Home Wie entstehen Innovationen?

                     Psychologische Aspekte

 

Vortrag an der Fachtagung "Innovations-Management" unter dem Patronat der SGLWT (Schweiz. Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaft und -Technologie) im Kongresshaus Zürich, 27. Oktober 1998

 

 

Inhalt

Was ist Innovation?

Die 10 Phasen der Innovation

Harte und weiche Faktoren im Unternehmen

Was sind Kompetenzen?

Soziale Kompetenz

Vier Menschentypen

Woran erkennt man die vier Menschentypen?

Wie muss man die vier Typen behandeln?

Was braucht einer, der Innovator sein will?

Zusammenfassung: Innovationen entstehen durch soziale Kompetenz

 

 

 

Ich fange mit etwas an, das verpönt ist, mit Webung. Ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Ich habe in den letzten Jahren einige Aufsätze geschrieben. Sie sind jetzt in einem  Buch über Innovation zusammengefasst [“Innovation gewinnt”, Zürich: Orell Füssli, 1997]. In diesem Buch findet sich folgende Tabelle:

 

Technologische Basisinnovationen des 20. Jahrhunderts (nach Gerhard Mensch, 1975)

 

Es handelt sich um Basisinnovationen, also grosse Innovationen in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. In der ersten Spalte steht das Jahr des ersten Marktauftritts, in der dritten Spalte das Jahr der dazugehörenden Erfindung, und in der vierten Spalte die Differenz in Jahren.

Wenn wir den Durchschnitt nehmen, dann dauerte es 34 Jahre von der Erfindung bis zur Innovation. Dieser langen Dauer ist man sich nicht bewusst.

 

Es hat auch schon Versuche gegeben nachzuweisen, dass sich die Zeit verkürzt hat, doch sie überzeugten nicht.

 

Wenn's mit dem fünften Kondratieff nicht haut, erfinden wir halt einen sechsten ...

 

 

Was ist Innovation?

 

Selbstverständlich gibt es unzählige weitere, auch "kleinere" Innovationen, man nennt sie Verbesserungsinnovationen oder Rationalisierungsinnovationen. Das ist der “Normalfall”. Auch die Zeitdauer wird geringer sein. Doch grundsätzlich können wir festhalten:

 

Innovation ist kein Ereignis, sondern ein langer Prozess, der in der Regel mehrere Jahre dauert.

Innovation ist ein beschwerlicher Weg, voller Hindernisse, Fallstricke und Turbulenzen, da geht es auf- und abwärts und erst noch rückwärts, mal gibt es Fortschritte, mal ist es enervierend langweilig. Innovation ist Mühsal.

Die Erfindung, die Idee, die "Problemlösung", wie wir auch vornehm sagen können, das ist der unwichtigste Teil der Innovation.

 

Das echte Problem ist: Wie wird die Idee oder Erfindung zum Projekt und wie wird das Projekt über viele Jahre hinweg durchgezogen? Und zwar ist das Projekt erst abgeschlossen, wenn das neue Produkt, Verfahren oder Angebot auf dem Markt gut angekommen ist. Alles andere ist keine Innovation, sondern ein Flop. Solche sind häufiger als man denkt.

Horst Geschka formulierte einmal etwas gar pauschal:

"Von hundert in Betracht gezogenen Ideen kommen im Durchschnitt nur zwei oder drei auf den Markt. Von den Markteinführungen sind wiederum nur etwa ein Drittel wirkliche Erfolge."

 

Das kann nicht nur an technischen Problemen liegen.

 

In meinen Augen ist immer noch die erste Definition von Innovation durch Alois Schumpeter 1912 die beste, weil sprechendste. Innovation ist für ihn die "Durchsetzung neuer Kombinationen der vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten", kürzer: die Durchsetzung von Neuerungen.

Und wir können nun sagen, bevor sich etwas Neues auf dem Markt durchsetzt, muss es sich im Unternehmen durchgesetzt haben. Das Zauberwort innen wie aussen lautet also: "Durchsetzung". Davon will ich heute sprechen.

 

 

Die 10 Phasen der Innovation

 

Bei den meisten Innovationen kann man  mindestens 10 Phasen unterscheiden, wobei manche Phasen parallel laufen können:

1. Die Ideenfindung oder die Er-findung

2. Die Diskussion der Erfindung (Nutzen, Bedarf, Realisierungswürdigkeit, technische und wirtschaftliche Zielsetzung)

3. Die Entscheidungsvorbereitung unter anderem mit Feasability Study (technische Durchführbarkeit) und Ressourcen-Abklärungen

4. Die Einrichtung des Projektmanagements (u. a. mit Einbezug der Kunden und mit laufender Beobachtung der Umweltveränderungen)

5. Die juristischen und wettbewerblichen Abklärungen

6. Design, Konstruktion und Entwicklung funktionierender Prototypen (u. a. mittels Simulationen und Tests)

7. Markttests mit diesen Prototypen und anschliessende Verbesserungen

8. Die Serienproduktion mit zugehöriger Logistik

9. Die Markteinführung mit Marketing, Werbung und PR

10. Die Distribution.

 

Ziel der ganzen Übung ist nichts geringeres als die Eroberung des Marktes. Alles andere ist keine Innovation.

 

Die meisten Psychologen stürzen sich auf die erste Phase. Hier geht es um Kreativität. Das ist sattsam bekannt. Davon will ich heute nicht sprechen.

 

In der zweiten Phase braucht es zwar auch noch Kreativität, doch geht es bereits ein erstes Mal um die Durchsetzung von Ideen und Interessen. Da wird in alle Richtungen diskutiert, ob eine Erfindung überhaupt realisiert werden soll und kann. Da wird kritisiert und polemisiert. Da werden Machtpositionen ausgespielt und Hindernisse aufgetürmt. Das ist die Schlüsselphase.

 

Die dritte Phase, in der die vielen konkreten Abklärungen für eine allfällige Realisierung durchgeführt werden müssen, erfordert ebensoviel Kreativität wie Durchsetzungsvermögen.

 

Auch die vierte Phase erfordert noch viel Psychologie, müssen doch interdisziplinäre Teams zusammengestellt werden. Enorm wichtig ist der Einbezug von Kunden, und zwar aktuellen wie potentiellen, denn diese müssen dereinst das Produkt schnellstmöglich kaufen oder die Dienstleistung in Scharen in Anspruch nehmen. Eventuell braucht es auch spezielle Ausbildungen spezieller Mitarbeiter.

Für all dies müssen Abläufe, Verfahren und Werkzeuge bestimmt werden. Ferner müssen Aufgaben und Befugnisse definiert und Verantwortlichkeiten mit Terminen und Budgets festgelegt werden. Hierzu braucht es enormes psychologisches Geschick, und gleichzeitig will jeder seine  Ideen und Interessen durchsetzen.

 

Erstaunlicherweise ist die Psychologie auch bei den juristischen und wettbewerblichen Abklärungen (fünfte Phase) wichtig. Es geht ja nicht nur darum, abzuklären, welche legislativen oder administrativen Beschränkungen und Auflagen vorliegen. Es geht auch nicht nur um künftige Fragen der Produktehaftung, um die Sorgfaltspflicht gegenüber allfälligem Eigentum von Kunden, das in die Entwicklung einfliesst  oder um den Umgang mit vertraulichen Informationen.

Schon die Frage, ob ein Patent anzumelden sei, ist oft eine wettbewerbspsychologische Frage. Vielfach sind auch Erkundigungen und Sondierungen bei den Konkurrenten nötig, die viel psychologisches Geschick erfordern und bis zur Betriebsspionage gehen können. Vielleicht kommt man dann zum Schluss, dass es billiger ist, Patente oder Lizenzen von anderen zu erwerben oder gar andere Produkte schlicht nachzuahmen oder zu kopieren. Man kann auch mit Hochschulen, Forschungsinstituten und Beratern kooperieren oder mit andern Unternehmen Allianzen oder Partnerschaften eingehen.

 

Auch bei den späteren Phasen spielen psychologische Faktoren eine grosse Rolle, z. B. bei der Zusammenarbeit in Entwicklungsteams, bei der Gestaltung von Markttests, die auch tatsächlich Erkenntnisse bringen, bei der Wahl und Einrichtung der schnellsten und kostengünstigsten Produktion, bei der Wahl der besten Marketingstrategie und bei der Formulierung der schlagenden Verkaufsargumente und nicht zuletzt bei der Wahl der effizientesten Distributionskanäle.

 

Was heisst das? Selbstverständlich sind bei einer Innovation in fast allen Phasen einerseits technische, anderseits organisatorische Fragen wichtig. Selbstverständlich spielen Ressourcen wie Zeit und Geld, Maschinen und Material,  Personal und Wissen eine eminente Rolle.

Doch ohne Psychologie läuft nichts.

 

 

Harte und weiche Faktoren im Unternehmen

 

Ich habe soeben von Ressourcen gesprochen. Diese richtig einzusetzen erfordert Management. Wenn wir etwas Neues einführen wollen, das einen Markterfolg hat resp. sich bewährt, dann brauchen wir Innovationsmanagement. Es erfordert zwei Gruppen von Faktoren: harte und weiche.

 

Die harten Faktoren sind Strategie & Organisation sowie Prozesse & Methoden,

die weichen Faktoren sind Unternehmenskultur und -klima sowie Gruppendynamik und Kompetenzen.

 

Die weichen Faktoren sind Untersuchungsgebiet von Psychologie und Soziologie.

 

So untersucht die Soziologie etwa die Unternehmenskultur und bezeichnet sie als Folklore, also die Mythen und Geschichten, die sich um die Firma und die leitenden Köpfe ranken, die "geteilten Überzeugungen", das heisst, woran alle Mitarbeiter glauben oder glauben müssen, die Sitten und Gebräuche, die sich eingeschliffen haben und schliesslich der "Geist", der in der Firma herrscht.

 

Im Bereich der Gruppenprozesse interessiert insbesondere die Machtverteilung: Welche kleinen Königreiche gibt es, und wie hoch sind die Mauern darum herum? Wer ist oben und wer ist unten, wer hat wirklich das Sagen und wer ist nur Strohmann, wer spannt mit wem in welcher Absicht zusammen, ist die Absicht sachlich oder politisch, redlich oder unredlich, usw. Die Soziologen sprechen hier auch von "Mikropolitik".

Eher die Theoretiker (Handlungstheorie, Strukturationstheorie) interessiert das Wechselverhältnis von Akteur und Struktur, d. h. wie bestimmt das Umfeld das Handeln des Einzelnen, und wie bestimmt jeder Einzelne das Umfeld mit.

 

Die Psychologie, insbesondere die Sozialpsychologie, befasst sich zwar auch mit der Unternehmenskultur und der Gruppendynamik, doch noch mehr mit dem Unternehmensklima und den Kompetenzen: Wie leben und arbeiten die Menschen zusammen in einer Firma und was braucht es, damit das gut funktioniert?

 

Die beiden grossen Bereiche der weichen Faktoren, die auch von anderen Wissenschaften, etwa der Betriebswirtschaft und Managementlehre, aber auch der Produktionswissenschaft, immer wieder genannt werden, sind die beiden eminent psychologischen:

·        Es soll ein innovatives Unternehmensklima herrschen, und:

·        Die Manager und Mitarbeiter sollen kompetent sein.

 

Die Schaffung eines Innovationsklimas ist eine riesengrosse Aufgabe. Das erforderte einen eigenen Vortrag. Heute beschränke ich mich auf die Kompetenzen.

 

Psychologie ist zu einem grossen Teil die Wissenschaft von den Kompetenzen.

Sie untersucht: Was kann der Mensch und was nicht? Woran liegt das? Und wie wirkt sich das aus, was er kann oder nicht kann?

 

 

Was sind Kompetenzen?

 

Kompetenzen sind heute in aller Munde. Jeder fordert vom andern Kompetenzen. Die Professoren der Betriebswirtschaft fordern vom Manager Führungskompetenz, doch das fordern auch die Verwaltungsräte und die Mitarbeiter von ihm. Und die Journalisten plappern diese Forderung bereitwillig nach.

Die Fülle der geforderten Kompetenzen ist enorm. Ein Mensch, der alle Forderungen erfüllt, wäre ein Übermensch.

 

 Was sind eigentlich Kompetenzen?

 

Kompetenzen haben etwas mit dem Erleben und Verhalten des Menschen zu tun. Der Mensch möchte etwas erreichen und muss deshalb etwas tun. Dafür ist er von der Natur  mit einer Fülle von Funktionen und Fähigkeiten sowie einigen Begabungen ausgestattet. Wenn er diese Fähigkeiten tüchtig geübt hat, sind es Fertigkeiten.

Statt von Üben sprechen viele von “Umsetzen”. Das ist das Hauptproblem nach Kursen und Seminaren: 90 % dessen, was wir gehört und gesehen haben, geht verloren, weil wir es nicht sofort üben, im Büroalltag umsetzen.

 

Doch das genügt noch nicht. Man muss dieses erworbene Können auch einsetzen. Und erst wenn das Können in der Tat mehrfach erprobt worden ist und sich bewährt hat, ist es "Kompetenz".

Goethe hat dafür die schöne Formel geprägt:

"Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch tun."

 

Kompetenz verhält sich zu Fähigkeit wie Innovation zu Erfindung. So wie die Erfindung durch harte Arbeit realisiert werden muss, damit sie ein Markterfolg werden kann, so muss jede Fähigkeit geübt und hernach eingesetzt werden, bis sie eine Kompetenz ist. Man könnte somit Kompetenz als  Fähigkeit betrachten, die den "Markterfolg" geschafft hat.

 

Nun gibt es unzählige Fähigkeiten und dementsprechend viele Kompetenzen. Man fasst sie gerne in Gruppen zusammen, z . B. technische, sachliche und kognitive Kompetenzen oder Fachkompetenz, Methodenkompetenz, soziale Kompetenz. Ich möchte im folgenden nur von der sozialen Kompetenz sprechen.

 

 

Soziale Kompetenz

 

Die meisten fachchinesischen Definitionen fassen soziale Kompetenz als "das erfolgreiche Realisieren von Zielen und Plänen in sozialen Interaktionssituationen". Das heisst, es handelt sich nicht nur um das Wollen, sondern um das Erreichen von Zielen, und zwar mit oder trotz anderen Menschen. Das ist sehr drastisch formuliert. Wir könnten auch anders sagen: Sozial kompetent ist, wer sich durchsetzen kann. Das verlangt nichts Übermenschliches, aber einiges Lernen.

 

Wir können sagen: Kreativität ohne Durchsetzung ist wie ein Auto ohne Benzin: Nichts läuft. Der Volksmund formuliert es noch drastischer: Ideen haben wir alle, doch mit der Realisierung hapert es bei allen.

 

Warum hapert es? Weil wir zuwenig Menschkenntnis haben. Und weil wir die Fülle der verschiedenen Arten und Möglichkeiten, sich durchzusetzen, nicht kennen. Deshalb verhalten wir uns andern Menschen gegenüber oft nicht richtig - und erreichen infolgedessen unsere Ziele nicht.

 

 

Vier Menschentypen

 

Damit Sie etwas Brauchbares nach Hause nehmen können, werde ich nun sehr konkret.

 

Ich gehe davon aus, dass in einem fortschrittlichen Unternehmen eine Innovationskultur herrscht. Dann ist jeder Mitarbeiter ein Innovator. Das ist ein Mensch, der eine tolle Idee hat und daraus ein Geschäft machen möchte, für sich oder seine Firma. Das kann er nur, wenn er sich in Diskussionen und Teamsitzungen durchsetzt, wenn er andere Menschen für seine Idee gewinnt.

Voraussetzung dafür ist ,dass er die Menschen richtig behandelt, und das heisst zuallererst: Man darf nicht alle Menschen gleich behandeln.

 

Diese Erkenntnis ist uralt. Schon die alten Babylonier haben die Menschen in Typen eingeteilt. Da gab es etwa

·        den kampflustigen Bootsmann

·        den "Raunzer", der alle seine Fehlschläge dem Schicksal zur Last legt

·        die ewigen "Schlaumeier", die mit durchsichtigen Vorwänden kommen, und

·        die "schlecht angepassten" Zeitgenossen.

 

Die meisten der heute noch gebräuchlichen Typisierungen stammen aus der Hochblüte des Griechentums. Am bekanntesten wurden die Lehre von den vier Temperamenten von Hippokrates (ca. 400 v. Chr.) und die 30 Charaktere des Theophrast (300 v. Chr.). Die Tierkreistypologien entstanden etwas später, etwa um die Zeitenwende (in der hellenistischen Vorstellungswelt).

 

Eine für unsere aktuellen Zwecke brauchbare Charakterisierung unterschiedlicher Menschen ergibt vier Typen:

1. Der Offene, der nach vorne schaut. Ich nenne ihn den Revoluzzer.

2. Der Verschlossene, der gerne nach vorne schauen würde. Ich nenne ihn den Gefangenen.

3. Der Offene, der nach hinten schaut. Das ist der Möchtegern.

4. Der Verschlossene, der nach hinten schaut. Ich nenne ihn den Sturen.

 

Ich nenne Ihnen für jeden Typ eine Person des öffentlichen Lebens. Aber bitte, nehmen Sie das nur als Hinweise, keineswegs als Charakterporträts der Betroffenen.

Als Revoluzzer [Sanguiniker] sehe ich den unermüdlichen Tausendsassa N. G. H., als Gefangenen [Melancholiker] sehe ich den enttäuschenden Bundesrat M. L., als Möchtegern  [Choleriker] würde ich den Radio- und Fernsehpionier R. S.  taxieren, und unter die sturen Menschen [Phlegmatiker] würde ich die ehemalige Chefin des Bauamtes der Stadt Zürich U. K. einreihen. Aber wie gesagt, nur als Illustration, nicht als Porträt.

 

 

Woran erkennt man die vier Menschentypen?

 

Woran erkennt man nun die vier Typen?

 

1. Der Revoluzzer ist fröhlich und munter, er ist gesellig, das heisst konkret: immer sichtbar und hörbar. Er ist energisch und agil, d. h. immer in Bewegung. Er ist  der geborenen Optimist, oft verspielt und gar sorglos. Er ist verschmitzt und gutmütig.
Man erkennt ihn an folgenden äusserlichen Zeichen: Er lacht gerne. Er ist leicht in seinen Bewegungen, fast tänzerisch. Er hat gutmütige Augen und ist manchmal sonnengebräunt.

 

2. Der Gefangene dagegen ist ernst und misstrauisch, ja ängstlich und sogar unglücklich. Er ist besorgt, fühlt sich oft unverstanden und macht gerne auf Weltschmerz.
Man erkennt ihn an seiner gebeugten Haltung, an seinen Stirnfalten und an seinen traurigen Augen. Er ist eher bleich. Manchmal kaut er an seinen Fingernägeln.

 

3. Der Möchtegern steht gern im Mittelpunkt. Er ist laut, schnell erregt, hitzköpfig und theatralisch, das heisst er neigt zu Übertreibungen und flunkert oft. Er ist launisch. Er tut gern, als wäre er optimistisch, ist aber eher plump und langsam. Diese Diskrepanz spürt man.
Den Möchtegern erkennt man sehr leicht an seinem wilden Gestikulieren und an seinen sprühenden, oft suchenden Augen. Er kriegt schnell einen roten Kopf und haut schon mal mit der Faust auf den Tisch.

 

4. Den Sturen schliesslich erkennt man an seinem verkniffenen Gesicht, an der strengen Mundpartie und an den starren Augen. Ehr hat die Arme häufig verschränkt.
Er ist verschlossen und redet wenig, ist trocken und spröd. Er ist ein echter Einzelgänger. Er ist enorm beherrscht, "ach so vernünftig" und standhaft. Er ist auf jeden Fall kein Innovator.

 

Wir wissen alle - und das wussten auch schon die alten Griechen: In der Realität gibt es  keine reinen Typen. Jeder Mensch ist eine Mischung, d. h. er  hat etwas von allen vier Typen in sich, z. B. habe ich vielleicht 40% des Sturen, 30% des Revoluzzers, 20% des Möchtegerns und 10% des Gefangenen in mir. Wichtig ist, was überwiegt.

 

 

Wie muss man die vier Typen behandeln?

 

Wie  muss man die verschiedenen Typen behandeln?

 

1. Den Revoluzzer muss man nicht gross überzeugen. Er macht sofort mit, wenn er die Idee gut findet. Er entwickelt dann in sich selbst die Bilder, Texte und die Musik.
Ködern kann man ihn mit Spekulation und der Aussicht auf materiellen Gewinn. Seine Schwächen sind der Realitätssinn und die Sorgfalt.

 

2. Der Gefangene ist am zweitleichtesten zu gewinnen. Ihm fehlt das Selbstbewusstsein. Ihn muss man dazu bringen, dass er sich etwas zutraut. Er braucht einen oder mehrere Tritte in den Hintern oder: Man muss ihn ins kalte Wasser werfen. Dann braucht er ein Führungsschiene, einen Wegweiser. Er wächst dann mit der Aufgabe - oder ertrinkt.
Er spricht besonders auf auf sinnliche Empfindungen, auch Musik an.

 

3. Der Möchtegern scheut Arbeit. Ihn muss man von vorne ködern, mit etwas, das man sieht. Man muss also ein farbiges Bild des Künftigen in ihm erzeugen. Dann muss man ihm eine Aufgabe geben. Er braucht Aktion. Daraus gibt es bei ihm ein Erlebnis, das ihn freut. Die Aufgabe muss spielerisch sein, sie darf am Anfang nicht zu schwierig sein, damit er tatsächlich zu einem Erfolgserlebnis kommen kann.
Sein Köder wäre die Macht, seine Schwäche ist die Verantwortung.

 

4. Der Sture ist eine echte Knacknuss. Er kann nur durch Worte, d. h. durch Texte und lange Gespräche überzeugt werden - wenn überhaupt. Ihn zu gewinnen kann auf fünferlei Weise geschehen:

a) Die Informationen für das Neue müssen von verschiedenen Seiten kommen, und die Personen müssen glaubwürdig sein. Wenn's nur einer sagt, ist's keiner. Am besten sind schlagende Beweise.

b) Möglicherweise spricht er auf Vergleiche mit anderen Sachen, auf Analogien an. Besonders hilfreich sind anschauliche Modelle, denn seine Vorstellungsgabe ist nicht besonders ausgeprägt.

c) Wer es schafft, ihm Mut zu machen, hat eine gute Ausgangslage.

d) Wenn das Überzeugen beim ersten Versuch nicht gelingt, ist die Sache beim Sturen gestorben. Man kann erst nach längerer Zeit wieder anfangen, muss aber dabei wieder ganz von vorne anfangen.

e) Es braucht eine Portion Glück: der richtig Ort, die richtige Zeit, das  richtige Tun - dann ist er gewonnen.

 

Wenn ich nun in einem Gremium oder mehreren einzelnen Menschen eine Idee vorschlage, dann habe ich einen Menschentyp, den Reformer, schon recht bald auf meiner Seite. Den Gefangenen und den Möchtegern kann ich, wenn ich mich richtig verhalte, ebenfalls auf meine Seite ziehen.

So habe ich drei Viertel der für mich wichtigen Personen auf meiner Seite. Das genügt meistens, und ich kann mir den Aufwand sparen, auch den Sturen bekehren zu wollen. Das ist Realpolitik.

 

Wenn Ihnen dies alles etwas spanisch vorkommt, dann verstehe ich das gut. Aber es ist nicht spanisch, sondern alt-griechisch. Es handelt sich un nichts anderes als um die Temperamentenlehre der antiken Ärzte Hippokrates und Galen (200 n. Chr.).

 

 

Was braucht einer, der Innovator sein will?

 

Nun klingt das etwas gar schematisch und ist im hektischen Alltag keineswegs so einfach. Wenn man diesen Raster nur theoretisch im Kopf hat, passiert nichts. Man muss dieses Wissen leben, man muss kompetent sein, dann steht der Innovation nichts im Weg.

 

Was heisst hier "leben"? Wer ein Innovator sein will, der muss zuerst bei sich anfangen.

 

Ein Innovator werden, bedeutet zunächst einmal harte Arbeit an sich selbst, und das erfordert mindestens dreierlei:

·        Selbstbeobachtung (Konfliktfähigkeit mit sich selber)

·        Lernbereitschaft: Wenn etwas nicht gelingt, dann muss man zu sich sagen: "Das nächste Mal mache ich es besser."

·        Wachsamkeit, d. h. ich will alles, was um mich herum passiert, wahrnehmen.

 

Dies ist ein Prozess, der nicht bloss eine Woche dauert - er läuft immer. Er führt zu einer gewissen Erfahrung und Reife. Ohne diese produziert ein Innovator höchstens ein Strohfeuer.

 

Wer wirken will, braucht im weiteren:

·        Selbstbewusstsein (bös ausgedrückt: Wenn einer schwach ist, kann er nicht erwarten, dass er durchkommt)

·        Ehrlichkeit

·        Kommunikationsfähigkeit (er  darf den Kopf nicht in den Sand stecken)

·        Konfliktfähigkeit

·        Sensibilität (z. B. um die vier Typen erkennen zu können)

·        Ausstrahlung (wichtig beim Loben)

·        Flexibilität (bös ausgedrückt: Wenn der Wind dreht, muss man sich anpassen).

 

Wenn ein Innovator alle diese Faktoren hat und auch praktiziert, dann hat er "soziale Kompetenz".

 

Dazu kommen aber noch weitere Faktoren:

 

Wer Innovator sein will, braucht einen langen Atem. Sonst sollte er sein Vorhaben aufgeben.

Durchsetzen kann sich nur, wer von seiner Idee restlos überzeugt ist.

 

Ein Innovator kann schliesslich nur wirken, wenn auch das Umfeld stimmt, z. B. die Arbeitsverhältnisse, aber auch die Wohnverhältnisse und die Familie.

 

Muss ein Innovator nach alledem also doch ein Wundertyp sein? Ja. Die Chancen sind gut, wenn er tief in sich ein Streben nach "mehr" verspürt. Gesättigte und selbstzufriedene Menschen sind keine Innovatoren. Ebenfalls behindern Neid und Eifersucht. Das lähmt. Und ein Innovator braucht ungeheuer viel Kraft.

 

 

Zusammenfassung: Innovationen entstehen durch soziale Kompetenz

 

Lassen Sie mich zum Schluss kommen und in sechs Sätzen zusammenfassen.

 

Innovationen sind lange dauernde Projekte, die viele Menschen betreffen. Wenn der Innovator nicht fähig ist, seine Ideen im kleinen Kreis durchzubringen, dann gelingt ihm dies auch nicht im Grossen. Wer Innovator sein will, muss bei sich selber anfangen, dann kann er in der kleinen Gruppe, später im Grösseren wirken.

Wirken heisst, sich durchsetzen können. Grundlage dafür sind Menschenkenntnis und entsprechenden Menschenbehandlung. Das führt zu sozialer Kompetenz.

 

Im Titel meines Vortrags steht eine Frage: Wie entstehen Innovationen? Die Antwort ist nun ganz einfach: Innovationen entstehen durch soziale Kompetenz.

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch