Ergebnisse der Zürcher Fluglärmstudie 1976/77
Inwieweit sind subjektives Belästigungsgefühl, Beeinträchtigung der häuslichen Erholung und gesundheitliche Störungen in der Umgebung von Flughäfen auf den Fluglärm zurückzuführen? Der Autor fasst die Forschungsergebnisse über diese aktuellen Fragen zusammen und berichtet über neue Feldexperimente, in denen die Auswirkungen des Fluglärms auf den Körper direkt in den Wohnungen der Untersuchungspersonen gemessen wurden.
Zusammenfassung [vom Schluss des Berichts]
Eine Studie des Instituts für Verhaltenswissenschaft der ETH in Zürich hat bestätigt, dass. der Fluglärm für die Bewohner der Umgebung eines Flughafens eine beträchtliche Belästigung darstellt. Es wird eine Reizbarkeit bewirkt, die sich in zahlreichen negativen Absichten, Einstellungen und Ansichten sowie in Handlungsweisen und Massnahmen und sogar in psychosomatischen Beschwerden äussert. Zusätzlich beeinflusst der Lärm die vegetativen Reaktionen von Personen, die verschiedene Aufgaben zu lösen haben, vor allem, wenn diese besondere Konzentration erfordern.
[Bericht]
Die Auswirkungen des Fluglärms auf die Anwohner des Flughafens Kloten waren bisher zweimal ganz spezifisch Gegenstand der empirischen Sozialforschung (Siehe Tab. 6).
Die erste Untersuchung fand 1971 durch eine Ende 1967 vom Bundesrat eingesetzte "Arbeitsgemeinschaft für sozio-psychologische Fluglärmuntersuchungen" statt. Als deren Präsident und Koordinator der akustischen und soziologischen Arbeiten amtete Prof. Dr. Etienne Grandjean, Direktor des Instituts für Hygiene und Arbeitsphysiologie an der ETH Zürich, das sich bereits durch die Behandlung von Lärmfragen einen Namen gemacht hatte. Messungen des Lärms und Berechnungen von Lärmzonen (Siehe Tab. 5) wurden von der schon 1960 eingerichteten Abteilung für Akustik und Lärmbekämpfung der EMPA (Prof. Dipl. Ing. Anselm Lauber; El.-Ing. HTL Peter Graf) unternommen. Den soziologischen Teil betreute das Soziologische Institut der Universität Zürich (Prof. Dr. Peter Heintz; lic. phil. I Richard Müller, lic. phil. I Hans-Peter Meier). Er bestand in einer von einem privaten Meinungsforschungsinstitut durchgeführten Befragung von 1471 Personen im Kanton Zürich, wovon 1109 (75%) in der Flughafenregion wohnten. Da die Untersuchung gesamtschweizerisch angelegt war, wurden auch in den Regionen Basel und Genf Messungen und Befragungen durchgeführt. 1973 war die statistische Auswertung abgeschlossen, und im Jahr darauf konnte der Schlussbericht (die SPF-Studie [4]) erscheinen.
Im Rahmen von Nationalfondsprojekten führte später das Institut für Verhaltenswissenschaft der ETH (Prof. Dr. med. Karl Bättig, PD Dr. Hans Zeier) "Felduntersuchungen zur psychovegetativen Lärmbelastung" durch (IVW-Studie [1, 2]). Sie galten im Rahmen der umwelthygienischen Grundlagenforschung der Abklärung von Auswirkungen chronischer wie aktueller starker Lärmbelastung auf erwachsene, gesunde Menschen. Unter Verwendung des Flughafens Kloten als beispielhafter Emissionsquelle wurde 1976 eine Pilotstudie in zwei Etappen durchgeführt: 1. Sozio-psychologische Gruppenbefragung von 132 Personen aus den 9 am stärksten von Fluglärm betroffenen Gemeinden, welche der Gewinnung von persönlichen Daten und der Abklärung der Repräsentativität diente. Besonderes Gewicht wurde dabei auf die Erfassung von Kontextfaktoren (140 von fast 400 Fragepunkten) und Persönlichkeitsdimensionen gelegt [1). 2. 54 Personen davon wurden dann mit mobilen elektronischen Apparaturen in ihrer Wohnung zu Zeiten starken Luftverkehrs auf ihre körperlichen Reaktionen untersucht, und zwar wurden ein Elektrokardiogramm (EKG) und ein Elektromyogramm (EMG) aufgenommen sowie Hautwiderstand und Atmung registriert [2].
Damit sollten einerseits Zusammenhänge zwischen chronischer wie aktueller Fluglärmbelastung und individuellen Reaktionen aufgespürt, anderseits Einflussfaktoren auf diese Reaktionen sowie auf die individuellen Reaktionsverschiedenheiten ausfindig gemacht werden. Der erste Teil erbrachte den Nachweis, dass auch mit der Befragung einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe repräsentative und aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden können, denn die Resultate entsprechen weitgehend denen der SPF-Studie [4]. Das deutet auf eine Konstanz einerseits der Belastung durch Fluglärm, anderseits der Einflussfaktoren hin. Dies wird bestätigt durch einen Vergleich mit einer 1969 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft beim Flughafen München durchgeführten Erhebung (DFG-Studie [3]). Alle drei Studien decken sich im weiteren mit Ergebnissen von Untersuchungen in den USA, Schweden und Grossbritannien, in den Niederlanden und in Frankreich.
Der Flugverkehr ist die dominierende Belästigungsquelle
Die Hauptergebnisse sämtlicher Studien lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: 1. Wie immer man die subjektiven Beeinträchtigungen und Störungen der Flughafenanwohner erfasst, sie steigen regelmässig mit zunehmender Fluglärmexposition, das heisst meist mit zunehmender Nähe zu den Pisten, an.
2. Aber das ist nur
eine allgemeine Tendenz, gehen doch die Reaktionen der einzelnen
Menschen in derselben Lärmzone weit auseinander. Das bedeutet,
statistisch gesehen, dass durch die Fluglärmhöhe selbst
nur ein geringer Teil, nämlich etwa 10-30% der individuellen
Reaktionsverschiedenheit, erklärt werden kann.
3. Das Ausmass der Belästigung ist weitgehend unabhängig von Kontextfaktoren. Das heisst, weder soziostrukturelle Faktoren wie Alter, Bildung, Einkommen und Hausbesitz noch persönlichkeitspsychologisch feststellbare und physikalische Faktoren (z. B. Haustyp, Schallisolation) haben einen nennenswerten Einfluss auf den Grad der Beeinträchtigung. Damit ist der Flugverkehr die dominierende Belästigungsquelle.
Eine der am weitesten verbreiteten Meinungen besteht darin, Lärmempfindlichkeit sei eine Einstellungssache. Nimmt die Forschung diese Ansicht als Arbeitshypothese auf, so gilt es, möglichst umfassend abzuklären, wovon die Reaktionsvielfalt abhängt. Dabei ist dem Begriff «Abhängigkeit» grösste Aufmerksamkeit zuschenken.
Häusliche und physikalische Störungen (Siehe Tab. 1)
Der Flugverkehr bewirkt gemäss seinem Ausmass direkt zahlreiche Störungen vor allem häuslicher Aktivitäten (z. B. Radiohören, Fernsehen, Telefonieren, Arbeit, Konzentration, Gespräche in der Wohnung und im Freien) und von Erholungsbedürfnissen (z. B. Ausruhen, Schlaf). Auch physikalische Störungen sind festzustellen, zum Beispiel Zittern des Hauses, Klirren der Fensterscheiben, ferner Störungen des Fernsehbildes und Luftverschmutzung. Direkt vom Fluglärm abhängig sind im weiteren das subjektive Belästigungsempfinden und der Wunsch, vom gegenwärtigen Wohnort wegzuziehen, sowie die Meinungen, es gefalle einem hier weniger gut als vor einem Jahr, der Fluglärm habe die eigene Gesundheit beeinflusst, der Lärm sei stärker als an einer Autobahn oder gleich stark, wenn nicht stärker als an der Westtangente, und er störe besonders morgens und nachts.
Umstellung von Lebensgewohnheiten (Siehe Tab. 1)
Bemerkenswert ist, dass auch Umstellungen der Lebensgewohnheiten erfolgen: Bei zunehmendem Lärm sind die Flughafenanwohner weniger zu Hause, weniger im Freien und halten die Fenster weniger offen. Damit taucht auch der Wunsch nach finanzieller Unterstützung für den Einbau von Schallstoppfenstern auf. Die Bewohner höherer Lärmschichten haben auch deutlich weniger ausserfamiliäre Gäste zum Übernachten bei sich. Ebenfalls leicht in Abhängigkeit vom Fluglärm sind die Klagen beim zuständigen Amt zu sehen. (Wobei die Bewohner der höchsten Fluglärmschicht deutlich resignieren, halten doch mehr als die Hälfte offizielle Reklamationen für nutzlos gegenüber sonst ca.10-20% - und die Flugkontrolle für zuwenig streng - gegenüber ca. 20-40%.)
Enge Zusammenhänge der Störungen, Meinungen und Taten
Nun ist festzustellen, dass die erwähnten Störungen, Meinungen und Lebensumstellungen auch untereinander zusammenhängen. Enger als jeweils mit dem Fluglärm sind die Zusammenhänge zwischen den physikalischen Störungen - vor allem Erschütterungen des Hauses - und den andern Beeinträchtigungen bzw. dem subjektiven Belästigungsempfinden (r=ca. 0,40-0,50). Sehr eng sind sie aber auch zwischen häuslichen Störungen und dem generellen Belästigungsempfinden (r=0,74), residentiellem Entzug (Wegzuggedanken, r=0,67; weniger zu Hause und im Freien, r=0,38), Tablettenkonsum, Gebrauch von Ohrenschutz und Klagen beim Amt sowie beim Schutzverband (r=0,28-0,35). Eng verbunden sind häusliche Störungen auch mit den Meinungen, der Fluglärm habe die eigene Gesundheit beeinflusst (r=0,62), sei stärker als an der Autobahn oder Westtangente (r=ca. 0,50), es gefalle einem weniger als vor einem Jahr, und Schlafstörungen seien am unangenehmsten (r= je 0,37). Hoch sind die Zusammenhänge auch zwischen Belästigungsgefühl und Wegzuggedanken (r=0,72), residentiellem Entzug (r=0,39) sowie den genannten Meinungen (r=0,28-0,57), ferner zwischen Wegzuggedanken und negativen Meinungen (r=0,63). Dass alle diese Taten, Empfindungen und Meinungen auch untereinander zusammenhängen, ist verständlich.
Fluglärmunabhängige Befunde und Meinungen (Siehe Tab. 2 und Tab. 3)
Verwirrend wird die Angelegenheit nun, wenn man feststellt, dass alle obigen Tatbestände auch mit Variablen zusammenhängen, die selber vom Ausmass des Fluglärms unabhängig sind. Dies sind vor allem (r=0,30-0,60) einerseits Gesundheitsbeschwerden, anderseits die Behauptung, man habe sich nicht an den Fluglärm gewöhnt, und Lärmgewöhnung sei überhaupt nicht möglich, Fluglärm sei die unangenehmste Lärmart und der Hauptgrund, weshalb es einem hier weniger als am früheren Wohnort gefalle; der Lärm sei dort geringer gewesen. Dazu kommt die Meinung, am unangenehmsten sei die Störung des Ausruhens, ferner ein ungutes Gefühl bei tieffliegenden Flugzeugen sowie Angst, es könne eines abstürzen, und die Befürchtung, der Fluglärm könnte ganz generell die Gesundheit beeinflussen. Darüber wird auch mit dem Arzt gesprochen. In geringerem Mass eröffnen sich ebenfalls Zusammenhänge mit einer Unzahl weiterer Meinungen, beispielsweise, es werde viel zu wenig gegen Fluglärm getan, man sollte Schallschutzwände aufstellen, schärfere Flugvorschriften seien nötig, man sollte überhaupt mehr gegen den Fluglärm unternehmen. (Entscheidende Verbesserungen der Lärmsituation halten übrigens 95% der Befragten für möglich. Dazu Tab. 4.)
Die Störungen bewirken Flucht, Abschirmung, Klagen und Verärgerung
Was bedeutet dies alles für unsere Hypothese? Zum ersten muss das Ausmass und die Dominanz der Störungen durch den Flugverkehr Aufsehen erregen, insbesondere in den für die kommunikativen bzw. rekreativen Bedürfnisse so wichtigen Abend-, Nacht- und Morgenstunden.
Aufgrund einer eingehenden Analyse des. IVW-Datenmaterials [1] sowie Überlegungen der DFG [3] zum Thema "Bindung an die Gegend" und einer Pfad-Analyse für den Bereich Furcht scheint es plausibel, folgendes anzunehmen: Der Flugverkehr bringt für die Anwohner eines Flughafens in erster Linie namhafte Beeinträchtigungen im häuslichen Bereich mit sich: Grundlegende Bedürfnisse der Erholung und Kommunikation werden empfindlich gestört. Im Verein mit dem Erschrecken, den Erschütterungen des Hauses und der Luftverschmutzung sind Reaktionen zu beobachten, deren Häufigkeit sich ebenfalls noch nach dem Fluglärm bemisst. Sie bestehen einerseits in einer realen oder auch nur erwogenen Flucht oder aber in einer ebensolchen Abschirmung. (Auch selber vorgenommene Schallisolierungen erwiesen sich in der SPF- [4] wie DFG-Studie [3] als deutlich fluglärmabhängig.) Anderseits werden Vorstösse bei den Behörden unternommen, und drittens gelangt man zu Beurteilungen, dass der Lärm stärker sei als in anderen bekannten Lärmgebieten. Daraus resultiert eine massive Verärgerung, deren Folgen eine Fülle von Einstellungen, Meinungen und Wünschen sind, ferner etwa die objektspezifische Furcht vor einem Flugzeugabsturz (die nach der IVW-Studie [1] übrigens nicht mit genereller Angst zusammenhängt.)
Fluglärmempfindlichkeit ist keine Einstellungssache
Was schliesslich flugverkehrsspezifische Einstellungen betrifft, so finden sich keine nennenswerten Zusammenhänge mit der Beeinträchtigung. Dies betrifft sowohl die generell positive Einstellung zur Luftfahrtindustrie und der Glaube, dass der Flughafen von wirtschaftlicher Bedeutung für die umliegenden Gemeinden oder die Region sei, als auch etwa eine schlechte Meinung über Flugzeug- und Flughafenpersonal. Mit der realen Beziehung zum Flugverkehr - zum Beispiel beruflich, über Verwandte oder durch eigene Flugerfahrung - ergeben sich ebenfalls kaum Beziehungen. Dasselbe lässt sich schliesslich auch für sogenannte "projektive Deutungen der Schallquelle", also etwa Reiseträume und Bewunderung des Pilotenberufs, feststellen [4]. Umgekehrt korrelieren auch etwa eine konservative Grundeinstellung und Abneigung gegen die Zivilisation nicht mit der Beeinträchtigung [3].
Fluglärm hat keine Sündenbockfunktion
Nach einer zweiten Hypothese dient der Fluglärm als "Sündenbock" für andere Unzufriedenheiten. Das ist rasch widerlegt. In der IVW-Studie [1] ergaben sich keine oder nur sehr geringe Korrelationen zwischen der Beeinträchtigung oder der Hyperreaktivität und andern Störungsgründen, zum Beispiel Autolärm, laute Nachbarn, Hunde, Kinder, Pop- und Rockmusik von nebenan. Auch bestehen keine Zusammenhänge mit der Unzufriedenheit mit "Umweltfaktoren" wie teure Wohnung, schlechte Verkehrsverbindungen und fehlende Einkaufs- oder Unterhaltungsmöglichkeiten. Dasselbe Bild ergab sich auch in der SPF- [4] und DFG-Studie [3]. In letztgenannter sind etwa die physikalischen Folgen und Kommunikationsstörungen durch Autolärm sowie die Zufriedenheit mit den Verkehrs- und Einkaufsmöglichkeiten ohne Zusammenhang mit der empfundenen Beeinträchtigung.
Widerlegung weiterer Hypothesen
Diffiziler wiederum ist die Untersuchung anderer Hypothesen. Bei einer detaillierten Analyse mehrerer Studien ergab sich, dass insbesondere die Hypothese vom "einkommensselektiven Entmischungsprozess" [4] als widerlegt zu gelten hat: Es stimmt also nicht, dass in besonders vom Fluglärm geplagten Gebieten mehr Personen mit niedrigerem Einkommen, geringerem Bildungs-, Berufs- und Lebensstandard wohnen. Das wird in der SPF- [4] wie in der DFG-Studie [3] deutlich, während in der IVW-Studie [1] in der höchsten Lärmzone deutlich niedrigere Einkommen sowie Berufs- und Bildungsstatus zu verzeichnen sind. Gerade hier sind aber geographische sowie soziodemographische und -ökonomische Besonderheiten zu berücksichtigen.
Beeinflusst Fluglärm die Gesundheit?
Von besonderem Interesse ist die Frage des Einflusses von Fluglärm auf die Gesundheit. Bisher war man entweder auf Aussagen von Ärzten in Flughafengebieten oder aber auf Befragungen angewiesen. Insbesondere die Ärzte Dr. A. Huwiler aus Rümlang und Dr. Chr. Rohrer aus Oberglatt verfügen über umfangreiches Dokumentationsmaterial. Seit Jahrzehnten haben sie aus ihrer Praxis berichtet, auch an internationalen Kongressen.
Man kann die Beschwerden ihrer Patienten als "nervöse Störungen" abtun, Tatsache ist, dass sie beim Umzug in eine ruhigere Gegend stets abgeklungen sind. Es handelt sich dabei unter anderem um Herz- und Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen und rasche Ermüdungserscheinungen bei Erwachsenen, um Konzentrationsschwächen und Leistungsabfall bei Schulkindern und aggressives Verhalten bei Kleinkindern. Bewirkt gestörter Schlaf chronische Übermüdung, so führt dies bekanntermassen zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit [5].
Die Befragung zum Thema Gesundheit in der IVW-Studie [1] enthüllt eine auffallende Unsicherheit. Luftverschmutzung allein durch den Flugverkehr haben mehr als die Hälfte der Flughafenanwohner festgestellt, im Verein mit andern Quellen sogar über 80%. Nun antworten auf die Frage, ob dies auf die Dauer die Gesundheit beeinflussen könnte, 35% mit «ja» und 48% mit «vielleicht». Ganz analog sind 52% der Ansicht, der Fluglärm beeinflusse die Gesundheit, 23% meinen «vielleicht» und 15% «unter besondern Umständen». Bei der Behauptung, dass der Fluglärm die eigene Gesundheit beeinflusst habe (die, wenn man nur die entschiedenen Ja-Antworten nimmt, vom Fluglärm abhängig ist), ist die Unsicherheit noch grösser: den 18% «ja« stehen 32% «vielleicht» und 22% «weiss nicht» gegenüber, so dass eine deutliche Verneinung nur von 28% ausgesprochen wird.
Nur je 14% sind der Ansicht, man könne sich an Fluglärm gewöhnen und haben sich auch selber daran gewöhnt. Je über 40% meinen in beiden Fällen «ein bisschen». Etwa 60% meinen zudem manchmal, sie hätten sich an den Lärm gewöhnt, dann aber denken sie wieder «nein, doch nicht». Fast 80% bestätigen auch, dass der Lärm sie nicht immer gleich stark belästigt, das heisst, dass es Zeiten gibt, da er ihnen weniger ausmacht.
Spezifisch wegen Beschwerden, die sie auf den Fluglärm zurückführten, haben 5% einen Arzt aufgesucht, dazu kommen bei weiteren 7% Angehörige aus demselben Haushalt. (Das ergibt in den beiden höchsten Lärmzonen doch etwa 20%.) Immerhin haben aber schon über 30% bei einer beliebigen Konsultation mit ihrem Arzt über das Problem "Lärm und Gesundheit" gesprochen. Bemerkenswert ist ferner, dass ein Viertel der Befragten im Monat vor der Untersuchung aus irgendeinem Grund ihren Arzt aufgesucht haben, weitere 50% innerhalb des vergangenen Jahres; 12% stehen in dauernder ärztlicher Behandlung (vor allem ältere Jahrgänge).
Gesundheitsbeschwerden als Ausfluss der Störungen und Verärgerung
Mit einer Ausnahme hängen diese Meinungen und Taten nicht vom Fluglärm ab. Deutlich bis sehr hoch ist aber der Zusammenhang mit den häuslichen Störungen, dem subjektiven Belästigungsempfinden, residentiellem Entzug und negativen Meinungen, ausser für Lärmambivalenz und die Behauptung, Lärm störe nicht immer gleich. Aus Störungen und Verärgerung ergeben sich somit Besorgnisse über die gesundheitlichen Folgen des Fluglärms.
Anzahl und Ausmass der von den Befragten genannten Gesundheitsbeschwerden sind ebenfalls nicht abhängig von der Fluglärmhöhe. Sie liegen aber, statistisch gesehen, deutlich über dem Durchschnitt (ca. 68% Perzentile für beide Geschlechter). Der Zusammenhang mit den häuslichen Störungen und den negativen Meinungen (r= je ca. 0,40) sowie dem subjektiven Belästigungsgefühl und dem residentiellen Entzug (r= je ca. 0,32) verweist überdies auf die Annahme, vermehrte gesundheitliche Störungen seien als sekundäre Folge des Fluglärms, nämlich resultierend einerseits aus den häuslichen Störungen und anderseits der Verärgerung darüber, anzusehen.
Medikamentenkonsum und Ohrenschutz
Vermutlich mit einer grossen Dunkelziffer sind die Angaben über Medikamentenkonsum behaftet. Nur einige wenige Prozent der Befragten geben einen solchen jeweils zu. In der IVW-Studie [1] sind es je nach Fluglärmzone 0-12%, die Beruhigungsmittel, und 6-10%, die Schlaftabletten nehmen; in der SPF-Studie [4] nehmen 5-10% (ohne Genf) und in der DFG-Studie [3] 1-7% Tabletten. Ähnlich gering ist der Anteil derjenigen, die sich die Ohren verstopfen, nämlich 4-26% bzw. 4-7% und 4-11%.
Die Verwendung von Ohrenschutz und Tabletten korreliert kaum mit dem Fluglärm, dafür sowohl mit dem subjektiven Belästigungsempfinden und den negativen Meinungen als auch mit den häuslichen Störungen (r= 0,28-0,37). Da die Korrelationen mit einem Übermass an negativen Meinungen besonders hoch sind (Tau = 0,35-0,45), dürften auch diese Massnahmen als direkter Ausfluss der Verärgerung gedeutet werden.
Leistungsbeeinträchtigung durch chronische Fluglärmbelastung
Ein interessantes Ergebnis zeitigte nun die Untersuchung von 54 Personen zu Hause [2]. Diese mussten insgesamt dreimal einen Konzentrationstest ausfüllen. Dabei ergab sich bei der zweiten und vor allem dann bei der dritten Durchführung (r= 0,33) ein markanter Einfluss durch die höhere chronische Fluglärmexposition. Die Leistungssteigerung durch Lerneffekte war hier deutlich geringer.
Aktueller Lärm beeinflusst die vegetativen Reaktionen
Diese Untersuchung des IVW [2] kann als Pionierleistung angesehen werden, da hier zum erstenmal versucht wurde, Fluglärmwirkungen nicht im Labor, sondern an Ort und Stelle zu erfassen. Dass sich dabei mannigfache technische wie organisatorische Probleme ergaben, ist naheliegend.
Bei allen untersuchten Personen bewirken bereits die verschiedenen Aktivitäten signifikante Veränderungen der physiologischen Daten, wenn man sie jeweils allen andern Untersuchungsphasen gegenüberstellt. Am deutlichsten ist der Einfluss von Konversation, insbesondere Instruktionen für die durchzuführenden psychologischen Tests. Aber auch die diversen Konzentrationsaufgaben und die Ruhephasen ergaben bei nahezu allen Personen deutliche Veränderungen der vegetativen Reaktionen. Dabei hat weder die chronische Fluglärmbelastung (NNI) noch die durchschnittliche Lärmbelastung während der ganzen Untersuchung darauf einen Einfluss. Vergleicht man jedoch die Untersuchungsabschnitte, in denen aktuelle Lärmereignisse feststellbar waren, mit solchen, wo es ruhig war, so ergaben sich einige physiologische Veränderungen bei der Hälfte aller Personen bei Fluglärm, bei weiteren 30% bei sonstigem Lärm.
Auch die aktuelle Lärmhöhe hat physiologische Auswirkungen
Was nun die jeweilige Höhe des aktuellen Lärms (und zwar unabhängig von der Lärmquelle) anbelangt, so wurde bei über 90% ein signifikanter Einfluss auf die vegetativen Reaktionen festgestellt, und zwar vorwiegend auf den Herzschlag (80%), etwas weniger auf Hautwiderstand (zwei Drittel) und Atmung (in der Hälfte aller Fälle). Bei wiederum 90% dieser Personen waren mindestens zwei dieser drei physiologischen Variablen durch die Lärmstärke beeinflusst. Am häufigsten zeigten sich diese Einflüsse beim Konzentrationstest, und zwar bei drei Vierteln aller Personen; aber auch bei der Entspannung waren noch 40% der Personen dadurch beeinflusst. Das bestätigt die bekannte Tatsache, dass höherer Lärm stärkere physiologische Reaktionen zur Folge hat.
Es gibt verschiedene Arten von Empfindlichkeit
Keinerlei Zusammenhang ergab sich indessen zwischen den von der Lärmhöhe abhängigen physiologischen Reaktionen und in der früheren Befragung [1] festgestellten "Reaktivitäten". Seelische Überempfindlichkeit steht daher mit psychophysischer Empfindlichkeit in einer durchaus wechselhaften Beziehung. Keine Korrelationen bestehen ferner mit Alter, Schulbildung, Einkommen und Wohndauer. Auch Gesundheitsbeschwerden, Tablettenkonsum, Wegzuggedanken und Persönlichkeitszüge erwiesen sich als unabhängig davon. Es zeigte sich aber, dass alle Personen, die während der Untersuchung besonders stark auf das Ausmass des Lärms reagierten, auch stark auf die verschiedenen Testphasen reagierten. Jedoch ist das Umgekehrte nicht der Fall. Es müssen also bislang unbekannte Faktoren noch hineinspielen, damit vegetativ Empfindliche auch auf die Lärmhöhe ansprechen.
Die meisten Flughafenanwohner haben sich nicht an den Lärm gewöhnt
Da sich einerseits kein zeitlicher Trend im Verlauf der einzelnen Untersuchung nachweisen liess und anderseits sich sowohl durch Lärmereignisse generell wie auch durch die Höhe des aktuellen Lärms bei den meisten Personen die vegetativen Reaktionen änderten; kann angenommen werden, dass sich viele Anwohner des Flughafens nicht an den Lärm gewöhnt haben. Das ist um so erstaunlicher, als die meisten bereits lange Zeit im Flughafengebiet wohnen. (Sowohl in der IVW- [1] wie in der SPF- [4] und DFG-Studie [3] hat sich übrigens ergeben, dass die Wohndauer einen leichten Einfluss auf das Ausmass der Belästigung hat: Je länger man im Lärm wohnt, desto stärker empfindet man ihn offenbar. Das erklärt auch, dass 80% der Anwohner, die sich freiwillig für die IVW-Befragung [1] meldeten, bereits fünf und mehr Jahre im Gebiet ansässig waren.)
Lärm ist ein zusätzlicher Stress
Ein direkter Einfluss des Lärms auf die Gesundheit kann mit einer solchen einmaligen Untersuchung nicht nachgewiesen werden. Dafür bedürfte es einer ganzen Folge von Forschungsarbeiten. Doch konnte die erste Etappe der IVW-Studie [1] zeigen, dass in Fluglärmgebieten offenbar deutliche Besorgnisse über gesundheitliche Störungen bestehen und eine höhere Anzahl psychosomatischer Beschwerden festgestellt werden kann, wobei dies weniger von der Höhe der chronischen Lärmbelastung abhängt als vielmehr von der Tatsache, dass überhaupt Lärm herrscht. Aus der zweiten Etappe der Untersuchung [2] ergab sich ferner, dass aktueller Lärm offensichtlich einen vegetativen "Stress" darstellt, der zu den Anforderungen in einer Untersuchungssituation, wohl aber auch des täglichen Lebens, hinzutritt.
Résumé
Le bruit des avions est-il un risque pour la santé?Une étude de l'Institut des sciences du comportement de I'EPF à Zurich a confirmé que le bruit des avions est une molestation considérable pour les voisins d'un aéroport. Cela cause une Irritation, qui se manifeste en nombreuses intentions, attitudes et opinions négatives, en actions et mesures et même en maux psychosomatiques. En outre le bruit influence les réactions végétatives des personnes qui exécutent différentes activités, surtout quand elles doivent se concentrer.
Summary
Does Aircraft Noise Affect Health?A field study of the Institute of Behavioral Sciences at the Federal Institute of Technology, Zürich, has verified that aircraft noise effects severe annoyance and inconvenience of airport area residents. This causes irritation, which manifests itself in numerous negative intentions, attitudes and opinions, in actions and measures and even in psychosomatic disorders. Moreover noise exerts influence on vegetative reactions of persons performing different activities, mostly if they have to concentrate an a task.
Literatur
[1] Bättig, Karl, Zeier, Hans und Müller, Roland, Felduntersuchungen zur psychovegetativen Lärmbelastung. I. Teil: Sozio-psychologische und epidemiologische Aspekte, Forschungsbericht zum Nationalfondsprojekt Nr. 4.163-0.75, Institut für Verhaltenswissenschaft der ETH Zürich, August 1977 (IVW-Studie). [2] Bättig, Karl, Buzzi, Roberto, Zeier, Hans und Müller, Roland, A field study on vegetative effects of aircraft noise, Nationalfondsprojekte Nr. 4.163-0.75 und 3.872-0.77, Institut für Verhaltenswissenschaft der ETH Zürich, 1979. [3] Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG, Forschungsbericht Fluglärmwirkungen. Eine interdisziplinäre Untersuchung über die Auswirkungen des Fluglärms auf Menschen. 3 Bände. Boppard: Harald-Boldt-Verlag, 1974 (DFG-Studie). [4] Graf, Peter, Müller, Richard und Meier, Hans-Peter, Sozio-psychologische Fluglärmuntersuchung im Gebiet der drei Schweizer Flughäfen Zürich, Genf, Basel. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für sozio-psychologische Fluglärmuntersuchungen. Ausführungsorgane: Soziologisches Institut der Universität Zürich und Abteilung für Akustik und Lärmbekämpfung der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Versuchsanstalt, Dübendorf, Mai 1974 (SPF-Studie). [5] Winkler, Gabriela, Leben im Banne des Flughafens. Untersuchung einiger räumlicher Auswirkungen des Flughafens Zürich-Kloten am Beispiel der westlichen Glattalgemeinden. Zürich: Atlantis-Verlag, 1978.
Erschienen in: Sozial- und Präventivmedizin 24, 1980, 103 -109 Berichte darüber in Tagblatt der Stadt Zürich, 15. Juli 1980 ("Der Fluglärm macht krank") und Basler Zeitung, 16. Juli 1980 ("Fluglärm macht krank")
Siehe auch: Roland Müller, Karl Bättig: Der Einfluss von Fluglärm auf die Anwohner des Flughafens Zürich-Kloten. Sozial- und Präventivmedizin 22, 1977, 191-192. K. Bättig, H. Zeier, R. Müller, R. Buzzi: A Field Study on Vegetative Effects of Aircraft Noise. Archives of Environmental Health, Vol. 35, July/ August 1980, Nr. 4, 228-234. K. Bättig: Physiologische Lärmeffekte. Neue Zürcher Zeitung, 26. November 1980, S. 73 K. Bättig, R. Buzzi, H. Zeier and R. Müller: Subjective and Psychophysiological Responses to Aircraft Noise. Manuskript, 29 Seiten.
Dr. phil. Roland Müller,
Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2022 / All rights reserved Webmaster by best4web.ch |