20 000 Jahre Filmgeschichte?
Inhalt [Vorgeschichte des bewegten Bildes] Teil I: Urzeit - 150 n. Chr. Teil II: 150 n. Chr. - 1895 [Technische und wirtschaftliche Entwicklung des Films] Teil III: 1895-1963: die wirtschaftliche und technische Entwicklung [Die Frühzeit des Spielfilms] Teil IV: Die ersten Schritte des "Spielfilms" (1895-1918) [Die Filmklassik] Teil V: Spielfilme 1918-1928 Teil VI: Spielfilme 1928-1945 Teil VII: Spielfilme 1945-1958
Die grössten Filmdatenbanken: www.allmovie.com (mit ausführlichen Filmbeschreibungen)
Filmliteratur: http://www.fachinformation-filmwissenschaft.de/stichwort/genre.html
Umfassende, reichhaltig illustrierte Vorgeschichten des Films: http://www.acmi.net.au/AIC/MAGIC_MACHINES.html http://www.acmi.net.au/AIC/TV_TL_COMP_1.html http://easyweb.easynet.co.uk/~s-herbert/momiwelcome.htm http://www.luikerwaal.com/index.htm
dazu umfassende Mediengeschichten: http://www.terramedia.co.uk/Chronomedia/index.htm
Zu Marey:
Frühe Filme 1895- ca. 1910: ferner Michael Brunnbauer: Sammelwürdige Stummfilme:
Viele Daten zur Filmgeschichte bei: http://www.filmsite.org (bei Reference Info "Film History") http://www.einhundertjahrekino.de/ http://www.kunstwissen.de/fach/f-kuns/film/01.htm http://www.filmsound.org/film-sound-history/ http://www.digitalhistory.uh.edu/historyonline/film_chron.cfm http://library.thinkquest.org/29285/history/?tqskip1=1
Siehe auch: Marksteine der Filmgeschichte Die ersten kleineren und grösseren weiblichen Filmstars 1906-1917
Zur Illustration der Frühgeschichte auf DVD beispielsweise: Landmarks of Early Film, Vol. 1 (1886-1913) 1994 Landmarks of Early Film, Vol. 2 (The Magic of Mélies) 1994 Cinema Europe - The Other Hollywood, 1995 The Lumiere Brothers' First Films, 1996 The Movies Begin - A Treasury of Early Cinema, 1894-1913, 5 DVD, 2002 Before Hollywood, There Was Fort Lee, N.J. - Early Moviemaking in New Jersey, DVD 2003 Griffith Masterworks (The Birth of a Nation / Intolerance / Broken Blossoms / Orphans of the Storm / Biograph Shorts 1909-1913), 4 DVD, 2002 usw.
dazu vom "British Film Institute" die beiden VHS-Cassetten: Early Cinema: Primitives and Pioneers, vol. 1 und vol. 2 Ferner: Wim Wenders: Die Gebrüder Skladanowsky (1996), VHS 2001 Peter Bogdanovich: Nickelodeon (1976), VHS 1995
Gute internationale Suchdienste für VHS und DVD: http://www.digitallyobsessed.com/
oder: Es war einmal ... die Schweiz. Filmbilder aus den Jahren 1896-1934. Schweizer Filmarchiv. 2002 usw.
Siehe auch: http://www.headfilm.ch/ http://www.filmlink.ch/link.php?cat=13
usw.
siehe auch: Literatur zur Philosophie und Theorie von Film - Rundfunk - Fernsehen - Medien
Teil I: Urzeit - 150 n. Chr.
Ein angesehener Filmforscher prägte einst den vielzitierten Satz: "Der Film ist so alt wie die Menschheit." Eine gedankentiefe, doch gefährliche Aussage; es wäre vielleicht besser zu sagen, dass der Gedanke des Films, der Versuch der Wiedergabe von bewegten Elementen mit eigener Hand, in der Ansicht, dass Bewegung identisch ist mit Leben, dieses hohe Alter aufweist. Es bleibt aber strittig, ob man den Menschheitsbeginn vor 20 Millionen Jahren bei den Menschenaffen ansetzen will, wahrscheinlicher aber in die 100 000er Jahre der Eiszeiten verlegt, oder überhaupt erst in den letzten paar 10 000 Jahren beim Homo sapiens davon sprechen kann. Die ersten Quellen bleiben für uns jedenfalls ungreifbar.
Bildmagie der Altsteinzeit
Was wir an ersten Zeugnissen künstlerischen Schaffens besitzen, stammt aus der Altsteinzeit (um ca. 20 000 v. Chr.) und äussert sich vor allem in Plastiken und Höhlenmalereien. Was der damalige Mensch, ein mit der Natur aufs engste vertraute Sammler und Jäger mit seinen scharfen Augen erspähte, versuchte er mit den Händen nachzuformen; zuerst in einem körperlichen, plastischen Naturalismus, und erst später tat er den entscheidenden Schritt zur künstlerischen Abstraktion, zur Projektion eines dreidimensionalen Motivs auf eine ebene Fläche. Die letzte Vereinfachung war dann die Zuwendung zu Zeichnungen von ornamentalem, rein geometrischem Charakter.
Es ist dabei zu beachten, dass die treibende Kraft für diese Menschen kein Kunstwollen, sondern ein Kunstmüssen im Zwange religiöser Vorstellungen war, keine Götterverehrung, sondern eine Bildmagie: Durch den Besitz des (Ab-)Bildes gelangte man zur Beherrschung und Macht über das Objekt. Waren diese Zeichnungen und Malereien vorerst ausgesprochen statisch, aber dennoch dem "Fruchtbaren Moment" einer Bewegung bewusst Rechnung tragend, so prägte sich in Mittelsteinzeit die Bewegungsdarstellung aus. Von der impressionistischen, alles naturgetreu wiedergegebenen Tiermalerei, gelangte man zum Expressionismus in der Menschenzeichnung: springende, dahinstürmende Jäger mit starker Überbetonung der dabei eine tragende Rolle spielenden Muskeln.
Bewegungsabläufe in Gruppenbildern
Die Sichtbarmachung eines kontinuierlichen Bewegungsablaufes wurde aber lange Zeit vernachlässigt, und erst nach einem einmaligen eisenzeitlichen Versuch der Aufzeichnung einer Rauferei in allen Phasen gelangte man dann im 1. Jahrtausend v. Chr. zur Beherrschung dieser Darstellung. In Ägypten, in den Steinreliefs, und im alten Orient feierte die Ausprägung und Ausmalung von Schlachtszenen, Tierkämpfen, Jagden und Wagenrennen wahre Triumphe. Wenn auch die "ägyptischen Sklaven, die Korn schneiden", "die Tempelbauer" oder die "thebanischen Fremdarbeiter bei der Ziegelfabrikation" als beinahe klassische Aufzeichnungen von Arbeitsvorgängen gelten, so dürfen wir doch eine grundlegende Unterscheidung nicht ausser Acht lassen: Die angeführten Beispiele sind nur Gruppenbilder, das heisst, eine Darstellung mehrerer Menschen oder Tiere in verschiedenen Stellungen beim Ausführen der selben Handbewegung nur in einem ganz bestimmten Moment betrachtet. Dieser Kollektivbewegung ist aber die Mehrfachaufzeichnung des Bewegungsablaufes bei einem einzigen Objekt gegenüberzustellen, das kontinuierliche Reihenbild, wie es nun aber in der Antike nirgends vorhanden ist. Deshalb scheint es sehr gewagt, die erste filmische Aufzeichnung einfach so ins Jahre 1400 v. Chr. zu verlegen.
Spiegelprojektionen
Die Kenntnis von der bildhaften Wiedergabe mittels optischer Einrichtungen war aber damals schon verbreitet. Mit Hilfe von ebenen und hohlen Spiegelprojektionen wurden beispielsweise, unsichtbare Figuren hervorgezaubert, was besonders bei Götterkulten und vielleicht auch beim Orakel von Delphi mitspielte. Das Erstaunlichste von allem aber berichtet ein römischer Schriftsteller aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Er schildert eine Projektionsvorführung von richtig bewegten Bildern, von Figuren, die ihre Glieder bewegen konnten und die Stellung nach Belieben wechselten. Es gibt nun Forscher, die hierin die erste Filmvorführung erkennen wollen, doch verliert man sich gerade bei den Untersuchungen der griechischen und römischen Bildwiedergaben in beinahe endlose Spekulationen.
Schilderungen von Ereignissen
Es ist unbestreitbar, dass die eifrig angestrebte Verwirklichung von lebenden Bildern beachtliche Ergebnisse gezeitigt hat, denken wir nur an die chinesischen Schattenspiele, die bald in der ganzen Welt ihre Verbreitung fanden, oder an die effektvollen, vermutlich auch zu kultischen Zwecken gebrauchten Spiegelschrift-Projektionen. Seite an Seite damit zeigten sich die ebenfalls recht wirkungsvollen Reliefdarstellungen auf Tempelfriesen, Triumphbogen oder Obelisken, zum Beispiel die von vielen als "Dokumentarfilm" bezeichnete Schilderung von Kriegszügen auf der Trajanssäule in Rom, oder die Schwarzweissmalereien auf antiken Vasen und die bunten byzantinischen Mosaiken.
Natürliches und künstliches Theater
Neben all diesen, für die Entwicklung bedeutenden, zweidimensionalen, manuell-optischen Ansätzen dürfen wir aber die andere Seite, die Gestaltung von Geschehnissen nicht vergessen. Vom religiösen Ursprung der mystischen Vergangenheit her haben sich Theater und Spiel zu den dionysischen Kulten erhoben und fanden in der legendären ersten attischen Tragödienaufführung im Jahre 534 v. Chr. ihre künstlerische Berechtigung und Grösse. Im Gegensatz zum rein Technischen der Bildaufzeichnung und -wiedergabe bemüht sich das Theater, einen Inhalt zu gestalten, Probleme sichtbar zu machen und eine zusammengefasste Handlung in einer begrenzten Zeitspanne vorzuführen.
Wenn auch Ptolemäus aus Alexandrien um 150 n. Chr. in seiner "Optica" das Phänomen der Gesichtswahrnehmung oder Nachbildwirkung infolge der Trägheit des menschlichen Auges, genau und wissenschaftlich beschrieben hat, so genügt dies noch nicht, um die Anforderungen für einen Film zu erfüllen; denn dazu braucht es auch einen Inhalt, ein künstlerisch geformtes Thema, das darzustellen ist. Einen ersten brauchbaren Versuch in dieser Richtung hatte schon Heron um 100 v. Chr. mit dem mechanischen Theater unternommen: Er führte auf einer Miniatur-Guckkastenbühne mit kleinen, künstlich bewegten Figuren ein "mechanisches Drama", das einen Schiffszug der Danaer behandelte, auf.
Diese kleine Bühne wurde auch noch im Mittelalter als grosse Attraktion überall in ähnlicher Weise kopiert und verbessert, die Erkenntnisse des Ptolemäus aber traten, wie so vieles andere, nach dem Untergang der Antike, den Weg in die Vergessenheit an, und es bedurfte Jahrhunderte Forschens und Suchens, bis alle diese schon damals vorhandenen Errungenschaften aufs neue angewandt werden konnten.
Teil II: 150 n. Chr. - 1895
Nachdem mit dem Untergang der Antike auch die Vielzahl von damaligen Erkenntnissen beinahe vollständig in Vergessenheit geriet, beschränkte sich der Mensch während Jahrhunderten nur noch auf rein religiöse Kunstausübung und unterdrückte seinen allgemeinen und technischen Forscherdrang beinahe ganz.
Von der Camera Obscura zur Laterna Magica
Die Kunde von der ersten objektiven Bilddarstellung drang etwa ums Jahr 1000 von Arabien nach Europa durch. Es war die Idee der Camera Obscura, fussend auf dem Prinzip, dass eine ganz kleine Lochöffnung die Lichtstrahlen eines realen Bildes dergestalt bricht, dass auf einer dahintergehaltenen Fläche ein verkleinertes und umgekehrtes Abbild projiziert wird. Diese aber wiederum vergessene optische Erfahrung wurde dann von Leonardo da Vinci nochmals entdeckt. Fahrende Gaukler verstanden es, sich diese Erkenntnis zunutze zu machen und setzten das Volk durch Herbeizaubern von dämonischen Geistererscheinungen in nicht gelinde Schrecken. Erneut wurde auch mit der Spiegelprojektion oder Spiegelschrift experimentiert, und mit der Camera Obscura kombiniert entstand in der Barockzeit die Laterna Magica, von Athanasius Kircher 1646 erstmals beschrieben. Ähnlich wie Heron schon 1700 Jahre zu vor gelang es ihm, Figuren mit Hilfe von geschliffenen Linsen (anstelle der Lochöffnung) grossflächig zu projizieren. Was er damit ausführte, war im Grunde genommen nichts anderes, als was wir heute mit Lichtbildervortrag bezeichnen.
Buchmalereien und Rouleaus
Auch die Kunst hatte sich unterdessen der Bewegungsdarstellung angenommen; die gotischen Buchmalereien, die Illustrationen der Biblia pauperum, wie auch die weitverbreiteten Hungertücher waren die ersten eindrücklichen, wenn auch noch zaghaften Schritte in dieser Richtung. Neben den eine höhere Entwicklungsstufe darstellenden barocken Kupferstichfolgen von Prunkfesten und Leichenzügen und den Bildzyklen an Kirchenwänden zeichnete sich in den Dutzenden von Querfoliostücken kunstvoller Festschilderungen ein weiteres Bewegungsprinzip ab: Zu einem Rouleau zusammengefügt, und langsam abgerollt ergeben diese Malereien einen getreulich, kontinuierlich aufgezeichneten Handlungsablauf, der sich in allen Einzelheiten verfolgen lässt, wie dies beispielsweise beim berühmten Festzug Kaiser Maximilians von Albrecht Dürer der Fall ist.
Wenn auch nicht gerade damit verwandt, so doch ein ähnliches Gebiet berührend, stellen die Illustrationen von Wilhelm Busch richtiggehende Vorläufer des gezeichneten Trickfilms dar.
Seit 1800: spukhafte Projektionen, Lebensrad, und Wundertrommel
Merkwürdigerweise waren sich diese Erfinder des optischen und künstlerischen Bewegungsprinzips der Bedeutung und Möglichkeit ihrer Entdeckungen nie richtig bewusst. Der Gebrauch, den sie davon machten, war äusserst bescheiden, dafür liessen sie sich dann in "wissenschaftlichen Werken" über phantastische und übersinnliche Ideen aus. Was sie damit erreichen wollten war, den Leuten Eindruck zu machen, einen gehörigen Schrecken einzujagen, was auch oft gelang. Besonders der Belgier Etienne Gaspard Robert, genannt Robertson erregte um 1800 durch seine, Phantasmagorien genannten, Gespenstererscheinungen und spukhaften Projektionen grösstes Aufsehen. Es zeichnete sich also schon damals , wie im heutigen Film, ein Trend ab, Schauereffekte und Gruselstücke darzustellen, welche dem Publikumsgeschmack scheinbar recht zuträglich sind.
Weitere technische Spielereien, wie die Nebelbilderapparate und die Projektionen mit mehreren Apparaten (zum Beispiel auch für Theaterkulissen) , womit ganze Geschichten erzählt werden konnten, zählten mit zum grossen Arsenal der Bildproduktion.
Erst genau eineinhalb Jahrtausende nach Ptolemaeus' Erkenntnissen entdeckte man das Phänomen der Persistenz der Gesichtswahrnehmung wieder: Bei einer Folge von mindestens 16 Einzelbildern in der Sekunde verschmilzt die Trägheit des Auges die einzelnen Bewegungsphasen zu einem kontinuierlichen Bewegungsablauf.
Auf diesem Prinzip beruhen beispielsweise die Wunderscheiben (Thaumatrop), beidseitig bemalte Scheibchen, die, schnell um die Querachse gedreht, ein stehendes Bild erzeugen. Weiterentwicklungen waren das Lebensrad, das Stroboskop von Simon Stampfer oder das gleichbedeutende Phenakistiskop von Joseph Plateau. Dies war im Jahre 1833; einige Jahre später verbesserte Wiliam George Horner das Lebensrad in seiner Wundertrommel (Zoetrop oder Daedaleum), und der Pariser Emile Reynaud erweiterte denn auch dieses System nochmals im Praxinoskop, mit dem er richtiggehende Bildband-Projektionen als "théâtre optique" vorführte. In dieselbe Zeit fällt auch die "Erfindung des Taschenkinematographen", der in einem Bündel schnell abgeblätterter Bilder bestand und sich grosser Beliebtheit erfreute.
So näherte man sich unendlich langsam, mit verspieltem Pröbeln und besessenem Forschen, Prioritätsstreitigkeiten und grossen Enttäuschungen dem eigentlichen Kinematographen immer mehr. Was noch fehlte, war die Verbindung der starren Projektion der Laterna Magica mit dem stroboskopischen Effekt des Lebensrades. Erste Versuche wurden durch Franz Freiherr von Uchatius 1845 unternommen und das Problem bald darauf gelöst, was dem Freiherrn den Ruhm einbrachte, als erster wirklich lebendige Bilder projiziert zu haben.
Moment- und Bewegungsphotographie
Noch fehlte aber die Grundlage zur rationellen Phasendarstellung einer ausgedehnten Handlung, das Momentbild. Das Aufzeichnen dieser Bilder, früher, wie dann später in den Trickfilmen, von Hand ausgeführt, musste von der Momentphotographie ersetzt werden; sie erst verleiht dem Film die Möglichkeit, gegenwärtige Wirklichkeit mehr oder weniger unverfälscht wiederzugeben. 1822 hatte Nicéphore Nièpce mit Hilfe der Camera Obscura das erste eigentliche Photo fixiert, Louis Daguerre erzielte 1837 mit Silberplatten brauchbare Resultate, schliesslich benutzte Talbot das Negativverfahren zur Herstellung von Papierbildern, und nach Einführung besonderer Objektive und weiteren chemischen Verbesserungen konnte die Fixierung des Bildes auf Glasplatten verwirklicht werden.
Noch harrte aber das Problem der raschen Aufnahme von Bewegungsphasen seiner Lösung. Eadweard Muybridge unternahm mit seinen Reihenaufnahmen eines galoppierenden Pferdes unter Zuhilfenahme von 24 gekoppelten Photoapparaten die ersten Experimente. Mit den gewonnenen Bildern verstand er es, ein Projektionslebensrad (Zoopraxinoskop) zu verwirklichen. Nach dem photographischen Revolver und der photographischen Flinte von Etienne-Jules Marey (Vogelflug-Aufnahmen) erzielte Ottomar Anschütz mit seinem Elektrotachyskop (Schnellseher) äusserst beachtliche Resultate; 1894 führte er seine Reihenaufnahmen auf einem Projektionsschirm vor. In Amerika war Le Prince zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangt, wobei er als erster den tragenden Teil des Filmes, eben das Bildband (Film) verwendete. Nachdem unzählige Forscher die photographische Platte durch angenehmere, weniger heikle Substanzen (zuerst durch feuchte Kollodiumplatten) zu ersetzen trachteten, gelang es 1887 Hannibal Goodwin den Zelluloidfilm herzustellen, der bald darauf von Eastman fabrikmässig produziert wurde. Bald darauf führte Thomas Alva Edison die Aufnahmekamera, das Kinetoskop (Betrachtungsapparat) und den standardisierten, perforierten 35mm-Film als grundlegende Neuerungen ein.
1985: die ersten Filmvorführungen
Dem Engländer William Friese-Greene gebührt der Ruhm, als erster Reihenaufnahmen auf Filmstreifen gemacht zu haben. Die Gebrüder Skladanowsky aus Berlin zeigten die ersten lebenden Photographien und die Franzosen Auguste und Louis Lumière unternahmen im selben Jahre, 1895, die ersten öffentlichen wirklichen Filmvorführungen (mit ihrem Cinematographen).
So sind unzählige Erfinderschicksale mit der Geschichte des Films aufs engste verwoben; tragische und erheiternde, phantastische und spielerische Geschehnisse haben mitgewirkt und Jahrhunderte, ja Jahrtausende haben mitgearbeitet, bis endlich ein Zusammen fügen und -wirken von Photographie, Malerei, Plastik, von Zauberlaterne und (Projektions-)Lebensrad, Camera Obscura und Reihenaufnahme die Geburt des Films, wie wir ihn heute vor uns haben, ermöglichte.
Teil III: 1895-1963: die wirtschaftliche und technische Entwicklung
Die Geburtsstunde des Films hatte geschlagen, und damit begann die Trennung in eine künstlerische und technisch-wirtschaftliche Seite, von denen uns hier letztere interessiert.
Von Edisons Penny-Guckkastenbetrachter war der Schritt zur Projektion getan, und es fehlte nur noch der geeignete Mechanismus für den ruckweisen Filmtransport, der vom Deutschen Oskar Messter in genialer Einfachheit durch das Malteserkreuz eingeführt wurde.
"Nickel-Odeon" und "Kintopp"
Im ersten Jahrzehnt seiner Entwicklung wandelte sich der Film von der Variété- und Jahrmarktsattraktion zum Wanderkino in dafür freigestellten Sälen und fand schliesslich in umgebauten, gemieteten, meist düsteren Lokalitäten seinen festen Platz als "Theater".
Leute wie Charles Pathé und Léon Gaumont bemächtigten sich rasch des neuen Mediums. Erst wurde der Filmstreifen nur verkauft, sodass der Besitzer ihn so vielmal zeigen konnte, wie er wollte. Als man dann entdeckte, dass man davon Negativabzüge und damit neue Positive herstellen konnte, blühte der " Film-Freibeuterverkehr " auf, d. h. Urheberrecht war überhaupt nicht bekannt. Den Stempel in technischer Hinsicht drückte dieser Zeit Georges Méliès auf. Er entdeckte im Film mit seiner Erfahrung in Zaubertheatern und seiner illusionistischen Phantasie beinahe sämtliche Trickmöglichkeiten, die wir heute kennen: Zauberkunststücke, Doppelbelichtungen, Blendeneffekte und die Verwendung beweglicher Kulissenbauten.
Ein gigantisches Geschäft war der Film schon früh, brachte er doch Pathé 1905 über 20 Millionen Francs ein. Im selben Jahre wurden in den USA die ersten festen "Filmtheater" eingerichtet, und da der Eintrittspreis einen Nickel betrug, nannte man sie kurzerhand "Nickel-Odeons". Meist europäische Einwanderer, unter ihnen Carl Laemmle und Adolph Zukor, nahmen diese Institutionen an die Hand und scheffelten ihr Geld mit grossangelegten Kinokonzernen. Da aber immer noch kein geregelter und geschützter Vertrieb bestand, mussten die Produzenten für ihren Gewinn dadurch sorgen, dass sie einfach pro Tag mehrere Filme produzierten; an künstlerische Ambitionen dachte dabei kein Mensch. Das führte dazu, dass in den Kinos bis zu 12 oder 20 Filme gezeigt wurden, da deren Spieldauer nur jeweils wenige Minuten betrug.
Das war die klassische Zeit des "Kintopps" (um 1910) auf der Stufe billigster Sensation und Geschäftemacherei, Spekulation auf die Neugierde und Dummheit der Zuschauer (meist aus den niedersten Schichten). Es tobte deshalb ein heftiger Kampf zwischen den Erziehern, den gehobeneren Gesellschaftsklassen und dem Film; der Verderbnis der Jugend durch das Kino "sollte" energisch entgegengesteuert werden, was sich aber meist in heftigen Pamphleten erschöpfte.
Nach 1910: Anspruch auf Kunst und Aktualität
In der Zeit des Ersten Weltkrieges erhob der Film endlich Anspruch, als Kunstgattung voll genommen zu werden, was ihn sofort einem kritischeren Publikum zugänglich machte.
In den USA war unterdessen unter dem Druck der Edison-Gesellschaft der erste "Trust" entstanden, der aus Produzenten, Verleihern und Kinobesitzern bestand, was sofort eine Gesellschaft der "Unabhängigen" auf den Plan rief. Mit der feineren Witterung für die Publikumsinteressen konnten diese den Edison-Trust langsam ausstechen, was wiederum zur Folge hatte, dass sich die Unabhängigen untereinander, in Form der heute noch bestehenden grossen Filmgesellschaften, in harter Konkurrenz befehdeten. Ihnen trat der Regisseur David Wark Griffith bei, der die technisch-künstlerischen Neuerungen der Rückblende und Gegenlichtaufnahme mitbrachte.
1910 war das sonnige, trockene Gelände von Hollywood entdeckt worden, und bald hatten sich alle grossen Produktionsgesellschaften dort niedergelassen; es wurde zum Mittelpunkt der Filmwelt; hier entstanden der Starkult, die Skandale und auch die menschlichen Tragödien gescheiterter Hoffnungen. In Deutschland entwickelte sich, nachdem die Franzosen schon vor dem Krieg Aktualitätendienste eingerichtet hatten, mit den "Dokumenten zum 1. Weltkrieg" die regelmässige Filmwochenschau, und parallel zu den USA entstand der Mammutkonzern der UFA (Universum-Film AG).
Die vom Ansager im Kino vorgenommenen Erklärungen wurden schon früh durch Zwischentitel ersetzt; was sich aber jahrzehntelang hielt, war die pianistische oder gar orchestrale Untermalung des Filmgeschehens von kinoeigenen Musikern.
Vom thematischen her vorerst auf das Theater ausgerichtet, war die Kamera lange Zeit statisch, absolut unbeweglich geblieben und wurde erst gegen die Zwanzigerjahre schwenkend und fahrend, wobei der Kameramann Karl Freund der Entwicklung der "Entfesselung" die Krone aufsetzte.
Es war in dieser Zeit, da Hollywood scharenweise europäische Regisseure und Schauspieler kaufte und für seine über den Durchschnittsleisten geschlagene Produktion einsetzte. Während seiner Vorherrschaft produzierte es jährlich rund 800 Filme mit einem Kapitalaufwand von rund 200 Millionen Dollar (gegenüber etwa einem Viertel der Anzahl heute, dafür aber mit dem entsprechend grösseren Aufwand).
Ab 1927: Tonfilm und bald auch Farbfilm
Da brach mit der Einführung des Tones die Ära des Stummfilms jäh ab; eine grosse Zahl von Darstellern musste wegen "ungenügender Stimme" von der Leinwand abtreten. Edison war wieder einmal der Hauptinitiant; schon um die Jahrhundertwende hatte er das Tonproblem intensiv studiert. Auf Grund seiner Schallplatten brachten die Warner Brothers 1927/28 die legendären Filme mit Al Jolson (aus Litauen) und seinem Schlager "Sonny Boy" heraus. Wieder einmal war es ein Millionengeschäft.
Das Verfahren war aber noch sehr unvollkommen, sodass man auf die fotografische Tonaufzeichnung zurückgriff. Diese Art wurde in jahrelanger Arbeit von drei Deutschen (unter den Namen Tri-ergon) entwickelt; sie ernteten aber mit ihrer ersten öffentlichen Vorführung (1922) keinen Erfolg, sodass sie in der Schweiz Kapital aufnahmen. Der Chance, an diesem grossen Geschäft teilzuhaben, gingen die schweizerischen Geschäftsherren aber verlustig. In den USA kaufte die Fox die Tri-ergon-Lizenz auf und war damit für Jahre der gefürchtete, weil besser ausgerüstete Konkurrent der Warner Bros.
Mit dem Ton tauchte auch die Frage der fremdsprachigen Verbreitung auf. Meist begnügte man sich mit der zwar kostspieligeren Synchronisation, die aber als künstlerisch nicht tragbar, dank dem unermüdlichen Einsatz von Filmfreunden und -kritikern durch die einfachere Untertitelung abgelöst wurde.
1928 trat auch Walt Disney mit seinen Mickey-Mouse-Filmen (Trickfilme zeichnete er schon seit etwa acht Jahren) an die Öffentlichkeit; mit der nun möglich gewordenen Musikverbindung erstanden diese Figuren erst recht zu sprühendem Leben.
Gleichzeitig begann England mit den Produktionskonzernen Joseph Arthur Ranks und seines Widersachers Alexander Kordas Deutschland zu überflügeln und die Spitze der europäischen Filmnationen einzunehmen.
Etwa zehn Jahre später kam die Farbe im Film auf; erste Versuche mit Filtern hatten das Technicolor-System entstehen lassen (erstmals 1926 und 1932); in Deutschland operierte man mit dem subtraktiven Agfa-Color-Verfahren und erzielte damit gleichzeitig mit den USA die grossen Farbfilmerfolge der Vierzigerjahre.
Immer breitere Leinwände
Die neueste Entwicklung, vor allem infolge der scharfen Konkurrenzierung durch das Fernsehen, ist die Tendenz zur Breitleinwand und zum plastischen Film. Zuerst wurden anfangs der Fünfzigerjahre die ersten 3-D-Filme vorgeführt; an den dafür notwendigen, unbequemen Brillen und der Inhaltslosigkeit des Gezeigten scheiterte dieses Unternehmen aber bald. 1952 tauchte das Cinerama auf (schon 1926 vom Franzosen Abel Gance erstmals verwendet), als dessen Nachfolger das Circorama (360°-Leinwand) in internationalen Messen die Zuschauer überwältigt. Um neben dem Fernsehen aber wirksam bestehen zu können und weil es noch gewissen künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten Platz liess, war einzig das auf Henri Chrétien basierende Cinemascope (1953) als heute [1963] gängigstes System brauchbar. Daneben tauchte das Todd-AO auf (1955), und die von Griffith schon 1916 angewendete bewegliche Bildumrahmung wird neuerdings Studien unterzogen.
Hingegen sieht man für die Duft- und Fühl-Filme (denn manche Produzenten möchten alle Sinne des Zuschauers beanspruchen) keine grosse Zukunft voraus. Eines der schwierigsten chemischen Probleme ist auch heute noch die Beseitigung von Gerüchen, und anderseits ist es nicht unbedingt angenehm für den Zuschauer, wenn er alle handgreiflichen Vorkommnisse und Tätlichkeiten, die sich auf dem Bildschirm abspielen, mitfühlen muss oder darf.
Kurzum, die plastische Erscheinung, die Breitleinwand, der Geruch und das Mitfühlen eröffnen dem Film sicherlich spektakuläre Erfolge und vielleicht auch Möglichkeiten, denn das Publikum ist schon wie zur Zeit des Kintopps auf Neuigkeiten sehr ansprechbar; dem Film als Kunst ist aber damit kein Dienst erwiesen, denn alle diese technischen Neuerungen entfernen ihn nur von seinem eigentlichen Wesen.
Teil IV: Die ersten Schritte des "Spielfilms" (1895-1918)
Mit der Erfindung des Kinematographen (griechisch Bewegungsschreiber), an der neben Edison und den Gebrüdern Lumière während Jahrzehnten Dutzende von eifrigen Forschern und spielerischen Pröblern massgeblich beteiligt waren, ist es möglich, vom richtigen Film, dem auf eine Leinwand projizierbaren bewegten Bild, zu sprechen.
Von den gefilmten Alltagsszenen zum "künstlerischen" Film
Noch vor der Jahrhundertwende hatte der Film seinen Siegeszug um die ganze Welt angetreten. Neben der technischen Entwicklung, die von nun an nicht mehr viel grundlegend Neues bringen konnte, begann sich für Techniker und Künstler das weite Feld der mehr oder minder künstlerischen Gestaltung des Aufzunehmenden (und vor einem breiten Publikum Wiederzugebenden) zu öffnen.
Nach dem in die Geschichte eingegangenen ersten Filmstreifen (von ca. 1 Minute Dauer), "La sortie des ouvriers de l'usine Lumière" (1. geschlossene Vorführung am 22.3.1895), begann bald die grosse Film-Dreherei; aus allen Lebensgebieten wurde vorerst in der beinahe kindlichen Freude über die Möglichkeiten der neuen Errungenschaft wahllos zusammengefilmt, was es scheinbar Interessantes zu sehen gab. Aber bald hatte dieses ungeordnet aufgenommene Alltagsgeschehen den Reiz für das scharenweise herbeigeströmte Publikum verloren. Die Suche nach "Spielfilm-Handlungen" begann; die gesamte Weltliteratur wurde durchstöbert und ausgeplündert. Ohne eigentliche Ahnung von Dramaturgie, von filmischen Eigengesetzen, ohne Stil, wurden das Handlungsgerüst übernommen, Effekte gesteigert, alles vergröbert. Von "abgrundtiefer" Tragik erschütterten sie das Publikum, und die wild gestikulierenden, vom Theater hergeholten Darsteller hinterliessen in einfacheren Menschen einen grossen Eindruck. Diese barbarisch anmutende, niederste Kunststufe war aber ein notwendiger, weil natürlicher, erster Schritt in der Entwicklung zur echten Kunst.
Die Gebrüder Lumière verloren bald, infolge ihrer technischen Ausrichtung, das Interesse an ihrer Erfindung und machten neuen Pionieren, wie Charles Pathé und Georges Méliès Platz, welche ihre eigenen Produktionsstätten errichteten. Als Künstler, wie als Techniker erwies Georges Méliès dem Film die grössten Dienste; die ersten Spielfilme beruhen auf ihm; er aber verschwand bald; geschäftstüchtigere kamen nach, und es blieb einzig die Erinnerung an seinen wohl grössten Film: "Le voyage dans la lune" (1902).
Bereits trat auch der zeitnahe Dokumentarfilm, der etwa die russische Revolution von 1905 beschrieb, auf.
Der französische Film beherrscht den Markt
Der französische Film beherrschte bis vor dem ersten Weltkrieg den internationalen Filmmarkt; der Regisseur Ferdinand Zecca und später Louis Feuillade, dessen Spezialität die Fortsetzungsfilme, Serien waren, galten als wichtige Exponenten.
1908 erschien der erste "künstlerische Film", "Die Ermordung des Herzogs von Guise", nachdem das Interesse des Publikums an den ewig gleichgearteten Themen der "Spielfilme" erlahmt war, und sich deshalb die Mitglieder der ersten Bühne Frankreichs zur Mitarbeit bereit erklärt hatten. Es war der erste Langfilm mit durchgehendem Handlungsablauf, aber nicht mehr als minutiös genau verfilmtes Theater. Als wichtige Persönlichkeit des französischen Filmes trat anderorts der Komiker Max Linder als erster "Filmstar" auf, der das Vorbild aller amerikanischer Humoristen werden sollte. Man rühmte ihm seine Natürlichkeit und Abkehr von der Theatralik nach. Auf anderem Gebiet nachte sich Emile Cohl mit seinen ersten Zeichenfilmen einen Namen.
England
Ein allererster Lichtblick zeigte sich in England kurz vor der Jahrhundertwende, als der Erfinder und Regisseur Robert William Paul (später George Albert Smith und James Williamson) in die Produktion eintrat. Schon 1906 aber war die ganze Herrlichkeit dahin, Pathé hielt seinen Einzug hier. Vieles was Regie, Inhaltsgestaltung (dokumentarisch, realistisch und trickhaft) und Aufnahmetechnik betrifft, hat England aber dennoch entscheidend beeinflusst.
Italien
Auch in Italien setzte etwa gleichzeitig die Produktion der damals allgemein meist eine halbe bis höchstens eine Stunde dauernden Filme ein. 1905 drehte Filoteo Alberini den ersten italienischen Spielfilm. Es mag etwas erheiternd wirken, dass damals genau die selben Themen überwiegten, wie wir sie leider heute wieder nur allzuoft begegnen: "Die Eroberung von Rom", "Der Fall von Troja", etc. Das Hauptmerkmal dieser und späterer historischen Verfilmungen war ihre von Pathos erfüllte Monumentalität.
Mit "Quo Vadis?" (1912) von Enrico Guazzoni eroberte sich Italien schlagartig den ersten Platz in der Welt des Films, und der nächste Riesenfilm, "Cabiria" (von Giovanni Pastrone), mit den damals berühmtesten Schauspielerinnen festigte Roms Ansehen als Filmgrösse derart, dass Frankreich daneben verblassen musste. Die Kenntnis der planmässig bewegten Kamera, künstlicher Beleuchtung und der Lenkung von Statistenheeren und Tierherden trug zu diesem Erfolg bei.
Diese Vorläufer der amerikanischen Monumentalfilmproduktion, hatten infolge der Überblähung doch bald den Niedergang zur Folge, wenn auch die Auflockerung durch realistische und futuristische (absolute) Bestrebungen ihn etwas milderte.
Dänemark und Schweden
Die skandinavischen Länder führten indessen etwas ganz anderes in den Film: das beherrschte, phrasenlose Spiel und die Stimmungsbilder, die "filmische Atmosphäre", das nordische melancholische Gemüt spiegelnd. Urban Gad brachte den grössten "Star" der Stummfilmzeit, Asta Nielsen, heraus und machte sich mit der ersten, schriftlich niedergelegten "Filmdramaturgie" einen Namen.
Eine Zeitlang verstand es Dänemark sich zur ernsthaften Filmnation aufzuschwingen und brachte beispielsweise den Schauspieler Valdemar Psilander zu weltweiter Popularität.
Deutschland: Die Schauspieler waren wichtig
In Deutschland war es der unermüdliche Oskar Messter, welcher den ersten deutschen Filmstar, die Laienspielerin Henny Porten, auf die Leinwand führte. Im Gegensatz zu andern Ländern lag hier das Hauptgewicht bei den Schauspielern und weniger bei den Regisseuren; ein Albert Bassermann, Emil Jannings, oder später Harry Liedtke prägten das Gesicht des deutschen Films.
Daneben machte vor allem der weibliche Starkult grosse "Fortschritte". Pola Negri, Theda Bara und wie sie alle hiessen, mussten die Ansprüche des in sie nun einmal vernarrten Publikums in ihren Serienfilmen zufriedenstellen. Es wurde alles produziert nach Romanen, Theaterstücken, Dramen, Lustspiele, Sensationsfilme und die beliebten Detektiv-Serien.
USA: richtige Filme und Stars
In den USA hatte Edison schon vor 1895 für sein Kinetoskop Filmstreifen mit Handlung fabriziert. Seine Mitarbeiter, William K. L. Dickson (aus England) und Edwin S. Porter machten sich bald selbständig, und letzterer drehte 1903 den ersten amerikanischen Spielfilm, ein Wildwest- und Kriminalstück zugleich, "The Great Train Robbery". Auf ihn gehen die Einführung der Grossaufnahme und des filmischen Schnitts als gestaltendes Element zurück. Mit dem Ersten Weltkrieg begann genau dieselbe Entwicklung, wie auch in Deutschland: Die Einfuhr ausländischer Filme stockte, und der vermehrten Nachfrage des Inlandes musste durch gesteigerte Eigenproduktion Genüge getan werden. Die kriegsführenden Länder waren aber immerhin noch gewillt, von Neutralen Filme einzuführen, was die kurze Blütezeit Dänemarks erklärt. Am Ende des Krieges hatten die USA beinahe den ganzen Filmweltmarkt besetzt, allein auf weiter Flur war Deutschland die einzige ernstzunehmende Konkurrenz.
Amerikas Spezialität waren Monumentalfilme, Kriminal-Stories und Western, daneben der Starkult: Die Cowboys Broncho Billy, Tom Mix und William S. Hart, Mary Pickford mit Douglas Fairbanks sen., die Geschwister Lillian und Dorothy Gish sowie die Komiker Ben Turpin, Harold Lloyd und Buster Keaton sind die wirkungsvollsten Repräsentanten.
Die Prägung des amerikanischen Stils gelang dem Kanadier Mack Sennett (mit irischen Eltern) in seinen Slapstick-Komödien und vor allem D. W. Griffith in künstlerischer, effektvoller Gestaltung und Beherrschung der Massen mit seinen Werken "Birth of a Nation" (1914) und "Intolerance" (dessen Untertitel "Love's Struggle Through the Ages" ein Bild von der ungeheuren Mehrschichtigkeit und Vielfalt des weitgespannten Themas gibt).
Vom Variété-Beiprogramm über die Hinterzimmer zum festen Lichtspieltheater und vom Wochenschau-Charakter über die nur wenige Minuten dauernden Theaterverfilmungen zu den Historiengemälden, prunkvoll überladen, pathetisch oder in dokumentarischer Nähe, ebnete sich der Film in diesen zwei Jahrzehnten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in Experimenten und ernsthaftem Ringen mit den künstlerischen Ausdrucksmitteln den Weg zur Möglichkeit, als Kunstwerk gelten zu können.
Es war eine harte, heute vielleicht, aber sehr zu Unrecht, belächelte Kinderzeit, die eine notwendige und überaus lehrreiche Schulung darstellte.
Teil V: Spielfilme 1918-1928
Deutschland und der künstlerische Film
Mit dem Weg des Films zur Kunstgattung, der schon etwa 1913 in Deutschland mit dem "Studenten von Prag", mit Paul Wegener und nach einem richtig filmdramaturgisch konzipierten Drehbuch seinen Anfang nahm, begann sich bald die Tendenz zum Mystischen, Übersinnlichen und Obskuren abzuzeichnen. "Der Golem" war der nächste bedeutende Film dieser Art und nach dem Ersten Weltkrieg entstand mit der Unterstützung der UFA der Regie-Film, wo nicht mehr dem Darsteller, sondern dem Drehbuch und der Regie grosses Gewicht zukam.
Es war eine Abkehr, zum Teil auf den Spuren der USA, vom Starfilm zu Monumentalwerken einerseits, zu ernsthaft künstlerischen Versuchen für ein internationales Verständnis, andererseits. Letztere Gattung beherrschte vor allem Ernst Lubitsch, dessen historische und Lustspielfilme ihm dann auch eine Berufung nach Hollywood (wie auch so vielen andern bedeutenden europäischen Schauspielern und Regisseuren) eintrugen.
Auf den Hang zum Gruseligen kamen die Deutschen 1920 mit dem "Cabinet des Dr. Caligari" zurück. In den expressionisch verzerrten Kulissen, fern jeder Wirklichkeit spielt sich die unheimliche Geschichte ab, nach dem Buch von Carl Mayer und unter der Regie von Robert Wiene; es wurde ein berühmtes, aber wie die moderne Kunst heftig umstrittenes Werk.
Der nächste bedeutende Regisseur war Fritz Lang, der sich mit den die verwirrte und zerrüttete Nachkriegsstruktur der gesamten Kultur und Gesellschaft zeigenden psychopathologischen eindrucksvollen Filmen wie mit seinen Monumentalwerken einen Namen machte ("Dr. Mabuse", die Nibelungentrilogie nach Thea von Harbou, und "Metropolis"). Beschäftigte sich Lang mit der Gegenwart, zerbrochenen ethischen Wertungen, Historie der Zukunftsvisionen, so arbeitete sich Friedrich Wilhelm Murnau über Phantasie-Gruselfilme zum noch nie Gewagten vor, zur Darstellung eines ganz gewöhnlichen Menschen, wie es ihn überall gibt, eines alternden Hotelportiers im "Letzten Mann" (1924), von Emil Jannings einzigartig verkörpert, gelebt. Es folgten die sehr freie Verfilmung des "Faust" und einer reizvollen Erzählung der Südsee, "Tabu".
Auf ganz anderem Gebiet machte Dr. Arnold Fanck (mit Luis Trenker und Leni Riefenstahl) durch seine halbdokumentarischen Berg-Spielfilme die imposante Gletscherwelt der Alpen und die erhabene, freie Natur, im Gegensatz zu der Atelierwelt aus Pappe, bekannt. Daneben hielten sich im Spielfilm Paul Czinner und Ewald André Dupont in der Gunst des Publikums, was den Initianten der experimentierenden, abstrakten, avantgardistischen Richtung (Viking Eggeling, Hans Richter und Walter Ruttmann) nicht in erwünschtem Masse gelang.
Neben den eigenwilligen Regisseuren dürfen aber doch die Schauspieler nicht vergessen werden. Zum grössten Teil vom Theater herkommend, stellten Paul Wegener, Emil Jannings, Albert Bassermann, Werner Krauss, Conrad Veidt, Harry Liedtke und Pola Negri (die das Erbe Asta Nielsens antrat) die gefeierten Lieblinge des Publikums dar.
Von filmischer Eindrücklichkeit waren noch die zweite Verfilmung des "Golem" (1920) und Fritz Langs "müder Tod". Die Überleitung zum Tonfilm führte Georg Wilhelm Pabst durch, der schon 1925 mit seiner "freudlosen Gasse" (mit Greta Garbo) und "Geheimnisse einer Seele" Zeugnis seiner Fähigkeiten ablegte.
Neben den bis ins letzte analytisch zergliederten Psychopathenthemen, den Monumentalfilmen, gemeinsam basierend auf der fundierten Führung der Kamera sowie der Ausschöpfung filmischer Möglichkeiten waren selbstverständlich auch andere Filmarten vertreten: Weltenbummlerfilme und Serien über "Friedrich II." neben den Gruselfilmen, die wieder einmal eine notwendige, experimentelle Zwischenstufe darstellen mussten.
Frankreich: psychologisch und avantgardistisch
Mit dem Ersten Weltkrieg war das Ende des französischen Films gekommen; fortan bewegte sich die Produktion in sehr bescheidenem Rahmen; von künstlerischer Bedeutung vermochte sich aber der Filmimpressionismus (in Anlehnung an die Malerei)und die "Avantgarde" unter initiativer Führung Louis Dellucs durchzusetzen. Neben dem Begründer des "Film d'art" Abel Gance ("La roue" 1922; später der Monsterfilm "Napoleon" und Marcel L'Herbier setzte sich eine eigenwillige Frau, Germaine Dulac, als Regisseurin von psychologischen, dann avantgardistischen Werken durch. Von den grossen Malern und den deutschen Experimentatoren stark beeinflusst, begann unter ihrer Hand und der Jean Cocteaus und Luis Bunuels ("Le chien andalou",1928) die Abstraktion Einzug zu halten, sogar in Form von richtiggehenden Spielfilmen. Finanzielle Schwierigkeiten und fehlender breiter Publikumserfolg brachte diese "visuellen Sinfonien" aber bald zum Verschwinden. Als Gebrauchsregisseure beherrschten Alberto Cavalcanti und Jacques Feyder an der Seite von Jean Epstein, Jean Renoir und des Dänen Carl Theodor Dreyer das Feld. Letzterer schenkte dem Film eine unvergessliche, stilvolle Rekonstruktion der "Passion de Jeanne d'Arc" (1928); mit diesem wortlosen Meisterwerk klang der französische Stummfilm aus.
England und Italien: wenig bedeutend
Die ebenfalls darniederliegende, mittelmässige Produktion in England wurde nur durch einige bahnbrechende Leistungen auf dem Gebiet des Dokumentarfilms etwas gehoben ("Scott's Antarctic Expedition") Bedeutendster Regisseur auf diesem Gebiet sollte später John Grierson werden, dem im kommerziellen Sektor Alfred Hitchcock und Anthony Asquith entgegen standen.
Die Bedeutungslosigkeit des italienischen Films wurde nur durch die Bemühungen Alessandro Blasettis und seiner Filmklubs etwas aufgelockert; daneben sind als Regisseure Baldassare Negroni und Mario Camerini zu nennen.
Dänemark und Schweden: hochstehend
In Skandinavien beherrschte eine durchaus hochstehende Produktion unter Urban Gad, Victor Sjöström und Mauritz Stiller den Markt. Letzterer entdeckte Greta Garbo; ihre und ihres Förderers Einwanderung nach Hollywood bedeutete einen plötzlichen Niedergang des nordischen Films, obwohl der Geist der Dichterin Selma Lagerlöf immer noch schützend und inspirierend darüber lag. Asta Nielsen erfreute sich mit den dänischen Komikern Pat und Patachon noch lange Zeit grosser Popularität; mit dem Tonfilm hatte aber auch ihre Stunde geschlagen.
Russland: verstaatlichte Produktion, politische Tendenz
Nach den Pionierleistungen im russischen Film durch Ladislaus Starewitsch (Puppen- und Zeichenfilme seit 1912) und den Neuerungen in Aufnahme- und Ausstattungstechnik (Verwendung des Lichtes, plastische Bauten) und dem Ausbruch der Revolution 1917 begann (nach der üblichen schundbeladenen Kinderzeit) eine völlig neue Epoche. Die Produktion wurde verstaatlicht, in den Dienst (d. h. Agitation und Propaganda) des Sozialismus gestellt, als "kämpferisches Aufklärungsmittel" und als politische Waffe gebraucht. Zwei Linien gab es, eine linke-dynamische und eine rechte-naturalistische; zu ersterer gehörten Dziga Wertow mit der Förderung des "Kino-Auges" (dokumentarische Erfassung und Montage) und als Hauptvertreter Wsewolod Illanowitsch Pudowkin und Sergei Michailowitsch Eisenstein. Neben der Montage verfochten sie den intensiven schauspielerischen Ausdruck (meist mit Laienspielern). Pudowkins "Mutter" (nach Gorki) sowie Eisensteins Meisterwerke, allen voran der unvergessene, grösste politische Tendenzfilm "Panzerkreuzer Potemkin" (1926) bleiben als Säulen der Filmgeschichte stehen.
USA: Das grosse Geschäft, Licht und Schatten [leicht ergänzt]
Die Situation in den USA war vor allem von der aus ihrer beinahe jahrhundertealten puritanischen Enge gelösten, nun vergnügungssüchtigen, begeisterten unermesslichen Zuschauerschar geprägt, als Geschäft des eingewanderten Schwaben Carl Laemmle, der Ungarn Adolph Zukor und William Fox (ehemals Fuchs), des Polen Samuel Goldwyn (Goldfish), des Russen Louis B. Mayer mit Jesse L. Lasky, Jack und Harry Cohn, John R. Freuler (aus der Schweiz), den Selznicks (aus Russland), den Loews (aus Österreich) und Warners (aus Polen). Nach dem Krieg wurde mit den reichlich vorhandenen finanziellen Mitteln weiterhin Gewinn um jeden Preis erstrebt, was beispielsweise dazu führte, dass der Publikumsgeschmack ständigen Prüfungen unterzogen werden musste. Seichte Stoffe, leichte Unterhaltung waren scheinbar das Gefragteste, und so spezialisierte man sich auf die "Traumfabrik", die Illusionswelt, den Alltagsproblemen entrückt.
Der beinahe auf Leben und Tod geführte Konkurrenzkampf der Produktionsgesellschaften war zwar nicht dazu angetan, etwa künstlerisch wertvolle Filme auf den Markt zu bringen. Aber den zusammengebrochenen italienischen und französischen Film hatten die USA geschickt ersetzt und überfluteten nun unter dem Decknamen des "freien Welthandels" erbarmungslos ganz Europa, samt dem lange Zeit Widerstand leistenden Deutschland, die ganze Erde. Das Geschäft der Filme wurde in New York getätigt, die Produktion lag in der Zauberstadt Hollywood, von Streben nach Ruhm, von Habsucht gezeichnet.
In dieser turbulenten, niemanden mehr loslassenden Maschinerie musste alles minutiös geregelt sein; alles war überwacht, ein Moralboss musste eingesetzt werden, vorbeugend und Missstände heilend; die Zensur entstand. Diese Welt von grellstem Lichte und dunkelster Schatten brachte in den Zwanzigerjahren, dem goldenen Zeitalter des Films, immerhin auch einige beachtenswerte Werke heraus. Des genialen Moneymakers Cecil B. de Milles zum Teil religiöse Monumental-Ausstattungsfilme, Thomas Harper Inces Werke des unsterblichen, die beinahe populärste Filmart darstellenden Westerns, die Groteskkomödien sowie der Kult des Vamps (durch ausgeklügelte, aber auch marktschreierische Reklame populär gemacht) bildeten die Hauptlinien.
Ein Kapitel für sich war der Filmgenius Charlie Chaplin (aus London); in "The Kid", "Goldrush" und "City Lights" hatte er tiefe menschliche Anklagen und Weisheiten versteckt, Erich von Stroheim (aus Wien) erhitzte mit seinen von dämonischer Grösse erfüllten "Greed" (1923) die Gemüter, während sie Ernst Lubitsch (aus Berlin) mit seinen feinsinnigen Komödien erfreute; Joseph von Sternberg (aus Wien) drehte den ersten Gangsterfilm und "The Last Command" (mit Emil Jannings). Auf dem Gebiet des Dokumentarfilmes erwarb sich Robert J. Flaherty (Sohn eines Iren und einer Deutschen) mit "Nanook of the North" bleibende Verdienste. King Vidor aus Budapest ("The Crowd"), der teilweise gewagt mit Western experimentierende James Cruze (in einem Indianerreservat geboren) und Paul Leni aus Stuttgart mit seinen Gruselfilmen bildeten einen namhaften Hollywoodstab. Der Ausklang des Stummfilmes aber war der unerwartete Tod des Idols Rudolfo Valentino (aus Apulien) mit dem darauf folgenden, unbeschreiblichen Totenkult. Daneben mussten sogar Publikumsgünstlinge wie Douglas Fairbanks sen. (mit der Kanadierin Mary Pickford) in seinen romantisch-fröhlichen Abenteuerstücken verblassen.
Teil VI: Spielfilme 1928-1945
Mit den ersten Tonfilmerfolgen der Warner Brothers 1927/28 war der akuten Krise im amerikanischen Film Einhalt geboten worden. Filme mit Schallplattenbegleitung hatten sich schon früher einmal, etwa von 1903 bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges, als "Tonbilder" grosser Beliebtheit erfreut. Mit dem richtigen Tonfilm war es ebenso. Die in der Folge ohne eigentliche Tonfilmdramaturgie gedrehten Streifen warfen aber bald Probleme auf. Inhaltslosigkeit und Beschränkung auf den Innenmarkt wegen der Sprache entzogen dem so vielversprechenden Geschäft grosse Teile des Publikums.
Deutschland: kurze Meisterschaft, beliebte Stars
Ernsthaften künstlerischen Versuchen gelang es aber bald, das Malaise zu beheben. 1930 brachte Deutschland den "Blauen Engel" heraus, nicht so sehr dank Marlene Dietrich als schöner Lola, sondern als Zeugnis vollkommener Beherrschung von Ton und Dramaturgie in heute noch vorbildlicher Weise geschätzt. Der Regisseur, Wilhelm Thiele, verschaffte der Tonfilmoperette ("Die Drei von der Tankstelle") internationale Anerkennung, von Eric Charell in "Der Kongress tanzt" mehr revueartig ausgebaut. Dr. Arnold Fanck, Luis Trenker und Leni Riefenstahl führten ihre Berg- und Naturfilmerfolge in grossem Gegensatz dazu weiter ("Das blaue Licht"), aber von grösserer Bedeutung war das Wirken von Georg Wilhelm Pabst, der zeitnahe und aktuelle Themen mit grosser Eindrücklichkeit behandelte: die Sinnlosigkeit des Krieges in "Westfront" (1930), eine Zeitparodie in der "Dreigroschenoper" und einen Aufruf zur Verbindung der Völker in "Kameradschaft". Neben Paul Czinner (mit Elisabeth Bergner) gab Fritz Lang mit "Eine Stadt sucht einen Mörder" ein prägnantes Bild seiner Meisterhaftigkeit, die er aber nach seiner Emigration in die USA höchstens noch in "Fury" (1936) aufrecht erhalten konnte. Einen Namen machten sich auch Reinhold Schünzel mit "Amphitryon", die Regisseuse Leontine Sagan mit dem nur von Frauen gespielten Film "Mädchen in Uniform", Robert Siodmak mit dem Dokumentar-Spielfilm "Menschen am Sonntag", Slatan Dudow, Fedor Ozep und Anatole Litvak, der sich zusammen mit Siodmak in den USA zur Berühmtheit emporschwang.
Zur Zeit der Naziherrschaft sank dann der deutsche Film zu Bedeutungslosigkeit herab. Unter der Hand von Reichspropagandaminister Dr. Josef Goebbels waren zwar fruchtbare Bestrebungen im Gange, Absatzschwierigkeiten auf dem ausländischen Markt verwehrten ihnen aber ein grosses Echo. Anfangs des Zweiten Weltkrieges wurde die ganze Produktion energisch und recht erfolglos zentralisiert. Hauptsächlich waren Kriegsfilme erwünscht (Karl Ritter) oder selten genug heitere Themen damit vermischt ("Wunschkonzert" von Eduard von Borsody), daneben vor allem aufrüttelnde oder anspornende Dokumente von der Front. Ein grossangelegter Dokumentarfilm über die Berliner Olympiade 1936 wurde ein beachtlicher Propagandaerfolg.
Als Regisseure traten hervor: der umstrittene Veit Harlan ("Jud Süss", "Immensee"), Gustav Ucicky, Herbert Maisch mit seinem erstaunlichen "Friedrich Schiller" (1940), Frank Wisbar mit "Fährmann Maria", Geza von Bolvary, Willy Forst, Carl Fröhlich, Wolfgang Liebeneier, Hans Steinhoff und später Helmut Käutner. Das Publikum kümmerte sich aber nicht so sehr um die Regisseure wie um die Stars: Zarah Leander, die grossmütterliche Adele Sandrock, Willy Fritsch mit Lilian Harvey, Hans Albers (auch im Farbfilm "Münchhausen "1943), der Wiener Paul Hörbiger, der Volksschauspieler Hans Moser und die Theaterschauspielerin Paula Wessely (in "Maskerade").
Von Willi Fritsch inspiriert und dominiert: Österreich
An die Sascha Kolowrat-Epoche (1910-27) von Alexander Korda, Michael Curtiz, Gustav Ucicky, Ernst Marischka und dem unermüdlichen Karl Hartl, die 1924/25 ihre grosse Krise erlebte, konnte die Willi Forst-Ära (von "Leise flehen meine Lieder", 1933, über "Maskerade", 1934, bis "Frauen sind keine Engel", 1943) nicht mehr anknüpfen. Wie auch früher krankte der österreichische Film ständig an der Abhängigkeit vom deutschen Absatzmarkt, die soweit ging, dass Goebbels die Wiener Produktion bezahlte.
Von Ausländern angeführt: die Schweiz [ergänzt]
Mit der Schweizer Filmproduktion war es nie rosig bestellt. Viel verdankt sie ausländischen Künstlern. Die erste schweizerische Spielfilmproduktionsgesellschaft "Präsens" wurde 1924 vom jungen Polen Lazar Wechsler (der mit 18 Jahren in die Schweiz kam) gegründet. Der dokumentarische Film "Frauennot-Frauenglück" (1930) wurde von Sergei M. Eisenstein und seinen Mitarbeitern Grigori Aleksandrov und Eduard Tissé gedreht, "Die Herrgotts-Grenadiere" (1932) vom Schwaben Anton Kutter, "Une femme disparaît" (1942) vom Belgier Jacques Feyder. Der Wiener Theaterschauspieler und -regisseur Leopold Lindtberg steuerte seit seinem "Füsilier Wipf" (1938) mehrere Verfilmungen von Schweizer Themen bei; davon gelangte "Die letzte Chance" (1945) an die Weltöffentlichkeit. Gute Ansätze zeigten von den Bernern August Kern "Die Weisse Majestät" (1933) und Franz Schnyder "Gilberte de Courgenay" (1941), von den Baslern Max Haufler "Farinet" (1938) und Sigfrit Steiner "Steibruch" (1942), vom Zürcher Hans Trommer (mit deutschem Pass) "Romeo und Julia auf dem Dorfe" (1941). Haufler und Steiner arbeiteten später vorwiegend als Schauspieler. Nach seinem Dokumentarfilm "Der Werktag" (1931) verlegte sich der Zürcher Richard Schweizer auf das Drehbuchschreiben (er erhielt 1944 und 1948 dafür einen Oscar). Bemerkenswerte Arbeit leisteten die Zürcher Emil Berna (Kameramann), Robert Blum (Filmkomponist) und Hermann Haller (Cutter).
Französischer Esprit
In Frankreich führte die Anwendung des Tons zuerst zu einer langen Reihe von Theaterverfilmungen, bis René Clair den beschwingten französischen Esprit mit "Sous les toits de Paris" durch die Einsetzung von Melodien in unnachahmlicher Weise ins Bild setzte. Die leichten Humoresken, die er später und in den USA drehte, reichen aber nicht mehr daran heran. Der jung verstorbene Jean Vigo fand mit seinen vier kleinen Werken besonders in Fachkreisen grossen Nachhall, und Jacques Feyder bewältigte nach "Le grand jeu" eine historische Vorlage in "La Kermesse heroique". Nach einigen eher unbedeutenden Filmen drehte Jean Renoir 1937 "La grande illusion", darauf "La bête humaine"'. Einer der fruchtbarsten Regisseure war sodann Julien Duvivier; seine Werke "Pépé le Moko" und "Carnet de bal" sind zwar von unterschiedlicher Gestaltung, aber dennoch eindrücklich. Marcel Carné bestach durch seine Milieuschilderungen in "Quai des brumes" (1938) und "Le jour se lève", beide mit Jean Gabin; und schliesslich legte auch Sacha Guitry, neben Jean Grémillon und Marcel Pagnol, im Film Zeugnis seines Esprits ab.
Englands Charakterbilder
Auch England blieb nicht untätig. Unter Alexander Korda ("The Private Life of Henry VIII", 1932, mit dem unvergleichlichen Charakterdarsteller Charles Laughton und dem Produzenten Joseph Arthur Rank) trat eine grosse Expansion ein.
Der entscheidende Beitrag zum Filmwesen war der Dokumentarfilm. John Grierson mit "Industrial Britain" und vor allem Robert Flaherty mit den "Men of Aran"(1934) erwarben sich grosse Verdienste auf diesem Gebiet, wie auch die ganze daraus hervorgegangene Dokumentarfilmschule und -produktion unter Basil Wright, Harry Watt, dem Filmtheoretiker Paul Rotha und Alberto Cavalcanti.
Beim Spielfilm behaupteten sich Alfred Hitchcock ("39 Steps"), Anthony Asquith mit "Pygmalion" und später Carol Reed weiter. Englands Ansehen war so gewachsen, dass für kurze Zeit viele ausländische Regisseure glaubten, hier eine Probe ihres Könnens abgeben zu müssen (Paul Czinner, Frank Lloyd mit "Cavalcade" und René Clair mit "A Ghost Goes West"). Der Zweite Weltkrieg brachte die Umstellung auf Kriegsfilmproduktion, Frontberichte und aufmunternde Streifen, bis dann wieder Spielfilme gezeigt werden konnten, so etwa 1942 "In Which We Serve" von Noel Coward ein englisches Charakterbild äusserst nationaler Prägung. 1944 setzte Laurence Olivier der Theaterverfilmung einen Markstein mit "Henry V".
Italiens lange Zurückhaltung
Was Italien zur ersten Tonfilmepoche beitrug, war bescheiden. Allen organisatorischen und wirtschaftlichen Anstrengungen, der Gründung von Cinecittà zum trotz, brachten Regisseure, wie Alessandro Blasetti, Mario Camerini und Augusto Genina nichts Überwältigendes hervor. Erst die frühen Werke von Vittorio de Sica und Luchino Visconti ("Ossessione" 1943) liessen einen neuen Wind wehen.
Russland: historisch und politisch
Russland schickte seinen Starregisseur Sergei Eisenstein nach den USA, wo dieser aber tragisch scheiterte. Zurück in seiner Heimat durfte er, nach langen Jahren der Kaltstellung, 1938 "Alexander Newsky" und in den Vierzigerjahren die Trilogie "Iwan der Schreckliche" ausführen. Wsewolod Pudowkin fand den Weg zu früherer Meisterschaft unter politischem Druck halbwegs wieder. Ganz allgemein wurden wirtschaftliche Filme aus dem täglichen Arbeiterleben, später dann aus der Politik, über die Verherrlichung der Obrigkeit, des Staates, der Fünfjahrespläne und des Zukunftsglaubens fabriziert; unter jungen Regisseuren wurde diese Linie des "sozialen Realismus" eingeführt.
Hollywood: Die vielseitige Traumfabrik
Nach den ersten in Tönen schwelgenden Gesangs- und Revuefilmen ("Broadway Melody 1929") begannen in den USA doch auch dramaturgisch geglücktere Versuche. King Vidor trug mit dem Halb-Stummfilm "Hallelujah" neben Ernst Lubitsch zur Prägung des Hollywooder Tonfilms bei. Neben dem zum Starregisseur Marlene Dietrichs herabgesunkenen Josef von Sternberg gelang es John Ford (aus Irland), sich zum einmaligen Wildwestspezialisten vorzuarbeiten ("Stagecoach", "Grapes of Wrath").
Frank Capra (aus Sizilien) mit seinen spritzigen, besinnlichen Komödien, Clarence Brown mit den Garbo-Filmen, Howard Hawks, der mit "Scarface" den ersten Gangsterfilm schuf, Lewis Milestone (aus Russland) mit "All Quiet on the Western Front", einer Anklage gegen die Sinnlosigkeit des Krieges, der Schweizer William Wyler mit der naturalistische Schilderung des Kinderelends im Schatten von Wolkenkratzern in "Dead End", Mervyn Le Roy mit der Darstellung des Gefängniswesens ("I Am a Fugitive from a Chain Gang"), William Wellman (aus Irland) mit "G. I. Joe" und Michael Curtiz (aus Budapest), John Sturges und Edward Dmytryk (aus Russland) zeugten vom immerforten Streben nach einem neuen Stil, nach einem extremen, aufdeckenden Realismus, in wohltuendem Gegensatz zu den gekünstelten Produkten der "Traumfabrik".
In das chinesische Milieu führte "The Good Earth", und der typischste, sehr geschickt inszenierte Schmachtstreifen Viktor Flemings, "Vom Winde verweht", wurde zum grössten Publikumserfolg aller Zeiten. 1941 setzte Orson Welles mit seinem "Citizen Kane" die Filmwelt in Erstaunen und wurde sogleich zum "enfant terrible" des amerikanischen Filmes erklärt. Kolossalfilme drehte Cecil B. DeMille weiter, Kriminalfilme Alfred Hitchcock (aus London), und die Europäer René Clair, Jean Renoir und Fritz Lang fanden hier für kurze Zeit einen Wirkungskreis.
Gute Schauspieler, die nicht zuletzt die weltweite Beliebtheit der Filme aus Hollywood ausmachten, waren in grosser Zahl anzutreffen: Paul Muni (aus Polen), die Gebrüder Barrymore, Frederic March, Spencer Tracy, der populärste Liebhaber Clark Gable, Gary Cooper, der kühne Abenteurer Eroll Flynn (aus Australien), Charles Boyer (aus Frankreich), Adolphe Menjou (Vater. Franzose; Mutter: Irin) und der Tänzer Fred Astaire (sein Vater war ein Wiener) mit seiner Partnerin Ginger Rogers, die Schauspielerinnen Katharine Hepburn, Ingrid Bergman (aus Stockholm) und Rita Hayworth (ihr Vater war ein Spanier).
Ein Filmhistoriker prägte die sicherlich nicht ganz zu Unrecht aufgestellte Behauptung, dass Hollywood drei Weltwunder hervorgebracht habe: die Chaplin-, Garbo-, und Disney-Filme. An seine Stummfilmerfolge und den Halb-Stummfilm "City Lights" (1939) konnte Chaplin aber nicht mehr anknüpfen, dafür eroberte sich Walt Disney in seinen gezeichneten Trickfilmen die Herzen von Jung und Alt in aller Welt. 1928 brachte er die Figur der Mickey Mouse heraus, und mit der Musikuntermalung verschmolz er Bild und Ton zu unvergleichlicher Einheit; sein grösster Wurf und Erfolg gelang ihm 1937 mit "Snow White and the Seven Dwarfs". Parallel mit dem Aufstieg Greta Garbos (aus Stockholm) kam der Niedergang ihres Förderers Mauritz Stiller (Vater: Russe, Mutter: Polin), weil er nicht mit ihr drehen durfte. Die Garbo aber wurde mit "Anna Karenina" und vor allem "Ninotchka" (1939) unter der Regie von Ernst Lubitsch zur "Göttlichen" erhoben, als Symbol einer ganzen Epoche, die mit ihrem plötzlichen Abtreten von der Leinwand ihr eigentliches Ende nahm.
Teil VII: Spielfilme 1945-1958
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war vor allem gekennzeichnet durch eine darniederliegende Produktion, und deshalb füllten grösstenteils Reprisen von Vorkriegsfilmen jahrelang die Kinos.
Italien: Neoverismo und Herz
Einzig Italien machte eine erstaunliche Ausnahme. Die Schule des sogenannten Neo-Realismus oder Neo-Verismus brach mit Vehemenz in die Welt der Konfektionsware, von blutlos und leer in verstaubter Tradition gedrehten Filmen ein. Die Hauptzüge dieses Stils waren: chronikartige Schilderung wahren Geschehens, an authentischem Ort gedreht, mit meist unbekannten Schauspielern. Das Initialwerk war, nach Luchino Viscontis "Ossessione" (1942), "Roma, città aperta"(1945) mit Anna Magnani von Roberto Rossellini; dessen nächstes Werk "Paisà" ist noch kostbarer, aber zugleich schon wieder der letzte bedeutende Film aus seiner Hand.
Ein Schicksalsbild der verlorenen Nachkriegsjugend zeigte der Schauspieler Vittori de Sica in "Sciuscia". Seine nächsten Filme "Ladri di biciclette" und "Miracolo a Milano" waren auf der einen Seite erfüllt von tiefer Trostlosigkeit, letzterer aber noch durchwoben mit einem reizvollen Märchen. Aktuelle Themen griffen auch andere Regisseure auf, so Giuseppe de Santis in seinem "Riso amaro", Pietro Germi, Alberto Lattuada, der tragisch-heitere Luigi Zampa mit dem Erfolgsfilm "Vivere in pace" und vor allem Luchino Visconti mit "Bellissima" und "Notti bianche" (1957). Die Filme der pessimistischen Linie aber waren keine grossen Kassenerfolge, sodass die italienische Produktion bald auf leichtere Themen umsattelte. Luciano Emmer, Renato Castellani ("Due soldi di speranza") und Luigi Comencini ("Pane, amore e fantasia") führten diese Richtung weiter. Den grössten Erfolg aber trug Federico Fellini mit "La Strada" (1954, mit Giulietta Masina) davon, einer tragisch-rührenden Erzählung von unnachahmlicher Intensität.
Frankreich: vielfältig
Die Situation in Frankreich war vorerst gekennzeichnet von einer Flucht in die Vergangenheit. Bald bahnte sich dann eine grosse Erneuerung an; der Mensch in seinen vielfältigen Stellungen und Beziehungen zur Umwelt wurde zum Leitmotiv erkoren, also nicht sosehr das Soziale, wie in Italien, dafür mit einem starken Hang zum Nihilismus. Bedeutende Vertreter dieser Richtung waren Yves Allégret mit den in Mexiko spielenden "Orgueilleux" (1953, mit Michele Morgan und Gerard Philipe) und der die Brutalität liebende Henri-Georges Clouzot ("Le salaire de la peur").
Ins Gesellschaftskritische führte André Cayatte ("Nous sommes tous des asassins"), während René Clément in die "Jeux interdits" eine eigenwillige Lyrik einflocht. Im Experimentellen verweilte Jean Cocteau weiter: im Märchen "La belle et la bête" und in der modernisierten Orpheus-Legende, die sehr umstritten blieb. Robert Bresson bewegte sich auf der Aussenseiterbahn mit "Le journal d'un curé de Champagne" und ".Un condamné à mort s'est echappé". Neben Jean Delannoy, der später auf die Maigret-Serien umsattelte ist einzig noch die Tatsache erwähnenswert, dass die Altmeister des französischen Films zwar ansprechende Leistungen zeigten, aber an ihre frühere Grösse nicht mehr anknüpfen konnten. Einen Erfolg erzielte nur noch Julien Duvivier mit den "Don Camillo und Peppone"-Filmen.
Deutschland: zwischen Unterhaltung und Satire
In Deutschland war eine grosse Zahl von Schauspielern im Krieg umgekommen oder nachher kaltgestellt worden (Jannings). Die langsam anlaufende Produktion lieferte leichte, problemlose Unterhaltung als Ausgleich zur "Trümmerwirklichkeit". Ausnahmen zeigten die Regisseure Helmut Käutner mit der "Letzten Brücke" (1954), Robert Adolf Stemmle mit seiner "Berliner Ballade" und Harald Braun ("Nachtwache" mit Dieter Borsche). "Des Teufels General" fand vor allem durch das Spiel Curd Jürgens' Beachtung; dessen Konkurrent war einzig O. W. Fischer. Als unbeachteter Aussenseiter fristete Max Ophüls ("Madame de ... ") seine staatenlose Existenz.
Da es mit dem Absatz deutscher Filme auf dem ausländischen Markt eher schlecht bestellt war, machte man sich Gedanken um die Schaffung eines Film-Europa, im Sinne eines Zusammenschlusses, gemeinsamen Marktes, als Gegengewicht oder Stellvertretung Hollywoods. Doch war diesen Bestrebungen bis jetzt kein grosser Erfolg beschieden. In Ostdeutschland war der Aufbau der Produktion von den Russen energisch an die Hand genommen worden, in der üblichen partei-politischen Linie. Beachtenswerte Leistungen durften Wolfgang Staudte (bis 1953 in der DDR) mit "Die Mörder sind unter uns", Kurt Maetzig mit "Ehe im Schatten" und Georg C. Klaren mit "Wozzeck" zeigen.
England: vorwiegend heiter
Der Rank-Konzern beherrschte noch immer England. Satiren und geistreiche Lustspiele, erfüllt vom typisch englisch-trockenen Humor und Witz waren hervorstechend. So etwa "Hotel Sahara", "Passport to Pimlico", "Kind Hearts and Coronets" (mit Alec Guinness in acht Rollen) und "Life and Death of Colonel Blimp". Daneben waren der Ballettfilm "Die roten Schuhe" (1948); Carol Reeds "The Third Man" (1949) und die Werke von David Lean (u. a. "Die Brücke am Kwai",1957).erfolgreich.
Österreich und die Schweiz: weitgehend heimatlich
Nach 1945 war die filmische Abhängigkeit Österreichs von Deutschland vollkommen, der Heimatfilm war Trumpf, das Experiment verpönt, altbewährte Regisseure führten das Szepter.
Für die Schweiz holte sich Leopold Lindberg mit "Die vier im Jeep" (1951) nochmals internationale Anerkennung. Franz Schnyder spezialisierte sich auf Gotthelf- und Johanna Spyri-Verfilmungen. Einen gewissen Widerhall fand von dem in Spanien beheimateten Ungarn Ladislao Vajda "Es geschah am helllichten Tage" (1958). [1961 erhielt Maximilian Schell für seine Rolle des Verteidigers Hans Rolfe im Film „Das Urteil von Nürnberg“ einen Oscar.]
Skandinavien hält sich
In Skandinavien hielt sich der Film auf beachtlichem Niveau. Alf Sjöberg ("Fröken Julie", 1950) wurde von Ingmar Bergman abgelöst, dessen Suchen nach inneren Wahrheiten in "Wilde Früchte" seinen Höhepunkt gefunden hat. Ein Welterfolg war ferner der Streifen "Sie tanzte nur einen Sommer".
Spanien überrascht
Spaniens Bedeutung lag in den Filmen Luis Bunuels, der aber später nach Mexiko übersiedelte. Themen von extremster Realistik, Revolution, aber auch mit Lustspielzügen wurden von José Luis Sáenz de Heredia, Luis G. Berlanga ("Bienvenido, Mr. Marshall") und Juan Antonio Bardem ("Muerta da un cyclista") behandelt.
Russland: zwischen Ernst und Leichtigkeit
Russland beschäftigte sich noch lange Zeit mit der Verarbeitung des Kriegsgeschehens in zahlreichen, eindrücklichen Werken. Daneben herrschten politisch gefärbte leichte, farbige Stoffe vor. Von Interesse war einzig "Wenn die Kraniche ziehen" (1958).
Tschechoslowakei: Puppen- und Zeichenfilme
In den osteuropäischen Staaten hatte die Tschechoslowakei einige Bedeutung. Nach der Machaty-Epoche (1926-36) und der Reorganisation durch Russland legte sich das Hauptgewicht auf Puppenfilme (Jirí Trnka "Der Kaiser und die Nachtigall") und Zeichenfilme (in Kombination mit Realem in Karel Zemans "Baron Prásil").
Ungarn: gute Theorie
Auch nachdem der Filmtheoretiker Béla Balázs von der Regierung mit dem Aufbau einer neuen Produktion betraut wurde, lieferte Ungarn nichts Bedeutendes.
Polen: eindrücklicher Aufschwung
In Polen machten einzig Aleksander Ford und in neuerer Zeit Andrzej Munk und Andrzej Wajda ("Asche und Diamanten") von sich reden.
Indien und China: enorme Produktion
Ausserhalb des Abendlandes erregten Indien mit einer enormen Produktion und den Filmen "Panther Panchali" und "Asparajito" sowie China mit seinen unter Russlands Obhut gedrehten Werke (im Dienste der Verherrlichung der kommunistischen Ideologie für die Millionen von Analphabeten) Aufsehen.
Japans Beiträge zur Filmkunst
Diesen weit voran aber steht Japan, das wesentliche Beiträge zur Filmkunst geleistet hat. Die ganze erste Jahrhunderthälfte durchzogen Samurai-Moritaten das Filmgeschehen, bis 1951 unter Akira Kurosawa mit "Rashomon" ein Durchbruch in die westliche Welt erfolgte. Teinosuke Kinugasa ("Tor zur Hölle"), Kenji Mizoguchi, Kaneto Shindo (mit seiner Trilogie über den bedrohten Menschen unter dem Aspekt des Atomzeitalters), Kon Ichikawa, Masaki Kobayashi und Tadashi Imai bildeten eine Gruppe bewährter Regisseure, die bei westlichen Filmkennern zwar Anerkennung fanden, beim breiten Publikum aber nicht gut aufgenommen wurden.
Lateinamerika mit bedeutenden Regisseuren
Im lateinamerikanischen Raum verhalf Emilio Fernandez ("Maria Candelaria", 1944) Mexiko zu einer Spitzenstellung. Luis Bunuel drehte hier "Los Olvidados". Daneben hatte Argentinien vor allem vor 1940 beachtliche Leistungen aufzuweisen, und Brasilien brachte mit Alberto Cavalcanti ("Gesang des Meeres") und Lima Barreto ("O Cangaceiros") zwei bedeutende Regisseure hervor.
Hollywood findet zur Lebensnähe
Hollywood machte eine recht glückliche Wendung zur Lebensnähe, teilweisen Abkehr von der Scheinwelt durch. Anteil an dieser auf psychologische Fundierung achtenden Entwicklung hatte der Grieche Elia Kazan ("A Streetcar Named Desire", 1951), welcher Marlon Brando als grossartiges Symbol seiner Zeit, als brutalen, dumpfen, beinahe neurotischen Liebhaber und in "East of Eden" James Dean herausbrachte. Daneben zeugten auch William Wyler ("The Best Years of Our Lives" und "Roman Holiday"), Edward Dmytryk, die Wiener Billy Wilder ("Sunset Boulevard"; "The Big Carnival") und Fred Zinnemann ("High Noon"; "From Here to Eternity"), Robert Rossen (seine Eltern stammten aus Russland) und Gene Kelly in seinen Tanzfilmen von grossem Können. Chaplin liess seinem umstrittenen "Monsieur Verdoux" die letzten Jahre seiner Lebensgeschichte, "Limelight", folgen; Disney wandte sich dem Kulturfilm über Tiere in freier Natur zu ("Die Wüste lebt"). Einen Vorstoss in der Darstellung des Rassenproblems machten Clarence Browns "Intruder in the Dust" und Stanley Kramers "The Defiant Ones".
Die Konkurrenz des Fernsehens hatte unterdessen so grosses Ausmass angenommen, dass Hollywood nach anfänglichem Widerstand anfing Fernsehfilme zu produzieren und heute grösstenteils zur Fernsehstadt herabgesunken ist, über das Malaise hatten auch überdimensionierte Bildwände und riesenhafte Ausstattungen nicht hinweggeholfen.
Etwas Neues liegt in der Luft
So stand die Situation etwa 1955/58. Der Neoverismus hatte seinen Siegeszug um die Welt angetreten, wurde teilweise vom Sozialen aufs Menschliche übertragen - und verlor sich langsam. Die grosse Zahl von Altmeistern setzen sich zur Ruhe und brachten nichts Bedeutungsvolles mehr hervor. Ihre Zeit ist vorbei. Denn es liegt etwas Neues in der Luft, ein Streben nach Innerlichkeit, psychologischer Blosslegung und Intellektualismus; "neue Wellen" erklären dem Meer von Routineproduktionen den Kampf.
(zusammengestellt im Winter 1962/63 und Frühling 1963; erschien in acht Teilen vom 16.2.-6.7.1963 in der Zeitschrift "Film + Radio"; die kursiven
Zwischentitel und viele Vornamen wurden erst jetzt
eingefügt; ferner wurden die Schweiz und Deutschland umplaziert sowie die Schweiz ergänzt und präzisiert)
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