HomeSich durchsetzen!

 

siehe auch:    Literatur: Erfolgstraining, Lebenskunst, Sich Durchsetzen

                        Literatur: Soziale Kompetenz

 

Motto: "Wer mehr Strategien kennt, hat eher die Chance, seine Interessen zu wahren und persönliche Ziele zu erreichen."

 

 

Der Wunsch, seine eigenen Bedürfnisse und Interessen, Vorstellungen oder Ziele zu verwirklichen, erfordert "Durchsetzung". Vor allem dann, wenn ein Gegenüber dem Widerstände entgegensetzt oder solches erwartet wird. Da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, praktiziert er meist nur wenige Durchsetzungsstrategien. Zu wissen, dass es etwa 50 gibt, kann in manchen Situationen von Vorteil sein.

 

Abgesehen von Bemühungen, sich gegen das eigene schlechte Gewissen durchzusetzen oder innere Widerstände und Schwächen, Schuldgefühle und böse Absichten zu überwinden, findet Durchsetzung vorwiegend in zwischenmenschlichen Kontakten und Beziehungen statt. Hier kann man differenzieren nach Ort und Zeit sowie Anzahl und Charakteristiken der Beteiligten.

 

Durchsetzen ist vielgestaltig

 

·        Es macht einen Unterschied, ob man sich in der Familie oder am Arbeitsplatz, beim Streit um einen Parkplatz oder unter der Türe gegenüber einem Vertreter durchsetzen möchte.

·        Die Durchsetzung eigener Interessen oder Vorstellungen kann sich über wenige Minuten oder über Jahre erstrecken. Die Eroberung eines Parkplatzes ist etwas anderes als diejenige einer Kaderposition.

·        An der Auseinandersetzung können zwei Personen, eine kleine oder grössere Gruppe oder im Laufe der Zeit unzählige Personen und Gruppen beteiligt sein.

·        Die Beteiligten können einem nahe stehen oder unbekannt sein. Sie können ihre Ziele offen oder versteckt verfolgen, unterschiedliche Positionen und Funktionen einnehmen, verschiedenes Durchsetzungsvermögen haben, unerwartet reagieren usw.

 

Im weiteren spielt eine Rolle,

·        wie stark die Bedürfnisse sind, wie wichtig einem die Realisierung einer bestimmten Vorstellung ist,

·        worauf sowohl die gegenwärtige Stimmung als auch frühere Erfahrungen einen Einfluss haben;

·        ob man freiwillig oder unfreiwillig, absichtlich oder zufällig in die gegenwärtige Lage geraten ist,

·        ob sie neu oder vertraut ist,

·        ob andere Personen dabei sind, vor denen man sich profilieren möchte usw.

 

"Was du nicht willst, dass man dir tu'..."

 

Aus all diesen Gründen gibt es keine generellen Rezepte, wie man sich durchsetzen kann oder soll. Überdies gilt Durchsetzung oft als unerwünscht, nämlich wenn sie in die Nähe der Manipulation rückt oder andern Personen Nachteile bringt, sie gefährdet oder ihnen schadet.

 

Gerade dies wird selten beachtet. Die Freiheit, die ich meine, geht oft zulasten von andern, den Schwächeren, Stilleren, Schüchternen. Der Durchsetzungswunsch, der nur allzu oft der eigenen Bequemlichkeit dient, erfordert daher Selbstbesinnung: "Was tue ich eigentlich?" "Woher nehme ich mir das Recht, dieses zu tun und jenes zu lassen?" Als Leitlinie kann auf die Bibel - Mat. 7,12 - oder auf die Soziologie - "Reziprozität der Perspektiven" zurückgegriffen werden.

 

Manchmal ist jedoch eine Auseinandersetzung, eine Konfrontation mit andern, in der die Späne fliegen, für die eigene Persönlichkeitsentwicklung förderlich: Man könnte ja etwas lernen dabei. Wer darf von sich behaupten, er sei ohne Fehl und Tadel, er habe sich noch nie zu etwas verführen oder hinreissen lassen, das besser unterblieben wäre? Zurückhaltung, Bescheidenheit, Höflichkeit und Selbstprüfung sind tatsächlich oft eine Zier. Wer darauf verzichtet, muss schon sehr genau wissen, was er sich und den anderen damit zumutet.

 

Durchsetzungsstrategien bieten weder Garantie für Erfolg noch die Gewähr, dass die Angelegenheit nach erfolgter Anwendung abgeschlossen wäre. Retourkutschen sind auf alle Arten möglich: Das menschliche Gedächtnis - das eigene wie dasjenige anderer - hat mitunter einen langen Atem. "Durchsetzung um jeden Preis" wird daher heute als "eher sozial inkompetent" beurteilt.

 

Was meint und tut der Durchschnittsbürger?

 

In einer interessanten Studie hat der Psychologe Karl-Heinz Wortmann untersucht, wie viele Strategien dem Durchschnittsbürger bekannt sind, wie viele er anwendet und wie er sie beurteilt. Dafür entwickelte er zwei kurze Rollenspiele als Testsituation:

 

1. Eine Reparaturwerkstatt: Das Auto hat einen Defekt und man möchte unbedingt, dass es am nächsten Mittag repariert ist.

2. Ein Restaurant: Man hat ein Gericht bestellt, dass man noch nie gegessen hat. Als es kommt, sieht man sofort, dass man es nicht mag. Man will es nicht bezahlen und möchte ein anderes Gericht.

 

In beiden Situationen musste der Wunsch bisher nicht näher bekannten Personen vorgetragen werden. 16 Strategien kristallisierten sich heraus. Ausser acht blieben die weniger "feinen" Methoden.

Die Restaurantsituation wurde von den Versuchsteilnehmern als ungewöhnlich und schwierig eingeschätzt. Insbesondere wurde an der Berechtigung, sich durchzusetzen, gezweifelt. Dennoch waren in beiden Fällen die Antworten weitgehend gleich.

 

Als mögliche Strategien kam den Leuten vor allem in den Sinn:

(6) Nachteile androhen

(2) Begründung geben

(10) Einschüchtern

 

Tatsächlich angewendet wurde jedoch am häufigsten:

(8) Lösungsvorschlag machen

(2) Begründung geben

 

Am aussichtsreichsten eingeschätzt wurden:

(2) Begründung geben

(8) Lösungsvorschlag machen

(5) Vorteil anbieten

(16) Dritte Person beiziehen

 

Auffallend selten als möglich genannt, angewendet und als effektiv eingeschätzt wurden in beiden Situationen:

(3) Gegenargumente vorwegnehmen

(4) Argumentationsschwächen aufzeigen

(14) Schmeicheln

(12) Mitverantwortung aufdrängen

(1) Höflicher Wunsch

 

Was stimmt nicht überein?

 

Schliesslich wurden die Versuchspersonen anhand von Videoaufnahmen der Rollenspiele von unabhängigen Begutachtern auf ihre persönliche "Handlungseffektivität in Durchsetzungssituationen (Durchsetzungskompetenz)" beurteilt. Sie stimmte mit der Selbsteinschätzung der Versuchspersonen kaum überein und auch nicht mit den Testergebnisses eines Unsicherheitsfragebogens.

 

m Schnitt waren jeder Person 6 Strategien bekannt; da im Versuch das Gegenüber auf keine einging, wurden ebenso viele praktiziert. Im einzelnen stimmten freilich die Strategien, die jemand als "gedanklich möglich" nannte, nur zur Hälfte mit denjenigen überein, die er anwandte.

Das kann verschiedene Gründe haben:

·        Die Fähigkeit zum Umsetzen der Strategie in die Praxis fehlt.

·        In der konkreten Situation sieht man für bestimmte Strategien keine Erfolgschancen.

·        Das Verhalten des andern verhindert die Anwendung gewisser Strategien (z. B. Argumentationslücken aufzeigen).

·        Da es meist um rasches Entscheiden und Handeln geht, kann nicht das gesamte Repertoire an Durchsetzungswissen aktualisiert werden.

·        Automatisiertes Verhalten ist "oftmals nicht mehr kognitiv parat". Daher wird die Strategie "Aufwand herunterspielen" 5-10 Mal häufiger  praktiziert als genannt, "Lösungsvorschlag machen" und "Hartnäckig  bleiben" doppelt soviel Mal.

·        Man will den andern nicht provozieren und ihm nicht schaden. Daher praktizieren nur ein Drittel resp. die Hälfte die Strategien "Einschüchtern" resp. "Nachteile androhen", obwohl sie sie als  möglich nennen.

 

Wer mehr Strategien kennt, kann sich eher durchsetzen

 

Für die Alltagspraxis sind fünf Ergebnisse bedeutsam:

 

·        In schwierigen und unbekannten Situationen ist die Phantasie  geringer: Es fallen einem weniger Strategien ein, und weniger werden praktiziert.

·        Von fremden Beobachtern als durchsetzungsstark eingeschätzte Personen verfügen (kognitiv) über mehr Strategien und wenden - wenn der Widerpart nicht reagiert - mehr Strategien an.

·        Auch wenn Frauen etwas weniger Strategien anwenden, lässt sich  statistisch kein Unterschied zwischen den Geschlechtern nachweisen.

·        Personen, die in Durchsetzungssituationen effektiver sind, wenden  keine anderen Strategien an als weniger Durchsetzungsfähige.

·        Wer sich selber als durchsetzungsfähig ansieht, kann von andern ganz anders eingeschätzt werden.

 

Alles in allem ist der Zusammenhang zwischen Wissen und Handeln geringer als erwartet: Gefühle und Gewohnheiten, Werte und Normen, Wollen und Können sowie Erwartungen und Beurteilungen von Situation und Gegenüber, Strategie und Folgen spielen hinein.

 

Dennoch kann ein Selbstsicherheitstraining sinnvoll sein, nämlich wenn es auch ein differenziertes Durchsetzungswissen schafft. Das bedeutet Kenntnis

1.)   möglichst vieler Strategien sowie

2.)   ihrer Angemessenheit,

3.)   ihrer Effektivität und

4.)   ihrer Folgen.

 

Dass viele Personen praktizieren, was sie gar nicht für wirkungsvoll halten - z. B. "Aufwand herunterspielen" oder "Appell an das Mitgefühl" - mag zum Nachdenken anregen. Anderseits haben Untersuchungen ergeben, dass gerade die Mitleid-Strategie bei berechtigten Bitten enorm einschlägt.

 

 

16 "legitime" Durchsetzungsstrategien

 

1. Den Wunsch ohne weitere Begründung höflich äussern: Bitten, freundlich fragen, klar sagen, was man möchte.

2. Eine einsichtige Begründung des Wunsches geben: Pläne, Absichten, Bedürfnisse, Belastungen, Empfindlichkeiten, Notlage; dabei sind sachliche Gründe wie auch freie Erfindungen oder Übertreibungen möglich.

3. Mögliche Gegenargumente oder Einwände des anderen vorwegnehmen: Einmaligkeit des Anspruchs.

4. Logische Schwächen oder Lücken in der Argumentation des anderen aufzeigen: Bezug auf frühere Aussagen oder Begebenheiten, andere Fälle oder Erfahrungen anderer.

5. Einen Vorteil für die Erfüllung des Wunsches anbieten: Gegenleistung, Belohnung, finanzielle Vorteile.

6. Bei einer Weigerung Nachteile in Aussicht stellen: auf Einfluss pochen, negative Konsequenzen androhen (z. B. Beschwerde an höhere Instanz), Druck ausüben.

7. Den Aufwand für die Wunscherfüllung herunterspielen: den Wunsch kleiner machen als er ist, Sachverhalt bagatellisieren.

8. Einen für beide akzeptablen Lösungsvorschlag machen: objektive Möglichkeiten anbieten, Kompromiss finden.

9. An das Mitgefühl des anderen appellieren: Mitleid erwecken, Druck auf die Tränendrüse, hilfloses Verhalten.

10.Den andern einschüchtern: Eigene Erfahrungen hervorheben, Ärger durch Lautstärke kundtun, Angst erzeugen, Aufsehen erregen, unverschämt werden.

11. Das Pflichtgefühl des andern ansprechen: den andern an seine Rolle erinnern, an die Kulanz appellieren, das Recht als (guter) Kunde herausstellen.

12. Den andern für die Wunscherfüllung mitverantwortlich machen: fragen: wie er eine Lösung sähe oder ihm die Lösung ganz zuschieben; falls er nicht darauf eingeht: ihm ein Schuldbewusstsein vermitteln

13. Persönliche Nähe zum andern herstellen: nicht mit der Türe ins Haus fallen, dafür sorgen, dass der andere am Problem interessiert ist; erwähnen, dass man auch schon in der Lage des andern gewesen ist; kumpelhaftes Auftreten

14. Dem Selbstwertgefühl des anderen schmeicheln: ihm das Gefühl geben, dass er mehr und besser ist, schöne Worte machen.

15. Hartnäckig immer wieder auf den Wunsch zurückkommen: nicht sofort aufgeben, zäh und stur verhandeln, nicht von der Stelle weichen.

16. Eine dritte Person zur Konfliktlösung heranziehen: Geschäftsführer verlangen, Chef sprechen wollen.

 

 

33 weitere, meist wenig "feine" Durchsetzungsstrategien

 

1. Im andern Begeisterung wecken

2. Verhalten des andern imitieren

3. Versprechungen machen, die man gar nicht einzuhalten gedenkt

4. Mehr verlangen, als man eigentlich will (Termin, Menge, Qualität); lehnt der andere ab, so kann man ihm entgegenkommen

5. Ablenken der Aufmerksamkeit auf Nebensächliches oder Anderes

6. Im geheimen oder hinter dem Rücken von anderen vorgehen

7. Sich nach vorne drängen oder Ellbogen benützen (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne)

8. Sich aufspielen, die eigene Potenz herausstreichen

9. Markige Befehle, Kommandos

10. Verbote, Vorschriften

11. Wüste Beschimpfungen, allgemeine Hasstiraden gegen bestimmte Bevölkerungs- oder Berufsgruppen

12. Den andern herunterputzen, lächerlich machen, bloss stellen

13. Dem andern Anerkennung, Unterstützung, Ressourcen, Rechte verweigern

14. Schreien, toben, mit den Füssen aufstampfen

15. Gegenstände herumwerfen

16. Handgreiflichkeiten wie Packen, Reissen, Schlagen, Treten

17. Drohung mit oder Gebrauch von Waffen

18. Behändigen fremden Besitzes als Pfand

19. Geiselnahme

20. Drohen mit Polizei, Behörden, Organisationen, Prozess

21. Bestechung, Schmiergelder

22. Intrigieren, verleumden

23. Hypnose

24. Ausmanövrieren, kaltstellen, isolieren

25. Sich anderer entledigen (aus dem Haus weisen, entlassen, des Landes verweisen)

26. Sich abschirmen, einigeln, Kopf in den Sand stecken

27. Sich anderswohin begeben, ausweichen, ausbrechen

28. Bestimmte Situationen, Milieus überhaupt meiden

29. Warten, reifen lassen

30. Meditation

31. Beten

32 Stimulantien oder Drogen (Kaffee, Alkohol, Tabak, Drogen)

33. Beschwörungen, verfluchen, verzaubern

 

 

Literatur zu Durchsetzung und Selbstsicherheit

 

Karl-Heinz Wortmann: Alltagspsychologie der sozialen Durchsetzung Eine Studie zur Handlungsrelevanz alltagspsychologischen Wissens. Münster: Lit 1983.

Heinz Ryborz: Jeder kann es schaffen. Zürich: Schweizer Verlagshaus 1982; als Taschenbuch: Bastei Lübbe Ratgeber 1984.

Marsha Linehan, Kelly Egan: Sich durchsetzen: München: Ehrenwirth (Beratungsbuch) 1985.

 

Übersichten über Selbstsicherheitstraining:

 

F. Dittmar: Selbstsicherheitstraining. In Hans-Jürgen Möller (Hrsg.):  Kritische Stichwörter zur Psychotherapie. München: Fink 1981, 297-306.

Steffen Fliegel et al.: Verhaltenstherapeutische Standardmethoden. München: Urban & Schwarzenberg 1981.

Rainer Siegmund: Kognitiv orientiertes Selbstsicherheitstraining. Münster: Lit 1986.

 

 

Schweizerische Handelszeitung, 6.11.1986; Das neue Erfolgs- und Karrierehandbuch, Heft 11/1987, 99-104

 


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