von nahezu hektischer Aktivität: Fructuosus von Braga (gest. vor 675) liess, als er sein Ende herannahen fühlte, die Arbeiten bis in die Nachtstunden bei künstlicher Beleuchtung fortsetzen, um die begonnenen Bauten noch vor seinem Tode zu vollenden.

"Unglaubliche Schnelligkeit" war auch im 11. Jh. wieder gefragt, etwa in Köln, Worms, Hildesheim und Cluny.

 

Bauzeiten

 

1001-18         La rotonde de Saint-Bénigne de Dijon

1023-30         romanische Kathedrale von Cambrai

1021-24         Krypta der Kathedrale von Chartres;
die ganze Kirche wurde 1037 geweiht

1026-28         Wiederaufbau der Kirche Saint-Pierre
in Saint-Benoît-sur-Loire

1064-77         Saint-Etienne in Caen

7 Jahre           Abtei von Saint-Etienne in Nevers (1063-97?)

1140-44         Chor der Abteikirche von Saint-Denis
(Neubau: 1137 begonnen)

1163-77         Chor von Notre-Dame in Paris

 

demgegenüber:

 

1005-49         Saint-Remi in Reims

1078-1128     Santiago de Compostela

1088-1131     Cluny (Vollendung erst 1225)

1046-1126     Saint-Ouen in Rouen

1156-91         Senlis

1170-1220     Worms

 

Je komplizierter das Bauen, desto mehr Rat wird benötigt

 

Je grösser die Bauvorhaben waren, desto mehr mussten Fremdmittel, also Geld (durch freiwillige Spenden, Ablässe oder Steuern) und Fachkräfte, in Anspruch genommen werden. (Baumaterialien wie Säulen und Steinquadern wurden oft von weit her geholt.)

 

Damit wurden Bauzweck und Bauziel Gegenstand einer allgemeinen Willensbildung [49]. Im kirchlichen Bereich sicherten sich die Domkapitel, denen ausschliesslich Adelige angehörten, und die Konvente der Mönche ihre Mitspracherechte.

Aber auch von oben wie unten musste Rat (consilium) und Zustimmung (consensus) eingeholt werden. Dabei konnte es sich auch um den Rat von Sachverständigen, also qualifizierten Bauleuten und Baumeistern handeln. Denn seit der Jahrtausendwende stellte das Bauwesen immer höhere Anforderungen an das technische, handwerkliche und künstlerische Können.

 

Die Beschaffung von Fachkräften: Umschulung von Hörigen und Herholen von Spezialisten

 

Die Fachkräfte dafür konnten auf zwei Arten beschafft werden: Man konnte den stets bestehenden Stamm von leibeigenen oder klösterlichen Handwerkern durch Hörige, z. B. Bauern, die zu Bauhandwerkern umgeschult wurden, ergänzen.

Man befreite sie von ihren übrigen Pflichten, bezahlte sie im Akkord oder im Tagelohn und stellte ihnen Kleidung und Nahrung zur Verfügung. So konnten sie einen eigenen Erfahrungsbereich ausbilden und einen technischen Verstand entwickeln, der sie vom allverwendbaren "manouvrier" zum spezialisierten "laboureur" machte.

Es entstand somit schon um das Jahr 1000, wie es im Jargon heisst, ein "spezialisiertes Arbeitspotential", das "auch überregional mobilisierbar" war [50].

 

Anderseits konnte man - wie vereinzelt schon in früheren Jahrhunderten - Spezialisten von weither holen, sogar aus Italien, Griechenland und Konstantinopel (daher: "per Grecos operarios"). Die Engländer holten sich Werkleute vom Kontinent.

Von einzelnen hervorragenden Baumeistern lassen sich sogar ihre "internationalen Wanderwege" rekonstruieren [51]. Einen guten Namen hatten dabei unter anderem Künstler und Baumeister aus Italien (seit 1000) und aus dem Tessin (seit 1140).

 

Ab 1140 Tessiner Bauleute im Ausland

 

Festzuhalten ist, dass es nie eine "lombardische Bauschule" gegeben hat.

Die Bauleute aus Norditalien und dem Tessin, die in auswärtigen Gebieten tätig wurden, haben ihr Metier am Arbeitsplatz gelernt, nicht in der Heimat und nicht in einer "Schule" [52].

Sie haben ihre so erworbene Kunstfertigkeit im Auftrag und unter Anweisung von Baumeistern anderer Herkunft ausgeübt, also nie einen eigenen Stil entwickelt.

Was sie aber hatten, waren ihre eigenen Schutzpatrone: die "Quattro Santi Coronati", die bereits in einer Kirche des 7. Jh. in Rom verehrt wurden.

 

 

Hochmittelalter: Die Verwalter leiten den Bau

 

Da ein anspruchsgerechter Bau auch organisatorisch nicht mehr von einem einzelnen Bauherrn zu bewältigen war, musste er seine Kompetenzen immer mehr in die Hände von Bauverwaltern legen.

 

Der Bauherr braucht einen Verwalter und einen Baumeister

 

Vordem hatte der Bauherr als "weiser Architekt" einerseits das Bauwerk als "Bedeutungsträger" gestaltet, anderseits vor allem die Mittel und Leute beschafft sowie die Arbeit organisiert [53].

Nun wurde er zusehends von Verwaltern abgelöst, die an Zahl rasch zunahmen und immer mächtiger wurden. Sie beschafften die finanziellen Mittel, beaufsichtigten und entlöhnten die Handwerker und nahmen immer mehr auch die bauliche Gesamtverantwortung wahr.

 

Anderseits gewann der Baumeister oder Architekt, oft von weit her geholt, immer mehr an Bedeutung. Ursprünglich wie ein Unternehmer vertraglich gebunden und über eine lokale Bauhandwerkerschaft gestellt, wurde er zusehends in die bestehende Sozialordnung integriert, längerfristig (z. B. durch Lehen) an Bauvorhaben gebunden, zur Sesshaftigkeit veranlasst und schliesslich selbst zum Verwaltungsbeamten gemacht.

 

Aufsteiger

 

Mancher Verwalter, der sich im Baubetrieb durch Initiative oder Qualifikation auszeichnete, konnte zu höheren Ämtern aufsteigen, ja sogar selber Abt oder Bischof werden [54]. Bekannte Beispiele aus dem 11. und 12. Jahrhundert sind Abt Suger von Saint-Denis sowie die Bischöfe Benno von Osnabrück, Gundolf von Rochester, Otto von Bamberg und Robert von Hereford.

Der einfache Steinmetz Peter von Angicourt wurde unter Karl I. von Anjou 1278 "Protomagister und Verwalter der Hofbauten" in Neapel und später von Karl II. geadelt. 1339 wurde der Maurer William de Shaldeford "baron of the Exchequer" und 1367 der Verwalter William of Wykeham Bischof von Winchester.

 

Seit 1150 Zentralisierung des Bauwesens; seit 1250 Stadtbauämter

 

Sowohl deshalb wie auch wegen der immer komplizierter werdenden Verhältnisse war es notwendig, die ausserordentlich verschiedenartigen Mitspracherechte und Verantwortlichkeiten zu stabilisieren, das heisst, sowohl schriftlich zu fixieren als auch zu institutionalisieren.

Das konnte auf zwei Arten geschehen: durch Zentralisieren des Bauwesens am königlichen Hof oder durch die Errichtung von Stadtbauämtern.

Den ersten Weg wählten England (seit 1150) und - über die Normandie mit ihm verbunden und angeregt - Frankreich (seit kurz vor 1200). Um 1255 war in beiden Ländern die Zentralisierung mit der Errichtung von "Hofbauämtern" vollendet.

 

In Deutschland dagegen wurden keine vergleichbaren Anstrengungen zur Konzentration der Baubefugnisse unternommen, auch nicht in den einzelnen Fürstentümern. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich wie in Frankreich seit 1250 Stadtbauämter bildeten und später, als Gegenstück zu den lokalen Zünften, autonome, das heisst zunftunabhängige Dombauhütten [55].

Auch in Italien bildeten sich Stadtbauämter aus. Dabei ging es sowohl um die Baubefugnisse wie um Bauvorschriften und schliesslich die Bauverwaltung.

 

Etwas drastisch formuliert kann man sagen: Die Gotik (ab 1140) hat nicht nur herrliche Bauwerke, sondern auch die Verbeamtung des Bauwesens hervorgebracht. Das hat für uns Nachfahren immerhin den Vorteil, dass wir seither recht gut dokumentiert sind.

 

 

Ab 1000: Berufsgilden, ab 1150: Zünfte

 

Seit dem Jahr 1000: Berufsgilden und Kommunen mit Bruderschaften

 

Seit dem Jahr 1000 werden Gilden der Kaufleute und "Kommunen" (städtische Organisationen) fassbar.

Damit verbunden waren meist Bruderschaften mit religiösen Zielen. Bald wurden solche auch spezifisch zur Beschaffung der Geldmittel für den Kirchenbau gebildet (z. B. in Bayonne 1120, Petri-Bruderschaft in Köln 1330).

 

Bemerkenswerterweise konnten, wie früher in den römischen collegia, auch Frauen dabei sein, sogar wenn es sich um eine "fraternitas", also um eine Bruderschaft handelte [56].

In den islamischen Reichen gab es Bruderschaften, sogenannte "futuwwa" [57].

 

Erst seit 1150 kann man von Zünften sprechen

 

Warum und wie später "Zünfte" im heutigen Sinne entstanden sind, hat ebenfalls Anlass zu Auseinandersetzungen gegeben. Sicher dabei ist nur folgendes: Man darf nicht von der blossen Erwähnung von Handwerkern in einem Text auf die Existenz einer zünftischen Verbindung derselben schliessen.

Und zweitens ist nicht jede "fraternitas" oder "Gilde" schon eine Zunft [58].

 

Gemäss diesen Einschränkungen kann man seit etwa 1150 von "Zünften" sprechen [59].

 

Ferner ist zu beachten, dass die Bezeichnungen dafür je nach Region verschieden sind. Was in der Schweiz und im süddeutschen Raum "Zunft" heisst, trägt in Österreich den Namen "Zeche", in nördlichen Teilen Deutschlands "Gilde", "Innung", "Amt" oder "Werk". Darüber hinaus gibt es die Bezeichnungen "Gaffel", "Kerze", "Bruderschaft" und "Hanse"[60].

 

Im 13. Jahrhundert wurde die Bildung von Zünften allgemein, auch in der Schweiz.

Eine nicht unbedeutende Rolle spielte die Stadt Basel in der Zunftentwicklung. Als hier 1226 der Bischof von Basel die Ordnung genehmigte, welche die Kürschner für sich selber aufgestellt hatten, wurde in diesem Stiftungsbrief zum erstenmal in einer Urkunde das Wort "Zunft" verwendet. Schon bald nach 1250 waren fast alle Handwerker und Gewerbe in Basel zünftisch organisiert.

 

Im Unterschied zu andern Handwerken und Gewerben organisierten sich die Bauleute erst verhältnismässig spät, jedenfalls wenn wir auf schriftliche Zeugnisse abstützen.

 

Die um 1130 im Strassburger Stadtrecht erwähnten Zimmerleute (carpentarii) bildeten wie die andern Handwerker ein sogenanntes "Amt", also eine Abteilung am grundherrlichen Hof.

Die Ämter waren nicht organisiert, aber jedem war ein Magister vorgesetzt, der nicht selber dem Handwerk angehörte [61].

 

Im 13. Jahrhundert: Vom Basler: Vom "Mur Ampt" zur "Zunft"

 

Auch in Basel bestand um 1200 unter den "Byschofflichen Emptern" das "Mur Ampt" mit dem "officium carpentariorum" (Zimmerleute) und dem "officium cementariorum" (Maurer). 1248 fand mit bischöflicher Genehmigung der Zusammenschluss der hofrechtlichen Einung mit den selbständigen Bauhandwerkern der Stadt statt [62].

Diese Vorstufe einer "Zunft" der Bauleute umfasste Maurer (cementarii; murarii), Gipser (gipsarii), Zimmerleute (carpentarii), Fassbinder und Wagner (vasorum et curruum operarii). Der Basler Bischof als Stadtherr genehmigte "die von ihnen neulich in Betreff ihres Handwerks zu Ehren und zum Nutzen unserer Stadt aufgerichtete Ordnung".

 

Wer nicht zu dieser "Zunfte" oder "societas" gehörte, war vom Recht, nach seinem Belieben in der Stadt zu arbeiten, ausgeschlossen.

Einige Jahre später stiessen die Wannenmacher und Drechsler dazu, und nun durfte die Zunft ihren "Meister" und sechs Vorgesetzte aus den eigenen Reihen wählen [63].

 

Steinmetzen werden erst seit etwa 1350 als Mitglieder erwähnt (obwohl der Neubau des Basler Münsters schon kurz vor 1200 in Angriff genommen wurde).

 

Mit der Zunft war von Anbeginn eine "confraternie" (Bruderschaft) verbunden, die vor allem den Kirchendienst zu versehen hatte (Kerzen, Andachten, Begräbnisse).

Seit etwa 1400 hatten die Zunftbrüder auch Wachtdienst und Hilfe bei Feuersnot - wie schon bei den alten Römern - zu leisten [64]. Der Name der Zunft ist seit dem 15. Jahrhundert "zu Spinnwettern".

Frauen wurden bis zum Jahre 1629 aufgenommen.

 

Auch bei den Basler Kürschnern und Schneidern waren Frauen zugelassen. In Luzern gab es Frauen bei der Zunft zu Safran gar bis 1798 [65].

 

Bauzünfte in Bern (1321) und Zürich (1336)

 

Zunftverbote in Schaffhausen, Zürich und Bern belegen, dass auch hier schon vor 1300 Zünfte vorhanden gewesen sein müssen.

Auf 1321 wird die "Vergesellschaftung" der Meister und Gesellen des Steinmetzen-, Steinhauer-, Maurer- und Steinbrecherhandwerks in Bern datiert (daraus wurde bald die "Zunftgesellschaft zum Affen").

Schon kurz darauf soll diese Zunft in der Leutkirche St. Vinzenz, der Vorgängerin des Münsters, einen Altar der Vier Gekrönten besessen haben. 100 Jahre später, nach 1453, wurde ein gleicher Altar im neuerbauten Berner Münster errichtet [66]. Anders als in Basel hatten in Bern die Zimmerleute eine von den Steinmetzen unabhängige Zunft [67].

 

Die im Zürcher Zunftbrief von 1336 erwähnte Zunft "Zimmerleuten" [68], umfasste dagegen viele verschiedene Berufe, nämlich "Zimberlúte, Murer, Wagener, Trachsel, Holtzkouffer, Vasbinder und Reblúte".

 

Im 14. Jahrhundert gewannen die Zünfte politischen Einfluss: Sie erhielten Anteil am Stadtregiment etwa in Mainz (1332), Strassburg (1332), Zürich (1336), Basel (1357) und Köln (1396).

 

1268: Pariser Statuten der Zimmerleute und Maurer

 

Zur gleichen Zeit wie die Basler Bauleute waren auch die Pariser und Florentiner Bauleute schon organisiert.

Etwa 1268 beauftragte König Ludwig IX., genannt Saint Louis, den Vorsteher der Pariser Kaufmannsgilde, Etienne Boileau, die Zunftvorsteher aller Gewerbe um einen Bericht über ihre Statuten zu bitten. Daher sind uns die Statuten der "Charpentiers" und der "Maçons" erhalten.

Über letztere, welche auch die "Tailleurs de pierre" die "Plastriés" und "Morteliers" umfassten, hatte Guillaume de Saint-Pathus als erster hauptamtlich engagierter Hofarchitekt die Oberaufsicht (la mestrise des maçons). Er schwor in der Loge des Palastes (es loges du Palès) zu Paris, dass er das Gewerbe gut und gerecht leiten werde [69].

 

Weitere Bauzünfte in Italien und Frankreich, aber nicht in Deutschland

 

Im Jahre 1282 wurde in Florenz den Stein- und Holzarbeitern (maestri di pietre e di legname) eine politisch-militärische Konstitution zuteil [70].

Es ist anzunehmen, dass auch in andern Städten Italiens und Frankreichs um diese Zeit Zünfte des Bauhandwerks bestanden oder entstanden [71], aber offenbar nicht in Deutschland.

 

England hinkt mit der Organisation der Bauhandwerker hintendrein

 

England hinkte mit der Organisation des Bauhandwerks hintennach.

Es gab offenbar im 14. Jahrhundert religiöse Bruderschaften von Maurern [72] und spätestens 1376 in London eine Maurergilde (fraternitas). Doch deren Verordnungen wurden erst über 100 Jahre später genehmigt, worin auch das jährliche Fest der Quatuor Coronati am 8. November Erwähnung fand [73].

 

Aus dem 15. Jh. sind sonst nur noch Hinweise auf eine "Art von Organisation der Maurer" in Norwich (1440ff) und eine Korporation (Incorporation) der Maurer und Zimmerleute in Edinburgh (1475) vorhanden.

 

Knoop/Jones meinen: "Wir müssen daraus wohl den Schluss ziehen, dass örtliche Maurergilden in mittelalterlichen Orten nicht besonders entwickelt waren. ... Zweifellos waren die Maurer organisiert, aber lockerer und weniger ortsgebunden als die meisten Gewerbe der Zeit" [74].

 

 

Bauhütten, Logen oder Ateliers in der Gotik (Anhang 4; Anhang 5)

 

Mit den sogenannten Bauhütten ist es nun ein richtiges Kreuz. Bis zum Jahre 1350, also bis fast zum Ende der Gotik, haben wir darüber keinerlei schriftliche Nachrichten.

 

Das ist schon Georg Kloss („Die Freimaurerei in ihrer wahren Bedeutung“, 1846, 230ff) aufgefallen. Er verneint deshalb jede Beziehung zu den römischen „Collegiis Fabrorum“ und betont: „Es kann also nirgendwo im christlichen Europa zur Zeit der Blüte des deutschen Baustyls (115 bis 1459) ein Geheimbund zu dessen [d. h. was zur materiellen und vergeistigten Ausübung der Baukunst erforderlich ist] Erlernung, Aufbewahrung und Fortpflanzung bestanden haben“ (233f).

Kloss spricht von der „schönen Idee eines Männerbundes, welcher im Besitze von Baugeheimnissen von Land zu Land gezogen sei, um diese auszuüben“ und hält sie für eine Sage, ja „eine verschönerte Zunftssage“ (236).

 

(Anmerkung im Juli 2007:) Der Professor für Kirchengeschichte Gerhard Ringshausen formulierte bereits 1973, dass die altbekannten Anschauungen „eher einer romantischen Projektion als den historisch nachweisbaren Tatsachen entsprechen“ (zit. von Volker Segers, „Studien zur Geschichte der deutschen Steinmetzenbruderschaft“, FU Berlin 1980, 3).

 

Ferner ist zu beachten, dass das Wort "Bauhütte" erst von Goethe (1816) geprägt wurde [75], das Wort "Dombauhütte" von Carl Heideloff (1844).

 

Was ist überhaupt eine Bauhütte? Zieht man die Bezeichnungen "Loge" und "Atelier" in die Betrachtung ein, wird es wieder einmal kompliziert.

Es empfiehlt sich eine schrittweise Aufklärung:

 

Was ist eine Loge?

 

Loge in der ursprünglichen Bedeutung und in verschiedensten Sprachformen wie laubia, logia, Laube ist ein irgendwie gedeckter oder geschützter Platz oder Raum, eine Unterkunft, eine Hütte, ein leichtgebautes Häuschen [76]. Daraus entwickelte sich unter anderem gegen das Jahr 1000 die Bedeutung Vorbau mit Säulenhalle an einem Palast oder sonstigen Gebäude [77]. Wir kennen das heute noch in der Bezeichnung Lobby einerseits, in balkonartigen Gebäudeteilen anderseits.

 

Eine andere Entwicklung führte dazu, mit Loge einen gedeckten Platz in unmittelbarer Nähe eines im Entstehen begriffenen Bauwerkes zu bezeichnen. Also ein Dach oder eine Holzhütte über dem Ort, wo die Maurer ihren Zement anrührten, die Bildhauer und Steinmetzen ihre Steine bearbeiteten.

In diesem Sinne, als Werkstatt der Bauleute und gelegentlicher Aufenthaltsraum, tauchen Logen seit etwa 1250 in Texten, ab 1350 in Bildern auf [78].

 

Naheliegend ist, dass die Bezeichnung Loge auch auf die in den Werkstätten tätigen Künstler, Bildhauer und Steinmetzen überging. Aber gerade davon haben wir bis 1350 keine schriftlichen Zeugnisse.

 

Wie vorsichtig man mit Wörtern umgehen sollte, zeigt sich in folgendem:

  • Im Deutschen ist das Wort "Loggia" erst seit 1627 dokumentiert, die Loge im Theater seit 1702 und die "Loge" der Freimaurer seit 1741.
  • Das alte französische Wort "loge" (seit 1135) wird seit 1762 für die Theaterloge und seit 1740 für Freimaurerlogen gebraucht; vorher bezeichnet es nie eine Vereinigung oder Organisation - weil es solche offenbar gar nicht gab!
  • Im Französischen ist "atelier" (zuerst als "astelier" 1332) erst relativ spät, nämlich seit 1362 als Werkstatt und seit 1866 für Freimaurerloge in Gebrauch.

 

Bemerkenswert ist, dass in der ersten deutschen Übersetzung von Samuel Prichards „Masonry Dissected“ (1730), „Die Zunfft der Freyen-Mäurer“ (1746), das englische Wort „lodge“ ganz unterschiedlich übersetzt wird:

„constituted lodges“: „fest-gestellte Zunfft-Kammern“

„from the holy lodge“: „Vom Collegio oder Zunfft“

„lodge“: „Collegium“

„lodge“: „Collegien-Kammer“, „Zimmer“, „Collegii-Zimmer“

„lodge“: „Zunfft“

„lodge of Masters“: „Meister-Zunfft.

 In der zweiten deutschen Übersetzung von 1788 wird „lodge“ durchgehend mit „Loge“ wiedergegeben.

Bereit in der deutschen Übersetzung von „L’Ordre des Francs-Maçons trahi“ (1745), „Der verrathene Orden der Freymäurer“ von 1745, ist stets von „Loge“ die Rede.

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Nur unkritische Kunsthistoriker, nicht die Dokumente, sprechen von Bauhütten

 

Dennoch verwendet die Kunstgeschichte recht unbeschwert für solche Gruppen seit etwa dem Jahr 1050, vor allem aber in der Gotik neben den Begriffen Schule und Werkstätte die Wörter Bauhütte und Atelier.

 

Nun, wir lesen etwa beim Neubau der Klosterkirche von Cluny (1088-1130/1225):

"Die Bauhütte muss man sich vorstellen als eine Gemeinschaft, der die besten Kräfte des Landes angehörten und die von Klerikern geleitet wurde. Diese Künstler bildeten sich auf weiten Reisen" [79].

 

Oder beim Neubau der Kathedrale von Chartres (1194-1260) heisst es:

"Die Bauhütten der einzelnen Orte pflegten in gotischer Zeit enge Beziehungen zueinander, die Steinmetzen und Architekten reisten von Hütte zu Hütte, um sich weiterzubilden" [80].

 

Betreffen diese Sätze die Bauleute, so lesen wir von einem anderen Autor ganz ähnlich über Bildhauer:

"Die Arbeiten der Bildhauer an der Westfassade von Notre-Dame in Paris dürften spätestens um 1210 begonnen haben. Das Pariser Atelier bricht, was den Aufbau der Portale und die Formensprache seiner Skulpturen angeht, mit der Überlieferung des 12. Jahrhunderts. Es leitet über zu jenem hohen Stil der Bildhauerkunst, der den strengen und disziplinierten Architekturformen der klassischen Kathedrale entspricht" [81].

Oder:

"Es hat in Deutschland eine innere Annäherung an die Gotik sich vollzogen, bevor die ersten Motive aus den westlichen Bauhütten bekannt wurden" [82]. So arbeitete etwa in Bamberg "schon seit dem 2. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts eine erste Bildhauerwerkstatt", die noch keine Beziehungen zu Frankreich aufwies. Erst das jüngere Atelier "muss über breite Kenntnisse der Reimser Kathedralskulptur verfügt haben... Ein Aufenthalt an Ort und Stelle muss daher mindestens für die führenden Kräfte des Ateliers angenommen werden" [83].

 

Daher schreibt ein dritter Autor für die Zeit von etwa 1210-1250:

"Die Bauhütten in Chartres, Amiens, Paris, Reims u. a. waren Werkstätten mit einem ungeheuren Bedarf an Mitarbeitern, unter denen sich fraglos auch junge Deutsche befanden, die in den Zentren der neuen Kunst lernen wollten. Wie in diesen gewaltigen Werkstätten alle Altersschichten nebeneinander arbeiteten und verschiedene Stufen der Entwicklung vertraten, waren ebenso weniger begabte neben genialen Bildhauern tätig" [84].

 

Der Austausch von Kenntnissen über die Kunst des Bauens und der Bildhauerei war zu dieser Zeit gewiss gross. Mancher Leiter einer Bauhütte mag sich ein Musterbuch dafür zusammengestellt haben. Das einzige erhaltene der Gotik ist dasjenige des Villard de Honnecourt aus dem Jahre 1235 [85].

 

Die Versuchung lag nahe, auch die Spezialistentrupps [86], die von Bauplatz zu Bauplatz zogen, als Bauhütten zu bezeichnen. Man behauptet, es seien "langobardische Baurotten" oder "lombardische Steinmetzen in Baurotten nach Deutschland" gezogen [87]. Oder: "Klosterbaubruderschaften reisten von Land zu Land, sie waren bewaffnet und hatten eine fast militärische Disziplin. Zur Erweiterung der Bauhüttengemeinde wurden Laienbrüder aufgenommen, die einem Mönch als Parlier unterstanden" [88].

Ähnlich behauptet ein Kunsthistoriker, die Conversi - also die Laienbrüder - der Zisterzienser seien zu Bautrupps zusammengefasst gewesen und an den verschiedenen Stellen für Ordensbauten eingesetzt worden [89].

Hierbei von Bauhütten zu sprechen ist zumindest gewagt.

 

Gearbeitet wurde in "Werkstätten"

 

Bis zum Jahre 1350 müssen wir uns also mit dem kunstgeschichtlichen Verständnis von Bauhütten begnügen, da keinerlei Dokumente darüber vorliegen, wie und ob überhaupt Gruppen von Steinmetzen an einem geistlichen oder weltlichen Bau organisiert waren [90].

 

(Anmerkung im Juli 2007:) Siehe dazu auch die Dissertation von Volker Segers („Studien zur Geschichte der deutschen Steinmetzenbruderschaft“, FU Berlin 1980, 27). Er meint, die „Bauhütte des Mittelalters“ erweise sich „als eine wissenschaftlich unhaltbare Annahme, die letztlich aus der Kunstschriftstellerei des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist.“

 

Es ist deshalb zweckmässig, einfach von

·                    Bauschulen im Sinne von Stilrichtungen,

·                    Gruppen von mobilen Bauleuten, und

·                    Werkstätten als ihres Arbeits- und Wirkungskreises

zu sprechen [91].

 

Die Bezeichnung Werkstätte empfiehlt sich auch, weil sich in Frankreich alle Bauarbeiten an Kathedralen im freien Wettbewerb unter der Leitung des Kapitels abspielten. Es gibt keinerlei Hinweis auf "Hütten" oder "Logen" wie in Deutschland oder England. Es hatte in Frankreich keine Korporation Macht über die Werkleute, und es gab auch später kein vergleichbares Gegenstück zu einer überregionalen Vereinigung wie in den deutschen Landen [92].

 

Es gab in der Hochgotik keine "Bauhütten"

 

Diese Sprachregelung - der Verzicht sowohl auf klösterliche wie wandernde und gotische Bauhütten - bedeutet nicht, dass das Wirken genialer Architekten, Bauleiter und Bildhauer in Abrede gestellt wird. Unzweifelhaft vermochten sie mit ihrem Genie und ihrer Schöpferkraft Bauleute und Künstler zu begeistern und damit zu bewundernswürdigen Leistungen anzutreiben; aber wie diese Gruppen und ihre Arbeit organisiert waren, das wissen wir nicht.

Und weil für die vielen hundert grossartigen Bau- und Bildwerke in ganz Europa kein einziges schriftliches Zeugnis über die Organisation der Ausführenden vorliegt, obwohl aus diesen Zeiten unzählige Chroniken und Dokumente über fast alle sonstigen Fragen Auskunft geben, können wir füglich annehmen, dass es gerade in der Hochgotik keine Bauhütten in dem Sinne gegeben hat, wie es Literatur und Kunstgeschichte in den letzten 200 Jahren so gerne gesehen hätten.

 

Es gab freilich in Frankreich so gut wie in Italien und in den deutschsprachigen Gebieten und etwas später in England auch Bruderschaften und Zünfte der Bauleute sowie städtische Bauämter und Bauordnungen [93].

Wenn man die Literatur der Freimaurerei mit derjenigen der Kunstgeschichte vergleicht und kombiniert, kann man folgende Beobachtungen machen:

 

"Fabrica": Bauführung oder Bau-Unternehmen

 

Seit der karolingischen Zeit wurde die "Bauführung" als "fabrica" bezeichnet. Häufiger war freilich die Benennung "opus" (Werk), die ab ca. 1000 ebenfalls für Bauführung stand.

Aber auch Kombinationen kamen vor, wie "operis fabricam" und "fabricae operam".

Das sind also alles Bezeichnungen für den gesamten Baubetrieb an einem grossen Bauwerk, für das Bauunternehmen im vieldeutigen Wortsinn [94].

Wenn also kritische Kunsthistoriker, allerdings meist erst für die Zeit nach 1350, gerne von Münsterfabrik, Fabrikrechnungen und Fabrikmeistern sprechen, dann ist "Fabrik" als "Bau" im Sinne von "Bau-Unternehmen" zu verstehen.

 

Die bekanntesten Münsterfabriken

 

Die bekanntesten Münsterfabriken sind das Frauenwerk (opus sancte Mariae) des Strassburger Münsters (seit 1224), die Xantener Kirchenfabrik, die Prager Domfabrik, die Basler Münsterfabrik und die fabbrica del Duomo di Milano (seit 1386) [95].

 

Diese Fabriken bildeten eigene Unternehmen. So besass etwa das Frauenwerk Häuser, Steinbrüche, Höfe, Weinberge und Wälder. Die Werkstatt der Steinmetzen gehörte selbstverständlich auch dazu.

Manchmal waren es sogar mehrere. Seit etwa 1350 bezeichnete man diese als hutte. Und nun lässt sich eine interessante Entwicklung verfolgen: Am Anfang arbeitete ein Steinmetz in hutta lapicide (Prag, 1372-1378), nach 1400 ist aber plötzlich von Ausgaben uff der hutten (Strassburg 1416) und Verwaltern uff unser hutten (Freiburg) die Rede. Aus der Werkstatt ist also eine organisatorische Einheit geworden. Und da die Hütte den wichtigsten Teil des Bauunternehmens darstellte, kann man dieses auch als Ganzes als Bauhütte bezeichnen [96].

 

In England begann diese Entwicklung etwas früher. Hier wird erstmals 1352 am Münster von York eine loge nicht nur als Werkstatt, sondern auch als Organisation der Bauleute fassbar. Für diese wurden vom Dekan und vom Kapitel Verordnungen (ordinances) erlassen, und zwar 1352, 1370 und 1408-1409.

Ähnlich wie fast hundert Jahre zuvor in Paris wurde auf die alte Übung und Gewohnheit der Maurer Bezug genommen. Der erste und zweite master mason und der master carpenter mussten einen Eid vor dem Kapitel ablegen, dass sie für die Durchsetzung der Vorschriften (the observance of regulations) besorgt seien. Erst später mussten auch alle anderen Bauarbeiter Gehorsam schwören.

Diese und spätere Logen waren also weder selbständig, noch kannten sie eine Selbstverwaltung [97].

 

 

Die Hierarchie der Bauorganisation der Spätgotik (Anhang 6)

 

Was den Überblick über das Bauwesen des späten Mittelalters so schwierig macht, ist, dass die Verhältnisse von Ort zu Ort oder von Land zu Land so verschieden waren und dass die verwendeten Amts- und Berufsbezeichnungen so ausserordentlich vielfältig waren.

So hat Sebastian Schröcker (1934) allein für das Amt des "Kirchenpflegers" (Verwalter des Gotteshausvermögens oder Fabrikguts) mehr als 80 verschiedene deutsche Bezeichnungen zusammengestellt. Die lateinischen Bezeichnungen sind fast ebenso zahlreich.

Ähnliches gilt auch für die Bauverwalter, Schaffner und Werkmeister.

 

Baurechnungsbücher oder Fabrikrechnungen geben Aufschluss

 

Für die deutschen Bauhütten sind seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sogenannte Baurechnungsbücher oder Fabrikrechnungen erhalten geblieben, aus denen sich die jeweilige Organisation und der Bauablauf recht gut erkennen lassen.

Seit 1356 sind die Bauabrechnungen der Kirche St. Victor in Xanten, seit 1372 die Wochenrechnungen des Prager Dombaus und für 1387 eine Abrechnung des Münsters in Ulm vorhanden.

Die Rechnungsbücher für Basel (1399/1400), Strassburg (1414), Freiburg, Wien (1404), Nürnberg und Regensburg entstanden erst um oder nach 1400 [98].

 

Die Bauorganisation der Spätgotik blieb ganz ähnlich wie früher, nur dass ein neuer Posten, der Schaffner, dazukam. Generell kann man folgende Struktur feststellen:

 

Die Grundstruktur der Hierarchie

 

1. Wenn die Bauherrschaft in den Händen der Geistlichkeit lag, ernannte sie provisores, procuratores, rectores oder magistri fabricae. Diese Geistlichen verwalteten den Dombaufonds und hatten die Aufsicht über alle Beschäftigten [99].
Lag die Bauherrschaft in den Händen der Stadt und damit der Bürger, so ernannte der Rat der Stadt aus seiner Mitte zwei oder drei Pfleger (früher operarius) oder bumeister, welche als Bauverwalter amteten und insbesondere dem Rat Rechnung über die Einnahmen und Ausgaben der Münsterbauhütte ablegen mussten [100].

 

2. Die Pfleger setzten ihrerseits für die Organisation und Verwaltung der Hütte einen Schaffner ein, für die technische Bauleitung den Werkmeister (früher magister operis). Auch wenn der Werkmeister einen noch so berühmten Namen trug, war er stets dem Pfleger oder bumeister und manchmal sogar dem Schaffner (wie 1383 Michael von Freiburg in Strassburg) unterstellt.
Diese Zweiteilung der Machtbefugnisse bedeutete für den Werkmeister eine grosse Entlastung, und er konnte sich daher ganz auf rein bauliche und künstlerische Fragen konzentrieren [101].

 

3. Als Stellvertreter der Werkmeister amteten die Parliere. Sie wurden manchmal an andere Orte als Werkmeister berufen oder stiegen in der eigenen Hütte auf [102].

 

4. Die nächstuntere Stufe in der Hierarchie der Steinmetzen waren die Meisterknechte: Gesellen, denen die Meister nach Lehrzeit und Wanderjahren die höhere Kunst des Bauens beibrachten (daher auch der Name Kunstdiener), damit sie selber Meister werden konnten [103].

 

5. Schliesslich gab es Gesellen, die nicht Meister werden wollten, und Lehrlinge, meist Diener, lerjunge oder auch diener am rauhen gestein genannt.

Für besondere Aufgaben war ein Hüttenknecht zuständig [104].

 

Im weiteren waren an einer fabrica ausser den Steinmetzen zahlreiche andere Handwerker beschäftigt, insbesondere Schmiede, Zimmerleute und eine ganze Reihe weiterer Arbeiter und Knechte [105].

 

Normales Verhältnis zu den städtischen Zünften

 

Das Verhältnis der Bauhütten - als Organisation des Kirchenbaus - zu den städtischen Zünften war ganz normal.

Wenn man für die doch sehr unterschiedlichen Arbeiten am Kirchenbau über nicht genügend festangestellte oder gar keine Handwerker in der Bauhütte verfügte, griff man auf die städtischen Zünfte, in der Stadt ansässige oder gar auswärtige Schlosser-, Schmiede- und Malermeister zurück.

Umgekehrt mussten sich etwa in Regensburg der stets der Zunft angehörende Dombaumeister und in Freiburg der Werkmeister des Münsters verpflichten, auch für städtische Bauten zur Verfügung zu stehen.

 

Die Steinmetzen erkannten auch die Ausbildung der städtischen Maurer an, verringerten sie doch die Lehrzeit eines Steinmetzen von fünf auf drei Jahre, wenn er zuvor bei einem Maurer gelernt hatte [106].

 

Lehrlinge und Meisterstücke tauchen erst spät auf

 

Lehrlinge in den Handwerken gab es, spärlich allerdings, seit dem Anfang der Zünfte (1150). Ein geordnetes Lehrwesen gab es mancherorts schon im 13. Jahrhundert.

 

Im Bauwesen hören wir aber in England (1359/82) und in deutschsprachigen Landen (z. B. Basel, 1414, Zürich 1424) erst viel später davon.

 

Im "Livre des Métiers" (1268) wird die Lehrzeit auf 6 Jahre, im Regius-Poem (1390) und im Cooke-Manuskript (1410) auf 7 Jahre und in der Strassburger Ordnung (1459) auf 5 Jahre festgesetzt. Die städtischen Handwerksordnungen schrieben manchmal nur 3 (z. B. Nürnberg und Regensburg) oder 4 Jahre vor.

Im allgemeinen trat der Lehrling mit etwa 14 Jahren ein.

 

Jahrhundertelang wurde von den selbständig arbeitenden Steinmetzen keine besondere Prüfung verlangt. Die alten Ordnungen setzten stillschweigend die geübte Hand voraus, "und das Werk musste den Meistern loben".

Erst die Regensburger "Steinmotzenordnung" von 1514 verlangt ein "mayster stuck". 1548 verlangte eine Zürcher Ratsordnung von den Steinmetzen Meisterstück und Meisterprobe. 1629 beschlossen auch die Basler Steinmetzen, ein Meisterstück zu fordern. Ein Jahr darauf hören wir von einem Meisterstück für die Berner Steinhauer.

 

 

Der Lohn: Geld und Naturalien - über Jahrhunderte stabil und ungenügend

 

Die Bezahlung der Arbeit erfolgte (belegt seit ca. 700) zu einem Teil in Geld, zum andern in Naturalien: Wein oder Bier, Brot (Mais- oder Roggenmehl), Speck, Käse, Salz.

Das blieb durch die Jahrhunderte gleich. Klaus Strolz hat über die Spätzeit in seiner Dissertation "Das Bauhandwerk im Alten Zürich unter besonderer Berücksichtigung seiner Löhne" (1970) berichtet.

 

Lohnfestsetzungen sind seit 1300 erhalten. Die Bezahlung erfolgte entweder im Akkord oder im Tagelohn, der am Ende der Woche ausbezahlt wurde. In Prag, Wien und Regensburg wurden die Steinmetzen im Verding bezahlt, das heisst nach der Anzahl der Steine, die sie geschlagen hatten.

In Ulm und Basel wurden neben den fest angestellten Steinmetzen auch solche beschäftigt, die einzeln bezahlte Platten oder ganze Bildwerke lieferten.

 

Geringerer Winterlohn, lange Arbeitszeiten

 

Der Winterlohn war etwas geringer als der Sommerlohn, da die Arbeitstage kürzer waren.

Die Winterzeit in England (z. B. am Yorker Münster 1370) ging von Michaelis (29. September) bis zum ersten Fastensonntag, in Rothenburg (um 1350) von St. Michael bis St. Gertrud (17. März). In Freiburg im Breisgau, Zürich und Basel dauerte sie vom St. Gallentag (16. Oktober) bis Kathedra Petri, Petri Stuhlfeier "in der Fasten" (22. Februar).

 

In Frankfurt' wurde vom 2.2. (Lichtmess) bis 24.3. und vom 9.9. bis 11.11.(St. Martin) ein "affterundernbrot" ausgegeben. Ähnlich wurde auch die Sommerzeit in Zürich aufgeteilt: Von der Fastenzeit bis "sant Jörgen tag" (St. Georg, 23. April) und ab "sant Frenen tag" (St. Verena, 1. September) wurden wie im Winter nur drei Mahlzeiten ausgegeben, in den vier längsten Monaten zusätzlich ein viertes Essen oder ein Feierabendtrunk.

 

Gearbeitet wurde an sechs Tagen in der Woche von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, in Zürich etwa markiert durch die Betzeitläuten von St. Peter. In Basel beschloss das Komplettläuten der Klöster und Kirchen den Tag und rief zum Abendgottesdienst.

Eine Mittagsruhe fehlte ebenso wenig wie Pausen für Zwischenverpflegungen und Trinken.

 

Viele Feiertage, aber oft ohne Bezahlung

 

Feiertage wurden je nach Ort bezahlt, oder aber nicht. Auch die Zahl der Festtage schwankte beträchtlich. So wurden in England gefeiert [107]:

  • 1279: 27 und 1280: 22 (bei der Abtei von Vale Royal) ohne Bezahlung
  • 1316/30: 20 (bei Schloss Beaumaris) ohne Bezahlung
  • -444/45: 38 und 1445/46: 43 (beim Bau des College von Eton), bezahlt wurden die freemasons für alle Feiertage ausser neun, Hartsteinhauer und Steinleger dagegen nur für fünf resp. drei Tage.

 

Beim Bau der Koblenzer Stadtmauer in den Jahren 1276-1280 wurden ebenfalls von April bis Oktober 36 Festtage (ohne Sonntage) gefeiert.

Die Rechnungsbücher der Kirche des hl. Victors in Xanten zeigen ab 1356, dass nur in 16 Wochen an 6 Tagen voll gearbeitet wurde; 24 Wochen gab es mit 5 Arbeitstagen, und 9 Wochen arbeitete man nur 3 bis 4 Tage.

Auch hundert Jahre später erhellen Aufzeichnungen aus Regensburg (1459) und Freiburg i. Br. (1472), dass nur an 21. resp. 17 Wochen des Jahres 6 Tage gearbeitet wurde, sonst weniger, etwa 10 Wochen gar nur 2 bis 4 Tage.

 

Löhne über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte gleich

 

Erstaunlich ist die Konstanz der Löhne über lange Zeiten. So erhielt ein englischer Maurer von 1280-1350 4 d, von 1370-1500 6 d pro Tag.

Die Maurer beim Bau der London-Bridge erhielten um 1500 täglich 8 d, um 1600 16 d, aber die Kaufkraft des Lohnes halbierte sich in dieser Zeit.

In Zürich kam ein Maurer- oder Zimmermeister 1424 auf 3 Schilling, 1484 auf 3 Schilling 8 Heller und 1565 wie 1592 auf 5 Schilling. Gesellen wurden 1424 gleich hoch bezahlt, 1592 erhielten sie 4 Schilling, Lehrlinge 2 1/2 Schilling, dazu Wein, Brot bzw. Kernen und Käse.

 

Keine Arbeit im Winter für Steinleger

 

Die überwiegende Mehrzahl der Bauleute waren damals Gesellen mit geringer oder keiner Sicherheit einer Dauerstellung. Was das bedeutet, schildern Knoop und Jones in ihrer "Genesis of Freemasonry" (1948; dt. 1968):

 

"Die arbeitslose Zeit im Winter, während der nicht gebaut wurde, hat im Mittelalter anscheinend ziemlich lange gedauert. Bauabrechnungen zeigen häufig den Ankauf von Stroh zur Bedeckung des Baumaterials oder zur Verkleidung der Wände im Winter.

Die Steinleger waren schlimmer dran als die -hauer; denn der Frost verhinderte alles Bauen, während nur strenger Frost vom Bearbeiten der Steine abhalten konnte, falls man sich entschieden hatte, die Steine im Winter weiter herzurichten, um alles für die Wiederaufnahme der Bauarbeit im Frühjahr vorzubereiten.

Manchmal fanden die Steinleger im Winter Arbeit als Steinklopfer; in anderen Fällen aber wurden sie entlassen oder erhielten keinen Lohn. So wurde im Jahre 1368 am Schloss Rochester kein Steinleger für mehr als 180 Arbeitstage bezahlt, während man den grösseren Teil der Maurer für 252 Arbeitstage entlohnte. Der Unterschied von 72 Tagen entsprach annähernd drei Monaten; während dieser Zeit wurde also vermutlich nicht gebaut.

Am Schloss Kirby Muxloe begannen die Steinleger oder Grobmaurer die Arbeit am Anfang Mai und hörten Ende Oktober auf. Bei der Brücke von Dunkeld rechnete im Jahre 1510 das Maurerjahr etwa zu zweiundzwanzig Wochen Vollbeschäftigung.

 

Ungenügender Lohn für die Erhaltung der Familie

 

Wenn man den Tageslohn zu 4 d. oder 6 d. in den Jahresverdienst umrechnen will, muss man nicht nur den niedrigeren Wintertarif sowie die zahlreichen unbezahlten Feiertage und die Arbeitsruhe im Winter berücksichtigen, sondern sehr wahrscheinlich auch die Schlechtwettertage während der wirklichen Bausaison, die für die Arbeit verloren gingen. Es ist sehr wohl möglich, dass der Verlust den Arbeitnehmer dann traf, wenn er Taglohn und nicht Wochenlohn erhielt, aber die vorhandenen Beweismittel gewähren kein klares Bild.

Ohne aber auf Einzelheiten einzugehen, hegen wir doch einigen Zweifel, ob der Verdienst der Maurer sogar im 15. Jahrhundert für den Unterhalt ihrer Frauen und Familien ausreichte. Ganz sicher sind wir, dass er im 16. und 17. Jahrhundert ganz unzureichend war. Denn seitdem man aus der neuen Welt Silber einführte, waren die Preise stark gestiegen.

 

Landwirtschaft oder Nebenerwerb

 

Die Schwierigkeiten scheinen dadurch behoben worden zu sein, dass viele Maurer landwirtschaftlichen Besitz hatten oder sonst Nebenbeschäftigungen ausübten. Dort arbeiteten sie selbst mit, wenn im Baugewerbe Flaute war; ihre weiblichen Familienmitglieder und jüngeren Kinder, vielleicht auch ihre Knechte und Gehilfen, arbeiteten dort aber die ganze Zeit hindurch.

 

Im 12. Jahrhundert bekamen Maurer, Schmiede und Zimmerer auf dem Grundbesitz des Bischofs von Durham auf Grund ihrer Anstellung etwas Land; anderswo war das im allgemeinen auch so. Weiter sind Belege vorhanden, die annehmen lassen, dass die bäuerliche Arbeit die gebräuchlichste Nebenbeschäftigung war.

Als weitere haben wir festgestellt: das Vermieten von Pferden und Karren, den Besitz von Schiffen, den Betrieb von Wirtshäusern, den Verkauf selbstgebrauten Bieres und den Handel mit Steinen.

Solche Nebenerwerbe, gleich welcher Art, sollten nicht nur den Maurerlohn ergänzen, sondern vermutlich den Unterhalt für die Frauen und Familien aufbringen, wenn die Väter auswärts arbeiteten" [108].

 

Während der typische Handwerker im Mittelalter ein "kleiner Meister" war, dem das Material gehörte, der es mit Hilfe eines Gesellen oder Lehrlings verarbeitete und über den fertigen Gegenstand verfügte, war der typische Steinmetz oder Maurer im Mittelalter also ein Lohnempfänger wie der moderne Arbeiter.

 

 

Das Steinhandwerk im späten Mittelalter

 

Eine der trefflichsten Schilderungen über die Steinhandwerker der zweiten Hälfte des Mittelalters stammt ebenfalls von Knoop und Jones und betrifft die Verhältnisse auf den britischen Inseln:

 

Steinmetzen und Grobmaurer

 

"Verhältnismässig wenige Maurer konnten hoffen, als Maurermeister eine hohe Stellung zu gewinnen oder es als Baustoffhändler oder Bauunternehmer zu etwas zu bringen. Die grosse Mehrheit konnte wenig oder nichts über den täglichen Lohn hinaus erwarten.

 

Obgleich Steinhandwerkergesellen in mittelalterlichen Bauurkunden mit einer Menge verschiedener Namen bezeichnet werden, so wurden doch die von den Steinbrechern, Bauhilfsarbeitern und Hartsteinhauern unterschiedenen Maurer anscheinend in zwei Klassen eingeteilt:

a) Steinhauer oder Freimaurer (engl. hewers oder freemasons). Sie richteten den Stein her mit Klöpfel und Meissel oder gröber mit einer Steinhaueraxt. Die Handwerker höherer Stufe dieser Gattung hiessen manchmal Bildhauer.

Hauer oder Freimaurer richteten den Stein für eine Fensterrose oder anderes feines Masswerk her, oder stellten die Bogensteine für ein Gewölbe her. Häufig setzten sie diese Steine dann anscheinend auch selbst. Wenn sie als Steinsetzer (positores) angestellt waren, erhielten sie manchmal höhere Löhne als für die Arbeit des blossen Behauens der Steine;

b) Steinleger (lat. cubatores, engl. layers) oder Grobmaurer (engl. roughmasons) legten Hausteine, Quader und Felsstücke, die mit einem Brechhammer grob behauen waren, wobei sie selbst häufig für die Zurichtung verantwortlich waren. Manchmal behauten sie den Stein grob mit einer Steinhaueraxt."

 

Der "freemason" führt feine Arbeiten an Sand- oder Kalkstein aus

 

Gar so streng war aber die Arbeitsteilung nicht, und auch die Abgrenzung nach unten, etwa zu den Steinbrechern.

Auch die Bezeichnung Free-mason scheint nichts mit einer "Freiheit" zu tun zu haben, sondern mit dem Material, das bearbeitet wurde, nämlich der feinkörnige Sand- oder Kalkstein. Dieser lässt sich nach jeder Richtung ohne Schwierigkeiten bearbeiten und mit einer gezahnten Säge zerteilen, gut meisseln und aushöhlen.

 

"Free-mason" war daher einer, der die feinere Arbeit ausführte, wie sie nur am "freestone" möglich war.

Dementsprechend hiess der Bearbeiter des harten und spröden Steins (der aus Kent kam) "hardhewer", Hartsteinhauer. Manchmal setzten sie die Steine auch, dann wurden sie Hartsteinleger genannt.

Ziegelmaurer (bricklayers) wurden schliesslich oft auch als Grobmaurer bezeichnet.

 

Geschickte Steinbrecher als Grobmaurer, Maurer auch in Steinbrüchen tätig

 

"Nach Art der benutzten Werkzeuge scheint die Arbeit der Steinbrecher dreifach gewesen zu sein:

(1) den Stein blosszulegen, wofür Schaufeln, Spaten, Hacken und Kellen gebraucht wurden;

(2) Brechen und Spalten mit Hilfe von Spitzhacken, Keilen, Brechstangen und verschiedenen Hammersorten;

(3) das rohe Behauen oder Herrichten des Steins mit Brechhämmern und Steinäxten.

 

Diejenigen Steinbrecher, die diese dritte Funktion ausüben konnten, waren offenbar imstande, eine Arbeit zu leisten, die derjenigen der Grobmaurer sehr nahe kam oder vielleicht sogar dieselbe war. Und so muss die Trennungslinie zwischen dem Steinbrecher höheren Ranges und dem Maurer niederen Ranges oft sehr unbestimmt gewesen sein.

Wenn wir in derselben Bauabrechnung des Schlosses Caernarvon vom Jahre 1316-17 finden, dass Hauer (cementarii) im Steinbruch als 'taylatores' arbeiteten und Ecksteine und Wandquader herstellten; dass Steinleger (cubatores) im Steinbruch als Zuhauer (batrarii) tätig waren und ein Steinbrecher 'Steine ausgrub und zerteilte, jeden zwei Fuss lang, einen Fuss hoch und anderthalb Fuss breit', dann merken wir, dass die Grenzen zwischen dem einen Steinwerkerberuf und dem anderen durchaus nicht starr waren und dass die Verwandlung eines geschickten Steinbrechers, der mit Beil und Hammer arbeitete, in einen Grobmaurer, der auch mit Beil und Hammer arbeitete, in der Zeit vor den Gilden (falls solche je in Landbezirken bestanden haben) mit ihren strengeren Auffassungen über die Abgrenzung der Handwerksberufe untereinander nicht so ungewöhnlich gewesen sein kann.

 

Wir könnten viele Beispiele aus England und Schottland nennen, wo Maurer in Steinbrüchen gearbeitet haben. Bisweilen stellte man, wenn man nach der Existenz von Bauhütten in Steinbrüchen urteilen darf, dort Maurer einzig und allein zur Steinbearbeitung an; sonst, besonders in Schottland, wurden Maurer in Steinbrüchen sowohl für die Förderung als auch für die Zurichtung von Steinen bezahlt" [109].

 

Mancher Steinmetz fing im Steinbruch an

 

Steinbrüche waren wichtige Übungsstätten für Maurer. Mancher erhielt sogar seinen Namen vom Ort, an dem Steine gebrochen wurden; und oft fing man als Steinbrecher an, ehe man Steinleger wurde.

Häufig wurden die Steine bereits in den Brüchen behauen. Sie waren dann leichter zu transportieren; und verdorbene Stücke mussten erst gar nicht befördert werden.

 

Eine echte Lehrlingsausbildung lässt sich erst im 14. und 15. Jh. nachweisen. Es handelt sich aber um sehr wenige Fälle. Ohne besonderen Vertrag konnte ein Vater seinen Sohn, ein älterer Bruder seinen jüngeren oder ein Onkel seinen Neffen unterweisen. Im allgemeinen galt es einfach, Erfahrungen zu sammeln und die Qualität der Arbeit ständig zu verbessern.

 

 

Überregionale Organisationen

 

In England wie in Deutschland unterstanden die Bauhütten entweder der Geistlichkeit oder der Stadt [110].

Nun waren einerseits die grossen Baumeister oft an verschiedenen Orten tätig [111], anderseits die Steinmetzen nur eine bestimmte Zeit beschäftigt, etwa bis ein Bauteil fertig war. Sie waren somit zur Wanderschaft gezwungen, und zwar wie die anderen Handwerksgesellen nach der Lehrzeit [112], aber auch später, während ihrer ganzen Tätigkeit.

Mehr noch als bei den anderen Gewerben waren die Gesellen daher an einer allgemeinen Anerkennung ihrer Ausbildung interessiert, und umgekehrt waren die Meister auf gut ausgebildete Steinmetzen angewiesen.

 

Zur Sicherung einer einheitlichen Ausbildung und eines gemeinsamen Berufsverständnisses brauchte es interregionale Organisationen [113].

 

Überörtliche oder überregionale Verbindungen von Handwerkern sind in Deutschland seit 1300 bekannt.

Die Bauleute zogen erst später nach: In England fanden seit etwa 1360 regelmässige Versammlungen (assemblies; congregations) statt, im deutschsprachigen Raum wurde 100 Jahre später eine überregionale Steinmetzbruderschaft gebildet.

 

Den ersten Hinweis auf überregionale Versammlungen geben die beiden um 1400 verfassten Regius- und Cooke-Manuskripte. Das Cooke-Manuskript (1410) erwähnt Provinzial- oder Grafschaftsversammlungen der Meister und Genossen, die in Abständen von einem oder drei Jahren stattfanden. Nach dem Regius-Manuskript (1390) nahmen zusätzlich Ritter und Landedelleute als Vertreter der Behörden daran teil. Der Bürgermeister der Stadt, in der die Versammlung stattfand, unterstützte den vorsitzenden Meister oder nahm selber daran teil.

 

Die "alten Übungen und Gewohnheiten" werden festgelegt

 

Wozu dienten diese Versammlungen? In ihnen wurden die alten Übungen und Gewohnheiten erläutert und neu festgelegt und dafür gesorgt, dass sie im ganzen Land Geltung behielten.

 

Diese alten Gewohnheiten (consuetudines, customs) haben gewiss eine lange Entwicklung durchgemacht. Die ersten Belege dafür stammen von 850 und dann gehäuft seit 1170 [114].

Doch offenbar wurden sie - zumindest für die Bauleute - erst nach 1350 als Buch der Pflichten (book of charges) aufgezeichnet. Darauf nimmt das Cooke-Manuskript Bezug; das Regius-Poem erweitert sie bereits [115].

Bedeutsam ist, dass beide Manuskripte schon Bestimmungen über die Verschwiegenheit enthalten [116]. Sonst aber gehen die Pflichten nicht über die Verordnungen und Anordnungen städtischer Handwerksgilden hinaus.

Besondere Zeremonien sind erst im 17. Jahrhundert festzustellen.

 

Seit 1459 eine Steinmetzbruderschaft im deutschsprachigen Bereich

 

Erstaunlich ist, dass sich auf dem Kontinent erst lange Zeit nach dem Aufblühen der Renaissance in Italien, nämlich um 1450, überregionale Bestrebungen zeigen: 1454 fand in Zürich ein Bundestag der Zimmerleute statt, auf dem Handwerkssatzungen für die ganze deutschsprachige Schweiz vereinbart wurden [117].

Fünf Jahre später kamen die Steinmetzen in Regensburg, Speyer und Strassburg zusammen und besiegelten erstmals eine gemeinsame Ordnung.

Wie in England stellt diese eine Erneuerung und Festlegung von "gutte Gewohnheit und alt herkommen" dar, von dem aber nichts erhalten ist. Es wird zwar stets auf ein Buch der Ordnunge Bezug genommen, aber ein solches wurde nie aufgefunden.

Besondere Zeremonien werden, wie in England, nicht erwähnt.

Es geht auch hier um handwerkliches Brauchtum, praktische Vorschriften und allgemein religiöse und moralische Fragen, nicht aber um geistige Grundsätze oder philosophische Lehrmeinungen.

 

Die Strassburger Ordnung von 1459 hatte für die vier Haupthütten Strassburg, Wien, Bern (1548 durch Zürich ersetzt) und Köln Geltung.

Für den sächsischen Bereich wurde drei Jahre später in Torgau eine eigene Ordnung aufgestellt (sie wurde nach einer Abschrift aus dem Jahre 1486 als Rochlitzer Ordnung bekannt).

Die Steinmetzen der Regensburger Bauhütte konnten sich daran nicht beteiligen, da sie bereits der städtischen Zunft angehörten. Sie hatten seit 1440 eine eigene Ordnung, die 1514 erneuert wurde.

Wiederum ein halbes Jahrhundert später (1563) wurde die Strassburger Ordnung revidiert. Weil in der Einleitung von der gemeinen Gesellschaft und Bruderschaft aller Steinmetzen in deutschen Landen die Rede ist, wird diese Ordnung auch Bruderbuch genannt [118].

 

Im 16. und 17. Jahrhundert

 

Eine ähnliche überregionale Zusammenarbeit gab es im 16. und 17. Jahrhundert auch in Schottland, aber nicht in England [119].

Die deutschen Bauhütten und Bruderschaften verloren sich damals bereits in den Zünften. Daher ist eine Verbindung zu den 1730-1750 in Deutschland gegründeten Freimaurerlogen nicht nachzuweisen.

 

Auf den britischen Inseln aber hat sich die Werkmaurerei in mehreren Stufen zur Freimaurerei entwickelt. Allerdings blieb dabei nur der äussere Rahmen der Organisation der Bauleute und ihres Handwerks erhalten. In diesen hinein wurden die Ideen der Aufklärung gestellt.

 

 

Die drei Geheimnisse

 

Das 1. Geheimnis: technische Praxis

 

Die Berufung auf altes Herkommen und alte Gewohnheiten war im ganzen Mittelalter üblich. Was das inhaltlich bedeutete, wissen wir aber meistens nicht. Das gleiche gilt für die Verschwiegenheitspflicht respektive das "Geheimnis". Man nimmt heute an, dass die Geheimnisse rein technischer Art waren.

Im 48. Kapitel des Pariser "Livre des Métiers" von 1268, das die Statuten der Bauleute enthält, wird den Meisten erlaubt, beliebig viele Lehrlinge und Hilfskräfte zu beschäftigen, "pour tant que il ne monstrent a nul de eus nul point de leur mestier".

 

Nach Punkt drei des Regius-Poems (1390) soll der Lehrling schwören, geheimzuhalten, was ihn sein Meister lehrt und was er in der Loge sieht und hört. Auch nach Punkt drei des Cooke-Manuskripts (1410) soll der künftige Maurer den Ratschluss seiner Genossen in Loge und Kammer verhehlen ("he can hele the councell of his fellow in logge and in chambre and in every place ther as masons beth").

 

Und Artikel 13 der Strassburger Ordnung von 1459 bestimmt: "Es sol auch kein Werkmann noch Meister noch - Parlierer noch Geselle, niemans, wie der genennd sige, der nit unsres Hantwerks ist, us keinem uszuge unterwisen, us dem Grunde zu nemen: der sich Steywerks sin tage nit gebrucht hett."

Fast derselbe Wortlaut findet sich noch 100 Jahre später in der Ordnung von 1563.

 

Worin könnten diese Handwerks-Kenntnisse bestanden haben? (Anhang 7)

 

Hinweise auf den Inhalt der Kenntnisse lassen sich dem Bauhüttenbuch von Villard de Honnecourt aus dem Jahre 1235 sowie den Steinmetzbüchern von Matthäus Roriczer und Hans Schmuttermayer (beide um 1486) sowie Lorzenz Lacher (1516) entnehmen.

Ausserhalb dieser Tradition, dafür mit Bezug auf den Römer Vitruv (23 v. Chr.), verfasste um 1450-60 der Architekt Leon Battista Alberti seine "zehn Bücher über Architektur"; sie erschienen nach seinem Tod 1487 in Florenz gedruckt.

 

Wie Paul Booz in seiner Dissertation "Der Baumeister der Gotik" (1956) nachwies, haben die damaligen Bauleute keine rechnerische Statik im heutigen Sinne gekannt. Man musste auf schmerzhaften Erfahrungen der Praxis schrittweise aufbauen. Von Misserfolgen zeugen die vielen Einstürze der Bauwerke.

Anderseits verfocht mancher Architekt seine eigenen Lehren, was sich besonders beim grossen Streit um die Errichtung des Mailänder Doms von 1391-1400 zeigte. Aus dieser Zeit stammt der berühmte Spruch von Jean Mignot: "Ars sine scientia nihil est" (Kunst ohne Wissenschaft ist nichts).

Eugen Weiss schrieb 1927 in seinem Buch "Steinmetzart und Steinmetzgeist": "Aus den uralt heiligen Zahlen 3, 5, 7 und 9 bauten sich die Verhältnisse der werdenden gotischen Gottesburgen mit allen ihren einzelnen Teilen auf, und gaben ihnen den unzerstörbaren Einklang, den wir in heiligen Schauern fühlen."

 

Nur Geometrie, keine Proportionenlehre

 

Albrecht Rottmann (1971/81) hat gerade dies bestritten. Er weist nach, dass das Proportionen- und Zahlendenken der Antike vorbehalten blieb und erst in der Renaissance - vor allem durch die Wiederentdeckung des massgeblichen Handbuchs von Vitruvius 1414 in St. Gallen - wieder Einzug hielt.

Während den 1000 Jahren dazwischen diente allein die Geometrie als Grundlage des Bauens.

Und gerade die Zahlen 5 und 7 waren verpönt.

 

Im frühen Mittelalter war das gleichseitige Dreieck die fast ausschliesslich gebrauchte Bemessungshilfe. Das Quadrat gewinnt erst in der Gotik grössere Bedeutung. Drei- und Vierecke überschneiden sich nur selten; sie wurden aneinandergereiht. Abgesteckt wurden bei rechteckigen Bauwerken stets die äusseren Mauerfluchten des aufgehenden Mauerwerks.

Im Grundriss bedeutende geometrische Orte waren auch für die Aufrissgestaltung wichtig, welche ebenfalls die äusseren Mauerfluchten betraf. Einzig bei Zentralbauten wurde manchmal der Innenraum abgesteckt, weil in solchen Fällen ohnehin nicht nach der Schnur gemauert werden konnte und sich Kreise vom Mittelpunkt aus am einfachsten abstecken lassen.

 

Als Längenmass diente der Fuss (pes; je nachdem 28,5 bis 34 cm) oder das anderthalbfache davon, die Elle (cubitus; ca. 43-46 cm). Konstruiert wurde mit Zirkel und Richtscheit.

Viel Geheimnisvolles kann dahinter nicht gesteckt haben. Der göttliche Auftrag zum Bau und "Gottes Eingebung" (Abt Suger 1145) umfasst eine ganz andere Dimension. Doch es gilt der alte Ausspruch: "Des Zirkels Kunst und Gerechtigkeit niemand ohne Gott recht sait."

Und wichtig war jedenfalls, wie Kottmann betont: "Dreieck und Quadrat können beim Entwurf und dessen Übertragung in die Natur lediglich Hilfsmittel des künstlerisch schaffenden Menschen sein. Sie sollten dem Baukünstler dienen, seine Arbeit vereinfachen, nicht behindern. Mehrere Beispiele zeigen, wie verschiedene Meister, trotz ähnlicher oder gleicher geometrischer Arbeitsweise, künstlerisch sehr verschiedene Leistungen hervorbrachten."

 

Auch Wolfgang Kelsch schreibt in seiner kleine quellenkundlichen Arbeit 1993 (8; vg. 5): "Die vielzitierten und oft phantastisch ausgeschmückten Bauhüttengeheimnisse waren reine Berufsgeheimnisse, die man bewahren wollte: Quadratur und Triangulatur für die Konstruktionszeichnungen der Baurisse oder die überkommenen Erfahrungen der Statik, die sich vor allem aus der technischen Perfektion der verfeinerten gotischen Baukunst ergaben."

 

Das 2. Geheimnis: das Buch

 

Das zweite Geheimnis bestand im "Buch". Es enthielt die jeweils gültigen Steinmetz-Ordnungen, dazu die Namen und Steinmetzzeichen der Mitglieder der Bauhütte. Die Ordnung musste einmal im Jahr verlesen werden; Abschriften durften höchstens von einzelnen Paragraphen gemacht werden.

 

3. Gruss und "Schenk": kein Geheimnis?

 

Was Gruss, Schenk und andre Erkennungszeichen betrifft, so hatten sie bis etwa 1550 gar nichts Geheimnisvolles an sich. Die komplizierten Formen und die Bekleidungsrituale stammen erst aus der Spätzeit der Zünfte.

Auch das geheimnisumwitterte "Maurerwort" wird von den wohl genauesten Erforschern der Frühzeit des englischen Bauwesens, Douglas Knoop und G. P. Jones, auf frühestens 1560 angesetzt.

 

Das Mittelalter hielt auf Einfachheit, und so lautete denn der Gruss, welcher der deutsche Geselle an eine neue Hütte richtete, schlicht:
"Gott grüsse euch,
Gott weise euch,
Gott lohne euch" (1462, Torgauer Ordnung, Art. 107).

 

Auch Wolfgang Kelsch (1993, 8-9) ist vorsichtig bezüglich der "geheimen Bauhüttensprache". "Wir wissen über diese Hüttensprache, die sich im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts entwickelte, sehr wenig. Sie hat sich in rituellen, formelhaften Redewendungen und den Abfrage-Katechismen englischer Bauhütten des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten."

Und: "Die Geheimzeichen waren gewerkschaftliche Schutzfunktionen einer hochqualifizierten Handwerkerelite gegen berufsfremde Eindringlinge. Die Geheimhaltung hatte eine rein berufsständisch motivierte Funktion und sollte 'Werkspionage' verhüten. Die Zeichen und Erkennungsworte waren aus dem gebräuchlichen Handwerkerritual entwickelt und keinesfalls eine 'Symbolsprache', die erst in der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde."

 

Eine Serie Photos von Konsolfiguren am Dachstuhl der Münchner Frauenkirche aus der Zeit von etwa 1480 ( vermutlich aus der Werkstätte des Meisters Erasmus Grasser) zeigt eine erstaunliche Fülle solcher Zeichen, welche als "geheime Hüttensprache" der Bauhandwerker gedeutet werden. Es sind "Mitteilungen des Erkennens, der Begrüssung, der Rangordnung und der Schweigepflicht":

  • beide Hände auf dem Rücke verschränkt (= leitende Bauhandwerker stehen in dem "Zeichen", das den Beginn der Arbeit ankündigt)
  • eine Hand fest auf den Oberschenken gepresst, während die andere das "Brustzeichen" ausführt
  • beide Hände auf die Schenkel gepresst, wobei der Daumen der rechten Hand abgespreizt ist (= Anordnungen erwartend oder empfangend)
  • Das Brustzeichen kann mit der linken oder rechten Hand ausgeführt werden
  • das Bauchzeichen
  • Beim Kopfzeichen wird die linke Hand auf den Hinterkopf gelegt, während die rechte Hand fest auf den Oberschenkel gepresst ist (oder auf die Brust)
  • zusammengelegte Handflächen mit abgespreizten Daumen
  • Beim Fingerzeichen fasst die eine Hand den Zeigefinger der anderen
  • Beim Finger-Brustzeichen wird eine leicht geöffnete Faust auf die Brust gelegt
  • Die Pflicht zur Verschwiegenheit wird durch Anlegen eines Fingers an den Mund betont oder, spasseshalber, durch Anlegen an oder unter der Nase
  • Nach den durchgeführten Erkennungszeichen wird der "Bauhüttenbruder" durch Umarmung aufgenommen.

 

Was ist "das geschenke": Griff oder Schmaus?

 

Bis heute viel zu rätseln gegeben hat "das geschenke". Eine genaue Betrachtung der Torgauer Ordnung von 1462 lässt vermuten, dass es sich um einen Umtrunk handelte, nicht um einen Handgriff.

Das ergibt sich auch aus dem Verb "verschenken". Ferdinand Janner (1876) schreibt, es bedeute "einen Trunk oder Schmaus geben". Allerdings übersetzt er "geschenke" in Art. 107 mit "das Geschenk".

 

Art. 59 lautet: Der Parlier dürfe nicht gestatten, "das man höher zere zu dem vesperbroth den umb einen pfenig; Es were den das man geschenke hätte, das ein wander geselle komen were, so hat der pallirer eine stunde macht freuehreen (feiern zu lassen)."

Die Erläuterung Janners von "geschenke" mit dem merkwürdigen Wort "Bestgaben" scheint nicht so recht zu passen. Otto Winkelmüller (1964, 20) befindet kurz und bündig, hier werde unter der „Schenk“ der Handgriff verstanden.

 

Jedenfalls ist hier von Geheimhaltung noch nicht die Rede. Sie wird erst in der Steinmetzordnung vom Jahre 1563 verlangt.

Hier heisst es in Art. 55, wenn ein Lehrling zum Gesellen befördert ("ledig gesagt") worden ist, müsse er "bey seinen trewen und ehren an eyds statt geloben, bey verlierung des Steinmetzen Handtwercks, das er den Steinmetzen gruss und auch die schenk niemands wölle öffnen oder sagen, dann den ers sagen soll, auch gar nichts darum auffschreiben".

Die vielfach angegebene Übersetzung mit "der" oder "die Handschenk", und die Behauptung, damit sei der Griff des Freimaurerlehrlings gemeint, überzeugt nicht - auch wenn sie noch 1991 Alfred Schottner (112, 113, 115) wiederholt. Etwas später beschreibt Schottner (123f) das "Geschenk" ausführlich als Imbiss.

 

 

Die Schutzheiligen: Quatuor Coronati und die beiden Johannes

siehe auch Kap. „Attribute der ‚Vier Gekrönten’ in:

Zur Herkunft der Rituale, Zeichen und Symbole der Freimaurer

 

Jedes Handwerk hatte seine Schutzheiligen, etwa die Schuhmacher Crispin und Crispinian, die Schiffleute St. Nikolaus, die Müller St. Katharina und St. Verena, an deren Tagen (25. November resp. 1. September) die Mühlen still stehen.

 

Altar und Bruderschaft der Vier Gekrönten in Bern

 

Die Vier Gekrönten (Quatuor Coronati) tauchen im Regius-Poem (1390), hernach in der Strassburger (1459) und Torgauer (1462) Ordnung auf.

Die Quatuor Coronati-Zunft in Antwerpen, welche Maurer, Steinhauer, Pflasterer und Dachdecker umfasste, wird schon 1423 in den städtischen Urkunden erwähnt.

 

Weniger bekannt ist, dass bereits 1347 die Berner Steinmetzen und Maurer in der Leutkirche St. Vinzenz, der Vorgängerin des Münsters, einen Altar der Vier Gekrönten besessen haben. Der aus Passau stammende zweite Berner Münsterbaumeister Stefan Hurder, der 1459 in Regensburg zum Vorsteher der Bauhütten in der Eidgenossenschaft ernannt worden war, berichtete in seinem Testament, dass "er und sin mitgesellen murer hantwerkes der geselschaft zem Affen ze Bern in der lütkilchen daselbs uf dem Altar der heiligen martrer, genant die vier krönten" eine Pfründe und Bruderschaft gestiftet hatten.

 

Dieser Altar wurde vermutlich nach 1453 am zweiten südlichen Pfeiler des Münster-Mittelschiffes errichtet. Am Sonntag vor oder nach dem 8. November wurden jeweils zehn Messen gelesen und Prozessionen über die Gräber der verstorbenen Zunftangehörigen durchgeführt.

Im Verlauf der Reformation wurde "der steinhauweren altar" zusammen mit 25 andern entfernt und das Vermögen der bislang organisatorisch selbständigen Bruderschaft der Gesellschaft übertragen.

 

Die Vier Gekrönten wurden überall verehrt

 

Als im Jahre 1593 der Zunftvorstand der Basler Bauleute die grosse Stube im Haus zu "Spinnwettern" renovieren liess, gehörte zu dem Schreinerwerk auch eine reiche Vertäferung. In die Füllungen waren Wappen und Bilder gemalt, unter andern auch Darstellungen der Vier Gekrönten.

Eine laut Paul Kölner "recht mässige Kopie" (90) der vier Bilder findet sich auf der 1592 datierten Handwerkslade der Basler Steinmetzen, dazu ein Wappen, auf dem sich vier Kronen befinden. Die zwei erhalten gebliebenen Originale befinden sich heute im Historischen Museum.

 

 Die englischen Maurer verehrten die Vier Gekrönten "nicht besonders" (Knoop/ Jones 1968, 72-74). Immerhin wurde der 8. November ab 1453 als Feiertag begangen. Und die Verordnung der Londoner Maurercompanie von 1481 bestimmte, dass die Zunfttracht jedes Jahr am Fest der Vier Gekrönten beim Besuch der Messe getragen werden solle.

 

Wie Aldo Crivelli berichtet, hatten auch die Tessiner Bauleute die Vier Gekrönten zu Patronen.

Dass sie auch in ganz Italien verehrt wurden, ist naheliegend. Im Jahre 1408 schuf der Florentiner Bildhauer Nanni d'Antonio di Banco vier Statuen für eine äussere Nische der "Chiesa di Or San Michele" in Florenz. In Palermo befand sich die Kapelle der Vier Gekrönten in der Kirche von S. Francesco.

 

Unter Verwendung älterer Quellen berichtet schliesslich Ferdinand Janner, dass Darstellungen der Vier Gekrönten auch auf Tafeln am Genossenschaftshause der Wiener Bau- und Steinmetzmeister und auf dem Grabstein eines Steyrer Baumeisters (1513) zu finden sind.

 

Quatuor Coronati: Die wichtigsten Dokumente und Kirchen

 

Über die Vier Gekrönten ist viel geschrieben worden. Mindestens 14 Namen werden genannt. Am besten ist es, sich an das von Ferdinand Janner (1876) zitierte Römische Brevier zu halten. Er meint, es bestehe kein Zweifel, dass nicht die erste Gruppe (Severus, Severianus, Carpophorus und Victorinus), sondern stets die zweite Gruppe unter der Bezeichnung der "Vier Gekrönten" als Schutzpatrone der Steinmetzen oder ihrer Hütten gegolten hätten, also:

  • Claudius
  • Nikostratus (auch Costianus)
  • Symphorianus (auch Simpronianus, Symphroni[an]us, Singnificamus, Sindhorianus) Castorius (auch Christorius)
  • Simplicius.

 

Die Geschichte des Martyriums datiert auf die Regierungszeit Diokletians, also etwa 300 n. Chr. Erste schriftliche Erwähnungen stammen aus der Zeit um 500, in den Sammlungen römischer Liturgien (Sacramentarium Leonianum und Gelasianum).

 

Eine Stadtbeschreibung Roms aus dem 7. Jh. kennt bereits die in den Katakomben bei der Helenakirche an der Via Labicana ruhenden fünf "quatuor coronati". Ihre Gebeine sollen von Leo IV. (um 850) in die bereits um 600 auf dem Hügel Cölius errichtete Kirche "Quatuor Coronati" überführt worden sein.

Auch im fernen Canterbury wurden ihnen schon im 7. Jh. eine Kirche geweiht.

Weitere schriftliche Erwähnungen finden sich bei Beda Venerabilis (gest. 735) und in der "Legenda aurea" des 13. Jahrhunderts, aus welcher das Regius-Poem geschöpft haben könnte.

 

Weitere Schutzpatrone der Steinmetzen

 

Gemäss dem "Lexikon der Namen und Heiligen" (von Ottto Wimmer und Hartmann Melzer) waren noch folgende Patrone resp. Heilige für die Steinhauer zuständig:

Barbara, Blasius, Papst Clemens I., Ludwig IX. von Frankreich, Nikolaus von Myra, Apostel Petrus, Reinhold von Köln, Stephanus und Apostel Thomas.

 

 

"bis auff Sanct Johannistag"

 

Von Johannes dem Täufer ist in der Torgauer Ordnung von 1462 die Rede. Ein Geselle, der den Winter über bei einem Meister arbeitet, soll bleiben "bis auff Sanct Johannistag, wenn man die kron hanget".

Ferdinand Janner deutet dies dahin, dass am 24. Juni ein Hüttenfest gefeiert wurde, als Mitte-Zeit der Sommerarbeitszeit, und dass deshalb die Hütte mit Gras und Laub geschmückt und mit Kränzen (Kronen) geziert wurde.

Auch unter den vielen Feiertagen am Bau der Kirche des hl. Victors in Xanten ist ab 1356 "Johannes' Enthauptung" zu finden. In den "London Masons's Ordinances" von 1481 wird "the Day of the Oeptas of the Nativite of seint John Baptist" erwähnt. 1599 ist in den Protokollen der Edinburgher Loge vom Johannisfest die Rede.

Charles von Bokor (1982, 61) meint gemäss seiner These von der Herkunft der Freimaurerei aus dem Untergang des Templerordens in den Jahren 1312/14: „Mit einem Schlag war der einzige Schutzpatron der Steinmetzenvereinigung Johannes der Täufer, der schon immer Schutzpatron der Templer war.“

 

Aber auch Johannes der Evangelist, der Lieblingsjünger von Jesus und auch Verfasser der Apokalypse, war Schutzpatron. In Italien spricht man von "S. Giovanni d'Inverno". Auch die Endinburgher Maurer verehrten den Hl. Johannes (Knoop/ Jones, 1968, 74).

Ohne nähere Angaben erwähnt Allen Oslo (2002, 272), Johannes der Evangelist sei der Schutzpatron der “Klosterbauhütten” gewesen.

 

Seit 1336 hatten in Zürich alle Zünfte jedes Jahr zwei Zunftmeister zu wählen, die je ein halbes Jahr ihr Amt versahen und zwar vom 24. Juni bis 24. Dezember und von da an wieder bis zum 24. Juni. Ihre Wahl war "vor sant Johans tult (tag) ze sungichten und vor sant Johans tult ze den wiennachten".

Diese Wahltage wurden auch "Meistertage" genannt, im Juni "Baptistal", im Dezember "Natal".

 

Das Rechnungsjahr der Basler "Spinnwettern" begann und endete ebenfalls mit dem Johannistag (24. Juni). Auch hier fand am Sonntag vor Johannis Baptiste die Wahl und Einführung des Rates und seiner Häupter statt und wurden die neuen Zunftmeister gewählt. Es war die feierlichste und glänzendste Zeremonie im öffentlichen Leben der Stadt und wurde mit Banketten und Umzügen gefeiert.

 



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