Kleine Geschichte des frühen und klassischen Wildwestfilms
1903-1962
Inhalt 1903: „The Great Train Robbery“ Die vier Bewohnertypen des amerikanischen Westens 1910-1920: Serien, Standardszenen und erste Stars 1920-1930: Der Western wird authentischer 1930-1939: Studien von Charakteren und historischen Situationen 1940-1952: Edel-Western 1950er Jahre: Monumentalisierung Bibliographie
Auf VHS oder DVD: [rot: Marksteine der Filmgeschichte, zusammengestellt von Mario Gerteis. In: „der Film“. Ausstellung vom 9. Januar bis 30. April 1960 im Kunstgewerbemuseum Zürich, 136-145]
The Great Train Robbery. In: Landmarks of Early Film, Vol. 1, DVD 1994 The Great Train Robbery, 100th Anniversary Edition, mit „The Heart Of Texas Ryan“ (1916 mit Tom Mix), „Tumbleweeds“ (1925 mit William S. Hart) und „Battle Of Elderbush Gulch“ (1913 mit Lillian Gish and Mae Marsh), DVD 2003 Broncho Billy Anderson (1913-1918), VHS (Unknown Video) Civil War Films of the Silent Era (Thomas Ince), DVD 2000 The Covered Wagon, VHS 1995 Cimarron, VHS 2002 The Texas Rangers, VHS 1996 Union Pacific, VHS 1995 Jesse James, VHS 1999 Stagecoach, DVD 1997 Dodge City, VHS 1999 Westerner, VHS 1997, 1998, 2001, 2002 Western Union, VHS 1989 The Outlaw, DVD 1998, 1999, 2002, 2003 The Ox-Bow Incident, DVD 2003 Buffalo Bill, VHS 1989 Duel in the Sun, DVD 1999, 2001 My Darling Clementine, DVD 2004 The Treasure of the Sierra Madre, DVD 2003 Red River, DVD 2001 Fort Apache, VHS 1992, 1996, 2003 Broken Arrow, VHS High Noon, DVD 2002 The Alamo, DVD 2000 The Magnificent Seven, DVD 2001 How the West Was Won, DVD 1998
Kleine Geschichte des Westerns: http://xroads.virginia.edu/~HYPER/HNS/Westfilm/west.html http://www.twyman-whitney.com/film/genre/otherwesterns.html http://www.filmsite.org/westernfilms.html
1903: „The Great Train Robbery“
Im Amerika der Jahrhundertwende - in den grossen Städten des Ostens, welche die riesigen Einwanderermassen beherbergten, deren Traum vom Gold und Glück nur allzubald in Schmutz und viel Elend versank und deren bitteres Los es war, in harter, meist körperlicher Arbeit um ein glanzloses Dasein zu kämpfen - in diesem Amerika bestand eine nicht geringe Attraktion für diese desillusionierten Menschen in den „Penny Arkaden“, wo man für fünf Cents Eintritt sich fünf Minuten lang in eine andere Welt entführen lassen konnte. Gezeigt wurden vor allem von Frankreich hergeholte Wochenschauen oder in den USA selbst „aktualisierte“ Reportagen.
Einer ihrer Hersteller war Thomas Alva Edison, bei dem 1896 ein Mechaniker namens Edwin S. Porter eingetreten war und sich als anstelliger und vielseitiger Mann bald zum Kameraoperateur emporgearbeitet hatte. Von englischen Filmen und dem Franzosen Georges Méliès lernte er die Geheimnisse des Schnitts. Selbst entdeckte er die Wirkung der Grossaufnahme, und als er sah, wie seine ersten Filmstreifen Erfolg hatten, drehte er 1903 seinen ersten grösseren Film, der zugleich der erste amerikanische dramatische Spielfilm und erste Wildwestfilm war.
Angeregt von einem Theaterstück, das auf verschiedene Überfalle auf Postzüge in den vorhergehenden Jahren Bezug nahm - wurden früher Postkutschen ausgeraubt, so hatte sich in letzter Zeit die Eisenbahn mit ihren Geld- und vor allem Goldtransporten als viel lohnenderes Ziel erwiesen - inszenierte er „The Great Train Robbery“. Obgleich die Handlung des nur acht Minuten dauernden Streifens entsprechend einfach ist, zeigen sich hier schon die elementaren Einzelheiten, welche alle weiteren Western prägen sollten, die Spannung, der Konflikt zwischen Gesetz und Gesetzesbrechern, die Gewalt, die Geschwindigkeit des fahrenden Zuges und der galoppierenden Reiter, die urtümliche, endlose Weite der Prärielandschaft und das verkappte Heldentum des Verbrechens: Auf einer abgelegenen Bahnstation bringen maskierte Räuber einen Zug zum Halten. Sie brechen den Gepäckwagen auf, erschiessen den hier arbeitenden Eisenbahner und sprengen die Geldkasse mit Dynamit. Dann werden die Passagiere bedroht und ihnen die Wertsachen abgenommen. Mit dem leeren Zug fahren die Räuber davon bis sie die Stelle erreichen, wo ihre Pferde warten. Schon werden sie verfolgt. Nachdem sie ein Feuergefecht bestanden haben, glauben sie, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben, doch diese umzingeln sie, während sie den Inhalt der Postsäcke frohgemut untersuchen. Alle Räuber werden erschossen. Berühmt wurde das Schlussbild dieses Films: Der Anführer der Banditen richtet seinen Revolver hoch und feuert direkt ins Publikum.
Dieser Streifen wurde ein ganz grosser Erfolg. Überall und immer wieder musste er gezeigt werden; zu diesem Zweck wurden die Penny Arkaden in „Nickel-Odeons“ umgebaut. Dem Aufstieg der Gattung Western und damit des Film überhaupt stand nichts mehr im Wege.
Die vier Bewohnertypen des amerikanischen Westens
Es stehen folgende vier Bewohnertypen des amerikanischen Westens fest:
Der Siedler - vormals „Frontier-man“ -, der sich durch seine Sesshaftigkeit zum wohlsituierten Bürger entwickelt hat und von der Schusswaffe nur noch in Ausnahmefällen Gebrauch macht.
Der korrekte Einzelgänger und Beschützer, dessen Vergangenheit nicht selten unter einem zwielichtigen Stern stand - was aus dem exzellenten Schiessvermögen eindeutig hervorgeht -, der sich aber durch die Einordnung in die bürgerliche Gesellschaft rehabilitierte.
Der „Gun-man“ oder notorische Widersacher des Gesetzes, der eigentliche Kriminelle, der immer und überall gegen das Gesetz verstösst.
Die Indianer, die ursprünglichen Bewohner und Besitzer des Landes.
The Frontier
Präsident Kennedy benutzte einen bereits zum Mythos gewordenen Begriff der amerikanischen Geschichte, als er seine Politik unter das Schlagwort „The New Frontier“ stellte. „The Frontier“ bedeutet die Grenze, die von der Zivilisation stetig in die Wildnis vorangetrieben wird. Sie wird zum Schauplatz aller möglichen Auseinandersetzungen.
Die Wildnis konnte nur durch harte Männer erobert werden, denen nichts lieber war als die uneingeschränkte Freiheit in einem weiten Land, in dem man sich nicht „eingesperrt“ fühlt.
Somit taucht ein wichtiges Problem des Wilden Westens auf. Den Frontiers, die nur ihrem Freiheitswillen zu Liebe in die Wildnis hinausgezogen sind - der Zivilisation entronnen - wird nun plötzlich zugemutet, sich ebenfalls einer Gemeinschaft zu unterwerfen. Man mutet den Abenteurern zu, sich nicht mehr als alleinige Besitzer über ein unbegrenztes Land zu fühlen, sondern als Mitglieder einer Gesellschaft. Dies fällt ihnen umso schwerer, als sie die wunden Punkte einer Gesellschaft weitaus besser erkannten als die dekadenten Zivilisationsmenschen.
So empfindet der „Westerner“ die Politik als ein Wirken korrupter Banden, die Herrschaft des Rechtes als das Wirken von „geschmierten“ Sheriffs und nicht zuletzt die Landaufteilung als ein typisches Merkmal des korrupten Kapitalismus. Daraus erklärt sich auch das Handeln der notorischen Gesetzesbrecher, die das Recht auf eigene Faust suchen und zugleich immer wieder gegen dieses verstossen.
Der Film trägt dem Freiheitswillen der „Westerner“ Rechnung. Er begründet die Ausrottung der Indianer damit, dass die Landabnahme die Vertreibung der bisherigen Besitzer verlangte.
Die Indianer
Eine Differenzierung vom uns allgemein bekannten Bild erhielten die Indianer nur durch die beiden Schriftsteller James Fenimore Cooper und Francis Parkman.
Im Film dienen die Indianer bis heute meistens nur als photogene Verlierer in Schlachten und Kämpfen, die während eines Gefechtes in herrlichen Überschlägen vom Pferd stürzen. Der Indianer wird an die Stelle der eigentlichen Eroberer gesetzt, wird als blutdürstig und barbarisch bezeichnet und dargestellt.
Der Film liess die Indianer schweigen, benützte aber deren Wildnis - nicht selten in den herrlichsten Farben - als Reservoir optischer Eindrücke.
Die eigentlichen Motive der Indianer kommen in keinem Western zu Wort. Ja, nicht einmal ein so bekannter und privilegierter Wildwestregisseur wie John Ford hat deren Probleme nachdrücklich aufgegriffen. In seinem klassischen Western „Stagecoach“ dient ein Indianerüberfall auf eine Postkutsche ja nur dazu, das Verhalten der willkürlich zusammengewürfelten Reisegesellschaft - meistens „Frontiers“ - darzustellen. Die Passagiere ergeben die Hauptmotive, nicht die Indianer.
1910-1920: Die ersten Stars: Gilbert Max Anderson, Tom Mix, William S. Hart
Einer der Darsteller in Porters Film war Gilbert Max Anderson, der sich nach dem Erfolg des „Eisenbahnraubs“ bei verschiedenen Firmen als Schauspieler, Regisseur und Produzent engagierte, bis er sich 1906 mit George K. Spoor assoziierte und die Firma Essanay gründete. Im Jahr darauf gingen sie nach Hollywood, fanden dann aber in der Nähe von San Francisco günstigeres Gelände, eine eindrückliche Landschaftskulisse, wie geschaffen für Wildwestfilme. In sieben Jahren schrieb, inszenierte und spielte Anderson denn auch weit über 300 solcher Art. Er legte sich ein unsterbliches Denkmal in der Gestalt des Räubers „Broncho Billy“ (1910-16) mit dem Herzen von Gold.
Es sprach sich rasch weit herum, dass die Western-Produktion ein äusserst interessantes Geschäft sei, konnte doch mit Herstellungskosten von höchstens tausend Dollar eine halbe Million eingespielt werden. Filmgesellschaften schossen aus dem Boden, die unbedenklich um historische Treue wie Anderson ganze Serien von Filmen herausbrachten, meist in zwei, drei Tagen gedreht, aufgrund hauptsächlich von Archivaufnahmen. Das ging so - Hans Winge beschreibt dies sehr gelungen:
„Jede dieser Firmen besass ein Archiv aus Filmszenen, in denen alle Standardszenen in allen Variationen numeriert vorrätig waren: Cowboy mit weissem Hut und schwarzem Hemd auf Rappen von links nach rechts reitend und dasselbe in allen Farbkombinationen und auch von rechts nach links; eine Postkutsche mit zwei Mann am Kutschbock mit weissen oder schwarzen Hüten, mit weissen oder schwarzen Pferden, mit Doppel-, Vierer-, Sechser-, Achtergespann, durch die Prärie von rechts nach links jagend oder umgekehrt, oder durch eine Schlucht oder einen Abhang hinauf oder hinab; dasselbe mit Reitergruppen in allen Kombinationen von Farbe, Richtung und Landschaft.
Das einzige, was dabei egal war, war das Gesicht, das man ohnedies nicht erkennen konnte. Alles, was man vom Hauptdarsteller erkannte, waren die Farben seines Hutes und seines Hemdes und die seines Pferdes.
Der Drehbuchautor hatte also nichts anderes zu tun, als mit dem Archivkatalog in der Hand einen dazupassenden Film zu schreiben. Der Regisseur liess die Schauspieler dem Archivmaterial entsprechend kostümieren und drehte nur die Szenen, in denen sie zu erkennen waren, die Grossaufnahmen und die Halbtotalen; das dauerte drei Tage. Das Gerüst des Films stand schon vorher fest auf der soliden Basis des Archivmaterials. Die neu gedrehten Einstellungen waren nur Arabesken der Grundsituationen des Archivs. Zehntausende solcher Eilfilme gingen in alle Welt und laufen heute noch.“
Colonel William N. Selig brachte 1907 den ersten an Ort und Stelle, irgendwo in den Rocky Mountains, aufgenommenen Western heraus und bemühte sich auch in der Folgezeit, von den Atelieraufnahmen möglichst Abstand zu nehmen, worin ihm zwar viele andere Produzenten folgten, es aber mit den Bemühungen um historische Fundierung und Genauigkeit gar nicht (siehe die Archivaufnahmen) genau nahmen, auch wenn sie mit verschiedenen Film-Biographien über die Volkshelden (z.B. „The Life of Buffalo Bill“, 1907/12 von Paul Panzer) ihren Produktionen einen ernsthaften Anstrich zu geben suchten.
Die Faszination, die diese rasch zusammengehauenen Western dennoch auf ein weites Publikum ausübten, war nicht nur der Dramatik und dem dynamischen Geschehen der überaus einfachen und verständlichen Handlung zu verdanken, sondern vor allem dem Darsteller, der den Helden verkörperte. Es waren zwei, die Broncho Billy ablösten: Tom Mix und später William S. Hart. Ersterer war verdienstvoller Sergeant und Sheriff gewesen, ehe er als elegantester aller Cowboys im Film erschien. Seine Hüte, Stiefel, Halstücher gaben den Ton an in der Mode, besonders aber seine Pferde „Old Blue“ und „Tony“ galten ebensoviel wie der Held selbst und wurden mehr als menschliche Wesen angebetet und vergöttert. Als Rio Jim galoppierte der Theaterschauspieler Hart durch ebenfalls endlose Serien der Fabeln von hartem Heldentum, unermesslicher Weite der Prärie und schäumender Pferde. Zusammen mit seinem Produzenten Thomas Ince beherrschte er während gut einem halben Dutzend Jahre den ganzen Markt.
Der Western war um diese Zeit (1910-20) so populär und alles andere beiseiteschiebend, dass in den Filmschulen Hollywoods die zukünftigen Regisseure und Kameraleute an kurzen Western-Streifen geschult wurden. Einer dieser Schüler war auch David Wark Griffith, doch beschäftigte er sich mehr auf dem Gebiet Militär und Bürgerkrieg, wo er dann auch seine grossen Leistungen vollbrachte, indem er das andere nationale Epos der USA, die politische und militärische Bildung der Union, mit monumentaler Gebärde in turbulente und brodelnde Bilder setzte. Er legte den Schwerpunkt auf die Zeit vor dem 19. Jahrhundert, die den Ausgangspunkt für die Legende Amerikas bildet, während alle Western frühestens mit der vorigen Jahrhundertwende [1800] einsetzen. Einzig Thomas Ince setzte sich vorher mit diesen wirren Jahren auseinander, beispielsweise in „The Battle of Gettysburg“ (1914), wo er die entscheidende Niederlage der Südstaatenarmee unter General Lee ins Bild brachte.
1920-1930: Der Western wird authentischer
William Hart, der für einige Zeit das Filmgeschäft verlassen hatte, feierte 1923 in der um Authentizität bemühten Filmbiographie „Wild Bill Hickok“ ein begeisterndes Comeback. Nicht zuletzt war daran die Tatsache schuld, dass er als Drehplatz die Orte wählte, wo Hickok wirklich gelebt hatte, nämlich Dodge City und Deadwood - und hauptsächlich der Beizug des ehemaligen und legendär gewordenen Sheriffs Wyatt Earp.
Dies waren die Anfänge der Einsicht, dass auch mit historisch möglichst getreuen Nachzeichnungen ein Geschäft zu machen war.
Ebenfalls 1923 entstand in diesem Sinne James Cruze's „Covered Wagon“, eine getreue Nacherzählung des Goldrausches Ende der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Es wird berichtet, 80 000 Auswanderer seien damals in das Tal des Sacramento gezogen. Mit der selben mächtigen Hand, die mittels einer nun ausgereiften Filmtechnik eine grosse Perfektion zuliess, begann auch der anfänglich mit nicht mehr als handwerklich gekonnten Werken ganz unauffällig gebliebene John Ford sich eine Stellung als Western-Regisseur zu erkämpfen, die er über Jahrzehnte hinweg nicht mehr verlieren sollte. Dem Planwagen mit den hochgestellten Enden der Plachen liess er die Eisenbahn folgen und setze ihr in „The Iron Horse“ (1924) erstmals ein eindrückliches Denkmal.
1930-1939: Studien von Charakteren und historischen Situationen
Der Siegeszug des Tonfilms bezog auch den Western mit ein. King Vidor erkannte, dass das einfache Handlungsschema, intensive Aktion und Atmosphäre, nicht mehr genügte. Der Dialog erlaubt es, das Geschehen zu komplizieren und zu vertiefen und den Schwerpunkt auf die Studien von Charakteren und historischen Situationen zu verlegen. Dies bewies er denn auch gleich in einem biographischen Film über „Billy the Kid“ (1930) der vorher vom Film nie beachtet worden war, obgleich die Heldentaten des schon 23jährig gestorbenen Aussenseiters bereits in die Legendengeschichte eingegangen waren. Vidor wandte sich nach einigen weiteren Biographien den „Texas-Rangers“ (1936) zu, einer aus Freiwilligen rekrutierten militärisch organisierten Truppe, die zum Schutze der Rinderfarmen in diesen Landstrichen eingesetzt war. Sie hatten gegen Indianer, die von Mexiko einfielen, gegen Viehdiebe und Landstreicher zu kämpfen, und es ist deshalb leicht verständlich, dass sie sich als „Eliteschützen und die besten Reiter der Welt“ bezeichneten. Anfangs des 20. Jahrhunderts wartete ihnen eine neue Aufgabe: Sie mussten den infolge der Prohibition florierenden Alkoholschmuggel der Grenze des Rio Grande entlang kontrollieren.
Ein weiteres grosses Thema, das den Western beschäftigte, war der Sturm der Siedler auf Oklahoma; Wesley Ruggles setzte diesen Run auf die 2 Millionen Morgen freigegebenen Landes in „Cimarron“ (1931) in faszinierende epische Breite um.
Cecil B. De Mille war es dann, der die beiden gefeiertsten geschichtlichen Gestalten des Buffalo Bill und Bill Hickok in einem Film gegeneinander ausspielte, wobei ersterer recht schlecht wegkam, d.h. in den Hintergrund gedrängt wurde. 1939 befasste er sich in „Union Pacific“ mit der ErschIiessung des Westens durch den Ausbau der Verkehrswege, besonders durch Strassen- und Eisenbahnbau; er legte dabei vor allem Gewicht auf die Parallele des Zusammenschlusses der beiden vom Pazifik und vom Mississippi vorgetriebenen Schienenwege und der notwendigen Vereinigung von Kalifornien mit den Nordstaaten, ja der ganzen Einheit der Union.
Ein ähnliches Thema griff Frank Lloyd in der Folge auf: die Leistungen der Gesellschaft Wells Fargo im Westen. Diese Transportgesellschaft hatte sich bald nach dem Goldrausch das Monopol des Postverkehrs von einem Ozean zum andern gesichert und diesen zuerst mit Pferden in einer Stafetten-Post von Eil-Kurieren, dem „Pony Express“, versehen, bis in den Sechzigerjahren dann die Telegraphenlinien gelegt wurden.
Mit der Legende von „Jesse James“ (1939), der als 17 jähriger bereits 9 Menschen umgebracht und mit seinem Bruder Frank in 5 Jahren 11 Banken ausgeraubt, 7 Züge und 3 Postkutschen überfallen hatte, gab sich Henry King ab. Er stellte den Überfall auf die First National Bank nach dem klassischen Rezept des „hold up“ dar, das aber der Wirklichkeit gar nicht entsprach, denn die bot ein eher beschämendes Bild von Hilflosigkeit und Unentschlossenheit.
Über John Fords „Stagecoach“ (1939) viele Worte zu verlieren, hiesse, sich seiner Bedeutung nicht bewusst sein. Es ist aber immerhin mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis zu nehmen, dass etwa der bedeutende amerikanische Filmhistoriker Lewis Jacobs ihn als reine Gebrauchsware einstufte, und Budd Schulberg, der bekannte Drehbuchautor, bezichtigt John Ford gar des Plagiats an Maupassants „Boule de soif“.
Über die „cowtown“ „Dodge City“, in der die Viehtreiber sich von den monatelangen Entbehrungen der Prärie in Saloons, Dancings und Spielhöllen erholen konnten, und die durch den Bau der Eisenbahn und durch in der Nähe weidende riesige Büffelherden immer in Atem gehalten wurde, drehte Michael Curtiz im selben Jahr einen der ersten Technicolor-Filme.
1940-1952: Edel-Western
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges vergrösserte sich die Unterscheidung zwischen Serienproduktion und historisch getreuen Verfilmungen, indem, von letzteren ausgehend, der Edel-Western auftrat; zwar nicht allzusehr um Authentizität und echte Darstellung bemüht, sondern um psychologische Vertiefung und mit grossem Raffinement bewerkstelligte Konflikte. Der emigrierte Fritz Lang war einer der ersten, der eine ironische Distanzierung mit der veredelten Form der Darstellung das Gegenteil von Turbulenz und Monumentalität begann, etwa in „Western Union“ (1941), einem Hohelied auf die Telegraphenarbeiter, „deren Beruf es war, ein Stück Draht an ein anderes Stück Draht zu knüpfen“.
Noch mehr Bedeutung in die Charakterisierung der Helden legten William Wylers „Westerner“ (1940), Howard Hughes „The Outlaw“ (1943) und William A. Wellmans „Ox-Bow Incident“ (1943; gedreht bereits 1941).
Der erste Film erzählt die Geschichte des grausamen Richters Roy Bean, welcher jeden des Viehdiebstahls auch nur Verdächtigen kurzerhand aufknüpfen liess. Der „Outlaw“ hingegen ist einer, welcher sich ausschliesslich für sein Pferd interessiert, weibliche Wesen verachtet und sie schutzlos dem Schicksal überlässt, ein Zug, der bisher im Western verschämt verschwiegen wurde - auch den Frauenorganisationen zuliebe -: die Frau ist nur gerade geduldet bei diesen reinen Männerangelegenheiten.
Derjenige, welcher sich bisher am meisten um äusserste historische Genauigkeit bemüht hatte und dementsprechend sich nicht scheute, Irrtümer und Fehler der Amerikaner gegenüber Indianern und Mexikanern (bereits 1936 in „Robin Hood of Eldorado“) aufzudecken, war Wellman. Nun wandte er sich in angriffiger Weise gegen die sinnlose Lynchjustiz : „Drei arme Schlucker, die zu Unrecht des Mordes an einem Viehzüchter angeklagt sind, werden von der bis zur Hysterie aufgebrachten Bevölkerung gelyncht. Wenige Minuten nach der Exekution wird der Beweis ihrer Unschuld erbracht ...“. Doch die Strenge seiner Inszenierung fand beim Publikum gar keinen Anklang und er gewann dessen Gunst erst wieder mit „Buffalo Bill“ (1944) zurück: William Cody, „The champion buffalo killer of the world“, Führer einer Kavallerieeinheit und Inhaber einer Wildwestshow, die 1887 auf Europa-Tournee ging und märchenhafte Erfolge einheimste, war schliesslich der wohl legendärste, wenn auch keineswegs sympathischste Held der Gesetzlosen Amerikas.
Nach 1944 allerdings kehrte wieder der gewohnte Serien-Tramp in die bisher durch Kriegsfilme stark belegten Studios von Hollywood ein. Einzig King Vidors „Duel in the Sun“ (1946) und John Hustons Schilderung des Goldrausches von 1930 in Tampico in „The Treasure of the Sierra Madre“ (1948), die schon mehr recht wenig mit dem gängigen Western zu tun hatten, sowie John Fords „My Darling Clementine“ (1946; die Geschichte des Sheriffs Wyatt Earp), Howard Hawks „Red River“ (1948; über das Viehtreiberleben und den Treckführer Dunson) ragten aus dem weiter blühenden Durchschnitt hinaus. Immerhin bemühte man sich auch, je länger, je mehr, den Indianern und ihren Problemen in verschiedenen Filmen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen („Fort Apache“, 1948, von John Ford; „Broken Arrow“, 1950, von Delmer Daves).
Bis dann 1952 Fred Zinnemann mit seinem klassisch gewordenen, edelsten aller Edelwestern, „High Noon“, einen markanten Schlusspunkt unter die Reihe der grossen Filme setzte, die als echte Western anzuschauen sind.
1950er Jahre: Monumentalisierung
Es folgten seither nur noch, das alte Schema der Erfolgsfilme leicht verändert beibehalend, weitere Streifen in immer aufwendigerer Manier - hauptsächlich um gegen die Konkurrenz des Fernsehens bestehen zu können - in Cinemascope, 3-D und zuletzt in Cinerama. Viele Regisseure bemühten sich immer noch redlich um Echtheit und Treue in durchaus lobenswerter Weise, andere versuchen eine heitere, manchmal ironische Distanzierung zu erreichen („The Magnificent Seven“, 1960, von John Sturges), aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass mit dem Aufkommen der breiten und noch breiteren Leinwände die Darstellung des amerikanischen Nationalepos langsam aber sicher zu Grabe getragen worden ist. Eine immer mehr ins Kitschige aufgeblähte Monumentalisierung („The Alamo“, 1959 von John Wayne; „How the West Was Won“, 1962, von John Ford und Henry Hathaway) scheint den naiven Heroismus mit einer letzten Kugel tödlich getroffen zu haben.
Siehe auch: Was für einen Stern trägt der Sheriff?
Bibliographie
Il film western. Antonio Chiattone. Biblioteca Cinematografica, Poligono Società Editrice, Milano, 1949. Le Western ou le Cinéma Américain par excellence. Jean-Louis Rieupeyrout & André Bazin, Collection 7e Art, Les Editions du Cerf, Paris, 1953. Der Wilde Westen. Robert West Howard, hrsg., Heyne, München, 1964 (engl. 1957). The Western. George N. Fenin & William K. Everson. Orion Press, New York, 1962. Der Western. Jean-Louis Rieupeyrout, Carl Schünemann, Bremen, 1963. Lexikon des Wilden Westens. Ernest Prodolliet, Sanssouci, Zürich, 1963.
[Hans Winge: Der Cowboy ist Grosspapa geworden. Sechzig Jahre Wilder Westen im Film. Neue Zürcher Zeitung, 13. 9. 1963 (Nr. 3643) und 20. 9. 1963 (Nr. 3759).]
(vermutlich geschrieben Ende 1964; mit leichten Verstümmelungen erschienen in der Filmzeitschrift „Cinema“, Nr. 42, Juni 1965, 558-563)
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