Home Was ist von betrieblichen Problemlösungstheorien auf alltägliche Probleme übertragbar?

 

 

Unterlagen für einen Volkshochschulkurs „Entscheiden und Verantworten im Alltag“, Sommer 1987

6.7.1987

 

Entscheiden und Verantworten im Alltag VIII

 

 

1. Auf dem Hintergrund von Lebensweisheit, Lebenskunst und "Goldenen Entscheidungsregeln" (letztere wurden gemeinsam mit der Zusammenfassung von Kurs VI abgegeben) können die Theorien über Problemlösungen betrachtet werden.

 

2. "Entscheidung" tritt dabei in zwei Sichtweisen auf:

  • im engeren Sinne entweder als Wahl zwischen Ja und Nein (z. B. bei Entschluss, nicht mehr weiter zu wursteln) oder als Auswahl der "besten" Alternative (aus mehreren vorher bewerteten Alternativer
  • im weiteren Sinne gleichbedeutend mit dem ganzen Vorgang (Entscheidungsprozess, kreativer Prozess, Problemlösung, Innovation, Planung, Handlungsregulation).

 

3. Die vielen Theorien über Problemlösungen oder Entscheidungsprozesse bieten dreierlei:

a) eine Einteilung des gesamten Prozesses in verschiedene Phasen (2-19), z. B.

  • (2) Willensbildung und -durchsetzung
  • (4) Präparation, Inkubation, Illumination und Verifikation
  • (6)   -     Problemwahrnehmung und -formulierung

-     Produktion von Ideen, d. h. Suche nach Handlungsmöglichkeiten und Wirkungsabschätzung

-         Prüfung und Bewertung der Alternativen

-         Entschluss als Auswahl einer Alternative

-         Durchführung der ausgewählten Handlung

-         Erleben und Beobachten der Konsequenzen

b) Bestandteile (oder Elemente) der Problemlösung

c) Hilfsmittel (oder Methoden) der Problemlösung.

 

4. Da der Problemlösungsprozess in der Praxis nie Schritt für Schritt abläuft, sondern immer wieder Rück- und Vorgriffe vorgenommen werden müssen (= rekursiv; Rückkoppelungsschleifen) und da überdies in Phase gesucht, beurteilt und entschieden werden muss, ist es sinnvoll, sämtliche Phasen und Elemente in ein 4er Schema zu ordnen (siehe Beilage). Es umfasst:

1. Aktor, Beteiligte, die selber in Situation stehen und ihre Eigenheiten haben. Ihre Zusammenarbeit (z. B. als Geschäftsleitung) steht unter gruppendynamischen Effekten und muss organisiert werden.

2. Entscheidungshilfen, insbesondere Erfordernisse und Tätigkeiten, die ständig ausgeführt werden müssen.

3. Die Erfassung des Problems, die Bildung und Präzisierung von Zielen (welche dann die Entscheidungs-Kriterien abgeben) und die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten.

4. Die Realisierung der Lösung, am besten als "Projekt" organisiert, mit anschliessender Manöverkritik, die zur Selbstkritik führen kann.

 

5. In der betrieblichen Praxis werden 1/4 - 1/2 aller Entscheidungen nachträglich als Fehlentscheidungen betrachtet. Die Fehler treten in jeder Phase auf. Am erstaunlichsten ist, dass

-          häufig Ziele nicht präzisiert werden

-          nur 1 "Alternative" (ein "geheimer Favorit") untersucht wird

-          nur 1 künftiger Umweltzustand ins Auge gefasst wird

-          Informationen kaum gesucht werden

-          unbequeme Informationen heruntergespielt oder ignoriert werden.

 

6. Für "grössere" Entscheidungen oder Problemlösungen ist die Kenntnis "abstrakter Schemata" hilfreich. Daher sind auch die vielen angebotenen Hilfsmittel am besten in einem 4er Schema übersichtlich dazustellen. Es handelt sich dabei nicht um spezifisch betriebswirtschaftliche Methoden wie Vorschlagswesen, Produktforschung, Risiko-Analyse oder Markt- und Motivforschung, sondern um allgemeine "kreative" oder heuristische (d. h. zum Finden geeignete) Methoden. Sie lassen sich unter die Stichworte Polarität, System, Bild und Pluralismus stellen (siehe Beilage).

 

7. Ein konkretes Beispiel der Entscheidungsfindung aus dem Alltag herauszugreifen ist schwierig, weil es über ein Dutzend private "Problembereiche" gibt, z. B.

-          Freizeit; Konsum; Unterhaltung; Spiel

-          Wohnen; Haushalt; Geld und Besitz

-          Bürgerpflichten (Steuern, Abstimmungen, Dienst)

-          Beruf, Arbeit, Arbeitsplatz

-          Mitwirkung in Vereinen, Organisationen, Gremien

-          Gesundheit, Konstitution, Ernährung, Süchte, Medikamente

-          Partnerschaft, Verwandtschaft, Freundschaften

-          Erziehung

-          Nachbarschaft; gesellschaftliches Benehmen

-          Bildung (Verstehen); Lebenssinn (Krisen, gesellschaftliche, ökologische und weltpolitische Besorgnis)

 

Wenn Psychologen oder Berater ein paar Beispiele herausgreifen, ergibt das oft den falschen Schein, als seien es die einzig "wesentlichen" Probleme.

 

8. Das Beispiel der Ferienplanung gibt ein gutes Bild auch für viele andere Entscheidungen im Leben. Das 4er Schema betrifft (a) Ziel, (b) Mittel, (c) Weg und (d) Verfahren.

(a) Manchmal ist schon das Ziel nicht bestimmt. Soll es Rom (= das Gute) oder Babylon („Sündenbabel") sein?
Das Ziel richtet unsere Bestrebungen aus. Bei Abweichungen finden wir leichter wieder auf den "richtigen" Weg zurück.

(b) Die Mittel (oder Instrumente) sind vielfältiger als wir denken. Wir können mit einer Folgenmatrix bewerten.

(c) In den Ferien wie im Leben geraten wir immer wieder an Weggabelungen. Wenn wir weiterkommen wollen müssen wir

- wissen, in welche Hauptrichtung wir uns fortbewegen wollen

- vorausschauen, beispielsweise mit einer Landkarte.

(d) Das griechische Wort "methodos" heisst "dem Weg nachgehen"; auf deutsch können wir daher "Verfahren" sagen. Wir können entweder

- schon zu Hause planen (was zu Vorbereitungen wie Training, Ersatzteilbeschaffung, Gepäckzusammenstellung führt)

- ins Blaue hineinfahren ("laufende Planung")

 

9. Nehmen wir ein schnelles Verkehrs-Mittel, dann laufen wir Gefahr, unterwegs wenig zu sehen und zu erleben; nehmen wir ein langsames (Velo, Wandern), dann kommen wir vielleicht gar nie ans Ziel, dafür haben wir viele Erlebnisse auf dem Weg.

Was ist sinnvoller?

 

Literatur

 

Dietrich Dörner et al. (Hrsg.): Lohhausen. Vom Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität. Bern: Huber 1983.
(Das ist der sehr schwer zu lesende Bericht über die Simulationsstudie: am Computer Bürgermeister spielen)

Hartmut Geissler: Fehlentscheidungen. Frankfurt: Peter Lang 1986.
(Ansprechende Studie über die Ursachen von betrieblichen Fehlentscheidungen)

Sylvia Brander, Ain Kompa, Ulf Peltzer: Denken und Problemlösen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1985.
(Preisgünstige und umfassende Übersicht über den neueren Stand des Wissens, zwar fachlich, aber mit vielen Beispielen)

K. F. Jackson: Die Kunst der Problemlösung. Landsberg am Lech: moderne verlags gesellschaft, 2. Aufl. 1984 (engl. 1975)
(Recht populär geschrieben, brauchbar)

 


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