Home Vom Hippie zum New-Age-Guru: Fritjof Capra

 

Der Österreicher Fritjof Capra (*1939) machte 1966 seinen Doktor in Physik an der Universität Wien. Hernach verbrachte er zwei Jahre mit Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Physik in Paris, wo er erstmals mit östlicher Mystik in Kontakt kam.

Sein Bruder Bernt gab ihm eine Anthologie der Dichter und Schriftsteller der Beat-Generation, "wodurch ich die Werke von Jack Kerouac, Lawrence Ferlinghetti, Alan Ginsberg, Gary Snyder und Alan Watts kennenlernte. Durch Alan Watts erfuhr ich vom Zen-Buddhismus, und kurz danach riet mir Bernt, die Bhagavad-Gita zu lesen, eine der schönsten und tiefgründigsten heiligen Schriften Indiens."

 

1968 zog Capra nach Kalifornien und tauchte in die "Gegenkultur" der Hippies ein. "In den Jahren 1969 und 1970 erlebte ich alle Facetten der Gegenkultur - die Rock-Festivals, die psychedelischen Drogen, die neue sexuelle Freiheit, das Leben in der Gemeinschaft, die vielen Tage als Anhalter auf den Fernstrassen.“ Er lernte kennen:

  • Alan Watts, Schriftsteller über östliche Philosophie und Religion
  • Jiddu Krishnamurti, den wiedergekommenen Christus, und
  • Carlos Castaneda, der soeben über indianische Mystik doktoriert hatte.

 

1970 ging Capra für vier Jahre nach London, wo er sich mit Parallelen zwischen der Teilchenphysik und Hinduismus, Buddhismus, Taoismus beschäftigte. Ergebnis war das Buch: "The Tao of Physics", das 1975 erschien (dt. zuerst: "Der kosmische Reigen. Physik und östliche Mystik - ein zeitgemässes Weltbild", 1977; ab 1984: "Das Tao der Physik. Die Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie“).

 

Anfang 1975 zog Capra erneut nach Kalifornien, diesmal zum Physiker Geoffrey Chew (der die "Bootstrap"-Theorie entwickelte). Als dessen Gast erhielt er freien Zugang zum berühmten Lawrence Berkeley Laboratory. Seither [bis 1988] arbeitet er hier ohne Bezahlung als Teilzeit-Forscher. Er lebt von den Honoraren für seine Bücher, Vorträge und Seminarien.

 

Ziemlich systematisch baute er in der folgenden Zeit persönliche Kontakte zu folgenden Kreisen auf:

•          ganzheitliche Medizin (Carl und Stephanie Simonton, Margaret Lock)

•          Psycho-Forschung (R. D. Laing, Stan und Christina Grof)

•          Systemtheorie (Gregory Bateson, Erich Jantsch)

•          alternative Ökonomie und Technologie (E. F. Schumacher, Hazel Henderson)

•          Feminismus (Carolyn Merchant, Charlene Spretnak).

 

1979-81 verarbeitete Capra seine ungezählten Gespräche in das Buch "The Turning Point. Science, Society and the Rising Culture" (1982); dt.: "Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild" (1983).

Soweit Capra in seinem Rückblick "Das neue Denken" (1987).

 

Verglichen mit Marilyn Fergusons Buch, "The Aquarian Conspiracy" (1980); dt.: "Die sanfte Verschwörung" (1982), brachte Capra wenig Neues.

Während Frau Ferguson Capra bereits anerkennend erwähnte, hielt er sie nur einer Fussnote würdig. Er durfte aber für die deutsche Übersetzung ihres Buches das Vorwort schreiben.

Die Bereiche Politik und Erziehung fehlen bei Capra. Dafür haben Physik und Biologie grösseres Gewicht. Ferner rollt er einmal mehr das "mechanistische" Weltbild auf und macht es für die heutige gesamtgesellschaftliche Krise verantwortlich. Er findet:

  • "Wir leben heute in einer in allen Aspekten auf globaler Ebene verwobenen Welt, in der sämtliche biologischen, psychologischen, gesellschaftlichen und ökologischen Phänomene voneinander abhängig sind. Um diese Welt angemessen beschreiben zu können, brauchen wir eine ökologische Anschauungsweise, welche das kartesianische Weltbild uns jedoch nicht bietet.
    Es fehlt uns also ein neues 'Paradigma' - eine neue Sicht der Wirklichkeit; unser Denken, unsere Wahrnehmungsweise und unsere Wertvorstellungen müssen sich grundlegend wandeln. Die Anfänge dieses Wandels, weg von der mechanistischen und hin zur ganzheitlichen Beschreibung der Wirklichkeit, sind bereits überall sichtbar."

 

Während Ferguson schon ein "kraftvolles Netzwerk" arbeiten sieht, "um in dieser Welt eine radikale Veränderung herbeizuführen", meint Capra:

  • "Im Augenblick agieren die meisten dieser Bewegungen noch getrennt voneinander und sind sich der wechselseitigen Beziehungen ihrer Zielsetzungen noch nicht bewusst geworden."

Capra will daher "ein zusammenhängendes Gedankengebäude" liefern, "das uns helfen soll, die Gemeinsamkeiten ihrer Endziele zu erkennen“.

 

Diese neue Sicht der Wirklichkeit

  • „umfasst das in Entstehung begriffene Systemverständnis von Leben, Geist, Bewusstsein und Evolution, die entsprechende ganzheitliche Auffassung von Gesundheit und Heilen, die Integration der abendländischen und der östlichen Auffassung von Psychologie und Psychotherapie, einen neuen Rahmen für Wirtschaftswissenschaft und Technologie sowie eine ökologische und feministische Perspektive, die ihrem tiefsten Wesen nach spiritueller Natur ist und die tiefgreifende Veränderungen unserer gesellschaftlichen und politischen Strukturen hervorrufen wird."

 

Diese neue, also ganzheitliche und ökologische Sicht der Wirklichkeit ist aber auch "den Anschauungen der Mystiker aller Zeitalter ähnlich".

Nach Ferguson ist Spiritualität Mystik; nach Capra ist die Systemschau spirituell. Da nun Spiritualität als Kennzeichen des New Age gilt, kann man alles, was die beiden bringen, "als "New Age" bezeichnen.

 

Paradox ist schliesslich, wenn Capra die "Selbstorganisation" preist, aber für erstaunlich viele Gebiete - sogar für Werbung - ganz altmodisch gesetzliche Vorschriften verlangt.

 

 

[Ergänzungen:]

Spätere Schriften von Fritjof Capra:

 

Fritjof Capra, David Steindl-Rast: Belonging to the Universe. Explorations on the Frontiers of Science and Spirituality. San Francisco, Calif.: Harper SanFrancisco 1991;
dt.: Wendezeit im Christentum. Perspektiven für eine aufgeklärte Theologie. Bern: Scherz 1991; München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1993.

The Web of Life. A New Scientific Understanding of Living Systems. New York: Doubleday, Anchor Books 1996;
mit dem Untertitel: A New Synthesis of Mind and Matter.
London: Harper Collins 1996; London: Flamingo 1997;
dt.: Lebensnetz. Ein neues Verständnis der lebendigen Welt. Bern: Scherz/ Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996; Taschenbuchausgabe München: Droemer Knaur 1999.

Franz-Theo Gottwald (Hrsg.): Die Capra-Synthese. Grundlegende Texte des führenden Interpreten ganzheitlichen Forschens und Denkens. München: Scherz 1998;
u. d. T.:  Synthese. Neue Bausteine für das Weltbild von morgen. Taschenbuchausgabe München: Droemer Knaur 2000.

Der wissende Kosmos. Die Entdeckung eines neuen Weltbildes. Freiburg i. Br.: Herder 2001, 2002.

The Hidden Connections. A Science for Sustainable Living. New York: Doubleday/ London: Harper Collins 2002; New York: Anchor Books 2004;
dt.: Verborgene Zusammenhänge.
Vernetzt Denken und Handeln – in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Bern: Scherz 2002.

 

http://www.fritjofcapra.net/

 



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