Home Führung 2000: Kapital in High-Tech, Vertrauen in Mitarbeiter investieren

 

Gedanken anhand der Schrift

Knut Bleicher: Chancen für Europas Zukunft. Führung als internationaler Wettbewerbsfaktor. Frankfurt/ Wiesbaden: Frankfurter Allgemeine / Gabler 1989.

 

(geschrieben im Frühling - Sommer 1989;

erschienen in io Management Zeitschrift 59 (1990), Nr. 1, S. 36-46)

(hier am Anfang um mehrere Absätze gekürzt)

 

Inhalt

Eine „Misstrauensorganisation“ lähmt die Initiative

Kooperation ist produktiver als Konkurrenz

Neue Lösungen in modischem Kauderwelsch

Im Boom: fruchtbare Ansätze verschmäht

Menschenbild 2000: der mündige Mitarbeiter

Organisation 2000: lockere Matrix zwischen Restriktionen und Visionen

Führung 2000: Metastrategen – Visionäre – Missionare

Der Renaissancemensch

Anregende Literatur

 

 

 

… Bisher ist man viel zu oft der Verlockung erlegen, z. B. Ergonomie, „Human Engineering“ oder die Gestaltung von "Mensch-Maschine-Systemen“ eher als Anpassung des Menschen an die Technik denn als Anpassung der Technik an den Menschen aufzufassen. Der Mensch, seine Haltung und Sinne hatten sich der Technik unterzuordnen.

 

Eine „Misstrauensorganisation“ lähmt die Initiative

 

Ganz ähnlich hatte er sich der Organisation resp. den Vorgesetzten unterzuordnen. Eine selbsternannte "Elite“ von Fachleuten und Führern wusste schon, was für die Untergebenen gut war und was man von ihnen verlangen konnte.

 

Man kann durchaus von "Misstrauensorganisation“ sprechen. Das tut Knut Bleicher (1989) ausgiebig, und er weist darauf hin:

  • „Aus einer wohl erkannten Rolle der Organisation als 'Sicherheitsnetz' gegen die menschliche Unvollkommenheit ist durch Eigengesetzlichkeit eine Initiative und Autonomie erstickende Übertreibung, eine Überorganisation geworden“ (195).
  • " Von der Präzision zur Pedanterie, von der Eindeutigkeit zur Schablone, von der straffen Unterordnung zum Untertanengeist und von der Rationalität zur Entpersönlichung ist es nur ein kleiner Schritt“ (195).
  • "Misstrauensorganisationen erzeugen bürokratische Denk- und Verhaltensweisen“ (216).
  • "Folgen des Misstrauens sind Furcht und Bedürfnisse nach Sicherheit. Beide sind jedoch die grössten Feinde jeder Innovation“ (110).
  • „Vertrauen verlangt ein langfristiges Investment in die Mitarbeiter, das diese durch Loyalität gegenüber dem Unternehmen honorieren. Dies setzt ein beiderseitiges Versprechen der Sicherheit des Beschäftigungsverhältnisses unter zu definierenden Leistungsanforderungen voraus. Die mit innovativen technologischer Forderungen verbundenen Strategien, die zunehmend auf die Intelligenz der Mitarbeiter abstellen, bedürfen daher einer besonders feinfühligen Handhabung des Verhältnisses von Vertrauen und Loyalität" (198).

 

Kooperation ist produktiver als Konkurrenz

 

Daher ist der Unternehmer und Manager gut beraten, die seit ein paar Jahren vorgebrachten Empfehlungen ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Sie lassen sich auf drei verwandte Formeln bringen:

  • Soziale Innovationen sind genauso wichtig wie technologische; und beide sind notwendig.
  • Wir müssen Kapital in High-Tech und Vertrauen in die Menschen investieren.
  • Die Koordination der menschlichen Aktivitäten muss durch Kommunikation (sowohl direkt als auch via Telematik) und Sinn, d. h. durch Verständigung und eine gemeinsame Vision erfolgen.

 

Dafür braucht es eine neue Sicht des Menschen und demzufolge auch der Organisation. Die Bilder, die wir bisher gehabt haben, versperren uns den Blick auf den Weg zu neuen Lösungen. Und solche, nicht nur technische Innovationen, brauchen wir einfach zur Bewältigung der zahlreichen grossen Gegenwartsaufgaben.

 

Die fundamentalen Erkenntnisse für die neuen Lösungen lauten:

¨ Probleme lassen sich nie gegen die Beteiligten lösen (speziell: Probleme sind nicht gegen, sondern mit den Mitarbeitern zu lösen).

¨ Nur der Wandel von einer Misstrauens- zu einer Vertrauensorganisation setzt die schöpferischen Kräfte in der für den Unternehmenserfolg kritischen Ressource - den Mitarbeitern – frei (Knut Bleicher, 1989, 194).

¨ Kooperation ist auf längere Sicht produktiver als Konkurrenz. Das ist sowohl durch die Forschung als auch die Praxis erwiesen (Dean Tjosvold, 1986, 33).

 

Ob Menschen in Verhältnissen der Kooperation oder Konkurrenz produktiver seien, ist über Jahrhunderte diskutiert worden. Erst 1981 hat sich David W. Johnson dahinter gemacht, sämtliche ihm erreichbaren Forschungsergebnisse zu dieser Frage - 122 an der Zahl - in einer sogenannten Meta-Analyse zusammenzubringen. Das Resultat war eindeutig: Zusammenarbeit ergab höhere Produktivität als Wettbewerb oder Unabhängigkeit, und zwar für alle Altersgruppen und besonders für Aufgaben der Problemlösung.

 

Dean Tjosvold, der 1986 darüber berichtete, fährt mit der Beobachtung fort: Kooperation führt zu Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in diejenigen anderer; sie fördert die Erfolgsmotivation und schafft Loyalität zum Unternehmen. Kooperation hilft den Mitarbeitern, technische, problemlöserische und soziale Kompetenz zu entwickeln, welche sie leistungsfähiger macht. Die Kooperation ist sowohl innerhalb wie zwischen Unternehmen wirkungsvoll, bis zum globalen Niveau. Es kommt nämlich auf die Ziele an, und wenn sie gemeinsam sind und erreichbar scheinen, beflügelt dies.

 

Neue Lösungen in modischem Kauderwelsch

 

Angesagt ist also eine Abkehr von der mechanistischen Auffassung sowohl von Wirtschaft und Unternehmen als auch des Menschen.

Beide „funktionieren“ komplizierter, beides sind „äusserst komplexe probabilistische Systeme“. Das hat bereits Stafford Beer in „Kybernetik und Management“ (1962; engl. 1959) deutlich gezeigt. Ganz banal: Wirtschaft und Unternehmen sind nicht nur Wohlstandsmaschinen, sondern sie erzeugen auch "soziale Kosten“ (K. William Kapp 1950; dt. 1958 und 1979), Externalities oder Umwelt- und Zivilisationsschäden.

 

Der Mensch, anderseits, ist keine blosse Arbeitskraft und kein mechanistischer Aufgabenträger. Der "menschliche Faktor" ist vielmehr das zentrale treibende oder hemmende Element im betrieblichen wie globalen Geschehen.

 

1911 begründete F. W. Taylor die "wissenschaftliche Betriebsführung" (Scientific Management) mit dem Satz: "Bisher stand die 'Persönlichkeit' an erster Stelle, in Zukunft wird die Organisation und das System an erste Stelle treten." Dieses Leitbild für Generationen müssen wir heute wieder umdrehen.

Im typisch neumodischen Kauderwelsch wird heute z. B. "Industrial Renaissance" (W. J. Abernathy et al. 1983) oder "Revitalisierung" reifer Industrien (R. L. Ackoff 1984; K. Bleicher, H. Paul 1987) durch "collective entrepreneurialism" (Robert Reich 1987) oder „Superteamwork“ (Robert R. Blake et al.; dt. und amer. 1987), „Intrapreneuring“ (G. Pinchot 1985; dt. 1988), "High-Involvement Management" (E. E. Lawler III, 1986) und "Organisation ad personam" (W. G. Ouchi 1981, K. Bleicher 1989) gefordert.

 

Die technische Basis hiefür bilden integrierte und "flexible Fertigung", "Networking" (R. K. Mueller 1986, dt. 1988), Informatisierung und Telematik (Nora/ Minc 1978; dt. 1979). Dies erlaubt eine Verflachung der Organisationspyramide, also den Abbau von Hierarchien, die Selbstorganisation einer kreativen, lernfähigen Organisation, Innovation durch "Interdisziplinarität" sowie Dezentralisierung und Flexibilität, also Markt- und Kundennähe.

 

Im Boom: fruchtbare Ansätze verschmäht

 

Die geistigen Wurzeln dieser aktuellen Forderungen kann man je nachdem, wie tief man gräbt, in folgenden Zeiten aufspüren:

•           Renaissance (vor allem 15. Jh.)

•           Aufklärung (18. Jh.)

•           19. Jahrhundert (Hauptstoss der ersten industriellen Revolution)

•           Zwischenkriegszeit (20er und 30er Jahre)

•           60er Jahre (neue oder "alternative" Ansätze).

 

Besonders bedeutsam war die Bildung eines "neuen Bewusstseins" in den 60er Jahren. Dabei gab es nicht nur die heute bekannt gewordenen Ansätze der "spirituellen Gemeinschaften" und Hippies sowie "Paradigmenwechsel" in den Wissenschaften - heute als "New Age" zusammengefasst -, sondern auch zahlreiche durchaus rational begründete und auf Produktivität durch Humanisierung ausgerichtete konkrete Vorschläge für Management und Organisation.

Doch sie wurden kaum ernst genommen. Es herrschte ja Boom.

 

Als dann beim Niedergang Mitte der 70er Jahre andere Lösungen nötig gewesen wären, waren sie nicht mehr neu und daher nicht mehr attraktiv. Man betrieb "Status-quo-Verteidigung", wurstelte sich also weiter durch (Christian Lutz, 1986). Später blickte man, wie das Kaninchen auf die Schlange, gebannt auf Japan und erhoffte sich von da neue Wunderrezepte. Das wäre gar nicht nötig gewesen.

 

Jedenfalls könnte im Jahr 2000 die "Führung" auf einer neuen Sicht von Mensch und Organisation basieren.

 

Menschenbild 2000: der mündige Mitarbeiter

 

Im post-industriellen, "revitalisierten" Unternehmen lebt folgendes Bild vom Menschen:

 

¨ "Men may be trusted to govern themselves without a master" (Thomas Jefferson, um 1800)

¨ "Nicht mehr das Geld, sondern der Mensch muss in den Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens gestellt werden. Der Mensch muss von der Wirtschaft als Subjekt respektiert, anstatt als Objekt in die Rechnung eingesetzt werden .... Menschlichkeit statt Apparat, persönliche Initiative statt Gleichschaltung, fortschrittliche Idee anstatt Paragraph, das ist unser Weg" (Gottlieb Duttweiler, 1940).

¨ "Im Geschäftsleben ist der einzelne heute mehr als früher bei der Erreichung seiner Ziele in einer komplexen Welt organisierter und professionalisierter Prozesse auf die Zusammenarbeit mit und auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen" (Tavistock Institute of Human Relations, 1960).

¨ Menschen sind intelligent und mündig, ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen; sie begreifen die Arbeit als einen wesentlichen Teil ihrer eigenen Lebensgestaltung. Statt Fremdkontrollen ist daher nach Wegen zu suchen, durch Delegation und Selbstgestaltung die Autonomie für die Mitarbeiter zu erhöhen (zusammen fassend "Theorie Y" von Douglas McGregor, 1960).

¨ "Das Potential mündiger Mitarbeiter stellt das wertvollste und unverzichtbarste Aktivum einer Unternehmung dar ... Dem mündigen Mitarbeiter entspricht eine ganze Aufgabe mit kreativem Gehalt... Der 'mündige Mitarbeiter' selbst ist die einzige Chance, auch schliesslich zu einer 'mündigen' Gesellschaft zu gelangen" (Michael Hofmann, 1981).

¨ "Die Mitarbeiter sind immer seltener hochgezüchtete Fachidioten oder aussengeleitete Hilfskräfte, sondern immer häufiger eigenständig denkende und handelnde, verantwortungsfreudige und -fähige Generalisten mit einigen besonders ausgeprägten fachlichen oder menschlichen Kapazitäten, die entsprechend eingesetzt werden wollen und sich als gleichberechtigte Partner bei der Gestaltung ihres Arbeitsverhältnisses, ihrer Arbeitszeitregelung und ihres Arbeitseinsatzes verstehen. Die neuartigen Möglichkeiten der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine bieten dazu Hand" (Christian Lutz, 1986, 71).

¨ "Mitarbeiter sind Träger der Intelligenz und der Identität eines Unternehmens" (Knut Bleicher, 1989, 219).

¨ "Es sind nicht Maschinen, die Inventionen und Innovationen hervorbringen, sondern Menschen, die motiviert ihren Intellekt dazu einsetzen, Chancen zu erkennen, Risiken zu vermeiden und durch ihre Aktivitäten neue ökonomische, soziale und technische Verhältnisse zu schaffen" (Knut Bleicher, 1989, 218).

¨ Es gibt keinen triftigen Grund anzunehmen, "höhere" Chargen seien "mündiger" als andere.

¨ Wenn Mitarbeiter motiviert werden müssen, stimmt entweder mit ihnen oder dem Unternehmen etwas nicht.

 

Organisation 2000: lockere Matrix zwischen Restriktionen und Visionen

 

Im integrierten Organisations-Modell sind sowohl humane und materielle wie geistige und ideelle Elemente aufgezeichnet.

Das "neue Denken" verlässt die herkömmlichen Organigramme und stellt Ziele und Mittel, Menschen und Erfordernisse auf einen Blick dar. Saubere Unterscheidungen werden getroffen: Mittel dürfen nie zu letzten Zielen werden und Menschen nie zu Mitteln.

 

Das Modell spannt jedes Unternehmen (mit unterschiedlichen Inputs und Outputs) in eine Spindel von Restriktionen und Visionen. Die Erfordernisse oder Werte bilden die Grundlagen und Rahmenbedingungen, die Visionen oder Ideale bewirken die Dynamik der Zusammenarbeit. Im Unternehmen werden die Sach- und anderen Mittel deutlich von den Menschen geschieden. Dabei stehen die Menschen über den Mitteln, und sie organisieren sich über diese hinweg im Teamwork. Die Koordination innerhalb und zwischen Teams verläuft über Kommunikation und Sinn. Das stellt an den einzelnen insbesondere vier Anforderungen:

  • Alternativen sehen, suchen und beurteilen
  • Dialogfähigkeit
  • Bedürfnisse und Interessen anderer akzeptieren
  • laufendes Lernen.

 

Die "klassischen" Mittel haben ihre Bedeutung keineswegs verloren, doch haben sie alle dasselbe Gewicht, also:

¨ Grund und Boden, Verkehrsflächen, Bauten, Anlagen und Lager

¨ Versorgung (Energie, Triebstoffe, Gas, Wasser) und Entsorgung

¨ Sach- oder Betriebsmittel im engeren Sinne: Werkzeuge, Apparate, Maschinen, technische Vorrichtungen; dazu Verfahren; ferner Transportmittel, Mobiliar, Material, Putzmittel usw.

¨ Werkstoffe resp. zu behandelnde Objekte

¨ Kapital, Finanzierung, Gewinn, Subventionen

¨ Rechte und Privilegien, Verpflichtungen und Verträge, Patente oder Lizenzen, Beteiligungen, Haftung

¨ Informationen; dazu Informations- und Kommunikationsmittel

¨ Zeit, Fristen.

 

Die früher als "Personal" bezeichneten Menschen bilden das "Humanpotential". Sie zeichnen sich nicht nur durch Arbeit und Leistung aus, sondern auch durch Erfahrung, Know-how und Kreativität mit entsprechenden Kompetenzen und Verantwortungen. Durch den sachgerechten Einsatz der Mittel - d. h. Professionalismus - bieten sie Problemlösungen an. Das Unternehmen rechnet via Sozial- und Ökobilanzen ab.

 

In grösseren Unternehmen werden die Teams in einer lockeren Matrix-Form vernetzt, d. h. jedes Mitglied gehört sowohl zu einer Funktion oder Verrichtung (von Einkauf und Forschung bis Marketing und Entsorgung) als auch zu einem Auftrag, Objekt resp. Markt oder Projekt.

Konflikte kreuz und quer sind unvermeidlich, aber diese können in produktive Kraft umgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass sie offen und ehrlich ausgetragen werden. Ein Klima des Vertrauens und Verständnisses bildet dafür die Basis. Als Resultat ergibt sich: Lernen durch Erfahrung und Freisetzung von Fähigkeiten, Stärkung der Individualität und Leistung.

 

Führung 2000: Metastrategen – Visionäre – Missionare

 

  • Der Unternehmensführer muss zum "Metastrategen" werden, "also die Unternehmung betrachten können, als ob er nicht selbst von ihren Realitäten bestimmt wäre. In der Kommunikationsgesellschaft hängt die langfristige Entwicklung des Unternehmens mehr denn je davon ab, dass es eine symbiotische Verbindung mit seiner gesellschaftlichen Umwelt eingeht, von dieser als befruchtendes Element wahrgenommen wird und an ihrer Ausgestaltung aktiv mitwirkt" (Christian Lutz, 1986, 73).
  • "Der Unternehmensführer wird je länger, desto weniger einen Mechanismus zur Verfügung haben, der durch entsprechende Anweisungen in eine gewünschte Richtung bewegt werden kann. Vielmehr spielt er die Rolle eines Katalysators in einem komplexen, dynamischen, sich zunehmend selbst organisierenden System, das gleichzeitig ein Subsystem der ihn umgebenden Gesellschaft und physischen Umwelt darstellt. Seine Aufgabe ist es, Prozesse zu erleichtern und in Gang zu halten, die in der Auseinandersetzung mit dieser Umwelt und innerhalb der Unternehmung zunehmende Wertschöpfungsleistungen der von ihm geleiteten Organisation ermöglichen" (Christian Lutz, 1986, 73-74).
  • "Der Unternehmensführer der Zukunft muss sich im klaren sein, dass die Qualität menschlichen Zusammenwirkens das zukunftsentscheidende Kapital ist ... Das Komplement zu alledem ist die volle Nutzung der technischen Möglichkeiten" (Christian Lutz, 1986, 74).

 

Da Unternehmensführung immer mehrdimensional ist, sieht Knut Bleicher (1989, 305-307) vier denkbare Rollen der Führung:

 

¨ Der Unternehmer, "der visionär Ungleichgewichte im Unternehmen produziert, indem er nach neuen marktlichen und technologischen Möglichkeiten Ausschau hält. Er ist dabei stark zukunftsorientiert und gewohnt, mit Unsicherheiten und Risiken zu leben. Der Unternehmer vermittelt dem Unternehmen sinnhafte Konzeptionen."

¨ Verwalter, "die von Managern in fliessende Gleichgewichtslagen umgesetzte dynamische Impulse in standardisierte, programmierte Formen zur Sicherung des Erreichten umsetzen". Sie streben danach, "Ordnung durch Dauervollzug von Aufgabenerledigungen zu schaffen“. Sie gestalten "Bürokratien, die für den einzelnen wenig sinnhafte Vollzüge ermöglichen, dem System jedoch Struktur und Dauerhaftigkeit verleihen".

¨ "Die Rolle des Menschenführers ist persönlich: Er beeinflusst die Motivation seiner Mitarbeiter und stabilisiert über den 'Esprit de Corps' die Gruppenkohäsion, indem er den 'team spirit' fördert ... Führer sind in der Regel aktiv, begeisternd und haben einen missionarischen Eifer, den sie auf ihre Mitarbeiter übertragen wollen." Sie haben sozio-emotionale Ausstrahlung.

¨ "Manager streben danach, von Unternehmern geschaffene ungleichgewichtige Situationen verfahrenstechnisch unter Kontrolle zu bringen, auf ein Gleichgewicht hin zu bewegen.“ Der Manager ist ein Technokrat, „der seine eigenen Ziele in Distanz zum jeweiligen Unternehmen verfolgt ... Seine Aufgabe sieht er geprägt durch das Streben nach Rationalität."

 

Diese Funktionen lassen sich kaum in einer einzigen Person vereinen. Das gibt Knut Bleicher freimütig zu. Die Funktionen ergänzen einander personell wie sachlich. Durch die Bildung von Teams oder überschaubaren flexiblen Geschäftseinheiten in flachen, durchlässige Organisationen lassen sie sich jedoch eher in einzelnen Personen integrieren: Dann werden auch Manager und Führer "Intrapreneurs", und der Verwaltungsaspekt wird zurückgedrängt.

 

Der Renaissancemensch

 

Die Ansprüche an die Führung sind jedenfalls gewaltig gestiegen. Mitunter grenzen sie ans Übermenschliche. Gilbert J. B. Probst (1989) charakterisiert den ganzheitlichen, systemischen Manager mit 13 Merkmalen:

 

- Er denkt zielorientiert und in grossen Zügen.

- Er problematisiert seine Umwelt.

- Er denkt vernetzt und in Kreisläufen.

- Er anerkennt die Komplexität einer Situation in ihren Instrumenten und Handlungen.

- Er hat einen ausgeprägten Sinn für Analyse und Synthese.

- Er achtet die Unbestimmtheit komplexer Systeme in seinem zukunftsgerichteten Denken und Handeln.

- Er folgt einem evolutionären Verständnis der Entstehung von Ordnung in sozialen Systemen.

- Er nutzt die Eigendynamik und die Eigenschaften des Systems.

- Er wählt gemäss dem vorliegenden Problemtyp die entsprechende Methodik und Modellierung.

- Er beachtet die Lenkungsebene, auf der es einzugreifen gilt.

- Er fördert ständig die Lern- und Entwicklungsfähigkeit "seiner" Systeme.

- Er strebt nach flexiblen, lebensfähigen Systemen.

- Er fördert das Lernen zu lernen.

 

Braucht es also zur "Industrial Renaissance" wieder den "uomo universale" der Renaissance?

Tatsächlich hat Jay W. Forrester, der Erfinder von Industrial, Urban und World Dynamics, in einem Interview zu den "Grenzen des Wachstums" 1973 gefordert:

  • "Die Fragen sind so wesentlich, und die neuen Orientierungen müssen so verschieden von den alten sein, dass Leadership allein nicht genug sein wird ... Die Probleme der Welt werden nicht von den Streitpunkten geschaffen, die irgendeiner geistigen Disziplin oder irgendeinem Untersektor unserer Umgebung inhärent sind. Die Probleme und Stresse entstehen aus den Interaktionen zwischen den zahlreichen Subsektoren ...
    Die Welt hat eine neue Variante des 'Renaissancemenschen' nötig, damit meine ich Individuen, die sich zwischen geistigen Disziplinen bewegen können, die viele Gebiete und ihre signifikanten Interrelationen begreifen können."

 

 

Anregende Literatur

 

Leon Battista Alberti: Vom Hauswesen (Della Famiglia 1434-41). Zürich: Artemis 1962, Nachdruck München: dtv 1986.

William J. Abernathy et al.: Industrial Renaissance. Basic 1983, paperback 1984.

Manfred Florian R. Kets de Vries, Danny Miller: The Neurotic Organization. Diagnosing and Changing Counterproductive Styles of Management. San Francisco: Jossey-Bass 1984.

Russell L. Ackoff: Revitalizing Western Economies. 1984.

Peter Müri: Chaos-Management. Egg: Kreativ-Verlag 1985.

Gifford Pinchot: Intrapreneuring. 1985;
dt.: Intrapreneuring. Wiesbaden: Gabler 1988.

Dean Tjosvold: Working Together to Get Things Done. Managing for Organizational Productivity. Lexington 1986.

Peter Ulrich: Transformation der ökonomischen Vernunft. Bern: Haupt 1986, 2. Aufl. 1987.

Christian Lutz: Die Kommunikationsgesellschaft. Ein Leitbild für die Politik und Wirtschaft Westeuropas. Rüschlikon: Gottlieb Duttweiler Institut 1986.

Robert Kirk Mueller: Corporate Networking. New York: Free Press 1986;
dt.: Betriebliche Netzwerke: Kontra Hierarchie und Bürokratie. Freiburg: Haufe 1988.

Edward E.Lawler III: High-Involvement Management. Jossey-Bass 1986.

Robert R. Blake, Jane S. Mouton: Executive Achievement. Making it at the Top. McGraw-Hill 1986;
dt.: Führungsstrategien. Landsberg: Verlag Moderne Industrie 1986.

Robert R. Blake, Jane S. Mouton, Robert L. Allen: Spectacular Teamwork. Wiley 1987;
dt.: Superteamwork. Landsberg: Verlag Moderne Industrie 1987.

Ian I. Mitroff: Business NOT as Usual. Rethinking Our Individual, Corporate, and Industrial Strategies for Global Competition. Jossey-Bass 1987.

Robert Reich: Tales of a New America. 1987.

Stephen S. Cohen, John Zysman: Manufacturing matters. The myth of the post-industrial economy. New York: Basic 1987.

Roland Müller: Sind innovative Unternehmer tatsächliche Aufrührer? i. o. Management Zeitschrift 56, 1987, Nr. 9, 436-440.

Ingeborg Nütten, Peter Sauermann: Die anonymen Kreativen. Wiesbaden: Gabler 1988.

Gilbert J. B. Probst: Und was macht ein ganzheitlicher Manager? Die Unternehmung 43, 1989, Heft 1, 2-13.

Roland Müller: Alles über New Age. Schweizer Monatshefte, Heft 2, 1989, 109-120.

Johannes Rüegg: Unternehmensentwicklung im Spannungsfeld von Komplexität und Ethik. Bern: Haupt 1989.

Korn/ Ferry: Neudefinition der Top-Führungskraft;
siehe z. B. David Strohm: Manager heute: Das globale Multitalent. Budget, Sept. 1989, 14-16;
Christine Weber-Hug: Der Top-Manager im 21. Jahrhundert. Schweizerische Handelszeitung, 31. August 1989, 15.

 


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