Woher kommt die moderne Esoterik? Eine kleine Kulturgeschichte
Alternativtitel: Aufklärung, Freimaurerei und Esoterik seit 1700
Die Freimaurer als Vermittler der "alten" EsoterikLiebäugeln mit östlicher Weisheit seit der Aufklärung
Esoterik-Welle seit dem Rokoko
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Es gibt drei ganz verschiedene Auffassungen von Esoterik:
1. Esoterik ist der Naturzustand des Menschen. Alle Menschen lebten bis zum Rationalismus (17. Jahrhundert) oder bis zur Aufklärung (18. Jahrhundert) "esoterisch". 2. Die Freimaurer greifen gerne auf die Unterscheidung der alten Griechen zurück: esoterisch = geheim, nur für die Eingeweihten, schwer verständlich, mit Innenwirkung; exoterisch = öffentlich, leicht verständlich, für die Wirkung nach aussen. Ähnliche Wörter sind "hermetisch" (dicht verschlossen, vieldeutig, dunkel), "arkan" (abgeschlossen, geheim), "okkult" (verborgen, geheim, dunkel) und "mystikos" (verborgen, geheim), im romanischen Sprachbereich auch "secret" (geheim, abgeschlossen). Der "Aberglaube" oder "Wunderglaube" dagegen ist öffentlich, weit verbreitet. 3. In kulturgeschichtlicher Sicht ist die moderne Esoterik eine Gegenreaktion zuerst auf die Aufklärung, dann auf die Industrialisierung und schliesslich auf die Automatisierung.
Zu letzterem einige Namen und Stichworte.
Inhalt Teil 1: Übersicht: Die Gegenaufklärung erfolgte in drei Wellen Aufklärung und Gegenaufklärung Die Esoterik verläuft in Wellen Von Frankreich nach Kalifornien Eine Gegenbewegung, die nicht aggressiv ist Teil 2: 1740-1850: Hermetische Strömungen in Rokoko und Romantik Abschnitt 1: 1740-1790: Der erste Esoterik-Schub Abschnitt 2: Hochgrade und Splittergruppen der Freimaurerei Aus der Schatztruhe gehoben? Einfluss der Alchemie auf die Freimaurerei Einfluss der Kabbala auf die Freimaurerei Swedenborgs Einfluss auf die Freimaurerei Von den „Elus Coëns“ zum Rektifizierten Schottischen Ritus Abschnitt 3: Andere Strömungen Viel kopierte Freimaurerei Sozialutopien Satanismus Interesse an Fernöstlichem Indien tritt ins Bewusstsein Teil 3: 1840-1950: Spiritismus und Spiritualität als Gegenbewegung gegen das Maschinenzeitalter Abschnitt 1: 1840-1890: Der zweite Esoterik-Schub Spekulationen von Naturwissenschaftern Von der Naturheilkunde zur Lebensreform Satanismus Die Legenden von Atlantis, Lemuria und Agharta Abschnitt 2: Die Freimaurer (1850-1950) Freimaurer und Okkultes oder Gnostisches Freimaurerische Schriftsteller und Esoteriker Abschnitt 3: Theosophie und Anthroposophie (1875-1930) Die Theosophie Die Frauen gewinnen Stimme Theosophische Schriftsteller Von der Theosophie zur Anthroposophie und Arkanschule Gnostische Kirchen Die Theosophische Gesellschaft als Inspirator der Modernen Kunst und des Naturismus Monté Verità Abschnitt 4: Östliche Praktiken gelangen in den Westen (1890-1940) Verbreitung indischer Weisheit Östliche Praktiken gelangen in den Westen Propagierung der Meditation Abschnitt 5: Neue Therapien für Körper und Seele (1880-1940) Positives Denken, Autosuggestion Energie- und Körpertherapien Aura Wilhelm Reich und die Folgen Abschnitt 6: Weitere Strömungen Unzählige religiöse Vereinigungen von 1800-1900 Populäre Figuren und Autoren der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts Channeling führt zur Sektenbildung Abschnitt 7: Was steckt hinter der Ideologie der Nazis? Teil 4: 1950-2000: Die Wiederentdeckung und Popularisierung der theosophischen Lehren Abschnitt 1: „Wendezeit“, „New Age“? Woher kommen die Begriffe „Wendezeit“ und „New Age“? 1950-1990: Der dritte Esoterik-Schub Abschnitt 2: Spiritueller Nachholbedarf Grosse Erzählungen Enthüllungen über die Freimaurer Die Freimaurerei verliert an Bedeutung Interesse an Mystik Interesse an Magie und Okkultismus Parapsychologie Erneute Propaganda für Meditation nach östlichem Vorbild „Schöpferische Intelligenz“ – „göttliches Licht“ Christliches Zen Schamanismus Indianer Hexenkult Satanisten Neue Sekten Abschnitt 3: New Age gegen die Automatisierung (1960-1990) „New Age“? Die Suche nach „Bewusstseinserweiterung“ und Fliessen in der kosmischen Evolution «Wassermann-Verschwörung», «aufsteigende Kultur» oder «Dritte Welle»? Abschnitt 4: New Age: Neue Therapien für Seele und Körper Psychotherapie und Humanistische Psychologie Huna-Meditation Das Esalen-Institute bei Big Sur „Veränderte Bewusstseinszustände“ Kulturgeschichtliches Kunterbunt Unbehagen führte zur "Ganzheitlichen Medizin» Alpha-Training Akupunktur und Naturheilkunde Abschnitt 5: New Age: Spiritualität und Drogen «Die Geburt eines Neuen Zeitalters» in Findhorn Spirituelle Gemeinschaften Drogen, Sekten und Psychokult überschwemmen Europa „Reise zum vergessenen Ganzen“ Matriarchale Spiritualität Populärliteratur des New Age Intellektuelle Verulkungen Abschnitt 6: New Age: Naturwissenschaften Physiker als Mystiker? „Neue Paradigmen“ in Physik, Chemie und Biologie: Evolution Wer hat die Forscher selber gefragt? Wissenschafter und östliche Weisheit Gehirnforschung Sterbeforschung Kommentare Abschnitt 7: New Age: Langsamer Abgesang seit 1980 Die sanfte Unterwanderung von Friedens-, Frauen- und Ökobewegung Die Kommerzialisierung der Esoterik Die 90er Jahre Die Gefährlichkeit von Sekten Bestseller Abschnitt 8: Wer trägt das Erbe der Esoterik heute?
Teil 1: Übersicht: Die Gegenaufklärung erfolgte in drei Wellen
Aufklärung und Gegenaufklärung
Die Aufklärung wurde wesentlich von der Freimaurerei getragen. Nach 1717 breitete sie sich rasch über die ganze Welt aus und war massgeblich an der "Encyclopédie" und an der Propagierung der Menschenrechte beteiligt. Condorcet (1787; als Freimaurer umstritten) und Theodor von Hippel (1792) ein enger Freund Kants, forderten als erste das Frauenstimmrecht.
Die meisten "Klassiker" - z. B. Lessing, Klopstock, Goethe, Herder, Fichte, Wieland, aber auch der Schotte Robert Burns, Edward Gibbon, Sir Walter Scott, Alexander Puschkin - und Romantiker (Friedrich Rückert, Friedrich Schlegel, Stendhal) waren Freimaurer. Wichtig war in Frankreich die Loge der Wissenschafter "Les Neuf Soeurs"(1776). Michael W. Fischer charakterisiert diese Zeit wie folgt: "Die Maurer kämpfen exoterisch gegen die tägliche Übel, erheben sich aber auch als Esoteriker über die Alltagsfront von Gut und Böse zugleich" (140).
Aber auch die Gegenbewegung der Aufklärung, die "Esoterik", verdankt den Freimaurern viel. Denn: Der ganze Menschen vereinigt beide Seiten in sich: das Rationale und das Irrationale.
Die Esoterik verläuft in Wellen
Betrachten wir das zweite Jahrtausend nach Christus etwas näher:
In der Hochblüte der Renaissance (1460-1550) kam die "alte" Esoterik - Alchemie und Astrologie, Hermetik und Kabbala, Neuplatonismus und Magie - zum letzten Mal zu einer Blüte. Zentral war die Platonische Akademie in Florenz. Einflussreiche Gestalten waren Nikolaus von Kues, Reuchlin, Agrippa und Paracelsus. Danach beginnt die "Mechanisierung des Weltbildes" (Dijksterhuis), was zu einem langsamen - aber immerhin bunt illustrierten - Verblassen der Esoterik führt. Immerhin kann man eine ganze Reihe neuer Ideen von 1580 bis 1620 finden: die Mystiker Valentin Veigel und Jakob Böhme, die Idee einer Gelehrtenrepublik bei Francis Bacon und Valentin Andreae sowie die Idee der Rosenkreuzer und Freimaurer.
Die Wiederbelebung der "alten" Esoterik verläuft in drei Schüben, beginnend jeweils um die Mitte des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Schlüsselfiguren waren jeweils ·
Swedenborg, die Freimaurerei (mit der Schlüsselgestalt
Martines de Pasqually) sowie die Gold- und Rosenkreuzer ·
Eliphas Lévi, die Theosophische Gesellschaft (mit der
Schlüsselgestalt Helena Petrovna Blavatsky) sowie der Golden
Dawn ·
Aldous Huxley, die Beatniks (mit Jack Kerouac) und das
Esalen-Institut
Von Frankreich nach Kalifornien
Bemerkenswert ist die geographische Verteilung. Die Esoterik der Renaissance blühte vor allem in Deutschland und Italien sowie ein bisschen in Frankreich. Im Barock verlagerte sich das Schwergewicht auf Deutschland (Weigel, Böhme, Andreae, Maier sowie der in Mähren geborene Comenius) und England (Starkey, Dee, Fludd, Digby, Ashmole).
Die erste Welle der modernen Esoterik (um 1740) wurde weitgehend von Frankreich und Deutschland getragen. Für die zweite Welle kamen England und die USA dazu. Die dritte Welle ging weitgehend von den USA aus, genauer noch: von Kalifornien - einer Gegend, die fast gleichzeitig der Welt den Personal Computer bescherte. Noch interessanter ist der Vormarsch der Frauen. Während die erste Welle eine reine Männerangelegenheit war, spielten in der zweiten Welle einzelne mutige Frauen (Organisatorinnen und Schriftstellerinnen) eine grosse Rolle. Die dritte Welle wurde bereits etwa zur Hälfte von Frauen getragen.
Eine Gegenbewegung, die nicht aggressiv ist
Man kann Esoterik als Gegenbewegung zu Rationalismus, Empirismus und Aufklärung (17. und 18. Jh.) fassen, als Auflehnung zu Materialismus, Industrialisierung und Maschinenwesen des 19. Jahrhunderts und als Auflehnung gegen Automatisierung, Wettbewerbswirtschaft und Konsum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch immer gilt: Die Esoterik ist nicht aggressiv, sondern versöhnlich. Im Unterschied zu anderen kulturellen Strömungen und Einrichtungen bot sie nie die Basis für Verfemung und Verfolgung, für Mord und Krieg. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Die "schwarze Magie" ist gefährlich. Dazu gehören Satanismus (heute z. B. Charles Manson, Heavy Metal), Voodoo, gewisse Sekten und Nachfolger von Aleister Crowley.
Teil 2: 1740-1850: Hermetische Strömungen in Rokoko und Romantik
Abschnitt 1: 1740-1790: Der erste Esoterik-Schub
Die bis heute anhaltende Welle von Erweckung und Erleuchtung einerseits, Esoterik und Okkultismus anderseits setzte etwa 1740 ein. Das ist, kulturgeschichtlich gesehen, die Blütezeit des Rokoko, literaturgeschichtlich die Zeit der "Empfindsamkeit".
Die wichtigsten Strömungen sind: · die "schwäbische christliche Theosophie" (Friedrich Christoph Oetinger, wirksam 1731- 1782; mit Wirkung auf Hegel, Hölderlin und Schelling, auf Goethe und Franz von Baader sowie auf die Dichter Kerner und Mörike) · das erste der vielen "Great Awakenings" in den USA und "Gnade durch Busskampf" in England (Methodisten ab 1738) · "Geisterseher" (Swedenborg 1745/1788) · Symbolik (bei den Freimaurern; bald entstehen die abenteuerlichsten Hochgradsysteme, ab 1773 Deutungen des Tarot) · die chassidischen Lehren und Legenden des osteuropäischen Judentums (mit der Kabbala als theoretischer Grundlage) · Magie (in der Nähe der Freimaurerei: der Graf von Saint Germain, der Kartenleser Etteilla und Cagliostro) · Magnetismus (ab 1770: der Freimaurer F. A. Mesmer, James Graham und der Marquis de Puységur 1784) · kommunistische Utopien (1733 Meslier; 1753: Abbé Morelly; 1796 Babeuf). · das zweite „Great Awakening“ in den USA (ab 1790) und die apokalyptische Geschichts- und Weltsicht von Johann Heinrich Jung-Stilling in seiner erwecklichen Zeitschrift „Der graue Mann“ (1795-1816)
Abschnitt 2: Hochgrade und Splittergruppen der Freimaurerei
Als Kontrast zum offenbar heiteren Klubleben der frühen Feimaurer entstanden seit 1740 eine ganze Reihe von Hochgraden, allgemeiner Systeme, auch Lehrarten (und frz. Régime), Gebrauchtümer resp. Riten genannt. Dabei kann man vier Haupttypen unterscheiden · die englische Ritualgruppe, welche auf den alten Handwerkstraditionen basiert · die sogenannten "schottischen" Lehrarten, die in Frankreich entstanden sind und mit Schottland nichts zu tun haben, sondern auf der Templerlegende basieren · die ägyptischen Rituale, welche ebenfalls in Frankreich entstanden und sich der antiken Initiationsmysterien bedienen und schliesslich · die in Deutschland entstandenen Gold- und Rosenkreuzer, welche auf die Rosenkreuzer-Legende zurückgreifen. Die englischen und schottischen Lehrarten kann man als eher nüchtern oder humanitär oder christlich, die ägyptischen und rosenkreuzerischen als eher hermetisch, okkultistisch und esoterisch bezeichnen.
Aus der Schatztruhe gehoben?
Über die Rituale bestehen zwei kontroverse Meinungen. Die eine behauptet, die ursprünglichen Rituale bei der Gründung der ersten Grossloge in England 1717 seien äusserst karg und einfach gewesen. Erst eine Generation später, in den 1740er Jahren sei das Bedürfnis nach Vergeistigung, d. h. Mystizismus und Illuminierung (Naudon, 75) aufgekommen. Ja noch extremer: Der "Bourgeois Gentilhomme" habe seine Minderwertigkeitskomplexe abreagieren müssen. Er wollte mehr scheinen als sein, und sei daher gradschöpferisch tätig geworden (Lennhoff/ Posner, Sp. 1320). Die andere Behauptung lautet: Die Hochgrade seien nicht später erfunden worden, sondern stammten aus einem "umfangreichen Schatz aus Legende, Tradition und Symbolik", dem die Grossloge im Jahre 1717 nur einen gewissen Teil entnommen habe (Beigent/ Leigh, 287f, nach J. E. S. Tuckett 1919; auch Ligou, 1035f; streng dagegen Knoop/ Jones, 291f, jedoch 304).
Einfluss der Alchemie auf die Freimaurerei
Lennhoff/ Posner meinen, dass schon sehr früh, im Zeitalter der Entstehung der ersten englischen Grossloge, alchemistische Einflüsse noch stark wirksam waren (Sp. 40). Mit der Hochgrad-Legende von den drei goldenen Schalen mit den Buchstaben I, G und O "wurde eine entscheidende Wendung eines Teils der damaligen Freimaurerei in der Richtung zum Okkultismus, zum alchemistischen Mysterienbund angebahnt (vgl. auch Sp. 1401). Die Alchemie spielte u. a. auch im theosophischen Hochgradsystem der Elus Coëns eine grosse Rolle, dann bei den Gold- und Rosenkreuzern sowie auch in dem von Saint Martin ins Leben gerufenen 'Rite rectifié' (1778). Im freimaurerischen Ritual und in der Symbolik sind alchimistische Elemente auch heute nachweisbar ... Sehr bezeichnend ist, dass gerade zur Zeit der Aufklärung in Deutschland und Österreich grosse Freimaurergruppen sich ernsthaft mit praktischer Alchemie beschäftigten" (Sp. 40-41).
Einfluss der Kabbala auf die Freimaurerei
Im Freimaurer-Dictionnaire von Daniel Ligou heisst es: "Seit 1760 bezogen sich alle maurerischen Hochgrade mehr oder weniger auf die theoretische oder praktische Kabbala. Ferner ist zu bemerken, dass die Aufnahme der Kabbala in die Gesamtheit der okkulten Wissenschaften zur Auffassung geführt hat, wer kabbalistisches Wissen habe verfüge über besondere Macht. Viele Scharlatane und Abenteurer haben sich diese Idee zunutze gemacht und eine gläubige Anhängerschaft aus den Reihen der Freimaurer gewonnen, vor allem in Deutschland des 18. Jahrhunderts." Lennhoff/ Posner setzen noch früher an, wenn sie schreiben: "Vor der Einführung der Hochgrade existierten bereits kabbalistische Auslegungen der Symbole, suchte man in manchen Logen nach dem 'Stein der Weisen', sah man in der Säule J den Schöpfer des Talmud, in der Säule B den Sekretär Salomos, ... unterlegte man dem 'Flammenden Stern' und dem 'Siegel Salomonis' besondere Bedeutung ..." (Sp. 1147). Auch Lennhoff/ Posner sprechen von "Schwindlern und Abenteurern", wie Cagliostro, St. Germain, Schrepfer, Gugomos, welche in dieser Zeit grosse Erfolge erzielen konnten (Sp. 1149); dazu gehören auch " die grossen Hochstapler" Cagliostro und Rosa (Sp. 41).
Swedenborgs Einfluss auf die Freimaurerei
Es ist naheliegend, dass auch die Ideen Swedenborgs in die Freimaurerei eingedrungen sind. Lennhoff/ Posner schreiben: "Bei den vielfach bestehenden mystischen Neigungen innerhalb der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts war es selbstverständlich, dass dieser Mystiker auf die Entwicklung mancher Systeme Einfluss gewinnen musste." Insbesondere zwei Schüler Swedenborgs, die Freimaurer Benedict Chastenier und Dom Pernetty, gründeten hermetische Systeme, ersterer die "Illuminés Théosophiques" (1766), letzterer den "Rite hermétique" (1766) und die "Illuminés d'Avignon" (1783). Lennhoff/ Posner meinen dazu: "Die mit dem Namen Swedenborg in Verbindung gebrachten Verirrungen der Freimaurerei haben somit mit seiner Person selbst nichts zu tun. Sie gehören ... zum Requisit von innerlich gespalteten Persönlichkeiten, die aus der harten Realität des Daseins in ein Traumland ihrer Wünsche flüchten" (Sp. 1539).
Immerhin hat der dänische Freimaurer C. N. Starcke (gest. 1926) festgehalten, dass "viele Vorstellungen, die in Swedenborgs himmlischer Arkana, in seiner Auslegung der Apokalypse und in seiner Darstellung des Neuen Jerusalem enthalten sind, in den schwedischen Hochgraden wiederkehren". Damit nicht genug. Der Freimaurer Court de Gébelin - der erste Deuter des Tarot - gründete 1773 den "Götlichen Orden der Philaleten", der sich mit Alchemie und den Visionen Swedenborgs befasste. Marquis de Thomé schliesslich gründete 1783 in Paris den Swedenborg-Ritus.
Von den "Elus Coëns" zum Rektifizierten Schottischen Ritus
Paul Naudon ergänzt: "Der Einfluss Swedenborgs auf die Freimaurerei ging vor allem über die Person von Martines de Pasqually, der in vieler Hinsicht sein Schüler genannt werden kann." Dieser Freimaurer organisierte einen "mysteriösen" Kult im Ritus der "Elus Coëns" (ab 1750). "Die Elus Coëns", bemerken Lennhoff/Posner, "waren unter der Maske der Freimaurerei Ausläufer der langen Kette geheimer Gesellschaften, deren Mitglieder glaubten, durch magische Übungen mit dem Göttlichen in Verbindung treten zu können, um dadurch der Unsterblichkeit teilhaftig zu werden." "Nach dem Tode Pasquallys (1774) bildeten sich zwei eigenständige Nachfolgen heraus. Der Mystiker Willermoz (Freimaurer) wollte mit seinen Professen und Grossprofessen die Ideen Pasquallys in die traditionelle Freimaurerei einbringen, während der Marquis de Saint-Martin (Freimaurer) sowohl die magischen und kultischen Elemente der Coëns verwarf, wie auch die herkömmlichen freimaurerischen Zeremonien."
Lennhoff/ Posner berichten weiter (Sp. 1709): 1776 entstand unter der Leitung von Willermoz ein 'schottisches Direktorium' der Strikten Observanz (deren Gründer, der deutsche Freiherr von Hund, 1776 starb). 1778 führt er auf dem von ihm organisierten Konvent von Lyon der französischen Abteilungen der Strikten Observanz die 'martinistischen' Ideen zum Siege und hatte den Hauptanteil an der Schaffung des (heute noch, z. B in der Schweiz, praktizierten) 'Rektifizierten Schottischen Systems' der 'Wohltätigen Ritter der heiligen Stadt'. "Nicht mehr die Wiederherstellung des Tempelherrenordens sollte jetzt das Ziel der Freimaurerei sein, sondern mehr oder weniger Hingabe an die Mystik. Vier Jahre später triumphierte Willermoz dann auf dem Konvent von Wilhelmsbad, der der Strikten Observanz den Todesstoss versetzte und das Lyoner System im grossen und ganzen annahm."
Johann August Starck, der Mitbegründer der "Strikten Observanz" schrieb 1769 in Petersburg eine rosenkreuzerische Lehrschrift von Frederico Gualdo "Philosophia hermetica" (vor 1700 entstanden) ab (Karl R. H. Frick: Die Erleuchteten, 275-285).
Das Ritual des AASR (1801) sei gestopft voll mit Hermetismen, insbesondere Alchemie und Kabbala, meint Alec Mellor (1967) und bezieht sich dabei auf den "Catéchisme" des Barons von Tschoudy (1766) und Oswald Wirths "Symbolisme hermétique" (1909).
Der freimaurerische Schriftsteller Jean-Baptiste Marie Ragon, der 1816 in Paris die Loge "Les Trinosophes" gründete, schreib bereits eine Studie "L'Orthodoxie maçonnique suivie de la Maçonnerie occulte et de l'initiation hermétique" (1926 neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Oswald Wirth). Ragon arbeitete 1818/19 auch an der Zeitschrift "Hermès, ou Archives maçonniques" mit.
Die wichtigen Schriften von René Le Forestier zu diesem Thema aus dem Jahre 1928 wurden 1970 von Antoine Faivre und Alec Mellor in einem Band (mit über 1100 Seiten) herausgegeben; die deutsche Übersetzung davon erschien in vier Bänden unter dem Titel: "Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und 19. Jahrhundert" 1987-92.
Abschnitt 3: Andere Strömungen
Viel kopierte Freimaurereisiehe auch: Ganzheit – thematische Annäherungen; 2a und 2b
Von der Wirkkraft der Freimaurerei zeugt die Tatsache, dass ihre Rituale resp. Lehren 200 Jahre lang dauernd geplündert oder missbraucht wurden, z. B. neben anderswo genannten: · von der französischen Compagnonnage · von den Fraternities an amerikanischen Universitäten · von den amerikanischen "fraternal societies" wie Foresters, Mechanics, Red Men, Buffaloes, Pythias, Grange, Elks, Tammany, Maccabees, Moose, Woodmen, Eagles · von den Odd Fellows (1745/1803) · von den Druiden (1781) · von den Carbonari (um 1820) · von den Mormonen (1827/30) · von den Guttemplern (um 1840/1852) · von den B'nai B'rith (1843) · von der Schlaraffia (1859) · von zahlreichen Theosophen (1875) unterschiedlichster Art bis zu Rudolf Steiner (1913) · von den als katholischer Gegenorden aufgebauten Knights of Columbus (1882) · von den Martinisten (1884 Guaita - kein Freimaurer; Papus - kein Freimaurer) · von den unterschiedlichsten Rosenkreuzergruppen (1888) · von den verschiedenen Gralsbewegungen (1893) · und schliesslich den zahlreichen Templerorden (1895; O. T. O.).
Sozialutopien
Die politischen Richtungen Liberalismus und Konservatismus kann man auf Splittergruppen der Freimaurerei zurückführen: ersteren auf die radikal-aufklärerischen Illuminaten (1776-1787), letzteren auf die irrational-schwärmerischen Gold- und Rosenkreuzer (1757-1793). Bald entstanden zahlreiche Sozialutopien (St. Simon, Owen, Fourier). Auch hier waren manche Freimaurer aktiv, z. B. der Anwalt des "dritten Standes", Abbé Sièyes, der Erfinder der Produktiv-Genossenschaften oder "sozialen Werkstätten" Louis Blanc sowie die Sozialisten Saint Simon, Pierre Leroux ("De l'humanité" 1840) und Pierre Joseph Proudhon ("Eigentum ist Diebstahl" 1841) und schliesslich der kommunistische Utopist Etienne Cabet (Voyage en Icarie" 1842). Leroux ist einer der ersten, der das Wort "ésotérisme" verwendet, und zwar im zweiten Band seines Werkes " De l'Humanité" (1840).
Satanismus
Als Begründer des modernen Satanismus kann man (siehe Karl R. H. Frick: Die Satanisten, Band 2, 1985, 130-140) den Marquis de Sade mit seinen Romanen "Justine" (1791), "Aline et Valcour" (1795) und "Histoire de Juliette" (1797) betrachten. Allerdings war dieser Satanismus rein literarisch, wie auch in einzelnen Büchern von Choderlos de Laclos, Stendahl und Balzac.
Interesse an Fernöstlichem
Seit 1660 waren fernöstliche Länder, Sitten und Lehren durch Berichte von Missionaren und Abenteurern im Westen bekannt geworden. Freilich nur in gelehrten Kreisen.
Um 1700 versuchte Leibniz, einen Kulturaustausch zwischen China und Europa in Gang zu bringen. Er kannte bereits das "I Ging", und betrachtete die Lehre des Konfuzius als "natürliche Theologie" im Gegensatz zur bloss "geoffenbarten" christlichen Moral. Die Aufklärungsphilosophen Christan Wolff, Denis Diderot und Voltaire studierten die chinesischen Philosophie. Wolff richtete in Halle ein „collegium orientale“ ein; Voltaire sah in Konfuzius einen Vorläufer eines grossen Teils seiner eigenen Ideen.
Genauere Kunde über China gelangte mit dem Interesse für chinesische Gartenbaukunst, Porzellan und Ähnliches - «Chinoiserien» - nach Europa.
Indien tritt ins Bewusstsein
Die indische Kultur wurde in Europa erst etwas später, hauptsächlich durch die britischen Kolonisatoren, bekannt. 1785 wurde die "Bhagavad Gita" erstmals ins Englische übersetzt. 1801/2 erschien die lateinische Übersetzung der "Upanischaden". Sie übte einen tiefen Einfluss auf Schopenhauer aus. Er sah in den Upanischaden die Freude seines Lebens und den Trost seines Sterbens (1851). Im Kreis der Romantiker (z. B. um Friedrich Schlegel) entstand die Indologie. Herder, Goethe und Schelling studierten neben der chinesischen auch die indische Philosophie.
Teil 3: 1840-1950: Spiritismus und Spiritualität als Gegenbewegung gegen das Maschinenzeitalter
Abschnitt 1: 1840-1890: Der zweite Esoterik-Schub
Um 1850 - mitten im Industrialismus, vermutlich als Reaktion auf die zunehmende Technisierung, und zur selben Zeit wie der Marxismus - entstanden zahlreiche neue Strömungen wie: · Hellsehen und Heilen: Der amerikanische Mystiker Andrew Jackson Davis wanderte 1844 40 Meilen in Trance, worauf er eine Heilpraxis eröffnete. (Er erhielt den Übernamen: "Der Seher von Poughkeepsie".) Seine Visionen wurden von seinen Mitarbeitern aufgezeichnet ("Principles of Natur" 1847). In der Folge wurde er zu einer Leitfigur des Spiritismus; andere amerikanische „Seher“ waren Thomas Lake Harris und Daniel Douglas Home. · Spiritismus (seit dem Spuk von 1847 im Hause des amerikanischen Farmers John Fox), der von den USA rasch auf Europa übergriff und von Hippolyte Rivail, einem Schüler Pestalozzis, aufgegriffen wurde; er verfasste unter dem Pseudonym Allan Kardec das «Livre des Esprits» (1857) und das «Livre des Médiums» (1861) · die vom Geistheiler P. P. Quimby (um 1840) inspirierte Christian Science (1875: Mary Baker-Eddy) · ein anderer Geistheiler und Esoteriker, Walter Felt Evans, schrieb 1864 ein Buch über «The New Age and its Messenger», wobei er auf Swedenborg und die Vision des «Neuen Jerusalem» Bezug nahm; (vgl. Jes. 65, 17; Offenb. 21, 1f), ferner 1869 "The mental-cure" · der Grazer Musiklehrer Jakob Lorber, der seit 1840 seine Jenseitsoffenbarungen verkündete und ein zehnbändiges «Evangelium Johannis» verfasste (ihm folgte 1924 die Neusalems-Gesellschaft) · der sexualmagische Marienkult von Pierre Michel Vintras (um 1850), die schwarzen (und sexualmagischen) Messen von Joseph-Antoine Boullan, die "Re-Theurgistischen Optimanten" des Harvard-Professors und Dichters H. W. Longfellow (1855) und die "Agapemoniten" von H. J. Prince (ab 1850) · die Erforscher «primitiver» Kulturen (L. H. Morgan, Henry Maine, Adolf Bastian, E. B. Taylor, John Lubbock) · die Verfasser utopischer Entwürfe: Emile Souvestre (1846), Samuel Butler ("Erewhon" 1872), Kurd Lasswitz (1878), Edward Bellamy (1888), William Morris (1888/91), Theodor Hertzka ("Freiland" 1890) und H. G. Wells (1895/1905); die Frauenrechtlerin Bertha von Suttner schrieb über das "Maschinenzeitalter" (1889). Margaret B. Peeke beschrieb in ihrem Buch "Zenia the Vestal" 1893 in utopischer Form die Wiederbelebung des Illuminatenordens aus dem 18. Jahrhundert · die eher naturwissenschaftlich ausgerichteten Science-Fiction Autoren Jules Verne (1863) und William Scott-Elliot; den ersten Androiden skizzierte Villiers de l'Isle Adam in seinem Roman "L'Eve nouvelle" (1879)" · die vielen vom Okkultisten (und kurzzeitigen Freimaurer - 5 Monate!) Eliphas Lévi inspirierten Gesellschaften und Orden (er selber stand unter dem Einfluss von Ragon und Hoene-Wronski und soll der "Bruderschaft des Lichts" angehört haben) · die vom Schriftsteller (und Freimaurer) Edward Bulwer-Lytton geleiteten Rosenkreuzer-Gesellschaften und seine okkulten Romane ("Zanoni" 1842) · die Geheimsekten, welche der Sexualmagier, Sterbeforscher und Drögeler Paschal Beverly Randolph (um 1860) gründete, sowie seine vielen Schriften; er führte tantristische Riten in die USA ein und lieferte die Grundidee zu den verschiedenen Heiligungsdiensten der späteren Rosenkreuzer · Eduard SelIons pornographische Schriften zirkulierten nur privat · Im Verein mit den Vorstellungen von Schopenhauer, Treviranus (1822), C. G. Carus (1846) und Eduard von Hartmann (1869) wurde das «Unbewusste» - lange vor Freud - in den 70er und 80er Jahren zum Modethema.
Ende des 19. Jahrhunderts brachten brasilianische Studenten aus reichem Haus, die in Paris die Schriften von Alan Kardec kennen gelernt hatten, dessen spirituellen Ideen nach Hause. Sie entfachten eine mächtige religiöse Bewegung unter dem Namen Kardecismus, die heute mehrere Millionen Anhänger hat. Brasilien ist heute das grösste "spiritistische" Land auf der Welt.
Spekulationen von Naturwissenschaftern
Wichtig sind auch die Spekulationen des angesehenen Physikers und Begründers der experimentellen Psychologie, Gustav Theodor Fechner, etwa über Schlafen und Wachen im Hinblick auf das Leben vor und nach Geburt und Tod (1836), über das «Seelenleben der Pflanzen» (1848) und über die Welt als Stufenordnung des Bewusstseins. Er meinte, die «Erde» sei ein lebendiger Zusammenhang mit einem Nervensystem, in dem die Einheit aller Menschenhirne ihr Gehirn bildet (Peter Russell verkündete 1982 in seinem Buch "The global brain" dieselbe These). Ähnlich umstritten sind die Forschungen des Chemikers und Industriellen Karl Freiherr von Reichenbach über Magnetismus, sensitive Menschen und Pflanzen sowie die «Lebenskraft Od» (um 1850). Die Untersuchungen von Fechner, von Reichenbach und von Hartmann gaben auch Anstoss zu mathematischen und physikalischen Theorien, z. B. Bernhard Riemanns "vierdimensionalen Raum" (1854) und die Äthertheorien (William Crookes, J. K. Friedrich Zöllner, Oliver Lodge).
Von der Naturheilkunde zur Lebensreform
Die aus der Wassertherapie herausgewachsene Naturheilkunde vermischte sich zuerst bei Johannes Schroth (um 1840) mit religiös begründeten heroischen Hunger- und Durstkuren, dann mit der vegetarischen Diät ( z. B. bei Theodor Hahn 1852) und schliesslich mit der sogenannten Lebensreform. Letztere wurde 1867 vom Prediger Eduard Baltzer in seiner Schrift "Die natürliche Lebensweise" vorgestellt. Angestrebt wurde eine Reform des ganzen Lebens, die sich auch auf Gesellschaft ("Mässigkeit und Einfachheit im gesamten Lebensstil"), Wirtschaft ("Gartenbau" statt Tierhaltung: keine Vivisektion, gegen den Kapitalismus) und Politik (Ausbau der Schulen, Abschaffung der Armee) ausdehnt. Der Schweizer Färbereibesitzer Arnold Rikli wurde zur selben Zeit zum Apostel der Licht- und Luftbehandlung. Er erfand das "Sonnenbad" (1855), das Dampfbad und die "Lufthütte", Gymnastik und das Bergwandern. Er kämpfte gegen die Verweichlichung und meinte: "Der ächte Vegetarier ist der höhere Culturmensch!" Einer von Riklis Nachfolgern, Adolf Just, wurde berühmt mit seinem Aufruf "Kehrt zur Natur zurück!" (1896). Für ihn ist die Stimme der Natur zugleich die Stimme Gottes. Er schimpfte auf Automobile und Luftschiffe, Technik und Wissenschaft. Er verwarf Chirurgie und "giftige" Medizinen, aber auch Dampfbäder und Heilgymnastik.
Die Kleiderreform verlief auf zwei Gleisen: Kampf gegen das Korsett und Verwendung von luftdurchlässigen Materialien wie Wolle, Baumwolle oder Bauernleinen. Die Nacktkultur wurde kurz vor 1890 durch die Maler Karl Wilhelm Diefenbach und Fidus eingeläutet (vgl. Giselher Spitzer: Der deutsche Naturismus.1983).
Praktische Erfahrungen mit der Lebensreform sammelte man in der seit 1893 aufgebauten "Obstbaukolonie Eden" in Oranienburg, die nach zwanzig Jahren über 400 Siedlerhäuser umfasste, und seit 1900 in der Naturheilanstalt und Siedlung auf dem Monte Verità bei Ascona. Hier hatten Ida Hofmann, Klavierlehrerin und Feministin, der Industriellensohn Henri Ödenkoven und die Brüder Karl und Arthur Gräser eine auf vegetarischer Ernährung basierende Kooperative gegründet, die auch Kleiderreform, freie Ehe und Nacktkultur praktizierte. Die vier hatten sich zuvor in einer österreichischen naturistischen Kuranstalt getroffen und suchten nun einen schönen Ort mit geeignetem Klima. Sie wurden in Ascona fündig und von der regionalen Prominenz unterstützt. Eine grosse Anzahl wohlhabender Familien aus der Region gehörten der Tessiner Theosophischen Gesellschaft an. Sogar der Polizeichef von Locarno verteidigte die entstehende Gemeinde gegenüber der Kirche und der Regierung in Bern, die wegen der Ankunft dieser "Anarchisten" besorgt war. In den 20er Jahren erwarb der deutsche Kunstsammler Baron Eduard von der Heydt die Kolonie und machte daraus eine Stätte für die Kunst. Längere Zeit verweilten hier u. a. die Zürcher Dadaisten Hans Richter und Hans Arp, der Maler Paul Klee sowie die Schriftsteller James Joyce und Rainer Maria Rilke. Nach dem Tod von der Heydts im Jahre 1964 ging das gesamte Anwesen in das Eigentum des Kantons Tessin über. Seit 1989 ist es ein Seminarzentrum, das auch mehrere Museen beherbergt.
Der Medizinhistoriker Karl E. Rothschuh berichtet recht anschaulich über diese Bestrebungen ("Naturheilbewegung, Reformbewegung, Alternativbewegung" 1983), beschränkt sich allerdings auf Deutschland. Dabei gab es etwa in den USA ähnliche "bürgerliche Fluchtbewegungen", etwa bei Henri David Thoreau, der den "bürgerlichen Ungehorsam" (1849) predigte, sich für zwei Jahre in die Wälder zurückzog ("Walden" 1854; dt. 1897) und sich dort dem Buddhismus widmete. Thomas L. Nichols, ein Pionier der Wasserkur (1850) und der Naturheilkunde (1875). veröffentlichte 1853 den Bestseller "Esoteric Anthropology" (14. Auflage 1916; Reprint 1972). Der Titel kommt nicht von ungefähr. Mit seiner Frau war Nichols ein Verfechter der Emanzipation, der freien Liebe und der Spiritualität. Zusammen mit seinem nächsten Buch ("Marriage" 1854) löste er eine ganze Volksbewegung aus. "Dr. Nichols now found himself accepted as the prophet of a new age", heisst es in einer Geschichte der freien Liebe.
Satanismus
In seinen "Fleurs du Mal" (1857) veröffentlichte der Dichter Baudelaire "Litaneien des Satans". Er soll einer Gruppe von Satanisten nahe gestanden haben, die sich Mitte der 40er Jahre in Paris etabliert hatte und angeblich auch Satansmessen abhielt (Karl R. H. Frick: Die Satanisten, Band 2, 1985, 140-150). Sie dürfte mit dem "Club des Haschischins" identisch sein. Hier wurde mit Rauschmitteln und Aphrodisiaka munter experimentiert. Zu den berühmten Gästen dieses Klubs gehörten u. a. Victor Hugo, Balzac. Gerard de Nerval.
Praktiziert wurde der Satanismus vom christlich motivierten Magier Pierre-Michel Vintras (um 1850) und vom katholischen Priester Joseph-Antoine Boullan. Karl R. H. Frick berichtet (166), dass im Januar 1860 durch ein Indiskretion die magisch-sexuellen Riten während der Messe in der Öffentlichkeit bekannt wurden. "Man erfuhr, dass Adèle Chevalier als Priesterin nackt während der Messe auf dem Altar lag, während die 'Gläubigen', ebenfalls nackt, sich um den Altar versammelten. Höhepunkt der Zeremonie war die 'Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips', die 'symbolisch' durch den Koitus von Boullan und der Chevalier vollzogen wurde." Später kann es vermutlich zu einer rituellen Kindstötung, und die beiden mussten für drei Jahre ins Gefängnis. Doch auch nachher konnte Boullan die Vermittlung "astraler" Sexualität nicht lassen. Joris-Karl Huysmans berichtete darüber in seinem Roman "Là-bas" (1891; dt. 1903).
Boullan vermischte seit 1875 seine Lehre mit derjenigen von Vintras. Der junge Okkultist Oswald Wirth war von 1880-86 Mitglied in Boullans Geheimgesellschaft "Karmel". Angewidert strebte er nach seinem Austritt - zusammen mit seinem Lehrmeister, dem Okkultisten Stanislas de Guaïta - einen "magischen" Prozess gegen Boullan an. Guaïta war schon als junger Bohémien in Kontakt mit der Kabbala gekommen. Er gründete u. a. 1884 einen Rosenkreuzerzirkel und publizierte seit 1890 drei zunehmend dicker werdende Bände "Sciences Maudites". 1983 kam es sogar zu einem Duell zwischen dem Journalisten Jules Bois (als Anhänger Boullans) und einem Freund von Guaïta, dem Arzt und Okkultisten Gérard Encausse, bekannt unter dem Namen Papus. Auf über 70 Seiten berichtet Karl R. H. Frick über die Ereignisse dieser Zeit (155-228).
Weitere Erfahrungen mit Drogen
Thomas de Quincey hatte die erste Fassung seiner "Bekenntnisse eines englischen Opium-Essers" bereits 1821 veröffentlicht, sein Übersetzer Charles Baudelaire 1860 zwei Studien über "Les Paradis artificiels". Der Peyote-Kult tauchte schon vor der Jahrhundertwende im südlichen Texas auf, "Ghost Dance" 1889. Der Satanist Aleister Crowley richtete um 1920 in Sizilien die Abtei Thelema ("Tu was du willst") ein und organisierte "heilige Orgien" mit Drogen (neuerdings dazu Michael D. Eschner).
Weiteres Interesse an Indien und China
Marilyn Ferguson windet den Transzendentalisten in Neu-England (1828-1882) ein Kränzchen als Vorkämpfer des New Age-Denkens. Diese verwerteten den Deutschen Idealismus so gut wie östliche Lehren. Sie interessierten sich u. a. für Zen, andere Arten des Buddhismus und den Hinduismus. Sie strebten durch eine Art Mystik empor zum höheren Menschen; ihre spirituelle Erneuerung wurde fast zur Volksbewegung.
Richard Wagner und Albert Schweizer waren ebenfalls vom Buddhismus beeindruckt. Die grundlegende Übersetzung des "Tao Te King" stammt von Stanislas Julien (1842). Die moderne Übersetzung des „I Ging“ wurde in zehnjähriger Arbeit von Richard Wilhelm (1923) vollendet.
Auf Initiative und unter Leitung des deutschen Sprach- und Religionswissenschafters Max Müller brachte der Verlag seiner Universität, die Oxford University Press, von 1879-1900 nicht weniger als 48 „Sacred Books of the East“ in englischer Übersetzung heraus.
Die Legenden von Atlantis, Lemuria und Agharta
Das untergegangene Atlantis war sein 1850 wieder ein Thema geworden. Doch erst der amerikanische Jurist und Kongressabgeordnete Ignatius Donnelly begründete 1882 die Legende von "Atlantis, die vorsintflutliche Welt" (Neuauflage 1970; dt. 1911). Es gelang ihm sogar, den englischen Premierminister Gladstone von dessen Existenz zu überzeugen. Helena P. Blavatsky griff die Idee begierig auf, und der Theosoph William Scott-Elliot weitete 1896 die "Story of Atlantis" (Reprint 1977; dt. 1978) weiter aus. Rudolf Steiner schöpfte daraus. In den 20er Jahren schrieb der schottische Okkultist Lewis Spence vier Bücher über Atlantis. Auch der Zukunftsautor Hans Dominik widmete sich diesem Thema (1925). In den 50er Jahren wurde das Thema erneut Mode. Die Hypothese von Lemuria stammt vom englischen Zoologen Philip Sclater, die These vom verlorenen Kontinent MU von Colonel James Churchward (1870). Eines der ersten Bücher über Lemuria war von Phylos: "A Dweller on Two Plantes" (1899).
Eine analoge Legende wurde von Blavatsky (um 1880) erfunden: Das Reich Agharta unter dem Himalaja und unter der Wüste Gobi, mit der Hauptstadt Sambhala oder Schamballa. Es wurde zuerst (um 1880) beschrieben von J. A. Saint-Yves d'Alveydre und dann von Karl Haushofer (dem Gründer der tibetisch geprägten Thule-Gesellschaft). Spätere Beschreibungen stammen von René Guénon in seinem Werk "Der König der Welt" (frz. 1927; dt. 1956) und von Nicolas Roerich in "Heart of Asia - Shambala" (1930). Auch das Lectorium Rosicrucianum fühlt sich eng mit dieser Stadt verbunden, wie das Buch von Jan van Rijkenborgh zeigt: "Die Brüderschaft von Shamballa" (1950). Von Edwin Bernbaum erschien "Der Weg nach Shambhala" 1988 im Bauer-Verlag.
1933 beschrieb der englische Schriftsteller James Hilton in seinem Roman "Lost Horizon" das vergessene Land Shangri-La im Himalaja. Der Regisseur Frank Capra verfilmte die Geschichte 1937. Zwei Jahre später veröffentlichte Peter Kelder seine "Sieben Tibeter".
Abschnitt 2: Die Freimaurer (1850-1950)
Freimaurer und Okkultes oder Gnostisches
Eher selten taten Freimaurer, die
Okkultes oder Gnostisches anstrebten, eigene Zirkel auf, oder John Yarker, der mit der SRIA und Helena Blavatsky verbunden war und um 1900 den Swedenborg-Ritus begründete.
siehe auch: Freimaurerische Ordensgründer und Theosophen
Die Mitglieder der SRIA beschäftigten sich mit dem Studium von christlicher, rosenkreuzerischer Kabbala, Astrologie, Alchemie, Theosophie, Talismanen und mystischen Zeichen. Der dubiose Freimaurer und Ordensgründer Theodor Reuss wollte die SRIA 1902 nach Deutschland verpflanzen, ohne Erfolg. Später soll er die "Hermetische Bruderschaft des Lichts" (1906) gegründet haben.
Der "Hermetische Orden von der Goldenen Dämmerung" nahm auch Frauen auf und wurde zu einer der einflussreichsten Strömungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele Mitglieder taten sich als populäre Autoren hervor, z. B. der für seine Deutungen des Tarot bekannte Arthur E. Waite (auch Freimaurer und SRIA; seit 1886), ferner Bram Stoker ("Dracula" 1886), Wynn Westcott selber (1887), Arthur Machen (1890), J. W. Brodie-Innes (1892), Algernon Blackwood (1907), Gustav Meyrink ( auch Theosoph und Freimaurer; 1916), der Nobelpreisträger W. B. Yeats (Das Drama "Gräfin Kathleen" 1892), die bekannte Okkultistin Dion Fortune (1927) und Francis Israel Regardie.
Freimaurerische Schriftsteller und Esoteriker
Vielgelesene freimaurerische Schriftsteller waren der Chemiker und Naturphilosoph Wilhelm Ostwald (1901), Albert Lantoine (1889), Leopold Sacher-Masoch, Lewis Wallace, Mark Twain, Sir Arthur Conan Doyle, Charles Dickens, Joseph Rudyard Kipling, Oscar Wilde, Felix Salten, Ernst Toller (1919), Franz Carl Endres (1920), Kurt Tucholsky, die Nobelpreisträger Giosuè Carducci (1906), Carl von Ossietzky und Salvatore Quasimodo (1930), Theodor Vogel (1931), der Mythenforscher Karoly Kerényi ("Mythologie und Gnosis" 1942) und Max Tau.
Der Freimaurer und Theosoph Franz Hartmann schrieb 1895 "Geheimlehre in der christlichen Religion nach den Erklärungen von Meister Eckhart", 1898 "Geheimschulen der Magie und 'okkulten Übungen'" sowie 1899-1900 zwei Bände "Populäre Vorträge über Geheimwissenschaft". Ebenfalls 1899 gab er eine Kurzfassung von Helena Blavatskys Hauptwerk auf Deutsch heraus ("Grundriss der Geheimlehre").
Grosse Verdienste um die Esoterik der Freimaurerei erwarb sich Oswald Wirth (geb. 1860 in Brienz; gest. 1943), welcher u. a. die Zeitschrift "Le Symbolisme" (bis 1972) gründete. Einflussreich wurde sein Buch "Le symbolisme hermétique dans ses rapports avec l'Alchimie et la Franc-Maçonnerie" (1909; 2. ed. 1931). Von Wirth stammt auch eine Interpretation des Tarot: "Le tarot des imagiers du Moyen Age", 1927 Doch seinem "Symbolisme occulte de la Franc-Maçonnerie " (1928) stehe "die geschlossene Mehrheit der Freimaurerei" fern, meint das Lexikon von Lennhoff/ Posner (Sp. 1151). Es geht auch nicht um die Erkenntnis Gottes (Gnostik, Mystik, Theosophie), sondern um die Arbeit an sich selbst. Die Freimaurerei ist symbolisch, nicht spirituell..
Abschnitt 3: Theosophie und Anthroposophie (1875-1930)
Die Theosophie
Direkte Wurzel der heutigen Esoterik ist die «Theosophische Gesellschaft» (TG). Sie ist verantwortlich für die Verbreitung und Popularisierung östlicher Weisheit in Europa und Amerika. Unter den zahlreichen Abkömmlingen und Splittergruppen finden sich die bald nach 1900 eingerichteten neuen Rosenkreuzer- und Templerorden. Rudolf Steiner betrachtete seine „Anthroposophie“ als seine eigenständige Weltanschauung „aus der geistigen Welt heraus“. Die Theosophie ist nicht ganz unbeeinflusst von der Freimaurerei. Die Abenteurerin und Spiritistin Helena Blavatsky (gest. 1891) gründete 1875 die Theosophische Gesellschaft (TG) zusammen mit Oberst Henry Steele Olcott, einem Freimaurer aus New York, und dem Rechtsanwalt William Quan Judge. Fünf Jahre später traten Blavatsky und Olcott in Ceylon zum Buddhismus über. In Indien entstand ein indischer Zweig der TG, die Adyar-TG. Auch in Deutschland breitete sich die TG aus. In ihre berühmte "Geheimlehre" (1888 - auf der wiederum, gemäss Miers, die Baha'i-Religion weitgehend beruht) hat Blavatsky viel aus den Schriften von Eliphas Lévi übernommen. Dass sie überhaupt alles frei erfunden habe, behaupten - nebst der Beleuchtung der Vorgeschichte seit Swedenborg, Cagliostro und Mesmer - u. a. Robert S. Ellwood ("Alternative Altars" 1979) und Dave Hunt ("The Cult Explosion" 1980; dt.: "Götter, Gurus und geheimnisvolle Kräfte", 1984) sowie Werner Bogun/ Norbert Straet ("Lexikon der Esoterik" 1999).
Manche Theosophen waren Freimaurer oder Möchtegern-Freimaurer, z. B. Charles Webster Leadbeater (Mitglied einer irregulären Loge), Dr. George Sidney Arundale (Droit Humain), Dr. Franz Hartmann (vielleicht kurz Mitglied einer regulären Loge), Max Heindel (Mitglied einer irregulären Loge) und Theodor Reuss (vier Jahre in einer regulären Loge).
Leadbeater wurde - gemäss Miers - nach dem Tod von Helena Blavatsky (1891) Leiter der Esoterischen Schule (ES). Hartmann und Heindel gründeten seit 1889 eigene Rosenkreuzergemeinschaften (z. B. Hartmann 1889 "Fraternitas" in der Schweiz; Heindel die Rosenkreuzerbewegung 1908/ 09 in den USA). Reuss organisierte seit 1902 eine ganze Serie von Vereinigungen, darunter einen Memphis-Misraim-Orden (1908 mit Papus - kein Freimaurer) und (zusammen mit Dr. Karl Kellner - vielleicht kurz Mitglied einer regulären Loge - und Hartmann) den neueren O. T. O (mit der sog. "Academia Masonica" um 1912). Nachfolger von Reuss im O. T. O. wurde der legendäre Magier und Freimaurer Aleister Crowley (Mitglied einer irregulären Loge).
Die Frauen gewinnen Stimmee
Immerhin ist es vermutlich Helena Blavatsky zu verdanken, dass seit dieser Zeit auch Frauen sich zur Esoterik äussern durften. Die Theosophin und Mystikerin Mabel Collins publizierte über vierzig Jahre lang (1884 bis zu ihrem Tod 1927) unzählige Erzählungen und Romane. Der vor allem in den USA mächtige Orden "Eastern Star" (gegründet um 1850), umfasst unter der Führung von Freimaurern deren Frauen, Töchter, Mütter, Witwen und Schwestern (heute rund 3 Millionen Mitglieder).
Die französische Frauenrechtlerin, Theaterautorin und Schriftstellerin Maria Deraismes wurde 1882 in eine irreguläre Freimaurerloge aufgenommen. Zusammen mit weiteren Freimaurern gründete sie 1893 den "Droit Humain", den Internationalen Orden der gemischten Freimaurerei. (Er zählt heute rund 40 000 Mitglieder in 46 Ländern.) Ein berühmtes Mitglied war die Theosophin und Tibet-Forscherin Alexandra David-Neel.
Um dem Auftreten gemischter Logen entgegenzutreten, versuchte die Grand Loge de France seit 1901 sogenannte Adoptionslogen für Frauen ins Leben zu rufen. Eines der bekanntesten Mitglieder war die für ihre humanitären Einsätze bekannte Tänzerin Josephine Baker.
Theosophische Schriftsteller
Viel gelesen wurden auch die Theosophen G. R. S. Mead (1892), Hermann Graf von Keyserling (1920), René Guénon (1920; auch Mitglied irregulärer Freimaurer-Logen), H. L. G. von Purucker (1929) und Herbert Fritsche (1929).
Von der Theosophie zur Anthroposophie und Arkanschule
Blavatskys engste Mitarbeiterin Annie Besant (gest. 1933) liess sich 1902 in den jungen "Droit Humain" aufnehmen, gründete in England selber eine Loge und verhalf dem Droit Humain zur weltweiten Ausbreitung. Sie adoptierte den kleinen Krishnamurti (1895-1986) und baute ihn (1910) als neuen Messias auf. Das ärgerte Rudolf Steiner, Generalsekretär und Leiter der Deutschen Sektion der Adyar-TG, derart, dass er Ende 1913 die "Anthroposophische Gesellschaft" gründete. Eine andere Version lautet, Annie Besant habe Steiner unter anderem wegen seiner extrem rosenkreuzerischen Ausrichtung ausgebootet.
1906 schon hatte Steiner einen "inneren Kreis" („Mystica Aeterna“) gebildet, um zu arbeiten, „wie man arbeiten muß, wenn man in ursprünglicher Art den Geist-Inhalt erforscht aus den Bedingungen des vollbesonnenen Seelen-Erlebens“.
Auf einem Grundstück, das Annie Besant 1927 bei Los Angeles für Krishnamurti kaufte, lebt heute die Ojai-Gemeinschaft.
Die Idee des Wassermann-Zeitalters tauchte um 1900 in den Kreisen von Neugeist und Theosophie auf und verband sich mit der "Akasha-Chronik" Rudolf Steiners (siehe als Ergänzung: Wie kam es zur Akasha-Chronik?).
Seit 1908 gab ein «Aquarian Commonwealth» in Los Angeles das Magazin «Aquarian New Age» heraus.
Die Esoterische Schule der Theosophischen Gesellschaft sollte ursprünglich nach dem Buch eines Freundes von Helena Blavatsky, des englischen Hochgradfreimaurers John Yarker ("The Arcane Schools"), Arkanschule heissen. Diese Idee griff später die dritte grosse Theosophin, Annie Besants Rivalin Alice Ann Bailey (gest. 1949), auf. Sie gründete 1923 in New York die sogenannte Arkanschule - einen Fernuterricht - als Übungsschule für Meditation. Diese Schule betrachtet sich als "magnetisches Zentrum" der gesamten Freimaurerei. Alice Baileys Mann war Freimaurer. Vielleicht hat sie auf seinem Schreibtisch die seit 1904 erscheinende Monatszeitschrift der US-Hochgradfreimaurer, das in mehreren 100 000 Auflage erscheinende "New Age Magazine", gesehen. Der Schulleiter der Arkanschule in Genf war gleichzeitig Generalsekretär der Universellen Freimaurer-Liga.
Jedenfalls sprach Bailey gerne von der Vorbereitung des Neuen Zeitalters. Ein tibetischer "Meister" diktierte ihr zahlreiche Bücher, darunter "Initiation, menschliche und solare Einweihung"(1922) und 1948 die "Wiederkunft Christi" (wobei sie freilich den Antichristus meinte). Sie hatte einen grossen Einfluss auf die Kommune von Findhorn und David Spangler (1971). Die Arkanschule existiert heute noch im Rahmen des 1922 gegründeten Lucis-Trusts.
Gnostische Kirchen
Seit 1890 wurden allerlei sog. "gnostische" Kirchen gegründet: Jules Doinel gründete 1890 die erste gnostische Kirche, die Ecole Gnostique Universelle, später Eglise Catholique Gnostique. Sie tat sich schon 1893 mit den Martinisten unter Papus zusammen. Mehrere ähnliche Kirchen wurden in der Folge gegründet
Horst Miers verzeichnet noch zahlreiche andere gnostische Vereinigungen, die sich zum Teil "die Umbildung der Sexualkraft" auf die Fahnen geschrieben haben.
Die Theosophische Gesellschaft als Inspirator der Modernen Kunst und des Naturismus
Die Theosophische Gesellschaft trug auch wesentlich zur Entstehung der modernen Kunst bei: Kandinsky (mit seiner Studie: "Über das Geistige in der Kunst", 1912) und Mondrian gehörten zu den Anhängern von H. P. B. Unter dem Einfluss der Theosophen standen auch kurz vor und nach 1900 der Zeichner Fidus sowie die Bewegungen der Naturisten (FKK) und des Monte Verità. Weiterbildungen der Theosophie erfolgten durch die Ehepaare Roerich (Agni-Yoga, 1925) und Ballard (I Am, 1932), viel später noch durch die Welt-Spirale (1962).
Monté Verità
1916 gründete Theodor Reuss auf dem Monte Verità bei Ascona eine gemischte Loge des O. T. O. Erster Stuhlmeister war der Tänzer und Choreograph Rudolf Laban und eines der Gründungsmitglieder die Tänzerin Mary Wigmann. Ein Jahr später zog die Loge nach Zürich und nannte sich dort "Libertas und Fraternitas". Bald darauf traten alle Frauen aus, und man trennte sich vom O. T. O. 1925 wurde die Loge als reguläres Mitglied in die Schweizerische Grossloge Alpina aufgenommen. Die Chronik der turbulenten Gründerjahre ist 1990 als 100seitiges hektographiertes Manuskript von Robin P. Marchev mit dem Titel "Wahrheitssucher und Schwindler" erschienen (vergleiche auch Robert Landmann: "Ascona. Monte Verità. Auf der Suche nach dem Paradies". 1973.)
Abschnitt 4: Östliche Praktiken gelangen in den Westen (1890-1940)
Verbreitung indischer Weisheit
Schon 1888 war der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem "Antichrist" (erschienen 1895) zum Schluss gekommen: "Der Buddhismus ist eine Religion für späte Menschen, für gütige, sanfte, übergeistige Rassen, die zu leicht Schmerz empfinden (- Europa ist noch lange nicht reif für ihn -)... Das Christentum will über Raubtiere Herr werden... Der Buddhismus ist eine Religion für den Schluss und die Müdigkeit der Zivilisation... Der Buddhismus, nochmals gesagt, ist hundertmal kälter, wahrhafter, objektiver."
Das erste englische Hindu-Buch zur "Bekehrung" der westlichen Gesellschaft war von Rama Prasad "Nature's Finer Forces", 1890 publiziert vom Theosophical Publishing House. Doch erst mit dem Weltkongress der Religionen, der 1893 in Chicago stattfand, wurde die Beachtung östlicher Religionen salonfähig. Insbesondere Swami Vivekananda als Abgesandter des Hinduismus hinterliess einen nachhaltigen Eindruck. Er gründete zahlreiche Sekten und u. a. auch den Ramakrishna-Orden (1897).
Es ist nicht auszuschliessen, dass viele westliche Autoren, vorab im Umkreis der Theosophie, ein Zerrbild der indischen Philosophie und Religion lieferten. Jedenfalls beanstandet etwa der bekannte englische Indologe Edward Conze (1949), dass Frau Rhys Davids (ab 1913) den Buddhismus von der Lehre des Nicht-Selbst und vom Mönchtum reinigt. "Nach ihr besteht der Buddhismus ursprünglich in der Anbetung des Mannes. H. J. Jennings (ab 1858) entfernt kaltblütig jede Erwähnung der Wiedergeburt aus den buddhistischen Schriften und behauptet, dadurch ihre ursprüngliche Bedeutung wiederhergestellt zu haben. Paul Dahlke (ab 1908) scheidet alle Magie und Mythologie, von denen der überlieferte Buddhismus voll ist, aus und reduziert die Lehre Buddhas auf eine rein verstandesmässige, agnostische Theorie." (1977, 25).
Östliche Praktiken gelangen in den Westen
1910 gründete Inayat Khan den ersten Sufi-Orden im Westen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden Bewegungen wie Mazdaznan (1917), die Agni-Yoga-Gesellschaft von Helena und Nicolas Roerich (1925), die Zen-Schule von Daisetz Suzuki (1927) sowie Self Realisation Fellowship (Yogananda, 1927). Paramahamsa Yogananda gründete 1925 in Los Angeles ein Yoga-Institut und berichtete über seine Gotteserlebnisse in der "Autobiographie eines Yogi" (engl. 1946; dt. 1950).
Viel gelesen wurden die beiden deutschen Autoren Bo Yin Ra (1916) und Anagarika Govinda (1920), ferner Rabindranath Tagore (Nobelpreis 1913; "Sadhana - The Realisation of Life" 1913; dt. 1921), Sri Aurobindo (1919), S. Radhakrishnan (1923) sowie Ramana Maharshi (1931) und sein Schüler Paul Brunton (1934). Bereits mit 20 Jahren schrieb Alan Watts sein erstes Buch: "The Spirit of Zen"(1935), zwei Jahre später: "The Legacy of Asia and Western Man". 23 weiter Bücher folgten.
Hatha-Yoga hatte bereits Annie Besant ("Man and His Bodies" 1896; "Der Mensch und sein Körper") propagiert. Das englische Handbuch von Shrinivas Jyangar (1893) wurde von H. Walter ins Lateinische (1893) und von Richard Schmidt ins Deutsche (1908) übersetzt. Schmidt übersetzte auch das Kamasutra (1897) und schrieb mehrer Bücher über Yoga und Fakire (z. B. "Fakire und Fakirtum im alten und modernen Indien. Yogalehre und Yogapraxis, nach den indischen Originalquellen", 1908). Grosse Verbreitung fanden "Raja Yoga" (1896) von Swami Vivekananda (neue ed. 1929) sowie "Sâmkya und Yoga" von Garbe (1896). Vivekanandas Vorträge (1893-1900) zu den verschiedenen Arten von Yoga wurden in Bücher zusammengefasst.
Die 1903 als Nachfolgerin des "Golden Dawn" gegründete "Stella Matutinta" soll Kundalini-Yoga betrieben haben. Karl Kellner sorgte ebenfalls für die Verbreitung von sexualmagischen Praktiken. Später folgte die Abtei "Thelema" von Crowley (1918), die Fraternitas Saturni (1926) und die Gnostische Schule. Der englische Orientalist Arthur Avalon, der lange in Indien lebte, schrieb schon 1913 über Tantra und 1918 über Kundalini. Weitere Experten für Kundalini-Yoga sind etwa der Theosoph E. E. Wood, Muktananda Paramahansa, Shivananda, Vasant G. Rele (1927), Swami Narayananda (1950) und Gopi Krishna (1970). Detaillierte Anweisungen für Tantra veröffentlichte aber erst Omar Garrison 1973.
15 Jahre verbrachte die französische Forscherin und Schriftstellerin Alexandra David-Neel in Tibet (1912-1925). Sie berichtete darüber und über östliche Religionen in vielen Büchern (1927; 1932).
Propagierung der Meditation
Meditation wurde zuerst von den Theosophen und Anthroposophen propagiert. Meditation ist die zweite von vier Vorbedingungen zur Schülerschaft in der Anthroposophie Rudolf Steiners. In der ersten Auflage seiner Schrift "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?" (1904) spricht Steiner noch von Kundalini, in den späteren Auflagen wurden die indischen Begriffe durch deutsche ersetzt. Der Theosoph Hermann Rudolph gab erstmals 1912 Anleitungen zur Meditation. Der ehemalige Pfarrer Friedrich Rittelmeyer, der zusammen mit Rudolf Steiner 1922 die "Christengemeinschaft" gründete, schrieb ein wichtiges Buch über Meditation ("12 Briefe über Selbsterziehung", 1929, noch heute im Buchhandel). Der Anthroposoph Heinrich Leiste erklärte 1935 in einer kleinen Schrift das "Wesen der Meditation". Eine wichtige Eranos-Tagung war 1933 dem Thema "Yoga und Meditation im Osten und Westen" gewidmet (Olga Fröbe-Kaptein gab 1934 das entsprechende Eranos-Jahrbuch heraus.) H. K. Iranschähr, der persische Esoteriker, der hauptsächlich in Deutschland und in der Schweiz lebte, schrieb 1933 über "Konzentration und Meditation" und zeigte 1939 "Wie sollen wir meditieren?" (3. ed. 1964). Carl Happich publizierte 1938 eine "Anleitung zur Meditation".
Abschnitt 5: Neue Therapien für Körper und Seele (1880-1940)
Positives Denken, Autosuggestion
Von der vom Geistheiler P. P. Quimby inspirierten Christian Science spaltete sich um 1880 die "Unity School of Christianity" ab, auch bekannt unter dem Titel «New Thought» oder Neugeist, mit den bekannten Vielschreibern Prentice Mulford (1886), Ralph Waldo Trine (1896) und später Karl O. Schmidt (1925). Diese Lebensschule wurde fortgesetzt unter der Formel vom "positiven Denken" von Dale Carnegie (1936), dem Freimaurer Norman Vincent Peale (1937), Frederick W. Bailes (1941), Joseph Murphy (1945), Robert H. Schuller und Erhard F. Freitag (1982).
Ausgehend von Erkenntnissen über die Hypnose eröffnete der Apotheker Emil Coué 1919 in Nancy eine eigenen Klinik und propagierte dort die Technik der Autosuggestion (Buch 1922). Auch C. Baudouin schrieb über Autosuggestion (1924). 1926 stellte J. H. Schutz erstmal sein Autogenes Training vor (Buch 1932). Drei Jahre später folgte Edmund Jacobson mit seiner "progressiven Entspannung", welche 1958 vom südafrikanischen Therapeuten Joseph Wolpe verfeinert und durch die "systematische Desensibilisierung" ergänzt wurde. Auch der russisch-israelische Physiker Moshe Feldenkrais veröffentlichte 1930 ein Buch über "Autosuggestion". Er befasst sich später vor allem mit Verhaltensphysiologie und propagierte unter seinem Name eine Lernmethode. Um 1970 kam, inspiriert von der Weltraumfahrt, zunächst im Sport das "mentale Training" auf.
Energie- und Körpertherapien
Manche Therapiemethoden, die im New Age Furore machten, wurden bereits vor oder kurz nach der Jahrhundertwende entwickelt. Schon 1878 hat Edwin Dwight Babbitt das epochemachende Werk für die Farbtherapie publiziert: "The Principles of Light and Colour". Rudolf Steiner und C. W. Leadbetter schenkten der Farbsymbolik der Aura grosse Aufmerksamkeit. 1886 publizierte der ungarische Techniker und Arzt Ignaz von Peszely seine erste Karte für die Irisdiagnose.
Die Osteopathie geht auf den amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828-1917) zurück (1874 – erste Schule 1892). Es ist eine ganzheitliche Heilmethode, die ausschliesslich mit den Händen ausgeübt wird. Dabei werden Läsionen verschiedenster Art mittels funktioneller oder struktureller Techniken behoben; die Selbstheilungskräfte des Körpers regeln. Im Laufe der Zeit wurden die spirituellen und philosophischen Anteile von Stills Konzept zusehends eliminiert. William G. Sutherland entwickelte die Osteopathie seit etwa 1900 in die Richtung der “kranialen Osteopathie“. Daraus leitete John E. Upledger 1977-83 an der Michigan State University die „CranioSacral Therapy“ ab. In den 1940er Jahren entwickelte der Osteopath und Chiropraktiker Randolph Stone die Polarity-Therapie (Buch 1954).
Die erste Chiropraktikerschule wurde 1895 von Daniel David Palmer in den USA gegründet.
Eine der ersten Schriften, welche die indische Ayurveda im Westen bekannt machte, war die Dissertation von Bhagavat Simhaji „A Short History of Aryan Medical Science“ (1896; Reprint 1977). Der Tübinger Sanskrit-Forscher Rudolf Roth publizierte Teile des „Charaka Samhita“; es wurde von ca. 1890-1911 auch ins Englische übersetzt. Die englische Übersetzung des „Sushruta Samhita“ erschien 1907-1916. (Das „Astanga Hridayam“ wurde erst 1941 ins Deutsche übertragen, 1991-97 vollständig ins Englische.)
Aus Unzufriedenheit mit der traditionellen japanischen Methode der Akupressur-Massage entwickelte sich Shiatsu. Um 1910 erfand Mikao Usui, Leiter einer christlichen Klosterschule in Kyoto, die Technik des Reiki. Eine Schülerin, Hawayo Takata, eine Hawaiianerin japanischer Herkunft brachte Reiki 1938 in die USA, wo sie heute unter dem Namen Radiance-Technik gelehrt wird.
Der australische Shakespearedarsteller Frederick Mathias Alexander entwickelte um 1900 eine Körpertherapie, die später unter dem Namen Alexander-Technik bekannt wurde. Sein Schüler und späterer Schwiegersohn Wilfried Barlow popularisierte sie. Der amerikanische Arzt W. H. Fitzgerald gab 1917 in seinem Buch "Zone Therapy" erste Hinweise auf die Fussreflexzonenmassage. R. A. Dale setzte seine Forschungen fort. Auf den ganzen Körper dehnten sie in den 30er Jahren der Arzt J. S. Riley und seine Assistentin Eunice C. Ingham aus.
Die Kampfkunst Aikido wurde etwa 1922 vom japanischen Jiu-Jitsu-Lehrer Morihei Üshiba entwickelt. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg breiteten sich über die USA und Frankreich Aikido-Schulen im Westen aus.
Erwähnenswert sind auch die Aromatherapie des Chemikers René-Maurice Gattefosse (1928) resp. die Osmotherapie des Militärarztes und Freimaurers Arnoldo Krumm-Heller (1934) sowie die Blütentherapie des Arztes Edward Bach (1934). Die Bewegungslehre Ismakogie wurde von der Wienerin Anna Seidel in den 30er Jahren entwickelt.
Die Neuraltherapie wurde 1925 von den deutschen Ärzten Ferdinand und Walter Huneke entdeckt und zuerst unter dem Namen „Heilanästhesie“ ausgebaut. 15 Jahre später entdeckte Ferdinand Huneke die Störfeldtherapie.
Akupunktur wurde erst seit 1972 im Westen bekannt.
Aura
Um die Entdeckung der Aura ranken sich widersprüchliche Legenden. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte der englische Arzt Walter J. Kilner, dass man die menschliche Aura sichtbar machen kann. Er publizierte 1911 seine Entdeckungen unter dem Titel: "The Human Atmosphere". Bereits 1913 berichtete dann Fr. Feerhow über "die menschliche Aura und ihre experimentelle Erforschung". Von der theoretischen Seite her schrieben die Theosophen C. W. Leadbeater 1902 ("Der sichtbare und der unsichtbare Mensch") und Rudolf Steiner 1903 (in der Luzifer-Gnosis) über die Aura. Der Russe S. D. Kirlian machte seit 1939 Versuche, die Aura mit Hilfe der Photographie sichtbar zu machen, publizierte sie aber erst 1958.
Wilhelm Reich und die Folgen
Enfant terrible der psychoanalytischen Bewegung war der Österreicher Wilhelm Reich. Ursprünglich ein enger Schüler von Sigmund Freud, veröffentlichte er 1923 eine Abhandlung über Genitalität und 1927 "Die Funktion des Orgasmus". In der Fortsetzung seiner Studien entwickelte er die Lehre von der Charakteranalyse (1932) und die "Theorie des Orgon" und gründete nach seiner Emigration 1939 ein Forschungszentrum dafür in Maine. Seine Weigerung, die Orgon-Akkumulatoren zur Therapie von Sexstörungen und Krebs einzusetzen, brachte ihn ins Gefängnis, wo er starb. Zahlreiche Bewegungen gehen auf ihn zurück:
Auch die Gestalttherapie von Fritz Perls greift teilweise auf Reich zurück.
Zeitlich parallel zu Reich entwickelte der italienische Psychiater Roberto Assagioli die "Psychosynthese". Er gründete schon 1926 dafür in Rom ein Institut. Doch seine Ideen erfuhren erst in den 50er Jahren weitere Ausbreitung.
Abschnitt 6: Weitere Strömungen
Unzählige religiöse Vereinigungen von 1800-1900
Ohne nennenswerten freimaurerischen Einfluss blieben die unzähligen religiösen Vereinigungen, die sich im 19. Jahrhundert bildeten, z. B.: · Darbyisten (1828) · Adventisten (1831/48) · Katholisch-apostolische Gemeinden (1832) · Chrischona-Gemeinden (1840/69) · YMCA (1844), CVJM (1883) · Kolpingwerk (1846) · Innere Mission (1848) · Neuapostolische Gemeinden (1860/1906) · Baha'i (1863) · Christkatholische Kirche (1870) · Ernste Bibelforscher (1874; ab 1918/31: Zeugen Jehovas) · Heilsarmee (1878) · Pfingstbewegung (ab 1901).
Populäre Figuren und Autoren der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Vom "New Age" in den 70er Jahren wiederentdeckt wurden unzählige populäre Figuren und Autoren der ersten Jahrhunderthälfte, z. B. · der Hellseher und Zahlenmystiker Cheiro (1901)
Feine Schriften lieferten Maurice Magre, G. W. Surya (1921), Hans Sterneder (1922), Rudolf Tischner (1922), Hermann Hesse (1922), der libanesische Philosoph Khalil Gibran ("Der Prophet" 1923), Will-Erich Peuckert (1923), Kurt Aram (1927) und Manfred Kyber (1929). Der Surrealist André Breton (1924) wandte sich später dem Okkultismus zu. Der römische Baron Julius Evola vertrat den magischen Idealismus (1927-29).
Channeling führt zur Sektenbildung
Im Jahre 1930 wollte der Bergbauingenieur Guy W. Ballard - der von der Theosophie herkam - auf dem Mt. Shasta in Kalifornien nachsehen wollte, ob er die legendäre "Bruderschaft" dort oben finden könnte. Beim Autostopp gesellte sich ein anderer jüngerer Mann zu ihm, der sich ihm als "Graf von Saint Germain" (gestorben 1784) zu erkennen gab. Dieser gab ihm den Auftrag, "I Am" zu gründen und von den Meistern zu berichten. Das tat er und schrieb unter anderem das Buch "Unveiled Mysteries" (1935) über seine Erleuchtung.
Der Engländerin Grace Cooke erschien immer wieder der amerikanische Indianer White Eagle. In seinem Auftrag gründete sie 1936 the "Church of the White Eagle Lodge". 1944 erschien das unter der Führung von White Eagle geschriebene Buch "Plumed Serpent", 1958 "Sunrise".
Der indonesische Sufi-Meister Sumohadiwidjojo wurde 1925 erleuchtet. Er gründete 1947 die internationale "geistige Bruderschaft", die Subud weltweit bekannt machte. Der langjährige Mitarbeiter von Gurdjieff, der Engländer J. G. Bennett machte Subud in Europa bekannt.
Abschnitt 7: Was steckt hinter der Ideologie der Nazis?
"Wichtige Teile der Weltanschauung" der NSDAP und der Organisation (besonders der SS) wurden Okkultgruppen entlehnt, schreibt Helmut Werner im "Lexikon der Esoterik".
Teil 4: 1950-2000: Die Wiederentdeckung und Popularisierung der theosophischen Lehren
Abschnitt 1: "Wendezeit", "New Age"?
Woher kommen die Begriffe "Wendezeit" und "New Age"?
«Wendezeit» war dem Begründer des neueren Humanismus, J. G. Herder, schon vor 200 Jahren ein Begriff (übrigens auch «Zeitgeist»). Erwin Rohde gebrauchte ihn 1894 für die geistige Umwälzung im alten Griechenland im 6. Jh. v. Chr., die Wilhelm Nestle 1940 als Weg «vom Mythos zum Logos» beschrieb. Julian Jaynes bezeichnet den gleichen Vorgang als den «Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche» (1988; engl. bereits 1976),
Sergius Golowin meinte 1980, das Wort «New Age» sei in den vergangenen 20 Jahren unter den «jungen Suchern», irgendwo zwischen Kalifornien und Katmandu, geboren worden. Weit gefehlt! Es kommt ausgerechnet aus der von ihm als «spiessbürgerlich» bezeichneten Zivilisation des 19. Jahrhunderts. Schon Lessing hoffte 1777: «Sie wird gewiss kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums.» Wie erwähnt, hat bereits 1864 der Geistheiler und Esoteriker Walter Felt Evans ein Buch über «The New Age and its Messenger» geschrieben, wobei er auf Swedenborg und dessen Vision des «Neuen Jerusalem» (1763) Bezug nahm.
Die Idee, dass die Welt von Zeit zu Zeit in ein neues Zeitalter eintritt, stammt aus dem Talmud. Die Baha’i, eine um 1850 in Iran entstandene religiöse Bewegung, glauben, dass die Menschheit durch Baha’u’llah (1863) in eine neues Zeitalter eingetreten sei.
Als Zeitschriftentitel war «Die neue Zeit» seit 1830 resp. 1846 beliebt; seit 1915 erschienen die Deutschen Evangelischen Volkshefte unter dem Titel «Das neue Zeitalter». Die englische Bezeichnung «New Age» taucht ebenfalls um 1840 als Titel von religiös orientierten Zeitschriften in den USA und in England auf Seit 1865 trägt das Organ der Odd Fellows, eine in San Francisco erscheinende Wochenzeitung, diesen Titel, seit 1904 die auflagenstarke Monatszeitschrift der amerikanischen Hochgrad-Freimaurer.
1950-1990: Der dritte Esoterik-Schub
Eine echte seelische und geistige Befreiung erfolgte, als 1955 die Ära McCarthy zu Ende ging.
Den letzten grossen Zulauf hatten die esoterischen, okkulten und östlichen Bewegungen in den «Roaring Twenties» gehabt. In den 50er Jahren griffen die Beatniks (z. B. Jack Kerouac, Lawrence Ferlinghetti, Gary Snyder, Allen Ginsberg) unbekümmert darauf zurück, seit Mitte der 60er Jahre die Hippies. Das Buch "The Dharma Bums" (1958) von Jack Kerouac, unter dem deutschen Titel "Gammler, Zen und hohe Berge" (1963), gibt eine ausgezeichnete Schilderung der damaligen Stimmung.
Von viel breiterer Wirkung seit dem Zweiten Weltkrieg war vorerst allerdings der Existentialismus, der von den Bürgerrechts- und Studentenrevolten der 60er Jahre (New Left, Radicals, 68er) abgelöst wurde.
Die Schwierigkeiten, die gegenwärtige Esoterik zu fassen, sind gross. Das liegt daran, dass es sich weder um ein «Programm» noch um eine «Bewegung» handelt. Vielmehr haben sich zwischen 1950 und 1980 zahlreiche Ansätze zu neuen Denk- und Lebensweisen gebildet, die weitgehend «in der Stille» praktiziert wurden. Im wesentlichen handelte es sich um fünferlei: · neue psychologische Forschungs-, Lehr- und Therapiemethoden · Wiederentdeckung östlicher Weisheit und Praktiken, insbesondere Zen, Meditation und Yoga · Wiederentdeckung von Schamanismus und indianischen Weisheiten · sogenannte "Jugendsekten" und «spirituelle Gemeinschaften» · neue Denkformen in den Naturwissenschaften.
Abschnitt 2: Spiritueller Nachholbedarf
Grosse Erzählungen
Farbige Akzente nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs boten zwei Frauen mit ihren historischen Romanen: · Maria Szepes mit "Der Rote Löwe" (1946; dt. 1984) und · die Yogalehrerin Elisabeth Haich mit der "Einweihung" (1954).
Tolkiens Romantrilogie "Der Herr der Ringe" erschien 1954-55. Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete Gitta Mallasz ihre Erfahrungen im KZ unter dem Titel "Die Antwort der Engel" (dt. 1984) auf.
Enthüllungen über die Freimaurer
Sofort nach dem Zweiten Weltkrieg ging es wieder einmal mehr mit den Enthüllungen über die Freimaurerei los. Auskunft gaben der Volkskundler Will-Erich Peuckert: "Geheimkulte", 1951
der anglikanische Theologe Hubert Stanley Box: „The Nature of Freemasonry“, 1951
der abtrünnige Freimaurer und Kirchenmann Walton Hannah "Darkness visible", 1952 "Christian by degrees", 1954
der Freimaurer Serge Hutin: · "Les sociétés secrètes", 1952 · "Histoire mondiale des sociétes secrètes" 1959 · "Les Franc-Maçons" 1960.
Hermann und Georg Schreiber "Mysten, Maurer und Mormonen" 1956 (ab 1993 u. d. T.: Geheimbünde)
und die Familie Thom "Geheimbünde. Geheimnisvolle Vereinigungen in aller Welt" 1956.
Roger Peyrefitte schrieb 1961 ein Pamphlet gegen die Freimaurer ("Les Fils de la Lumière"; dt. 1962), das Pierre Mariel sofort konterte ("Les Authentiques Fils de la Lumière"; dt.: Die Söhne des Lichts, 1963). Ebenfalls 1961 erschien von Alec Mellor: "Nos Frères Séparés, les Franc-Maçons" (dt.: "Unsere getrennten Brüder, die Freimaurer", 1964), später von demselben "La Franc-Maçonnerie à l'heure du choix" 1967 (dt.: Logen, Rituale, Hochgrade, 1967). Esoterische Freimaurer waren J. N. J. Schmidt ("Wurzeln der Freimaurerischen Gemeinschaft", 1961) und Robert Amadou ("L'Esotérisme est une Approche de la Sagesse divine", 1974).
Die Freimaurerei verliert an Bedeutung
Die 1930er Jahre hatten der Freimaurerei in fast ganz Europa schwer zugesetzt. Auch die weltpolitische, insbesondere friedensorientierte Rolle, verblasste. Bedauerlicherweise enthüllte 1981 der Skandal um die Geheimloge "P2" in Italien, dass die Freimaurerei auch zu politischen und wirtschaftlichen Zwecken missbraucht werden kann.
Scharfe Angriffe, welche vor allem die angelsächsische Freimaurerei in Bedrängnis brachten, kamen unter anderem von · Jacques Ploncard d’Assac: Le secret des franc-maçons. 1979 · Stephen Knight: The Brotherhood. 1984 · General Synod of the Church of England: Freemasonry and Christianity. 1985 · John Ankerberg, John Weldon: The Secret Teachings of the Masonic Lodge. 1989 · Martin Short: Inside the Brotherhood. 1989 · General Synod of the Church of England: Freemasonry and Christianity. 1985
Obwohl Marilyn Ferguson in ihrem Buch "The Aquarian Conspiracy" (1980) eine längere Fussnote der Freimaurerei widmet, hat diese mit der New Age-Spiritualität nichts am Hut, auch nicht in den Hochgraden. Daher hat die legendäre Zeitschrift der US-Hochgrade ihren Titel "New Age" im Jahre 1990 geändert in "Scottish Rite Journal".
Der Bedeutungsverlust der Freimaurerei nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt sich einerseits im enormen Mitgliederschwund ( z. B. in den USA eine Halbierung von 4 Mio. Mitgliedern um 1955 auf 2 Mio. im Jahre 2000), anderseits in der Tatsache, dass nach Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman (1945-52) nur noch ein einziger Präsident der Vereinigten Staaten ein richtiger Freimaurer war, nämlich Gerald R. Ford (1974-76).
Hat das Aufblühen der Esoterik der Freimaurerei das Wasser abgegraben?
Interesse an Mystik
Vielleicht wegen der Schrecken des Zweiten Weltkriegs erwachte nachher ein intensives Interesse an Mystik. Das erste Signal setzen Aldous Huxley mit seinem Bestseller "The perennial philosophy" (1945; dt.: Die ewige Philosophie. 1949) und der 72jährige Arthur W. Hopkinson mit "Mysticism. Old and New" (1946). Bekannte deutsche Autoren waren Julius Tyciak (1949) und Carl Albrecht (1951). Viel diskutiert wurde über falsche und echte Mystik (Jean Lhermitte 1953; Henri Bremond 1955). Im Jahre 1957 berichteten Gershom Scholem über die jüdische Mystik, Irene Behm über die spanische, Anagarika Govinda über die tibetische und Daisetz Suzuki über die buddhistische. Walter Niggs dickes Buch "Heimliche Weisheit. Mystisches Leben in der evangelischen Christenheit" (1959) wurde immer wieder aufgelegt. Ebenfalls wichtig wurde die Übersetzung aus dem Schwedischen von Tor Andrae "Islamische Mystiker"( schwed. 1947; dt. 1960). Ebenfalls wichtig waren von Mircea Eliade "Der Mythos der ewigen Wiederkehr" (1953) und: "Die Religionen und das Heilige" (1954).
Interesse an Magie und Okkultismus
Ebensogross war das Interesse an Magie und Okkultismus. Einen grossen Einfluss hatte das Buch von Kurt Seligmann "The Mirror of Magic" (1948; dt.: Das Weltreich der Magie. 5000 Jahre geheime Kunst. 1958) sowie die Schriften von Walter Ernst Butler (1952). Robert Amadous "L'occultisme - Esquisse d'un monde vivant" (1950) erlebte zahlreiche Auflagen. Sogar Gerhard Zwerenz schrieb über "Magie, Sternenglaube, Spiritismus" (1956). Der Vielschreiber Willy Schrödter schlug den Bogen zur Mystik ("Magie, Geister, Mystik". 1958), W. Bitter denjenigen zum Wunderglauben ("Magie und Wunder". 1959).
Die Literatur zum Okkultismus war damals vorwiegend französisch oder englisch. Wichtige deutsche Werke waren die "Enzyklopädie anthropologischer Wissenschaften, okkulter Lehren und magischer Künste" von Wilhelm Alt et al. ("Mächte des Schicksals". 1953; auch über sog. Grenzwissenschaften) sowie der Steadyseller der Theologen Kurt E. Koch "Seelsorge und Okkultismus" (1953), der z. B. 1982 die 25. Auflage erlebte.
Das Autorenpaar Louis Pauwels und Jacques Bergier landete einen fruchtbaren und viel geplünderten Bestseller mit "Le Matin des Magiciens" 1960 (dt. unter dem irreführenden Titel: "Aufbruch ins dritte Jahrtausend" 1962).
Parapsychologie
1950 wurde in Deutschland aus privater Initiative eine Stätte zur Erforschung parapsychologischer Phänomene in Freiburg i. Br. errichtet, das "Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene". Dessen Initiator, Hans Bender, setzte sich unermüdlich für die wissenschaftliche Erforschung von Spuk und Telekinese, Hellsehen und Materialisation, usw. ein. Zur selben Zeit erhielt in Holland der eifrige Forscher W. H. C. Tenhaeff die erste Professur für Parapsychologie an der Universität Utrecht. Hier fand auch 1953 der erste vom bekannten Medium Eileen J. Garrett organisierte Internationale Kongress für Parapsychologie statt.
Neue wichtige Literatur war:
Peter Tompkins besuchte für seine Studien über «Das geheime Leben der Pflanzen» (dt. und engl. 1973) auch Findhorn. Cleve Backster hatte sich schon Anfang der 60er Jahre mit dem Lügendetektor an Pflanzen herangemacht. 1970 beschrieben Lynn Schroeder und Sheila Ostrander, was sie auf einer Reise in Russland an Forschung gesehen hatten: "Psychic Discoveries Behind the Iron Curtain"; dt.: "PSI - Die wissenschaftliche Erforschung und praktische Nutzung übersinnlicher Kräfte des Geistes und der Seele im Ostblock". 1971.
Erneute Propaganda für Meditation nach östlichem Vorbild
Viel Beachtung fanden die kleinen Schriften von Karlfried Graf Dürckheim ("Japan und die Kultur der Stille" 1949; "Hara, die Weltmitte des Menschen", 1954) und Eugen Herrigel ("Zen in der Kunst des Bogenschiessens" 1951). Ebenfalls Zen propagierten - erneut - Alan Watts ("The Way of Zen" 1957), Anagarika Govinda ("Grundlagen tibetischer Mystik" 1957) und D. T. Suzuki ("Die grosse Befreiung", 1958; erste Auflage 1939.). Otto-Albert Isbert gründete 1950 eine Yoga-Schule in Deutschland. Hans-Ulrich Rieker erklärte 1953 das "Geheimnis der Meditation" und schrieb auch über Yoga.
In den 50er Jahren bot Karlfried Graf Dürkheim zusammen mit Maria Hippius in Todtmoos-Rütte, im Schwarzwald, seine Übungen zum "initiatorischen Weg" an. Johannes B. Lotz ("Der Weg nach innen" 1954), Anagrarika Govinda und Krishnamurti empfahlen Meditation.
In den 70er Jahren wurde Meditation zum Volkssport. Udo Reiter (Ed.): Meditation. 1976.
In den 60er Jahren machten einige neue Methoden der Psychotherapie auch Anleihen bei den genannten Gebieten, z. B. · die Gestalttherapie des Ehepaars Perls beim Zen · die Gesprächspsychotherapie von C. R. Rogers bei Hatha-Yoga und Meditation.
Nichts mit New Age zu tun hat trotz seines Titels der Bestseller von Robert Pirsig: "Zen and the Art of Motorcycle Maintainance" (1974; dt. 1976).
"Schöpferische Intelligenz" - "göttliches Licht"
1958 gründete Maharishi Mahesh Yogi in Madras das "Spiritual Regeneration Movement" (Geistige Erneuerungsbewegung) und begann bald darauf, seine "Wissenschaft von der Schöpferischen Intelligenz" dem Westen zu verkaufen. Im Herzen der Schweiz, in Seelisberg richtete er ein Zentrum für "Transzendentalen Meditation" ein. Schlagartig berühmt wurde Maharishi, als im Sommer 1967 die "Beatles" und der "Rolling Stone" Mike Jagger eine seiner Tagungen an der Nordküste von Wales besuchten und dann im folgenden Jahr nach Indien fuhren. (Dort hatte übrigens schon im September 1966 George Harrison bei Ravi Shankar auf der Sitar spielen gelernt und damit indischer Kultur in Europa und den USA zum neuerlichen Durchbruch verholfen.) Da die Lehre "vom nördlichen Teil den Himalayas kommt", wie es 1973 in einem gut besuchten Einführungsvortrag hiess, wird dem Lernwilligen, der sich nach einem Interview beim Lehrer der Transzendentalen Meditation, dem Initiator, an vier aufeinanderfolgenden Tagen je zwei Stunden in die Meditation einführen lassen will, ein 'Unkostenbeitrag" abgefordert. Schüler und Lehrlinge bezahlten damals 60, Studenten 120 und die übrigen Erwachsenen 320 Franken, Familien einen Viertel den Netto-Monatseinkommens.
Wie die TM bemühte sich auch eine Gruppe um Swami Omkarananda um Wissenschaftlichkeit. Swami hatte 1965 erstmals in Winterthur Vorträge gehalten. Eine Yogalehrerin, die ihn schon 1956 in Indien kennen gelernt hatte, initiierte die Gründung eines Vereins und lud ihn in die Schweiz ein, auf dass er hier eine Wirkungsstätte finde, das "Divine Light Zenrtum". Um 1973 eskalierte der Streit mit den Nachbarn, und schliesslich kam Swami ins Gefängnis.
Weniger auf Wissenschaft abgesehen hat es eine dritte Meditationsbewegung, die völlig im Banne eines minderjährigen Guru Maharaj Ji stand. Er kam im Juni 1971 auf Einladung von Hippies, die ihn in Indien getroffen hatten, erstmals nach Europa und wurde in London von einer Schweizer Filmequipe "entdeckt". Seine Vorliebe für Jumbo-Jets wurde rasch legendär. Ständig flog er zwischen den USA, England, Deutschland und Indien umher, begleitet von seiner Mutter Shri Mata Ji und seinen drei älteren Brüdern. In Indien soll seine "Divine Light Mission' (1960 von seinem Vater gegründet) bald 14 Millionen, in Europa und den USA eine halbe Million Anhänger gehabt haben.
Christliches Zen
Das massgebliche Buch über Zen erschien schon 1959 aus der Feder von Heinrich Dumoulin ("Geschichte und Gestalt"). 1962 schrieb der grosse Religionsforscher Ernst Benz über "Zen in westlicher Sicht" - mit dem Untertitel "Zen-Buddhismus - Zen-Snobismus". Sofort stürzten sich auch die Jesuiten auf den Zen-Buddhismus: Bereits 1960 empfahl Hugo Makibi Enomyia-Lassalle Zen als den "Weg zur Erleuchtung" und 1969 "Zen.Meditation für Christen". 1970 verglich William Johnston "Zen und christliche Mystik» in seinem Buch «Der ruhende Punkt» (dt. 1974). In den 80er Jahren wurde der Einfluss von New Age deutlich stärker. Der Benediktiner Bede Griffiths beschrieb «Die Hochzeit von Ost und West» (1983; engl. 1982), sein Ordensbruder David Steindl-Rast «Fülle und Nichts» (1985; engl. «Gratefulness» 1984).
Eine kritische Betrachtung bot der bekannte Baptistenprediger Harvey Cox über "Verheissung und Versuchung östlicher Religiosität" unter dem Titel "Turning east" (1977; dt.: "Licht aus Asien" 1978).
Schamanismus
Das Buch "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik" (frz. 1951; dt. 1954) des Religionswissenschafters Mircea Eliade leitete ein frisches Interesse am Schamanismus ein. Bald doppelte er nach mit "Forgerons et alchimistes" (1956; dt.: Schmiede und Alchemisten. 1960). Auch Hans Findeisen schreib in den selben Jahren zwei Bücher: "Sibirisches Schamanentum und Magie" (1953) und "Schamanentum" (1957).
Indianer
Auf wissenschaftliche Weise befasste sich der Sprach- und Religionswissenschafter Werner Müller mit den Indianern: "Die blaue Hütte" (1954), "Die Religionen der Waldindianer Nordamerikas"(1956), "Glauben und Denken der Sioux" (1970). Die legendäre Rede des Häuptlings Seattle, welche dieser 1850 gehalten haben soll, scheint eine "Fälschung" aus dem Jahre 1965 zu sein (Louis Thomas Jones: Aboriginal American Oratory. Los Angeles). In den 50er Jahren began sogar Hollywood die Indianer ernst zu nehmen, wie Filme von Robert Aldrich ("Apache" 1954), Nicholas Ray ("Johnny Guitar", 1954), Richard Brooks ("The Last Hunt", 1955), Sidney Salkow ("Sitting Bull", 1955) und George Shermann ("Chief Crazy Horse", 1955) zeigten.
Hexenkult
In den 1950er Jahren begründete Gerald Gardner das Hexenwesen neu. Er basierte auf den Schriften:
· "Aradia or the Gospel of the Witches" (1899; dt. 1979) des amerikanischen Volkstumforschers Charles Godfrey Leland · und zwei Büchern der Forscherin Margaret Murray (1921 und 1924) über Hexenkulte. Besonders sein Buch "Witchcraft Today" (1954) wurde zur Bibel für viel moderne "Hexen". Sie organisierten sich in Covens und praktizierten den "Wicca"-Kult. Alex Sanders liess sich 1965 als "Hexen-König" ausrufen.
Satanisten
Viel gelesen wurde von Jean Bricaud: "La messe noire: ancienne et moderne" (1924). Einer der Nachfolger von Aleister Crowley war C. H. Petersen, der sich 1957 zusammen mit seiner Frau in der Nähe von Hamburg das Leben nahm, nachdem er ein Experiment nach dem Zauberbuch des Abramelin durchgeführt hatte. Der Schauspieler Anton Szander La Vey - Darsteller des Teufels im Film "Rosemary's Baby" - gründete 1966 in San Francisco die "First Church of Satan". Prominentes Mitglied war die Filmschauspielerin Jane Mansfield (gest. 1967). Die "Satanische Bibel" (engl. 1979) wird heute noch viel von Jugendlichen benutzt. Ein wichtiges Werk zum Thema stammt von Richard Cavendish: "The Black Arts" (1967; dt.: "Die schwarze Magie" 1969). Weitherum bekannt wurde die junge Autorin Starhawk (Miriam Simos) mit ihrer Behauptung: "Der Hexenkult als Ur-Religion der Grossen Göttin" (dt. 1983; engl.: "The Spiral Dance" 1979). Sie richtete selber zwei Hexenbünde ein und ernannte sich zur Priesterin der "Gemeinschaft der Göttin".
Neue Sekten
Von Seiten der Theologen werden die vielen «neuen religiösen Bewegungen» oder «Jugendsekten» gerne mit den spirituellen Kommunen und Zentren verbunden. Man tut aber besser daran, sie auseinanderzuhalten. Zu den Sekten, in den USA «Destructive Cults» genannt, zählen etwa: Dianetics/Scientology (seit 1950/54), Mun Vereinigungskirche (1954), Ananda Marga (1955), Transzendentale Meditation (1958), Divine Light (1960/66), Welt-Spirale (1962), Sri Chinmoy (1964), Eckankar (1965), Krishna-Bewusstsein (1966), Kinder Gottes (1968; später Family of Love), Arica (1970) und Bhagwan (1974).
Bereits 1970 schilderte Jacob Needleman in "The New Religions"die "spiritual explosion". In Deutschland bot eine erste Übersicht 1974 Friedrich-Wilhelm Haack in der kleinen Schrift «Neue 'Jugendreligionen'». Drastische Beispiele schilderte - bereits unter Einbezug des Psychobooms - 1979 Michael Mildenberger in «Die religiöse Revolte». Das 1979 von Henri Nannen herausgegebene Stern-Buch über Sekten in Deutschland trug den Titel: "Die himmlischen Verführer".
Abschnitt 3: New Age gegen die Automatisierung (1960-1990)
"New Age"?
Im Wesentlichen ist New Age (1960-90) die Wiederentdeckung und Popularisierung einerseits der sogenannten "Lebensreform", anderseits der theosophischen Lehren. Allerdings war der Fokus viel mehr auf das Individuum und seine Selbstverwirklichung gerichtet.
Die Suche nach "Bewusstseinserweiterung" und Fliessen in der kosmischen Evolution
Das verbindende Band für alle lässt sich mit dem Schlagwort «Bewusstseinserweiterung» beschreiben. Eine solche kann durch ein Liebäugeln mit östlichen Weisheiten und Praktiken, durch Drogen und Musik, Psycho- und Körpertechniken oder durch die Erweiterung konventioneller Theorien («Paradigmen» genannt) erfolgen. Dabei besteht das angeblich «Neue» einfach in einer Wiederentdeckung und mehr oder weniger skrupellosen Modifikation von Uraltem. Die Modifikation besteht in der Anpassung an persönliche Bedürfnisse oder in der Einführung des «Subjekts» in die Forschung. Dieses Subjekt steht nicht mehr einer «Welt» gegenüber, sondern treibt im Fluss des kosmischen Bewusstseins, ist Bestandteil der Eigendynamik oder Selbstorganisation des evolutionären Geschehens.
So unzureichend diese Charakterisierung auch sein mag, deutlich ist jedenfalls die antichristliche Stossrichtung des New Age. Sowohl fundierte theologische wie ethische und erkenntnistheoretische Analysen stehen noch aus. Was New Age ausserdem so schwer fassbar macht, sind Begriffsverwirrungen, die durch die jüngste Popularisierung zu einem fast unentwirrbaren Knäuel geschnürt worden sind. Wie verträgt sich höheres Bewusstsein mit Okkultismus, Spiritualität mit Spritismus, Geist mit Gefühl, Mystik mit Protest, Erleuchtung oder Meditation mit Belehrung und Seminarien, Sexus mit Eros, Liebe mit Teufelskult, Drogen mit Lebensreform, Loslassen mit Energie, Selbstverwirklichung mit planetarer Verantwortung, Lebensgemeinschaft mit Wirtschaft und Politik?
«Wassermann-Verschwörung», «aufsteigende Kultur» oder «Dritte Welle»?
Wenn man sich an Äusserlichkeiten hält, bleibt auffallend, dass die neuen Strömungen lange Zeit keinen gemeinsamen Namen hatten. Einige Beobachter versuchten es zwar, seit das Musical «Hair» im Herbst 1967 dem neuen Lebensgefühl Ausdruck gegeben hatte, mit der Bezeichnung «Wassermann», doch diese setzte sich nicht durch.
Andere Bennennungsversuche waren: Underground, Gegen- oder Subkultur, Spontangruppen, Neue Religiosität, religiöser Synkretismus, Bewusstseins-Revolution, Neuromantik, Alternativbewegungen. Erst als der ursprüngliche Schwung Mitte der 70er Jahre erlahmte, tauchte - fast als magische Beschwörung - der Begriff «New Age» immer häufiger auf, und zwar vorerst für die spirituellen Gemeinschaften. 1978 wurden diese in den USA erstmals von fundamentalistisch orientierten kirchlichen Kreisen als New-Age-Gemeinschaften aufs Korn genommen.
Mittlerweile hatte man aber den grösseren Zusammenhang mit Psychoforschung und neuen naturwissenschaftlichen Theorien entdeckt, so dass Marilyn Ferguson 1980 einfach alle, «die sich von gewissen Grundkonzeptionen westlichen Denkens losgesagt» haben, als Mitglieder einer «sanften Verschwörung» auffassen konnte. Fritjof Capra sah dasselbe zwei Jahre später als «aufsteigende Kultur». Und nun kam es dank tatkräftiger Unterstützung von Verlagen, Medien und Kirchen allmählich zur Ausdehnung des New-Age-Begriffs über die ganze Spannweite von Spiritualität, wobei bald auch weitere Bereiche von Lebenshilfe, positivem Denken und Selbstheilung bis zu Märchendeutung, Astrologie und Dämonologie einbezogen wurden.
Von anderer Warte aus spürte Alvin Toffler etwas Ähnliches, das er «Dritte Welle» nannte. Er steht freilich noch ganz im Bann der Thesen vom «postindustriellen Zeitalter». In seinem 500seitigen Buch «The Third Wave» (1980), das auf deutsch banal «Die Zukunftschance» (ebenfalls 1980) heisst, holt er noch weiter aus und registriert sämtliche Veränderungen in Technik und Industrie, Kommunikation und Politik. «Ein machtvoller Gezeitenstrom erfasst heute einen grossen Teil der Welt»; eine neue Zivilisation entsteht. Das führt zu einer gigantischen Transformation unseres Arbeits-, Freizeit- und Denkverhaltens, ja, unserer gesamten Lebensumstände. Ausgerechnet über die Beatniks und Hippies äussert er sich abschätzig: «Diese Bewegungen trugen viel dazu bei, dass bedingungsloser Optimismus durch bedingungslose Hoffnungslosigkeit ersetzt wurde.»
Abschnitt 4: New Age: Neue Therapien für Seele und Körper
Psychotherapie und Humanistische Psychologie
1942 begründete Carl R. Rogers mit seinem Buch "Counseling and Psychotherapy" die moderne klinische Psychologie. Er beschreibt darin seine nicht-direktive Therapie, die zwar an die Psychoanalyse anknüpft, aber die Deutung der Vorgänge unterlässt. Der Klient soll sich durch Selbstexploration zu Selbstaktualisierung und weiter zur "fully functioning person" entwickeln. Zentral für Rogers ist das Selbstkonzept, das in der Auseinandersetzung mit der Umwelt geformt wird. Später nannte er seine Therapie "klient-zentriert". Reinhard Tausch prägte dafür 1960 den deutschen Begriff "Gesprächspsychotherapie".
1945 gründete der Sozialpsychologe Kurt Lewin das "Research Center of Group Dynamics" am MIT. Nach seinem Tod (1947) wurde es der University of Michigan angeschlossen. Zur gleichen Zeit entstanden in den National Training Laboratories (NTL) von Bethel im Staate Maine unter L. P. Bradford und K. D. Benne die T-Groups, welche sich seit 1955/56 auch in Europa verbreiteten. Ähnliche gruppendynamische Methoden waren in den 60er Jahren das Organisationsentwicklungs-Training, das Efficiency-Training und das Sensitivity-Training. 1966 stellte Georg Bach, Direktor des Institute of Group Psychotherapy in Beverly Hills die "Marathon-Methode" vor. Carl R. Rogers schilderte 1970 die "Encounter Groups". In den 70er Jahren entstanden unzählige «Growth Centers», in denen sich auch Geschäftsleute und Manager behandeln liessen.
Fritz Perls, seine Frau Laura und Paul Goodman entwickelten die Gestalttherapie, und Alexander Lowen die Psychoenergetik.
Huna-Meditation
1917 hatte Max Freedom Long eine Stelle als Lehrer in Hawaii angenommen. Er lernte dort die "Kahunas", die "Hüter des Geheimnisses" kennen. Sie heilen und töten mit Magie. 1931 kehrte Long nach Kalifornien zurück und suchte nach neuen psychologischen Erkenntnissen, bis er 1935 eine Erleuchtung hatte, die er ein Jahr später unter dem Titel "Recovering The Ancient Magic" publizierte.
Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er die Schriften, die ihn bekannt machten:
1988 legte Kurt Tepperwein eine Anleitung zur "Huna-Meditation" vor. Zwei Jahre später beschrieb Henry Krotoschin die "Huna-Praxis".
Das Esalen-Institute bei Big Sur
Das 1961 in Esalen bei Big Sur an der kalifornischen Küste gegründete Institut bildet laut Marilyn Ferguson die Keimzelle der Wassermann-Verschwörung. Aldous Huxley, der in den 30er Jahren vom Buddhismus beeinflusst wurde und 1954 seine Drogenerfahrung geschildert hatte («The Doors of Perception») unterstützte Esalen. Von hier gingen zahlreiche psychologische und therapeutische Bewegungen aus, am Anfang unter dem Schlagwort «Human Potential Movement». Hier trafen sich nicht nur Arnold Toynbee, Linus Pauling und Paul Tillich, sondern auch Alan Watts und Carlos Castaneda, ferner die Begründer der «Humanistischen Psychologie» (1962) Carl R. Rogers, Rollo May und Abraham Harold Maslow sowie Fritz Perls. Um 1969 entwickelte sich aus der Humanistischen die "Transpersonale Psychologie".
· W. T. Anderson: The Upstart Spring. Esalen and the American Awakening. 1983.
"Veränderte Bewusstseinszustände"
"Als der amerikanische Ethnologiestudent Carlos Castaneda 1960 dem alten Yaqui-Zauberer 'Don Juan' begegnete, lag ihm nichts ferner, als dessen Weltsicht anzunehmen oder gar in die Fussstapfen des indianischen Magiers zu treten. Nur im Interesse seiner Dissertation über halluzinogene Rauschpflanzen bei den Indianern, nahm der junge Amerikaner das Angebot von 'Don Juan' an, sein Lehrling zu werden." So beginnt nach Viktor Farkas (1990, 218) eine der grössten Erfolgsstories des New Age. Seit 1968 erschienen eine ganze Reihe Schriften über die Lehren des Don Juan (dt. 1972-1988), die weltweit verschlungen wurden. Manche Kritiker ( darunter Richard De Mille: "Die Reisen des Carlos Castaneda", 1980) meinen allerdings, er habe bloss alles gut erfunden.
Berüchtigt wurden "wissenschaftliche" Untersuchungen über «veränderte Bewusstseinszustände» unter Drogeneinfluss. «The Psychedelic Experience" von Timothy Leary, Ralph Metzner und Richard Alpert (1964) erschien 1971 auf deutsch, kurz nach Learys «The Politics of Ecstasy» (1968; dt. 1970). Ein voluminöses Sammelwerk über «Psychedelics» stammt von Bernard S. Aaronson und Humphry Osmond (1970). Ein ähnliches gab Michael Harner 1973 heraus: "Hallucinogens and Shamanism".
Der amerikanische Psychologieprofessor Charles T Tart, der sich auf Gurdjieff stützt, gab 1969 einen Sammelband über «Altered States of Consciousness» heraus und berichtete zwei Jahre später «On Being Stoned». Sein nächster Sammelband über «Transpersonal Psychologies» (1975) erschien 1978 auch auf Deutsch. Stanislav Grofs «Realms of the Human Unconscious» (1975) erschien ebenfalls 1978 deutsch unter dem Titel «Topographie des Unbewussten», der zusammen mit der Schamanenforscherin Joan Halifax verfasste Band «The Human Encounter with Death» (1977) 1980. Weitere Bücher folgten Schlag auf Schlag. Ken Wilbers «Spectrum of Consciousness» (1977 im Theosophical Publishing House erschienen) musste dagegen zehn Jahre auf eine deutsche Übersetzung warten. Schneller ging es bei «No Boundary» (1979; dt.: «Wege zum Selbst» 1984) und bei «Up from Eden» (1981; dt.: «Halbzeit der Evolution» 1984). Mehrere Überblicke über die spirituellen Gemeinschaften und die Psycho-Trips bot seit 1969 der Journalist Theodore Roszak, z. B. «The Making of a Counter Culture» (1969; dt. 1971) und reichlich kunterbunt 1975 unter dem kuriosen Titel: «The Unfinished Animal. The Aquarian Frontiers and the Evolution of Consciousness" (dt. 1982, als Taschenbuch 1985). Ähnlich berichtete der seit 1954 in den USA lebende deutsche Soziologe Hans Sebald über die amerikanische «Romantik des 'New Age'» (in Hans Peter Duerr, Ed.: «Der Wissenschaftler und das Irrationale» Bd. 2, 1981). Er ist sehr kritisch.
1976 erschien die "Bibel" des New Age auf Deutsch: «Sei jetzt hier». Ihr Verfasser, Dr. Richard Alpert, hatte Anfang der 60er Jahre mit LSD an Harvard-Studenten experimentiert. Nach seiner Wandlung zum Guru in Indien nannte er sich Baba Ram Dass und verfasste «Be Here Now» (1971), das in kurzer Zeit Millionenauflage erreicht haben soll.
Kulturgeschichtliches Kunterbunt
Unbehagen führte zur "Ganzheitlichen Medizin»
Um 1970 nahm das Unbehagen am staatlich praktizierten Gesundheitswesen und an der kurativen Medizin zu. An manchen Orten in den USA entstanden alternative Einrichtungen, beispielsweise die «Free Clinic» in San Francisco und Berkeley, später auch «Alternative Therapies Units». Die Bewegung der «Ganzheitlichen Gesundheit» (holistic health oder holistic medicine), in Amerika gerne auch "Behavioral Medicine" genannt, hat mehrere Wurzeln.
Seit 1976 erscheint das «Journal of Holistic Health», 1977 fand ein erster Kongress zur «Holistic Health» statt, und seither gelangten zahlreiche Bücher auf den Markt. Bekannt wurden vom Jungianer John A Sanford: "Healing and Wholeness" (1977), von Donald A. Bakal: "Psychology and medicine" (1979; dt. 1987) und von Kenneth A. Pelletier "Holistic Medicine" (1979; dt.: "Gesund leben - gesund sein" 1983).
Leslie J. Kaslof gab 1978 einen Sammelband ("Wholistic dimensions in healing") mit Beiträgen von über 50 Autoren heraus; David S. Sobel im Jahr darauf einen ähnlichen ("Ways of Health").
In Europa wurde diese Bewegung erst nach 1982 deutlich wahrgenommen.
Für den Laien ist es nicht leicht, allfällige Spreu vom Weizen zu trennen, zählen doch neben Makrobiotik, allen möglichen Psychotherapien und Psychoonkologie auch "geistige Heilung, Akupunktur, Homöopathie, Irisdiagnostik, Pendel und Wünschelrute, Chiropraktik u. a." dazu, wie Reinhard König in seiner Schrift "Sanfte Heilverfahren" (1987) beschreibt.
Alpha-Training
In den 60er Jahren hatte der Texaner José Silva seine Methode "Silva Mind Control" entwickelt. 1975 schloss er sich mit dem New Yorker Pädagogen Philip Miele zusammen, um sein erstes Buch mit dem Titel "The Silva Mind Control Method" zu schreiben, das im nächsten Jahr erschien, aber erst 1983 auf Deutsch übersetzt wurde.
Seit 1973 fand das Alpha-Training in Deutschland, der Schweiz und Österreich Verbreitung. 1981 stellte der Betriebspsychologe und Hypnosefachmann Henry G. Tietze sein "Alpha-Training" unter dem Titel "Die punktierte Seele" vor. Nach dem frühen Tod des Alpha-Trainers Günther Friebe (1977) wurde sein Werk von seiner Witwe Margarete Friebe weitergeführt: Ebenfalls 1981 erschien von den beiden "Das Alpha-Training. Die Original- Methode". Klaus D. Ebert sprang 1986 auf den Zug der "Alpha-Entspannungsmethode" auf. Die selben Ergebnisse kann man auch mit Hilfe elektronischer Geräte zu erreichen suchen: "Biofeedback" (J. Kamiya et al. 1971; deutsch z. B. Marlin Karlins, Lewis Andrews 1973; Alice und Elmer Green 1978).
Akupunktur und Naturheilkunde
Zwar ist Akupunktur seit etwa 1800 im Westen bekannt und wurde in Frankreich und England auch praktiziert. Doch erst nach 1950 wurde sie in der Version mit den Ohren als "Landkarte" (sogenannte Aurikulotherapie) des französischen Arztes Paul Nogier populär. 1977 konnte Ronald Melzack nachweisen, dass die Schmerzpunkte der westlichen Medizin mit denjenigen der Akupunktur weitgehend übereinstimmen.
Maurice Mésségué war der Sohn eines Pflanzenkundigen in der Gascoigne und nach dem frühen Tod seines Vaters darauf bedacht, dessen Erbe weiterzugeben. Seine ersten Erfolge hatte er in Nizza.
1972 eröffnete der Jurist Manfred Köhnlechner, nachdem er 13 Jahre als Generalbevollmächtigter des Bertelsmann-Konzerns tätig gewesen war, eine Naturheilpraxis in Grünwald und gründete zwei Jahre später das "Manfred Köhnlechner Institut für Erfahrungsmedizin e.V."
Abschnitt 5: New Age: Spiritualität und Drogen
«Die Geburt eines Neuen Zeitalters» in Findhorn
Die 1962 im Norden von Schottland gegründete Findhorn-Gemeinschaft machte «New Age» seit Anfang der 70er Jahre als Begriff erneut bekannt. Der junge Amerikaner David Spangler - ein Anhänger von Alice Bailey - erlebte als Besucher 1970 in Findhorn Offenbarungen der «Grenzenlosen Liebe und Wahrheit». Er berichtete darüber zuerst in Broschüren, die weit herum versandt wurden, dann unter dem Titel «Revelation - The Birth of a New Age» (1971, resp. 1977; dt. «New Age - Die Geburt eines Neuen Zeitalters». Fischer Taschenbuch Verlag 1978, Reprint: Greuth Hof 1983).
Ein weiterer Sympathisant ist Sir George Trevelyan, Träger des Alternativen Nobelpreises von 1982 (zusammen rnit Petra Kelly). Er legte 1972 mit Vilayat Khan «New Age Meditations» vor und entwarf 1977 «A Vision of the Aquarian Age» (dt. 1980). Ausführliche Schilderungen der Gemeinschaft lieferten Paul Hawken, Norbert A. Eichler und Edwin Maynard. Von der Mitbegründerin Eileen Caddy erschienen zahlreiche Schriften; auch David Spangler schrieb unermüdlich weiter.
Spirituelle Gemeinschaften
1967-1971 entstanden hauptsächlich in Kalifornien, aber auch in Neu England, zahlreiche Gemeinschaften, z. B. · Zen-Klöster und Zentren in San Francisco · die Lama-Foundation bei Santa Fé (für Karma Yoga, Sufi) · die Ananda Gemeinschaft in der Sierra Nevada (Yoga) · Renaissance in Massachussetts · Sunburst Community bei Santa Barbara · das Agro-Labor New Alchemy (zuerst in San Diego, ab 1971 in Cape Cod) · die Ojai-Gemeinschaft bei Los Angeles (indianisch/schamanisch).
1970 zog eine Hippiekarawane unter Stephen Gaskin gen Osten und liess sich im Jahr darauf in Summertown, Tennessee, nieder (sie praktizierten Yoga und Zen). Gaskins "spiritual teachings" ("This season's people" 1976) erschienen 1983 auch auf deutsch unter dem Titel: "Wir lieben die Erde".
Die ersten Führer und Adresslisten erschienen schon recht früh, z. B. der «Spiritual Community Guide» 1972 und Peggy Masons «New Age Companion» 1975. Letzteres Verzeichnis bietet einen frühen Hinweis darauf, dass sich die unzähligen Gruppen und Kommunen langsam als «New Age Movement» zu betrachten begannen. Alex Jack gab 1976 den ersten "New Age Dictionary" mit Stichworten zu allerlei esoterischen und okkulten Strömungen und Begriffen heraus. Marc Allen berichtete 1978 unter dem Titel "Chrysalis" über "the new spiritual America".
Hierzulande berichtete darüber erst Rolf Goetz in «Spirituelle Gemeinschaften. Ein Wegweiser für das Neue Zeitalter» (1984): «Sie begreifen sich als Laboratorien, als Keimzellen von ganzheitlichen Gemeinschaften, die für die gesamte Menschheit beispielgebend und richtungweisend werden könnten.» Susanne Schaups Reisebericht trägt den Titel: «Wo Leben wieder menschlich wird. An der Schwelle des New Age - Alternatives Leben in Amerika» (1985). Noch Nostalgischeres findet sich in «Neues Denken -Alte Geister» (Günter Myrell et al. 1987). Beste und genaueste Information bietet die «American Encyclopedia of Religions» (1987); sie verzeichnet über 300 Gemeinschaften spiritualistischer und okkulter Art - bis hin zu Hexen- und Satanskulten.
In diesem Umkreis wird auch gerne über die Projekte «Auroville» bei Pondicherry in Indien (seit 1968) und «Arcosanti» in der Wüste von Arizona unter der Leitung von Paolo Soleri berichtet. Bisher haben sich allerdings die einst hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Abgesehen von der «Farm» in Tennessee verschwanden die Hippies mit «Flower Power» und «Make love not war» fast so schnell wie sie (1965) aufgetaucht waren. Immerhin orteten schon 1970 Charles Reich bei ihnen das «Bewusstsein III» und William Braden «The Age of Aquarius».
Drogen, Sekten und Psychokult überschwemmen Europa
Nach 1970 schwappte der neue Geist auch nach Europa herüber. Dabei handelte es sich um dreierlei:
Drogen und die «neue Religiosität» machten kirchlichen Kreisen - und Eltern - rasch zu schaffen (siehe z. B. Joachim Lell und Ferdinand W. Menne, Ed.: «Religiöse Gruppen» 1976); die neuen Psycho-Methoden und -Praktiken führten bald zu einem eigentlichen «Psychoboom» (George R. Bach, Haja Molter 1976). Auf den Zusammenhang der beiden Strömungen wiesen schon damals Reimar Lenz und Michael Schibilsky hin. Als gemeinsamen Nenner formulierte man: «Neue Sensibilität. Alternative Lebensmöglichkeiten» (so der Titel eines Sammelbandes, hrsg. von Ferdinand W. Menne 1974).
"Reise zum vergessenen Ganzen"
1974 deklarierten die Schriftsteller Reimar Lenz und Dorothee Sölle diese Versuche, "Religion" wieder oder ganz "neu" zu artikulieren als "Reise zum vergessenen Ganzen" (in: Evangelische Kommentare). Die Theologin meinte: "Das alte Wort der religiösen Sprache, 'Heil', drückt genau dieses Ganz-sein, Unzerstückt-sein, Nicht-kaputt-sein aus. Dass die kaputten Typen - und wer rechnet sich nicht zu Zeiten dazu? - den Wunsch haben, ganz zu sein, ist nur verständlich. Es ist zugleich der Wunsch nach vollkommener Hingabe, nach einem Leben ohne Berechnung und ohne Angst, ohne äussere oder bereits verinnerlichte Erfolgskontrolle, ohne Absicherung. Vertrauen können, hoffen können, glauben können - alle diese Erfahrungen sind mit einem intensiven Glücksgefühl verbunden, und eben um dieses Glück des Ganz-Seins, um dieses Heil des ganzen Menschen, geht es in der Religion."
Matriarchale Spiritualität
Was die Welt-Deutungen durch den menschlichen Geist betrifft, so hatten die Feministinnen 1971 das Matriarchat wieder entdeckt (Elizabeth Davis Gould: "The First Sex"; dt. 1977 u.1978). Im Extremfall gelangte man zu "Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau" (so der Untertitel zu "Weib und Macht" von Richard Fester et al. 1979).
Am deutlichsten hat Heide Göttner-Abendroth die besonderen Züge der matriarchalen Spiritualität und deren Transformation über früh-patriarchale zu patriarchal-monotheistischen Religionen herausgearbeitet ("Die Göttin und ihr Heros" 1980). Es handelt sich dabei um hypothetische Rekonstruktionen der ältesten Mythen der Menschheit. In der matriarchalen Vorstellungswelt soll das männliche Prinzip ganz und gar eingebettet in ein weibliches Universum gewesen sein. Erst mit dem Aufkommen der patriarchalen Gesellschaftsformen - vor allem durch die Ausbreitung der Indoeuropäer seit 2000 v. Chr. - "wurde als Gegensatz auseinandergerissen, was nie als Gegensatz gedacht war".
Aus der Vermischung der Thesen von Lewis H. Morgan (1851ff) und Johann Jakob Bachofen (1861) mit dem Panbabylonismus der Jahrhundertwende ergibt sich folgende Ganzheits-Vision:
Am Anfang tanzt die Erdgöttin einsam im Chaos, nur umwunden von der Urschlange, dem Ozean als dem fruchtbarmachenden Wasser, oder dem Wind, der die Göttin schwängert, worauf sie den Kosmos erschafft. Dann lebt sie als Personifikation der Erde überall in dieser. Später trennt sich von ihr die Mondgöttin. "Der dreifaltige Mond ist das Symbol der Dreifaltigen Göttin des Matriarchats auf seiner am höchsten entwickelten Stufe." Weil der Mond in allen drei Phasen eine Einheit ist, so ist auch die Göttin in allen drei Gesichtern - Mädchen, Frau, Greisin - nur eine Gottheit. Ihr Partner ist der menschliche Heros, der Held. "Die Mädchengöttin initiiert ihn im Frühling, sie verleiht im die Würde eines sakralen Königs. Im Sommer vollzieht die Frauengöttin mit ihm das zentrale Fest, die Heilige Hochzeit, die Land und Meer fruchtbar macht. Zu Beginn des Winters opfert ihn die Greisengöttin und führt ihn in die Unterwelt, aus der er am Anfang des nächsten Jahres geläutert wieder aufersteht. Symbolisch hat er durch sein freiwilliges Opfer nun den Tod des Kosmos überwunden." Das ist die Idee des Heroischen.
Durch den Einbruch der patriarchalen Denkweise wurde diese Struktur schrittweise verzerrt und umgedeutet. Typische Tricks waren die Umwandlung der Grossen Urmutter in einen Urvater; wenn das nicht glaubwürdig schien, stellte "man" der Urschöpferin einen Vatergott als Gemahl zur Seite, ohne den sie nichts vermochte; später wurde die Grosse Göttin gar zur Tochter des allmächtigen Vatergottes. Ferner übernahm dieser ihre Symbole: Blitz (Doppelaxt), Taube, Anch, Schicksalswaage.
Wie verführerisch solche Deutungen sind, zeigt sich auch darin, dass Ulrich Mann, Professor für Systematische Theologie und Religionswissenschaften, seine Darstellung der "Schöpfungsmythen" (1982) - ohne jeden Bezug zum Feminismus - ebenfalls der regulativen Idee der Ganzheit unterstellt: "Jeder Mensch hat ein solches Verständnis vom Sein, von der Wirklichkeit als der schlechthinnigen Ganzheit, und so ist es schon immer gewesen. Dies ist ein nicht zu verdrängendes Urbedürfnis der Seele; diese muss ganz einfach Ganzheit denken."
Populärliteratur des New Age
Den Reigen der Populärliteratur eröffnete 1972 Jane Roberts mit ihren "Gesprächen mit Seth". Ebenfalls viel Geld mit Channeling verdienten die Frauen Eileen Caddy ("God Spoke to Me" 1973), Helen Cohn Schucman (" A Course in Miracles" 1975), Chelsea Quinn Yarbro ("Messages from Michael" 1979) und J. Z. Knight ("Ramtha" 1985). Weitere Bestsellerautorinnen wurden Chris Griscom sowie die Lebensratgeberinnen Shakti Gawain und Louise L. Hay (1982). Shakti Gawains erstes Buch "Creative Visualization" (1978) erschien zweimal auf Deutsch unter den Titeln "Stell dir vor" (Sphinx Verlag, Basel, 1984) und "Gesund Denken" (Wilhelm Heyne Verlag, München, 1994). Bekannt wurde sie mit "Living in the Light" (1986). Bestseller wurden die Phantasy-Romane von Marion Zimmer Bradley "Die Nebel von Avalon" (1982; dt. 1983) und "Herrin der Stürme" (1991; engl. 1978).
Bei den eher spärlich vertretenen männlichen Autoren dominierten die kritischen Analysen der Magie von Gareth Knight (1965) und Francis King (1970) sowie die Zivilisationskritik von Stuart Wilde (1983). Karl Spiesberger war ein Vierschreiber im Bereich der magischen Künste (um 1970). Seit 1967 publizierte Piers Anthony fast jährlich einen Science-Fiction-Roman, darunter einen dreiteiligen Zyklus über "Tarot". Verfilmt wurde "Die Möwe Jonathan" ("Jonathan Livingston Seagull" 1970) von Richard Bach.
In Deutschland machten vor allem Kurt Tepperwein ("Geistheilung durch sich selbst", 1975), Thorwald Dethlefsen ("Schicksal als Chance" 1979), Kurt Allgeier (1979), Ralph Tegtmeier (1981) und Erhard F. Freitag ("Kraftzentrale Unterbewusstsein" 1982) Furore. Der Kinderbuchschriftstelle Michael Ende landete mit zwei Märchen für Erwachsene, "Momo" (1973) und "Die unendliche Geschichte" (1979) zwei Riesenerfolge. Mit der Verfilmung der letzteren durch den Regisseur Wolfgang Petersen (1984) war Ende gar nicht zufrieden. "Momo" wurde zwei Jahre später mit Radost Bokel und Mario Adorf verfilmt. 1983 wartete auch Hans Bemann mit einem 800seitigen Märchenroman ("Stein und Flöte") auf. Drei Jahre später folgte der Vielschreiber Rüdiger Dahlke mit der märchenhaften Reise eines Wiesenwichts ("Habakuck und Hibbelig", 1986).
Intellektuelle Verulkungen
1975 erschien die Trilogie "Illuminatus" (dt. 1977/78) von Robert Shea und Robert Anton Wilson. Die Autoren halten sich offenbar für ausgesprochen witzig. Sie vermengen im Stil der 1950er Jahre (Burroughs, Kerouac) und mit gehöriger Verwendung der Fäkalsprache Weltverschwörungstheorien mit Sex, Drogenrausch und satanischen Messen. Adolf Hitler steht neben John Dillinger, kabbalistische Hinweise vermischen sich mit Geheimschriften, Atlantis mit Computerprogrammen. Etwas sehr amerikanisch.
Ähnlichen intellektuellen Nonsens gab 1988 der Semantikprofessor Umberto Eco in "Das Foucaultsche Pendel" (dt. 1989) von sich. Er bezeichnet z. B. die Freimaurerei als "Mummenschanz" und vergleicht sie zweimal mit Ricks Café Américain im Film "Casablanca". Wie ironisch Eco ist, geht aus seiner Aufzählung der möglichen Themen für eine hermetische Buchreihe hervor: "Nekromantik und Hexerei der nicht-weissen Rassen, Onomantie, prophetische Raserei, freiwillige Thaumaturgie, Autosuggestion, Yoga, Hypnotik, Somnambulismus, merkuriale Chemie ...", usw. Die Vorbereitungen dazu führen zu ausgedehnten Gesprächen, oder Schwätzereien, über Gott und die Welt. Ein Ausflug führt in eine Villa in den Turiner Hügeln, wo eine multimediale Séance - später als "alchimistische Fête" bezeichnet - stattfindet.
Abschnitt 6: New Age: Naturwissenschaften
Physiker als Mystiker?
Die Physiker zeigten schon früh Interesse an östlichen Traditionen. So diskutierte Werner Heisenberg 1929 in Indien mit Rabindranath Tagore die Philosophie der Physik. Niels Bohr war 1937 in China, und J. R. Oppenheimer lernte Sanskrit, um die «Upanischaden» im Original lesen zu können, von denen auch Erwin Schrödinger beeinflusst war. Niels Bohrs Assistent Wolfgang Pauli, der fast sein ganzes Leben an der ETH lehrte, tat sich mit dem Tiefenpsychologen C. G. Jung zusammen, um den Zusammenhängen von «Naturerklärung und Psyche» (1952) auf die Spur zu kommen. Seine legendenumwitterten Aufzeichnungen, die als Nachlass beim CERN deponiert sind, wurden vom Finnen Kalervo V. Laurikainen ausgewertet. Das Ergebnis ist 1988 unter dem Titel «Beyond the Atom» (Springer-Verlag) erschienen.
Physiker sind durch ihre Forschungen an den kleinsten und grössten Dingen, Atom und All, häufig zu religiösen und philosophischen Fragen geführt worden. Eine eindrückliche Sammlung von Zeugnissen hat z. B. Hans-Peter Dürr 1984 vorgelegt: "Physik und Transzendenz. Die grossen Physiker unseres Jahrhunderts über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren." Noch eher im klassischen Bereich blieben Werner Heisenberg ("Physics and Philosophy" 1958; dt. 1959), Erwin Schrödinger ("Meine Weltansicht" 1961), zahlreiche Bücher von Jean E. Charon (1961ff) sowie Aufsätze von David Bohm (gesammelt unter dem Titel "Wholeness and the Implicate Order", 1980, dt. 1985) und Carl Friedrich von Weizsäcker (gesammelt: "Die Einheit der Natur", 1971).
Bereits 1957 veröffentlichte R. H. G. Siu «The Tao of Science», einen 180seitigen «Essay on Western Knowledge and Eastern Wisdom». 1960 schilderte Sir H. S. W. Massey die Geschichte der Atomphysik in seinem Buch «The New Age in Physics». Von der Psychologie her näherte sich Lawrence LeShan dem Thema mit dem Aufsatz «Physicists and Mystics. Similarities in World View» (1969) und dem Buch über Paranormales: «The Medium, the Mystic and the Physicist» (1974). 1974 berichtete der Franzose Raymond Ruyer über «Die Gnostiker von Princeton» (dt. 1977), wobei er auf eigenwillige Art die «Jenseits der Erkenntnis» gewonnenen Einsichten aus den Jahren von 1950-1970 zusammenstellte. Dabei waren u. a. Victor F. Weisskopf, David Bohm, Fred Hoyle, Eugene Paul Wigner und Eric Berne.
"Neue Paradigmen" in Physik, Chemie und Biologie: Evolution
Erst durch die beiden populär gewordenen Zusammenfassungen von Marilyn Ferguson («The Aquarian Conspiracy» 1980; dt.: «Die sanfte Verschwörung» 1982) und von Fritjof Capra («The Turning Point» 1982; dt.: «Wendezeit» 1983) rutschten die «neuen Paradigmen» in den Naturwissenschaften in den Bereich des New Age.
Beide erwähnen in ihren je rund 500 Seiten umfassenden Büchern die «New-Age-Spiritualität» nur am Rande ein, zwei Mal. Gleichwohl wurde Frau Fergusons Buch rasch zum «Handbuch des New Age», Capra selber zum New-Age-Guru hochstilisiert.
Das hatte eine beträchtliche Verwirrung zur Folge. So kann man nun alles, was irgendwie «neu» ist - von der alternativen Technologie über die «dissipativen Strukturen» bis zur «transpersonalen Erziehung» - unter «New Age» fassen.
Einer der ersten Naturwissenschafter, der sich mit New Age befasste, war der Delphinforscher John C. Lilly. Bereits 1972 veröffentlichte er seine Autobiographie "The center of the cyclone" (dt.: "Das Zentrum des Zyklons - eine Reise in die inneren Räume" 1976). Er geht von LSD aus.
Der erste, welcher die Theorie der «dissipativen Strukturen» des Brüsseler Forschers Ilya Prigogine ernst genommen hat, war 1972 der als Zukunftsforscher bekannt gewordene Erich Jantsch (wie Capra ein Wiener). Während damals Ervin Laszlo die alte Allgemeine Systemtheorie von Ludwig von Bertalanffy noch als «neues Paradigma» (1972) verstanden haben wollte, schaltete Jantsch rasch: 1975 stellte er in seinem Buch «Design for Evolution» bereits die «evolutionäre Perspektive» als «new paradigm» vor und erweiterte sie 1979 unter dem Titel «Die Selbstorganisation des Universums» (München: Hanser, ab 1982 dtv) auf die kosmische Dimension «Vom Urknall zum menschlichen Geist». Erich Jantsch hat aus seiner Vorliebe für östliche Weisheit keinen Hehl gemacht. Sein Konzept vom "Geist" als "Selbstorganisations-Dynamik" beruht auf dem Buddhismus (412ff); desgleichen die Vision einer "dynamischen Verbundenheit des Menschen mit der Evolution auf allen Ebenen, einer Verbundenheit über Raum und Zeit, die ihn selbst als integralen Aspekt einer universalen Evolution erscheinen lässt" (19).
Erst 1987 schloss sich auch Ervin Laszlo daran an mit seinem leicht lesbaren Informationsbericht für den Club of Rome: "Evolution. Die neue Synthese» (Wien, Europa Verlag).
Erich Jantsch gebührt auch das Verdienst, zusammen mit dem Genetiker Conrad H. Waddington den ersten Sammelband zum neuen evolutionären Paradigma herausgegeben zu haben («Evolution and Consciousness» 1976). Darin ist schon fast alles versammelt, was Ferguson und Capra später breitgeschlagen haben. Jantsch allein verwies damals nicht nur auf Hermetik, Buddhismus und Taoismus, sondern auch auf die Mystik in der Physik (Capra 1975) und Capras Lieblingstheorie, das Bootstrap-Modell von Geoffrey Chew (1968), ferner auf die «Psychosynthese» von Roberto Assagioli (1965, ursprünglich 1934), auf die LSD-Therapie (Stanislav Grof) sowie auf C. G. Jung und Marie-Luise von Franz.
Ebenfalls vor Ferguson und Capra hat Kenneth R. Pelletier - bekannt durch seinen Einsatz für «Holistic Health» - das meiste, was «auf der Schwelle zu einem neuen Zeitalter» vorlag, 1978 unter dem Titel «Toward a Science of Consciousness» zusammengestellt; einzig das Thema Selbstorganisation (Prigogine, Maturana, Varela) fehlt. Die deutsche Übersetzung «Unser Wissen vom Bewusstsein. Eine Verbindung westlicher Forschung und östlicher Weisheit» (1982) wurde kein Erfolg. Gleichfalls unbeachtet blieben schon William Irwin Thompsons «Passages about Earth» (1974; dt.: «Am Tor der Zukunft» 1975).
Wer hat die Forscher selber gefragt?
Ob die Forscher selber gefragt worden sind, ob sie - seit Fergusons und Capras Büchern - unter der Flagge «New Age» segeln möchten, ist nicht bekannt. Zumindest die Europäer wie Ilya Prigogine (Nobelpreis 1977), Jean E. Charon, Hermann Haken («Synergetics» seit 1970), Manfred Eigen («Hyperzyklus» 1977 / 78), Carl Friedrich von Weizsäcker, Hans-Peter Dürr und Herbert Pietschmann (der Wiener Lehrer von Capra) dürften sich dagegen verwahren.
Auch andere neue Ansätze sollten nicht in den New-Age-Topf geworfen werden, z. B. die «evolutionäre Erkenntnistheorie» (seit 1975: Rupert Riedl, Gerhard Vollmer) oder das biokybernetische resp. «vernetzte Denken" von Frederic Vester.
Die "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" hat die New-Age-Physik und die meisten ganzheitlichen Heilmethoden als unsinnig oder unwirksam kritisiert (siehe Irmgard Öpen et al.: "Lexikon der Parawissenschaften" 1999).
Wissenschafter und östliche Weisheit
Anderseits ist durchaus zu sehen, dass manche seriöse Wissenschafter sich mit dem östlichen Denken intensiv auseinandergesetzt haben. So reiste etwa Geoffrey Chew 1969 nach Indien; Karl H. Pribram stand mit den Gehirn- und Bewusstseinsforschern am Maharishi Mahesh Yogi-Labor der TM in Seelisberg und Werner Erhards «EST» in Verbindung, der Physiker David Bohm («Wholeness and the Implicate Order» 1980; dt. 1985) mit Krishnamurti. Ebenfalls von der TM und indischer Weisheit ist Rupert Sheldrake («Das schöpferische Universum. Theorie des morphogenetischen Feldes» 1983; engl. 1981) beeinflusst; er lebte zeitweise in einem christlichen Ashram in Indien. Francisco Varela (seit 1973 zusammen mit Humberto R. Maturana: «Autopoiesis») fühlt sich als buddhistischer Denker. Auch Erich Jantsch widmete seine Seminarien in den 70er Jahren buddhistischen Weisheiten und Praktiken. Carl Friedrich von Weizsäcker baute 1971 aus Anlass der Freundschaft mit Gopi Krishna, dem Yogi aus Kaschmir, die private «Forschungsstelle für östliche Weisheit und westliche Wissenschaft» in Berg bei Starnberg auf. Erstes Ergebnis war das gemeinsame Buch: "Die biologische Basis religiöser Erfahrung" (1971; engl. "The biological Basis of Religion and Genius" 1972). Insofern kann man tatsächlich einen Teil der neuen Physik und Biologie als New Age betrachten.
Gehirnforschung
Die zahlreichen Forschungsgebiete spannten sich aus zwischen Gehirnforschung und Parapsychologie. Der Neurochirurg und -psychologe Karl H. Pribram war schon 1960 als Mitbegründer der «Handlungstheorie» bekannt geworden. 1971 legte er eine «holographische Theorie» der Gehirnfunktion vor. Sie konnte auch für das Verständnis des Paranormalen gebraucht werden. Ebenfalls Furore machten in den 70er Jahren die Theorien über das «gespaltene Gehirn» - vor allem popularisiert durch Robert Ornstein («The Psychology of Consciousness» 1972; dt. 1974). Die Untersuchungen hatten 1953 durch Ronald E. Meyers und Roger W. Sperry (Nobelpreis 1981) am California Institute of Technology eingesetzt.
Sterbeforschung
Kurz darauf begann auch die Thanatologie oder Sterbeforschung. Popularität erlangten aber erst die «Interviews mit Sterbenden» (1971; engl. 1969) von Elisabeth Kübler-Ross und Thorwald Dethlefsens «Leben nach dem Leben» (1974). Raymond A. Moodys «Life After Life». (1975) erreichte in der deutschen Übersetzung («Leben nach dem Tod» 1977) im ersten halben Jahr eine Auflage von fast 150 000 Exemplaren.
Kommentare
Einen wissenschaftlichen Kommentar über fast alle Gebiete des New Age aus der Sicht der Psychologie boten Leonard Zusne und Warren H. Jones in "Anomalistic Psychology - A Study of Magical Thinking" (1980; erweitert 1989). Unter dem irreführenden Titel "Where Science and Magic Meet" (1991; dt.: Wissenschaft und Magie, 1993) bot Serena Roney-Dougal ein echtes New-Age-Chrüsimüsi. Frau Roney studierte Parapsychologie. Sie beginnt daher mit diesem Gebiet (= subliminales Bewusstsein), dann kommt die New-Age-Physik ("das holographischen Universum"), es folgen Hormone (Kundalini-Yoga), Erdmagnetfeld, Feen (sind vielleicht für die Kornkreise verantwortlich) und Hexen.
Abschnitt 7: New Age: Langsamer Abgesang seit 1980
Die sanfte Unterwanderung von Friedens-, Frauen- und Ökobewegung
Als «vitale Bewegung» ging New Age Ende der 70er Jahre zu Ende, betont kein Geringerer als Fritjof Capra (siehe Horst Bürkle, Ed.: «New Age» 1988).
«Mit den achtziger Jahren kam eine weitgehende Politisierung der aufsteigenden Kultur in Kalifornien, wo sich die humanistischen Psychologen und ganzheitlichen Therapeuten jetzt der Friedensbewegung, der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung anschlossen und ihre Anliegen mit denen dieser Bewegungen verknüpften. Dieser Zusammenfluss ist jetzt so weit fortgeschritten, dass sich die meisten Vertreter der aufsteigenden Kultur schon lange nicht mehr mit der New-Age-Bewegung identifizieren. In Kalifornien gebrauchen wir den Ausdruck 'New Age' heute nur noch dazu, um diejenigen zu bezeichnen, die in der Geisteshaltung der 70er Jahre steckengeblieben sind und die inzwischen eingetretene Ausweitung des sozialen und politischen Bewusstseins nicht mitgemacht haben.»
Die Kommerzialisierung der Esoterik
In den deutschsprachigen Ländern betrachtete man all diese Strömungen lange Zeit als Kuriosität. Erst die Vortragstournee von Marilyn Ferguson Ende April 1982, Fritjof Capras «Wendezeit» (mit 6 Auflagen im ersten Jahr der deutschen Übersetzung, 1983) und die grossen Konferenzen im Herbst 1983 in Davos, Alpbach und München brachten einen Umschwung.
1984 publizierte der Chefredaktor der grenzwissenschaftlich-esoterischen Monatszeitschrift «esotera» eine Blütenlese aus den letzten 5 Jahrgängen seiner Zeitschrift unter dem Titel «New-Age - Zeugnisse der Zeitenwende». Nun stürzten sich Verlage und Medien auf das "neue Denken" - vorerst unter dem alten Titel «New Age». Die Sache wurde zum Geschäft. Vornehm ausgedrückt: Esoterisches Wissen aller Zeiten wird jetzt exoterisch, d. h. der Öffentlichkeit zugänglich, allgemein bekannt. Böse formuliert: Psycho-Schmus und Hippiereligion werden nun auch im Bürgertum salonfähig.
Zum eigentlichen New-Age-Unternehmensberater hat sich Gerd Gerken ernannt. Seit 1983 gibt er das Informationsblatt «Radar für Trends» heraus. In der Juli-Nummer 1984 der Zeitschrift «Management Wissen» hat er das Stichwort New Age vorgestellt, 1986 erschien seine umfassende Anleitung «Der neue Manager», 1988 seine «Geburt der neuen Kultur. Vom Industrialismus zum Light Age». Unter Light Age versteht Gerken eine «integrale Kultur», die sich irgendwann im 3. Jahrtausend (wahrscheinlich zwischen 2010 und 2050) durch das Zusammentreffen von High-Spirit und Hig-Tech am Mega-Punkt, am «Bahnhof der Bifurkation», bilden wird. New Age ist dann nur noch die «Software für die kommende Informationsgesellschaft». Eine Spiritualisierung der Wirtschaft - und des AlItags - wird kommen.
Die 90er Jahre
In den 90er Jahren standen vor allem die Scientologen wegen ihrer Praktiken und ihrer Machtfülle in einzelnen Wirtschaftszweigen und Ländern im Kreuzfeuer. Filmstars wie John Travolta und Tom Cruise dienten als Aushängeschilder. Unerfreuliche Höhepunkte bildeten grosse Kollektivselbstmorde einzelner Sekten.
Die Gefährlichkeit von Sekten
1978 waren im Dschungel von Guayana 914 Anhänger der Volkstempler tot aufgefunden worden. Ihr Messias Jim Jones hatte sie zum grössten Massenselbstmord der Geschichte aufgerufen worden. In den 90er Jahren folgten weitere Dramen:
1990 gab Jürg Wichmann eine vielgerühmte Übersicht über New Age in seinem Buch "Die Renaissance der Esoterik", und von J. Gordon Melton erschien die: "New Age Encyclopedia".
Bestseller
Bestseller der 90er Jahre waren
· Paul Coelho: O Diario De Um Mago. 1987; dt.: Die heiligen Geheimnisse eines Magiers - 12 Einweihungen auf dem Jakobsweg. 1991. · Johanna Paungger, Thomas Poppe: Vom richtigen Zeitpunkt, 1991. · James Redfield: Die Prophezeiungen von Celestine, engl. und dt. 1993. · René Egli: Das Lola-Prinzip, 1994. · Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz (engl. 1995; dt. 1996). · Paul Coelho: Der Alchemist. 1996. · Alex Garland: The Beach 1996 (verfilmt mit Leonardo Di Caprio 2000).
Abschnitt 8: Wer trägt das Erbe der Esoterik heute?
Wer trägt um die Jahrtausendwende das Erbe der antiken und mittelalterlichen Esoterik?
Die meisten Bewegungen und Splittergruppen sind heute, im globalen Rahmen gesehen, weitgehend bedeutungslos. So zählen (je nach Lexikon) die Theosophen etwa 35-40 000 Mitglieder, die Anthroposophen 20 000, der Gral 8-15 000, der O. T. O. 500-2000. Einzig der AMORC (Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis; 1916 gegründet durch den Theosophen Spencer Lewis) soll über 250 000 Mitglieder zählen. Viel Werbung macht das 1924 gegründete Lectorium Rosicrucianum.
Heute gibt es vier Gruppen, die als "Verwalter" der Esoterik betrachtet werden können:
(geschrieben im Winter 1999/ 2000, kombiniert mit dem Artikel „Alles über New Age“, der erschienen ist in: Schweizer Monatshefte, Heft 2, Februar 1989, S. 109-120, und später stark erweitert)
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