"Phaidros" 271-272
"Da die Kraft der Rede eine Seelenleitung ist, so muss derjenige, der ein Redner werden will, notwendig wissen, wie viele Arten die Seele hat. Deren gibt es also so und so viele und so und so beschaffene, daher auch die Menschen einige so, andere so beschaffen sind. Nachdem aber nun dieses eingeteilt worden ist, gibt es andererseits auch so und so viele Arten von Reden, und jede so oder so beschaffen. Die so beschaffenen Menschen sind nun durch die so beschaffenen Reden aus der so beschaffenen Ursache zu den so beschaffenen Zwecken leicht zu bereden, - die so beschaffenen aber sind aus diesen Gründen schwer zu bereden.
Hat er nun dies gehörig begriffen, so muss er, wenn ihm in der Folge zur Anschauung kommt, wie eben dasselbe im wirklichen Leben ist und in Wirkung gesetzt wird, es mit scharfer Beobachtung verfolgen können; wo nicht, so wird er auch noch nicht mehr davon wissen als die Reden, die er einst als Schüler gehört hat.
Wenn er aber gehörig zu sagen weiss, was für ein Mensch durch was für Reden überzeugt wird, auch imstande ist, sooft ihm ein solcher vorkommt, ihn genau zu erkennen und sich selbst deutlich zu machen, dass er dieser sei und dass dieselbe Natur, von welcher damals die Reden handelten, in der Tat ihm nun gegenwärtig sei, jene nämlich, bei welcher gerade diese Reden auf diese Art zur Überzeugung über diese Gegenstände angewendet werden müssen, - wenn er also dieses alles schon inne hat und damit nun noch die Erkenntnis der Zeit, wann geredet und wann inne gehalten werden müsse, verbindet, wenn er ferner für das Kurzreden und die Sprache des Mitleids und der Steigerung, überhaupt für alle Redearten, die er etwa gelernt hat, die rechte Zeit und die Unzeit zu unterscheiden weiss, dann erst ist seine Kunst in schönem und vollkommenem Masse ausgebildet."
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