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                    Teil 1: Grundsätzliches zu Werbung, Marketing und Mensch

 

Serie für die Werbe-Woche

10.6.1985 - 19.10.1987

(daraus die Beiträge III+IV und XIV

im Sammelband "Innovation gewinnt", 1997)

 

hier sind die Beiträge neu gruppiert

sowie durch einige Notizen, Abbildungen und Literaturangaben ergänzt worden

 

 

siehe auch:    Literatur Werbung und Werbepsychologie (1874-2002)

                        Literatur Marketing und Marktpsychologie (1899-1999)

                        Morphologie

 

 

Gesamtübersicht

 

Teil 1: Grundsätzliches zu Werbung, Marketing und Mensch

 

I. Aber das ist ja ganz morphologisch!

Dazu Abb. I.1: Das werberelevante Ganze

 

II. Der Werbeberater als Chancen-Manager

Dazu Abb. II.1: Zur Problemfindung - 12 Fragen an den Auftraggeber

 

III + IV. Die "four P's" der Werbung

1. Philosophie

2. Positionierung

3. Profilierung

4. Präsentation

Dazu Abb. III.1: Der Ort der Werbung im Unternehmen

Abb. III.2: Bedeutung der Präsentation

Abb. III.3: Philosophie (policy)

Literatur zu "die "four P's" der Werbung"

 

V. Märkte segmentieren für gezielte Werbung

Dazu: Abb. V.1: Aus Ganzheiten eine Matrix bilden

Abb. V.2: Robert Exner: Zielgruppenspezifische Ansprache (1891)

Abb. V.3: Produkt/Markt-Morphologie: Beispiele

Abb. V.4: Tony Kellen: Direct Mail (1898)

Abb. V.5: Einige Märkte (1982)

 

VI. Die Tiefendimension: Strategische Werbeeinheiten

Dazu Abb. VI.1: Strategische Werbeeinheiten

Abb. VI.2: Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse für Marketing und Werbung

Abb. VI.3: Was ist verhaltenswirksam?

 

VII. Wo hakt Werbung ein?

Dazu Abb.VII.1: Bedarf und Bedürfnis

Abb. VII.2: Universalien: Gemeinsamkeiten der menschlichen Natur

Abb. VII.3: Strebungen zwischen Bedürfnis und Bedarf

Abb. VII.4: Basic Needs (Abraham H. Maslow 1943); Human Needs System (Carlos A. Mallmann 1979)

Abb.VII.5: Walter Bodmer: Sozial und ordnungspolitisch relevante Triebe und Ihre Folgen

Abb. VII.6: morphologischer Kreis - Motivation

 

VIII. Das Wechselspiel der Strebungen

Dazu Abb. VIII.1: Ansatzpunkte für die Werbung: Polare Strebungen

Abb. VIII.2: Walter Bodmer: Unterschiede Tier - Mensch

 

Teil 2: Typologien, Polaritäten

 

IX. Menschentypen: von aussen abgestempelt oder innerer Säfte-Mix?

Dazu Abb. IX.1: Die vier Temperamente nach Hippokrates

Abb. IX.2: Nicht klüger als die Alten Griechen: Hippokrates - Eysenck

Abb. IX.3: Die Figuren der Commedia dell'Arte

Abb. IX.4: Menschentypen: Frauentypen - Formtypen - Klinische Typen - Psychoanalytische Typen

Abb. IX.5: Typisierungen der Bevölkerung

 

X. Der lange Weg zu werberelevanten Typologien

Dazu Abb. X.1: Konsumententypen: Käufertypen - Verbrauchertypen - Kategorien von Übernehmern - Frauentypen - Männertypen - Naschertypen - WEMF-Typen 1983

Literatur zu Typologien

 

XI. Die Alpha-Omega-Typologie: revolutionär oder reaktionär?

Dazu Abb. XI.1: Charakterisierung der sechs Schweizer Typen von SCOPE

Abb. XI.2: : Fast eine halbe Million Schweizer Superfrauen

 

XIX. Don Quijote und Sancho Pansa

Dazu Abb. XIX.1: Einige Polaritäten

Abb. XIX.2: Kreative Polaritäten

Abb. XIX.3: Aktuelle Polaritäten

Abb. XIX.4: Die vier psychischen Grundfunktionen nach C. G. Jung

Abb. XIX.5: Der Weg des Kreativen zur Totalität im Taigitu

Literatur zu "Don Quijote"

 

XX. Der Hemisphärenfimmel

Dazu Abb. XX.1: Sally P. Springer, Georg Deutsch: Dichotomania (1985)

Abb. XX.2: Jacquelyn Wonder, Priscilla Donovan: Balancing Jobs (1984)

Abb. XX.3: Polarität und Komplementarität

Literatur zum Hemisphärenfimmel

 

Teil 3: Werbelehre, Kreativität, Werbeforschung

 

XII. Wie soll gute Werbung sein?

Dazu Abb. XII.1: Rudolf Seyffert: Allgemeine Werbelehre, 1929

Abb. XII.2: Lutz von Rosenstiel, Guntram Ewald: Marktpsychologie, 1979

Abb. XII.3: Hans Mayer et al.: Werbepsychologie, 1982

Abb. XII.4: Frühe Motivforschung und Werbepsychologie

Abb. XII.5: Zitate von Emile de Girardins (1845) und weiteren

 

XVIII. Werbung = gute Botschaft als Katalysator im Marketing-Mix

Abb. XVIII.1: Marketingziele und Werbeziele

Abb. XVIII.2: Peter F. Drucker: Unternehmensziele (1954)

Abb. XVIII.3: Bestimmungsfaktoren für Werbeziele

Abb. XVIII.4: Das handwerkliche Feld

Abb. XVIII.5: Stufen der Werbewirkung

 

XV. Die Quadratur des Werbe-Zirkels

Dazu Abb. XV.1: Kommunikations- und Markt-, Marketing- und Werbe-Partner

Abb. 0.1: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels

Abb. XV.2: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels: Dialektik

Abb. XV.3: Die quadrierte Quadratur

Abb. XV.4: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels: Absichten und Mittel

Abb. XV.5: Die grosse Quadratur im Überblick

Abb. XV.6: Die vier kleinen Quadraturen des Werbe-Zirkels

Abb. XV.7: Classification of Advertisement Illustrations

 

XVI. Die Ziele anderer als eigene Chancen

Dazu Abb. XVI.1: Matrix der Beteiligten

Abb. XVI.2: Ziel-Hierarchie gemäss St. Galler-Unternehmensmodell

Abb. XVI.3: Harmonisierung der Zielhierarchie

Literatur zu den "Zielen anderer"

 

XIV. Das Geheimnis der Kreativität

Dazu Abb. XIV.1: Die vier Bereiche der Kreativitätsforschung

Abb. XIV.2: Die vier Grundbedingungen der Kreativität

Abb. XIV.3: Morphologie der Verwunderung

Abb. XIV.4: Stephen Baker: Getting Se to Create

Abb. XIV.5: Kreativität

Abb. XIV.6: Innovation

Literatur zur Kreativität

 

XVII. Griechische Werbe-Morpho-Logie

Dazu Abb. XVII.1: Arbeitsstadien des antiken Redners

Abb. XVII.2: Kasten der Stereotypen (1533)

Abb. XVII.3: Platon: Die richtige Mischung der Elemente einer Rede zu einem organischen Ganzen

Abb. XVII.4: Platons Anweisung zur Werbe-Morpho-Logie (Phaidros)

Abb. XVII.5: Platon: Wer wird durch was überzeugt?

Literatur zur Sophistik und Rhetorik

 

XIII. Aktivieren - aber wie?

Dazu Abb. XIII.1: Gundolf Meyer-Hentschel: Aktivierungswirkung von Anzeigen, 1983

Abb. XIII.2: Werner Kroeber-Riel, Gundolf Meyer-Hentschel: Steuerung des Konsumentenverhaltens durch Anzeigen, 1982

Abb. XIII.3: Anzeige: Das Leben verläuft nun mal in Kurven.

Literatur zur Aktivierung

 

 

Eine Inhaltsübersicht als morphologische Tabelle:

Abb. 0.1: Die grosse Quadratur des Werbe-Zirkels

 

 

 

 

I. Aber das ist ja ganz morphologisch!

 

Morphologie (siehe: Morphologie in Kürze) befasst sich seit bald 200 Jahren mit Gestalten und Gestaltungsvorgängen in Natur und Kultur.

 

Natur und Werbung haben erstaunlich viel gemeinsam.

 

Wonach die Werbung sucht, das hat die Natur schon immer zustande gebracht: etwas zweckmässig zu gestalten und erfolgreich in vorhandene Beziehungen einzufügen.

 

Die Beziehungsgefüge der Natur sind Klima und Landschaft, Ökosysteme und Biotope, diejenigen der Werbung sind das Wirtschaftsleben und sein Motive, Kommunikationsformen, -mittel und -netze. Zweckmässige natürliche Gestalten sind Gemeinschaften, Organismen, Organe, Gewebe und Zellen, zweckmässige Gestaltungen der Werbung sind Werbekonzepte, -pläne und -kampagnen.

 

Kreative Natur

 

Die Natur ist ungemein kreativ - "Schöpfung" heisst ja lateinisch "creatio". Das ist auch die Werbung. Aber alle Kreativität hilft nichts, wenn das Ziel nicht erreicht wird. Über die Ziele der Natur streiten sich die Gelehrten. Die Ziele der Werbung sind leichter zu bestimmen. Gegebenenfalls kann auch der Werbeleiter beim Auftraggeber bei der Formulierung, Korrektur und Präzisierung mitreden.

 

Zur Zielerreichung braucht es Planung und Gestaltung, Produktion und Administration, Überwachung und Erfolgskontrolle. Die Morphologie sprach früher von "Bauplänen", "Formbildung" und "Organisation"; kontrolliert werden diese Vorgänge von "Entwicklungsgesetzen"; der Erfolg bemisst sich am "Überleben".

 

Wie in der Natur zählt in der Werbung nicht die Absicht, sondern das Ergebnis: Was Natur und Werbeleute erzeugen, muss funktionieren, seine Aufgabe erfüllen, und zwar bestmöglich mit geringstem Aufwand.

 

Was kann der Werber von der Morphologie lernen (siehe: Morphologie)

 

1. Ganzheitsbetrachtung

 

Werbung als Vermittlung zwischen Anbieter und Abnehmer findet nie in einem leeren Feld statt, sondern in einem vielfältigen Geflecht von vorhandenen Kommunikationssträngen und Verteilungsströmen, getragen von materiellen und seelischen Strukturen. Dazu gehören der Ruf von Hersteller, Händler und Produkt, traditionelle Beschaffungswege und -weisen des Abnehmers, Mentalitäten und Bedürfnisse, Meinungen und Vorlieben, Ängste und Sehnsüchte.

 

Die Gestaltung eines erfolgreichen Werbekonzepts erfordert daher eine dynamische Gesamtschau (Abb.I.1) von Anbieter und Angebot, Markt und Konkurrenz, Beschaffung oder Konsum - eingebettet im sozialen und politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Regelungsgeschehen der Gemeinschaft. Sogar Geographie und Klima, Jahreszeiten und Witterung gilt es zu betrachten.

 

2. Systematisches Vorgehen nach Tabellen

 

Die Verwendung von Tabellen dient zum Ordnen der Gedanken, aber auch zur Stimulierung der Kreativität.

Ordnen heisst, sich eine Übersicht über alle möglichen Faktoren, Auswirkungen und Lösungen verschaffen.

Kreativität heisst, sich von ungewohnten oder gar paradoxen Kombinationen anregen lassen. Unterstützt vom gesamten Erfahrungsschatz und Fachwissen werden so zumindest die gröbsten Denkfehler vermieden.

 

3. Verschiedene Lösungen sind möglich, aber sie müssen funktionieren

 

Morphologie führt immer wieder auf den Boden der Realität zurück. Die Natur ist zwar ausserordentlich ingeniös - man denke nur an die verschiedenen Lösungen des Problems "Sehen": Trotz unterschiedlichem Bau erfüllen das Tintenfischauge, das Insektenauge und das Auge der Wirbeltiere dieselbe Funktion.

Aber funktionieren muss die Sache. Lösungen auf dem Papier, Ideen und Gags gibt es nicht. Es kommt auf die Realisierung an, und zwar so, dass die Sache kurzfristig wie langfristig läuft, zufriedenstellend und aufgabengerecht.

 

 

 

II. Der Werbeberater als Chancen-Manager

 

Der Werberater vermittelt zwischen Kunde und Agentur, zwischen Auftrag und Realisation und - als wichtigstes - zwischen dem Problem des Kunden und den Chancen im Markt.

 

Jeder Kunde hat seine Philosophie und seinen Stil. Aber auch die Agentur hat das. Daher ist die

 

1. Aufgabe des Werbeberaters:

 

zusammen mit dem Kunden abzuklären, ob sie harmonieren.

Ist dies nicht der Fall, geschieht meist folgendes:

  • Der Kunde eliminiert die - in der Sicht der Agentur - entscheidenden Elemente der Werbekampagne.

  • Der Kunde gibt zu verstehen, er wisse besser, was ankomme.

  • Der Kunde meint, seine Idee sei einzigartig. Gebannt auf die Konkurrenz starrend möchte er sich von dieser abheben, aber nicht zuviel. Der fehlende Mut führt dann dazu, dass mehrere Marken gleichzeitig mit Surfing, Alphütten, idyllischen Landschaften oder Urwald werben.

 

Solches zu vermeiden, ist Aufgabe des Werbeberaters.

Morphologie anwenden heisst unter anderem: Suchen, was zusammenpasst. Der Kontakt zum Kunden besteht deshalb zuerst in einem Abtasten, nicht im Überzeugenwollen. Kann keine gemeinsame Basis hergestellt werden, ist es besser, NEIN zu sagen. Die Ablehnung eines gut dotierten Budgets ist zwar       schmerzlich, doch erspart sie viele Enttäuschungen - auf beiden Seiten.

 

Haben sich Kunde und Agentur auf derselben Wellenlänge gefunden, besteht die

 

2. Aufgabe des Werbeberaters

 

darin, das Problem des Kunden herauszufinden.

 

Zwar kann der Kunde sein Problem meist selber formulieren. Doch die Erfahrung lehrt, dass man sich selbst nicht immer über den wahren Kern des Problems im klaren ist. Morphologie heisst unter anderem, hinter den Erscheinungen den Grund suchen. Also hat der Werbeberater herauszufinden, wo den Kunden der Schuh tatsächlich drückt. Das muss ja nicht immer der Schuh selber sein, es kann auch an einem zu hohen Rist, an Senk- oder Spreizfüssen liegen...

 

Es gibt viele Möglichkeiten, sich an ein Problem heranzutasten.

 

a) Der Werbeberater kann dem Kunden (Auftraggeber) mit einer Reihe von Fragen (siehe untenstehend Abb. II.1) auf den Zahn fühlen. Dabei geht es nicht um eine Betriebsanalyse, sondern um Haltungen, Einstellungen, Selbstprüfung. Alle Antworten geben dem gewieften Werbefachmann Anlass zu weiteren Fragen und Anhaltspunkte, wo das Problem liegen könnte.

 

b) Kostensenkung oder Ertragsverbesserung, Produktivitätssteigerung und Entwicklung neuer Produkte fallen nicht in die Kompetenz des Werbeberaters. Aber das Angebot des Kunden. Und hier ruft er - falls er sich nicht nur als verlängerten Arm des Kunden betrachtet - erst einmal HALT.

 

Dies bedeutet die Einschaltung einer Besinnungspause. Sie gibt Gelegenheit zur Standortbestimmung, zur Rückschau und zum Ausblick in die Zukunft.

 

Kernfragen, welche die Werbung betreffen, lauten:

  • Wie wurde früher (vor langer Zeit, vor einiger Zeit, vor kurzem) geworben?
    1) wofür?
    2) bei wem und wo?
    3) womit?
    4) in welchem Stil?
    5) mit welcher Botschaft?
    6) mit welcher Absicht?
    7) wie häufig und wie lange?
    8) mit welchem Aufwand?
    9) mit welchen Effekten?

  • Wie wird gegenwärtig geworben? (1 - 9)

  • Wie sollte, könnte, müsste künftig geworben werden? (1 - 9)

 

Zu ALLEN einzelnen Antworten müssen sowohl Begründung wie Beurteilung gegeben werden. Dabei kann mancherlei zum Vorschein kommen.

 

c) Eine dritte Möglichkeit besteht darin, Angebot und Markt zusammen zu sehen. Das erfordert freilich umfangreiche Erhebungen, Absatz- und Abnehmeranalysen, Konkurrenz- und Umweltanalysen. Probate Mittel sind Stärken-/ Schwächenprofile, Meinungsumfragen, Tiefeninterviews, Zukunftsprojektionen und -szenarien.

 

Zunehmender Beliebtheit erfreut sich die Portfolio-Analyse. Die Grundfragen lauten hier:

  • Stimmt der Gesamtbestand (Portfolio) an Geschäftszweigen, Produktelinien und Märkten eines Unternehmens?

  • Ist dieses Portfolio in sich ausgewogen?

  • Wie und wo zeigt sich die Konkurrenz?

Das daraus resultierende Bild wird ausgespannt zwischen Marktwachstum (Attraktivität des Geschäftsfeldes) und relativem Marktanteil (oder Wettbewerbsposition). Darin tummeln sich im Jargon der Betriebswissenschafter "arme Hunde" und 'Melkkühe", "Fragezeichen" und "Stars". In zeitlicher Entwicklung betrachtet, zeigen sich Probleme, aber auch Chancen.

 

Diese Chancen führen zur

 

3. Aufgabe des Werbeberaters:

 

Er muss die Optik des Kunden neu einstellen.

 

Im allgemeinen möchte der Kunde seine Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Der Werbeberater muss ihm jedoch deutlich machen, dass der Abnehmer gerade nicht Produkte und Dienstleistungen erwirbt, sondern Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Und in ganzheitlicher Betrachtung sind diese Bedürfnisse materieller, seelischer und geistiger Art. Der Mensch ist nicht nur Konsument! Schon der Kauf einer Büchse Bohnen ist mehr als nur die Beschaffung eines Nahrungsmittels. Ein bisschen Erwartungsfreude könnte damit verbunden sein ...

 

Bedürfnisse erzeugen Erwartungen. Und gerade darin liegen die Chancen.

Chancen-Management heisst demzufolge, konstante, sich wandelnde und modifizierbare Erwartungen erkennen, nutzen und dafür sorgen, dass sie nicht enttäuscht werden. Und die Morphologie lehrt, dass dies nicht in kurzsichtiger Perspektive geschehen darf, sondern auf lange Sicht geschehen soll. Ein Strohfeuer wärmt nicht lange, ein Feuerwerk überhaupt nicht - aber ein regelmässig wohl geschürtes Feuer.

 

Abb. II.1: Zur Problemfindung

 

12 Fragen an den Auftraggeber

 

1. Orientieren Sie sich an der Konkurrenz oder am Trend?

2. Haben Sie die Hand am Puls der Zeit?

3. Haben Sie Zeit, darüber ein ausgedehntes Gespräch zu führen?

4. Ist für Sie der Kunde König oder Käufer?

5. Sind Sie selber auch Konsument?

6. Wie kommentieren Sie die Definition von PR: "Tu Gutes und sprich darüber"?

7. Was bedeuten Ihnen die Worte Wahrheit, Nebenwirkungen, Leben?

8. Achten Sie darauf, was und wie Sie etwas sagen?

9. Denken Sie in Bildern und Bewegungen oder in Zahlen und Formeln?

10. Liegt Ihr Ehrgeiz im Kaufmännischen oder Technischen?

11. Betrachten Sie Werbung als notwendiges Übel?

12. Sind Sie willens, sich langfristig werblich zu engagieren?

 

 

 

 

III + IV. die "four P's" der Werbung

 

(Nachgedruckt im Sammelband: Innovation gewinnt. Kulturgeschichte und Erfolgsrezepte. Zürich: Orell Füssli 1997, als Kap. 15: „Werbung präsentiert Innovationen“, 189-195)

 

Werbung ist, vom Auftraggeber her gesehen, nur ein Teil dessen, was ein Unternehmen ausmacht: ein Bereich des Marketing, ein Element der Innovation, ein Eckstein der Philosophie. Ist letzteres nicht der Fall, so ergibt sich für den Werbeberater die schöne Aufgabe, den Unternehmer von der Notwendigkeit einer gezielten Werbung und PR zu überzeugen.

 

Systembetrachtung

 

Umgekehrt ist es für Werbeleute heilsam zu sehen, welche Rolle sie im Ganzen des Unternehmensgeschehens spielen: eine ebenso bedeutende wie Administration und Produktion, Logistik und Information, Finanz- und Personalwesen. Jede dieser «Funktionen» ist wichtig und trägt ihren Teil zum Unternehmenserfolg bei. Fällt eine aus, kann sie höchstens notdürftig von einer andern übernommen werden. Man muss ein Unternehmen nicht gerade als Organismus betrachten, in dem jedes Organ, Gewebe und Glied seine Funktion hat, aber es ist jedenfalls ein System: ein sinnvoll aus Elementen zusammengesetztes Ganzes.

 

Die Verbindung zur Umwelt schaffen die Input-Funktionen (Beschaffung von Personal, Kapital, Anlagen, Materialien, Energie, Informationen etc.) und die Output-Funktionen wie Entsorgung, Gewinnausschüttung, Abgaben und Steuern, die Marktleistungen und das Marketing samt Werbung. Die Beteiligung am Gemeinschaftsleben schliesslich kann durch Verbands- und politische Teilnahme, soziales und karitatives Engagement, kurz durch vielfältige Aktivität, Förderung und Unterstützung geschehen.

 

Marketing

 

Als Bestandteil des Marketing verstandene Werbung darf immer wieder auf diese anderen Verbindungen des Unternehmens zur Umwelt aufmerksam machen: als Impuls für den Unternehmer, aber auch als Inhalt der Werbung selber. Im letzteren Falle sprechen wir von PR oder Öffentlichkeitsarbeit. Sie stellt das Unternehmen nicht als Anbieter, sondern als Glied des Gemeinwesens vor.

Die Absatzforschung unterschied früher vier absatzpolitische Instrumentarien:

  • Preispolitik

  • Werbung

  • Produkt- und Sortimentsgestaltung

  • Absatzmethode.

 

Heute unterscheidet man als Instrumentengruppen des Marketing-Mix die «four P's» (siehe Abb. III.1):

 

  • price (Preissystem und -politik)

  • promotion (Absatzförderung, Werbung; Marketing-Kommunikation)

  • product (Produkt und Sortiment; Marktleistungsgestaltung)

  • place (Verkaufsort, Distribution).

 

Die «four P's» der Werbung

 

Gewiss kann der Werbefachmann auch wertvolle Empfehlungen für «price» und «place» abgeben - wie das auch der Merchandiser, Gross- und Detailhändler oder Psychologe tut -, aber das Schwergewicht liegt auf den Bereichen «promotion» und «product».

 

Die klassische Aufgabe des Werbers liegt darin, über Produkte und Dienstleistungen zu informieren, nämlich deren Existenz und Eigenschaften, Funktionen und Vorteile, Bezugsorte und -bedingungen, Erzeuger und Herstellungsverfahren bekannt zu machen (Propaganda).

Mit der Zeit hat sich herausgestellt, dass folgende vier P-Punkte für ein Angebot wichtig sind (Abb.III.1 und Abb. III.2):

 

1.         Philosophie

2.         Positionierung

3.         Profilierung

4.         Präsentation

 

1. Philosophie

 

Die Philosophie (auf gut Englisch «policy») betrifft die Festlegung von Prinzipien, Stil und Absicht der Werbung (Abb. III.3). Hier werden in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber die Weichen gestellt.

 

Prinzipien sind etwa: massiv, gestreut, persönlich, exklusiv, langsam, rasch, antizyklisch, sporadisch, in Serie, auf die Konkurrenz ausgerichtet, psychologisch

 

Die Stilvielfalt ist oft grösser als man denkt: gediegen, erotisch, altmodisch, frech, mit Understatement oder Holzhammer, künstlerisch, futuristisch, natürlich, akademisch, realistisch, gestelzt, technisch, überladen, karg, beratend, fordernd, Unikate, Testimonials

 

Absichten sind ebenfalls unterschiedlich: Produkt oder Marke, Image oder Branche fördern, Sofortkauf oder Spätzündung, Erinnerung oder Einführungsvorbereitung, Einstieg oder Umsteigen, Verkaufsunterstützung, Nachfragelenkung im Zeitablauf, Vorbereitung und Unterstützung von Aktionen, Ansprechen von «opinion leaders» und Absatzhelfern, Interessenten oder Verbrauchern usw.

 

Solche Mannigfaltigkeiten im Zusammenhang sehen und aufzählen, bewerten und am Schluss die vielversprechendste Vorgehensweise und Ansprechart auswählen - das ist die grundsätzliche Aufgabe der Werbung.

 

2. Positionierung

 

Ebenso wichtig wie die Werbe-Philosophie ist die Einreihung eines spezifischen Angebotes auf der Anspruchs- oder Prestige-Skala.

Im Marketing spricht man von

 

Positionierung gegenüber der Konkurrenz oder Substitutionskonkurrenz

(Substitution =

a) Innovations-Substitution: Ersatz herkömmlicher Mittel zur Befriedigung eines spezifischen Bedürfnisses durch neue Technologie, z. B. Schallplatte/Compactdisc;

b) Marken-Substitution: Ersatz durch ein gleichwertiges Mittel anderer Marke;

c) Analog-Substitution: Verwendung eines anderen Produktes oder Angebots, das dieselbe Funktion erfüllt resp. eine ähnliche Leistung erbringt z. B. Zucker/Süssstoff, Auto/öffentlicher Verkehr, Erdöl/andere Energiequellen, gebundenes Buch/Taschenbuchausgabe;

d) Herkunfts-Substitution: Wechsel auf anderswo produzierte Güter desselben Multis (z. B. Direktimport von IBM-Computern aus USA, Seat statt Fiat).

 

psychologische Feinpositionierung bei den Produkteverwendern mit Rücksicht auf Bedürfnisse, Hemmschwellen, Wissensstand und Bekanntheit des Angebots.

 

Die Positionierungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen:

 

besser: leistungsfähiger, wirkungsvoller, perfekter, vielseitiger, funktioneller, verträglicher, sicherer, geringere Störungsanfälligkeit, geringere Wartung, wohlschmeckender

billiger: preisgünstiger, mehr Zusatzleistungen für denselben Preis, Rabatte, Zugaben

schöner: gefällt besser, behaglicher, freundlicher, interessanter, natürlicher, angenehmer

schonender: (geringerer Gefährdung oder Belastung von Gesundheit und Umwelt, sparsamer im Platz- oder Energieverbrauch, erfordert weniger Zusatzinvestitionen), umweltfreundlich, risikoärmer, unbedenklich, ressourcensparend, weniger künstliche Zusätze, leichter abbaubar nach Gebrauch.

 

3. Profilierung

 

Profilierung beginnt nicht erst im Kindergarten. Schon das Tierreich kennt den Wettbewerb beim Balzen, bei Rangkämpfen, bei territorialen Ansprüchen. Profilieren möchten sich (fast) alle: Menschen, Firmen und Institutionen mit Produkten, Leistungen, besonderen Kennzeichen. Wo aber alles profiliert ist, fällt nichts mehr auf. Daher ist Profilierung ein unerbittliches Spiel, bei dem die Parole Durchhalten heisst.

Das Unternehmen kann sich oder sein Angebot auf zwei Arten profilieren:

 

  • durch eindeutige Angebots-Vorteile, z. B. höhere Qualität, besserer Kundendienst, günstigere Preise und Konditionen

  • durch psychologische Vorteile, z. B. Prestigewert von Marken oder Teilnahme an einem Anlass; Neuheit, Mode, Exklusivität, Komfort, Risikofreiheit.

 

Solche Vorteile lassen sich immer finden. Erstaunlich ist immerhin, wie viele Auftraggeber sich weder ihrer USP noch UAP bewusst sind.

 

  • Die USP (unique selling proposition; nach Rosser Reeves) liegt in einer einzigartigen Eigenschaft eines Angebots, sei es objektiv oder subjektiv, sei es die Lage eines Kurorts, die Farbe einer Blume, die Unersetzlichkeit einer Substanz oder die Möglichkeit eines Sondertransports

  • Die UAP (unique advertising proposition) liegt in einer bereits durch frühere Werbung, PR oder Verkaufskontakte geschaffenen oder verstärkten «psychologischen» Eigenschaft des Angebots - sei es der Name oder Ruf, sei es der Werbeträger oder das Medium. Dabei kann der «objektive» Unterschied des Angebots zur Konkurrenz minim sein.

 

Aus der Gegenrichtung gesehen, gibt es auch heute noch kleine Marktnischen. Mit Spürsinn für kommende Trends lassen sie sich finden, und leicht ist hier Profilierung.

 

4. Präsentation

 

Mit dem Schlagwort «Corporate Identity» ist in den letzten Jahren viel für die Präsentation getan worden: Vereinheitlichung von Schriftzügen und -stücken, Namen und Bezeichnungen, Styling und Verpackung. Auch die Warenpräsentation in Ausstellungsräumen, Schaufenstern und an den Verkaufspunkten hat sich längst aus dem Mauerblümchenstadium fortentwickelt.

Gerade hier besteht aber die Gefahr des Überbordens, weil man sich zu sehr an neuere Marketingerkenntnisse hält, die da lauten:

 

a) Die Lebens- oder Verwendungsdauer vieler Produkte verringert sich.

b) Bestehende Produkte werden rascher überholt und durch neue oder bessere abgelöst.

c) Grosse Gewinnspannen scheinen vorwiegend mit neuen Produkten verbunden zu sein.

 

Also müssen ständig neue Produkte her - oder wenigstens verbesserte. Ist dies nicht möglich, werden Design und Verpackung geändert.

 

Mit der Präsentation schliesst sich der Kreis zurück zum Unternehmen doppelt: Das Erscheinungsbild ist Ausdruck des Ganzen, der rasche Wandel der Angebotspräsentation Ausdruck der Innovationstätigkeit. Wieviel Scheininnovation oder «Verschlimmbesserungen» dahinter stecken, merkt der Konsument aber früher oder später. Der «schöne Schein» hat schon manche Erwartungen enttäuscht.

 

Noch direkter auf das Unternehmen bezogen ist eine Art von Präsentation, auf welche die Werbung meist zuwenig achtet: Das Unternehmen als Büro, Praxis, Werkstatt oder Gebäude und - die Mitarbeiter. Der CE (Customer Engineer) von IBM, der «Bankgeselle», der Blick-Reporter oder die Burkhalters (die kommen) - sie alle repräsentieren (Abb. III.2) ihr Unternehmen so gut (hoffentlich) wie ein Signet, ein Slogan oder eine Verpackungslinie.

 

 

Literatur zu "die 'four P's' der Werbung"

 

Angehrn, Otto: System des Marketing. Bern: Haupt 1974.

Bänsch, Alex: Käuferverhalten. München: Oldenbourg 1983, 6. Aufl. 1995.

Baker, Stephen: Systematic Approach to Advertising Creativity. New York: McGraw-Hill 1979.

Bidlingmeier, Johannes: Marketing. Reinbek: Rowohlt 1973; später Opladen: Westdeutscher Verlag, 10. Aufl. 1983.

Dichter, Ernest: The strategy of desire. New York: Doubleday 1960;
dt.: Strategie im Reich der Wünsche. Düsseldorf: Econ 1961.

Hill, Wilhelm: Marketing. 2 Bde, Bern: Haupt 1970/71, 6. Aufl. 1988.

Hill, Wilhelm/ Rieser, Ignaz: Marketing Management. Bern: Haupt, UTB Nr. 8048, 1990. 2- Aufl. 1993.

Johansson, Björn: Kreativität und Marketing. Bern: Peter Lang 1985.

Kroeber-Riel, Werner: Konsumentenverhalten. München: Vahlen 1975, 5. Aufl. 1992.

Kotler, Philip: Marketing Management. Englewood Cliffs, N. J.: Prentice-Hall 1967, 8. Aufl. 1993;
dt.: Marketing-Management. Stuttgart: Poeschel 1974, 8. Aufl. 1995.

Kühn, Richard: Marketing-Mix. Bern: Schweizerische Volksbank. Die Orientierung Nr. 83, 1984.

Kühn, Richard: Marketing. Zürich: TA-Media, 2. Aufl. 1995.

Kühn, Richard, Fankhauser, Kathrin: Marktforschung. Ein Arbeitsbuch für das Marketing-Management. Bern: Haupt 1996.

Magyar, Kasimir M.: Marketing-Puzzle. Rorschach: Loepfe-Benz 1985, später Verlag Moderne Industrie, 3. Aufl. 1991.

Meffert, Heribert: Instrumente, absatzpolitische. In Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, 1974, Sp. 887-896 (darin Marketing-Mix wie Magyar 1985).

Meffert, Heribert. Marketing. Wiesbaden: Gabler. Bd. I: Lehrbuch 1977, 7. Aufl. 1986; Bd. II: Arbeitsbuch 1979, 5. Aufl. 1992; Bd. III: Fallstudien, zusammen mit Manfred Bruhn 1986, 2. Aufl. 1993.

Meffert, Heribert: Marketing-Management. Wiesbaden: Gabler 1994.

Reeves, Rosser: Reality in Advertising. 1961;
dt.: Werbung ohne Mythos. München: Kindler 1963; erneut 1969; Hamburg: Gruner + Jahr: Hör Zu 1978.

von Rosenstiel, Lutz: Psychologie der Werbung. Rosenheim: Komar-Verlag 1969; zusammen mit Alexander Kirsch 4. Aufl. 1996.

von Rosenstiel, Lutz/ Ewald, Guntram: Marktpsychologie. 2 Bde., Stuttgart: Kohlhammer 1979.

Seiler, Armin: Marketing. Zürich: Orell Füssli 1991, 3. Aufl. 1995.

Weinhold-Stünzi, Heinz: Marketing. Ein Lehrgang in 12 Lektionen. Kilchberg: Hug 1969; Heerbrugg, St. Gallen, 7. Aufl. 1977; später: Marketing in 20 Lektionen. Zürich: Orell Füssli, 27. Aufl. 1994.

 

 

 

V. Märkte segmentieren für gezielte Werbung

 

Der Werber war schon immer ein Künstler. Mit der Zeit wurde er zum Kommunikationsfachmann, und heute muss er auch ein Marketingcrack sein. Ein Multitalent, das mit Segmentierungen und Typisierungen arbeitet.

 

Zerlegung eines Ganzen

 

Segmentieren ist gerade 900 Jahre alt. Es ist, wie Roscelin sagte, eine willkürliche, nur der menschlichen Auffassung und Mitteilung dienliche Zerlegung eines Ganzen. Dies bildet die Grundlage des in der Neuzeit aufblühenden wissenschaftlichen Denkens.

 

900 Jahre Markt

 

Der Markt oder die Messe ist etwa gleich alt. Er entstand in der Champagne, in Flandern und in Oberitalien, bald auch in England und Deutschland, häufig entlang den Handelsrouten.

Die Gelehrten befassten sich seit dem 13. Jahrhundert damit, zuerst in Auseinandersetzunge über den "gerechten Preis" und den Geldwert. 1524 äusserte sich Martin Luther zu "Kauffshandlung und Wucher", zwei Jahre später Kopernikus zum Verhältnis von Geldmenge und Preisniveau.

Erste ökonomische Segmentierungen stammen von Quesnay (1758). Smith (1776), von Thünen (1826) und Marshall (1890).

 

Marketing: Erschliessung der Märkte von morgen

 

Der Begriff Marketing ist über 400 Jahre alt; das moderne Marketing und die Marktforschung gehen auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. 1961 definierte ein deutscher Buchtitel die "Praxis des Marketing" als "Erschliessung der Märkte von morgen".

 

Im Unterschied zum Fragmentieren, das einen Trümmerhaufen von Bruchstücken ergibt - und von manchen Philosophen als Kennzeichen unseres Jahrhunderts beklagt wird - muss beim Segmentieren stets das Ganze im Auge behalten werden.

 

Ganzheiten im Auge behalten

 

Für den Marketingspezialisten wie für den Werbeberater sind mindestens sechs Ganzheiten wichtig:

- das gesamte Leistungsangebot des Kunden

- die Gesamtheit aller ähnlichen Angebote und Substitutionsmöglichkeiten

- das Geflecht von Handel und Vertrieb

- das Kommunikationsgefüge und die Medienlandschaft

- der gegenwärtige Markt des Kunden

- die Fülle der potentiellen Märkte.

 

Eingebettet sind diese Ganzheiten in technologische und ökologische, politische und soziale Entwicklungen wie Mikroelektronik und Waldsterben, Hungersnöte und Arbeitslosigkeit, Protektionismus und Wertwandel.

 

Teilmärkte und Marktsegmente ...

 

Aufgabe des Marketing ist es nun, diese Ganzheiten sinnvoll zu segmentieren. Dies geschieht am besten mit einer Produkt/ Markt-Morphologie (Abb. V.1). Hierbei wird das gesamte Marktleistungsangebot in Teilmärkte (oder Leistungssegmente) und das breite Spektrum der Abnehmer in Marktsegmente gegliedert. (Auf englisch heissen beide Unterteilungen richtigerweise "Segmente".)

 

Teilmärkte beruhen auf - häufig technischen - Merkmalen der Produkte oder Dienstleistungen.

Marktsegmente beruhen auf Merkmalen der Produktverwender, Kunden oder Klienten (Abb. V.2).

 

... nach geeigneten Kriterien gegliedert …

 

Diese Unterteilungen sollen möglichst homogene Segmente ergeben, die sich deutlich voneinander unterscheiden Abb. V.3).

Dies ist in manchen Fällen recht schwierig und erfordert viel Erfahrung und Geschicklichkeit - besonders bei der Gliederung der Abnehmer (Abb. V.4). Da bietet sich eine ganze Fülle von Kriterien an:

 

• physische, insbesondere geographische und saisonale

• soziodemographische wie Geschlecht, Alter, Einkommen, Beruf, berufliche Position, Ausbildung

• psychische, z. B. Orientierung, Informationsverhalten, Flexibilität, Kaufgewohnheiten und -kriterien, Mentalität

 

ferner aus einem andern Blickwinkel:

• Kundengrösse und -art: Grossabnehmer oder Einzelpersonen, Gewerbebetriebe oder Privathaushalte, Grossverteiler oder Fachhandel, Organisationen, Vereine, Behörden, Institute

•.Verwendungsart und Nutzung, z. B. professionell, halbprofessionell oder privat, dauernder oder gelegentlicher Gebrauch, Geschenk oder Kapitalanlage, usw.

 

... in einer morphologischen Matrix zusammengestellt ...

 

Stellt man die Teilmärkte und Marktsegmente einander in einer morphologischen Matrix gegenüber, so ergibt sich eine Tafel von einzelnen Feldern, den "Strategischen Geschäftseinheiten" (SGE).

 

Für jedes dieser Felder lassen sich angeben:

• Marktvolumen, Marktpotential und Marktanteil, Wachstumsraten, Sättigungsgrad, Konjunktur, Stabilität des Bedarfs, Preisniveau und Konkurrenz (Anzahl, Marktmacht)

• produktspezifische Anforderungen und Leistungskriterien, gesetzliche Bestimmungen, Vorschriften, Normen

• soziodemographische und psychische Merkmale der Abnehmer von Kaufkraft und Bonität bis zu Bedürfnissen und Verhaltensweisen, für manche Güter und Dienstleistungen auch unternehmens-, branchen- oder behördenspezifische Merkmale.

 

Die Beurteilung jedes einzelnen Feldes geschieht durch die früher erwähnte Marktattraktivität/ Wettbewerbsvorteile-Matrix.

Eine solche Portfolio-Analyse sagt dem Fachmann, was in jedem Feld zu tun oder zu unterlassen ist, also welche Strategie er anzuwenden hat.

 

... als Grundlage der Strategischen Werbeeinheiten

 

Diese Informationen sind für die gezielte Werbetätigkeit von höchster Bedeutung, bestimmen sie doch Prinzip und Stil, Art und Technik, Mittel und Medien.

 

 

Abb. V.5: Einige Märkte (1982)

 

In der Schweiz werden etwa 200 Zigarettensorten von 100 Marken verkauft; die 10 bekanntesten Marken bestreiten fast drei Viertel des Marktes. Und von den 26,5 Milliarden (1982) hier produzierten Zigaretten werden 43% exportiert.

 

Die Sportartikelindustrie weist einen Jahresumsatz von gegen 1 Mia. Franken auf. Nur noch gut die Hälfte des Umsatzes entfällt auf "Hardware"; der Rest wird von der immer beliebter werdenden vielfältigen Sportbekleidung bestritten. 90 - 95% der Artikel werden importiert.

Die Kunststoffindustrie setzte im Jahr 1982 2,7 Mia. Franken um. Die Eigenproduktion betrug ca. 130'000 t. Eingeführt wurden fast 500'000 t (Wert: 1,9 Mia. Franken), exportiert 190'000 t (Wert: 1,3 Mia. Franken).

 

Vom Detailhandelsumsatz (1982: 53 Mia. Franken) entfällt je die Hälfte auf Non-Food und Food.

In etwa 9000 Läden werden für 14,5 Mia. Franken Lebensmittel verkauft, in fast 10'000 Bäckereien, Molkereien und Metzgereien für halb soviel, in Reform- und Warenhäusern je für rund 1 Mia. Franken, an 3000 Kiosken und andern Verkaufsstellen für über 2 Mia. Franken.

 

 

 

 

VI. Die Tiefendimension: Strategische Werbeeinheiten (Abb. VI.1)

 

Ausgangspunkt für die kreative und praktische Arbeit der Werber sind die Strategischen Geschäftseinheiten. Für jede muss der Anbieter eine Bearbeitungsstrategie entwickeln. Diese kann aus folgenden Gründen meist recht differenziert sein:

 

Der Verwender ist nicht immer der Käufer

 

1. Im allgemeinen sind Produkte und Dienstleistungen - Schund, Ramsch und Täuschung einmal ausgeklammert - auf die Bedürfnisse des Verwenders, Endbezügers, Verbrauchers, Anwenders, Klienten oder Mandanten ausgerichtet.

 

2. Dieser ist aber häufig nicht identisch mit dem Abnehmer oder Käufer. Der Restaurateur kauft für seine Gäste Lebensmittel ein, die Einkaufsabteilung Büromaterial für den ganzen Betrieb; Eltern kaufen für ihre Kinder, Bauherren oder Hausverwaltungen für die Mieter, Spitäler und Ärzte für die Patienten und das Personal, Schulen für die Schüler, Chefs für ihre Sekretärinnen - oder umgekehrt.

 

3. Manche Artikel und Leistungen werden nicht für den eigenen Bedarf erstanden, sondern als Geschenke und Anerkennungsprämien oder durch Ausleihe, Miete, Leasing weitergegeben.

 

Personal Computer als Staubfänger

 

4. Manche Objekte werden gar nicht ihrer eigentlichen Verwendung zugeführt, sondern dienen als Kapitalanlage, Notausrüstung, Dekoration, Sammel- oder Tauschobjekt. Mitunter werden sie auch völlig zweckentfremdet oder überhaupt nicht gebraucht. So stehen 90% der in Japan von NEC verkauften Personal Computer unbenützt als Staubfänger in einer Ecke.

 

Ein Filigran von Absatzwegen

 

5. Zwischen dem Produzenten oder Leistungsersteller und dem Käufer besteht oft ein mehrstufiges Geflecht von Absatzwegen: vom eigenen Aussendienst, Stützpunkten und Filialen über die verschiedenen Arten von Zwischenhandel, Vertretung und Vermittlung bis zum Verkäufer und Point of Sales (POS).

 

Daraus ergibt sich die Aufgabe, Absatzmittler (Pt. 5) und Käufer  (Pt. 2 und 3), welche erstandene Objekte oder Leistungen bloss weitergeben, von den Vorzügen derselben zu überzeugen. Umgekehrt werden zahlreiche Wünsche und Bedürfnisse von Seiten der Endverbraucher oder -bezüger an Einkäufer, Verkäufer oder Händler gerichtet. Beides haben Marketing- wie Werbefachleute zu beachten.

 

Für den Werber eröffnen sich unter den Feldern der Strategischen Geschäftseinheiten noch weitere Tiefendimensionen:

 

Beeinflusser aller Art

 

6. Verwandte und Bekannte, Kollegen und Freunde, aber auch die schon erwähnten Vertreter und Verkäufer können - entweder durch eigene Erfahrung oder vom Hörensagen beeinflusst - zum Kauf raten oder davon abraten.

 

7. Es gibt viele "Beeinflusser" (Absatzhelfer), welche die Produkte und Leistungen weder kaufen noch benützen, sie aber empfehlen können: z. B. Erzieher, Ärzte und paramedizinisches Personal, Sportler und Trainer, Fachjournalisten und Ratgeber, Beratungsstellen, Planungs- oder Projektteams, Verbände, Warentestorganisationen.

 

Meinungsführer

 

8. Bestimmte Personengruppen, Organisationen und Unternehmen üben durch die rasche Aufnahme oder demonstrative Verwendung von Produkten und Leistungen die Funktion von Meinungsführern - opinion leaders, innovators - aus.

 

Öffentlichkeit und Politik

 

9. Anderseits können auch die öffentliche Meinung und der Zeitgeist über die Akzeptanz eines neuen Produkts oder einer Dienstleistung entscheiden. Schichtspezifische, regionale und nationale Unterschiede sind dabei festzustellen.

 

10. Schliesslich spielen auch politische Mechanismen eine Rolle. Legislative und Souverän können restriktive Vorschriften für Produkte und Leistungen erlassen, Privilegien aufheben oder Forderungen stellen.

 

Die Kunst, Strategische Werbeeinheiten zu bilden

 

Wer wirkungsvoll, werden will, muss für jede Strategische Geschäftseinheit auch diese Faktoren im Auge behalten. Daher bildet er Strategische Werbeeinheiten (Abb. VI.1). Selbstverständlich muss er nicht immer sämtliche Einheiten beackern. Aber morphologisches Vorgehen bedeutet, ALLE grundsätzlichen Möglichkeiten zumindest aufzuzeichnen und sorgfältig zu prüfen.

 

Werbung, die sich nur an Käufer richtet und Händler und Verkäufer, Vermittler und Beeinflusser ausser acht lässt, greift oft zu kurz.

Freilich kann auch weit übers Ziel hinaus geschossen werden, etwa mit ganzseitigen Anzeigen in einer Tageszeitung für Plattenspeicher oder mit akademischen Wortspielereien auf riesigen Plakatwänden für Kleininserate.

 

Die product/ people-theory

 

Nun sind es bei Konsum- wie Investitionsgütern, Energie, Informationen und Rohstoffen, Komponenten oder Halbfabrikaten, bei Immobilien oder Okkasion, Tierfutter und Versicherungen immer Menschen, die über deren Beschaffung entscheiden oder diese beeinflussen.

Der Markt, das sind allemal Menschen in sozialen Gefüqen wie Familie, Gruppe, Unternehmen, Organisation.

Deshalb kann man auch nicht "den" Grosshandel, Büromaterialabteilungen, das Gastgewerbe oder die Ärzteschaft bewerben. Anlaufstelle ist stets der einzelne Mensch in einer Berufsgruppe, Branche, Abteilung oder Institution.

 

Das ist doch alter Schnee! Gewiss (Abb. VI.2; VI.3). Aber auch der neueste Schrei. Man spricht neuerdings von product/ people-theory.

 

 

 

VII. Wo hakt Werbung ein?

 

"Der clevere Werber spielt virtuos auf der Klaviatur der menschlichen Bedürfnisse."

 

So malerisch dies klingt, so ungenau ist es! Werbung greift in das ein, was im Individuum zwischen Bedürfnis und Bedarf steht und geschieht. Wer Nachfrage schaffen oder verstärken will, muss bei den Strebungen und Phantasien einhaken.

 

Innerer Bedarf - Bedürfnis - äusserer Bedarf

 

Bei gesamthafter Betrachtung ist zu unterscheiden: Die Psychologie spricht von einem "inneren" Bedarf, die Ökonomie von einem "äussern". Die Psychologie geht von einem organisch-physiologischen Bedarf des Körpers, etwa nach Nahrung, aus. Das Empfinden dieses Mangels heisst Bedürfnis (Abb. VII.1). Das wäre ganz einfach, doch stellen sich vier Fragen:

 

1. Gibt es nicht auch Überfluss?

2. Gibt es auch einen seelischen und geistigen Bedarf, z. B. nach Anerkennung und Achtung oder nach Wissen und Erkenntnis?

3. Haben alle Menschen dieselben Bedürfnisse?

4. Wie verwandeln sich Bedürfnisse in den ökonomisch fassbaren Bedarf?

 

Die ersten drei Fragen können mit Ja beantwortet werden. Es gibt nicht nur Überfüllung von Darm und Blase, sondern auch der seelischen und geistigen Kapazität. Umgekehrt besteht ein Bedarf auch an seelischer und geistiger "Nahrung". Und ein Blick in die Menschheits- und Kulturgeschichte zeigt, dass die Bedürfnisse über die Jahrtausende und in allen Kulturen gleich sind (Abb. VII.2; Universalien).

 

Allerdings ist das, was als Verhalten und Sitte, Leistung und Werk, Meinung und Bedarf fassbar wird, auf vielfältige Weise unterschiedlich:

 

generell: je nach Epoche, kulturellen und technischen Möglichkeiten, Klima und Geographie

individuell: je nach Geschlecht und Alter, Milieu und Erziehung, Wohnort und Kultur

spezifisch: je nach Mode und Angebot, Stimmung und verfügbaren Mitteln.

 

Zwischen Bedürfnis und äusserem Bedarf: das Streben

 

Zwischen den Bedürfnissen und dem äusseren Bedarf vermittelt im Individuum ein reiches Geflecht von Strukturen und Vorgängen (Abb. VII.3). Schematisch kann man feststellen:

 

• Die Zahl der Bedürfnisse ist nicht gross; es mögen ein bis zwei Dutzend sein (Abb. VII.2; VII.4 - siehe auch: Menschliche Universalien). Der Bedarf dagegen ist ausserordentlich vielfältig: Er betrifft ja nicht pauschal "Nahrung", sondern Fleisch und Brot, Milchprodukte, Teigwaren, Gemüse, Obst, Schokolade, usw. in einer Unzahl von Darreichungsformen.

• Ein Bedürfnis kann sich in einem einzigen Bedarf oder aber in mehreren, oft ganz unterschiedlichen äussern.

• Umgekehrt kann ein Bedarf auf eines oder mehrere Bedürfnisse zurückgeführt werden.

• Bedürfnisse können verbogen oder umkanalisiert werden.

 

Was. findet. denn. zwischen Bedürfnis und äusserem Bedarf statt?

Ein Suchen und Streben, die "innere Not" zu beheben.

Hiefür haben die Philosophen und Psychologen seit den Alten Griechen einen Haufen Bezeichnungen vorgeschlagen wie Drang und Begehren, Verlangen und Begierde, Sehnen und Wünschen, Interesse und Tendenz, Sucht und Leidenschaft. Zugrunde liegen dem Triebe (Abb. VII.5) oder Instinkte.

 

Literatur so dick wie die Bibel

 

Der Obertitel heisst seit etwa 50 Jahren Motivation (Abb. VII.6). Wer sich näher damit befasst, gerät rasch in einen undurchdringlichen Dschungel, der auch durch die moderne Wissenschaft nur unwesentlich erhellt wird.

Schon 1924 hat Luther Lee Bernard in 400 Publikationen nicht weniger als 5684 [nach anderen Angaben 14 046] verschiedene Verhaltensweisen gefunden, die als "instinktiv" bezeichnet wurden, darunter so allgemeine wie "geschlechtliches Verhalten" und so spezielle wie "den Instinkt, mit den Fingern in schmale Ritzen zu fahren und darin verborgene kleine Tiere zu verscheuchen".

 

Die beiden 1965 von Hans Thomae zum Thema Motivation herausgegebenen Bände zählen über 500 resp. 900 Seiten. Unter der aktuelleren Literatur umfasst Heckhausens "Lehrbuch der Motivationspsychologie" (1980) gegen 800 Seiten; die beiden Motivationsbände in der Serie "Enzyklopädie der Psychologie" (1982) zählen rund 1400 Seiten - also etwa soviel wie die Bibel -, und MacClellands neuestes Werk "Human Motivation" (1985), bringt es auf über 660 Seiten.

 

Ständige Aktivation und innere Modelle

 

Neben die Triebtheorie von Freud, die Feldtheorie von Lewin und die Bedürfnispyramide von Maslow (1943; Abb. VII.4) traten in jüngerer Zeit einerseits biologisch, anderseits kognitiv orientierte Theorien.

 

Die einen gehen von einem ständig aktiven Organismus aus (zentralnervöse Erregung), die andern von der These, dass der Mensch nicht auf "objektiv" gegebene Situationen oder Reize reagiert, sondern auf kognitive Repräsentationen - innere Abbilder - dieser Situationen.

Einseitig verfolgt, laufen alle Theorien Gefahr, in Ideologien auszumünden.

 

Festzuhalten ist daher bloss:

1. An der Motivation ist der ganze Mensch beteiligt, also Leib, Seele und Geist.

 

2. Bedürfnisse haben innere Ziele: Behebung eines Mangels, Abbau einer Überfüllung. Spricht man von "Trieben", so sind deren Ziele: Erregung eines "Lustzentrums" oder Beendigung der Erregung eines "Unlustzentrums" im Gehirn.

 

3. Zwischen Bedürfnis (oder Trieb) und äusserem Bedarf vermitteln:

• ererbte Verhaltensprogramme (Reflexe, Instinkte)

• erlernte Zielsetzungen und Verhaltensweisen (Strebungen, Gewohnheiten)

• Pläne und Vorgehensweisen, die unbewusstem Denken entspringen (Intuition, Gespür)

• am inneren Modell versuchte und gewählte Zielsetzungen und Strategien (Überlegungen)

• göttliche Lenkung oder Fügung (Glaube).

 

4.         • Reflexe und Instinkte sind genetisch vorgegeben.

• Strebungen und Gewohnheiten beruhen auf Erfahrungen; sie sind durch Lernvorgänge entstanden und in Erinnerungen fixiert.

• Intuition ist ein ganzheitliches Schauen ohne rationale Verarbeitung von Wahrnehmungen, eine Ahnung mit dem Charakter der Unmittelbarkeit und Gewissheit.

• Überlegungen sind innere Probehandlungen, aus denen durch Verarbeitung situationsspezifischer Information unter Voraussicht oder Annahme von Verhaltensfolgen Absichten hervorgehen.

• Glaube besteht in der Überzeugung und Zuversicht, dass es Mächte und Wirkungen gibt, die das Fassungsvermögen des Menschen übersteigen.

 

Strebungen werden vielseitig beeinflusst

 

5. Bedürfnisse (oder Triebe) sind nicht gegenläufig oder widersprüchlich, wohl aber können das die Strebungen sein, je nach Umständen: Erfahrung, Ort und Zeit, Beteiligte, Angebote und Mittel.

Dies weil ihre Ziele "aussen" liegen: Es sind Sach-, Wahrnehmungs- oder Verhaltensziele, nicht Erregungen.

 

6. Das Streben nach Erreichen eines Ziels, Beseitigung einer Störung oder Vermeiden einer Situation wird begleitet und geleitet von Vorstellungen und Erwartungen, Ansprüchen und Emotionen, Rechtfertigungen und Erklärungen.

 

7. Einflussfaktoren sind überdies:

•           Einstellungen und Meinungen

•           Vorbilder und Selbstbilder

•           Vorlieben und Abneigungen

•           Gewohnheiten und Temperament

•           Geschmack und Ideale

•           Angst, Frust und Stress

•           Stimmungen und Befindlichkeiten

•           Kenntnisse und Vorurteile

•           Normen und Werte.

 

8. Aber auch der Aufforderungscharakter von Angeboten, Schlüsselreize, Verheissungen und Suggestionen lenken das Streben.

Wo es um soziale Beziehungen geht, spielen auch die Reaktionen der "andern" eine Rolle - und deren Rolle.

 

9. Nicht jedes Streben ist von Erfolg gekrönt: Ziele können verfehlt werden, Hindernisse sind unüberwindbar, Erwartungen werden enttäuscht. Erfolgserlebnisse fördern die Wiederholung desselben Verhaltens (egal, ob korrekt, normwidrig oder Ersatzhandlung); Misserfolg kann zu erneuten Versuchen, zu Empörung oder Resignation führen. Aus alledem ergibt sich ein neuer "innerer" Bedarf (Abb. VII.6).

 

Was hat das alles mit Werbung zu tun? Die Antwort liegt schon in der Frage: alles!

 

Werbung richtet sich nicht an Maschinen oder Organisationen, sondern an Menschen. Deren Verhalten ist nicht nur von rationalen Kalkulationen wie persönlichen Bedarfs-, Risiko- und Kosten/ Nutzen-Analysen bestimmt, sondern weitgehend irrational.

Das rührt davon her, dass sich zwischen Bedürfnis und Bedarf ungemein komplizierte Vorgänge abspielen, und zwar auf einem breiten Hintergrund von Ererbtem und Gelerntem.

Hier greift die Werbung ein: Bedürfnisse selbst können weder geweckt noch geschaffen werden. Aber die daraus hervorgehenden Strebungen mit ihren Begleit- und Einflussfaktoren können bearbeitet werden. Konkurrenz erwächst ihr allerdings aus Erziehung und Selbsterziehung des einzelnen, Wissen und Moral, Religion und Zeitgeist.

 

 

Literatur

 

Siehe Motivation (1905-2006)

 

 

 

VIII. Das Wechselspiel der Strebungen

 

Was gewinnen wir, wenn wir von den Strebungen zwischen Bedürfnis und Bedarf sprechen? Etwas begriffliche Sauberkeit, ein wenig mehr Klarheit und eine andere Optik. Wir setzen mit der Werbung nicht mehr dort an, wo es nichts zu holen gibt (bei den Bedürfnissen), sondern wo es Früchte tragen kann: im Wechselspiel der Strebungen, Bilder und Ansprüche.

 

Die Werbung hat eine ganz andere Aufgabe als das Unternehmen, das etwas anbietet: Letzteres möchte einen Bedarf decken, erstere hat dafür zu sorgen, dass er entsteht, und zwar just für Produkte, Marken oder Leistungen, welche das Angebot des Unternehmens - und Auftraggebers der Agentur - ausmachen. Und da man schwerlich von einem "Bedürfnis" ausgerechnet nach Sprüngli-Pralinen, einem bestimmten GTX-Quattro-Turbo oder Hakle-Feucht sprechen kann, setzt man dort an, wo auch die eigene Erfahrung Aufschlüsse gibt.

 

Über den Bedarf können wir uns im Wirtschaftsteil der Zeitungen informieren: Verkaufszahlen von Automarken, Absatzzahlen der Getränkeindustrie, Pro-Kopf-Verbrauch von Kleidung usw.

Für Strebungen aber müssen wir in Büchern oder in uns selber nachschauen. Was finden wir da?

 

Phasenverschiebungen und Intensitätsänderungen

 

1. Strebungen erleben wir alle. Sie sind so real wie ihre Begleit-, Leit- und Einflussfaktoren. Sigmund Freud meinte sogar, die "psychische Realität" bedeute dem Menschen mehr als die materielle Realität: Häufig ist es für uns nicht so wichtig, was wir sehen oder hören, sondern was wir meinen; und es kommt nicht so sehr darauf an, wie etwas ist, sondern wie wir es gerne hätten.

 

2. Bedürfnisbefriedigung kann auf drei Weisen erfolgen: real, phantasiert oder abgewehrt (verdrängt, sublimiert, konvertiert, usw.)

 

3. Die Erfüllung von Bedürfnissen ist ein dynamisches Geschehen.

Weil der Mensch ein lebendiges Wesen ist, gilt:

• Jedes Bedürfnis hat einen eigenen Rhythmus des Auftauchens. Dieser und das Ausmass sind unter anderem vom Lebensalter und Temperament abhängig.

• Nicht alle Bedürfnisse treten gleichzeitig auf.

• Die Bedürfnisstärke variiert im Ablauf der Zeit. Ist der "innere Bedarf" gestillt, schweigt das Bedürfnis eine Weile.

• Ungestillte Bedürfnisse erhöhen die Aktivität. Das Suchen und Streben wird zunehmend stärker.

• Je weniger ein Bedürfnis gestillt ist, desto mehr fokussiert es unser Suchen und Streben. Andere Bedürfnisse treten in den Hintergrund. Äussere Anreize werden bedeutungsvoller.

 

Dies kann jeder am eigenen Leib erleben: Phasenverschiebungen und Intensitätsänderungen ergeben das Wechselspiel der Strebungen.

 

"Demokratie der Strebungen"

 

Der Einbezug des Zeitfaktors und der Sättigungsgrade sowie der unterschiedlichen Weisen und Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung In der Auseinandersetzung mit äusseren Reizen und Hemmnissen stellt die Redeweise von der "Hierarchie der Bedürfnisse" in Frage.

Statt von "niederen" (z. B. vitalen) und "höheren" (z. B. religiösen) Motiven, von primären (oder echten) und sekundären (oder Luxus-, Quasi-) Bedürfnissen spricht man besser von einer "Demokratie der Strebungen".

 

Auch in einer Demokratie gibt es Paradoxien, Polaritäten und Gegensätze, faule und andere Kompromisse, Randgruppen, Vernünftiges und Unvernünftiges Halbheiten und blinde Flecken.

 

Zwiespältigkeiten als Polaritäten (Abb. VIII.1)

 

Etwas vom Auffälligsten bei den Strebungen im Individuum wie in der Demokratie ist ihre Zwiespältigkeit. Das hat Denker und Kulturhistoriker zu allen Zeiten beschäftigt. Wer sie als "Polarität" fasste, hatte dabei zwei extreme Ausprägungen innerhalb einer Ganzheit im Auge. Zum Staat gehören alle, und zur ganzen Persönlichkeit gehören auch gegenläufige Strebungen.

 

Allerdings kann das noch komplizierter sein: etwa im weiten Feld von Liebe und Hass, Zärtlichkeit und Brutalität, Achtung und Verachtung. Hier gibt es auf jeder Seite eine Dreiheit, z. B.

• der Wunsch, sich selber zu akzeptieren oder zu quälen

• die Absicht, andere zu anerkennen oder zu verletzen

• die Sehnsucht, von andern verehrt oder gefürchtet, gestreichelt oder geschlagen zu werden.

 

Die Beurteilung dieses Liebe-Leid-Karussells als Fehlentwicklung, Deviation, Anomalie oder Perversion ist eine Sache der Interpretation.

 

Bilder, Gefühle, Ansprüche ...

 

Die zweite Auffälligkeit ist die Koppelung von Strebungen mit Bildern und Gefühlen, Ansprüchen, Erwartungen und Haltungen. Dabei ist oft schwer zu entscheiden, was die Strebungen lenkt oder bloss begleitet.

 

Jedenfalls hat hier die Werbung als "zielgerichtetes künstlerisches Schaffen" (Rudolf Farner) ihren Tummelplatz. Sie kann überall einhaken: beim Sicherheitsstreben oder bei der Freude am. Neuen, beim Wunsch nach Alleinsein oder nach ausgelassener Geselligkeit, bei der Vorstellung des Paradieses oder der Klage über den Sittenzerfall - und zwar bei denselben Personen.

Hier liegen die Chancen, "eine Idee, eine Auffassung genügend zu verankern", was nach Rudolf Farner oberstes Ziel eines Werbefeldzuges ist.

 

Der Kunde in seiner Gesamtheit als Person

 

Farner hat uns auch ein fast morphologisches Vermächtnis hinterlassen:

 

"Heute ... wissen wir, dass ein vernünftiger Appell allein noch nicht genügt, um alle Möglichkeiten für den Verkauf auszuschöpfen. Natürlich bleiben Vertrautheit und vernünftige Argumentation von Wichtigkeit. Der Kunde jedoch tritt uns in seiner Gesamtheit gegenüber als eine Person mit Gefühlen, Ängsten, Aggressionen, mit seinem Ego, und deshalb müssen wir auch für unser Produkt eine totale Persönlichkeit schaffen, die in Relation steht zur Persönlichkeit unseres prospektiven Kunden."

 

 

Abb. VIII.2: Unterschiede Tier - Mensch

 

"Am ehesten geeignet, als höchstes gemeinsames Ziel menschlichen Verhaltens, als überindividueller Sinn anerkannt zu werden", ist laut Walter Bodmer ("Gesellschaftliche Zielsetzung" 1985, 4, 7): "die volle Verwirklichung der Möglichkeiten, die unsere Art von allen anderen Lebewesen unterscheiden".

 

Die sieben Möglichkeiten, die den Menschen von allen übrigen Lebewesen unterscheiden, sind:

· "diejenige, eine Wortsprache zu bilden -

· die ihrerseits die Möglichkeit schafft, nicht nur Wahrnehmungs- und Erinnerungsinhalte, sondern auch Denk- und Gefühlsinhalte zu vergegenständlichen;

· die Möglichkeit der Welt- und Selbsterkenntnis;

· diejenige der Rücksichtnahme auf und der Fürsorge für ferne, unbekannte Individuen sowie abstrakte Werte;

· die Möglichkeit, nach Gerechtigkeit zu streben;

· diejenige, nach Sinn zu suchen,

· sowie die Möglichkeit, schöpferisch tätig zu sein".

 

"Wenn die genannten Möglichkeiten artspezifisch sind, verwirklicht sich der Mensch in dem Masse, in dem er sie voll ausschöpft.

Er kann die volle Entfaltung der besonderen Begabungen seiner Art als Sinn seiner Existenz wählen und vermag damit auch der Evolution des Bewusstseins, die mit dem Entstehen des Lebens vor mehr als drei Milliarden Jahren begonnen hat, neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Die Nutzung der besonderen Möglichkeiten unserer Art fällt uns allerdings wegen unserer Befangenheit in ererbten Programmen der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns nicht eben leicht."

 

 




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