Platon: Die richtige Mischung der Elemente einer Rede zu einem organischen Ganzen
Voraussetzungen allgemein
1. Die Bestimmung eines Gegenstandes umfasst zugleich sein Wesen und seine Funktion (aktiv als Wirksamkeit; passiv als Beeinflussbarkeit) sowie seine typische Form.
2. Das Wesen einer Sache erfüllt sich in ihrer Wirksamkeit. Oder: Im Wesen der Sache liegt der Grund für alles, was von ihr ausgesandt wird.
3. Zur Herstellung eines Gegenstandes braucht es Wissen und Methode.
4. Zur Bestimmung des konkreten Gehalts bedarf es einer genauen Kenntnis des zu behandelnden Bereichs.
5. Der herzustellende Gegenstand muss der "Idee des Guten" verpflichtet sein; er muss auf die "Gesundheit" der Seele oder des Leibes abzielen.
6. Mittel zur Bestimmung des Gegenstandes ist die dialektische Methode. Ihre Anwendung ergibt zweierlei: a) Erkenntnis des Gegenstandes b) Herstellung oder Darlegung des Gegenstandes.
7. Die Beherrschung der Dialektik erfordert scharfe Beobachtung des wirklichen Lebens und den Blick aufs Ganze.
8. Dialektik besteht im Wechselspiel von Aufteilung eines Gegenstandes (Thema, Bereich) in seine Teile (Aspekte, Parameter; nicht: Einzelteile) und ihre Zusammenfügung in eine organische Ordnung.
9. Das sind die "Regeln der Kunst", die sich aus der "Natur der Sache" ergeben.
Anforderungen an eine Rede
1. Der Mensch (resp.
die Seele) ist ein Ganzes, aber aus Teilen zusammengesetzt. Als
solches kann er nur zum Handeln - beispielsweise zum Kaufen -
bewegt werden, wenn er sowohl als Ganzes wie in seinen Teilen
angesprochen wird. Wenn die Rede (der Logos) auf die Seele
wirken soll, muss sie also selber ein Ganzes sein, das in Teile
gegliedert ist.
2. Hiefür ist eine vorgängige Analyse des Gegenstandes nötig. Erst aus dieser Kenntnis kann die der Sache angemessene Ordnung für die Rede selbst hergestellt werden.
3. Allein der Gedankengang (Aussage, Botschaft) verleiht der Rede ihre organische Einheit, z. B. · Definition der Sache · Wirkungen und Beeinflussbarkeiten der Sache · Zusammenfassung und Schluss.
4. Dieses Ideal des Aufbaus ist immer gültig. Aber je nach Hörer sind Modifikationen im einzelnen möglich und notwendig.
5. Die Form der Rede (des Ganzen) muss dem Gehalt (Aussage, Botschaft) entsprechen.
6. Alle einzelnen Teile müssen in einem inneren Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang ist zweifach: · Die Teile müssen im richtigen Verhältnis zueinander stehen · Die Teile müssen im richtigen Verhältnis zum Ganzen stehen.
7. Das Ganze muss vollständig sein. D. h. es braucht eine Fülle von Argumenten, z. B. durch Aufspaltung der Komplexität des Gegenstandes.
8. Das Ganze muss abgeschlossen sein.
9. Das Kairos ist zu wahren. D. h. auf Zeit, Ort und Umstände der Rede ist Rücksicht zu nehmen. Das kann insbesondere geschehen durch: · Eingehen auf die persönlichen Neigungen der Gesprächspartner, Erzeugung von Wohlwollen (captatio benevolentiae) · Berücksichtigung von äusseren Faktoren wie politische Umstände, Naturereignisse und Bräuche, aber auch von erwarteten und unerwarteten Reaktionen der Hörer während des Vortrags ·
Berücksichtigung des Denk- oder
Erkenntnisvermögens der Hörer, z. B. durch
Dr. phil. Roland Müller,
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