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                    Teil 3: Werbelehre, Kreativität, Werbeforschung

 

Serie für die Werbe-Woche

10.6.1985 - 19.10.1987

 

Inhalt

 

XII. Wie soll gute Werbung sein?

Dazu Abb. XII.1: Rudolf Seyffert: Allgemeine Werbelehre, 1929

Abb. XII.2: Lutz von Rosenstiel, Guntram Ewald: Marktpsychologie, 1979

Abb. XII.3: Hans Mayer et al.: Werbepsychologie, 1982

Abb. XII.4: Frühe Motivforschung und Werbepsychologie

Abb. XII.5: Zitate von Emile de Girardins (1845) und weiteren

 

XVIII. Werbung = gute Botschaft als Katalysator im Marketing-Mix

Abb. XVIII.1: Marketingziele und Werbeziele

Abb. XVIII.2: Peter F. Drucker: Unternehmensziele (1954)

Abb. XVIII.3: Bestimmungsfaktoren für Werbeziele

Abb. XVIII.4: Das handwerkliche Feld

Abb. XVIII.5: Stufen der Werbewirkung

 

XV. Die Quadratur des Werbe-Zirkels

Dazu Abb. XV.1: Kommunikations- und Markt-, Marketing- und Werbe-Partner

Abb. 0.1: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels

Abb. XV.2: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels: Dialektik

Abb. XV.3: Die quadrierte Quadratur

Abb. XV.4: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels: Absichten und Mittel

Abb. XV.5: Die grosse Quadratur im Überblick

Abb. XV.6: Die vier kleinen Quadraturen des Werbe-Zirkels

Abb. XV.7: Classification of Advertisement Illustrations

 

XVI. Die Ziele anderer als eigene Chancen

Dazu Abb. XVI.1: Matrix der Beteiligten

Abb. XVI.2: Ziel-Hierarchie gemäss St. Galler-Unternehmensmodell

Abb. XVI.3: Harmonisierung der Zielhierarchie

Literatur zu den "Zielen anderer"

 

XIV. Das Geheimnis der Kreativität

Dazu Abb. XIV.1: Die vier Bereiche der Kreativitätsforschung

Abb. XIV.2: Die vier Grundbedingungen der Kreativität

Abb. XIV.3: Morphologie der Verwunderung

Abb. XIV.4: Stephen Baker: Getting Se to Create

Abb. XIV.5: Kreativität

Abb. XIV.6: Innovation

Literatur zur Kreativität

 

XVII. Griechische Werbe-Morpho-Logie

Dazu Abb. XVII.1: Arbeitsstadien des antiken Redners

Abb. XVII.2: Kasten der Stereotypen (1533)

Abb. XVII.3: Platon: Die richtige Mischung der Elemente einer Rede zu einem organischen Ganzen

Abb. XVII.4: Platons Anweisung zur Werbe-Morpho-Logie (Phaidros)

Abb. XVII.5: Platon: Wer wird durch was überzeugt?

Literatur zur Sophistik und Rhetorik

 

XIII. Aktivieren - aber wie?

Dazu Abb. XIII.1: Gundolf Meyer-Hentschel: Aktivierungswirkung von Anzeigen, 1983

Abb. XIII.2: Werner Kroeber-Riel, Gundolf Meyer-Hentschel: Steuerung des Konsumentenverhaltens durch Anzeigen, 1982

Abb. XIII.3: Anzeige: Das Leben verläuft nun mal in Kurven.

Literatur zur Aktivierung

 

 

 

 

XII. Wie soll gute Werbung sein? (Abb. XII.1; XII.2; XII.3)

 

"Mit Eva fing die Werbung an". Das wissen sogar die Werber nach dem Erscheinen der gleichnamigen Chronik von Margret Brinkmann 1964. Die Formel enthält aber auch, wie Werbung sein muss.

 

Wahr, klar und eigenartig

 

"Die erste Bedingung für die Reklame, die auf die Dauer wirksam sein soll, ist die Wahrheit ... Des Weiteren muss die Reklame systematisch und zweckentsprechend betrieben werden. Eine einzige Anzeige dient meist zu nichts ... Um Erfolg zu erzielen, bedarf es entwederr eines grösseren Geldaufwandes oder einer besonderen Art und Weise der Reklame - packend, neu und originell!"

 

Wie soll man inserieren?

"Das erste Gebot ist: Man soll klar und deutlich sagen, was der Zeitungsleser erfahren soll. Eine Anzeige soll kein Rätsel sein. Anzeigen ... sollen so beschaffen sein, dass sie beim ersten Blick auffallen und sofort erkennbar sind. W. Tetzlaff sagt: '... Man muss nur eigenartig sein, muss nur in irgend einer Weise in der Annonce von dem in einer Zeitung bisher Üblichen abweichen. Das ist das Geheimnis. Vor allem muss man sich die Zeitung genau ansehen, in welcher man inserieren will'."

 

Diese Ratschläge stammen aus dem 19. Jahrhundert. Der Redaktor Tony Kellen verbreitete sie 1898 in seinem "Lehrbuch der kaufmännischen Propaganda".

 

Klar, einfach, konstant

 

Was verlangte Dr. Rudolf Farner 1983 von der Werbung?

 

Prägnanz: "Ein Minimum an Reizen ... vermitteln ein Maximum an Information"

• "zielgerichtet, klar und einfach, aber auch konstant"

• "objektiv über die Charakteristiken der Dienstleistungen oder des Produktes informieren"

• "auf einfachste Weise erinnerungswürdig unsere Botschaft zu vermitteln"

• "in einer einfachen Sprache ... glaubwürdig zu vermitteln"

Konstanz: "nicht nur Konstanz der Werbeaussage, sondern auch innert Grenzen die Konstanz der Quantität".

 

Das Produkt als Persönlichkeit

 

Farner fasst in drei Punkten zusammen:

• "Werbung ist am erfolgreichsten, wenn es ihr wie in einem Spiegel gelingt, die Personalität des Produktes auszudrücken und überzeugend zu demonstrieren, anstatt nur selbstbewusst um Aufmerksamkeit zu schreien."

• "Eines der wichtigsten Attribute für jede Persönlichkeit ist, dass sie sich von den übrigen differenziert. Dies gilt auch für unser Produkt. Es soll frisch wirken, einzigartig und dennoch ehrlich und freundlich."

• "Werbung kann nicht in einem Vakuum existieren. Sie ist nur eines der Werkzeuge im Rahmen unserer Marketing-Strategie ... Dies führt uns zur Notwendigkeit, auch unsere Werbemittel und Werbeträger kreativ und nicht schematisch auszuwählen und einzusetzen."

 

kreativ = ideenreich

 

Damit ist das Stichwort gefallen: kreativ. Es kommt in Farners Büchlein "Erfolg in der Werbung" 17 Mal vor.

Im letzten Jahrhundert brauchte man dafür das Wort "ideenreich". Robert Exner berichtete in seiner Zeitschrift "Reklame" 1891: " ... Wir haben hundert andere Mittel angewandt, die weniger für unseren guten Geschmack, destomehr aber für unseren Reichtum an originellen Ideen Propaganda machten und jedenfalls bessere Erfolge damit erzielt ..."

 

Der Kampf galt schon damals der Schablonenhaftigkeit und den verschwendeten Millionen. Gewarnt wurde aber auch vor marktschreierischen Ankündigungen und planlosem Vorgehen. Konkurrenzbeobachtung wurde gross geschrieben: Benützen Sie nicht "dieselben ausgetretenen Wege, welche die Konkurrenz einhergewandelt ist!" (Abb. XII.4)

 

Copy-Strategie schon im 19. Jahrhundert

 

Die Reklame sollte sowohl auf die Zielgruppe - "eine bestimmte Sorte des Publikums"- wie auf das Produkt abgestimmt sein - "peinlichst der Eigenart desjenigen Artikels angepasst werden, den wir in Handel bringen wollen" - und sich nicht in allgemeinen Redensarten erschöpfen.

Daher war die Copy-Strategie auf der Basis "Reason why", welcher Farner in die späten 1920er und 1930er Jahre verlegt, schon 1891 bekannt:

 

• "Wie viele minder wichtige Kleinigkeiten haben ihre Erfinder zum reichen Manne gemacht, weil er es verstanden hat, sein Publikum davon zu überzeugen, dass seine Erfindung, wenn auch nicht unentbehrlich ist, immerhin dessen Bequemlichkeit gute Dienste leisten kann; weil er mit anderen Worten bei der "Inszenierung" mit richtigem Geschick vorgegangen ist.

Hat man somit dem grossen Publikum einen reellen Artikel anzubieten, welcher jede Probe bestehen kann, so sollte unsere erste Frage die sein, wie man jeden von dessen Güte, Brauchbarkeit oder dessen praktischen Seiten am augenfälligsten, leichtesten und raschesten überzeugen könnte."

 

Kreativität = Entdeckung der Mittel

 

Doch zurück zur Kreativität. "Originalität" hat Robert Exner 1891 als "wichtigste Eigenschaft des Reklamemachers" bezeichnet. Gepaart mit Fachkenntnis und Seriosität ist sie es bis heute geblieben.

 

Was Kreativität bedeutet, hat Guy de Maupassant schon vor 100 Jahren formuliert:

• "Reklame ist die Göttin des Handels und der Industrie. Ohne Reklame kein Erfolg! Die Kunst, sich bekannt zu machen, ist schwer, kompliziert und erfordert grosses Feingefühl.

Heute ist der Lärm verpönt. Und dennoch müssen wir die öffentliche Aufmerksamkeit auf uns ziehen, und hernach müssen wir überzeugen. Die Kunst der Reklame liegt also in der Entdeckung der Mittel, der einzigen Mittel, die Erfolg verschaffen können, wenn man entschieden hat, was man zu verkaufen wünscht."

 

 

Abb. XII.5: Einige Zitate

 

Emile de Girardins 1845

 

"Eine Anzeige muss, um dem, der sie aufgibt, nützlich zu sein und um das Vertrauen dessen zu erwecken, an den sie sich richtet, kurz, einfach und offen sein."

 

Meyers Konversationslexikon 1890

 

Reklame (franz.), empfehlende Anzeige, bei der im Unterschied von der einfachen Annonce die Anwendung raffinierter Mittel zur Erweckung des öffentlichen Interesses wesentlich ist ... Die Form der Zeitungsreklame ist nach den Gegenständen, für die sie wirkt, dem Publikum, an das sie sich wendet, dem Land, in dem sie erscheint, äusserst verschieden."

 

Rudolf Mosse 1893

 

"Neben den Angaben über Zeilenpreis, Zeilenbreite, Erscheinungsweise und Abonnentenzahl der Zeitung sowie Einwohnerzahl der Städte wünschen die Inserenten vielfach auch über die Art der Verbreitung der Blätter, über Leserkreis, Inhalt und Format unterrichtet zu sein."

 

Sapiens, um 1910

 

"Gerade bei Maschinen, die zur Vereinfachung kaufmännischer Arbeiten dienen sollen, ist es unbedingt notwendig zu wissen, was eine solche Maschine leistet, wie sie arbeitet, wofür sie verwandt werden kann usw. Nur durch solche Angaben wird der Leser veranlasst werden können, sich dafür näher zu interessieren, Prospekte zu verlangen oder sich die betreffende Maschine einmal vorführen zu lassen."

 

Hans Neuerburg, 1920er Jahre

 

"Die Ausübung der Reklame ... erfordert zunächst eine genaue Kenntnis des Marktes, denn es wäre zum Beispiel unvernünftig, wenn jemand viel Geld ausgäbe, um Leute zum Kauf seiner Ware zu bewegen, die von diesen gar nicht begehrt oder gekauft werden kann. In jedem Fall muss sie sich auf eine gute Ware stützen ...

Die Stimme der Reklame ... muss ausführlich erklären und beweisen, warum gerade diese Ware das Vertrauen der Verbraucher verdient. Im geduldigen Aufbau jenes Vertrauens zur Firma und zu ihren Erzeugnissen liegt das vornehmste Ziel einer guten Reklame."

 

 

 

 

XVIII. Werbung = gute Botschaft als Katalysator im Marketing-Mix

 

.Im kleinen "Lexikon der Werbung" (Hrsg. von Dieter Pflaum und Ferdinand Bäuerle, 2. Aufl. 1986) wimmelt es nur so von Zielen. Dennoch hat es den Anschein, als machten wir uns zuwenig Gedanken über Werbeziele.

 

Wenn Werbung auch ein integrierender Bestandteil des Marketing-Mix ist, heisst das noch lange nicht, dass die Ziele dieselben seien (Abb. XVIII.1). Ein "Teil" darf sich nicht anmassen, dasselbe anzustreben, wie das "Ganze". Immerhin, beide müssen etwas zum Klingeln bringen:

• Marketing die Kasse

• Werbung Assoziationen.

 

Wenn man etwas genauer sein will, wird es aber schon schwieriger. Die von Peter F. Drucker 1954 eingeleitete und in den 1960er Jahren weitherum diskutierte Vielfalt der Unternehmensziele hat kaum auf das Marketing abgefärbt (Abb. XVIII.2). So muss man die "obersten.Marketingziele" sogar in dem informativen und umfassenden Buch von Kasimir M. Magyar ("Marketing-Puzzle", 1985) mit der Lupe suchen. Nur in einer Tabelle finden sich ohne weitere Erläuterung:

• Marktstellung

• Unternehmungsimage

• Unternehmungsidentität.

 

Konkreter wird es nicht. Auch andere Koryphäen wie Heinz Weinhold-Stünzi driften rasch entweder in Teilziele ab oder erörtern Strategien, Programme und Instrumente. Es ist offenbar viel leichter herauszufinden, was man wann, wo, wie und womit tun sollte, als darüber nachzudenken, wozu man es tut. Dabei heisst es immer, nur wenn die Ziele klar seien, könne man daraus die Aufgaben ableiten.

 

Konkrete Marketingziele: trivíal, aber nicht selbstverständlich

 

Eine der wenigen Ausnahmen bietet René O. Moser in einem "Marketing-Strategie"-Büchlein für den Detailhandel (1981). Er trennt sehr klar wirtschaftliche von psychographischen Marketingzielen (Abb. XVIII.1) und gibt, wie es sich gehört, Zielperiode und Zielhöhe in einem bestimmten Zielgebiet an, z. B.

  • Marktanteil: Steigerung von 15 % auf 17 % bei Lebensmitteln und von 40 % auf 45 % bei Delikatessen (daher auch Erweiterungen im Delikatessensortiment)
  • Zufriedenheit der Kunden: zusätzlich 10 %.mehr Stammkunden; Reduktion der monatlichen Reklamationen von durchschnittlich 10 auf 5.
  • Bekanntheitsgrad: ausser den Neuzuzügern kennen 80 % aller in Frage kommenden Kunden der Region unser Geschäft und das Sortiment
  • Image: Wir sind als gutes und modernes Fachgeschäft bekannt.

 

So trivial dies klingt, so wenig selbstverständlich ist es häufig.

 

Dasselbe zeigt sich bei der Werbung: Das Was scheint wichtiger als das Wofür. Gerade wenn heute mit härteren Bandagen gekämpft wird - z. B. ganz- oder doppelseitige Inserate, tonnenweise Direct Mail, Sponsoring - kann es lohnend sein, sich zu fragen: "Wofür dieser Aufwand?"

 

"To make good" ist eine gute Formel

 

Vor mehr als hundert Jahren beschrieb der Engländer Henry Sampson in seiner "Geschichte der Werbung" (1874) bereits auf über 600 Seiten

• "the desire among tradesmen and merchants to make good their wares"

seit dem Altertum.

 

Wie sagen wir heute?

• "Jede auf dem Markt angebotene Unternehmensleistung muss einen Kaufwiderstand überwinden, der sich mit Umsatzgrösse und Marktanteil ändert."

 

Dann fährt der Unternehmensberater fort:

• "Image und Kaufmotive werden als Kaufentscheidungsfaktoren allgemein stark unterschätzt ... Man schätzt, dass selbst bei technischen Produkten mehr als die Hälfte der Kaufgründe subjektiv sind" (H. J. Ulrich).

 

Werbung im Dienst des Marketing: ein Katalysator

 

Demnach wäre Werbung eine Attacke auf das Subjektive - nicht auf das Objektive wie Marktanteil oder Deckungsbeitrag. Ferner gehört Werbung zum Bereich der Promotion und Kommunikation, - nicht zur Marktleistungsgestaltung (Sortiment und Dienstleistungen) oder zur Distribution (Verteilung, Versand).

 

In der Kommunikation steht der Werbung aber noch manches zur Seite,

nämlich:

• persönlicher Verkauf und

• Kundendienstberatung sowie

• Merchandising (als Produktpflege am Verkaufsort) und

• Verkaufsförderung mit Displays, Mustern, Aktionen, Demonstrationen, usw., ferner

• Public Relations,

• Verpackung mit Bei- und Zugaben sowie

• Marke.

 

Werbung muss mit alldem harmonieren, damit sich dauerhafter Erfolg einstellt. Das weist der Werbung auch ihren Platz zu: Sie ist nicht Selbstzweck, sondern Hilfsmittel des gesamten Marketing.

Magyar bezeichnet sie als Katalysator: "Sie leitet die Vorgänge ein und beschleunigt Ereignisse."

 

Erst im Rückkoppelungsprozess entstehen Zielsetzungen

 

Wie kommt man nun aber zu klaren Werbezielen?

Die erste Bedingung heisst: Umschau halten, und zwar nach allen Seiten.

Das bedeutet zu fragen (Abb. XVIII.3):

 

• Welches sind die Marketingziele, -strategien und -instrumente des Auftraggebers?

• Was ist das Werbeobjekt, d. h. für was soll überhaupt geworben werden und welches sind seine Qualitäten?

• Wer sind die Zielgruppen, was sind ihre Eigenheiten. und wie stehen sie zum Werbeobjekt?

• Wie sieht der Markt für das Objekt aus und was macht die Konkurrenz (auch punkto Werbung)?

• Wie wurde bisher geworben und mit welchem Erfolg?

 

Wer also nicht gleich mit Scharfmachen oder Suggestion, mit kreativen Feuerwerken oder technischen Überraschungen lossschiessen will, muss diese Fragen sehr genau abklären und darf Anschlussfragen, die sich sofort aufdrängen, nicht unwillig unter den Tisch wischen.

 

Auch wenn bei einem sauberen Werbekonzept (Abb. XVIII.4) die Zielsetzung zuoberst steht, sollte man beim Entwerfen desselben nicht gleich damit beginnen. Erst die Analyse der Bestimmungsfaktoren und deren Beurteilung ergibt durch ständige Rückkoppelungen ein stets schärferes Bild der notwendigen Ziele, die zu erreichen sind.

 

Objekt, Botschaft, Reaktion (Abb. XVIII.5)

 

Diese Ziele betreffen:

1. Bekanntmachen des Werbeobjekts, insbesondere

a) Name, Marke

b) Aussehen, Erscheinungsbild

c) Bezugsquelle oder Beschaffungsort

 

2. Verbreiten einer Botschaft zur

a) Vermittlung von Wissen über das Werbeobjekt,

b) Schaffung oder Korrektur eines bestimmten Images für das Objekt

c) Schaffung, Erhaltung oder Veränderung von Präferenz- und Bedarfsstrukturen

 

3. Hervorrufen einer Reaktion, z. B.

a) Anforderung eines Prospekts, Katalogs, Musters, Vertreterbesuchs usw.

b) Blick ins Schaufenster, Besuch eines Ausstellungslokals, Betreten eines Ladens

c) Beobachtung anderer Menschen, ob sie das, Objekt besitzen, wie sie es verwenden

d) Andere über Erfahrungen mit dem Objekt befragen

e) Kauf, Erstkauf oder Versuchskauf

f) Verbrauch generell, zu bestimmten Zwecken, zu weiteren Zwecken, häufigerer Kauf oder Gebrauch, Ersatzkauf usw.

g) Andere zum Kauf resp. Verbrauch animieren oder auffordern.

 

Alles andere, wie Erinnerungs- oder Prestigewerbung, Einführungs-, Erhaltungs-, Verstärkungs-, Konkurrenz- und Zukunftswerbung (Rudolf Seyffert 1966), sind keine Ziele, sondern Unterarten oder Mittel, die sich aus der Einbettung. der Werbung in die Marketingstrategie ergeben.

 

Erfolgreiche Werbung: ein Bumerang für den Auftraggeber?

 

Da man weiss, dass Werbung heutzutage allein nicht verkauft, können Verkaufs- oder Umsatzzahlen keinen direkten Hinweis auf die Erreichung von Werbezielen geben. Anderseits kann der Auftraggeber. mit einem blossen Interesse der Bevölkerung am beworbenen Objekt oder einer tollen Markenprofilierung nicht viel anfangen.

Oder doch?

Wenn der "Teil" (die Werbung) sich nicht die Aufgaben des "Ganzen" (des Marketing) anmassen soll, dann wäre es ja gerade die Aufgabe des Auftraggebers (also des Unternehmens), das Potential, das ihm die Werbung geschaffen hat, zu nutzen: durch einen koordinierten Marketing-Mix insgesamt, aber auch durch eine entsprechende Geschäftspolitik - Produktion, Innovation, Verhalten.

 

Das würde heissen, dass ein weiteres Ziel der Werbung direkt. auf den Auftraggeber gemünzt wäre, etwa im Sinne: Werbeerfolg verpflichtet - nämlich den Unternehmer zu seriöser Leistung.

 

 

 

XV. Die Quadratur des Werbe-Zirkels

 

Mit der geometrischen Quadratur des Zirkels haben sich schon die Alten Griechen herumgeschlagen. Und für das, was wir im übertragenen Sinn damit meinen, hat Platon das Wort geprägt: Zusammenschau: (synopsis).

 

Nur der Systematiker hat Übersicht

 

Nur wer zusammenschauen kann, also der Systematiker, ist der wahre Dialektiker. Und Dialektik ist nach Platon die höchste Gabe der Götter, das wahre Feuer des Prometheus. Sie führt im Zwiegespräch und im Hin- und Herdenken, im Wechselspiel von Analyse und Synthese hinauf ins Reich der Ideen. Die Dialektik "zieht das in einem gewissen barbarischen Schlamme vergrabene Auge der Seele allmählich hervor und führt es aufwärts" (Staat 533 D).

 

Systematische Zusammenstellungen erlauben also einen Überblick. Und "wer Fähigkeit für jenen Überblick hat, der hat auch Fähigkeit für Dialektik".

 

Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels

 

Wer möglichst viele der Aufgaben und, Verrichtungen einer Werbeagentur zusammenschauen möchte, gelangt zu einer grossen Quadratur des Zirkels. Eine Agentur ist wie jedes andere Unternehmen ein "produktives soziales System" (Hans Ulrich 1968) in einer komplexen Umwelt.

Also betreffen zwei Ecken die Beteiliqten am gesamten Kommunikations- und Markt-, Marketing- und Werbegeschehen, nämlich (Abb. XV.1):

 

•          Produzenten resp. Anbieter im weitesten Sinne

•          Konsumenten resp. Adressaten im weitesten Sinne.

 

Die beiden unteren Ecken betreffen die Mittel, welche von der Werbeagentur eingesetzt werden (können, sollen, dürfen), nämlich:

 

•          Ökonomie und Technik

•          Kreativität und Intelligenz.

Werbung ist demzufolge die Kunst, diese vier Komponenten (Abb. 0.1) unter einen Hut zu bringen. Was dabei berücksichtigt und aufeinander abgestimmt werden sollte, ist ebenfalls viererlei, nämlich:

 

•          Absichten und Interessen der Beteiligten (= Wollen)

•          Möglichkeiten und Potentiale (= Können)

•          Vorgänge und Tätigkeiten (= Tun)

•          Daten und Erkenntnisse (= Wissen).

 

In der Dialektik (Abb. XV.2) zwischen Kunde und Agentur, Kunde und Konsument, Agentur und Medien, Medien und Adressaten, im Widerstreit von Ökonomie und Kreativität vollzieht sich das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.

Erst in dieser Verflechtung von allem mit allem wird aus dem Kundenproblem eine Marketingstrategie, aus der Anfrage ein Auftrag und dann eine Werbekampagne, erst dann wandeln sich die Bedürfnisse der Konsumenten über die Strebungen zum Bedarf, wird blosses Be- oder Aufmerken zu Bestellung oder Kauf.

 

Andere Formulierungen und Darstellungen geben die Abb. XV.3; XV.4; XV.5.

 

Die vier kleinen Quadraturen (Abb. XV.3)

 

Alle, die am Kommunikations- und Marktgeschehen beteiligt sind, streben nach etwas: die verschiedenen Produzenten nach Erfolg, die Konsumenten nach Bedürfnisbefriedigung.

 

Für die Werbeagentur im speziellen heisst daher Ökonomie: die grösstmögliche Wirkung (effectiveness) mit minimalem Aufwand zu erreichen (efficency). Das intelligente, mitunter virtuose Spiel auf der sozio-psychologischen Klaviatur erlaubt ein gezieltes Ansprechen und Beeinflussen der Adressaten. Es wird unterstützt von der Kreativität, welche alle Mittel, insbesondere die Werbeelemente, zur Ganzheit integriert.

 

Worum geht es nun in den vier Ecken der grossen Quadratur, also in den kleinen Quadraturen (Abb. XV.6)?

 

• In der Produzenten-Quadratur können bei vier Arten von Beteiligten je eigene Absichten und Interessen festgestellt werden:

1. die Hersteller des zu bewerbenden Produkts (als Anbieter von Nutzen oder Erlebniswert)

2. die Werbeagentur (als Anbieter von Aktionen oder Kampagnen)

3. die Medien und andere Kommunikationsagenturen (als Anbieter von Information, Unterhaltung, Belehrung, Werbung)

4. die Konkurrenten aller Art.

 

• Die Adressaten-Quadratur umfasst den ganzen Menschen als gegenwärtigen wie potentiellen Konsumenten, Einkäufer, Händler, Vermittler, Absatzhelfer und nicht zuletzt als Bürger unter vier Aspekten:

 

1. sozio-demographische und -ökonomische Bestimmung

2. Persönlichkeit (Haltungen, Einstellungen)

3. Verhalten, insbesondere Konsum- und Kaufgewohnheiten

4. Medienverhalten, Informationsstil.

 

• In der ökonomischen Quadratur geht es um die möglichst reibungslose Verbindung von:

1. Planung und Organisation (Abläufe, Aufgaben, Verträge)

2. kostenbewusstes Vorgehen (Budgets)

3. Einhalten von gesetzlichen Vorschriften und Kodizes (Lauterkeit)

4. Realisation (intern und extern).

 

• Die kreative Quadratur (siehe auch Abb. XV.7) verlangt eine Integration von:

 

1. formalen Elementen (sinnlichen Qualitäten, Farbe, Material, Erlebnis)

2. inhaltlichen Elementen (Sujet, Stil, Botschaft, Marke)

3. Ebenen des Appells (physiologisch, emotional, sozial, rational)

4. Umfeld der Präsentation (Plazierung, Frequenz, Coupons, Zusatzaktionen).

 

 

Divergierende Ziele der Beteiligten beachten

 

Schon die Betrachtung der Produzenten-Quadratur zeigt, wie vielen divergierenden Absichten und Interessen man Tribut zollen muss. Das Unternehmen, die Werbeagentur, der Kanal ist ja schon eine Abstraktion. In der Realität können einzelne Gremien und Abteilungen, Teams und Individuen durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen, die mit den übergeordneten Zielen nicht unbedingt übereinstimmen. Wie häufig fährt ein Marketingleiter oder ein Grossist, ein Konzeptionist oder ein Redaktor das legendäre "Extrazüglein".

 

Grundsätzlich kann man auf der Produzentenseite gleich mehrgliedrige "four Ps" ins Feld führen (Abb. 0.1):

• profit, prosperity, progress (also Gedeihen und Wachstum)

• position, power, potency, prominence (Marktstellung, Stärke, Macht)

• product, project, programme (nämlich Leistungsstandards des zu bewerbenden Produkts resp. der Werbekampagne oder des Programms)

• public und political responsability (etwa: soziale Verantwortung).

 

Ob überhaupt eine Agenturpräsentation bei einem potentiellen Auftraggeber Anklang findet, hängt zu einem guten Teil von der Sondierung dieses breiten Zielfeldes ab.

Aber auch wenn. der Auftrag gefasst, modifiziert und spezifiziert ist, tut der Werber gut daran, seine Partner auf der Auftrags- wie Streuungsseite gesamthaft und im Detail dauernd daraufhin abzuklopfen, um sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen. Besonders da er im Getriebe der Anbieter nur ein kleines Rädchen darstellt - wie die meisten andern auch.

Aus dieser Perspektive heraus gewinnt er Verständnis für den von Tausenden anderen Produzenten und Anbietern umworbenen Konsumenten, dessen Eigenheiten wie Abwehr und Bequemlichkeit, Misstrauen und Lethargie ihm oft schwer zu schaffen machen.

 

Nicht ins Taumeln aber darf er geraten, wenn ihm bewusst wird, dass auch alle Produzenten Konsumenten sind - mit den entsprechenden Bedürfnissen, Strebungen, Bedarf und vielen Eigenheiten - und manche Adressaten ihrerseits Anbieter. Schliesslich kann der Konsument auch als "Mittel" zum Erfolg betrachtet werden, verdanken ihm doch die Produzenten Gewinn, Marktmacht und Ansehen (Abb. XV.4).

 

Es ist schon eine verzwickte Sache, die sich bei systematischem Vorgehen enthüllt. Doch Überblick verschafft Sicherheit. Damit erst lassen sich die Erfordernisse der Ökonomie erfüllen und die Möglichkeiten der Kreativität ausschöpfen.

 

 

 

XVI. Die Ziele anderer als eigene Chancen

 

Was gibt die Beachtung der Interessen, Absichten oder Ziele aller am Markt-, Marketing- und Werbegeschehen Beteiligten (Abb. XVI.1) her? Chancen! Solche zum Ergreifen, damit sich Erfolg der eigenen Absichten einstellt. Solche zum Nutzen, damit Ärger vermieden wird.

Daher ist der Werbeberater ein "Chancen-Manager".

 

Wie manche Präsentation geht in die Hosen, weil man sich einen heut um die Absichten und Ziele der potentiellen Auftraggeber schert. Wie manche Schaltung verpufft wirkungslos, weil man den Ton des Medium nicht trifft.

Warum? Weil man sich zu sehr am zu bewerbenden Produkt festkrallt, an seinen hervorstechenden oder fehlenden Qualitäten. Oder weil man wie das Kaninchen gebannt auf die generellen Zwecke der Medienschlange schaut: Information, Aufklärung, Belehrung, Unterhaltung, Zerstreuung, Verlockung.

 

Sachen und Vorgänge haben Zwecke

 

Angeboten, Programmen, Veranstaltungen - kurz Sachen und Vorgängen - kann man Zwecke zuschreiben. Das sind Funktionen in einem grösseren Zusammenhang (Abb. XVI.1). Was Unternehmen anbieten - ein Gerät oder eine Leistung, Kampagnen oder bebilderte Informationen -, hat mindestens vier Funktionen:

 

• Der Erzeuger will damit Gewinn erwirtschaften, Ansehen gewinnen, Potenz demonstrieren usw.

• Der Konsument erwartet Grund- und Zusatznutzen wie Bedarfsdeckung, Animation, Vergnügen usw.

• Im wirtschaftlichen Gefüge geht es um Arbeitsteilung und Einsatz von Fähigkeiten, Versorgung, Wertschöpfung und Tausch, Kosten und Ertrag usw.

• Unter gesellschaftlicher Perspektive kann man schliesslich nach dem Sinn der Produkte und Tätigkeiten fragen.

 

Dabei spielen diese Funktionen ineinander, kann doch ein Produkt für den Hersteller wie Verwender Testobjekt, "Milchkuh" oder Prestigeangelegenheit sein, wenn auch mit anderer Färbung. Und Spielerei oder Luxus, Verschwendung und Moden haben ebenso wirtschaftliche wie gesellschaftliche Funktionen.

 

Menschen und Organisationen haben Ziele

 

Menschen und von ihnen gebildete Organisationen (Unternehmen, Agenturen, Anstalten, Gruppen) haben nicht Zwecke, sondern Interessen, Absichten und Ziele (Abb. XVI.1). Gewiss kann man auch von Funktionen sprechen, aber solche sind wie Zwecke von aussen gesetzt oder entdeckt. Interessen, Absichten und Ziele werden dagegen hauptsächlich von innen her aufgebaut oder aufgestellt, mitunter freilich durch äussere Anlässe, z. B. Forderungen, Suggestionen, Druck.

 

Nicht nur der angepeilte Konsument, nein, alle am Markt- und Kommunikationsgeschehen Beteiligten streben nach etwas. Also müsste der Werbeberater sämtlichen Partnern und Konkurrenten auf den Zahn fühlen, um für den Erfolg seiner Bemühungen (und seines "Produkts") die günstigsten Angelpunkte zum Einhaken zu finden. Dafür sind folgende Unterscheidungen hilfreich:

 

• Jedes Individuum und jede Organisation verfügt über eine Vielzahl von Interessen, Absichten und Zielen.

• Manche sind wichtiger, deutlicher und fixierter als andere.

• Manche können gleichzeitig verfolgt werden, einige nur in zeitlichem Wechsel; andere schliessen einander dauernd aus.

• Interessen, Absichten und Ziele zeigen in dieser Reihenfolge zunehmende Konkretisierung.

• Manche sind aber weder ausformuliert noch bewusst, vielmehr diffus oder gar unbekannt im Hintergrund wirksam.

• Zwischen manchen können komplizierte Ziel-Mittel- oder Wenn-Dann-Beziehungen bestehen.

 

An Interessen kann man anknüpfen. Dale Carnegies Bestseller "How to win friends and influence people" ist [1986] gerade 50 Jahre alt geworden.

 

Absichten und qualitative Ziele

 

Wie kann man sich Absichten und Ziele zunutze machen? Dazu ist erneut zu präzisieren:

 

• Die Betriebswirtschaftslehre spricht in vielen Fällen von Zielen, wo es sich bloss um Absichten handelt.

Ziel ist strenggenommen nur etwas, was entweder nach Ort oder Betrag (Umfang, Ausmass) und Termin spezifiziert ist, also: um 9.00 Uhr bei der Firma X in Bern sein, oder: bis Ende Jahr einen Umsatz von X Franken erreicht haben.

• Alles andere sind Absichten, z. B. einen vorteilhaften Geschäftsabschluss tätigen, sich einen Namen schaffen, Rationalisieren, für ein gutes Arbeitsklima sorgen.

• Fasst man solche Absichten als qualitative Ziele, dann allerdings kann man das meiste, wonach oder wohin Menschen und Unternehmen streben, worum sie sich bemühen, als "Ziel" fassen.

 

Gewinn als Ergebnis und Nagelprobe

 

Erstaunlich lang hat die Betriebswirtschaft den Unternehmen nur ein einziges Ziel zugeschrieben: Gewinn.

Dagegen protestierte schon 1954 Peter Drucker in seiner immer noch lesbaren "Praxis des Management": "Der Gewinn ist nicht Erklärung, Ursache oder Richtschnur des Unternehmens und seiner Entscheidungen, sondern die Probe auf ihre Richtigkeit." Gewinn "ist das Ergebnis der Leistungen des Unternehmens im Marketing, hinsichtlich Neuerungen und in der Produktivität".

 

Eine Fülle unternehmerischer Ziele

 

Zur Ausrichtung dieser Leistungen braucht es Zielsetzungen. Solche "sind unerlässlich in allen Bereichen, deren Leistungen und Ergebnisse unmittelbare und entscheidende Auswirkungen auf den Bestand und das Gedeihen des Unternehmens haben".

 

Peter F. Drucker sah bereits nicht weniger als acht Schlüsselbereiche, für die Ziele gesetzt werden müssen (Abb. XVIII.2). Seither hat jeder Autor neue Gliederungen vorgeschlagen. Eine der brauchbarsten ist diejenige des St. Galler Modells (Abb. XVI.2 – siehe auch: Das St. Galler Management-Modell), welche

 

  • leistungswirtschaftliche
  • finanzwirtschaftliche und
  • soziale Ziele

unterscheidet.

 

Eine andere beliebte Unterscheidung richtet sich nach den betrieblichen Funktionen wie:

 

  • Beschaffung und Produktion
  • Forschung und Entwicklung
  • Marketing
  • Finanzen
  • Personal
  • Führung und Organisation
  • Beteiligung, Akquisition und Kooperation,

mitunter garniert mit Innovations-, Wachstums- und Umweltzielen.

 

Wie auch immer, "managing a business" bedeutet, zahlreiche Ziele gegeneinander abzuwägen und aufeinander abzustimmen (Abb. XVI.3). Was dem Manager in einem beliebigen Unternehmen recht ist, kann daher auch dem Werbeberater zwischen Unternehmen billig sein.

Deshalb auch er ein "Manager".

 

Die Ziele anderer als Hintergrund und Ideenlieferant

 

Wie managt er was? Wenn er sich nicht nur als Auftragsempfänger (des Kunden), Auftraggeber (für die Medien) und Propagandist (gegenüber den Absatzmittlern und Konsumenten) versteht, dann versucht er die Eigenheiten der Absichten und Ziele dieser "Partner" zu ergründen.

 

Verfolgt zum Beispiel der Hersteller eines Produkts, für das geworben werden soll, eine ambitiöse Forschungs- oder Personalpolitik, dann kann das auch den Hintergrund für eine Kampagne abgeben. Betreiben bestimmte Mediengruppen eine ungewöhnliche Produktions- oder Marketingpolitik - man denke an Lokalradios oder Special-Interest-Zeitschriften -, dann kann dies Ideen für die Herstellung und Gestaltung der Botschaft und der Werbemittel geben.

 

Auf jeden Fall gilt: Wer die Augen für die Interessen, Absichten und Ziele anderer offen hat, findet stets Anstösse für seine eigenen Zielsetzungen. Soziologen würden sagen, man benütze spezifische Ziele der Partner als Vehikel für den Transport eigener Ziele. Egal, ob es sich um Beschaffungs- oder Führungs-, finanzielle oder soziale Ziele handelt.

 

Klärung und Harmonisierung von Zielen im Dialog mit den Partnern

 

Wenn nun einzelne Mitarbeiter bei den Partnern andere Ziele verfolgen als "ihre" Abteilung oder ihr Arbeitgeber, dann ist Vorsicht geboten. Nur wenn man diesen Zielen Erfolgschancen resp. ihrem Träger genügend Durchsetzungsvermögen zutraut, kann man sich anhängen. In den andern Fällen ist es besser, Harmonisierung zu betreiben. Wie geht das?

 

Unser aller Streben liegt keineswegs stets wie ein offenes Buch vor uns. Den grössten Teil kann man als vage, instinktiv oder unbewusst bezeichnen. Im Dialog mit den einzelnen Verantwortlichen bei Auftraggebern und Medien kann daher der Werbeberater-Manager Klärung, ja Definition von Absichten und Zielen bewirken.

Als Ansatz dafür dient die von der ökonomischen Verhaltensforschung seit George Katona und Günter Schmölders erkannte Parallelität von persönlichen und unternehmerischen Zielsetzungen.

 

Auch Victor Bataillard hat in einer Schrift über "das eigene Geschäft" (1981) festgestellt:

 

• Was dem Unternehmen die Marktleistung, ist dem Individuum die persönliche Entwicklung.

• Unternehmen wie Individuen streben nach Überleben und Zukunftssicherung.

• Beide bedürfen hiefür einer finanziellen Basis durch Wertschöpfung resp. Einkommen.

 

Diese Beispiele lassen sich leicht vermehren: Firmen wie Personen können nach Prestige oder Macht streben, auf Qualität und Tradition Wert legen, versuchen, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, Marktlücken ausfindig machen usw.

 

Das "ganze Arsenal der Unternehmensziele lässt sich - mit den gebührenden Differenzierungen - auf individuelle Ziele anwenden. Nicht dass Unternehmen Organismen wären - das meinte man im letzten Jahrhundert. Aber Unternehmen wie Menschen sind "offene, selbstregulierende, zielbewusste Systeme in komplexen Umwelten".

 

Besonders starke Motive - als Triebkräfte, Absichten und Ziele - gemeinsam ans Licht zu heben, kann sowohl dem Werber wie den Kontaktpersonen gehörigen "Push" zur Gestaltung durchschlagender Aktionen vermitteln.

 

 

Literatur zu den "Zielen anderer"

 

Dale Carnegie: How to win friends and influence people. New York: Simon and Schuster 1936;
dt.: wie man Freunde gewinnt.  
Zürich: Rascher 1938; Bern: Scherz 1971.

Peter F. Drucker: Practice of Management. 1954.;
dt.: Die Praxis des Management. Düsseldorf: Econ 1956; Taschenbuch bei Droemer/ Knaur 1970.

Hans Ulrich, Walter Krieg: Das St. Galler Management-Modell. Bern: Haupt 1972, 3. Aufl. 1974.

Victor Bataillard: Das eigene Geschäft. Band 1, Zürich: Der Organisator 1981.

Stephen Baker: Systematic Approach to Advertising Creativity. New York: McGraw-Hill 1979, Kap. 14: S. 236-269, bes. S. 236; Kap. 5: S. 56-88, bes. S. 56f u. 80.

 

 

XIV. Das Geheimnis der Kreativität

 

Siehe auch:       Kreativität

 

(Nachgedruckt im Sammelband: Innovation gewinnt. Kulturgeschichte und Erfolgsrezepte. Zürich: Orell Füssli 1997, als Kap. 1: „Das Geheimnis der Kreativität“, 8-18)

 

Wenn man der "Cambridge Enzyklopädie der Archäologie" (Andrew Sherratt) Glauben schenken darf, zeichnet sich der Mensch seit mindestens vier Millionen Jahren aus durch

  • differenzierte Manipulation, wie Anfertigung und Gebrauch von Werkzeugen ("Stimuliert durch verstärkend wirkende Erfolgserlebnisse erweiterte sich dieses Verhaltensmuster sowohl hinsichtlich seiner Komplexität wie seiner Möglichkeiten."), und
  • kooperatives Gruppenverhalten ("Die Erhaltung zusammenhängender Gruppen aus Erwachsenen, Kindern und vielleicht alten, nicht mehr leistungsfähigen Mitgliedern setzt kooperative Strategien der Nahrungsbeschaffung und Nahrungsteilung voraus.")

 

Innovation und Kreativität sind also so alt wie der Mensch

 

Ohne periodische Innovationen hätte die Menschheit gar nicht überlebt. Und Grundlage von Innovationen sind Methoden und Kreativität. John A. J. Gowlett lässt in seinem hervorragenden und reich illustrierten Buch "Auf Adams Spuren" (1985) vieles davon sichtbar werden. Eine ausserordentlich farbige und anschauliche Schilderung des Lebens vor 500 000 oder 350 000 Jahren bieten Dietrich Mania und Adelhelm Dietzel (1980).

Die Kreativität bildet seit es Menschen gibt, eine nie erlahmende Triebfeder für alle ihre Unternehmungen.

Wie der bekannte Wissenschaftsredaktor John E. Pfeiffer (1982) mit einer Fülle von Belegen nachweist, hatte das Auftauchen des Jetztmenschen, des homo sapiens sapiens, in der jüngeren Altsteinzeit vor rund 30 000 Jahren eine regelrechte "creative explosion" zu Folge.

 

Kunst: Luxus mit tieferem Sinn?

 

Damals kam zur harten Arbeit die Kunst hinzu. Der Kult mag viele 100 000 Jahre älter sein, man denke nur an die Begräbnisriten der Neandertaler. Auch Farbengebrauch hatte es schon lange gegeben.

Nun aber kann man feststellen, dass zum ersten Mal nicht mehr nur Werkzeuge und Waffen, sondern scheinbare «Luxusgüter» in reichem Masse hergestellt wurden: Statuetten, Reliefs, Malereien, Gravierungen, Schnitzereien, ja sogar gebrannte Tonfigürchen und Musikinstrumente.

Schmuck diente der Kennzeichnung sozialer Rangordnung. Legendär sind die zahlreichen Venus-Figuren, die einen breit ausladend, die andern schmal-stilisiert. Sinnbilder der Fruchtbarkeit, der Kreativität?

 

Das Schöpferische als weibliches Prinzip?

 

Seit Bachofen (1861) und Klages (1932) gibt es die Vermutung, das die menschlichen Gemeinschaften vor dem Aufblühen der Hochkulturen um 3000 v. Chr. weitgehend «mutterrechtlich» organisiert waren. Die modernen Feministinnen, z. B. Doris F. Jonas (1979) und Heide Göttner-Abendroth (1980) haben diese These wieder aufgenommen.

 

Ein Nachklang der Verehrung einer «Grossen Mutter» (Magna Mater) findet sich noch in den klassischen Mythen und beim römischen Dichter Lukrez (ca. 60 v. Chr.). Er hat in seinem Lehrgedicht «Von der Natur der Dinge» die holde Venus als Wonne der Menschen und Götter angerufen: «…denn alle lebendigen Wesen werden erzeugt durch dich und schauen die Strahlen der Sonne». Zwei Jahre vor seiner Ermordung hat Julius Caesar der Venus Genetrix auf dem Forum Julium einen Tempel errichten lassen.

 

Umso erstaunlicher ist es, dass Kreativität heute weitgehend als männliche Domäne betrachtet wird. Zwar gibt es einige wichtige Schriften zum Thema von Frauen - und einst sogar eine Zeitschrift «Kreative Frau» -, aber wer spricht von der Kreativität einer Lehrerin, Verkäuferin, Raumpflegerin? Wer bezeichnet George Sand, Mae West, Golda Meir als kreativ?

 

Ein uraltes Thema - und unerschöpflich

 

Das schöpferische Gestalten des Menschen ist beileibe kein neues Thema. Generationen von Denkern und - seit Mitte des 19. Jahrhunderts - Forschern haben versucht, das Geheimnis zu lüften, was den Menschen zu seinen staunenswerten grossen wie kleinen Leistungen gebracht hat.

Doch auch die seit dem Zweiten Weltkrieg entfesselte Welle der Kreativitätsforschung (Abb. XIV.1) hat keine nennenswerten Aufschlüsse gezeitigt. Namhafte Autoren wie Rainer Marr und Gisela Ulmann bezeichneten sie 1980 als gescheitert resp. unbefriedigend.

 

Was brächte Differenzierung?

 

Liegt es an der mangelnden Differenzierung?

Beim Denken hat man sich daran gewöhnt, dass es ganz verschiedene Arten gibt: logisches und irrationales, wesentliches und beiläufiges, vorwärtsgerichtetes und rückwärtsgewandtes, sprachliches und bildhaftes, schweifendes und konzentriertes.

 

Ähnlich bei der Intelligenz: Da kann man soziale und praktische, verbale und visuelle unterscheiden, Rechnen und Formulieren, Merken und Raten usw. Doch auch das hat zu heilloser Verwirrung geführt. Da half auch die Zusammenfassung unter dem Modewort «Problemlösen» nichts.

 

Jedenfalls ergaben Vergleiche verschiedener Kreativitätstests, dass ihre Ergebnisse kaum zusammenhängen. Und zur Intelligenz bestehen ebenfalls geringe bis gar keine Beziehungen.

 

Vier Grundbedingungen der Kreativität: "four Ss"

 

Also muss man sich auf die vier Grundbedingungen der Kreativität selber besinnen:

            1. Spielen

            2. Staunen

            3. Seriosität

            4. Selbstvertrauen (Abb. XIV.2).

 

1. Das Spiel mit Möglichkeiten

 

Ansatzpunkt sei nochmals ein kurzer Blick zurück zu den Höhlenbewohnern. John E. Pfeiffer führt die «kreative Explosion» auf soziale Umwälzungen zurück.

Und nicht «Luxus» war das Ergebnis, sondern Kunst und technologische Innovation als bittere Notwendigkeit: Grössere Abhängigkeit von massenhafter Grosswildjagd, Bildung von Stammesgruppen mit Rangunterschieden, kultureller Austausch und Handel über grosse Distanzen bei gleichzeitigem Rückzug in dauerhaftere Siedlungen (statt auf den Hochplateaus in Tälern, an der Nähe von Flüssen, bei Furten) schufen nicht nur einen starken Druck zur Verbesserung von Werkzeugen und Waffen, sondern auch für vermehrte Planung und Kommunikation, für Information und Indoktrination, Ritual und Zeremoniell, kurz Organisation und Tradition.

Das Mittel zu deren Aufbau bot das Spiel. Instrumente dafür waren bildnerische Darstellungen und Schmuck, Musik und Tanz.

 

Der allmähliche Übergang zur Sesshaftigkeit vor 5-10 000 Jahren brachte den Menschen aber bereits erstmals unter Stress. Zog er vorher als Sammler und Jäger in den Gefilden herum, wurde er nun in dörflichen Siedlungen - und später in befestigten Städten (zuerst Jericho, um 8000 v. Chr.) - zum Tier- und Pflanzenzüchter, Hirten und Bauern, Handwerker und Händler.

Seit etwa 8000 Jahren finden sich auch kleine Modelle, vor allem Häuser oder Tempel darstellend, später dann sogenannte "Schreine" mit kleinen Figürchen und Bestattungsurnen (Ossuarien) in Hausform. Die ältesten Kinderspielzeuge, die man gefunden hat, sind über 6000 Jahre alt. Mit dem Aufblühen der Hochkulturen gibt es überall Spielsachen - und Modelle der verschiedensten Art.

 

Seit dieser Zeit ist auch das Methodenarsenal des Menschen weitgehend vollständig. Denn Methoden sind ja nichts anderes als Regeln für sinnvolles Verhalten, situationsadäquates Vorgehen und sachgerechten Einsatz von Mitteln. Methode ist freilich nicht alles. Damit die Entwicklung vorwärtsgeht, braucht es eben auch Phantasie und Kreativität, ständige Verbesserungen und Innovationen.

 

Manfred Eigen und Ruthild Winkler haben die Bedeutung des Spiels für die naturgeschichtliche Evolution untersucht (1975). Robert M. Fagen spürte 1981 dem «Animal Play Behavior» nach. Er kam zum Schluss: «The evolution of play mirrors the evolution of the brain. Play and a highly developed cerebral cortex go together.»

 

Im allgemeinen sind die intelligentesten Tiere, wie Primaten, Delphine und Hunde, diejenigen, die am liebsten spielen. Das Spiel ist den genetischen Mutationen in der organischen Evolution vergleichbar: Es führt zu Innovationen, zu neuen Formen der Lebensbewältigung.

 

Die «kreative Explosion» resultiert aus dem Spiel. Und worauf beruht dieses? Auf zweierlei:

  • «imitation, pretending, a measure of phantasy, the freedom to improvise, to make and break rules and create surprise»
  • «exploring, probing, examining».

 

Dem heutigen Menschen bietet die Morphologie als Methode eine wertvolle Hilfe zum Spielen: Sie erlaubt den Entwurf möglichst vieler Möglichkeiten in einer Matrix, deren freie Kombination und die anschliessende Erprobung.

 

2. Aus der Verwunderung heraus fragen

 

Auch das Staunen führt zu kreativen Ideen. Für Platon und Aristoteles war es gar die Quelle der Philosophie.

Die Verwunderung über banalste Dinge des Alltags, über natürliche und kulturelle Erscheinungen und das Verhalten der Menschen kann immer wieder zu neuen Ansätzen oder gar Einsichten führen.

Die Morphologie liefert hiefür einen ganz einfachen Fragenkatalog, basierend auf dem schlichten Wörtchen «wo?». Schon die vielschichtigen Bedeutungen der Wortkombinationen bietet Anlass zum Staunen (Abb. XIV.3).

 

Dazu heisst es in Siegfried Preisers Forschungsbericht: «Die ‹kindlich-naive› Wahrnehmung des Kreativen ist unvoreingenommen, nicht in logische oder ideologische Systeme und Stereotypen gepresst; sie ermöglicht deshalb die Überwindung von Einstellungsschranken und Denkbarrieren, die durch starre Orientierung an (pseudo-) logischen, ökonomischen, moralischen Kriterien, an Konventionen und ‹Erfahrungen› entstanden sind» (70).

 

(siehe auch die Tabelle: Gewinnung von Informationen und Ideen)

 

3. Arbeit, Einsatz und Ausrichtung auf das Gute

 

Wie immer kreatives Schaffen im einzelnen vor sich geht (Abb. XIV.4), es muss mit Seriosität verbunden sein. Seriosität heisst harte Arbeit, Einsatz aller Fähigkeiten, Nutzung von Fachwissen, Ausrichtung auf die «Idee des Guten» (Platon).

• «Genie besteht aus 99 Prozent Transpiration und 1 Prozent Inspiration», formulierte einst Wolfgang Menzel (1798-1873). Später wurde dieser Ausspruch auch Edison, G. B. Shaw und Einstein, mit anderen prozentualen Anteilen, zugeschrieben.

• Einstein selber beantwortete die Frage: «Wie wird man erfolgreich?» mit der Gleichung: «A (Erfolg) = X (Arbeit) + Y (Spiel) + Z (Maul halten).»

• Tolstoi klagte: «Die Menschen, die berufen sind, den anderen durch Geistesarbeit zu dienen, leiden immer an der Ausübung dieser Arbeit; denn die geistige Welt gebiert nur unter Schmerzen und Qualen.»

 

4. Selbstkritisches Zutrauen in die eigene Handlungsfähigkeit

 

Schon 1962 stellte der Sozialpsychologe R. S. Crutchfield fest: Am kreativsten ist, wer unabhängig zu einem eigenen Urteil gelangt, wer infolge «starker innerer Überzeugung und starken Selbstvertrauens» in der Lage ist, von den günstigen Beiträgen der Gruppe zu profitieren und die ungünstigen Beeinflussungen zu meiden. «Der wirklich unabhängige Mensch - bei dem sich kreatives Denken wahrscheinlich gut entfaltet - ist jemand, der die Gesellschaft akzeptieren kann, ohne sich selbst abzulehnen.»

 

Zu ganz ähnlichen Schlüssen hat das bislang aufwendigste Experiment im Bereich komplexer Problemlösungen, die Lohhausen-Studie (1983), geführt. Was gute von weniger guten Problemlösern unterscheidet, ist ihre Selbstsicherheit, ein «optimistisch-realistisches, selbstkritisches Zutrauen in die eigene Handlungsfähigkeit für wesentliche Lebensbereiche».

 

Wer Selbstvertrauen hat, fragt sich immer wieder: Was kann ich, und wo liegen meine Stärken? Was weiss ich, was kann ich noch in Erfahrung bringen, was lernen?

 

Der gute Problemlöser fühlt sich im Rahmen seiner subjektiven Bescheidung und objektiven Beschränkungen kompetent. Kompetenz eröffnet die Chance, sein eigenes Denken steuern zu können. Und das bedeutet vor allem: geistig Umschalten zwischen Neugier und Konzentration, zwischen divergierendem und konvergierendem Denken, Verallgemeinern und Differenzieren. Neugier bringt die Informationen, welche hernach in neue Zusammenhänge gebracht werden müssen.

 

Basis für Problemlösungen wie Kreativität bildet also emotionale Sicherheit und Stärke. Sie erlaubt das konstruktive Spielen mit Möglichkeiten und begründet die Seriosität.

 

 

 

 

Literatur zur Kreativität

 

Asimov, Isaac: Asimov's Chronology of Science and Discovery. New York: Harper & Row 1989;
dt.: Das Wissen unserer Welt. Erfindungen und Entdeckungen vom Ursprung bis zur Neuzeit. München: Bertelsmann 1991; als Goldmann TB Nr. 12475, 1993;
u. d. T.: 500 000 Jahre Erfindungen und Entdeckungen. Augsburg: Bechtermünz 1996.

Bosinski, Gerhard/Henke, Winfried: Der Neandertaler. Seine Zeit, sein Schicksal. Gelsenkirchen: Edition Archaea 1993.

Campbell, Bernard G. (Hrsg.): Humankind Emerging. 1976, 7. Aufl. 1995 (z. T. aus Material von Time-Life Büchern).

Constable, George: The Neanderthals. Time-Life International 1973;
dt.: Die Neandertaler. 1973/74; als Rowohlt Taschenbuch 1977.

Crutchfield, R. S.: Conformity and creative thinking. In H. E. Gruber, G. Terrell, M. Wertheimer (Ed.): Contemporary approaches to creative thinking. New York 1962.

Dörner, Dietrich et al. (Hrsg.): Lohhausen - Vom Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität. Bern: Huber 1983.

Eigen, Manfred/ Winkler, Ruthild: Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall. Zürich: Piper 1975, 1985.

Eranos-Tagung 1956: Der Mensch und das Schöpferische. Zürich: Rhein-Verlag 1957.

Fagen, Robert M.: Animal Play Behavior. 1981.

Fasani, Leone (Hrsg.): Die illustrierte Weltgeschichte der Archäologie. München: Südwest 1979, 2. A. 1983 (ursp. it. Mailand: Mondadori 1978).

Fester, Richard/König, Marie E. P./Jonas, Doris F./Jonas, A. David: Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau. Frankfurt: S. Fischer 1979; später Fischer Taschenbuch, 6. A. 1989.

Festinger, Leon: The Human Legacy. 1983;
dt.: Archäologie des Fortschritts. Frankfurt: Campus 1985.

Göttner-Abendroth, Heide: Die Göttin und ihr Heros. München: Frauenoffensive 1980.

Göttner-Abendroth, Heide: Das Matriarchat I. Geschichte seiner Erforschung. Stuttgart: Kohlhammer 1988.

Gowlett, John A. J.: Ascent to Civilization. 1984;
dt.: Auf Adams Spuren. Die Archäologie des frühen Menschen. Freiburg: Herder 1985.

Honoré, Pierre: Es begann mit der Technik. Das technische Können des Steinzeitmenschen und wie es die moderne Vorgeschichtsforschung enträtselt. Stuttgart 1969, als rororo Taschenbuch 1970.

Huizinga, Johan: Homo ludens. Haarlem: Tjeenk Willink 1938; Nachdruck 1974;
dt.: Homo ludens. Versuch einer Bestimmung der Spielelemente der Kultur. Basel: Akademische Verlags-Anstalt Pantheon 1938;
mit dem Untertitel: Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt 1956; 20. Aufl. 2006;
engl.: Homo ludens. A Study of the play-element in Culture. London: Routledge & Kegan Paul 1944, erneut 1949; Boston, Mass.: Beacon Press 1955; reprint London: Routledge 2000.

Koestler, Arthur: The act of creation. 1964;
dt.: Der göttliche Funke.
Bern: Scherz 1966.

Leakey, Richard E.: The Making of Mankind. 1981;
dt.: Die Suche nach dem Menschen. Wie wir wurden, was wir sind. Frankfurt a. M.: Umschau 1981.

Leakey, Richard/Lewin, Roger: Origins reconsidered. In Search of What Makes us Human. New York: Doubleday 1992;
dt.: Der Ursprung des Menschen. Auf der Suche nach den Spuren des Humanen. Frankfurt: S. Fischer 1993.

Mania, Dietrich/Dietzel, Adelhelm: Begegnung mit dem Urmenschen. Hanau (DDR): Dausien 1980.

Marr, Rainer: Innovation. In: Handwörterbuch der Organisation. 2. Aufl. 1980, Sp. 947-959.

Mühlmann, Wilhelm E.: Homo creator. 1962.

Müller-Beck, Hansjürgen/Albrecht, Gerd (Hrsg.): Die Anfänge der Kunst vor 30'000 Jahren. Stuttgart: Theiss 1987.

Neumann, Erich: Die grosse Mutter. Zürich: Rhein-Verlag 1956, 6. Aufl. Olten: Walter 1983.

Neumann, Erich: Der schöpferische Mensch. 1959.

Pfeiffer, John E.: The Emergence of Man. 1969;
4. Aufl.u. d. T.: The Emergence of Humankind. 1985.

Pfeiffer, John E.: The Emergence of Society. New York 1978;
dt.: Aufbruch in die Gegenwart.
Frühgeschichte der menschlichen Gesellschaft. Düsseldorf: Econ 1981.

Pfeiffer, John E.: The Creative Explosion. New York: Harper & Row 1982.

Preiser, Siegfried: Kreativitätsforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976.

Raudsepp, Eugene: Kreativitätsspiele für Manager. Das individuelle Trainingsprogramm zur Steigerung von Findigkeit, Wendigkeit, Originalität. München: Heyne 1994 (bereits 1985 u. d. T.: Kreativitätsspiele; amer. angeblich 1981).

Séquin, Carlo: Das Spiel - Ursprung der Kreativität. In: Standpunkte und Bemerkungen zur Kreativität in Technik und Industrie am STR-Symposium 1983. Zürich: Standard Telephon und Radio AG 1985, S. 46-52.

Sherratt, Andrew (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Archaeology. Cambridge: Cambridge University Press 1980;
dt.: Die Cambridge Enzyklopädie der Archäologie. München: Christian Verlag 1980, 69f.

Trinkaus, Erik/Shipman, Pat: The Neandertals. New York: Knopf 1993;
dt.: Die Neandertaler. München: Bertelsmann 1993.

Trüeb, Lucien F.: Das Spiel - Ursprung der Kreativität. Neue Zürcher Zeitung, 24. 9. 1986, 85.

Ulmann, Gisela (Hrsg.): Kreativitätsforschung. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1973 (darin auch Richard S. Crutchfield 1962).

Ulmann, Gisela: Kreativität. In: Handwörterbuch der Psychologie. Weinheim: Beltz, 1980, 3. Aufl. 1983, S. 238-242.

Wenke, Robert J.: Patterns in prehistory. Humankind's first three million years. New York: Oxford University Press 1980, 4. Aufl. 1996.

Wesel, Uwe: Der Mythos vom Matriarchat. Frankfurt: suhrkamp taschenbuch wissenschaft 333, 1980.

Weyh, Helmut/Krause, Patrick: Kreativität. Ein Spielbuch für Manager. Düsseldorf: Econ 1990.

White, R.: Dark Caves, Bright Visions. Life in Ice Age Europe. 1986.

Znoj, Heinz Peter: Die Evolution der Kulturfähigkeit. Beiträge zu einer Kritik des ethnologischen Kulturbegriffs. Bern: Peter Lang 1988.

 

Siehe auch:   Wer bestimmt, was "kreativ" ist?

                        Zwischen Lust und Verlust: das Spiel

                        Literatur: Kreativität/ Schöpferkraft/ Phantasie

 

 

XVII. Griechische Werbe-Morpho-Logie

 

Die Werbe-Morpho-Logie nahm ihren Anfang im klassischen Griechenland, also vor etwa 2500 Jahren. Da visuelle Kommunikation noch nicht so aufdringlich war wie heute, vertraute man auf die Macht des Wortes. Die Kunst, sie zu handhaben, heisst Rhetorik.

 

Schon lange hatte es politische Reden und Nekrologe gegeben, die es mit der Wahrheit nicht immer so genau nahmen - oder genauer: deren Meisterschaft gerade in dem bestand, was nicht gesagt wurde.

Als die Rechtssprechung in der attischen Demokratie immer mehr von Volksgerichten statt von Beamten ausgeübt wurde, entwickelte sich die Rhetorik seit 450 v. Chr. zur "techne", zur lehrbaren Kunst (Abb. XVII.1).

 

Bezahlte Redelehrer: die Sophisten

 

Wenn etwas lehrbar ist, ernennen sich bald kluge Köpfe zu Lehrern. Die ersten, die auf diese Weise Geld machten, waren die Sophisten. Wir würden sie heute als Pragmatiker und Rabulisten bezeichnen; sie wirkten als hemdsärmelige Problemlöser und pfiffige Wortverdreher.

 

Von den ersten Sophisten sind nicht viel mehr als ein paar Aussprüche bekannt, etwa von Parmenides:

 

• Der Mensch ist das Mass aller Dinge.

• Über jede Sache gibt es zwei einander entgegengesetzte Meinungen

• Es gilt, die schwächere Meinung zur stärkeren zu machen.

• Über die Götter können wir nichts wissen.

 

Gorgias erregte Aufsehen mit seiner dreifaltigen Behauptung:

 

1. Es gibt nichts.

2. Auch wenn es etwas gäbe, würden wir es nicht sehen.

3. Auch wenn wir es sähen, könnten wir nicht davon reden.

 

Während Protagoras - wie kurz darauf Sokrates und später Aristoteles - wegen Gottlosigkeit verurteilt wurde, erreichte Gorgias hohes Ansehen und ein Alter von angeblich 109 Jahren. Sein Schüler Isokrates brachte es auf 98 Jahre.

 

Emotionale und zielgruppenspezifische Ansprache

 

Gorgias hat der Gelegenheitsrede besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hätte es damals schon Werbekampagnen gegeben, wäre er sicher auch darin ein Meister gewesen, hat er doch folgendes eingeführt:

 

• die emotionale Beeinflussung des Adressaten durch Erregung von Affekten (pathe)

• die Figurenlehre (schemata), d. h. die Verwendung sprachlicher Schemata, z. B. straffe Antithesen der Worte und Gedanken; parallel gebaute kurze Sätze mit reimähnlichem Effekt und oft annähernd gleicher Silbenzahl

• die Lehre vom Kairos, d. h. der Berücksichtigung von Zeit, Ort und Umständen des Kommunikationsgeschehens

• die Theorie vom Prepon, d.h. die Anpassung von Charakter und Stil der Rede an den Typus des jeweils Redenden oder an die Eigenarten der Zuhörer.

 

Der erste und letzte Punkt wird seit der grossen "Rhetorik" von Aristoteles (um 350 v. Chr.) als "Ethos und Pathos" zusammengenommen, wobei  Ethos die Haltunq des Redenden bedeutet, der weiss und beachtet, was der Hörer als schicklich (prepon) oder unpassend empfindet.

Dabei können drei Aspekte unterschieden werden:

  1. ein auf die Psychologie des Hörers abgestimmtes, analysierendes, differenzierendes (objektives) Ethos (prepon),
  2. ein subjektiv-dynamisches Ethos, das der Rede selber als einem lebendigen Organismus eine gewisse ethische Dynamik verleiht und sich vielfach mit dem Pathos berührt (Redegewalt, Vehemenz des Ausdrucks),
  3. ein Ethos, das auf das moralische Prestige des Sprechenden abzielt und ihn als braven, massvollen Charakter, als Biedermann erscheinen lässt.

 

Morphologischer Kasten der Stereotypen

 

Alle künstlichen Beweismittel wie Ethos und Pathos, freies Argumentieren und Illustrieren werden durch praktische Anweisungen erschlossen. Diese werden als eine Art von Gedankenreservoir in Form von Sammlungen ausgewählter und übersichtlich angeordneter Topoi (loci), Schubfächern vergleichbar, zur Verfügung gestellt.

Fritz Zwicky bezeichnete 1946 seinen "morphologischen Kasten" genau so als "file cabinet" oder "chest of drawers".

 

Im Rahmen des Suchens und Auffindens der Hauptgesichtspunkte für die rednerische Argumentation - Heuresis oder Inventio genannt - wird dieser Kasten (Abb. XVII.2) auf seine Inhalte abgefragt. An jedem Ort (topos) sind Phantasiebilder der Merkgegenstände (eidola, imagines) gespeichert; wir würden heute von Stereotypen sprechen.

Solche Versatzstücke kennen wir alle: das dumme Blondchen oder der tough guy, Landschaften und Interieurs, Schlüsselreize und -wörter, Sprachschablonen und Symbole.

Dass dies schon in der Antike gang und gäbe war, zeigen folgende Visualisierungen:

 

• Wein kaufen = Weinfass mit Geldbeutel,

• Tapferkeit = Bild des Helden Achilles.

 

Überredung durch Wortgeklingel und Spielerei

 

So bestechend dieses Verfahren aussieht, so gross sind die Gefahren, besonders wenn man das Gefundene - Heureka! - noch in eine gefällige Form bringt und sorgfältig schmückt:

 

1. Die Tendenz läuft auf Überredung (peitho, persuasio) hinaus, statt auf Überzeugung.

2. Die Form wird wichtiger als der Inhalt; die Argumentation kann zum Wortgeklingel, der "schöne Ausdruck" zur blossen Effekthascherei werden.

3. Wer das Handwerk der Rhetorik (die techne) geübt hat und beherrscht, droht in Routine oder Traditionalismus zu erstarren; das Verfahren wird zur belanglosen Spielerei, zum kunstlosen Betrieb.

 

Fast alle Dialoge Platons sind eine scharfe Auseinandersetzung mit den Sophisten. Er schimpft sie Opportunisten, die sich dem Trend oder der vorherrschenden Meinung (consensus ommnium) anpassen. Ihr Wollen geht auf den grösstmöglichen Erfolg, nicht auf ein höheres Ziel wie etwa die "Gesundheit der Seele", das Richtige, Gute, Wesentliche.

 

Wesenserfassung erfordert Fachkenntnis

 

Platon stellt also einen doppelten Absolutheitsanspruch:

 

1. Der herzustellende Gegenstand (Text, Rede, Bild) muss der "Idee des Guten" verpflichtet sein.

2. Zur Bestimmung des konkreten Gehalts bedarf es einer genauen Kenntnis des zu behandelnden Bereichs (Branche, Produktpalette).

 

Zu diesem Behuf ist eine Analyse der verwendeten Elemente auf ihr Wesen (eidos) hin nötig. Erst dann können sie nach den "Regeln der Kunst" organisch zusammengefügt werden, in wesenhafte "Gestalt" (ebenfalls eidos) übergeführt werden (Abb. XVII.3).

Das ist nichts anderes als das Programm der Morphologie, sofern sie nicht bloss als formalistische Schematik oder mechanische Kombinatorik aufgefasst wird.

 

Ein wunderschönes werbe-morphologisches Beispiel gibt Platon im Dialog "Phaidros" (Abb. XVII.4), von Hermann Glockner (1958) als "Werbedialog" für die Ideenlehre bezeichnet.

 

Wer den Leuten etwas beibringen oder verkaufen will, muss sowohl die Leute kennen als auch die Möglichkeiten der Rede und Ansprache. Diese beiden Dimensionen lassen sich in einer Matrix zusammenstellen: die Klaviatur der Rhetorik (oder Werbung) wird den Typen von Adressaten gegenübergestellt (Abb. XVII.5).

Das klingt einfacher als es ist, denn die Fragen bleiben bis heute:

 

1. Welches sind die wesentlichen Arten (Typen) von Menschen und Beeinflussungsmitteln?

2. Woher weiss ich, "was für ein Mensch durch was für Reden überzeugt wird"?

 

Bunte Reden für bunte Seelen

 

Antje Hellwig hat diesen Fragen eine 350seitige Dissertation (1970) gewidmet. Sie kommt zu einer etwas einfacheren Matrix als der gezeichneten, indem sie einfachen und bunten Seelentypen ebensolchen Redetypen gegenüberstellt.

 

• Einfache Seelen sind edle Menschen, bei denen der obere (vernünftige) Seelenteil die Kräfte der beiden andern Teile auf eine Bahn lenkt.

 

• Bunte Seelen beruhen dagegen auf einem Übergewicht der vielfältigen und divergierenden Strebungen der unteren Seelenteile; sie jagen bunten Freuden nach und benehmen sich ungebührlich gegenüber dem oberen Seelenteil, sodass die eine Richtung aller Kräfte nicht gefunden ist.

 

• Der einfachen Seele ist eine einfache Rede (logos!) angemessen, diejenige der Wahrheit. Seelen, die auf dem Weg zur Wahrheit sind (Philosophen), kann mit dialektischem Gespräch oder dem Mythos geholfen werden.

 

• Für bunte Menschen aber braucht es einen bunten Logos, also einen, der in Ton, Stil und Aussageform wechselt. Hiefür muss der Redner die einzelnen rhetorischen Mittel kennen. Ihre Auswahl, richtige Mischung und situationsgerechte Anwendung (kairos) macht den Könner aus.

 

• Damit ist auch das Problem der Massenkommunikation gelöst. Da alle nicht-philosophischen Menschen, und das sind die meisten, eine bunte Seele haben, kann man sie mit bunten Reden fangen. Allerdings sollten diese, nach Platon, stets auf das Gute abzielen, sonst sind sie blosse "Schmeichelei".

 

 

Literatur zur Sophistik und Rhetorik

 

Wichtig:

Jörg Kube: TEXNH und APETH. Sophistisches und platonisches Tugendwissen. Diss. Frankfurt 1965; Berlin: De Gruyter 1969.

Antje Hellwig: Untersuchungen zur Theorie der Rhetorik bei Platon und Aristoteles. Diss. Bonn 1970; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1973.

Carl Joachim Classen (Hrsg.): Sophistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976.

Lexikon der Antike. Zürich: Artemis 1965; später auch bei dtv.

 

Ferner:

Vinzenz Buchheit: Untersuchungen zur Theorie des Genos Epideiktikon von Gorgias bis Aristoteles. 1960.

George A. Kennedy: The art of persuasion in Greece. Princeton, N. J.: Princeton University Press 1963 (nur Rhetorik).

Helmut Kuhn: Sokrates. Ein Versuch über den Ursprung der Metaphysik. 1934, 2. Aufl. 1959.

Friedrich Solmsen: Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik. 1929.

Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. 1949, 7. Aufl. 1982

Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. 2 Bde 1960, 2. Aufl. 1973.

Frances A. Yates: The Art of Memory. 1966.

Max Dessoir. Die Rede als Kunst. 1939, 2. Aufl. 1948.

Eino Mikkola: Isokrates. 1954, 1959.

W. K. C. Guthrie: The Sophists. 1971.

Werner Kroll: Rhetorik. 1937 (auch in RE, Suppl. 7)

Josef Martin: Antike Rhetorik. Technik und Methode. 1974.

Werner Eisenhut: Einführung in die antike Rhetorik und ihre Geschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974.

 

H. A. Koch: Homo mensura. Studien zu Protagoras und Gorgias. Diss. Tübingen 1970.

Herwig Blum: Die antike Mnemotechnik. Diss. Tübingen 1964; Hildesheim: Olms 1969.

Mario Untersteiner: I sofisti. 2 Bd. 1949; engl. 1954.

Eugène Dupréel: Les sophistes. 1948.

Konrad Gaiser: Protreptik und Paränese bei Platon. 1959.

Aristoteles: Rhetorik. München: Fink 1980 (UTB 159).

 

Siehe auch:

A. Vukovich: Redefiguren (I. und II.). Psychologie heute, 10, 1975, 50-54 und 11, 1975, 51-54.

A. Vukovich: Der rhetorische Forschungsansatz in der Kommunikationspsychologie. In W. H. Tack (Hrsg.): Bericht über den 30 Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Regensburg 1976, I. Göttingen 1977, 157-166.

L. Fischer: Naturzauber, warenwirtschaftlich und poetisch. Prospekt der Analyse eines Stückes aktueller Topik. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik VIII/2, 1976, 49-76.

Josef Kopperschmidt: Allgemeine Rhetorik. Einführung in die Theorie der persuasiven Kommunikation. Stuttgart 1973.

Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik; Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971, 10. Aufl. 1990.

Axel Bänsch: Verkaufspsychologie und Verkaufstechnik. Stuttgart: Kohlhammer 1977; 7. Aufl. 1998.

Dieter Breuer, Helmut Schanze: Topik. München: Fink 1981;
darin u. a. Siegwart Berthold: Der Topos von der falschen Freundlichkeit der Verkäufer, 213-229.

 

 

 

XIII. Aktivieren - aber wie?

 

Nicht jeder entblösste Busen hat eine aufreizende Wirkung. Das wussten einige schon lange. Nun hat aber Herr Meyer die Sache wissenschaftlich untersucht. Sein Bericht erschien in der hervorragenden Reihe "Konsum und Verhalten" (Abb. XIII.1).

 

Der akademische Lehrer von Herrn Meyer, Werner Kroeber-Riel, hat 1975 das psycholgische Aktivierungskonzept in die Marketingforschung übertragen.

 

Damit ein potentieller Konsument in der täglich auf ihn einströmenden Reizflut überhaupt eine Anzeige beachtet, muss sie so gestaltet sein, dass sie Aufmerksamkeit erregt (Abb. XIII.2). Das ist eine der ältesten Erkenntnisse und Forderungen sowohl der Werbepraxis wie auch der Werbeforschung.

 

Mit Aktivierung die Konkurrenz aus dem Feld treiben

 

• "Das Aktivierungspotential von Anzeigen hat grosse Bedeutung für die Aufnahme und Verarbeitung des Anzeigeninhalts und damit für den Werbeerfolg."

• "Je stärker eine Anzeige aktiviert, desto intensiver (aufmerksamer) wird sie aufgenommen und verarbeitet und desto besser wird sie folglich erinnert."

• Konkrete Forschungsergebnisse sind: Stärker aktivierende Anzeigenversionen werden länger betrachtet.

• Eine stark aktivierende Anzeige erzielte bereits nach einem Werbekontakt einen um 58% höheren Erinnerungswert (aided recall) als die schwach aktivierende.

• Eine schwach aktivierende Anzeige erzielte selbst nach fünfmaliger Schaltung noch nicht den Erinnerungswert, den die stark aktivierende Anzeige schon nach einer einzigen Darbietung erreicht hatte.

• Die Aktivierungswirkung von Anzeigen im Zeitverlauf bleibt annähernd konstant, nutzt sich also nicht ab (wear out).

 

 

Werner Kroebel-Riel folgert daraus handfeste Vorteile für den Werber:

  • Je stärker eine Anzeige aktiviert, desto grösser ist ihre Chance, sich gegen Werbekonkurrenz durchzusetzen und beachtet zu werden.
  • Aktivierende Werbung kann die Streukosten erheblich senken.

 

Bessere Chancen für kreative Werbung

 

Herr Meyers Hinweise lassen die Herzen der Werber noch höher schlagen:

• Viele kreative Entwürfe fallen in Pretests häufig durch. Dies weil in vielen der zur Zeit angebotenen Pretestverfahren aus Mangel an aktivierungstheoretischen Kenntnissen die Bedeutung der Kreativität zu gering eingeschätzt wird. "Man sieht offensichtlich nicht, dass Kreativität, Originalität, Neuartigkeit usw. grossen Einfluss auf das Aktivitätspotential der Werbung haben können."

• Der Einsatz von gültigen Messverfahren zur Bestimmung des Aktivierungspotentials - Messung des Hautwiderstands bei Betrachten von Anzeigen (allerdings aufwendig) und Farbzuordnungsverfahren - bieten kreativer Werbung bessere Chancen, sich bei der Agentur wie beim Auftraggeber durchzusetzen.

 

Formale und inhaltliche Verknüpfung zur Ganzheit

 

Die Sache mit der Aktivierung hat freilich mehrere Haken.

 

1. Die Anzeige muss eine Ganzheit bilden. Man erinnert sich an die Morphologie (= Lehre von der Gestalt oder Ganzheit). Da eine Anzeige aus mehreren Elementen besteht, müssen diese zu einer "gedanklichen Einheit" zusammengefügt werden.

"Es hängt von der Gesamtgestaltung der Anzeige ab, ob auch die Verarbeitung der zugleich dargebotenen Textinformationen (z. B. Slogan, Produkt- und Markennamen) davon profitiert - oder ob sie sogar Schaden nimmt."

"Eye catcher" können ablenken, und zwar vor allem gedanklich: Der Blick des Betrachters wandert zwar auch zum Text, die Gedanken aber bleiben beim Blickfang.

 

Die Anzeigenelemente müssen also formal (z. B. durch Nähe oder auffälligen Zusammenhang) oder durch inhaltliche Verknüpfungen zusammengebracht werden. Als Beispiel, worin beides gelungen ist, zeigte Kroeber-Riel das Bild einer liegenden Bikinischönheit (90-58-92), über deren Konturen die Headline lautet: "Das Leben verläuft nun mal in Kurven." Der darunter stehende Anzeigentext knüpft mit dem Titel an: "Auch bei Aktien" (erschienen im Spiegel, 22/1975; Abb. XIII.3).

 

Emotionales und Informatives hineinverarbeiten

 

2. "Aktivierung ist stets nur eine notwendige Voraussetzung, aber keine hinreichende Bedingung für den Werbeerfolg."

Werbung mit wenig Aktivierungskraft hat geringe Wirkungschancen. Besteht aber hohe Aktivierung, dann müssen noch emotionale und informative Elemente eingebaut werden. Kroeber-Riel gibt hiefür zahlreiche Müsterchen:

 

a) emotionale Techniken

• Suggestion von Freiheit oder Glaubwürdigkeit

• wiederholtes, gleichzeitiges Darbieten von Marken- oder Produktnamen resp. -symbolen mit stark positiven, angenehmen Reizen (Erotik, soziales Glück, Genuss, Landschaft)

• Appell an soziale Bedürfnisse (Gruppenzugehörigkeit, Akzeptanz oder Prestige) durch Darstellung attraktiver Bezugspersonen oder -gruppen.

 

b) informative Techniken

• Produkteigenschaften mit Substantiven ausdrücken (z. B. "Sparautomatik")

• Verwendung von Schlüsselwörtern oder Sprachformeln, die bestimmte Sachvorstellungen oder Gefühlsempfindungen erzeugen

• versteckte Wertungen oder Schönfärbungen

• Verwendung bildhafter Wörter, die besser erinnert werden

• zweiseitige Argumentation (d. h. Darstellung auch von Gegenargumenten), die Überzeugungs- und Immunisierungswirkung hat

 

Sujet und Argumentation auf Werbeziel ausrichten

 

3. Die Anzeige muss einen Kaufwunsch auslösen. Gerade bei stark aktivierenden Anzeigen sind die informativen Wirkungen, insbesondere das Verständnis der Argumente, sorgfältig zu prüfen.

"Je stärker eine Anzeige aktiviert, desto wichtiger ist es, dass ihre Argumentation im Sinne des Werbeziels verstanden wird."

 

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Schon bei einem Pretest kann man sich nicht darauf beschränken, lediglich die Aktivierungskraft einer Anzeige zu beurteilen.

Die Frage ist nur: Wie können die emotionalen und informativen Wirkungen der Werbung gemessen und anhand des Werbezieles beurteilt werden? Durch Tests, die von geschulten Fachleuten durchgeführt werden.

 

Wer liegt falsch und ist dumm?

 

Hart ins Gericht mit Kroeber-Riel geht Frau Heller (1984). Sie bezeichnet seine Theorie schlicht als falsch. "Eindeutig falsch da, wo sie sich auf naturwissenschaftliche Modelle bezieht, Modelle einer ebenso hoffnungslosen wie antiquierten vordarwinistischen Theorie. Ebenso hoffnungslos ist das Konzept, den emotionalen Gehalt irgendwelcher Bilder auf irgendwelche Produkte übertragen zu können. Derartige Irrtümer werden auch durch das aufwendigste technologische Instrumentarium nicht richtig und die Defizite dadurch nicht geringer."

 

Dem werden Naturwissenschafter wie psychologische Forscher entschieden widersprechen. Und die praktische Erfahrung, samt Umsatzzahlen, sprechen wohl auch eine andere Sprache. Man denke nur an: "Marlboro - Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer."

 

Dennoch schliesst Frau Heller ihre Philippika mit dem Satz: "Für die Verbraucher bleibt ein Trost: Die einzigen, denen die Manipulationsstrategien schaden können, sind die Unternehmer, die bereit sind, für diese Erkenntnisse Geld auszugeben."

 

Bedauerlich, dass sie Kroeber-Riels bedenkenswerte Erörterungen zum Unterschied von Manipulation und Verhaltenssteuerung (1982) nicht zur Kenntnis genommen hat.

 

Unergiebige Ergebnisse für den Praktiker

 

Immerhin bestätigen manche Laborbefunde von Herrn Meyer solche Bedenken.

1. Je nach Messverfahren erhält man andere Ergebnisse, die zum Teil miteinander überhaupt nicht zusammenhängen. Der Psychologe schliesst daraus, dass "Antworten bewusst verfälscht werden".

2. Manche Zusammenhänge werden gar nicht untersucht.

3. Durch geschickte Datenauswahl lässt sich fast jede Hypothese beweisen.

4. Zahlreiche Erkenntnisse sind für den Praktiker unbrauchbar, da sie unter bestimmten Rahmenbedingungen ("wenn - dann") formuliert werden.

 

Wie rätselhaft manche von Herrn Meyers Entdeckungen sind, mögen einige Beispiele zeigen:

 

• "Objektiv" langweilige Bilder sind z. B. eine Zahnbürste in einem Glas, ein Blumenmuster auf Plättchen, übereinandergelegte Hände. Sie werden einhellig auch als langweilig eingeschätzt. Aber alle drei Bilder wurden von Männern als (für Männer) sozial negativ, d.h. unerwünscht eingeschätzt. Die Hände werden von Frauen dagegen sehr positiv eingeschätzt, die beiden andern Sujets neutral.

 

Vorsicht Kinder!

 

• Anzeigen mit kleinen Kindern zeigen ganz unterschiedliche Effekte. Die eine Dreiergruppe (weiss, gelb und schwarz) einer Hoechst-Anzeige erzeugte höchste objektive wie subjektiv eingeschätzte Aktivierung, aber niedrige Erwünschtheit (sehr tief bei Frauen).

Dieselben Kinder auf einer andern Anzeige derselben Firma zeigten ein niedriges tatsächliches Aktivierungspotential, aber eine hoch eingeschätzte Aktivierungswirkung und hohe soziale Erwünschtheit bei Frauen, neutrale bei Männern.

Auf höchste Erwünschtheit (vor allem bei Frauen) stiess ein Bébé. Sein Anblick liess Männer kalt, erregte aber Frauen aufs höchste; die eingeschätzte Aktivierung war ebenfalls sehr hoch.

 

Mund und Augen schlagen "Action"

 

• Ein Töffahrer, der durchs Flammenmeer rast, löste nur mässige Aktivation (auch bei Männern) aus, wurde aber als höchst aktivierend eingeschätzt. Frauen betrachteten ihn als neutral, Männer als sozial höchst erwünscht.

 

• Ein offener, geschminkter Frauenmund in Nahaufnahme aktiviert hoch, ein aufgerissenes Augenpaar, aus dem Dunkel hervorgehoben, noch höher. Die subjektive Einschätzung deckt sich damit, ist aber jeweils noch höher. Das soziale Potential dieser Bilder ist neutral, allerdings beurteilen Männer den Mund positiver, die erschreckten Augen negativer als Frauen.

 

Kein-Busen-Wunder

 

• Erstaunliches offenbarte die Betrachtung nackter Busen. "Objektiv" wurden Männer und Frauen gleich erregt: bei zwei Bildern (A und C) aber nur mittel - deutlich weniger als durch den Mund oder die erste Dreiergruppe von Kindern -, bei zwei andern dagegen aufs höchste (B), ja sogar über alle Massen (D).

Das eingeschätzte Aktivierungspotential lag freilich bei allen vier Bildern auf etwa derselben Höhe (recht hoch).

Männer bezeichneten alle vier Bilder als sozial "neutral" (Bild B in Richtung negativ, die andern in Richtung positiv); Frauen waren begeistert von Bild A, stuften aber Bild C als unerwünscht und B und D als äusserst unerwünscht ein - wie die erste Kindergruppe.

 

Jetzt braucht es nur noch einen Zauberkünstler, der diese Resultate für den Praktiker interpretiert.

 

 

Literatur zur Aktivierung

 

Claus-Dieter Barg: Messung und Wirkung der psychischen Aktivierung durch die Werbung. Dissertation Saarbrücken 1977.

Eva Heller: Wie Werbung wirkt: Theorien und Tatsachen. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag 1984, S. 55-74.

Werner Kroeber-Riel: Konsumentenverhalten. München: Vahlen 1975 (438 Seiten),
3. wesentlich erneuerte und erweiterte Auflage 1984 (760 Seiten).

Werner Kroeber-Riel, Gundolf Meyer-Hentschel: Werbung. Steuerung des Konsumentenverhaltens. Würzburg: Physica-Verlag 1982. Reihe "Konsum und Verhalten", Band 1.

Rolf-Michael Wimmer: Wiederholungswirkungen der Werbung - eine empirische Untersuchung zur Auswirkung von Kontaktwiederholungen bei emotionaler Werbung. Dissertation Saarbrücken 1979.

Dieter Witt: Blickverhalten und Erinnerung bei emotionaler Anzeigenwerbung - eine experimentelle Untersuchung mit der Methode der Blickaufzeichnung. Dissertation Saarbrücken 1977.

Gundolf Meyer-Hentschel: Aktivierungswirkung von Anzeigen. Würzburg: Physica-Verlag 1983. Reihe "Konsum und Verhalten", Band 6.

Wolfgang Krauss: Insertwirkungen im Werbefernsehen. Eine Untersuchung zum "Mainzelmänncheneffekt". Dissertation Saarbrücken 1981; Bochum: Brockmeyer 1982.

 



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