Home Psychologisches Denken in der Ökonomie

                      Vom Altertum bis heute

 

Eine Geschichte der Wirtschaftspsychologie

 

zusammengestellt 1987-89; fertiggestellt im Herbst 1995

 

Bitte öffnen Sie die Primärliteratur: Lit. ökonomische Schriften

Literatur Wirtschaftspsychologie (von den grossen Pionieren bis heute)

und die Sekundärliteratur: Lit. Geschichte der Wirtschaftspsychologie

 

 

Inhalt (ca. 50 Textseiten)

 

A. Altertum: Weisheitslehren und Philosophie

Ägypten und China

Griechenland

Rom

 

B. Hochmittelalter und Renaissance: Streit der Interpretationen

Heidnische Einflüsse im Christentum

Geburt des Kapitalismus aus dem Rittertum

Gesetzessammlungen und Verbote im 13. Jahrhundert

Blüte der Renaissance im 15. Jahrhundert: Utilitarismus und andere neue Ansätze

 

C. Aufbruch der Neuzeit

Neue Betrachtungsweisen und Wissenszweige bilden sich heraus

Reformation und wiedererstarkter Katholizismus prägen Theorie und Praxis des Wirtschaftens

·        Buchhaltung

·        Haushaltslehre

·        Preis- und Geldtheorien

 

D. Das 17. Jahrhundert: Barock

Allgemeine Umwälzungen

Sechs zentrale Grundlagen

Empirismus und Rationalismus

Psychologie und Verweltlichung

Ökonomische Theorien

Thomas Hobbes

Hermann Conring

Johann Joachim Becher

William Petty

Gottfried Wilhelm Leibniz

John Locke: Mitbegründer der politischen Ökonomie und Vater der englischen Psychologie

Das Problem der Armut

Der Markt

 

E. Das 18. Jahrhundert: Aufklärung

Ein Jahrhundert der extremen Gegensätze

Philosophie und Psychologie werden praktisch und öffentlich

Erneute Ansätze zur Wirtschaftspsychologie

Der Markt: Richard Cantillon und Jacob Vanderlint

David Hume

Adam Smith: kein finsterer Nationalökonom

 

F. Bentham: Utilitarismus und Liberalismus (siehe separate Datei)

 

G. 19. Jahrhundert: Industrialisierung

Neue Blüte von Wirtschaft und Technik, Forschung und Theorie

Die Volkswirtschaftslehre wird klassisch

Konsum und Bedürfnisse

Betriebslehren

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts: neue Theorien

Management-Theorie

         siehe: Management: Eine kurze Rückblende

Wirtschaftstheoretiker entdecken die Psychologie

Die Psychologie entdeckt den arbeitenden Menschen

Gabriel Tarde und die Wirtschaftspsychologie

 

H. Das 20. Jahrhundert: Psychologie gegen „homo oeconomicus“

Wie rational ist der Mensch?

Der praktische Nutzen der Wirtschaftspsychologie

Unsicherheit lähmt

Die Wirtschaftspsychologie wird langsam selbständig

 

 

Einleitung

Wirtschaftspsychologie: Ein Blick in ihre Geschichte

 

Psychologie und Ökonomie beginnen nicht einfach irgendwo, etwa mit Wilhelm Wundts Labor (1879) oder Adam Smiths "Reichtum der Nationen" (1776). Unzählige Denker und Forscher sind ihnen vorausgegangen. Auch die Wirtschaftspsychologie fängt nicht erst bei Hugo Münsterberg (1912) oder Georg Katona (1951) an.

 

Im Altertum und Mittelalter war die ökonomische Literatur weniger wirtschaftsethisch als anthropologisch ausgerichtet, d.h. auf einem bestimmten Menschenbild aufgebaut, etwa auf der natürlichen Tugendhaftigkeit und Geselligkeit des Menschen.

 

Die nach dem Jahr 1000 einsetzende christliche Betrachtungsweise erfuhr in der Renaissance (1300-1550) eine erste Öffnung, wurde aber durch Reformation und Gegenreformation erneut gefestigt. Erst ab 1650 verloren die religiösen Begründungen an Boden, an ihre Stelle traten die Vernunft und die Betrachtung psychologischer Motive. Die Politische Ökonomie war vorerst einmal Wirtschaftspsychologie.

 

 

A. Altertum: Weisheitslehren und Philosophie

 

Ägypten und China

 

Die Beziehungen zwischen Ökonomie und Psychologie kann man bis ins Altertum zurückverfolgen. Enthalten nicht schon die ägyptischen Weisheitslehren Erörterungen über den Menschen, Ratschläge für sein Tun und Lassen, Gedanken über sein Wohlergehen und sein Wirtschaften?

 

"Maat" ist die geheime Weltordnung, die im Menschen als Verantwortungsgefühl wirkt: "Das Gleichgewicht des Landes ist das Tun der Maat. - Der Betrüger verringert die Maat. - Sage keine Lüge und hüte die Beamten davor."

 

Oder:

"Wenn du ein Mann in leitender Stellung bist,
der die Lebensverhältnisse für viele zu regeln hat,
dann bemühe dich jeweils um gewissenhafte Behandlung,
so dass dein Verhalten ohne Tadel ist ...

Gemeinheit rafft zwar Schätze zusammen,
aber noch nie ist das Unrecht ans Ziel gelangt."
(Lehre des Ptahhotep, ca. 2400 v. Chr.)

Nach J. H. Breasteds trefflichem Buch "Die Geburt des Gewissens" (1933; dt. 1950) ist das Gewissen die Frucht einer menschlichen Gemeinschaft.

 

Sittlichkeit ist das Ergebnis der Umweltbedingungen (Gesellschaft) und der Wechselwirkungen innerhalb des Familienverbandes. Daher sind die vier wichtigsten Gebote:

 

1.      Pietät gegenüber den Eltern.

2.      Hinhören, Gehorchen, Achtgeben; darunter fällt auch die Achtung der Frau und des Familienlebens.

3.      Wahrheit, Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit: "Handle und wandle recht und gerecht." "Folge deinem Verstand (Herz), solange du lebst."

4.      Nicht geizig und habgierig sein, sondern Güte und Toleranz üben.

 

Der Traumdeuter Joseph wurde Wirtschaftsminister des Pharaos. Er war auch in der Behandlung seiner elf Brüder ein guter Psychologe (1. Mos. 40ff).

 

Konfuzius war (um 500 v. Chr.) ganz ähnlich lange Jahre Aufseher der Kornspeicher und öffentlicher Felder. Er hat mehr als 3000 junge Männer in Geschichte, Dichtkunst und Anstand unterwiesen. Seine Lehre ist "im wesentlichen eine Sammlung von Verhaltensgrundsätzen und moralischen Vorschriften", die einem grossen Ziel dienen: der Wohlfahrt des Menschen (Störig, 81).

1906 wurde Konfuzius der höchste Götterrang zuerkannt.

 

"Die allgemeine Wohlfahrt fördern und das Übel bekämpfen" war dann der Slogan des bald darauf von Mo Tse (auch: Mo Ti) begründeten Mohismus. Er gilt als "rein praktische Nützlichkeitsphilosophie" (Störig, 90), ist aber  verbunden mit der Forderung nach allgemeiner Menschenliebe. Allgemeiner Friede und umfassendes, unterschiedsloses Glück aller Menschen waren seine Ideale.

 

Die Nachfolger Mo's bewiesen, dass Logik und Erkennen den Zwecken des praktischen Handelns unterzuordnen seien: Die einzige Funktion des Wissens ist, dem Menschen die richtige Entscheidungen zu ermöglichen.

 

Der grösste Schüler von Konfuzius, Meng Tse (Mencius, um 300 v. Chr.), ist vor allem durch seine Lehre vom "Recht zur Revolution", nämlich zum Widerstand gegen einen unwürdigen Herrscher, bekannt geworden. Er vertrat die Überzeugung, dass ein Staat nur auf moralischer Grundlage gedeihen könne. Die europäische Aufklärung im 18. Jh. (seit Leibniz) entdeckte die chinesischen Weisheiten wieder.

 

Griechenland

 

In Griechenland hatte schon um 700 v. Chr., also vor der klassischen Zeit, Hesiod von der Arbeit und Mühsal des Menschen und seinem "Daimonion" (Wächter) berichtet.

 

Zur Zeit des grossen Reformers Solon (um 600 v. Chr.) breitete sich nicht nur die Geldwirtschaft, sondern auch die Sklaverei aus. "Geldgier und herrischen Sinn, der keine Grenzen mehr kennt", wirft er seinen Landsleuten vor, und: "Scharen Verarmter kommen, als Sklaven verkauft, heimatlos weit in die Welt."

Eine differenzierte Betrachtung der Sklaverei empfiehlt Moses I. Finley in seiner Schilderung der "antiken Wirtschaft" (1973, dt. 1977); gerade dies lässt aber das DDR-Autorenkollektiv (1977, 1-16) vermissen.

Vorsicht ist auch bei der Betrachtung anderer Errungenschaften dieser Zeit geboten, wie Prostitution, orphische Offenbarungslehre, Dionysos-Kult und ionische Naturphilosophie, letztere eingeleitet von dem weitgereisten Kaufmann Thales von Milet.

 

Die Pythagoreer befassten sich nicht nur mit Mathematik - insbesondere Mass, Proportion und Harmonie -, sondern auch mit dem Wesen, Ursprung und Schicksal der menschlichen Seele. Sie übernahmen von den Orphikern den Gegensatz von (bösem) Leib und (guter) Seele: Die göttliche und unsterbliche Seele ist durch eigenes Verschulden aus dem himmlischen Wohnort zur Strafe in den Leib als ihren Kerker verbannt worden. Auf ihrer Wanderung durch verschiedene Leiber muss sie sich läutern und reinigen. (Huonder, 10-15).

Die Pythagoreer gründeten daher in der unteritalienischen Kolonie Kroton einen Bund für sittlich-religiöse Lebensreform. Er breitete sich rasch aus, was dazu führte, dass die durch ihn verbündeten Städte auch über eine gemeinsame Münzprägung (um 500 v. Chr.) verfügten. Um 400 v. Chr. galten sie als entschiedenste Vertreter einer gemässigten Demokratie.

 

Die antiken und weitgehend auch die mittelalterlichen Wirtschaftslehren (Ökonomik) sind weniger wirtschaftsethisch als vielmehr anthropologisch (so Karl Polanyi) ausgerichtet. Das heisst, sie gehen weniger vom Sollen als vom "Wesen" des Menschen aus, und dieses ist ineins psychologisch und biologisch, sozial und ethisch, philosophisch und religiös, theoretisch und praktisch. Als Haushaltslehren zielen sie auf die "Unterhaltsgestaltung" ab; die Märkte, welche heute im Mittelpunkt stehen, hatten nur ergänzende Funktion (E. Egner 12, 17, 21, 25, 27; vgl. 184ff, 218f).

 

Der Offizier, Jäger und Schriftsteller Xenophon (nach 400 v. Chr.) entwarf in einer Führungslehre das Ideal eines einsichtig regierenden Herrschers, in seinem "Ökonomikos" das Idealbild der kleinbäuerlichen Familie und in einer Schrift "über die Staatseinkünfte" ein Programm zur Sanierung der Finanzlage Athens.

Aus seiner Feder stammen auch die wichtigsten Zeugnisse über Sokrates, dessen Leben er vom utilitaristischen Standpunkt dargestellt hat. Das "Daimonion" ist ihm die innere Stimme, die ihn von der Begehung unrichtiger, unzweckmässiger oder nicht guter Handlungen abhält oder ihn warnt. "Eudaimon" ist, wer mit seinem eigenen "Dämon" gut steht. "Eu prattein" heisst zugleich: Ich handle gut, und: Es geht mir gut. Das Gute ist also das Förderliche (ophelimon; vgl. Pareto 1906).

Xenophon erläuterte bereits die Berufsgliederung und die Arbeitsteilung in der Werkstatt. Sie erlaubt, die Qualität der Produktion zu steigern. Auch beschrieb er Einzelheiten der Staatsfinanzen und des Reichtums von Fürsten und Königen. Frankreichs Finanzminister Sully, Begründer des Merkantilismus (nach 1600), wurde von ihm nachhaltig beeinflusst.

 

Platons "Politeia" und "Nomoi" können auf Ökonomisches, andere Schriften auf Psychologisches durchsucht werden. Aristoteles schrieb (um 335 v. Chr.) das erste Buch über die Seele: "Peri psyches", lat. "De anima".

Für die Ökonomie wichtig sind seine "Politik" und die "Nikomachische Ethik". Daher bringt ein Handlexikon "Die grossen Wirtschaftsdenker" (1986) seine Biographie (dazu diejenigen Xenophons und Platons). Die "Ökonomik" stammt aber nicht von ihm.

 

Platon begründete die "Akademie" (387 v. Chr.), Aristoteles das "Lykeion" (vor 334 v. Chr.), in dessen schattigen Laubengängen ("peripatoi") umherwandelnd seine Schüler mit ihm philosophierten.

 

Kurz vor 300 v. Chr. wurden weitere Schulen gegründet: von Zenon die Stoa in der "bunten Halle" ("stoa poikile") am Markte von Athen, von Epikur der "Garten" ("kepas") mitten in der Stadt. Dazwischen entstand die "Skepsis".

 

Als "Sammelbecken abgesunkener religiöser, mythologischer und kosmologischer Traditionen" (Olof Gigon) erfreute sich die Orphik bei den "kleinen Leuten" grosser Beliebtheit. War sie eher mit dem Pythagoreertum verbunden, so die spätere Hermetik (im 1 Jh. v. Chr.) mit dem Platonismus und der Stoa. Die Stoa hatte einen grossen Einfluss auf das römische Geistesleben.

 

Rom

 

Besondere Verdienste um die Popularisierung der griechischen Philosophie in Rom erwarben sich der Kreis um Scipio, den Jüngeren, den Eroberer Karthagos (146 v. Chr.), und später Cicero.

Der grosse Hetzer gegen Karthago war der alte Cato, vordem mächtiger Konsul, Redner und Censor Roms. Er ist der Schöpfer der römischen  Prosa und Fachschriftstellerei. Sein "Carmen de moribus" enthielt eine Sammlung von Sprüchen zur altrömischen Lebenshaltung; seine "Origines" bieten viel Volkskundliches.

Cato stand zwar allem Griechischen ablehnend gegenüber, benützte aber in seiner Schrift "De agricultura" (erst posthum, nach 149 v. Chr., publiziert) dennoch griechische Quellen. Es ist eine aus eigener Praxis erwachsene Anleitung für den in der Stadt wohnenden Gutsbesitzer unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität. Dieter Schneider (1985, 85f) meint, er gebe sich "als knochenharter Haustyrann und Kapitalist".

 

Der Redner und Konsul M. Tullius Cicero schätzte Xenophon und Cato hoch. Philosophisch blieb er "immer ein Gegner der Epikuräer, obschon sie ihm ihrer Urbanität wegen menschlich lieber waren als die zu Pedanterie und Fanatismus neigenden Stoiker" (M. Gelzer in LdAW 313). Cicero machte sich Gedanken über den vollendeten Redner ("De oratore", 55 v. Chr.), über die beste Staatsreform und den in ihr wirkenden Staatsmann ("De re publica", 52 v. Chr.), über das richtige Handeln ("De officiis", 44 v. Chr.) sowie über Affekte und Glück ("Tusculanae disputationes"). Seine ethische Schrift "De finibus bonorum et malorum" hat Lorenzo Valla (1431) zum Vorbild gedient.

 

Der Politiker und Gelehrte M. Terentius Varro war keiner bestimmten Schulrichtung verpflichtet. Er schrieb nicht nur drei Bücher über Landwirtschaft, sondern auch über Frieden, Wahnsinn, Kindererziehung und Glück (um 40 v. Chr.; "logistorici"). Ferner stellte er erstmals die sieben "Artes liberales" - die Disziplinen, "die einem Freien anstehen" - zusammen und ergänzte sie durch Medizin und Architektur.

 

 

B. Hochmittelalter und Renaissance: Streit der Interpretationen

 

Heidnische Einflüsse im Christentum

 

Im frühen Mittelalter wurde das geistige Leben von Klöstern und Bischofssitzen getragen. Beherrschenden Einfluss hatte der im 3. Jh. n. Chr. von Plotin begründete Neuplatonismus in den verschiedenen Ausprägungen, von Augustin (um 400), Dionysius Aeropagita und Boethius (um 500).

Bemerkenswert ist, dass in manchen Erörterungen, Predigten und Briefen der jüngeren Kirchenväter um 400 n. Chr. neben christlicher Moral auch mancherlei psychologische Fragen - insbesondere zu Reichtum und Gewinnsucht - einfliessen, etwa bei Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz, bei Johannes Chrysostomos und Rufinus von Aquileia, bei Ambrosius und Augustin.

 

Teile der aristotelischen Logik und von Platons "Timaios" waren das ganze Mittelalter verfügbar und wurden vielfach diskutiert. Die meisten übrigen Schriften wurden erst im 12. und 13. Jahrhundert durch Übersetzungen, zuerst aus dem Arabischen, dann aus den griechischen Urtexten in Mitteleuropa bekannt.

Die neu gegründeten Universitäten (Bologna; Paris um 1150, Oxford 1167, Salerno 1173, Montpellier 1189, Palenzia 1208, Padua 1222) und die Orden der Dominikaner und Franziskaner hatten daran grossen Anteil. (Freilich wurden diese Orden auch sogleich, 1227, mit der Inquisition betraut.)

 

Paris war vorwiegend logisch orientiert, Oxford mehr empirisch. Die Franziskaner griffen anfänglich auf Augustin und den Neuplatonismus zurück, die Dominikaner auf Aristoteles. Dieser war beliebter, wurde aber auch häufig verboten (z. B. 1210, 1231, 1277). Wer an Platon oder die Neuplatoniker anknüpfte, neigte eher zur Mystik; erst ab 1438 wurde der "Platonismus" in Florenz (Plethon, Ficino, Pico) salonfähig.

 

Daneben gab es eine beachtliche Tradition von Magie und Mantik, also Zauberei, Wahrsagerei und Traumdeutung, die in der Renaissance erneut aufblühte. Alchemie, Aberglaube und Teufelsfurcht hielten viele in ihrem Bann.

Die erste Attacke gegen die Astrologie ritt Nicolaus von Oresme. Er verfasste auch zwischen 1350 und 1360 das bekannte Werk "Über Ursprung, Natur, Recht und Änderung des Geldes". Wilhelm Roscher, der ihn um 1860 wieder entdeckte, bezeichnete ihn als den "grössten scholastischen Volkswirt".

Auch Heinrich von Langenstein, der manche Gedanken zur Volkswirtschaft beisteuerte, wandte sich 1368 und 1374 gegen die Astrologiegläubigkeit.

 

Albertus Magnus begründete auf der Basis des "Bedürfnisses", nach marxistischer Lehre, um 1250 das "feudale Wirtschaftskonzept" (DDR-Autorenkollektiv 35).

 

Seines Schülers Thomas von Aquins (um 1250 n. Chr.) Staats- und Wirtschaftslehre (z. B. das Zinsverbot, die Arbeitslehre und die Eigentumstheorie) wurde für Jahrhunderte ebenso bestimmend wie seine Auffassungen über die Seele, die Rolle der Frau und des Teufels. 50 Jahre nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen.

Über 600 Jahre nach seinem Tod, 1879, erklärte eine Enzyklika von Papst Leo XIII. die Lehre des hl. Thomas zur Richtschnur der christlichen Philosophie. 1924 wurden 24 Thesen aus seiner Philosophie herausgehoben und kirchlicherseits als die echte Lehre des Thomas verordnet.

 

Noch 1962 wunderte sich Karlheinz Deschner: "Die unentwegte Berufung des offiziellen Kirchentheologen auf den Heiden Aristoteles gehört zu den grossen Seltsamkeiten der Catholica" (vgl. 300, 306, 363). Überhaupt gehe die Kirche viel mehr auf den Hellenismus zurück als auf Jesus.

Ähnlich meinte Carl Brinkmann, die ganze Wirtschaftstheorie der christlichen Kirche bis heute zur heutigen Sozialpolitik werde "nur verständlich, wenn man auf ihrem Grunde überall die Gedankenmassen der hellenistisch-orientalischen Spätantike in ihrer Einheitlichkeit und Gegensätzlichkeit, vor allem in dem grossen Rhythmus platonischer und aristotelischer Richtungen zu erkennen vermag".

 

Geburt des Kapitalismus aus dem Rittertum

 

Nach der Jahrtausendwende hatte eine gewaltige Aufbruchbewegung Europa erfasst. Sie zeigte sich nicht nur in Handwerk und Handel, Technik, Bauwesen und Kunst, sondern auch im Aufblühen der Märkte und Städte. Aus der Kirchenreform ging ein mächtiges Papsttum hervor, das im 12. und 13. Jahrhundert die "Weltherrschaft" erlangte.

 

Es war auch die Blütezeit der höfisch-ritterlichen Kultur, eine erstaunliche Verbindung von Christentum und Laientum, von Moral und Kriegertum. Wie es dazu kam, ist Gegenstand eingehender Diskussionen. Wichtige Anstösse gab die Reformbewegung von Cluny, u.a. mit der Idee des "Heiligen Krieges", des Gottesfriedens (Fehdeverbot) und des Schutzes der Armen.

 

Einflussreich sind ferner die Abhandlung des in Spanien lebenden jüdischen Philosophen Ibn Gabriel (Avicebron) über die "Verbesserung der Sitten" (um 1050), die Niederschriften des "Ruodlieb" (um 1050-70) und des „Rolandslieds“ (um 1090; dt. 1130 vom Pfaffen Konrad) sowie der Kodex des christlichen Ritters („Miles christianus“) des Bonizo, Bischof von Sutri: In seinem "Liber de vita christiana" (um 1090) fordert er den Ritter zur Ergebenheit gegenüber dem Herrn, zum Kampf für das Wohl der "Res publica", zum Krieg gegen die Ketzer und zum Schutz der Armen, Witwen und Waisen auf. 1096 wurde zum Ersten Kreuzzug aufgebrochen; die ersten Ritterorden entstanden.

 

In Dichtung und Gesang wurden fortan Tugend und Minne gepriesen. Dem praktischen Gebrauch dienten unzählige Handbücher und Traktate für Erziehung und anständiges Benehmen, "Zucht".

Der grosse Theologe Hugo von St. Victor (gest. 1141) bot in seinem "Didaskalion" eine Einführung in das "wissenschaftliche" Studium und in "De institutione novitiarum" eine Sammlung von Verhaltensvorschriften.

Der Gelehrte und Grammatiker Wilhelm von Conches stellte um 1150 eine Anthologie moralischer Zitate, vor allem von Cicero, Horaz und Seneca, zu einer "Philosophia moralis de honesto et utili" zusammen: Sinnsprüche für alle Gesellschaftsklassen.

Sein Schüler Johannes von Salisbury gab im umstrittenen "Policraticus" (1159) eine farbige Schilderung seiner Zeit und stellte Massstäbe für das Verhalten weltlicher Herrscher auf.

Ähnliches leistete, aber fundierter, Otto von Freising in seiner "Chronik der zwei Reiche" (um 1150).

Damit rückte die Erziehung der Fürsten in den Vordergrund, beschrieben in den sog. "Fürstenspiegeln". Für Nonnen gab es "Jungfrauenspiegel".

Für die Theologen wurden die mitunter widersprüchlichen Zitate aus der Bibel und den Kirchenvätern in "Sentenzen" - und "Summae" - zusammengestellt: Die "Libri quatuor sententiarum" von Petrus Lombardus (gest. 1164) waren jahrhundertelang in Gebrauch. Joachim von Fiore verhiess um 1200 die Herankunft eines dritten Reichs, das des "ewigen Evangeliums", das Zeitalter der "Freiheit des Geistes".

 

Der Drang nach dem Aufstellen von Vorschriften und Beschreiben von Verfahren machte auch vor der Technik nicht Halt.

Roger von Helmarshausen (alias Theophilus Presbyter) stellte 1122/23 die "Diversium artium schedula" zusammen, ein imposantes Handbuch der Verfahrenstechnik. Es folgten Herrad von Landsbergs "Hortus deliciarum" (1160), das Musterbuch aus dem Kloster Rein mit 12 bildlichen Darstellungen der artes mechanicae, Villard de Honnecourts legendäres Bauhüttenbuch (1235) und die Loblieder auf die Technik von Robert Grosseteste ("De utilitate artium" 1235) und seinem Schüler Roger Bacon ("Opus maius" 1268).

 

Auf diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund müssen die aus dem späteren Mittelalter erhaltenen ökonomischen Schriften gesehen werden. Nur so wird die eigenartige Verflechtung von technischen Anweisungen und moralischen Erörterungen - bis mindestens zur "Hausväterliteratur" des 17. Jahrhunderts - verständlich. Dass auch eine heilsgeschichtliche Orientierung zu dem seit dem Jahr 1000 stetig zunehmenden wirtschaftlichen Aufschwung geführt hat, kommt hinzu.

 

Von ihren Reisen in islamische Länder hatten Gerbert (später Papst Silvester II.) und Leonardo Fibonacci (von Pisa) die arabischen Zahlen nach Hause gebracht: Gerbert lernte 967 in Spanien den Abacus mit neun Zahlzeichen kennen, doch erst der Mathematiker Fibonacci bürgerte 1202 mit seinem "Liber abaci" die arabischen Zahlen ein. Er löste auch als erster Probleme des kaufmännischen Rechnens, z. B. Tilgung von Darlehen.

Werner Sombart (1902) würde hier die "Genese des ökonomischen Rationalismus" und des modernen Kapitalismus ansetzen (vgl. auch T. Wagner 41-43). Seither wurden von den Banken, Handelshäusern und städtischen Finanzverwaltungen in Oberitalien doppelte Buchhaltung, Inventur, Kostenrechnung und andere buchhalterische Notwendigkeiten praktiziert (Belege dafür schon um 1300).

 

Der spanische Bischof Pedro Gallego hatte um 1250 eine ökonomische Schrift, die auf griechische Vorlagen zurückgeht, aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt. Auch die pseudo-aristotelische "Ökonomie" wurde damals - in Süditalien - direkt aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.

Um 1343 verfasste der Florentiner Kaufmann und Agent der Bardi, F. B. Pegolotti bereits ein Handbuch für Kaufleute: "La Pratica delle mercatura". Es gibt ein gutes Bild vom Handel und Handelswegen in ganz Europa.

 

Damals hatte die Florentiner Tuchindustrie Weltgeltung. Eine Handvoll reicher Kaufleute leitete die gesamte Industrie, die zu dieser Zeit 30'000 Arbeitskräfte zählte, etwa ein Drittel der Bevölkerung. Die weitaus meisten wurden als ungelernte Lohnarbeiter beschäftigt und arbeiteten in den Werkstätten der Tucher in den arbeitsteilig organisierbaren Bereichen der Produktion. 1378 kam es zum - erfolglosen - Aufstand. Chronist dieser Zeit war Giovanni Villani (fortgesetzt von seinem Bruder und Sohn).

 

Ein umfassendes Bild der arabischen Welt zeichnete 1378 der in Nordafrika lebende Historiker Ibn Khaldun in seiner "Al Muggadima". Ethnologen, Politologen und Soziologen preisen sie heute noch.

 

In England war 1086 das "Domesday Book" angelegt worden, ein Grundkataster, das alle Herrschaften nach ihrem Ertragswert verzeichnete.

Aus dem 12. Jahrhundert sind drei interessante Werke erhalten:

(1)   Die Lebensgeschichte des Kaufmanns und Piraten Godrich, der sich nach vielen Abenteuern um 1110 in Finchale niedergelassen hatte, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Im hohen Alter, etwa 100jährig, diktierte er Reginald von Durham seine Biographie (ca. 1160-70).

(2)   Die Illustrationen, die der Mönch Eadwin für den "Canterbury Psalter" anfertigte, geben ein überaus farbiges Bild der damaligen Zeit, auch von Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Freizeitvergnügen.

(3)   Bald nach dem Jahr 1000 war die zentrale Schatzkammer (Exchequer) eingerichtet worden; um 1150 wurde sie zu einem Kontrollorgan gegenüber der Bautätigkeit von Lokalbeamten (sheriffs) ausgebaut.
Aus der Familie der königlichen Schatzmeister ragt Richard von Ely (Richard Fitzneale) heraus. Er diente den Königen Henry II. und Richard I. Löwenherz und wurde Bischof von London. Sein "De necessariis observantiis scaccarii dialogus" (um 1170) wurde ein unentbehrliches Handbuch für die Verwaltungsbeamten (exchequer).

 

Fast 300 Jahre lang war das um 1250 von Walter de Henley auf Französisch geschriebene Buch "Hosebondrie" das massgebliche Werk für Landwirte und die Führung eines Haushaltes. Es wurde mehrfach ins Lateinische und Englische übersetzt. Daneben gab es eine ganze Anzahl weiterer Schriften zu diesem Thema.

 

Von ebensolcher Bedeutung für den Kontinent war der "Liber cultus ruris" des Bolognesers Petrus de Crescentiis. Um 1305 geschrieben, erfuhr er bis zur Erfindung des Buchdrucks unzählige Abschriften; über 100 sind heute noch erhalten. Hernach wurde er bis nach 1600 in ganz Europa immer wieder gedruckt, auch in italienischen, französischen, deutschen und polnischen Übersetzungen (vgl. Savastano 1922).

 

Wissenschaftliche Impulse kamen dann von der Universität Oxford (Grosseteste, Bacon, Scotus, Ockham).

Duns Scotus und Johannes Buridan befassten sich nicht nur mit der Willensfreiheit, sondern auch mit ökonomischen Fragen, insbesondere Geld.

Wilhelm von Ockham befasste sich mit der Eigentumsordnung. Diese Impulse wurden stets nach Paris übertragen und dort z. B. von Buridan und Oresme weitergeführt.

In Paris studierte auch Konrad von Megenberg. Seine "Öeconomica" (1354) nehme mit ihren Hinweisen auf die Haushaltsführung der Territorialherren einiges von den kameralistisch-technologischen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts voraus, meint Albrecht Timm (20).

 

Spuren von ökonomischen Betrachtungen und vor allem Zeitkritik finden sich in England erst wieder in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bei den Dichtern William Langland, Geoffrey Chaucer (auch Zollaufseher und königlicher Bauleiter) und John Gower, dem grossen Moralisten, sowie beim Volksprediger John Ball.

 

Gesetzessammlungen und Verbote im 13. Jahrhundert

 

Im Jahre 1215 musste König Johann I. Ohneland dem Adel die "Magna Charta libertatum" gewähren; er wurde dadurch an das "alte Recht" gebunden. Viele Einzelforderungen und Klauseln betrafen das Lehensrecht. Andere schützten die Kaufleute in ihrem Handel.

 

Das Gewohnheitsrecht in Deutschland wurde zur gleichen Zeit von Eike von Repkow im "Sachsenspiegel" mit Land- und Lehensrecht aufgezeichnet.

 

Überhaupt war es eine Zeit der rechtlichen Regelungen: Kaiser Friedrich II. musste 1220 in der "Confoederatio cum principibus ecclesiasticis" wichtige Regalien wie Markt-, Münz- und Zollrecht den geistlichen Fürsten überlassen, aber schon ein paar Jahre später in einem "Statutum in favorem principum" (1231) den weltlichen Fürsten die gleichen territorialen Herrschaftsrechte wie den geistlichen zugestehen.

Unterdessen hatte er in Sizilien einen modernen Staat gegründet mit besoldeten Beamten, Gesetzgebung und Staatsmonopolen sowie direkten und indirekten Steuern.

 

Ähnliches schufen Ludwig IX., der Heilige (1226-70), in Frankreich, Ferdinand III., der Heilige (1217-52), in Spanien und Heinrich III. (1216-72) in England. Allerorten entstanden Stadt-, Markt- und Zunftordnungen; um 1268 liess Ludwig IX. im "Livre des métiers" sämtliche Statuten der Pariser Gewerbe sammeln.

 

An der seit 1088 bestehenden Rechtsschule von Bologna hatte der Mönch Gratian um 1140 mit einer "ausgleichenden Zusammenstellung" wichtiger Texte des kirchlichen "kanonischen" Rechts (Decretum Gratiani) einen wichtigen Teil des späteren "Corpus iuris canonici" bestimmt. Papst Gregor IX. liess es 1234 erstmals kodifizieren. Es enthielt auch Vorschriften für den Umgang mit Wirtschaftsgütern. Das rechte Mass (moderatio) war das Grundprinzip der christlichen Wirtschaft, und die Arbeit besass zentrale Bedeutung und Würde.

 

Das Zinsverbot wurde aber in der sich allmählich ausbreitenden Erwerbs- und Marktwirtschaft seit dem 13. Jahrhundert aufgeweicht - auch in der Kirche selbst, die sogar am Betrieb von Frauenhäusern verdiente (E. Egner 53-65, 71-81; E. Salin 32-40; DDR-Autorenkollektiv 27-32, 46-52).

Von 1150-1350 war daher zur Umgehung des kanonischen Zinsverbots u. a. der "Rentenkauf" beliebt (W. Braeuer 180-183).

Johannes Buridan (um 1350) anerkannte erstmals offiziell das Gewinnprinzip und - wie schon sein Vorläufer Duns Scotus - die freie Preisbildung im Markt, wofür das Luxus-"Bedürfnis" genauso wichtig ist wie jedes andere.

Bernhardinus von Siena warnte dann wieder vor dem Luxus, indem er den "geplagten Ehemann" ins Feld führte, der nicht weiss, wie er die Modetorheiten seiner Gattin bestreiten soll (W. Braeuer 202).

Eine wissenssoziologische Analyse obrigkeitlicher "Marckht-Ordnungen" vom 12. bis 16. Jahrhundert bietet Wolf-Hagen Krauth (1984, 26-82).

 

"Durch ihre Rechtssätze suchte die Kirche die Völker zu erziehen", heisst es in einem Geschichtsbuch (Schib 194). Papst Innozenz IV. führte dazu 1252 auch die Folter ein. Zur gleichen Zeit sammelte Accorso in Bologna die sog. "Glossa ordinaria", welche für lange Zeit das iuristische Standardwerk bildeten. Auch eine Lehre vom Eigentum war darin enthalten.

1274 erliess Papst Gregor X. auf dem Konzil von Lyon das erste Gesetz gegen den Luxus. Kleiderordnungen waren schon das ganze Jahrhundert allenthalben erlassen worden (die erste bereits 1180 von Philipp II.)

 

Blüte der Renaissance im 15. Jahrhundert: Utilitarismus und andere neue Ansätze

 

Eine der vielen grossen Gestalten der Renaissance war Lorenzo Valla. In seinem Dialog "De voluptate" mit dem Untertitel "De vero bono" (1431, gedruckt 1483) begründete er den Utilitarismus.

 

Die Wiederentdeckung Epikurs und der natürlichen Lust lag damals in der Luft. Valla verlieh ihr zum erstenmal durchschlagende Kraft (H.-B. Gerl, 1974, 98). Er fasste die Lust als das einzige und wahre Gut auf, oder umgekehrt: "Jede Lust ist gut." Sie ist zugleich Voraussetzung und Folge der richtigen Praxis. Sie entwickelt die Personalität des einzelnen vor dem Hintergrund der ganzen Gemeinschaft (a.a.O., 141, 143). Tapferkeit und Gerechtigkeit sind Leerbegriffe.

Wenn man auf die Fakten (facta) schaut, sieht man erstens, dass jeder nach seinem Vorteil (commodum) strebt, zweitens: "Die Guten sind immer dem Nutzen gefolgt" (quod boni semper secuti sunt utilitatem) und drittens: Der Gemeinsinn (consensio communis) beurteilt eine Handlung nach ihren Auswirkungen; Massstab ist der Vorteil oder der Schaden, den sie öffentlich bewirkt. Es ist also nicht dem einzelnen überlassen, nach Willkür oder Sensibilität des Gewissens selber Gut und Böse zu interpretieren. Die Gemeinschaft übt einen Zwang zu ethischem Verhalten aus, so dass jeder sagen muss: "Wenn ich auch alles nur um meinetwillen tue, so will ich doch dem anderen daher nützlich sein, um in gleicher Weise auch mir nützlich zu sein."

 

In einer weiteren Schrift stellt Valla die Unwissenheit und Anmassung aller neueren Rechtsgelehrten bloss (a.a.O., 24), worauf er seinen Lehrstuhl verlor. Später arbeitete er an einem Dialog über die Willensfreiheit, von dem noch Luther begeistert war; Leibniz arbeitete ihn in seine "Theodizee" ein.

Weiteres Aufsehen erregte Valla mit einem Loblied auf die lateinische Sprache, mit der Aufdeckung der Konstantinischen Schenkung als Fälschung und der ersten wissenschaftlichen Bibelkritik. Unter seinen vielen Übersetzungen aus dem griechischen befindet sich auch die Führungslehre Xenophons.

 

Im Jahre 1400 hatte Giovanni Dominici, der später Kardinal wurde, ein Buch über Hauswirtschaft geschrieben: "Regola del governo di cura familiare". Er widmete es Madonna Bartolomea degli Alberti, einer Tante des vielseitigsten Renaissancemenschen, Leon Battista Alberti. Daher verwundert es nicht, dass das erste grosse Werk dieses "uomo universale" ein umfangreiches "Trattato del governo della famiglia" (1444) ist. Es heisst zwar oft, er sei an Xenophon orientiert. Doch wichtiger ist seine Aufnahme der aristotelischen und stoischen Tugendlehre.

Die Tugend besteht in der Einhaltung des Masses, der richtigen Mitte zwischen zwei Extremen. So liegt etwa Freigebigkeit zwischen Geiz und Verschwendung. "Aber siehst du, Lionardo", schreibt Alberti, "diese Verschwender, von denen ich eben sprach, missfallen mir, weil sie das Geld für unnötige Dinge ausgeben; und jene Habgierigen sind mir ebenfalls zuwider, weil sie von ihrem Besitz keinen Gebrauch machen, wenn es nötig ist; und ausserdem auch wegen ihres übertriebenen Verlangens." Richtig haushalten muss man vor allem mit drei Dingen, die der Mensch sein Eigen nennen kann: die Regung der Seele, den ihr gehorchenden Körper und die verfügbare Zeit.

 

Auch andere moral- und gesellschaftsphilosophische Schriften sind von Alberti bekannt. Neuerdings werden seine "Zehn Bücher über die Baukunst" (entstanden vermutlich 1450-1460, posthum gedruckt 1485) als Handbuch ökologischen Bauens (E. Rodenwaldt) und als Ursprung der bewussten Stadtplanung (C. W. Westfall) gepriesen. Seine "Drei Bücher über die Malerei" widmete er Brunelleschi, dem Erfinder der Perspektive; sie sind auch bedeutsam für die Mathematik. Alberti hat die Renaissance-Ideologie des "homo-faber" formuliert: "Für die Tätigkeit ist der Mensch geschaffen, und der Nutzen ist seine Bestimmung."

 

Schon Dante, Petrarca und Boccacio hatten das neue bürgerliche Ideal skizziert. Die Kanzler von Florenz, Coluccio Salutati (von 1375 bis 1406), Leonardo Bruni Aretino (1427-44) und Cristoforo Landino (1467-98) bauten es aus.

Petrarca hatte es bereits in der Verbindung so gegensätzlicher Tugenden wie Selbstgenügsamkeit und Gemeinsinn gesehen. Salutati meinte, das theoretische Wissen diene der Betrachtung des Wahren, die praktische Klugheit aber solle sich mit dem Guten, und zwar in der Gestalt des "Gemeinwohls", befassen.

 

Pier Paolo Vergerio entwickelte daraus 1404 ein Erziehungssystem: Es geht nicht allein um die Ausbildung zum Gelehrten, sondern um die Vorbereitung der Kinder auf ein tätiges, den Wettbewerb der Kräfte nicht scheuendes Leben in der Gemeinschaft.

Bald darauf wurden in Mantua und Ferrara Schulen eröffnet, die als Vorläufer der "public schools" gelten.

 

Matteo Palmieri entwarf dann 1438 ein umfassendes Bild "Della vita civile". Es löste den ritterlich-höfischen und priesterlich-mönchischen Lebensstil ab. Das Leben in der bürgerlichen Gemeinschaft ist Voraussetzung und Quelle aller Tugend. Das Handeln des einzelnen und alles Handeln in der Gemeinschaft soll von der Idee der Gerechtigkeit geleitet werden. Denn die herrschende gesellschaftliche Ordnung ist das Abbild einer göttlichen Ordnung.

Ebenfalls platonisch ist seine Behauptung: "Gott hat jedem menschlichen Geist ein Licht eingegeben, das dem Heranwachsenden zur Führung eines tugendhaften und glücklichen Lebens ausreicht - wenn er es nicht durch Laster auslöscht."

 

An der Hochschule von Padua, dem Hauptsitz der Aristoteliker, wurde damals das Studienfach "Ethik" eingeführt.

 

Ökonomisches lässt sich bei den gewaltigen Busspredigern Bernhardinus von Siena (ab 1417), Antoninus von Florenz (Pierozzi, auch Forciglioni) und Savonarola finden.

1939 beklagte Carl Brinkmann, dass sie mehr genannt als gekannt seien. Dabei hätten sie mit ihren Trichotomien der Wertbestimmung (durch Nützlichkeit, Seltenheit, Affektion, d. h. utilitas, raritas, complecibilitas) und den Preisstufen die Preistheorie durch die Jahrhunderte bis zur Wort- und Begriffswelt der Nutzentheorie des vergangenen Jahrhunderts (Walras) und bis zur heutigen Kasuistik der Preisspannen beeinflusst.

 

Das 15. Jahrhundert blieb aber eher arm an ökonomischen Schriften. Leonardo Bruni übersetzte 1420 für Cosimo Medici die pseudo-aristotelische "Ökonomie" erneut ins Lateinische; Dominici und Alberti schrieben über Hauswirtschaft.

 

Wenn man von Pegolottis bahnbrechendem Werk (1340) und den teilweise daran anknüpfenden Handbüchern von Uzzano (1442) und Chiarini (1458) absieht, kann man mit Dieter Schneider sagen: Die europäische Ökonomie für Handelsherren beginnt mit der kaufmännischen Erziehungslehre des napolitanischen Richters und Staatsministers Benedetto Cotrugli. In seinem 1458 geschriebenen - freilich erst 1573 gedruckten - Handbuch "Della Mercatura e del Mercante perfetto" sieht er die "Prattica" bereits als Tochter der "Theoretica" und beschreibt die doppelte Buchhaltung.

 

Der vielseitige Gelehrte Luca Pacioli soll um 1470 Alberti und Leonardo da Vinci kennengelernt haben. Seine berühmte "Summa de Arithmetica" (1494 italienisch, 1523 lateinisch) bleibt in vielem hinter dem zurück, was Kaufleute schon lange taten.

Filippo Calandri legte in seiner "Arithmetica" (1491) ein Rechenbuch für Kaufleute vor, das Multiplikationstabellen und Umrechnungstabellen für florentinisches Geld enthielt.

 

Aus England ist "The Libell of Englishe Policye" bekannt, ein Werk in Gedichtform, das ein unbekannter Autor zwischen 1436 und 1439 schrieb. Hier wird aus der Sicht der betroffenen Kaufmannschaft erstmals eine Orientierung der Politik nach ökonomischen Erwägungen gefordert (Horst Dippel 1981, 21).

 

 

D. Aufbruch der Neuzeit

 

Neue Betrachtungsweisen und Wissenszweige bilden sich heraus

 

Im 16. Jahrhundert lösten sich Moral- und Gesellschafts-, Rechts- und Staatsphilosophie, aber auch die Geschichtsphilosophie aus der mittelalterlichen Scholastik: Es wurden entdeckt, resp. formuliert:

·       Liebesethik (schon Ficino, dann Ebreo),

·       Vernunftethik (Melanchthon, Telesio, Lipsius) und Wirtschaftsethik (Reformatoren, Gegenreformation)

·       Utopien (Morus, Johann Eberlin, Hans Hergot)

·       Naturrecht (Melanchthon und Oldendorp 1539, Vitoria und de Soto 1547, Hemming 1577, Bodin 1577, Molina 1593, Mariana 1598)

·       Völkerrecht (Gentilis 1588, später Grotius)

·       Staatsgewalt (Machiavelli, Bodin) und Volkssouveränität (Longuet 1579, Beza und Hotmann, Buchanan und Bellarmin, Mariana, Althusius)

·       Geschichtsphilosophie (Machiavelli, Bodin), Geschichtsschreibung (Speroni, Viperano, Foglietta) und Universalgeschichte (Franck, Patrizi).

 

Reformation und wiedererstarkter Katholizismus prägen Theorie und Praxis des Wirtschaftens

 

Was den "Psychologen" die Unsterblichkeit der Seele und die Willensfreiheit, das war den "Ökonomen" der gerechte Preis und der Zins...

Den seelischen Vermögen stehen die materiellen gegenüber. Gemeinsame Grundlage ist das rechte Handeln, das Erfolg, Freude, Glück bringen soll. Neue Aktualität erlangte nun die Frage nach Einfluss und Funktion des Staates.

 

Daher dürfen Reformation (1517) und Gegenreformation nicht zu gering eingeschätzt werden. Sie haben einen grossen Einfluss sowohl auf die Praxis als auch auf die Theorie der Wirtschaft - sowie der Politik - ausgeübt.

 

Während sich Luthers Lehre von Württemberg bis Preussen, nach Wien und Siebenbürgen sowie in ganz Skandinavien und in den Baltischen Staaten ausbreitete, blieb die Lehre Zwinglis und verwandter Reformatoren auf die östliche Schweiz und vereinzelte Gebiete des Elsass und von Deutschland beschränkt. Von Genf aus verbreitete sich der Calvinismus nach Frankreich (Hugenotten), Polen, den Niederlanden, England (Puritaner) und Schottland (Presbyterianer).

Die bei Zürich entstandene Täuferbewegung fasste im Elsass, in Tirol, Mähren, Mitteldeutschland und in den Niederlanden (Mennoniten) Fuss. In Polen bildet der Unitarier Faustus Sozzini die Kirche der Sozinianer.

 

Da sich die Reformation wie ein Lauffeuer ausbreitete, musste die katholische Kirche ihre Abwehrkräfte sammeln. Eine Reaktion war die tatkräftige Reform des Papsttums durch Kardinal Carafa (später Papst Paul IV.), der auch die Inquisition erneuerte, und das Konzil von Trient, eine andere bestand in der Gründung von Orden, wie der Kapuziner, Jesuiten (Loyola, Canisius, Molina, Bellarmin, Suarez, Mariana) und Salesianer.

 

Vorwiegend zwischen den Fronten hielten sich die meisten Humanisten (Erasmus, Reuchlin, Melanchthon, Morus, Vives, Bovillus). Eine andere Mittelstellung nahm die anglikanische Staatskirche (1534/63) in England ein.

 

Luther betonte 1520, dass die "guten Werke" in der täglichen Arbeit des Menschen, etwa in der Kindererziehung und in der beruflichen Tätigkeit, zu suchen seien. Zwingli pries 1523 die Arbeit als "ein gut göttlich Ding". Beide bekämpften den Wucher. Johannes Calvin (1536) trieb die Zucht auf die Spitze. Aus seiner Forderung der "innerweltlichen Askese" ging nach Max Weber (1904-19) der kapitalistische Geist hervor.

 

Der Nachfolger Zwinglis, Heinrich Bullinger, verbreitete das reformatorische Gedankengut durch eine umfangreiche Korrespondenz in ganz Europa. Er hat etwa 7000 mal gepredigt. 50 Lehrpredigten wurden als "Dekaden" gedruckt. Sie gelangten in zahlreichen Übersetzungen und Auflagen zum Beispiel mit holländischen Handelsschiffen in alle Welt.

 

Von Luther ausgehend entfaltete sich in Deutschland eine reichhaltige "Hausväterliteratur" (Otto Brunner 1949/56; Julius Hoffmann 1959), von Calvin ausgehend im angelsächsischen Raum die sog. "domestic conduct books".

Während für Luther der Beruf (vocatio) schicksalhaft vorgegeben ist, bleibt er dem Puritaner nur aufgeben, d. h. er muss ihn erst suchen. "Er braucht einen Beruf, in dem er sich dadurch als sündiger Mensch rechtfertigen kann, dass er ihn mit gutem Erfolge wahrnimmt" (E. Egner 112).

 

Die Lutheraner waren wirtschaftlich eher konservativ. In der 1529 von Justus Menius in Wittenberg erschienenen "Öconomica christiana", zu der Luther das Vorwort schrieb, heisst es: "in der Ökonomie oder den Haushaltungen ist verordnet, dass ein jedes Haus christlich und recht (vom Hausvater oder Patriarchen) soll regiert werden, dass sich darinnen jeder nach seinem Stande und Gebühr, Mann, Weib, Kinder und Gesinde gegeneinander recht verhalten sollen, damit es allenthalben nach Gottes Befehl und Verordnung recht und wohl zugehe" (nach E. Egner 101f).

 

Für die Calvinisten, insbesondere die Puritaner, war die Wirtschaft ein dynamisches Geschehen. "Durch wagemutigen unternehmerischen Einsatz von Arbeit und Kapital suchte man das eigene Gewissen im Zweifel über die Erlangung der göttlichen Gnade zu beruhigen. Der wirtschaftliche Erfolg galt als die Bestätigung oder doch die Vermutung der göttlichen Gnade, die dem so handelnden Gläubigen zuteil werde" (E. Egner 122).

 

Weit verstreut sind in den Geschichtsbüchern der Wirtschaftstheorie die zum grossen Teil daraus resultierenden ökonomischen Ansätze des 16. Jahrhunderts.

Erschwert wird die Suche durch nationale Ausrichtung der Bücher und Berücksichtigung entweder nur von (1) kaufmännischer (2) oder hauswirtschaftlicher (3) oder volkswirtschaftlicher Literatur.

 

1) Buchhaltung

 

● Die Flut der Buchhaltungsliteratur in Deutschland - wo die doppelte Buchhaltung erst nach 1500 Einzug hielt - setzt 1518 ein, als Matthäus Schwarz, der in Venedig ausgebildete Hauptbuchhalter der Fugger, ein kaufmännisches Lehrbuch mit einer Musterbuchhaltung nach den Büchern der Venezianer Faktorei herausgibt ("Dreyerley Buchhalten").

Im selben Jahr erschien vom Universitätslehrer Henricus Grammateus ein Rechenbüchlein, das auch einen Abschnitt über die Buchhaltung enthielt.

Mitte des Jahrhunderts stellte Johannes Neudörffer, der bekannte Rechenmeister im reformierten Nürnberg, für den Unterricht in seiner Schule eine Handschrift her: "Unterricht über die Buchhaltung und die Handlungswissenschaften."

Schon um 1530 hatte der später bekannte Kaufmann Paulus Behaim bei ihm die erste theoretische Ausbildung erhalten.

Aus Nürnberg stammte auch Wolfgang Schweiker, der als "fürtrefflicher Buchhalter" in Venedig tätig war. Sein 1549 verfasstes Werk über "Zwifach Buchhalten" liess ihm zum "klassischen Schriftsteller über Buchhaltung in Deutschland" werden (B. Penndorf).

 

● Die nach Pacioli nächsten Buchhaltungsbücher in Italien stammen von Giovanni Tagliente (über einfache Buchhaltung, 1525) und Domenico Manzoni (1540), der erstmals die Bücherrevision behandelte. Der erste Handelsrechtler, Benvenuto Straccia ("De mercatura" 1553), griff auf eine Rede Ciceros zurück, um die Beweiskraft der Haushaltbücher zu belegen.

Nachdem 1573 Cotruglis kleines Werk von 1458 endlich gedruckt erschienen war, gab der als Buchhaltungsschriftsteller gerühmte Genueser Benediktinermönch Don Angelo Pietra 1586 auch eine "Anleitung der Verwalter" heraus. Die doppelte Buchhaltung wollte er auch auf Landwirtschaft, Handwerksbetriebe und Gutsverwaltungen angewandt wissen.

 

● In Frankreich nannte man Buchhaltung "Tenue des livres". In seinem "Tractatus commerciorum et usurarum" (1546) behandelte Carolus Molinaeus (DuMoulin) auch Fragen des Zinses).

 

● Im 16. Jh. - nach der Auffindung eines Seewegs nach Indien und der Entdeckung Amerikas - waren Antwerpen von ca. 1530-85 der grösste Handelsplatz der Welt und die Niederlande das blühendste Gewerbegebiet Europas. Es entstanden eine Warenterminbörse und der Kreditverkehr. Daher entstand auch hier eine Buchhaltungstradition. J. Y. Christoffelssone beschreibt 1543 bereits die Inventur, N. Pietersz 1593 die Anlagenbewertung.

 

● Der Ingenieur, Mathematiker und Naturforscher Simon Stevin begann als Buchhalter und Kassier. In seinen 1582 erschienenen "Zinstafeln" wandte er bereits die Abzinsungsformel an. Er verfasste auch das erste Lehrbuch der Dezimalbruchrechnung (1585). In seinen "mathematischen Abhandlungen" (ca. 1605-8 geschrieben) behandelte er nicht nur die Astronomie, sondern auch die Buchhaltung.

Die Konten der Buchführung und ihr Abschluss dienen zur Kontrolle der Vermögensveränderung, die sich aus dem Inventar errechnet. Die Darstellung der Vermögenslage übernimmt das Inventar, nicht der Bücherabschluss. Stevin errechnete auch bereits die "Erfolgskonten" (Schneider 98).

 

2) Haushaltslehre

 

● Trotz Justus Menius ("Oeconomia christiana" 1529) und J. Matthesius (1564) dauerte es noch lange, bis die Hausväterliteratur einsetzte:

Die "Oeconomia" von Abraham von Tumbshirn wurde erst 1617 gedruckt. Der schlesische Prediger Jakob Coler und sein Sohn Johann stellten 1592 einen fortlaufenden Arbeitskalender für den Landwirt auf. Danach werden Organisationsregeln für "Der Bawren Haushaltung Reimweise" vorgetragen. Später erschien das Buch unter dem Titel "Öconomica ruralis et domestica" in 16 Bänden und wurde bis 1711 immer wieder neu aufgelegt und erweitert.

 

● In England löste das 1523 erschienene Buch "Boke of Husbandrie" von Anthony (oder John) Fitzherbert dasjenige von Walter de Henley (1250) ab. Zu dieser Anweisung für Landwirte verfasste Fitzherbert auch eines für die landwirtschaftliche Verwaltung: "Boke of Surveyinge and Improvements" (1523). 1531 folgte von Richard Whitford: "A werke for housholders".

Der von Gentian Hervet übersetzte "Treatise of an Houshold" (1532) von Xenophon erlebte in kurzer Zeit sieben Auflagen, desgleichen die von Coverdale übersetzte Schrift des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger: "The Christen state of Matrimonye" (1541). Old Hugh gab seinem Buch den Titel: "Order of the hapying of the famous reconyinge" (1543).

Dem puritanischen Verständnis verhalf William Perkins mit seiner "Oeconomia christiana" (1590; engl. 1609) zum Durchbruch.

 

● Der Haushaltlehre widmeten sich in Italien Paolo Caggio (1552), M. Giacomo Lantieri (1560) und M. Nicolo Vito di Gozze (1589).

 

● Weniger religiös orientiert waren die landwirtschaftlichen Schriften von Charles Estienne (1567), Konrad Heresbach (1570), Agostiono Gallo (1572), Hieremia Martius (1580) und Giovanni Battista della Porta (1592) - vgl. Krauth 98-114, der bei ihnen eine Abkehr vom traditionellen Tun und eine Hinwendung zur "rationalen Gestaltung" feststellt.

 

3) Preis- und Geldtheorien

 

● Bedeutsam sind die spanischen Dominikaner und Jesuiten. Sie befassten sich vor allem mit der Preispolitik des Händlers:

Den gerechten Preis im Konkurrenzpreis sah die "Schule von Salamanca", welche von dem Dominikaner Francisco de Vitoria ausgebaut wurde, insbesondere sein Schüler Domingo de Soto (1553) und später der Jesuit Luis de Molina (1595). Letzterer erörterte auch das Für und Wider der Kreditgewährung durch Händler und die Opportunitätskosten in Zusammenhang mit der Sortimentspolitik.

 

● Die Entstehung der ältesten Geldwertlehre, der Quantitätstheorie, fällt ebenfalls in diese Zeit. Nach Schmölders und Hansmeyer wurde sie von Kopernikus (1526) begründet. Stavenhagen dagegen berichtet, J. C. de Malestroict ("Paradoxes sur le faict des Monnoyes" 1566), Jean Bodin ("Réponse aux paradoxes de M. de Malestroict", 1568) und Gasparo Scaruffi ("Discorso sopra la monete", 1582) hätten versucht, die fortgesetzten Preisänderungen, welche die nach Europa einströmenden Edelmetallmengen hervorriefen, zu erklären. Auch Bernardo Davanzati beteiligte sich daran. (Detailliert berichtet das DDR-Autorenkollektiv darüber 93-145.)

 

● Ein vehementer Verteidiger der Monopole war der Augsburger Ratsschreiber Conrad Peutinger (1522-33; vgl. DDR-Autorenkollektiv 88-92). Monetaristische Wirtschaftstheorien, vorab zur Einkommensbeschaffung der Obrigkeit, entwickelten John Hales (1549/81), Melchior von Osse (1556) und Jean Bodin (1568/76) - vgl. DDR-Autorenkollektiv 122-143, Krauth 114-126, 138.

 

● Ausgehend von den wirtschaftlichen Miss- und Notständen seiner Zeit verfasste John Hales 1549 einen Traktat "of the Common Weal of this Realm of England". Er wurde allerdings erst 1581 in stark veränderter Form gedruckt.

Hales machte für alles die Münzverschlechterung verantwortlich, die vom König ausgelöst worden sei. Er entwickelte bereits ein finanzwirtschaftliches Kreislauftheorem und Gedanken, die sich bei Adam Smith wieder finden, etwa die Steuerung der Wirtschaft nicht durch Verbote, sondern durch Gewinnanreize - denn der Mensch werde nun einmal von seiner Habsucht geleitet. Er forderte eine ausgeglichene Zahlungsbilanz und wirtschaftliches Wachstum durch hinreichende Versorgung mit Liquidität. Nur dadurch liessen sich Arbeitslosigkeit und Armut nachhaltig bekämpfen.

Doch Hales' Ideen blieben ohne Wirkung, und so dauerte die missliche Wirtschaftslage soweit an, bis es um die Jahrhundertwende zur ersten Krise kam, der weitere folgten. Sie waren Anlass für das Entstehen eines vielfältigen ökonomischen Schrifttums und öffentlicher Auseinandersetzungen.

 

 

D. Das 17. Jahrhundert: Barock

 

Allgemeine Umwälzungen

 

Wenn man das Zeitalter des "Barock" - etwa von 1580 bis 1715 - genauer betrachtet, kann man eine erste und eine zweite Hälfte unterscheiden.

 

In der ersten entladen sich die Spannungen zwischen Reformation und Gegenreformation auf dem europäischen Kontinent im Dreissigjährigen Krieg (1618-48) und in England in innenpolitischen Auseinandersetzungen, kulminierend im Bürgerkrieg (1642-48) und in der anschliessenden Diktatur Cromwells (bis 1658).

 

Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts neigte sich auch die politische Macht von Italien (Medici, Venedig, Papsttum), Spanien und den Niederlanden ihrem Ende zu. Dasselbe gilt für ihre Kunst, die mit Bernini, Velasquez und Rembrandt ihre letzten Höhepunkte erreichte. Nach dem Imperium der Welser ging auch dasjenige der Fugger unter; der Hansebund löste sich endgütig auf, und das Zunftwesen verlor an Einfluss.

 

Ergebnis war eine dauernde Machteinbusse der Kirchen und ein Bedeutungsverlust des Religiösen. Als Ersatz für den "göttlichen Willen" stilisierte man die "Vernunft" zum regulierenden Faktor empor. Ob sie das menschliche Leben und Weben genauso gut trägt, ist fraglich.

 

Die Säkularisierung des Religiösen machte jedenfalls eine individualistische Wirtschaftsgesinnung frei und erlaubte es der Psychologie, sich auch mit den "Niederungen" des menschlichen Trieblebens und Strebens zu befassen. Und da zeigten sich zuerst einmal ein starker Egoismus und ein weit schwächeres Interesse am Gemeinwohl.

Die "virtù" der Renaissance wurde durch die ökonomisch begründeten "Interessen" ersetzt. Horst Dippel (1981) beschreibt das noch genauer: An die Stelle der einst christlich oder feudal-aristokratisch begründeten Gesellschaftsprinzipien traten sozialpolitische Ordnungsvorstellungen, die aus der ökonomischen Betätigung und ihrem Gewinn- und Erfolgsdenken abgeleitet waren.

Die Tugend wurde "ökonomisiert": Die Tugend der Kaufleute verdrängte die Tugend des Staatsbürgers. Und das war eine Tugend der Eigeninteressen, basierend auf individueller Arbeit und Eigentum.

Noch schärfer formuliert es Peter Rosner (1982): Die "Logik der Kaufleute" der ersten Jahrhunderthälfte setzte sich in der "Herrschaft des Geldes" fort. Kriege wurden seither aus machtpolitischen Gründen geführt - oder es waren Handelskriege.

 

Zwar stand der beginnenden Auflösung der christlichen Lebens- und Haushaltsführung die Gründung zahlreicher religiöser Vereinigungen entgegen, z. B. Quäker (1652), Trappisten (1664) und Pietisten (1670), dazu Mystiker und Geheimgesellschaften aller Art, doch das "ganze Haus" (gr. oikos) zerfiel, und neben der Rolle des Hausvaters entstand diejenige des Hauswirts, z. B. bei Julius Bernhard von Rohr (1716; vgl. E. Egner 21f, 106, 139ff). Die Selbstversorgung wurde durch die Fremdversorgung über den Markt abgelöst. "Affektiver Individualismus" und weltlicher Utilitarismus konnten sich ihre Bahn schaffen (E. Egner 158-61).

 

Etwas vom Erstaunlichsten in der Geistesgeschichte ist die – allerdings 500 Jahre lang vorbereitete - Ablösung von theologischen und philosophischen Spekulationen und Theorien sowie von Kanzelpredigten und Schimpftiraden (gegen Wucher, Hoffart, Unzucht, usw.) durch den Versuch, die Sachen erst einmal möglichst unbefangen zu betrachten und ohne moralisierende Wertung zu beschreiben.

 

Sechs zentrale Grundlagen

 

Im Barock bildete sich ein ausserordentlich reichhaltiges Geflecht von geistigen Strömungen heraus, welche einerseits das moralische, wirtschaftliche und politische Leben, anderseits das Erfinden, Forschen und Gestalten über die Renaissance zurück mit bisher eher vernachlässigten Gedanken der Antike verbanden. Viele dieser grossen Erneuerungen - "Instauratio magna" - bestimmten das Denken und Wirken bis heute.

 

Sechs zentrale Grundlagen bildeten:

 

(1)   Die "Mechanisierung des Weltbildes" (E. J. Dijksterhuis 1950; dt. 1956), basierend auf der Mathematisierung und Geometrisierung der Natur;

(2)   Reformation und Gegenreformation, welche nach gut einem Jahrhundert an Stosskraft verloren und dadurch der Mechanisierung, aber auch der Liberalisierung die Bahn freigaben;

(3)   Vielfältige pantheistische, naturphilosophische und theosophische, mystische, alchemistische und esoterische Spekulation und Kontemplation, welche sich teils offiziell, teils unterirdisch in alle möglichen Denk- und Lebensbereiche ausbreiteten. Magie und Okkultismus, Gnosis, Neuplatonismus und Kabbala, Astrologie und Hexenglaube drangen immer wieder durch.

(4)   Der Humanismus als eigenständige Verarbeitung des Früheren und Zuwendung zum Menschen, seiner Herkunft und Erziehung, seinen Schwächen und Leistungen. Manches taucht bei Pädagogen, Moral- und Geschichtsphilosophen sowie Ästhetikern wieder auf.

(5)   Die Idee des "Naturgemässen", begründet durch Aristoteles und die römischen Stoiker (Cato, Cicero), verbunden mit einer strengen Pflichtethik und Ausrichtung auf die Gemeinschaft, teilweise eingegangen in die christliche Lebensführung, wiederaufgenommen im 13. Jahrhundert von Thomas von Aquin und im 16. Jahrhundert von der Theorie des Naturrechts. Diese letztere entfaltet sich in breite Felder von mindestens vier Typen:
1. Als theologische Lehre führt sie das Recht auf den göttlichen Willen zurück, der es dem Menschen eingepflanzt hat.
2. Als normative Lehre will sie im Gegensatz zu der bestehenden Ordnung ein ideales Vorbild, eine Richtschnur für eine künftige Gesetzgebung aufstellen.
3. Als ontologische Lehre will sie aus der Natur des menschlichen Seins - als eines wesentlich sittlichen und sozialen Seins - die Grundprinzipien des Gemeinschaftslebens ableiten.
4. Als Vernunftlehre geht sie von der Vorstellung eines alles Geschehen regulierenden universalen Natur- oder Vernunftgesetzes aus und versucht aus einer angenommenen Voraussetzung (z. B. dass die Natur "des" Menschen gesellig oder selbstsüchtig, friedfertig oder bösartig sei) mittels eines rational-deduktiven Verfahrens Folgesätze abzuleiten, die als Rechtssätze gelten können.

(6)   Die Saat des selbstbewussten Individualismus war seit 1100 ausgestreut worden: von Abälard verbunden mit einer Gesinnungsethik, von Duns Scotus überhöht durch die Willensfreiheit, hernach von Petrarca, Oswald von Wolkenstein und François Villon, Lorenzo Valla und Pico della Mirandola ("Über die Würde des Menschen" 1486), von Machiavelli und Rabelais ("Tue, was du willst", 1534). Nun ging sie endgültig auf (vgl. z. B. Egner 134-8, 158, 199).

 

Empirismus und Rationalismus

 

Ein eigenartiges Dreigespann bilden im Barock Empirismus, Rationalismus und die neuzeitliche Wissenschaft, alle vorbereitet von der Scholastik. Das Experiment als Forschungsmethode forderte und praktizierte schon Roger Bacon (um 1265). Doch vollständig ist die Wissenschaft erst, wenn sie ihre Sätze über die Natur in mathematischer Form ausdrücken kann. Und wozu dient Wissen?

 

Zur Machtausübung über die Natur und den Menschen: "et ipsa scientia potestas est", formulierte Roger Bacon schon 350 Jahre vor seinem Namensvetter Francis Bacon. Die Nominalisten (Ockham, Buridan, Oresme) führten die Trennung von Glauben und Wissen weiter und begründeten 100 Jahre nach Pisano die kalkulatorische Denkart auch für die Wissenschaft (F. Wagner 41).

Leonardo da Vinci ist dann der grosse Forscher und Mechaniker unter dem Leitbild von Erfahrung und Mathematik. "Mich lese, wer nicht Mathematiker ist, in meinen Grundzügen nicht." Und: "Die Wissenschaft ist eine zweite Schöpfung mittels des Verstandes."

 

Eine andere Auffassung von empirischer Wissenschaft - die nach Sinn statt Macht strebt - geht unter anderen vom Neuplatonismus und der Kabbala aus und führt von Lullus (um 1300) , Agrippa und Paracelsus über J. B. van Helmont bis zu Goethe, Alexander von Humboldt und Carus sowie ihren späteren Anhängern.

 

Der Rationalismus beruht eher auf der aristotelisch ausgerichteten Scholastik (siehe Thomas von Aquins "lumen naturale") und verbindet sich dann in der Renaissance ebenfalls mit dem "esprit de géométrie", z. B. bei Cusanus, Tartaglia und Cardano, sowie mit einer ausgereiften Methodenlehre.

 

Wenn man den Beginn der modernen Naturforschung um das Jahr 1585 ansetzt, als Galilei im Dom zu Pisa beim Beobachten eines schwingenden Kronleuchters die Pendelgesetze entdeckte, dann muss man sich die jahrhundertlange Vorgeschichte vor Augen halten. Nunmehr riss der Faden der Forschung nicht mehr ab.

War bisher die Theorie der Praxis vorausgeeilt, so drehte sich dies nun um: Erst 1620 begründete Francis Bacon den methodischen Empirismus, erst 1637 René Descartes den methodischen Rationalismus. Beide trugen fortan unter der Fahne des "richtigen Verstandesgebrauches" Forschung und wissenschaftliches Denken weiter. Denn "Rationalismus und Empirismus sind verschiedene Antworten auf die gleichen Fragen" (G. Gawlick, 11).

 

Das methodische und anwendungsorientierte Denken wurde fortan in zwei Richtungen ausgebaut: "Der ideale Rationalist glaubt an die Stärke des natürlichen Lichtes der Vernunft, das ihm weit über die Leistung der Sinne hinaus...Gewissheit garantierende Evidenz vermittelt ... Der ideale Empirist neigt demgegenüber dazu, ... allein die nach verbindlichen Regeln überprüfte Erkenntnis von Einzeltatsachen für gewiss zu halten und zu unterstellen, dass die menschliche Vernunft nicht in der Lage ist, irgendwelche darüber hinausgehenden nichttrivialen Gewissheiten zu vermitteln" (R. Specht, 15f, vgl. G. Gawlick 10f).

 

Die meisten Rationalisten wie Empiristen waren Denker und Forscher, welche einen weiten Horizont überschauten.

Descartes schrieb nicht nur über analytische Geometrie, Physik, Philosophie und Kosmologie, sondern auch über Physiologie und die "Leidenschaften der Seele".

Hobbes' Erkenntnis- und Motivationstheorie waren ebenso umstritten wie seine Rechts- und Staatsphilosophie.

Blaise Pascal, der Bedeutendes für Mathematik, Physik und Religionsphilosophie leistete, konstruierte auch Rechenmaschinen. Er war sich auch nicht zu gut, auf Anfragen eines Glücksspielers einzugehen und daraus die Wahrscheinlichkeitstheorie zu entwickeln. Angeregt durch einen Briefwechsel mit Pascal und Pierre Fermat entwarf der Mathematiker, Physiker und Astronom Christian Huygens eine vollständige Theorie des Würfelspiels (1657).

 

Psychologie und Verweltlichung

 

Damals begann sich Psychologisches in die Ökonomie einzuschleichen. Am deutlichsten hat dies Joyce Oldham Appleby (1978) herausgearbeitet. Dafür können mehrere Gründe namhaft gemacht werden: Das Erlahmen der katholischen wie reformierten Neuscholastik so gut wie das Aufkommen philosophischer Salons, Ideen einer neuen Pädagogik so gut wie die neuerliche Lockerung der Sitten in und nach den Kriegen.

 

Erich Egner (121, 124, 126, 151, 158) erwähnt mehrfach den grossen Rückschlag, den der Puritanismus nach dem Tode Cromwells im Jahre 1658 erfuhr. Ein "erbarmungsloser Materialismus" breitete sich in der englischen Geschäftswelt aus. Friedrich Wilhelm I., der grosse Kurfürst (1640-88), praktizierte wie der Sonnenkönig, Ludwig XIV. (1661-1715), die Merkantilwirtschaft.

Offenbar entstand das Bedürfnis, die dahinterstehenden Triebkräfte zu ergründen. Eine psychologische Begründung löste die christliche ab. Und neben das "Sollen" trat mehr und mehr eine Beschreibung des Warum. Zur Beschreibung des Was und Wie wurden just zur gleichen Zeit Statistik, Wahrscheinlichkeitstheorie und "Politische Arithmetik " entwickelt.

 

Alle diese Strömungen hatten auf die Praxis wie Theorie des Wirtschaftslebens Einfluss. Egner spricht (131) von einer "verweltlichten Wirtschaftsgesinnung". "Mit der Ersetzung der religiösen Grundlagen des kapitalistischen Erwerbsgeistes wurde der kapitalistischen Wirtschaft eine ganz andere Zukunft vorgezeichnet, als bei anhaltendem puritanischen Einfluss möglich gewesen wäre" (130f). Genauso schnell wie die Praxis, zumindest in einigen Bereichen, stellte sich auch die Theorie um.

Die vielen Gelehrten spannten den Fächer zwischen (1) Individuum und Gemeinschaft, (2) Gesellschaft und Recht, (3) Natur und Politik, (4) Wissenschaft und Ethik, Technik und Moral in voller Breite auf. Was treibt den Menschen zu seinem Tun? Wieweit kann und soll der Staat die Dinge lenken? Bringt Wissen Macht, Technik Wohlfahrt? Und: Wozu ist das alles gut?

 

Fragen, die auch für die Betrachtung des wirtschaftenden Menschen und des Wirtschaftslebens von Belang sind.

 

Ansätze zu einer neuen Ökonomie

 

Als Vorläufer der subjektiven Wertlehre gilt Bernardo Davanzati ("Lezione delle monete" 1588). Er erkannte bereits, dass der Wert nicht eine den Gütern anhaftende Eigenschaft ist, sondern sich ständig mit den Wünschen und Bedürfnissen sich ändert.

 

Man kann Davanzati zu den ersten Gelehrten zählen, die Ansätze zur Wirtschaftspsychologie boten. Dazu gehören auch Montaigne (1580) und Bacon (1597/1612), Scaruffi (1582) und Della Porta (1592).

 

Als erste wirtschaftspsychologische Massnahme kann man die Errichtung von Arbeits- oder Zuchthäusern (England und Amsterdam 1580) betrachten, ferner das Intelligenzwesen (von Sully um 1600 eingeführt). Von grosser Bedeutung war auch das Aufkommen der Messrelationen und der periodischen Presse.

 

Gian Francesco Lottini, 1548 Sekretär Cosimo de Medicis, entdeckte den Grenznutzen und verfasste gegen Ende seines Lebens eine Ökonomik-Schrift (1582 erschienen) als Unterrichtswerk für einen Prinzen, angeregt durch Machiavellis "Principe". Er meinte: Wir fühlen Vergnügen bei der Befriedigung unserer Bedürfnisse, das sind die Wünsche nach Nahrung und Sex. Mässigung sei angezeigt, und Vernunft scheide den Menschen vom Tier. Der Mensch beachte nicht immer hinreichend die Zukunft, er überschätze seine gegenwärtigen Bedürfnisse, weil er seinen Gefühlen folge und nicht seiner Vernunft (D. Schneider 85).

 

Francis Bacon liess sich von Montaigne zu eigenen "Essay moral, economical and political" (1597, vervollständigt 1625) anregen. Doch seinen Plaudereien über Lebensklugheit und Menschenkenntnis fehlte der Charme seines Vorgängers. Ein bekannter Satz lautet: "Denn die Zeit ist der Massstab für Geschäfte wie das Geld für Waren." Und in späteren Aphorismen behauptete er: "Geld gleicht dem Dünger, der wertlos ist, wenn man ihn nicht ausbreitet." Oder: "Die Gedanken der Menschen richten sich meist nach ihren Neigungen, ihre Gespräche nach ihren Meinungen, ihre Handlungen nach ihren Gewohnheiten."

Bedeutend ist Bacon jedenfalls als Begründer des Empirismus. Seine Analyse der menschlichen Vorurteile, der "Idole", und sein Vorschlag, die Fülle der Einzeldinge auf "Tafeln" (oder Tabellen) in geordneter Form zur Darstellung zu bringen, haben auch heute noch Gültigkeit. Er forderte bereits, die Ökonomik als Universitätsdoktrin in die allgemeine Bildung aufzunehmen. Prinzip seiner Ethik war der "soziale Eudaimonismus, das Gemeinwohl" (R. Eisler 1912, 42). Sein utopischer Roman "New Atlantis" (1624) enthält technische Wunschträume, die heute fast alle in Erfüllung gegangen sind.

 

Die grössten Impulse für die Weiterentwicklung der Psychologie gingen von Descartes und Hobbes aus, für die Ökonomie von Colerus, Thomas Mun, G. D. Peri und Kaspar Klock.

 

Als erste Wirtschaftspsychologen nach 1650 kann man die Ärzte Hermann Conring, J. J. Becher, William Petty und John Locke sowie andere Zeitgenossen wie von Schröder, Barbon und North, Savary und Montanari ansehen.

Das heisst auch: Manche Ärzte waren damals äusserst vielseitig und wirkten oft als Philosophen oder Psychologen oder wirtschaftliche Ratgeber oder alles zusammen; ähnliches gilt für Juristen wie Leibniz, Pufendorf und Thomasius.

 

siehe auch: Literatur Wirtschaftspsychologie: Vorläufer und Pioniere

 

Ökonomische Theorien

 

Die Wirtschaftspolitik des Barock bezeichnet man seit Adam Smith als Merkantilismus. Da es bei diesen staatswirtschaftlichen Massnahmen von Land zu Land grosse Unterschiede gab, nannte man sie in Frankreich Colbertismus, in Deutschland und Österreich Kameralismus, in England Bullionismus.

Wie Ernst Klein (1973) nachgewiesen hat, treffen die Ansichten von Smith und die Namen nicht ganz zu (vgl. auch Appleby, 199-241, Hans Christoph Binswanger 1982).

Feststellen kann man jedenfalls, dass weder die Massnahmen, noch die Theorien ein "System" bildeten, denn alles wurde aus der Praxis geboren. Auch die Theoretiker äusserten sich vorwiegend aus persönlichen Interessen zu Tagesfragen. Dabei traten viele neue Themen ins Blickfeld, wobei sich in deren Behandlung deutlich der Bruch um die Jahrhundertmitte zeigt:

 

● Der zwischenstaatliche Handel mit der Handels- und Zahlungsbilanz (seit John Hales 1549/81).

Schon 1609 hatte Hugo Grotius das "freie Meer" gefordert und damit auch die Handelsfreiheit im Interesse seines Vaterlandes gegen England verteidigt. Dort befassten sich mit dem Aussenhandel die Traktate von Thomas Mun (1621/23) und die Kontroverse von Gerard de Malynes mit Edward Misselden (1622/23), die Traktate von Rice Vaughan (ca. 1625, vgl. 1675), Lewes Roberts (1641) und Josiah Child (1668/69) sowie die Auseinandersetzungen in den 90er Jahren (Nicholas Barbon, Dudley North und Charles Davenant). Sie boten mehr als nur eine Freihandelslehre.

 

● Die Hebung der gewerblichen Produkte bei Antonio Serra (1613) und Antoine de Montchrétien (1615).

Bei Thomas Mun (1621) sind es die Gewerbe, die aus dem "natural wealth" den "treasure" machen. Der Händler Lewes Roberts (1641) fügte als drittes Element des Reichtums den "profitable use and distribution" hinzu. Colbert (1670) und Becher (1668) waren selber aktiv in der Gewerbeförderung. Charles Davenant (1699) sah in einer Förderung der Gewerbe die Möglichkeit, eine "positive Zahlungsbilanz" zu erzielen.

 

● Der Geldwert wurde von Mun und Vaughan (ca. 1625) sowie William Petty (1662) und Geminiano Montanari (1680) behandelt.

Nicholas Barbon (1690) ist der frühestes Verfechter einer nominalistischen Geldtheorie: "Money is a value made by law." Auch der Zins müsse staatlich festgelegt werden. Beidem widersprach 1691 Dudley North.

 

● Nicholas Barbon entwickelte 1690 auch eine Werttheorie, die in manchem der Grenznutzenlehre entspricht.

Der Wert jedes Gutes beruht auf seinem Gebrauch oder Nutzen, den es zu stiften vermag; und dieser resultiert aus der Befriedigung körperlicher oder seelischer Bedürfnisse, wobei erstere verhältnismässig begrenzt, letztere unbeschränkt sind. Ein Gut verliert seinen Wert, wenn das Bedürfnis vollkommen befriedigt ist oder verschwindet, etwa weil etwas anderes Mode wird oder es ausser Gebrauch kommt, weil sich die Bedürfnisse ändern. Der Warenpreis als Ausdruck des Güterwerts richtet sich nach Angebot und Nachfrage: "plenty, in respect of the occasions, make things cheap, and scarcity dear." Dabei bestimmen die Konsumenten das Marktgeschehen. Sie sollen nicht sparsam sein.

 

● Auch bei North (1691) sind Arbeit und Konsum die Motoren der wirtschaftlichen Expansion.

Davenant empfahl demgegenüber "frugality" zur Steigerung der Exporte.

 

● Staatsfinanzen und Steuerfragen

behandelten der Finanzminister von Heinrich IV., Sully (in seinen Memoiren 1634), Thomas Mun (1623 resp. 1664) und William Petty (1662) sowie die Kameralisten Georg Obrecht (1604-17), Hermann Latherus (1618), Jakob Bornitz (1602-25), Christoph Besold (1615-26) sowie zahlreiche weitere Autoren (1622-32), Kaspar Klock (1634/51), V. L. von Seckendorff (1656), J. J. Becher (1668), P. W. von Hörnigk (1884) und Wilhelm von Schröder (1686) - zu ersteren Krauth 114-147, zu den letzteren drei ebenfalls Krauth 148-196;

aus buchhalterischer und rechtlicher Sicht Francisco Munnoz de Escobar (1599/1603) und Johann Heeser (1665);

aus halthaltswirtschaftlicher Sicht Wündsch (1663) und Wegener (1669).

 

● Buchhaltungstechnische Fragen behandeln John Wheeler (1601), G.A. Moschetti (1610), C.-A. Hager (1633), R. Colinson (1683) und Abraham de Graaf (1688).

L. Flori (1636) und G. Venturoli (1666) führten die Buchhaltung in den Haushalt ein. Mathieu de la Portes "Guide des négocians" (1685) erschien 1762 in Deutsch als "Einleitung zur doppelten Buchhaltung".

 

● Giovanni Domenico Peri liess sein Manuskript über die Geschäftsführung des Kaufmanns erstmals 1638 in Genua unter dem Titel "Il Negotiante" drucken. Eine stark erweiterte Auflage erschien 1682. Für die Abstufungen des gerechten Preises griff er 200 Jahre zurück: auf Antoninus von Florenz. Er bot auch Vertragsschemata für Handelsgesellschaften.

Das "Meisterwerk der kaufmännischen Erziehungslehren" (D. Schneider 89) aber bot Jacques Savary, ein Mitarbeiter Colberts. Sein wohl durch Peri angeregter "Parfait Négociant" ist ein einzigartiges Lehr- und Nachschlagewerk. Es erschien 1675 und wurde sogleich ins Deutsche ("Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann") und in andere Sprachen übersetzt und immer wieder erweitert bis 1800 neu aufgelegt.

Noch 1911 baute der erste Inhaber eines handelswissenschaftlichen Lehrstuhls an einer Universität (Zürich 1903), der Schweizer Johann Friedrich Schär, seine "Allgemeine Handelsbetriebslehre" nach diesem Vorbild auf.

 

● Lehrbücher der Ökonomik als Lehre vom geschlossenen Sozialsystem "Haus" stammen von Keckermann (1608), Garzoni (1626), Vernuläus (1626), Avenarius (1629), Alsted (1630) und Berckringer (1646) - vgl. Krauth 86-98, 101f.

 

● Hauptvertreter der "Hausväterliteratur" waren neben Coler und Jugelius:

G. A. Böckler (1666), Christoph Hering (1680), W. H. von Hohberg (1682), Christoph Fischer (1690), A. Glorez (1699) und F. P. Florinus (posthum 1702);

der "domestic conduct books" neben William Perkins und Robert Cleaver: William Gouge (1623) und Matthew Griffeth (1633) sowie, auf den Kaufmann ausgeweitet, Richard Baxter (1673) und Richard Steele (1684).

Die italienische Tradition vertraten Assandri (1616) und Frigerio (1629).

 

● Der Flame und Jesuit Leonhard Lessius beschrieb Anfang des Jahrhunderts die Praxis des Geldmarktes an der Amsterdamer Börse und machte sich Gedanken zur Preistheorie. desgleichen der Jesuit Juan de Lugo (1642), der vor allem die moralische Rechtfertigung der Gewinnsucht untersuchte.

 

● Der grosse Naturrechtler Samuel Pufendorf entwickelte die Idee des laissez faire und des gerechten Preises (1660-73). Er hat die gesamte Rechtsverbindlichkeit in Form einer Pflichtenlehre entwickelt.

 

● Durch die Diskussion biologischer Fragen einerseits, die Bevölkerungsverminderung durch Kriege, Seuchen und Auswanderung anderseits, gewann auch das Bevölkerungsproblem an Bedeutung.

Statistik wurde schon unter Sully eingeführt (um 1610).

Hermann Conring (ab 1660), John Graunt (1661), William Petty und Gregory King zählten Geburten- und Sterbeziffern aus.

Petty begründete die Politische Arithmetik (1676 geschrieben, 1690 veröffentlicht). Sie ist die Grundlage für wirtschaftliche und politische Pläne und Regulierungsmassnahmen. Auch der Vorschlag einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung findet sich in diesem Werk. Ferner hat er die "erste soziographische Untersuchung" angestellt (1655-56).

 

● Die Volkswirtschaft als Ganzes betrachten der Kameralist J. J. Becker (1668), der auch das Manufakturwesen beschrieb und eine Marktformenlehre skizzierte, sowie der Staatsmann William Temple, der sich mit dem Reichtum der Niederlande (1672) und vergleichend mit der Politik und Moral Chinas, Perus, der Tartarei und Arabiens beschäftigte. Er führte den Wohlstand einer Volkswirtschaft sowohl auf die menschliche Arbeit als auch auf die Fruchtbarkeit des Bodens zurück.

Boisguillebert (1695) legte in Frankreich "die erste Darstellung einer volkswirtschaftlichen Reproduktion" vor (DDR-Autorenkollektiv 215) und löste, nach Marx, erstmals den Tauschwert der Ware in Arbeitszeit auf.

 

 

Damals wurden die Vorstösse stärker, Ökonomie an den Hochschulen zu lehren (z. B. Morhof 1688, Thomasius 1710, von Rohr 1712).

 

Die originellsten Ökonomen dieser Zeit waren Petty, Becher und Savary. Ihnen zur Seite standen als Aufklärer der ersten Stunde: Locke, Thomasius und Bayle.

 

Thomas Hobbes

 

Wenn laut Hobbes und Spinoza alles, und zwar von Natur aus, nach Selbsterhaltung und Steigerung der Macht strebt, dann gilt das auch für den wirtschaftenden Menschen. Hobbes' Beschreibungen des Menschen im "Leviathan" (1651) können gut auch auf den Kaufmann, Bankier und Unternehmer angewandt werden. Da heisst es etwa:

 

1. "Die Bezeichnungen gut, schlecht und vertrauenswert sind immer nur von dem abhängig, der sie gebraucht. Es gibt nichts, was in sich und absolut gut, schlecht oder verachtenswert wäre, und es gibt auch keine Regel für Gut und Böse, die auf der Natur der Gegenstände selbst gegründet wäre.
Massgeblich ist allein (wo es keinen Staat gibt) der einzelne Mensch, wenn ein Staat besteht, derjenige, der ihn vertritt, oder ein Richter oder Schiedsrichter, den die uneinigen Menschen durch Wahl einsetzen und dessen Urteil zur Regel erhoben wird."

 

2. "Es lassen sich jeweils drei Arten von Gut und Böse unterscheiden:

 

·       Wenn man etwas Gutes oder Böses erwartet, spricht man von pulchrum (hübsch, schön, anmutig, stattlich, ehrwürdig, anständig oder liebenswert) und turpe (schlecht, ungestalt, hässlich, niedrig, ekelhaft);

·       wenn eine erwünschte Wirkung eingetreten ist, von iucundum, was so viel heisst wie angenehm; molestum bedeutet unerfreulich und ärgerlich;

·       und wenn man die Absicht erklären will, spricht man von nützlich, vorteilhaft und hindernd, unvorteilhaft, schädlich."

 

3. "Das Verlangen nach Reichtümern ist Habsucht. Man gebraucht dieses Wort immer nur als Tadel, weil nämlich ein jeder, der nach Reichtümern strebt, unwillig darüber ist, dass es ein anderer ebenso tut. Es wäre also richtiger, je nach den Mitteln, mit denen man nach Reichtümern strebt, das Verlangen selbst entweder zu tadeln oder gutzuheissen."

 

4. "Wenn es uns quält, dass jemand erfolgreicher ist als wir selbst und grösseren Reichtum, höhere Ehren oder irgendwelche anderen Güter gewonnen hat, und wir selbst uns bemühen, ihm gleichzukommen oder ihn gar zu übertreffen, so spricht man von Wetteifer. Gesellt sich dazu der Wunsch, den andern auszustechen oder ihm ein Hindernis in den Weg zu legen, so hegen wir Neid."

 

5. "In der Überlegung überwiegt einmal die Neigung und ein andermal die Abneigung - je nachdem, ob wir die guten oder die bösen Folgen und Wirkungen in unserer Voraussicht erwägen.
Um zu entscheiden, ob eine Handlung letztlich eine gute oder böse Wirkung haben wird, muss man eine derart lange Kette von Wirkungen voraussehen können, dass kaum jemals ein Mensch in der Lage ist, mit seinen Gedanken bis an das Ende der Kette zu reichen... Wer durch Erfahrung oder durch vernünftige Überlegungen die möglichen Folgen am weitesten und sichersten vorauszusehen in der Lage ist, stellt auch die klügsten Überlegungen an. Er könnte anderen der beste Ratgeber sein."

 

Das lässt sich nun wahrlich trefflich in der ökonomischen Theorie verwerten.

 

Hermann Conring

 

Der Universalgelehrte Hermann Conring ist nicht nur als "Begründer der deutschen Rechtsgeschichte" bekannt geworden, sondern er hat auch wesentlich zum Fortschritt der theologischen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen beigetragen. Er las in Helmstedt gleichzeitig als Professor für Medizin und Politik. 1665 gab er die 40 Jahre zuvor in Venedig erschienene Schrift des Scipio Claramontius über Menschenkenntnis neu heraus: "Über die Kunst, die Sitten und die verborgenen Leidenschaften eines jeden zu vermuten".

Seit 1660 las er über Staatenkunde, wozu auch die Statistik gehört. Nur auf dieser Basis ist eine gezielte Wirtschaftspolitik möglich. Dazu lieferte er Beiträge zu merkantilistischen Themen, wie Münzwesen, Staatsfinanzen und Handel. Mit politischen Gutachten griff er in aktuelle Streitfälle ein.

Colbert empfahl ihn Ludwig XIV. für eine königliche Pension, obwohl er schon Geheimer Staatsrat und Leibarzt des schwedischen Königs war.

 

Johann Joachim Becher

 

Eine ebenso abenteuerliche wie vielseitige Gestalt war der Deutsche Johann Joachim Becher: Projektemacher, Alchemist, Pädagoge und Wirtschaftspolitiker im Sinne des Merkantilismus.

In Stockholm lernte er 1648-52 unter anderem Mersenne, Descartes und Vertreter des Stoizismus kennen, in den Niederlanden hernach Sylvius und Huygens. Schon mit 20 Jahren war er ein bekannter Alchemist; er wollte auch ein Unterseeboot und ein Perpetuum mobile konstruieren. Mit 26 doktorierte er in Mainz in Medizin und las einige Zeit anhand der Lehren von Daniel Sennert.

Daneben entwickelte er eine Methode für die Erlernung fremder Sprachen sowie Pläne wirtschaftspolitischer Aktivitäten, insbesondere zur Gewerbeförderung. Bekannt geworden sind seine Bemühungen um die Einführung der Seidenmanufaktur in München und Wien (seit 1665).

 

1668-69 erschienen seine vier wichtigsten Schriften zur Sprachlehre, Naturphilosophie, Ökonomie und Moral. Herbert Hassinger (1951) stellt sie ausführlich vor.

Für Kaiser Leopold I. erweiterte er seinen "Politischen Discurs" von 1668 auf den fünffachen Umfang, auf 1272 Seiten (1673). Vier Jahre lang durfte er den Kaiser mit wirtschaftlichen - und alchemistischen - Gutachten beraten.

Nach einer verpatzten Mission im Auftrag des Kaisers setzte er sich nach Holland ab, wo er in seiner "Psychosophia" (1678) einen Plan zur Gründung einer christlichen Gemeinde zu Papier brachte. Er traf auch mit Leibniz zusammen. Ende 1679 begab er sich nach London und bewarb sich vergeblich um Aufnahme in die Royal Society.

 

Mit einem Rückblick auf 50 eigene und 50 andere Erfindungen, Entdeckungen und Projekte seiner Zeit - unter dem Titel "Närrische Weisheit und weise Narrheit" beschloss er 1682 sein Leben. Leibniz meinte von ihm: "Er war ein Mann, der eines besseren Loses würdig gewesen wäre."

 

William Petty

 

William Petty brach sich mit 13 Jahren als Schiffsjunge das Bein. Im Jesuitenkollegium von Caen lernte er Sprachen, Mathematik und Astronomie. Mit 20 Jahren begann er in den Niederlanden Medizin zu studieren. Nach zwei Jahren ging er nach Paris, wo er Hobbes begegnete und sich dem Kreis um Mersenne anschloss. 1648 doktorierte er in Oxford in Medizin. Vier Jahre später wurde er als Oberfeldarzt nach Irland geschickt.

 

1655-56 organisierte er etwa 1000 Leute zur kartographischen und demographischen Erfassung der grünen Insel. Er selber verschaffte sich Ländereien vorab in der Grafschaft Kerry, aber auch in London. Hier gehörte er zu den Gründern der Royal Society (1662) und bereicherte die von König Charles II. ins Leben gerufenen Segelregatten mit der Konstruktion der ersten Katamarane.

 

Die nächsten 25 Jahre bis zu seinem Tod pendelte er zwischen Irland und London hin und her, verwickelte sich in unzählige Streitereien und schrieb resp. diktierte eine grosse Anzahl wissenschaftlicher und politischer Essays und Pamphlete. Die meisten zirkulierten als Manuskripte und wurden erst nach seinem Tod (1689-99) gedruckt.

 

Seine "Politische Arithmetik" (1676 resp. 1690) ist weit mehr als Statistik. Sie ist eher, wie A. Roncaglia (1985) meint, eine "politische Anatomie", eine Ganzheitsbetrachtung des sozioökonomischen Lebens. Petty sieht alle drei Funktionen des Geldes: Masseinheit, Zirkulationsmittel und Reichtum. Er forderte ein ganzheitliches und gerechtes Steuersystem, sah, dass Arbeitsteilung die Dinge besser und billiger macht und entwickelte eine Arbeitswerttheorie. Genauer noch: Der Wert basiert auf Boden und Arbeit: "All things ought to be valued by two natural denominations, which is land and labour" (1662).

Seine Preistheorie basiert auf den physischen Kosten der Produktion, meint Roncaglia. Marx sah in ihm den Vater der englischen resp. modernen Politischen Ökonomie (vgl. DDR-Autorenkollektiv 204-210).

 

Gottfried Wilhelm Leibniz

 

Der grösste und letzte Universalgelehrte war Leibniz.

Er befasste sich seit 1663 mit Mathematik und arbeitete seit 1665 an der Quantifizierung von logisch begründbaren Wahrscheinlichkeitsaussagen. Ganz empört berichtet noch 1958 Hermann Glockner, dass er "allerdings noch 1669 mit schier unbegreiflicher Pedanterie more geometrico 'bewies', dass man - den Pfalzgrafen von Neuburg zum König von Polen wählen müsse!" (Glockner 500).

Leibniz entwickelte dann 1678 für das Glücksspiel eine Wahrscheinlichkeitslehre, basierend auf dem Erwartungswert ("Spes est probabilitas habendi"), und trug vier Jahre später eine juristische Rechtfertigung der Barwertberechnung vor, eine Grundlage für die Investitionstheorie. Das Rechtsproblem lautet: Wieviel ist bei einer vorzeitig getilgten Schuld zu bezahlen?

 

Dieter Schneider (1979) sieht Leibniz daher als "Betriebswirt". Seine Arbeit "ist das Musterbeispiel für eine Beweisführung, welche die Unvereinbarkeit mehrerer gesellschaftspolitischer Normen (Rechtssätze) mit logischen Mitteln blosslegt und so gesellschaftspolitischen Dogmatismus erschüttert. Stillschweigende Unterstellungen oder von den Interessenten bewusst verschwiegene Folgen bestimmter gesellschaftspolitischer Normen einer Zeit herauszuarbeiten ... ist eine Aufgabe, die sich die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft stellen muss, will sie nicht, ihres gesellschaftspolitischen Bezuges beraubt, zu blosser Technologie (Propädeutik) erstarren" (1979, 206).

 

Für die Nationalökonomie hat Wilhelm Roscher (1874) Leibniz entdeckt. Besonders seine Bevölkerungsstatistik und Vorschläge zum Versicherungswesen stiessen danach immer wieder auf Interesse.

Mehrere Autoren bezeichneten Leibniz als Volkswirt (Wilhelm Weise 1889; Arthur Salz 1910) und Wirtschaftspolitiker (Wilhelm Heitmüller 1939). Jon Elster (1975) brachte ihn mit der Ausbildung des kapitalistischen Geistes in Verbindung.

Den Psychologen ist er hauptsächlich als "Entdecker des Unbewussten" und Vertreter des "psychophysischen Parallelismus" - als Ergebnis einer "prästabilisierten Harmonie" - bekannt.

 

John Locke: Mitbegründer der politischen Ökonomie und Vater der englischen Psychologie

 

Nachdem Karl Marx 1851 die beiden einzigen rein ökonomischen Schriften Lockes studiert hatte, reihte er ihn ein unter die "originellen Köpfe", welche die Grundlagen der politischen Ökonomie schufen. Das waren die Arbeitswerttheorie, die Theorie des Geldumlaufs und die Eigentumstheorie.

"Durch die Verknüpfung der Aneignung von Mehrwert mit der unterschiedlichen Verteilung des Eigentums erweiterte Locke Pettys Mehrwerttheorie", meint Ulrich Bartsch (1985, 178) und fährt mit einem Marxzitat fort: Mit diesen ökonomischen Auffassungen sei Locke "einer der Doyens der modernen Nationalökonomie". Sogar die Entdeckung des "Mechanismus von Angebot und Nachfrage" zur Ermittlung der objektiven Preise wird ihm zugeschrieben (Dieter Bergner, 1985, 16; vgl. auch DDR-Autorenkollektiv 199-204).

 

Man kann Locke auch als Begründer der Wirtschafts-Psychologie bezeichnen.

Jedenfalls war er als Begleiter, Arzt und Sekretär des Earls of Shaftesbury (1667-75) auch Sekretär der Gruppe, welche die amerikanische Kolonie Carolina besass. Er war an der Ausarbeitung der Verfassung dafür (1670) beteiligt und beriet den Lord bei Fragen der Kolonial- und ökonomischen Politik. Seine Bibliothek umfasste 127 ökonomische Werke; er kannte Child, Davenant und Petty; sein Nachlass enthält zahlreiche Manuskripte zu Themen wie Geld und Zinsen seit 1668.

Seine beiden Publikationen (1691 u. 1695) und persönliche Bekanntschaften mit führenden Politikern hatten einen Einfluss auf die Münzreform (1695) und die Einrichtung des "Board of Trade" (1696), welches das Kolonialsystem betreute. Als dessen Mitglied bis 1700 konnte er seinen Ruf als Ökonom und Währungsexperte unter Beweis stellen. 1697 legte er einen "Plan zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und der Massenarmut" vor, der aber nicht akzeptiert wurde. (Karl Gallus 191).

 

Wie steht es mit dem Leben in der Gemeinschaft? Gewiss machen die Menschen ganz unterschiedlich Gebrauch von ihrer Vernunft, um ihr Verhalten zu lenken. Alle Einsichtigeren können aber dem zustimmen, dass für das Leben in der Gemeinschaft eine einfache Regel gilt: "doe as you would be don to" (vgl. Math. 7,12); ja: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" (3. Mose 19,18; Röm. 13,9).

Darauf lässt sich eine Ordnung errichten, in der jeder sein Glück finden kann, wobei die ein bisschen Vernünftigeren die anderen führen - obwohl sie nicht unfehlbar sind. Ihre "Macht" beruht auf Zustimmung ("consent"). Und: "Acting for the preservation of the community, there can be but one supreme power, which is the legislative."

 

Ob Locke damit eine "atomistisch-individualistische Gesellschaftstheorie" und "das politische Modell der kapitalistischen Gesellschaft" begründete und somit als "Ideologie der durch einen Kompromiss zur Herrschaft gekommenen Bourgeoisie" zu betrachten ist - wie der Tenor eines DDR-Symposiums 1984 in Halle-Wittenberg lautete - bleibe dahingestellt. Seine Auswirkungen bis heute sind jedenfalls unbestritten.

Seine "Gedanken über Erziehung" (1693) sind auch heute noch für ein junges Ehepaar lesenswert. Allen schrieb er ins Stammbuch: "I think every one, according to what way Providence has placed him in, is bound to labor for the public good, as far as he is able, or else he has no right to eat" (vgl. 2. Thess. 3,10).

 

1980 stellte Karen Iversen Vaughan Locke in einem Buch als "Economist and Social Scientist" vor. In Anlehnung an Eli F. Heckscher (1932) bezeichnet Hans Christoph Binswanger (1982, 96) Locke als "scharfsinnigsten Denker des Merkantilismus"; bei seinen Thesen in den "Two Treatises of Government", II, Kap. 5, handle es sich "um eine echte ökonomische Theorie" (S. 100).

 

Das Problem der Armut

 

Nur wer am Markt teilnimmt, gehört zur "Öffentlichkeit". Diese Öffentlichkeit - "the public" - fängt im 17. Jahrhundert an, "der Bezugspunkt des allgemeinen Nutzens privaten Handelns zu werden. Sie ist das über den Markt konstituierte allgemeine Interesse" (P. Rosner 30). "Arbeit allein schafft noch nicht Reichtum. Nur indem die merchants die Märkte organisieren, ermöglichen sie es den Handwerkern und Bauern, Einkommen zu erhalten. Die merchants organisieren so die Gesellschaft." (a.a.O. 31), daher gebührt ihnen alle Ehre. Der Staat muss ihnen freie Hand lassen.

Die Merkantilisten argumentieren aus ihrer Klassenposition heraus: Wer seinen Reichtum nicht über den Markt gewinnt, ist kein Teil der Öffentlichkeit. Er darf politisch unterdrückt werden. Die unteren Klassen bestehen aus dem "undisziplinierten Haufen der Gelegenheitsarbeiter, der agrarischen Taglöhner, der Bettler und der Diebe ... Die Unterschicht lebt von der Oberschicht, weil sie von dieser Geld bekommt, mit dem sie die nötigen Lebensmittel kauft" (a.a.O. 44).

Die Armen waren also kein Teil der Öffentlichkeit. Sie arbeiteten zu wenig, weil sie faul und eigensinnig waren. "Die Weber sind, das ist bekannt, am Montag betrunken und haben Kopfweh am Dienstag; am Mittwoch sind ihre Werkzeuge unbrauchbar." Gute Schuhmacher beginnen ihre Arbeitswoche gar erst am Freitagmorgen oder -abend, meinte John Houghton 1681.

Die Arbeiter und die Armen unterwarfen sich nicht freiwillig der gewerblichen Disziplin. Also mussten sie dazu gezwungen werden: über niedrige Löhne und in Arbeitshäusern. Die Löhne sollten soweit gesenkt werden, dass der Arbeiter sechs Tage arbeiten musste, um sieben Tage davon leben zu können. Wenn aber die Löhne bereits so gering waren, konnten sie gar nicht mehr weiter gedrückt werden.

Also braucht es Arbeitshäuser, in denen die Faulheit, welche die Wurzel der Armut zu sein schien, bekämpft wurde, und zwar schon bei Kindern. Yarranton beschreibt 1677 ein Arbeitshaus, in dem in einem Saal 200 Kinder spinnen mussten. In einer Kabine in der Mitte sass eine Aufseherin - "the Grand Mistress" - mit einer langen weissen Rute. Sah sie ein Kind untätig, schlug sie es. Nützte dies nichts, rief sie mit einer Glocke eine weitere Frau herbei, die das Kind in einen andern Raum abführte und wortlos züchtigte.

Das 1656 in Paris gegründete "hôpital général" - ein Zuchthaus - soll schon wenige Jahre nach seiner Gründung 6000 Insassen gehabt haben.

Die Rentabilität dieser Arbeitshäuser war nicht wichtig; im Vordergrund stand die Disziplinierung (a. a. O., 48; vgl. W. Fischer 40-49). Auch "poor law" und Almosen untergruben die Arbeitsdisziplin. "Es bedeutet eine Entmutigung für fleissige und arbeitsame Leute, wenn träge und faule Leute in ihrer Untätigkeit durch die Früchte von Arbeit und Fleiss bestätigt werden sollen", meinte Roger Coke 1670.

Erst um 1750 wurde begonnen, die Arbeiter über den Markt und den Produktionsprozess zu integrieren. Maschinen erlaubten die Disziplinierung; Lohnanreize verlockten zur Arbeit. Und erst jetzt wurde die ökonomische Theorie, aber auch ihre sozialistische Negierung möglich, nämlich "wenn die Arbeiter nicht mehr der faule, undisziplinierte, oft kriminelle Haufen von Gelegenheitsarbeitern sind, und die daher bereit sind, mehr als das absolute Minimum zu arbeiten" (P. Rosner, 50).

Auch Quesnay (1756/59) setzte sich mit der Frage der Armut auseinander. Er greift die Theorie an, die Bauern arbeiteten nur unter dem Druck der Armut. "Um die Drangsalierung der Menschen auf dem Lande zu rechtfertigen, haben die Erpresser den Grundsatz vorgeschoben, die Bauern müssten arm sein, wenn sie nicht faul werden sollten. Die Städter haben sich, aus ihrer Verachtung heraus, diesen barbarischen Grundsatz bereitwillig zu eigen gemacht, weil sie andere entscheidendere Grundsätze weniger beachten. Diese lauten, dass der Mensch, der nichts zurücklegen kann, gerade nur soviel arbeitet, dass er seine Nahrung verdient; dass, im allgemeinen, jeder Mensch, der etwas zurücklegen kann, arbeitsam ist, weil alle Menschen auf den Besitz von Reichtümern aus sind" (nach P. Rosner 141).

Mit dem "Reiz des Geldes" also kann man die Bauern zum Arbeiten bewegen (a. a. O. 69). Andernorts spricht er vom "Köder des Verdienstes". Ist dieser zu gering, ergeben sich die Menschen der Faulheit und schliesslich dem Elend.

Das gilt freilich nur für die Landwirtschaft. Im Gewerbe kann die Armut als Disziplinierungsmittel eingesetzt werden. Allerdings sah Quesnay, dass in Handel und Gewerbe mitunter riesige Gewinne gemacht werden. Diese Realität stört "das Gleichgewicht der Zirkulation" (a. a. O. 69). Dazu kommt, dass die Landwirtschaft lebensnotwendige Güter erzeugt, das Gewerbe aber Luxuswaren.

 

Der Markt

 

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Ökonomie zunehmend zu einer Lehre vom Markt, dessen "Gesetze" sie nach dem Vorbild der Naturwissenschaften zu erforschen trachtete (Tschammer-Osten 54f, 66f, 71f., 158, 161; vgl. Egner 107, 136-8, 188ff, 199ff; ferner Appleby 79-98, P. Rosner [1982], A. Bürgin 52-61).

"Zum zentralen Problem der neuen, 'national-ökonomischen' Theorie wird die Analyse des für die Allokation der Ressourcen und damit für das Funktionieren der Marktwirtschaft entscheidenden Preismechanismus. Daher entstammen auch ihre Grundbegriffe nicht der alten, am Haus orientierten, Ökonomik, sondern der (politischen) 'Kommerzienwissenschaft', also der Lehre vom Handel" (Tschammer-Osten 66). So meinte etwa "Consumption" bei J. J. Becher noch den Absatz der produzierten Güter (vgl. Krauth 161-165).

Der Konsum wird demnach vom Produzenten aus betrachtet: Er verschafft ihm Einkommen. Da damals der private Haushalt weitgehend aus dem Gesichtskreis der Theoretiker verschwand, interessierten sich diese kaum für die Entstehung des Konsums. Einen Grund dafür sieht Tschammer-Osten (69) darin, "dass man die Konsumption lange Zeit als einen rein 'technischen' Vorgang, d.h. als Vernichtung von Gütern und Werten aufgefasst und damit aus der wirtschaftstheoretischen Analyse ausgeklammert hat".

Ähnlich meint Peter Rosner, die Konsumgüter seien für die Theoretiker des Merkantilismus nicht als Teil des Reichtums angesehen worden. Daher lohnte sich darüber kein Kopfzerbrechen. "Nur Reichtum, der in Geld umgewandelt werden kann - Geld in seiner Funktion als Kapital - ist für den merchant interessant" (29, vgl. 37, 41-44). Ja, Konsum bedeutet sogar "eine Gefährdung des Wachstums des Reichtums: was konsumiert wird, kann nicht exportiert werden und ist so dem Gewinn der merchants entzogen" (a. a. O. 43). Luxuskonsum ausländischer Waren dagegen hat eine produktive Funktion, weil er Nachfrage bedeutet. Wichtiger aber ist die "Nachfrage aus Vermögen"; sie treibt die Wirtschaft (a. a. O. 13, 33f, 55).

Dass Geld aber nicht nur Reichtum ist, sondern auch Zirkulationsmittel, erörterte erstmals Dudley North (1691). Damit kann eine reale Ökonomie von einer monetären unterschieden werden. In der realen Sphäre ist die Nachfrage nach Konsumwaren z. B. nicht von der Geldmenge anhängig, sondern vom "Reichtum" der potentiellen Konsumenten. Wenn die Nachfrage fehlt, so ist nicht Geldmangel schuld, sondern die Armut. Unterschiedlicher Fleiss ergibt eben unterschiedlichen Reichtum (a. a. O. 59-61). Reicht dieser nicht aus, kann man einen Konsumkredit aufnehmen (a. a. O. 139).

 

 

E. Das 18. Jahrhundert: Aufklärung

 

Ein Jahrhundert der extremen Gegensätze

 

Das 18. Jahrhundert war, pointiert gesprochen, das Jahrhundert des historischen Bewusstseins, der Psychologie und Ökonomie einerseits, der Naturwissenschaften und Technik anderseits. Das Jahrhundert gleicht in vielem dem Quattrocento: Intellektueller Aufschwung paart sich mit Frivolität der Mode und liberaler Gesinnung. Mandeville ist durchaus Valla vergleichbar.

 

Die Spannungen entluden sich im "Sturm und Drang" (1770-80), aus dem die "Klassik" geboren wurde, im deutschen Kritizismus und Idealismus, in Historik und Humanismus sowie im englischen Common sense.

Sie entluden sich aber auch bei den französischen Kommunisten (Morelly, Mably, Babeuf), Traditionalisten (Saint-Martin, de Maistre und Bonald) und Ideologen (Destutt de Tracy und Cabanis) sowie in den Freiheits-, Menschenrechts- und Fortschrittsideen in Frankreich und in den Vereinigten Staaten von Amerika.

 

Das 18. Jahrhundert ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Am besten fasst man es als Jahrhundert der Kontraste, beispielsweise zwischen Wissenschaftsbegeisterung und Anfälligkeit für Scharlatanerie (von Dr. Eisenbarth bis F. A. Mesmer), Naturschwärmerei und hochstilisierter Künstlichkeit.

 

Die wichtigsten Errungenschaften des 18. Jahrhunderts lassen sich ebenfalls in Extreme zusammenfassen:

·       Porzellan-, Textil- und Koks-, Eisen-, Stahltechnik mit entsprechenden Maschinen, Geräten und Verfahren

·       Landwirtschaft und Elektrizitätslehre, ebenfalls mit entsprechenden Maschinen, Geräten und Verfahren

·       Chronometrie und Wärmemessung

·       Ökonomie und Biologie (insbes. Physiologie und Botanik)

·       Medizin und Ethnologie

·       Psychologie und Chemie

·       Ästhetik und Utilitarismus

·       Mathematik und Archäologie

usw.

 

Wie erwähnt, hatten alle diese "neuen" Gebiete der Aufklärung ihre Vorläufer im Barock, z. B. die Ästhetik bei Opitz (1624) und Boileau-Despréaux (1674), der Utilitarismus bei R. Cumberland (1672), die Chemie bei Robert Boyle (1661). Die Reibungselektrisiermaschine wurde von Otto von Guerike 1663 erfunden, usw.

 

Philosophie und Psychologie werden praktisch und öffentlich

 

Die "Aufklärung" führte Rationalismus und Empirismus näher zusammen, denn die "Vernunft" begann, sich für ihre eigenen Grenzen zu interessieren (R. Specht, 265). Dabei zeigte sich, dass sie weniger das Vermögen, grosse Theorien oder "Systeme" zu erzeugen ist, als vielmehr das Vermögen der Kritik.

Aus dieser Ernüchterung heraus wandte man sich vermehrt der Praxis zu. Gleichzeitig wurden Philosophie und Psychologie öffentlich, also unter die Leute gebracht. Moralische Wochenschriften, Lexika und Enzyklopädien (siehe Abb.) sowie literarische Salons trugen das Ihre zur Verbreitung bei. Auch Naturforschung und Technik wurden salonfähig und von Amateuren betrieben. Freilich verband sich die optimistische Aufgeschlossenheit mit einer ebensolchen Leichtgläubigkeit.

 

Die praktische Orientierung der "philosophes" umfasste Politik so gut wie Ökonomie, Moral so gut wie das tatsächliche Verhalten. Neben dem "vernünftigen" Menschen wurden vermehrt seine Bedürfnisse und Neigungen, Gewohnheiten und Sitten beachtet, die sich mitunter in augenscheinlich "irrationalem" Benehmen bekunden.

Das zeigte sich bereits bei den französischen Moralisten und sehr schön in dem von Locke erzogenen Grafen von Shaftesbury, der als "lachender Wahrheitssucher" 1711 drei Bände mit "Characteristics of men, manners, opinions, times" veröffentlichte. Über den Moralphilosophen Francis Hutcheson wirkte er auf Adam Smith, über den Wirtschaftssoziologen Justus Möser auf die Historische Schule.

 

Farbige Zeitschilderungen gaben etwa der Herzog von Saint-Simon und Liselotte von der Pfalz, Jonathan Swift und Daniel Defoe; John Gay porträtierte die Zeitgenossen dramatisch in seiner "Beggar's Opera" (1728), William Hogart in seinen Kupferstichen (seit 1731).

 

Erneute Ansätze zur Wirtschaftspsychologie

 

Ein permanentes Ärgernis für brave Bürger und Gelehrte und den Auftakt zur ökonomischen Psychologie bildete eine 1705 anonym erschienene Sixpenny-Broschüre. Sie enthielt ein satirisches Gedicht des in London tätigen Arztes Bernard de Mandeville und trug den Titel: "The Grumbling Hive: or, Knaves Turn'd Honest" (Der Unzufriedene Bienenstock oder Die ehrlich gewordenen Schurken).

1714 erschien, ebenfalls anonym, eine erweiterte Fassung unter dem Titel: "The Fable of the Bees: or, Private Vices Publick Benefits" (dt. erst 1818).

Darin behauptete er unter anderem:

 

Stolz, Luxus und Betrügerei
Muss sein, damit ein Volk gedeih!"
"Nicht minder dient der Neid sowie
Die Eitelkeit der Industrie.
Die Sucht, sich als modern in Speisen,
In Kleid und Möbel zu erweisen,
Stets ein Objekt des Spottes zwar,
Des Handels wahre Triebkraft war."

 

De Mandevilles Einsicht:

„Da man auf Luxus jetzt verzichtet,
So ist der Handel bald vernichtet“,

 

wurde vom Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (vor 1800) folgendermassen ausgedrückt:

„Wenn die Menschen plötzlich tugendhaft
würden, so müssten viele tausende verhungern.“

 

In der neuen deutschen Ausgabe der „Bienenfabel“ bei Suhrkamp (1980) schreibt der Herausgeber: "Wie viele Philosophen des beginnenden bürgerlichen Zeitalters war Mandeville davon überzeugt, dass am Anfang allen Philosophierens über gesellschaftliche Zustände die Erforschung der menschlichen Natur 'so wie sie in Wirklichkeit ist, nicht, wie sie sein sollte', stehen müsse." Und: "Mancher Leitartikler des Wirtschaftsteils ordo-liberaler Zeitungen steht Mandeville näher, als man annehmen möchte." (W. Euchner, 15 u. 34).

Die Diskussion der Bienenfabel wurde von George Berkeley und Francis Hutcheson eingeläutet; sie zog sich über David Hume, Adam Smith, Malthus und Jeremy Bentham bis zu Karl Marx und Rudolf Stammler.

 

Seit Mandeville hat Psychologisches in die ökonomische Betrachtung Einzug gehalten.

 

Bald entstanden Ansätze zur ökonomisch orientierten Wahrscheinlichkeitslehre (Daniel Bernoulli 1738) und zur Lehre vom Unternehmer (Richard Cantillon 1755).

Subjektive Werttheorien wurden sowohl von Ökonomen (Galiani 1751, Genovesi 1766, Graslin 1767) als auch von Naturforschern (Buffon) und Gelehrten (Condillac: “Le commerce et le gouvernement", 1766) entwickelt. Buffon ist besser bekannt durch seine Theorie der organischen Evolution, Condillac als Begründer des neueren "Sensualismus".

 

Ökonomie und Moral, Erwartungen und Wertschätzungen, Zweck und Nutzen bilden seither zentrale Fragen der Auseinandersetzung.

 

Etwas pauschal formuliert kann man auch die Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts – nicht zu verwechseln mit den „Moralisten“ – als Wirtschaftspsychologen bezeichnen, haben sie doch ebenfalls Psychologisches und Ökonomisches verbunden, z. B. Shaftesbury und Clarke, Hutcheson und Ferguson, Hume und Smith.

 

Die Verlegenheit der Historiker der Wirtschaftslehren gegenüber dem Eindringen der Psychologie in die Ökonomie zeigt sich darin, dass sie für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts keine plakative Bezeichnung - wie z. B. Merkantilismus für das 17. Jahrhundert - haben.

Stavenhagen (1969) spricht von "Übergangszeit". Interessanterweise fasst John Desmond Bernal in seiner Wissenschaftsgeschichte (1954, dt. 1970, 474) die Zeit von 1690-1760 ebenfalls als "Übergangs- oder latente Phase" auf. Er widmet diesen 70 Jahren unter der Überschrift "Die Pause zu Beginn des 18. Jahrhunderts" ganze 7 Seiten (476-84).

 

Ott/ Winkel (1985) bezeichnen Carl, Cantillon und Melon als "Vorläufer" der Physiokraten. Schumpeter (1965) schiebt für diese Zeit ein Kapitel "Psychologismus" (174-178) ein und ordnet manche Autoren unter die Titel "Die Systeme" (z. B. Justi) und "Ökonometriker" (Boisguillebert und Cantillon) ein. Am besten spricht man wohl von "Ökonomen der Aufklärung".

 

Zahlreiche grosse Geister widmeten sich damals - oft neben anderen Gebieten - sowohl der Psychologie wie der Ökonomie.

 

● Schon der erste deutsche Aufklärer, der Jurist und Philosoph Christian Thomasius, schrieb nicht nur über die Vernunfts- und Sittenlehre, sondern erreichte mit seinen (späten) Dissertationen "Von dem Laster der Zauberei" (1701) und "Über die Folter" (1705), dass den Hexenverfolgungen, "dieser religiös-politischen Verirrung", zumindest in Preussen (1714), ein Ende gesetzt wurde.

In seinen "Fundamenten des Staats- und Völkerrechts" (1705) arbeitete er der Trennung von Recht und Sittlichkeit vor. 1710 forderte er die Errichtung eines selbständigen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstuhls (was 1727 auch erfolgte) und veröffentlichte eine "Oeconomic".

 

● Julius Bernhard von Rohr veröffentlichte 1714 einen "Unterricht von der Kunst, der Menschen Gemüter zu erforschen" (4. Aufl. 1732), also eine Anweisung zur Charakter- und Menschenkenntnis. Den Historikern der Wirtschaftslehre ist dieser Beamte und praktische Landwirt als Verfasser mehrerer haus- und land-wirtschaftlicher Werke bekannt (Tschammer-Osten, 56f, Egner 105-7, 142).

 

● Der Philosophieprofessor Christian Wolff begründete nicht nur die Trennung der "Psychologia empirica" (1732) von der "Psychologia rationalis" (1734), sondern er schrieb auch eine zweibändige "Oeconomia" (1750).

 

● Der irische Theologe George Berkeley erregte zuerst als unkonventioneller Erkenntnistheoretiker Aufsehen (1709-13) und vertrat dann sozialreformerische Ideen, die er nach seiner Ernennung zum Bischof (1734) auch in die Tat umsetzte. "Er bekämpfte die Arbeitslosigkeit, das Bettlerunwesen und die Trunksucht, verbesserte Boden und Wege und entwickelte auch schriftstellerisch höchst fortschrittliche Gedanken zur Sozialfürsorge, zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungs- und Kreditfähigkeit und zur finanziellen Sanierung" (H. Glockner, 551).

 

● Abbé Morelly, der 1745 mit Essais über den Geist und das Herz des Menschen hervorgetreten war, veröffentlichte zehn Jahre später eine philosophische Begründung des Kommunismus ("Le code de la nature"): Das Privateigentum und die in ihm begründete Habsucht sind die Wurzel aller Laster. Im Idealstaat arbeitet jeder gemäss Alter, Kräften und Gaben zum gemeinsamen Nutzen und erhält einen Anteil des Gesamtertrages nach seinen Bedürfnissen.

 

 

Mit Ökonomie, Völkerkunde, Psychologie und vielen andern Gebieten befassten sich Vico, Montesquieu, Voltaire und Rousseau. Die Arbeit an der grossen "Encyclopédie" (1751-80) vereinte dann viele Gelehrte und Forscher, darunter auch die Physiokraten Quesnay und Turgot. Jean-Jacques Rousseau steuerte einen Artikel "De l'économie politique" (1755) bei, Denis Diderot denjenigen über Psychologie.

 

Erst jetzt entstanden übrigens die grossen Zusammenfassungen des Merkantilismus durch J. H. G. von Justi (1755-66), Joseph von Sonnenfels (1763-67) und James Steuart (1767) - umfassende Darstellungen eines theoretischen Gebäudes und einer Wirtschaftspolitik, welche ihre besten Jahre bereits hinter sich hatten.

 

Der Basler Ratsschreiber Isaak Iselin betrachtete als psychischen Faktor der Geschichte den Trieb nach Erreichung eines angemessenen Zustandes ("Geschichte der Menschheit", 1768 u. 1791) und ging in seinen "Ephemeriden der Menschheit" (1777) auch auf Adam Smith ein, indem er ihn als Stütze der Physiokraten umdeutete. Iselin stand mit Physiokraten und Kameralisten in Verbindung; seine Schriften fanden in Deutschland weite Verbreitung.

 

1787 trat Antoine Marquis de Condorcet in einem "Essai" für das Frauenstimmrecht und die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Condorcet war vorher als Mathematiker hervorgetreten, entwarf er doch die erste Wahrscheinlichkeitstheorie für Gruppenentscheidungen (1785). Er war Generalinspekteur der Staatsmütze und Vizepräsident des Revolutionskonvents. Ein Jahr nach seinem Selbstmord erschien der "Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes" (1795).

 

Der Psychologe Carl Philipp Moritz (vor 1790) hat als erster die Trennung von Kopf- und Handarbeit beschrieben: Der listigere und verschlagenere Teil des Menschen weist den anderen an.

 

Der Markt: Richard Cantillon und Jacob Vanderlint

 

Cantillon trennte (um 1730) den "inneren Wert" einer Ware von ihrem Marktpreis. "Dieser wird beeinflusst von Angebot und Nachfrage; er hängt von der Mode, dem Geschmack ab und kann damit von den Handelstreibenden selbst beeinflusst werden. Der Marktpreis ist aber nur von sekundärer Bedeutung; er ist die kurzfristige Abweichung vom inneren Wert" (a.a.O. 62).

Die Preise können auch durch wirtschaftspolitisches Handeln beeinflusst werden. Doch da ihre Bewegung von untergeordneter Bedeutung ist, kann die tatsächliche Ökonomie nicht beeinflusst werden. Die Bestimmungsgrösse des inneren Wertes einer Ware ist nämlich "das Mass des Bodens und der Arbeit, die in ihre Erzeugung eingehen".

Nachfrager sind bei Cantillon nur die Grundeigentümer. Von ihren "Launen, Sitten und Lebensgewohnheiten" hängt alles ab. Dahinter steckt noch die Auffassung der alten Ökonomie, wonach das Landgut noch nicht in den Markt eingegliedert ist.

Ganz anders Jacob Vanderlint. In einem Pamphlet "Money answers all things" (1734) sah die Notwendigkeit des Massenkonsums. "Die landwirtschaftliche Produktion muss ausgeweitet werden, die Manufaktur wird besser gefördert, wenn sie für den Konsum der Massen produziert und nicht für den Luxus. Denn die Armen sind der 'bulk of mankind'. Deren Nachfrage ist daher entscheidend. Solange es den Arbeitern ('labouring mechanic') zu schlecht geht - 7/8 des Volkes können nicht genug verdienen - kann sich die Wirtschaft nicht entwickeln: '... the labouring People in general are but half the consumers they ought to be' ... Man muss den Armen Arbeit geben, dann werden sie schon fleissiger sein, vorausgesetzt, es wird auch der 'just value of labour' gezahlt. Überfluss kann niemals von Nachteil sein. Vanderlint entwickelt so ein weitgehend konsistentes Modell wirtschaftlicher Entwicklung: Produzieren tun die Armen, daher sollen sie auch konsumieren - nicht aus irgendwelchen Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern weil nur sie die entsprechende Nachfrage tätigen können" (a.a.O. 54).

Diese Kaufkraft muss aber zuerst geschaffen werden. Das erfordert staatliche Eingriffe, denn der bestehende Markt geht von der vorhandenen Kaufkraft aus.

 

David Hume

 

David Hume begann auf Anraten seiner Familie Jurisprudenz zu studieren. Gesundheitliche Gründe zwangen ihn zum Abbruch.

Später arbeitete er kurze Zeit als kaufmännischer Lehrling bei einem reichen Zuckerhändler, ging nach Frankreich und schrieb dort seinen dreiteiligen "Treatise of Human Nature", der 1739/40 in London erschien und überhaupt kein Echo auslöste. Also schrieb er fortan zeitkritische und philosophische Studien in der gefälligeren Form von Essays. Den ersten Teil des "Treatise" arbeitete er in die "Philosophical Essays concerning Human Understanding" um (1748; als "An Enquiry..." 1758), den dritten Teil in "An Enquiry concerning the Principles of Morals" (1751).

 

Ökonomische Gedanken enthalten die 1741 anonym erschienenen "Essays Moral and Political" und die vielgelesenen "Political Discourses" (1752). Letztere fanden nicht nur in England, sondern auch in Frankreich begeisterte Zustimmung. Humes riesige "Geschichte Grossbritanniens" erschien 1763 als achtbändige Gesamtausgabe. Kurze Zeit war er stellvertretender englischer Gesandter in Frankreich und Unterstaatssekretär im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten.

Sein Freund Adam Smith gab ein Jahr nach seinem Tod (1676) seine Autobiographie heraus, zwei Jahre später auch die "Dialoge über die natürliche Religion". Zwei Essays über Selbstmord und die Unsterblichkeit der Seele erschienen 1783.

1938 gaben die Ökonomen J. M. Keynes und P. Sraffa in Cambridge eine 1740 anonym erschienene Kurzfassung des "Treatise" ("on human nature“) heraus.

 

Marx hat Hume als "respektabel" im Gebiet der politischen Ökonomie bezeichnet, "aber er ist hier nichts weniger als ein origineller Forscher und noch viel minder epochemachend. Die Wirkung seiner ökonomischen Aufsätze auf gebildete Kreise seiner Zeit entsprang nicht bloss aus der vorzüglichen Darstellungsweise, sondern weit mehr noch daher, dass sie eine fortschrittlich-optimistische Verherrlichung der damals aufblühenden Industrie und des Handels, mit andern Worten, der damals in England rasch emporstrebenden kapitalistischen Gesellschaft waren, bei der sie daher 'Beifall' finden mussten" (Beitrag zum "Anti-Dühring").

 

Salin (1967) widmet Hume bloss eine Fussnote, Schmölders (1961) und Winkel (1978) erwähnen ihn überhaupt nicht, Stavenhagen widmet seiner Geldtheorie immerhin, weit verstreut, einige ganze Sätze (1969, 419, 429, 514f, 572), Ott/ Winkel (1985, 48) zitieren aus seiner Freihandelstheorie. Zu den "grossen Wirtschaftsdenkern" (1986) zählt er ebenso wenig wie Becher, Petty, Locke, Leibniz, Berkeley, Cantillon oder Gournay.

Den Psychologen gilt Hume als Hauptbegründer der Assoziationspsychologie.

 

Adam Smith: kein finsterer Nationalökonom

 

Wie sehr Adam Smith an seinen (älteren) Freund Hume anknüpfte, ist bekannt. Er las dessen Hauptwerk heimlich schon als Student in Oxford.

 

"Smith baute seine Synthese mit grosser Sorgfalt und Umsicht auf und begann dort, wo nach seiner Überzeugung die eigentliche Basis des Gesamtgebäudes zu erblicken war: beim Menschen in seinen philosophisch-psychologischen Dimensionen und Handlungsantrieben. Dieser Mensch interessierte Smith nicht unter den Aspekten des vermeintlichen Naturzustandes, sondern ausschliesslich in seinen gesellschaftlichen Bezügen.

In der Gemeinschaft der Mitmenschen manifestierte sich der Einzelne als Individuum, und Smith ging es um die Erfassung der Bedingungen menschlichen Handelns, die sowohl dem Individuum als auch dem sittlichen Gefüge der Gesellschaft Rechnung trugen... Aus dieser Bestimmung des Individuums in der Gesellschaft folgte die zentrale Bedeutung, die Smith der Tugend als Grundkategorie der sozialen Ordnung beigemessen hat. Das Mass an Tugend war Ausdruck des Grades an Soziabilität des Menschen" (Dippel 67-69; vgl. 100).

Die zwei anderen zentralen Kategorien der Sozialordnung und ökonomischen Prosperität waren - ebenfalls seit 100 Jahren - Arbeit und Eigentum.

 

Altmeister Adam Smith hat seine "Theorie der ethischen Gefühle" (1759) stets als wichtiger erachtet als seine vielgepriesene "Untersuchung über die Natur und Ursachen des Volkswohlstandes" (1776). Die Freundschaft mit Hume wandelte ihn vom strengen Logiker zum Moralphilosophen, der die Devise vertrat: "Handle so, dass ein unparteiischer Beobachter mit dir sympathisieren kann."

Den heutigen Menschen ist dies in fast gleicher Form als Lebensweisheit des Stressforschers Hans Selye bekannt: Verschaffe dir mit etwas Konstruktivem, das du gerne tust und das auch dir nützt, Achtung bei den andern.

Smith verfocht also nicht etwa den nackten Egoismus. Er sah das Selbstinteresse eingebunden in Pflicht und Verantwortung. Nur auf dieser Basis führt die Erwerbs- und Wettbewerbsfreiheit zum höchsten Gesamtnutzen. Sein "klares und einfaches System der natürlichen Freiheit" beruht auf dem Glauben an die natürliche Sittlichkeit des Menschen. Dieser Glaube ist mittlerweile mehrfach erschüttert worden.

 

Smith betonte, dass die Menschen verschieden sind: Unterschiedliche Lebensverhältnisse und Berufe bilden in verschiedenen Zeitaltern und Ländern unterschiedliche Gewohnheiten und Bräuche aus.

Auch die Gegenstände, mit denen die Menschen in Berührung kommen, und die Arbeitsverhältnisse formen ihre Leidenschaften und Gewohnheiten. In einer Betrachtung über die schon damals diskutierte Arbeitsteilung sah Smith die Gefahren der Monotonie: Wer sein ganzes Leben dieselben Handgriffe ausführt, "hat keinerlei Möglichkeit, seinen Verstand anzuwenden oder seine Erfindungsgabe zu gebrauchen, um Wege für die Beseitigung von Schwierigkeiten zu ersinnen, die ihm niemals begegnen. Folglich verliert er die Gewohnheit solcher Anstrengung und wird in den meisten Fällen stumpfsinnig und unwissend."

 

Diese Erkenntnisse wie auch die soziale Seite von Smiths Werk fanden kaum Nachhall.

 

Der „Populärphilosoph“ und Psychologe Christian Garve ist für die Ökonomie wichtig, weil er die erste lesbare deutsche Übersetzung des Hauptwerks von Adam Smith (1794/96) herstellte. Und in den Kommentaren zu seiner Übersetzung von Ciceros "Pflichten" (1788) hat er "Betrachtungen über die Handels-Moral" angestellt.

 

 

F. Jeremy Bentham: Utilitarismus und Liberalismus

(siehe separate Datei; dazu: Bentham: Werke und Literatur: Utilitarismus)

 

 

G. 19. Jahrhundert: Industrialisierung

 

Neue Blüte von Wirtschaft und Technik, Forschung und Theorie

 

Nach 1800 wiederholte sich dasselbe wie 300 Jahre zuvor: ein enormer Aufschwung von Wirtschaft und Technik, Forschung und Theorie. Anlass waren diesmal nicht nur die Schätze aus den Kolonien, sondern auch das "aufkommende Maschinenwesen", das bereits Goethe ängstigte. Das Banken- und Börsenwesen blühte auf, besonders stimuliert durch die Geldbeschaffung für den Eisenbahnbau, die Industrialisierung überhaupt und den Welthandel.

Empirische und pädagogische Psychologie, Sinnesphysiologie und Gehirnforschung, Neurologie und Psychiatrie, Anthropologie und Ethnologie etablierten sich.

Die Ökonomie entwirft neue Geldtheorien, entdeckt den Unternehmer und spürt den Ursachen für Konjunktur und Krisen nach.

Ratgeber aller Art machten Furore, z. B.:

·       „Moral für Kaufleute“ (Christian August Büsch 1799)

·       „Die Spekulationswissenschaft für denkende Geschäftsmänner“ (Meisner 1811)

·       „Die Kunst, reich zu werden“ (Joh. Mich. Leuchs 1826)

·       „How to be happy“ (1830)

·       Das sittliche Moment in der Volkswirtschaft“ (C. W. Ch. Schüz 1844)

 

Die Volkswirtschaft wird klassisch

 

Adam Smith war Moralphilosoph gewesen. Thomas Malthus, der seine Linie weiter in Richtung „Klassisch“ ausbaute, war nach einem sowohl naturwissenschaftlichen wie humanistischen Studium zuerst Hilfsgeistlicher gewesen.

 

Mit Jean Baptiste Say (1803) und David Ricardo (1817) - einem der erfolgreichsten Börsenspekulanten aller Zeiten - beschritt die Politische Ökonomie, wie die Volkswirtschaftslehre damals hiess, definitiv den Weg der Abstraktion und theoretischen Modellbildung zur Darstellung ihrer Lehren. Statt das reale Verhalten der wirtschaftenden Menschen zu beobachten, wurde die schematische Fiktion des "homo oeconomicus" geschaffen. Dessen Streben hat nur noch eine Funktion: Nutzenmaximierung im Wettbewerb.

So wird die Volkswirtschaft zum mechanistisch ablaufenden Kräftespiel, das mit mathematischen Formeln, d.h. "Gesetzen", beschrieben werden kann..

 

Freilich blieb das im ganzen 19. Jahrhundert eher ein Wunschtraum denn realisierbare Konstruktion. Die psychologischen Momente liessen sich zwar zurückdrängen, aber nicht ganz zum Verschwinden bringen. Das zeigte sich z. B.

·       in der romantischen Staats- und Wirtschaftslehre (Adam Müller, Franz von Baader) oder

·       bei den Sozialreformern (Saint-Simon, Sismondi, Owen),
Sozialutopisten (Fourier, Blanc),
Anarchisten (Proudhon, Stirner) und
Kommunisten (Marx, Engels) , später auch den
Sozialisten (Rodbertus, Lassalle, Adolf Wagner).

 

Konsum und Bedürfnissee

 

Für die Theorie des Marktes blieb trotz Jacob Vonderlint (1734) die Orientierung des Konsums am Produzenten vorherrschend. Noch Jean Baptiste Say, der häufig als Begründer der Lehre von der Konsumption angesehen wird, behandelt in seinem "Traité d'économie politique" (1803) die Konsumption des Volksvermögens überwiegend im Zusammenhang mit produktionstheoretischen Überlegungen.

 

Nachdem der Genfer Historiker  Simonde de Sismondi 1818/19 in England eine erste Wirtschaftskrise erlebt hatte, kritisierte er die bisherige Nationalökonomie und die "Strukturfehler der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung". Er legte als erster auch eine richtige Konsumtheorie vor. Er beschäftigte sich ausführlich mit der Frage, wie der erzeugte Volkswohlstand dem Glück aller dienen könne.

Dadurch angeregt entwickelten die „Sozialisten“ Charles Fourier und Charles Gide ihre Vorstellungen von der Organisation der Konsumenten. Weitere seiner Thesen wurden später von der Soziologie, von Marx und von der Historischen Schule aufgenommen. Diese drei Richtungen hatten alle eine psychologische Färbung, wohl auch deshalb, weil es Sismondi stets um den Menschen ging, um seine reale Not und sein Leiden.

 

"Eine intensivere wissenschaftliche Beschäftigung mit der Konsumption des privaten Haushaltes setzte erst ein, als man den Begriff des subjektiven Bedürfnisses des Konsumenten allgemein zum Ausgangspunkt für die Erklärung der Marktpreisbildung machte" (Tschammer-Osten, 70).

Die noch heute gebräuchliche Definition von Bedürfnis als "Gefühl eines Mangels, mit dem Streben ihn zu beseitigen" stammt vom Münchner Wirtschaftsprofessor und Politiker F. B. W. von Herrmann (1832).

 

Schon de Mandeville (1714) und Cantillon (1730) hatten erkannt, dass der Mensch die Tendenz hat, die Verbrauchsgewohnheiten der sozial höher stehenden Schichten nachzuahmen.

Doch erst hundert Jahre später griff Jean Baptiste Say (1828/29) dies auf. Er gab Hinweise auf die "Neigungen, die Unkenntnis, die Laune der Consumenten und die verschiedenen Verhältnisse derselben". Sogenannte "Bedürfnisse" des einzelnen bemessen sich an den Finanzierungsmöglichkeiten und an der gesellschaftlichen Stellung, an der Verlockung der angebotenen Produkte und an den herrschenden Sitten.

 

Say bringt auch schon Beispiele für ein Verhalten, das seit Thorstein Veblen ("Theory of the Leisure Class", 1899) als "conspicuous consumtion" bezeichnet wird, also Verhaltensweisen, deren Zweck es ist, der Umwelt durch Erwerb bzw. Besitz auffallend teurer Produkte (Güter) die eigene Prosperität zu demonstrieren.

Was innerhalb der finanziellen Realisierbarkeit liegt, bezeichnet Say als "wirkliche Bedürfnisse", das Prestigebedürfnis fällt nicht darunter.

 

Systematisch untersucht hat diese und viele andere Beobachtungen nach der Jahrhundertwende Werner Sombart in "Wirtschaft und Mode" (1902), "Luxus und Kapitalismus" (1912), "Krieg und Kapitalismus" (1913).

 

Der französische Ingenieur Etienne Juvénal Dupuit machte 1849 die von Thünen (1826) und Cournot (1838) in die volkswirtschaftliche Theorie eingeführte Marginalanalyse auch für die Untersuchung der subjektiven Momente der Nachfrage der Haushalte nutzbar. Die Bedürfnisse einer Familie untersuchte Francesco Villa 1850 in seinem Lehrbuch der Verwaltungs- und Verrechnungswissenschaft: "Elementi di amministrazione e contabilità".

Für den privaten Haushalt orientierten sich Lorenz von Stein (1852) und Albert Schäffle (1867) an der soziologischen Betrachtungsweise. Lorenz von Stein hat sowohl Marx und seine Nachfolger als auch die sog. "historische Schule" und manche Soziologen nachhaltig beeinflusst.

 

Der Jurist H. H. Gossen begründete 1854 mit seiner Lehre vom „Grenznutzen“ die subjektive Wertlehre: Der Wert eines Gutes richtet sich nach dem Mass der Bedürfnisbefriedigung, welches die letzte Einheit einer Gütermenge gewährt.

Gossen hatte freilich kein Echo. Erst Menger (1871), Jevons (1871) und Walras (1874) gelang der Durchbruch. War bisher nur der Produzent als "homo oeconomicus" aufgefasst worden, fasste man nun auch den Konsumenten als jemanden auf, der rational entscheidet. Analog zum unbegrenzten Gewinnstreben des Produzenten schrieb man ihm ein unbegrenztes Genussstreben zu (vgl. Egner 14, 161 ff).

 

Die amerikanischen "Institutionalisten" (Simon N. Patten 1899; Thorstein B. Veblen 1899) stellten das Konsumverhalten in grössere Zusammenhänge, insbesondere soziale. Thorstein Veblen, der später (1918) auch die technokratischen Bewegung begründete, betonte in seiner „Theory of the Leisure Class“ (1899, merkwürdigerweise erst 1958 auf Deutsch übersetzt) die Bedeutung der menschlichen Instinkte:

·       Elternschaft (parental bent),

·       Aneignung,

·       Leistung (instinct of workmanship) und

·       müssige Neugier (idle curiositiy).

Sie schlagen sich in Gewohnheiten und Institutionen aller Art nieder.

 

Betriebslehren

 

Erstmals die "Betriebswirtschaft" von der technischen "Gewerbslehre" trennten Edward Baumstark (1835) und Leopold C. Bleibtreu ("Wirtschaftslehre für den Fabrikanten und Handwerker" 1837).

 

Die Industriebetriebslehre verdankt dem irischen Logikprofessor und Vortragsreisenden Dionysius Lardner ("Railway Economy" 1850) eine realistische Kostentheorie. Hans von Mangoldt publizierte 1855 „Die Lehre vom Unternehmergewinn“.

 

Weitere Grundlagen für eine moderne Betriebswirtschaftslehre wurden von Arnold Lindwurm („Die Grundzüge der Staats- und Privatwirtschaftslehre“ 1866) und Arwed Emminghaus („Allgemeine Gewerkslehre“1868) gelegt. Lindwurm propagierte in seiner Handelsbetriebslehre (1869) bereits die Marktforschung.

 

Für die Verknüpfung von Rechnungswesen und Organisation massgeblich wurde die italienische "Ragioneria" (Villa 1840/41 und 1850; Cerboni 1886; Besta 1891).

 

Obwohl moralisch ausgerichtet, muss Edwin Troxell Freedleys "Practical Treatise of Business" (1852) eine ungeheure Anziehung ausgeübt haben, wurde er doch nicht weniger als viermal ins Deutsche übersetzt.

 

Nicht zu vergessen ist auch Karl Marx. Er sah schon in seinen ökonomisch-philosophischen Manuskripten (1844/45) ganz klar:

·       Im Kapitalismus wird nicht für den Konsum produziert, sondern zur Kapitalakkumulation. Konsumptionsmittel sind nur notwendiges Übel, Mittel zum Zweck, nicht Endzweck. Oder:

·       Unter der Herrschaft des Privateigentums bestimmt nicht das Bedürfnis die Produktion, sondern das Ziel der Kapitalakkumulation.

 

Eine umfassende Betriebslehre bot Jean Gustave Courcelle-Seneuil in seinem auf angewandte Entscheidungslogik hinzielenden "Manuel des affaires" (1858, deutsch 1868). Er formulierte das ökonomische Rationalprinzip ausserordentlich klar:

"Aller Fortschritt, alle Vervollkommnung im geschäftlichen Leben strebt einzig darauf hin, mit einer bestimmten Menge von Löhnen und Capital-Nutzungen entweder einen höheren Ertrag zu erzielen, oder aber den gleichen, wo nicht einen grösseren Ertrag bei einem geringeren Aufwand an Kräften zu erhalten."

 

In Italien verwandte Guiseppe Cerboni in seiner "Ragioneria scientifica" (1886) den soziologischen Ansatz. Sein Werk betrifft die Verwaltung sämtlicher an wirtschaftlichen Zwecken orientierten sozialen Gebilde ("azienda"). Jede Einzelwirtschaft vollzieht regelmässig sich wiederholende Handlungen (atti), die Cerboni "funzioni" nennt.

Bereits 1882 hatte Cerboni an einem Kongress ein System von "einzelwirtschaftlichen Verwaltungsfunktionen" vorgelegt. Henry Fayol war auch dabei. Doch weder er noch andere Fachkollegen erwähnten später Cerbonis Begründung der funktionalen Betrachtungsweise. Sein Mitarbeiter und Schüler Giovanni Rossi (1882) schloss sich der "organizistischen Betrachtungsweise" Albert Schäffles an.

 

Der Schweizer Léon Gomberg, Professor an der Handelsakademie St. Gallen, hat die Anregungen der italienischen Ragioneria 1903 aufgenommen.

 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts: neue Theorien

 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich neben der „klassischen“ Theorie (Smith, Malthus, Ricardo, von Thünen, Say) neue Richtungen aus:

 

·       die sozialistische Theorie von Karl Marx ("Das Kapital", 1867)

·       die aus der romantischen (Adam Müller 1809) und konservativen (Friedrich List, 1841) hervorgegangene sogenannte ältere historische Schule (Wilhelm Roscher, 1843 und 1854; Hildebrand 1848; Knies 1853) sowie jüngere historische Schule (Gustav Schmoller 1875/93, Adolph Wagner)

·       Der sich in der Auseinandersetzung mit der Bienenfabel seit 1750 entwickelnde "Utilitarismus" (Francis Hutcheson, später Bentham, Ricardo, James Mill und John Stuart Mill) sowie die "subjektive Theorie" (Turgot) wurden nach 1870 in der sog. "Grenznutzentheorie" modifiziert.
Je nachdem, wie die Bedürfnisse und Wertzuschreibung angepackt wurden, kann man eine eher psychologische (Heinrich Gossen, Robert Meyer, Karl Menger, Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk in Wien) und eine eher mathematische (William Stanley Jevons und Alfred Marshall in England; Léon Walras und Vilfredo Pareto in Lausanne) Ausrichtung unterscheiden.

 

Management-Theorie

siehe: Management: Eine kurze Rückblende

 

Wirtschaftstheoretiker entdecken die Psychologie

siehe: Literatur: Neuere Wirtschaftspsychologie

 

Schon Karl Marx (1859/68) verwandte einiges an Psychologie. Er sprach von den verkehrten Bildern, die im Kopf des Menschen entstehen, und von der Angst des Unternehmers. Der trügerische Eindruck, der Markt würde die Werte bestimmen, führe zum Warenfetischismus und zur Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit. (Noch in ihren letzten Lebensmonaten (1942/43) forderte die französische Mystikerin Simone Weil die "Wiedereinwurzelung der Arbeiterschaft".)

 

Obwohl er zur „mathematischen“ Richtung zählt, hatte Alfred Marshall in seiner Studienzeit in Cambridge noch zwischen Psychologie und Ökonomie geschwankt (Whitaker 1975, I, 5-12, II, 343f, 352-377). Schon vor 1870 führte er in seinen Vorlesungen das subjektive Bedürfnis als psychologische Kategorie des wirtschaftlichen Verhaltens ein, das sind die "höheren Strebungen und Verhaltensformen". Daher ist für ihn die Wirtschaftstheorie ein Zweig der Psychologie.

Seine "Principles of Economics" (1890; 9. Aufl. 1961) wurden zum massgeblichen Lehrbuch für Generationen. Er betont darin immer wieder die Bedeutung der Psychologie.

 

Damals konnte man als Professor für „Politische Ökonomie“ auch über Psychologie publizieren, z. B. Gustav Adolph Linder („Ideen zur Psychologie der Gesellschaft“, 1871) und der Präsident der Universität Wisconsin, John Bascom („Comparative Psychology“ 1878; und populärpsychologisch „Science of the Mind“ 1880)..

Der Lehrer des späteren Börsenspekulanten Bernard Baruch, George B. Newcomb, dozierte um 1885 neben Nationalökonomie auch Philosophie, Logik, Ethik und Psychologie.

 

Gustav Schmoller, der Hauptvertreter des sog. "Historismus", meinte 1875, alle wirtschaftlichen Handlungen hätten neben der technischen Seite auch eine ethische (=psychologische). „Die Quantitäten des Angebotes auf dem Markte wirken niemals direkt auf den Käufer, sondern nur durch das Medium gewisser psychologischer Prozesse und gewisser Sitten“(36).

1893 behauptete Schmoller, die Psychologie bilde den "Schlüssel zu allen Geisteswissenschaften und also auch zur Nationalökonomie".

 

1876 forderte Adolph Wagner, ein Vertreter des sog. "Kathedersozialismus", von der Nationalökonomie "eine feinere Psychologie" als sie die bisherige britische Doktrin (Adam Smith), aber auch der Sozialismus verwandte.

Es brauche eine genauere Abwägung des Einflusses der "umgebenden Verhältnisse" und der "Gewöhnung". Zu diesem Zweck müsse "das Motivsystem (die 'Motivation') des Menschen genauer betrachtet und zum Ausgangspunkt der ganzen Grundlegung genommen werden. Insbesondere sind dabei die Momente der sittlichen, auch der religiösen Anschauung, der Sitte und Gewöhnung in Verbindung mit Triebleben, Motivsystem und Rechtsordnung zu verfolgen."

 

Der prominenteste Vertreter des Organismusdenkens in der zweiten Jahrhunderthälfte war Albert Schäffle, der es 1871 für kurze Zeit zum österreichischen Handelsminister brachte. Die extremen Formulierungen seines Hauptwerks "Bau und Leben des sozialen Körpers" (1875-78) hat er in der zweiten Auflage (1896) abgeschwächt.

Man kann ihn als Vorläufer des Systemdenkens betrachten. Er beeinflusste sowohl die italienische "Ragioneria" (Verwaltungswissenschaft), den Soziologen Ferdinand Tönnies (mit seiner Gegenüberstellung von "Gemeinschaft und Gesellschaft", 1887) als auch Othmar Spann mit seinem "Universalismus".

Schäffle forderte 1885 eine "anthropologische Nationalökonomie" statt der herrschenden "chrematistischen".

 

Als Begründer der neuern Wirtschaftspsychologie sehen

·       die Franzosen Henri J. L. Baudrillard („Des rapports de l’économie polititque et de la morale“ 1860; eine vierbändige Studie über Luxus 1878) und Gabriel Tarde (1881 und 1902)

·       die Engländer den in Oxford lehrenden Francis Ysidro Edgworth – leider blieben seine mathematischen Abhandlungen, darunter "Mathematical Psychics" (1881), ohne Wirkung – und Philip H. Wicksteed („The Common Sense of Political Economy“ 1910)

·       die Österreicher „ihre“ Vertreter in der Nachfolge der Grenznutzenlehre, insbesondere Friedrich von Wieser mit seiner Wertlehre (1884/89) und später "Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft" (1914) sowie Richard von Schubert-Soldern mit seinen „Beiträgen zu einer Psychologie der Volkswirtschaft“ (1896)

·       die Amerikaner John Bateson Clark mit seiner „Philosophy of Wealth“(1886; vorwiegend aus Artikeln von 1877-1881 zusammengestellt).

 

Wenig Impulse von der Psychologie

 

Seit 1850 entwickelte sich ein eigentlicher Psycho-Boom: Laborforschung und medizinische Psychologie, Völker- und Sozialpsychologie, Entwicklungs- und Ausdruckspsychologie, Intelligenz- und Denkpsychologie entstanden. Das färbte aber nur indirekt auf die Wirtschaftswissenschaft ab..

 

● Mit Armut und Reichtum befassten sich empirische Sozialforscher (seit 1825) und die Sozialdarwinisten (seit Herbert Spencer); zur Lösung der "Sozialen Frage" wurde 1873 der "Verein für Socialpolitik" gegründet; Arbeitsteilung, Eigentum und Macht wurden eher von den Soziologen studiert.

 

● Der französische Physiologe Etienne-Jules Marey (ab 1867) und der amerikanische Photograph Eadweard Muybridge (1884-85) untersuchten als erste die Bewegungen des menschlichen Körpers, der deutsche Psychiater Emil Kraepelin (ab 1892) das Arbeitverhalten. Der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor machte Vorschläge zur Rationalisierung der Arbeit.

 

● Die Psychologen hielten sich mit der Untersuchung des Wirtschaftslebens bemerkenswert lange zurück. Zur Ökonomie äusserten sich einzig Francis Galton, Alexius Meinong („Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Wert-Theorie“ 1894) und Christian von Ehrenfels („Wert-Therorie und Ethik“ 1893; „System der Wert-Theorie“ 1897/98).

 

● Begründer der „Psychotechnik“ wurde der Deutsche Hugo Münsterberg, der 1892 von William James als Leiter an das Psychologische Labor der Harvard-Universität geholt wurde. Sein Buch „Psychologie und Wirtschaftsleben“ (1912) erreichte in 10 Jahren fünf Auflagen.

 

Gabriel Tarde und die Wirtschaftspsychologie

 

Der französische Jurist und Soziologe Gabriel Tarde (1843-1904) begründete nicht nur die moderne Kriminologie und die Sozialpsychologie, sondern er gehört auch zu den Vätern der Wirtschaftspsychologie.

Schon 1881 hat er in einem Aufsatz („La  psychologie en économie politique“) die Beziehungen zwischen Psychologie und Ökonomie behandelt. Doch erst in seinen öffentlichen Vorlesungen 1900-1901 am Collège de France bot er eine grosse Zusammenfassung. Sie wurden 1902 in zwei Bänden unter dem Titel "La psychologie économique" publiziert.

Darin behandelt er die subjektive Seite des wirtschaftlichen Geschehens. So könne man etwa die Kursschwankungen der Börse nur verstehen, wenn man ihre psychologischen Ursachen untersuche, nämlich "Hoffnungen und Enttäuschungen des Publikums, Ausbreitung von guten oder schlechten Nachrichten".

·       Dabei ist die Nachahmung (imitation) nur ein Faktor unter anderen. Sie bestimmt im wirtschaftlichen Geschehen die Mode, den Austausch und die Tätigkeiten der Umwandlung.

·       Die Wiederholung (répétition) betrifft die Produktion,

·       der Widerstand (opposition) charakterisiert Interessenbeziehungen und

·       die Anpassung (adaptation) erlaubt Innovationen, Besitz und Zusammenschluss (P. Albou 1984).

 

Theoretische und praktische Philosophie des Geldes

 

1889 verkündete der amerikanische Stahlbaron Andrew Carnegie „The Gospel of Wealth“. Dieses „Evangelium des Reichtums“ erschien 1904 zusammen mit anderen Aufsätzen auch auf Deutsch.

Mit den Bankiers Cornelius Vanderbildt und J. Pierport Morgan, dem Ölmagnaten John D. Rockefeller und anderen „Robber Barons“ gehörte Carnegie zu den Vertretern des Big Business, welche die USA zur Wirtschaftsmacht Nr. 1 emporboxten.

Dieses „vergoldete Zeitalter“ („The Gilded Age“; Reprint 1972, dt. 1876) beschrieb Mark Twain schon 1873. Die Kehrseite der Entwicklung enthüllten die „Muckracker“ mit spitzer Feder.

 

Bald widmeten sich auch die Gelehrten dem wirtschaftlichen Aufschwung. Georg Simmel untersuchte die „Philosophie des Geldes“ (1900); die Soziologen Werner Sombart (1902) und Max Weber (1906) zerbrachen sich über die Entstehung des Kapitalismus den Kopf. Da konnten die Forscher in den Abgründen der Seele nicht abseits stehen.

 

 

H. Das 20. Jahrhundert: Psychologie gegen „homo oeconomicus“

 

Wie rational ist der Mensch?

 

Um 1900 hatte Sigmund Freud dem menschlichen Selbstbewusstsein den dritten Stoss nach Kopernikus und Darwin versetzt: Der Mensch ist mitnichten ein rationales, sondern ein Triebwesen, von unbewussten Kräften getrieben und gelenkt.

 

Einiges Aufsehen erregte Freuds Gleichsetzung von Geld mit Kot. Weitere psychoanalytische Theorien über Geld und Kapitalismus, Besitz und Moden lieferten Sándor Ferenczi, Karl Abraham und der Zürcher Pfarrer Oskar Pfister.

 

Wie um sich dagegen abzuschotten, versteiften sich die Wirtschaftstheoretiker immer mehr auf den "homo oeconomicus" als rationales Wesen.

 

Ausnahmen waren selten.

 

● Vilfredo Pareto, der Nachfolger von Léon Walras auf dem Lehrstuhl für Politische Ökonomie der Universität Lausanne, meinte 1916: "Die Nationalökonomen haben den Fehler begangen, den vernünftigen Überlegungen als bestimmenden Motiven menschlicher Handlungen zu grosse Bedeutung zuzumessen." Die meisten Handlungen sind in einem objektiven Sinn "nicht-logisch", d.h. zwar nicht absurd, aber nur in einem subjektiven Sinn logisch.

Ebenfalls hatte er erkannt: Die Menschen haben zwar einen Hang zum Kombinieren (zur Spekulation und zur Veränderung). Haben sich solche Kombinationen aber einmal gebildet, neigen sie, dabei zu verharren.

 

● „Die neue Nationalökonomie wird ganz und gar auf Psychologie gegründet“, meinte 1921 (16) Hans Freyer.

 

● Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes entnahm seine simple Psychologie William McDougalls legendärer „Introduction to Social Psychology“ (1908), die mehr als 20. Auflagen erlebte.

Schon in jungen Jahren äusserte er sich in seinem "Traktat über die Wahrscheinlichkeit" (erschienen 1921) zu den menschlichen Erwartungen. Sie bilden auch den Kern seiner "Allgemeinen Theorie" (1936) worin er insbesondere den Benthamschen Utilitarismus angriff: "Die Hypothese, die Zukunft sei berechenbar, führt zu einer falschen Deutung der Verhaltensmaximen, die der Zwang zum Handeln uns aufnötigt, und zu einer Vernachlässigung der verborgenen Einflüsse des Zweifels, der Unsicherheit, der Hoffnung und der Furcht."

 

● Gunnar Myrdal stellte 1932 fest, "dass die Theorie ständig in Konflikt gerät mit der Tiefenpsychologie... Denn alle psychologischen Schulen sind zum mindesten äusserlich darin einig, dass der populär-introspektive Rationalismus, dem der Hedonismus eine gelehrte Formulierung gegeben hat, nicht haltbar ist."

 

● Oskar Morgenstern, Mitbegründer der Spieltheorie, bemerkte 1935: "Die unwahrscheinlich hohen Ansprüche, die an die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Wirtschaftssubjekte gestellt werden, beweisen zugleich, dass in den Gleichgewichtssystemen (der klassischen Theorie) keine gewöhnlichen Menschen erfasst werden, sondern mindestens untereinander genau gleiche Halbgötter."

 

● Etwas später forderte auch Edward Ronald Walker („From Economic Theory to Policy“ 1943) die Untersuchung des ökonomischen Verhaltens des Menschen unter Einbezug von Anthropologie, Psychologie und Soziologie. Er meinte: Ungeschick und Irrtum, Neugier und Trägheit, Nachahmung, Tradition und institutionelle Schranken sind gleichberechtigt, nicht etwa nur modifizierend auf ein grundsätzlich rationales Verhalten einwirkende Faktoren, die zu untersuchen keineswegs unter der Würde der Wirtschaftswissenschaft ist.

 

● Josef Schumpeter schliesslich forderte in seiner umfangreichen „Geschichte der ökonomischen Analyse“ (1941-1952 geschrieben, engl. 1955, dt. 1965) im Kapitel „Psychologie“ (971-976) die Psychologie als „obligatorische Lektüre für Ökonomen“.

 

● Walter Adolf Jöhr (1950) war kritisch gegenüber dem Sozialismus wie Liberalismus. Wenn letzterer ein reiner Konkurrenzmechanismus bleibt, ruft er "Ergebnisse hervor, die nicht verantwortet werden können und infolgedessen durch staatliche Eingriffe korrigiert werden müssen". Gemäss Jöhr sind Unternehmer massenpsychologisch beeinflusst. Das führt zur "Konjunktur", die ebenfalls staatlich gesteuert werden muss.

 

Der praktische Nutzen der Wirtschaftspsychologie

 

Wenn die moderne Wirtschaftspsychologie Leben und Leiden von Arbeitslosen untersucht, so vermag sie zwar Verständnis für ihre Lage zu wecken, doch ändern kann sie wenig daran. Oder doch? War nicht am Anfang unseres Jahrhunderts eine mächtige Triebfeder der (damals so genannten) Psychotechnik: das Wirtschaftsleben zu verbessern?

 

In der Tat verbanden die ersten Pioniere der Arbeits- und Betriebspsychologie den Wunsch nach Efficiency mit dem nach Humanisierung. Berufsberatung und die "Auslese der geeigneten Persönlichkeiten" sollte es erlauben, den "rechten Mann an den richtigen Platz" zu bringen - was auch für Frauen, beispielsweise Telefonistinnen, galt.

Und bereits 1912 sah Hugo Münsterberg die "Gewinnung der bestmöglichen Leistungen" in der "Verbesserung der Arbeitsbedingungen". Diese liegen einerseits in der Bereitstellung von Möglichkeiten zum Einüben und Lernen, anderseits in der "Anpassung der Technik an die psychischen Bedingungen".

 

Zu den ersten, die „von ausserhalb“, also weder von Technik noch Buchhaltung her an das Management herantraten gehörten neben Münsterberg die Psychologen Lillian Gilbreth und Charles Samuel Myers (sowie sein Mitarbeiter Bernard Muscio), der Psychiater Paul Sollier, die Sozialphilosophin Mary Parker Follett und der als Sozialforscher bekannte Benjamin Seebohm Rowntree (und sein Assistent Oliver Sheldon) sowie der Mediziner und Philosoph George Elton Mayo.

 

Die um 1900 entstandene Betriebswirtschaftslehre kümmerte sich kaum um psychologische Fragen und befasste sich kaum mit dem empirischen Unternehmen. Sie ging von einer Als-ob-Konstruktion des Unternehmens ohne psychophysisches Subjekt aus.

Eine Ausnahme bildete Rudolf Seyffert mit seinem Buch „Der Mensch als Betriebsfaktor“ (1922).

 

Werner Sombart und Max Weber versuchten, eine "verstehende" Nationalökonomie zu entwickeln. Weber, der vielseitige Historiker, Soziologe und Ökonom, entwarf 1908 ein "idealtypisches" Bild des Kapitalismus als Produkt eines religiösen Bewusstseins. Weber wollte Ökonomie und Psychologie streng getrennt haben, sah aber durchaus eine Ergänzung beider. Dies etwa im Gebrauch experimentalpsychologischer Arbeiten auf dem Gebiet der Erforschung gewisser Bedingungen der Fabrikarbeit oder bei der Untersuchung "irrationaler Momente", also z. B. bei Störungen der "theoretisch zu postulierenden Preisbildungsgesetze".

 

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Kreativität, Imagination, Erfindung und Problemlösung resp. produktives Denken zu richtigen Modethemen, und zwar einerseits der Forschung, anderseits populärer Belehrungen. Daneben wurden Ratschläge für Arbeitstechnik einerseits, Führung anderseits gegeben.

 

Marketing, Werbung, Verkauf

 

Erste Marketingbestrebungen gab es seit 1880 (Alfred. D. Chandler 1962). Sie wurde bald durch eine Werbe- und Verkaufspsychologie (seit Harlow Gale 1900) unterstützt. Seit 1907 erschien in Toronto wöchentlich das Magazin „Marketing“. Walter Dill Scotts „Psychology of Advertising“ von 1908 erlebte bis 1932 zahlreiche Auflagen.

Von der eben entstehenden Betriebswirtschaftslehre her betrachteten Adolf Günther (1907) und Alexander Wirminghaus (1908) das Marketing.

 

Hugo Münsterberg schrieb in seinem Buch „American Problems“ (1910) ein ganzes Kapitel über „The Market and Psychology“.

Organisation und Marketing behandelte bereits 1912 der General Manager Alfred John Liversedge in seinem Handbuch für Manager. „Commercial Engineering“.

Die ersten Schriften von Ralph Starr Butler hiessen „Selling and buying“ (1911), „Marketing methods“ (1916) und „ Marketing and merchandising“ (1919).

„The Elements of Marketing“ hiess das Buch von Paul Terry Cherington (1920)

Melvin Thomas Copelands “Marketing problems” (1920) erschienen drei Jahre nach der ersten Auflage erweitert unter dem Titel: „Problems in Marketing“.

Das erste Handbuch für „Market Analysis“ stammt von Percival Whyte (1921).

Der absolute  Longseller stammt von  Paul Dulaney Converse: „Marketing“ (1921), ab 1930: „The Elements of Marketing“ (7. Aufl. 1965).

Über das „Image“ schrieb schon 1922 Walter Lippman.

 

Pioniere in Deutschland waren Kurt Th. Friedländer mit seinem „Weg zum Käufer“ (1923), Paul Wallfisch-Roulin mit seiner „Verhandlungstechnik“ (1925) und Erich Schäfer mit seiner Dissertation „Grundlagen der Marktbeobachtung“ (1928), diese erlebte unter dem Titel „Grundlagen der Marktforschung“(1940) 1978 die fünfte Auflage.

 

Die Motiv- und Verbrauchsforschung wurde von Wilhelm Vershofen (1925/30) aufgebaut.

 

Die Diffusionsforschung leiteten William Fielding Ogburn und Seabury Colum Gilfillan ein.

 

Unsicherheit lähmt

 

1982 hat Erich Streissler (Wien) einen eher vernachlässigten Hinweis von Keynes (1936) wieder ins Rampenlicht gehoben: die "zentrale Bedeutung unsicherer Erwartungen für die Wirtschaftsentwicklung".

"Gerade nach den 70er Jahren und in den 80er Jahren, gekennzeichnet durch extreme Unsicherheiten bezüglich der Wechselkurse, bezüglich der Zinssätze, bezüglich solcher politischer Entwicklungen, die von massgeblichem Einfluss auf die Schlüsselpreise sind, sollten wir uns dieser wichtigen Einsicht wieder mehr bewusst werden. Fundamentale Unsicherheit führt zur Hinauszögerung wirtschaftlicher Dispositionen, zur Entscheidungslähmung, zur Stagnation" (35f).

 

Wenn man diese Einsicht ernst nimmt, dann ist es "gar nicht so wichtig, was für eine Wirtschaftspolitik ein Land verfolgt, wenn es diese nur konsequent genug durchhält! Denn konsequente Politik reduziert Unsicherheit. Zur Unsicherheitsminderung gehört freilich auch noch, dass diese konsequent durchgehaltene Politik in der Bevölkerung akzeptiert ist, dass in sie Vertrauen gesetzt wird."

Streissler behauptet, dass ganz unterschiedliche, aber konsequente Politiken gesamtwirtschaftlich nur wenig unterschiedliche Ergebnisse bringen. Das trifft sich mit Erkenntnissen über die Psychotherapie: Es ist weniger wichtig, welcher Richtung oder Methode der Therapeut anhängt, als dass er sie konsequent praktiziert und den Klienten dazu bringt, dass er auf sie vertraut.

 

Als stabilisierende Beispiele aus der Geschichte erwähnt Streissler das System der Goldwährung vor dem Ersten Weltkrieg, Keynes massgebliches Mitwirken am internationalen Währungsabkommen von Bretton Woods (1944) und die soziale Marktwirtschaft im Deutschland der 50er und 60er Jahre. (Österreichs staatliche kontrollierte Wirtschaft zur selben Zeit erbrachte übrigens fast dasselbe Wachstum.)

 

Den Bogen zur Psychologie schlugen beispielsweise die Österreicher. Sie sehen als das bislang erfolgreiche Kernelement ihrer Wirtschaftspolitik "die Erwartungsstabilisierung durch unsere verbändische Sozialpartnerschaft". G. Tichy beschrieb dies 1982 unter dem Titel: "Austro-Keynesianismus - Gibt's den? Angewandte Psychologie als Konjunkturpolitik."

 

Die Wirtschaftspsychologie wird langsam selbständig

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschärfte sich der Gegensatz zwischen Mechanisten und Humanisten.

Während die einen sich immer tiefer in die Ökonometrie und die rationale Entscheidungstheorie stürzten, gingen einzelne Aussenseiter wie George Katona in den USA, Pierre-Louis Reynaud in Frankreich und Günter Schmölders in Deutschland daran, den wirtschaftenden Menschen als psychologisches Wesen zu entdecken – leider ohne Rückgriff auf die lange Geschichte der Wirtschaftspsychologie.

Sie plädierten unablässig für eine ökonomische Psychologie oder sozioökonomische Verhaltensforschung, doch ihre Impulse wurden nur von einer kleinen Schar Anhänger (z. B. Paul Albou; Eva Müller, Albert Lauterbach und Karl Eric Wärneryd; Burkhard Strümpel) aufgenommen.

 

Erst als 1976 Harvey Leibenstein ("Beyond Economic Man") das "homo oeconomicus"-Modell und Tibor Scitovsky ("The Joyless Economy") das Grau-in-Grau der Wirtschaftstheorie in Frage stellten, bequemten sich auch die zünftigen Ökonomen, dem Menschen in seinem realen Verhalten etwas mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Hierbei hat sich besonders der Zürcher Bruno S. Frey hervorgetan. Doch sein Versuch, das „homo oeconomicus“-Modell psychologisch auszubauen, ergab eher eine Tinguely-Maschine als einen lebendigen Menschen.

 

Ebenfalls 1976 lud Garry M. van Veldhoven zum ersten europäischen "Colloquium für Economic Psychology" nach Holland ein. Seither fand jedes Jahr ein solches, mit zunehmend breiterer Beteiligung, statt. Ein "Journal of Economic Psychology" (1981, Hrsg. von Fred van Raaij) und die Gründung der "International Association for Research in Economic Psychology" (1982) waren Früchte der gemeinsamen Arbeit.

 

In Frankreich gab es schon seit 1955 eine „Groupe de psychologie économique“. 1977 wurde die „Association Française de Psychologie Economique“ gegründet.

 

In den USA hielt die "Society for the Advancement of Behavioral Economics" 1984 ihre erste Konferenz in Princeton N. J. ab.

 

Im Juli 1994 hielten die europäische und die amerikanische Vereinigung einen gemeinsamen Kongress in Rotterdam ab. Den Sammelband gaben Gerrit Antonides, W. Fred Van Raaij und Shlomo Maital 1997 heraus.

 



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