Der mündige Mensch
Stichworte für eine Vorlesung “Entscheiden und Verantworten im Alltag“ an der Volkshochschule, 6. Juli 1987
siehe auch: Der mündige Mensch Ungeheuer emsig, aber zielblind Führung 2000: Kapital in High-Tech, Vertrauen in Mitarbeiter investieren ferner: Michael Hofmann: Der mündige Mitarbeiter – Störfaktor oder Entscheidungsträger. In: Entscheidung auf neuen Wegen. Vorträge der internationalen Tagung. 8.-9. April 1981. Rüschlikon: Gottlieb Duttweiler-Institut für wirtschaftliche und soziale Studien 1981, 131-153.
1. Der mündige Mensch ist einer, der aus notwendigen Phasen der Abhängigkeit herausgewachsen ist, auf eigenen Füssen steht und nun sein Leben, sein Denken und Handeln selbst in die Hand nimmt.
2. Dass der Mensch ein biologisches, soziales und kulturelles Wesen ist bedeutet ein Doppeltes: abhängig sein und Aufgaben erfüllen müssen. Die Aufgaben bestehen hauptsächlich in Pflege und Bildung von Kindern, der Gemeinschaft, der vom Menschen geschaffenen Kultur und der von ihm nicht geschaffenen, aber ihn tragenden Natur.
3. Da der Mensch auch ein personales Wesen ist, hat er den Wunsch wie das Recht auf "freie Entfaltung der Persönlichkeit". Doch diese findet im biologischen und soziokulturellen Rahmen statt.
4. Die Einsicht in derartige Zusammenhänge sollte aus Krisen, Kritik und Konflikten der Pubertät "erwachsen". Der mündige Mensch hat Einsicht in die Polaritäten und Paradoxien des Lebens; er ist aktiv zupackend und philosophisch.
5. Aus der Beschäftigung mit Entscheidungstheorien und -regeln gewinnen wir Modelle (d. h. Vorstellungen, die wir bilden, um etwas besser verstehen zu können) und Methoden.
6. Was noch unklar ist, sind die Ziele und Absichten. Meist haben wir nur eines von beiden: (1) Ziele ohne die beharrliche Absicht, sie zu erreichen, (2) Absichten (z. B. Genuss, Macht, Betätigung) ohne Ziel.
7. Ziele sind etwas, was nach Inhalt (z. B. Bereich, Ort), Betrag und Termin definiert werden muss. Hernach lassen sich die Massnahmen (Vorbereitungen, Tätigkeiten) bestimmen. Wer sich vorbereitet, hat meist mehr Genuss an der Tätigkeit, oder sie erfolgt reibungsloser.
8. Ziele richten unser Überlegen und Handeln aus. Wenn sie definiert sind, dienen sie als Kriterium (Massstab) für unser Tun. Wir können daran bemessen, ob uns unser Tun ihm näher bringt.
9. Die "höchsten" Ziele sind: ·
für
den Menschen als biologisches Wesen: das Leben ·
für
den Menschen als personales Wesen: das Selbst ·
für
den Menschen als soziales Wesen: die Gemeinschaft · für den Menschen als kulturelles Wesen: die Schöpfung · (Hier geht es darum, die Polarität von Kultur, z. B. Weltdeutung und "Bebauung", und Natur sowie die Schattenseiten beider zu erkennen, zu ertragen und zu gestalten.)
10. Daraus ergeben sich vier Fragen an unser Tun: · Fördert es das Leben? · Entspricht es der Menschenwürde? · Dient es dem Gemeinwohl? · Steht es im Einklang mit der Schöpfung?
11. Das führt zum Nachdenken. Der mündige Mensch denkt nach. Die Beachtung der hohen Ziele bietet ihm Mass (a. Massstab, b. richtige Mitte).
12. Der mündige Mensch verfügt überdies über Mut, Moral (=Sitte, Gesinnung, Charakter), Menschlichkeit als Ergebnis der Menschenkenntnis (von andern wie von sich selber) und Motivation (den "guten Willen").
13. Entscheiden und Verantworten im Alltag heisst, seine Freiheit wahrnehmen. Diese Freiheit bedeutet: unter der Beachtung von Zusammenhängen neue Akzente setzen.
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