Home New Age bereits passé

 

geschrieben im Juni 1988;

erschienen unter dem Titel „Rechtzeitig zur Beerdigung“,

Bilanz 11/1988, S. 303-308

 

mit tabellarischer Übersicht

 

siehe auch: Esoterik seit 1700

 

 

Seit 1984 schiessen sie hierzulande wie Pilze aus dem Boden: Bücher über New Age. Mit der üblichen Verspätung von 10 bis 15 Jahren hat nun auch die deutschsprachige Öffentlichkeit Europas von der wunderlichen Bewegung in Kalifornien Kenntnis genommen. Unterdessen ist aber New Age bereits passé.

 

 

Kein Geringerer als Fritjof Capra, von den Medien hochgehätschelt als Guru des Neuen Zeitalters, hat in den letzten Jahren immer wieder verkündet, dass New Age vorbei sei. Jüngst wörtlich:

  • "In Kalifornien gebrauchen wir den Ausdruck 'New Age' heute nur noch dazu, um diejenigen zu bezeichnen, die in der Geisteshaltung der siebziger Jahre steckengeblieben sind und die inzwischen eingetretene Ausweitung des sozialen und politischen Bewusstseins nicht mitgemacht haben. Als vitale Bewegung gibt es also die New Age-Bewegung in Kalifornien schon seit fast zehn Jahren nicht mehr."
  • "Ich finde, dass die Bezeichnung 'New Age' zur Beschreibung der historischen Entwicklung des Paradigmenwechsels sehr zutreffend ist, jedoch zur Beschreibung der heutigen Situation, zumindest in den USA, wenig hilft und, im Gegenteil, äusserst irreführend ist."
  • "Andererseits haben die deutschen Medien inzwischen das Schlagwort 'New Age' jetzt, fünfzehn Jahre nach dem Höhepunkt der Bewegung, entdeckt und vermarkten es mit grossem Erfolg."

 

Solche Etikettenschwindel hat es immer schon gegeben, man denke etwa an die von Ulrich Hutten 1515 fingierten "Dunkelmännerbriefe", oder an die 1738 im Namen von Papst Klemens XII. veröffentlichte Bulle gegen die Freimaurer. Darin wurden diese als verbrecherische Gesellschaften bezeichnet, denen sich ein rechtschaffener und kluger Mensch nicht anschliessen könne, "ohne sich mit dem Makel der Perversion und des Bösen zu beflecken". Die angeblichen "Protokolle der Weisen von Zion" wurden nach dem Basler Zionistenkongress von 1897 im Auftrag des Auslandschefs der russischen Geheimpolizei, General Ratschowski, fabriziert und zuerst in Petersburg veröffentlicht.

 

Diese Assoziationen drängen sich auf, weil man seit dem ersten populären Buch über - angeblich - New Age, dieses als "Verschwörung", wenn auch "sanfte", sieht (Marilyn Ferguson, engl. 1980; dt. 1982). Der Freimaurer Jürgen Holtorf bezeichnete seine Bewegung schon 1974 als "Verschwörung zum Guten". Zur bösartig gefassten These von der Verschwörung der Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberalen und Sozialisten (1776-1945) hat Johannes Rogalla von Bieberstein in seiner 1976 erschienenen Dissertation die notwendigen Klärungen zusammengestellt. Ein Auszug mit weiteren Erläuterungen von Gerd-Klaus Kaltenbrunner erschien in der Reihe "Herderbücherei INITIATIVE" Band 69 (1987).

 

Frau Ferguson hat ihren Begriff von Verschwörung vom grossen französischen Wissenschafter und Geistlichen Teilhard de Chardin. Dieser meinte 1937 in Peking in einer Rede:

  • "Die 'realistischen' Geister mögen ruhig über die Träumer lächeln, die von einer nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Liebe verkitteten und geharnischten Menschheit sprechen. Sie mögen ruhig leugnen, dass ein Höchstmass an physischer Kraft mit einem Höchstmass an Sanftmut und Güte zusammenfallen könne ...
    Wir sind an einen entscheidenden Punkt der der menschlichen Evolution gelangt, wo das einzige Tor nach vorne in Richtung einer gemeinsamen Leidenschaft, einer 'Konspiration', liegt. Fortfahren, unsere Hoffnung auf eine durch äussere Gewalt erzielte soziale Ordnung zu setzen, käme für uns ganz einfach einem Aufgeben jeder Hoffnung gleich, den Geist der Erde bis an seine Grenzen zu vollenden ...
    Wir nähern uns trotz aller Fehlschläge und aller Unwahrscheinlichkeiten einem neuen Zeitalter, in dem die Welt ihre Ketten abwerfen wird, um sich endlich den Kräften ihrer inneren Affinitäten zu überlassen."

 

Kein Wunder, dass Teilhard de Chardin zum meistzitierten Vordenker des New Age wurde. Der katholische Beobachter geistiger Zeitströmungen, Günther Schiwy, meint: zu Recht. Bedauerlich nur, dass die New Ager sowohl die geistige Potenz wie sprachliche Ausdruckskraft des an Ostern 1955 unbeachtet und von der Kirche verfemt Gestorbenen nicht übernehmen konnten. Präzision des Denkens, Sorgfalt im Zitieren, Beachtung der Herkunft ihrer Ideen gehen ihnen ausserdem ab.

 

Die Bücher von Marilyn Ferguson und Fritjof Capra ("The Turning Point", 1982; dt. 1983) sind erschienen, als New Age schon vorbei war. In der Tat: Wer die je rund 500 Seiten aufmerksam studiert, wird mit Erstaunen feststellen, dass die sog. New Age-Spiritualität nur ein, zwei Mal beiläufig erwähnt wird. Was die beiden anbieten, ist viel umfassender. Frau Ferguson fasst einfach alle, "die sich von gewissen Grundkonzeptionen westlichen Denkens losgesagt haben", als Mitglieder einer "sanften Verschwörung" auf, die ein globales Netzwerk verbindet.

Capra nennt dasselbe "aufsteigende Kultur" (rising culture), wobei er ebenfalls auf die 30er Jahre, nämlich auf die vom legendären "Untergang des Abendlandes" (Oswald Spengler 1917/22) inspirierte Kulturmorphologie des englischen Historikers Arnold Toynbee zurückgreift. Erich Jantsch spricht im Rahmen der „Selbstorganisation des Universums“ (1979) von einer „Metafluktuation“.

 

Wenn dies also hierzulande zu Unrecht als New Age bezeichnet wird', müssen wir präzisieren und einen Überblick anstreben. Was in der Fülle der Literatur halt nun einmal als New Age gilt, lässt sich von der engsten bis zur weitesten Fassung in vier Bereiche gliedern (siehe Kästchen).

 

Im engsten Sinne bezeichnet New Age die von der kleinen Gemeinschaft Findhorn im Norden Schottlands, unweit vom Loch Ness, ausgegangene Bewegung. Findhorn wurde 1962 von einem ehemaligen Offizier der Royal Air Force, Peter Caddy, und seiner Frau Eileen gegründet und bald durch seine 40pfündigen Kohlköpfe, acht Fuss hohe Rittersporn und Rosen, die im Schnee blühten, berühmt. Ein "Garten Eden", geleitet von göttlichen Botschaften und Führung durch Licht und Liebe.

Der amerikanische Journalist Paul Hawken berichtete darüber 1975 begeistert:

  • "The Magic of Findhorn. The extraordinary community where man co-operates with plants, where people are transformed, where nothing is impossible and legends are reborn."

 

Schon 1970 war der junge Amerikaner David Spangler in Findhorn gewesen und hatte dort "Offenbarungen", unter anderem von Johannes. Botschaften, die er von einer Macht namens "Limitless Love and Truth" empfing, veröffentlichte er unter dem Titel: "Revelation - The Birth of a New Age". Zuerst hektographiert, dann als Buch (dt. 1978, 2. Aufl. 1983) zirkulierte es bald in der ganzen Welt unter ähnlich Erleuchteten.

 

David Spangler definierte:

  • "Das neue Zeitalter ist kein Zuschauersport ... Gestärkt und erhoben durch den auf die Erde entlassenen Christus-Impuls und die zunehmende Manifestation des Wassermann-Christus, sollen wir aus unserem eigenen Wesen die Essenz und die Form dieser neuen Kultur und neuen Welt ausstrahlen ..., um einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen."

 

Die letzte Formel stammt aus der Bibel (Jes. 65,17; 66,22 - ca. 500 v. Chr. - ; 2. Pet. 3,13; Off. 21,1).

Die Kirche hatte wenig Freude daran. 1978 traten in den USA die ersten christlichen Fundamentalisten gegen die "New Age-Spiritualität" auf den Plan. Damit waren nun auch eine ganze Reihe ähnlicher Begegnungsstätten ins Visier gefasst, die sich seit Ende der 60er Jahre vor allem an der West- und Ostküste gebildet hatten: Zen-, Yoga-, Sufi- und indianisch oder schamanisch orientierte Gemeinschaften in Kalifornien und New Mexiko, die aus der Hippiekarawane hervorgegangene Farm Summertown in Tennessee sowie das Agro-Labor "New Alchemy" und andere Gruppierungen in Massachusetts.

 

Als einer der ersten in Deutschland hat Gerd-Klaus Kaltenbrunner schon 1976 diese "Wiederkehr der Mystik" gespürt und in der von ihm herausgegebenen Taschenbuchreihe "Herder INITIATIVE" zehn Autoren über die jahrtausendealte "Suche nach dem anderen Zustand" (Band 15) berichten lassen.

Man müsste aber mit dem Begriff "Mystik" vorsichtig sein; er dient, vor allem in Pauschalisierungen, ebenfalls gern dem Etikettenschwindel. Nach Frau Ferguson ist etwa Spiritualität gleich Mystik, und Capra fasst die religiösen und philosophischen Traditionen des Hinduismus, Buddhismus und Taoismus - samt dem "I Ging" - undifferenziert als mystisch auf und behauptet, "dass die östliche Mystik einen stimmigen, schönen Rahmen für die modernsten Theorien unserer physikalischen Welt liefert".

 

Der Jesuit Josef Sudbrack stellt klar:

  • "Bekanntlich ist das Substantiv 'Mystik' erst eine Kreation des 17. Jahrhunderts, und eine der Sünden des Liebäugelns mit östlicher Religiosität besteht darin, dass man diese durch-und-durch auf abendländischem Boden und im beginnenden Descartesschen Zeitalter erwachsene Begrifflichkeit ohne hermeneutische Überlegung mit ähnlichen Begriffen und Erfahrungen aus völlig anderen Kulturkreisen gleichsetzt."
  • "Wer sich verantwortungsbewusst mit fremder Religiosität, besonders aber mit mystischen Erfahrungen aus fremden Religionen beschäftigt, wird sich schnell bewusst, wie unendlich schwierig der Zugang dorthin ist; Sprache, Kultur, Tradition, Lebensumstände prägen eine jede, besonders die persönliche Erfahrung und verlangen überaus behutsame Annäherung.
    Die heute so beliebten grossräumigen Synthesen erweisen sich samt und sonders als Scharlatanerie. Nur ganz wenigen Autoren - wie Annemarie Schimmel zum Sufismus, Gershom Scholem zum Kabbalismus und zur jüdischen Mystik, Robert C. Zaehner zum Hinduismus, Mircea Eliade zu Yoga und Schamanismus - gelingt der Brückenschlag in eine fremde Welt."

 

Kommt hinzu, dass auch die christlichen Mystiker, z. B. Meister Eckhart (um 1300), als Kronzeugen von New Age umgedeutet werden.

  • "Erfahrungswissen von Gott" könnte man deren ganzheitliches Weltbild nennen, „und damit ist gesagt, dass die Spaltung: rationale Wissenschaft gegen Erfahrung, oder: Erfahrung gegen Glauben noch nicht stattgefunden hatte ...
    Der moderne Vorwurf einer Subjekt-Objekt-Spaltung hat im Raum dieser Weltanschauung noch keinen Ansatz, geht an der Geisteslage dieser Zeit ebenso vorbei wie die Gegenthese einer Subjekt-Objekt-Identität. Das ist eine moderne, aus dem Rationalismus geborene Begrifflichkeit.“

 

Unbestritten ist, dass der Mensch seit jeher ein Bedürfnis zum Verstehen des Unfassbaren oder zu höherer Erkenntnis hatte.

Archäologische Zeugnisse von Kulten und Ritualen erstrecken sich über mindestens 100'000 Jahre.

 

Für die Quellen des New Age müssen wir das Rad der Geschichte immerhin 2000 Jahre zurückdrehen. Damals gab es schon alles, u. a. die Gnosis als Gegenbewegung zum Urchristentum. Hans Jonas (1934) deutete sie existentialistisch; das neuere Standardwerk darüber stammt aus der DDR (Kurt Rudolph 1977). Pfr. Oswald Eggenberger (Zürich) meint in seinem Sekten-Handbuch (1986): "Die New Age-Spiritualität unserer Tage mit ihren vielerlei Strömungen ist das Erwachen einer neuen Gnosis." Elmar Gruber greift in seinem Büchlein "Was ist New Age?" (1987) ausführlich auf die "Gnosis und die Sehnsucht nach Heimkehr" zurück.

 

Östliche Weisheit kam damals nur auf verschlungenen Wegen in den hellenistischen Raum. Direkte Kunde brachten erst Missionare und Forscher seit 1660. Leibniz kannte bereits das "I Ging" und betrachtete die Lehre des Konfutse als "natürliche Theologie" im Gegensatz zur bloss "geoffenbarten" christlichen Moral.

Indien rückte durch die englische Kolonialisierung ins Bewusstsein. Um 1800 begründeten Romantiker die Indologie. Schopenhauer sah in den Upanischaden die Freude seines Lebens und den Trost seines Sterbens. 1821 erschienen Thomas de Quinceys "Bekenntnisse eines englischen Opium-Essers“. Den ebenfalls östlich angehauchten Transzendentalisten in Neu-England (ca. 1828-82) windet Frau Ferguson ein Kränzchen.

 

Entscheidend für New Age, und daher verleugnet, ist die 1875 von Helena Petrowna Blavatsky gegründete Theosophische Gesellschaft. Sie geriet rasch in buddhistisches Fahrwasser und überschwemmte den Westen mit östlicher Weisheit, aber auch mancherlei Mumpitz. Die engste Mitarbeiterin von H. P. B., Annie Besant, adoptierte den kleinen Krishnamurti (1895-1986) und baute ihn (1910) als neuen Messias auf, was Rudolf Steiner derart ärgerte, dass er die von ihm präsidierte deutsche Sektion der Adyar-TG 1913 in die "Anthroposophische Gesellschaft" umfirmierte.

 

Frau Besants Rivalin, Alice Ann Bailey, schürte den Spuk weiter: Ein tibetischer "Meister" diktierte ihr zahlreiche Bücher, darunter "Initiation, menschliche und solare Einweihung" und die "Wiederkunft Christi". Ihr Mann war Freimaurer. Vielleicht hat sie auf seinem Schreibtisch die seit 1904 erscheinende Monatszeitschrift der US-Hochgradfreimaurer, das in mehreren 100 000 Auflage gedruckte "New Age Magazine", gesehen.

 

Auf einem Grundstück, dass Annie Besant 1927 für Krishnamurti bei Los Angeles kaufte, lebt heute die Ojai-Gemeinschaft. Alice Bailey hatte grossen Einfluss auf David Spangler. Johann Quanier wurde 1974 in London Vorsitzender "einer politisch-spirituellen Gruppe nach von Alice A. Bailey vertretenen Prinzipien" (siehe Gert Geisler, Hrsg.: „New Age - Zeugnisse der Zeitenwende“, 1984).

 

New Age von 1960-1980 war also eher die Endzeit einer langen Entwicklung als eine "Wendezeit". Das wird auch deutlich an der erweiterten Fassung als Wassermann-Verschwörung. Frau Ferguson sieht deren Keimzelle in dem 1961 bei Big Sur mit Unterstützung von Aldous Huxley eröffneten Esalen-Institut. Die Gegend war vorher von Henry Miller ("Big Sur und die Orangen des Hieronymus Bosch") besungen worden.

Von hier ging nun das "Human Potential Movement" aus. Hier trafen sich nicht nur Arnold Toynbee, Linus Pauling und Paul Tillich, sondern auch Alan Watts und Carlos Castaneda, ferner die Begründer der "Humanistischen Psychologie" (1962) Carl Rogers, Rollo May und Abraham Maslow sowie der Begründer der Gestalttherapie, Fritz Perls. Unter dem LSD-Forscher Stanislav Grof uferte dies später in "transpersonale Bewusstseinsforschung" aus (vgl. auch Charles T. Tart 1975; dt. 1978) und verband sich mit Spekulationen von Gehirnforschern und Physikern.

 

Der junge Österreicher Fritjof Capra kam gegen Ende seines Physikstudiums mit der "östlichen Mystik" in Berührung. Zufällig?

 

  • "Nein, das war auch wieder diese ganze Geistesströmung unter der Jugend in den sechziger Jahren: Die Hippiebewegung - die Beatles gingen nach Indien und begannen dann, indische Musik nachzumachen, George Harrison vor allem - Ravi Shankar gab Konzerte in Europa.
    Und ich bin, glaube ich, durch Musik zur indischen Philosophie gekommen, durch diese Einflüsse in der Kunst, habe dann sehr bald die Bhagavad Gita gelesen, das war mein erster östlicher Text, und dann auch die Dichter der Beat Generation, also Kerouac, Ferlinghetti, Gary Snyder und diese ganze San-Francisco-Clique der fünfziger Jahre, die Beatniks. Das habe ich gelesen so Mitte der sechziger Jahre.
    Dann habe ich auch Freunde gefunden - in Paris, wo ich damals lebte -, die sich sehr für Zen-Buddhismus interessierten ...
    Dann ging ich nach Kalifornien und kam mehr in Kontakt mit östlichen Traditionen, nicht nur durch Lesen, sondern auch durch Leute, die sich damit sehr beschäftigten, wie zum Beispiel Alan Watts oder Krishnamurti."

 

Werner Heisenberg diskutierte 1929 in Indien mit Rabindranath Tagore die Philosophie der Physik, Niels Bohr war 1937 in China und J. R. Oppenheimer lernte Sanskrit, um die Upanischaden im Original lesen zu können, von denen auch Erwin Schrödinger beeinflusst war.

 

Fritjof Capra tat nichts von alledem, dafür begann er in Kalifornien zu meditieren und legte sich schliesslich auf das chinesische Tai-Chi fest. Aber er hatte den Mut, was diese grossen Physiker nur privat dachten, zu veröffentlichen. In "The Tao of Physics" (1975) wollte er zeigen, "dass die Grundelemente der östlichen Weltansicht die gleichen sind, die auch die moderne Physik hervorbringt“. Er sprach schon damals von der organischen, "ökologischen" Weltanschauung der östlichen Philosophien.

Doch nachdem sein zweites Buch 1983 in Deutschland als "Wendezeit" erschienen war, musste er in einem Interview zugeben:

  • "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Lehrer oder Gurus des Ostens, wenn sie hierher kommen, meistens von den ökologischen Problemen wenig wissen - was man ihnen nicht übelnehmen kann -, aber diese Probleme auch nicht verstehen, wenn sie darauf hingewiesen werden, Also finde ich, dass eine Beschäftigung mit Mystik oder spirituellen Traditionen nicht notwendigerweise zum ökologischen Bewusstsein führen wird."

 

Also "Scharlatanerie" (J. Sudbrack)?

Was die Physik betrifft, meint Edgar Lüscher, Professor für Experimentalphysik an der Technischen Universität München 1988:

I

  • "Mit Physik und modernen Naturwissenschaften ganz allgemein haben das New Age, die neue Esoterik und ihre Nachfolgebewegungen nichts zu tun."
  • "Die heute oft postulierte Existenz einer nur subjektiven Wirklichkeit, wie sie eine hundertprozentige Rückkopplung beim Erkenntnisprozess darstellt" - was die Bootstrapping-Theorie (G. F. Chew 1961/71) und Maturana/ Varela (z. B. 1975) behaupten -, "kann keine Grundlage der Physik sein."
  • "Obwohl die Quantenmechanik bald 90 Jahre alt sein wird ... sind deren fundamentale Aspekte auch heute noch nicht voll verstanden. Wir stehen nicht im Endstadium der Physik, sondern eher erst am Anfang."

 

Schuld an der Vereinnahmung einiger wissenschaftlicher Ansätze in die Wassermann-Verschwörung ist Frau Ferguson. Sie brachte 1980 die "Allgemeine Systemtheorie" des Biologen Ludwig von Bertalanffy (seit 1945) ins Spiel und stellte als "neue Paradigmen“ vor:

- die "Evolution" (Stephen Jay Gould)

- die Theorie "dissipativer Strukturen" (Ilya Prigogine 1967) resp. der "Selbstorganisation" (Erich Jantsch 1975)

- "Bells Theorem" (1964; ehemals Einstein-Podolsky-Rosen 1935)

- die "holographische" Theorie (Karl H. Pribram, David Bohm; ersterer stand mit Maharishi Mahesh Yogi, letzterer mit Krishnamurti in enger Verbindung).

 

Recht vage bleiben das Transformations- und Netzwerk-Paradigma für die Politik; "ganzheitliche Gesundheit"; "transpersonale Erziehung", "ganzheitliches Wissen" und die "Transformation der Lehrer"; "Werte statt Ökonomie"; und schliesslich das "spirituelle Abenteuer" für jeden einzelnen. Letzteres besteht in der "Verschiebung vom intellektuellen Konzept zum direkten Wissen", pauschal: Mystik. Dafür werden als Garanten Karl Pribram und Fritjof Capra beigezogen.

 

Erstaunlicherweise erwähnt Capra in "The Turning Point" (1982) weder Frau Ferguson noch ihr Buch noch ihre These. Selber brachte er jedoch nicht viel anderes. Bloss rollte er, wie seit Mitte des letzten Jahrhunderts Hunderte vor ihm, die Geschichte des "mechanistischen" Weltbildes in Physik und Biologie auf und machte es für die heutige gesamtgesellschaftliche Krise verantwortlich. Floyd W. Matson beispielsweise ist 1964 schon ganz ähnlich quer durch den Krautgarten von Physik, Gesellschaftslehre und Psychologie gefahren ("The Broken Image"; dt.: "Rückkehr zum Menschen", 1969).

Für das "Systembild des Lebens" ist man besser bedient mit Frederic Vester: "Das kybernetische Zeitalter" (1974), erweitert als "Neuland des Denkens" (1980).

 

Noch zögernd waren das Wassermann- und Wendezeitbuch mit dem Einbezug der sog. Neuen Sozialen Bewegungen. New Age war bis dahin eher unpolitisch gewesen. Capra behauptet 1988:

  • Erst "mit den achtziger Jahren kam eine weitgehende Politisierung der aufsteigenden Kultur in Kalifornien, wo sich die humanistischen Psychologen und ganzheitlichen Therapeuten jetzt der Friedensbewegung, der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung anschlossen und ihre Anliegen mit denen dieser Bewegungen verknüpften. Dieser Zusammenfluss ist jetzt so weit fortgeschritten, dass sich die meisten Vertreter der aufsteigenden Kultur schon lange nicht mehr mit der New Age-Bewegung identifizieren."

 

Damit sind die New Ager zu Bewegungen übergegangen, die ebenfalls meist eine jahrhundertealte - und insgesamt erfolglose - Geschichte haben. Diese erlebten um 1970 ebenfalls eine explosive Blüte und verloren seit dem zweiten Ölschock (1981/82) gleichermassen an Stosskraft. Durch ihren Anschluss haben die New Ager somit ihr doppeltes Todesurteil besiegelt: Aufgabe ihrer politischen "Unschuld" und Flucht auf Schiffe, die im Strudel der "Realpolitik" unterzugehen drohen.

 

Als Relikte zurück blieben die vielfältigen Ansätze der alten Spiritualität. Da sie nun herrenloses Gut sind, können sich hierzulande Heilsuchende, Kirchen und Verlage darum reissen. Da sie unpolitisch sind, können sie für brave Bürger eine Droge gegen Weltschmerz abgeben.

Der Dienst am Gemeinwohl ist ja längst flöten gegangen. "Esoterik statt Politik" ist Trumpf. Eigeninteressen und Selbstverwirklichung stehen im Mittelpunkt. Deshalb erhoffen sich immer mehr vom Rückgriff auf die Vergangenheit Erleuchtung in der Wirrnis der Gegenwart und persönliche Erlösung aus dem grauen Alltag.

Wer bringt uns endlich einen neuen Ansatz?

 



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