Home Gerhard Ringshausen zu den "Bauhütten" (1973)

 

 

Aus Gerhard Ringshausen: Die spätgotische Architektur in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu Burgund im Anfang des 15. Jahrhunderts. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 27, 1973, 63ff, Zitat 65-67.

 

Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit einer Arbeit von

F. W. Fischer: Unser Bild der deutschen spätgotischen Architektur des XV. Jahrhunderts (mit Ausnahme der nord- und ostdeutschen Bachsteingotik), 1964

 

 

… Seinem Überblick über die Bautätigkeit des 15. Jahrhunderts schickte F. W. Fischer zwei Vorbemerkungen voraus, die seine Gliederung des Materials begründen. Zunächst setzte er sich mit den von K. Gerstenberg und W. Pinder vorgetragenen Versuchen auseinander, bestimmte Stil-Prinzipien der spätgotischen Architektur zu erkennen. Zwar haben die Begriffe »Sondergotik« (Gerstenberg) und »Bürgerzeit« (Pinder) wichtige Gesichtspunkte hervorgehoben, aber sie erscheinen F. W. Fischer doch als zu eng, um das Ganze der spätgotischen Architektur zu deuten. Deshalb habe es »vorerst wenig Sinn, ein so heterogenes Material, wie es der Forschung in der Architektur deutscher Spätgotik heute vorliegt, von zentralen Komponenten oder Ideen her erklären und darstellen zu wollen.«

Lehnte er somit eine Darstellung ab, die sich an übergeordneten, mehr soziologischen oder mehr nationalen Größen ausrichtet, meinte er doch, »einige Orientierungspunkte« angeben und »einige wichtige Verbindungslinien« ziehen zu können. Deshalb beschränkte er sich nicht auf eine Aufzählung des Materials, sondern versuchte, eine Entwicklungsgeschichte aufzuzeigen, die seine Darstellung gliedert.

 

Als Träger der Entwicklung während der Spätgotik nahm F. W. Fischer ein Kulturgefälle von West nach Ost an: »Die traditionelle West-Ost-Strömung blieb während der gesamten spätgotischen Epoche bestehen. Sie kam aus Frankreich und den Niederlanden.« Diese grundlegende These Fischers wird in der zweiten Vorbemerkung formuliert und durchzieht den ganzen Hauptteil der Arbeit. Deshalb ist in der »Übersicht« das Material nach den durch hervorragende Bauhütten geprägten Kunstlandschaften von Westen nach Osten vorschreitend behandelt.

 

Drei Einwände gegen diese Ansicht liegen auf der Hand, worauf F. W. Fischer selbst aufmerksam macht.

Erstens war die Bautätigkeit während des 15. Jahrhunderts in Mittel- und Ostdeutschland wesentlich stärker als im Westen des Reiches.

Zweitens traten die neuartigen Stilphänomene im Osten viel klarer und häufiger auf als im Westen.

Drittens läßt sich im 15. Jahrhundert mehrfach eine Ausstrahlung einzelner Kunstzentren nach Westen nachweisen; am bekanntesten ist im Ausgang des 14. Jahrhunderts Peter Parlers Einfluß, der als Ost-West-Strömung von Prag aus auch urkundlich belegt ist.

 

Diese Argumente suchte F. W. Fischer zu entkräften, indem er die genannten Erscheinungen anders deutete und sie dadurch sogar als Stützen seiner Theorie wertete.

 

Zum ersten Einwand meinte er, daß nicht das konkrete Bauvolumen entscheide. Das mag zwar grundsätzlich richtig sein, dürfte aber im Mittelalter schwerlich sachgemäß sein. Die werdenden Meister wurden doch nicht auf zweckfreien Studienreisen mit den neuen Ideen bekannt, sondern indem sie auf ihren Wanderungen bei verschiedenen Bauunternehmen arbeiteten. Das konnten sie jedoch nur, wenn ein entsprechend großes Werk im Entstehen war, so daß sie dort eine Anstellung und Entlohnung fanden. So müßte erst noch genau nachgewiesen werden, daß »eine kleine Kapelle in Straßburg oder ein Sakramentshaus in Köln ... mehr Anregungen vermittelt haben (kann) als ein entlegener Monumentalbau«.

Entsprechend müßte noch geklärt werden, ob »für die Zeitgenossen selbst die westlichen Kunstzentren das größere Ansehen genossen. (21)« Ohne stichhaltige Belege bleiben diese Sätze Vermutungen, die nicht zur Begründung herangezogen werden können.

 

 

Anmerkung 21

 

F. W. Fischer, Bild, 16 f. Als Begründung nannte er die »Organisation des Hüttenwesens«. »Straßburg und Köln waren die alten Haupthütten für Süd- und Norddeutschland; zu ihnen trat erst im Laufe des 15. Jahrhunderts Wien als Haupthütte für den Osten.« (ibid., Anm. 16)

 

Obwohl Fischer selbst darauf aufmerksam machte, daß bei den »alten Hüttenzentren. .. noch fast alles im Dunkeln« liege (17), setzte er voraus, daß die Regensburger Ordnung von 1459 auf alter Tradition beruht. Angesichts der sozialen Umschichtungen im 15. Jahrhundert erscheint diese in der Forschung immer wieder aufgegriffene Annahme als überprüfungsbedürftig.

 

Für Frankreich und England hat die entsprechenden Theorien J. Gimbel, La liberté du travail et l'organisation des professions du bâtiment à l'époque des grandes constructions gotiques. In: Rev. d'histoire économique et sociale 34. 1959, 303 ff., mit negativem Ergebnis untersucht.

 

Ähnlich scheinen die Verhältnisse in Deutschland zu liegen. Schon der Ausdruck »Hütte« dürfte eher einer romantischen Projektion als den historisch nachweisbaren Tatsachen entsprechen; vgl. G. Ringshausen, a. a. O. (Anm. 1 [= maschinenschriftliche Dissertation von 1968]), 74 ff.

Eine Trennung zwischen zünftigen oder in einer Bruderschaft organisierten Steinmetzen und den Angestellten einer Kirchenfabrik läßt sich häufig nicht nachweisen (vgl. ibid., 16 ff. mit Anm. 16; R. Perger, a. a. O. (Anm. 15 [= Baumeister des Wiener Stephansdomens im Spätmittelalter. In: Wiener J.b f. Kunstwiss. 23. 1970]), 71 f.); wo es zu einer derartigen Trennung kam, spielten handfeste Interessen eine entscheidende Rolle, wie z. B. in Speyer der Vergleich zwischen Klerus und Bürgerschaft von 1420 (F. Mone, Über die Domfabrik in Speier. In: Anz. f. Kde. d. teutschen Vorzeit 5. 1836, 101) und in Straßburg die Vorgänge 1402 (vgl. A. Woltmann, Spruchbrief des Rathes zu Straßburg in Sachen der Bauhütte des Münsters und des Handwerkes der Maurer. In: Rep. f. Kunstwiss. 1. 1875, 77 ff.) deutlich belegen.

 

Rückt damit das Steinmetzhandwerk in den Zusammenhang des Zunftrechtes, sind wohl die Vereinigungsversuche der Steinmetzen nicht unabhängig von den zahlreich nachweisbaren Zunftzusammenschlüssen benachbarter Städte zu beurteilen. So ging dem Regensburger »Hüttenverband« wahrscheinlich eine Einigung der oberrheinischen »Hütten« voran, der sich schon bald in den fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts Köln und Wien als weitere »Haupthütten« mit ihrem Einflußbereich anschlossen. Damit war die Voraussetzung für die Beschlüsse auf dem »Regensburger Hüttentag« 1459 gegeben.

Da man nun das ganze deutsche Sprachgebiet durch eine gemeinsame Ordnung vereinigen wollte, trat als Vertreterin der deutschen Schweiz Bern als vierte »Haupthütte« hinzu (vgl. R. Wissell, Die älteste Ordnung des großen Hüttenbundes der Steinmetzen von 1459. In: Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins 94 = N. F. 55. 1942, 51 ff., bes. 80 ff., 93). Es ergibt sich also das Bild eines sich immer weiter ausbreitenden Zunftverbandes.

Ausgangspunkt war Straßburg, wobei der dortige Meister Dotzinger (ab 1452) wohl die treibende Kraft war.

 

Daß sich zunächst die oberdeutschen »Hütten« einigten, erklärt sich wohl aus der dortigen wirtschaftlichen Situation; die Bevölkerungsdichte und das bürgerliche Stadtwesen drängten dort anscheinend stärker auf eine Verbindung der einzelnen Steinmetzverbände.

 

Da dieser Zusammenschluß der Eingrenzung möglicher Konkurrenzen diente, wie sich den erhaltenen Ordnungen unschwer entnehmen läßt, ist die schon häufig beobachtete Tatsache, daß namhafte Meister (z. B. Konrad Roritzer) bei den »Hüttentagen« fehlten und Nikolaus Eseler d. Ä. in Regensburg heftig angegriffen wurde, leicht verständlich; sollten doch gerade derartige »Großunternehmen« entmachtet werden.

 

Ohne Begründung urteilte F. W. Fischer, Bild, 15: »Man traf sich in Köln und Straßburg, nicht aber in Landshut oder Meißen.« Die größte Zusammenkunft im Zusammenhang mit der Ordnung von 1459 fand aber in Regensburg statt, weitere Treffen in Speyer und Straßburg.

 

Diese Hinweise können nur eine dringende Forschungsaufgabe andeuten, die »Entmythologisierung« der spätmittelalterlichen »Hütte«.

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch