Der Modellbegriff
Definitionen, Bedeutungs- und Funktionsvielfalt
Abbildungen: Modellarten nach Viktor A. Stoff 1969 Einteilung der Modelle nach Herbert Stachowiak (1973) Modellarten nach Entstehungsart und Seinsweise (Roland Müller 1975) Modelltypen nach Roland Müller 1988 12 Grundbedeutungen von Modell, Model, Modul, Modulation, Moulage
English translation of this article see: The Concept of Model: Definitions and Types
Schwierigkeiten mit der Definition von Modell
Jede Definition von "Modell" ist ungenügend: Sie überstreicht nur einen kleinen Bereich des Gebrauchsspielraums. Insbesondere greifen alle Definitionen mit den Begriffen Original, Wirklichkeit und Abbild zu kurz.
Einen brauchbaren Einstieg bietet der Brockhaus (1971): "Modell <ital.> das, Muster, Vorbild; Nachbildung oder Entwurf von Gegenständen (vergrössert, verkleinert, in natürlicher Grösse). Modell können ausser wirklichen Gegenständen auch gedankliche Konstruktionen sein."
Wir haben uns auch damit abzufinden, dass die Definition eines jeden Begriffs stets mehrerer anderer Begriffe bedarf, die ihrerseits häufig auch vieldeutig sind oder unterschiedlich gebraucht werden. So verwendet schon die Definition des Brockhaus: Gegenstand, Muster, Vorbild, Nachbildung und Entwurf, wirklich und gedankliche Konstruktion. Die beliebtesten vieldeutigen Bezeichnungen sonst sind: Funktion, System und Struktur, Objekt, Prozess und Verhalten, Phänomen, Ens und Entität, Hypostasierung und Konstrukt, Kraft und Vermögen, Menge und Grösse.
Eine Übersicht über sämtliche Bedeutungsfelder im Umkreis von Modell gibt:
Die mehrfache Entwicklung des Begriffs „modulus“
siehe: Nachschlagewerke für Begriffsgeschichte
Das lateinische Wort „modulus“ wurde mehrmals in die europäischen Sprachen aufgenommen (Walther von Wartburg, 1966):
Im weiteren gilt es zu beachten, dass das lateinische Wort „modulus“ (wie übrigens auch „exemplar“) von 23 v. Chr. bis etwa 1750 in der gelehrten Welt gebraucht wurde (aber erst seit 1450 als Architekturmodell und für andere verkleinerte Abbilder von realen Objekten). Im Englischen wird „modulus“ bis heute in der Physik und Mathematik verwendet, im Deutschen in der Mathematik.
Manche Wörterbücher erwähnen zudem, dass auch das Wort „Modulation“ mit dem zugehörigen Verb von „modulus“ abgeleitet ist. Das geschah vor allem im Bereich der Musik im 14. Jahrhundert etwa als harmonischer Gesang, allgemeiner als „Formen nach Mass und Proportion“. (Walther von Wartburg trennt in seinem etymologischen Wörterbuch, 1966, die Herkunft von „modulatio“ von derjenigen von „modulus“. Tatsächlich verwendete bereits Vitruv auch „modulatio“.)
Die zu den verschiedenen Versionen von Modell gehörigen Verben sind:
1611 - 1717 - 1771/81 - 1827: Frühe Definitionen
In Randle Cotgraves Wörterbuch Französisch-Englisch (1611) steht folgendes zu lesen: “Modeler: To modell, forme, fashion, plot, cast in a mould. Modelle (f.): A modell, patterne, mould, plot, forme, frame. Modulation (f.): Modulation, harmonie, musicall proportion, pleasant tuning. Module (m.): A modell, or module; that whereby a
whole worke is measured, proportioned or squared; [Moulage (m): Grist, or a ginding; Also, Multure, the fee, or toll thats due for grinding.] Moule (m.): A mould (wherein a thing is cast,
formed, or forged;) Moule de bois. A Wood-stacke, or pile of wood. Moulé: m.ée. (f.) Moulded; cast, or framed in a mould. Mouler. To mould, or cast in a mould; to frame,
or forge by mould; Moulerie (f): A moulding; a forging by mould, a casting in a mould. Moulle. as Moule.“
Es ist zu beachten, dass die frühen Definitionen von Modell meist nicht die Architekturmodelle betreffen, sondern abstrakte Modelle. So sah beispielsweise der Philosoph Blaise Pascal (1657) das Modell als „ouvrage d’esprit ou action morale, dont on peut s’inspirer“.
Eine der frühesten deutschsprachigen Lexikon-Definitionen findet sich bei Johann Hübner (1717, Sp. 1078):
„Modele (in der Auflage von 1741 eingeschoben: ,Modell, Exemplar’), eine cörperliche Abbildung eines Dinges ins kleine, oder nach dem verjüngten Maas-Stabe, sonderlich die Abbildung einer Vestung in Holtz, Gips, Thon, oder auf der Erde selbst. Die Mahler und Bildhauer nennen alles, was sie nachzumachen sich vorsetzen, ein Modell, und also nennet man auf der Mahler- und Bildhauer-Academie denjenigen ein Modell, welcher sich gantz nackend vor die Schüler darstellet oder hinleget, damit man nach ihm zeichnen möge. lnsgemein werden Modelle genannt, die von Holtz, Gips, Wachs, oder Thon gemachten kleinen Figuren von Bildern, Häusern, Palatiis oder Machinen, nach welcher hernach das grosse soll verfertiget werden, daher an vielen Höfen, sonderlich wo grosse Schlösser erbauet werden, die so genannten Modell-Tischer und Wachs-posirer seyn, welche vorher ein cörperliches Modell nach dem auf dem Papier vorgezeichneten Aufriss, nach dem verjüngten Maass-Stabe verfertigen müssen, damit sich der Bau-Herr eine so viel bessere ideam von dem aufzurichtenden Gebäu vorstellen, und so lange es noch ins kleine ist, die Fehler so viel besser daran können corrigiret werden. Ein Modell heist man auch, die in den Parterren oder Lust-Gärten angebrachten zierlichen Blumen-Betten-Figuren (1741: ‚Beeten’), bestehende entweder in schönen, und auf das Wappen alludirenden Figuren, oder künstlich geschlungenen Zügen und Gängen."
In der ersten Auflage der „Encyclopaedia Britannica“ (1771) ist ein kleiner Ausschnitt aus der französischen „Encyclopédie“ (1765) wörtlich übersetzt worden, nämlich nur, was das Architekturmodell betrifft: “Model, in a general sense, an original pattern, proposed for any one to copy or imitate. This word is particularly used, in building, for an artificial pattern, made in wood, stone, plaster, or other matter, with all its parts and proportions, in order for the better conducting and executing some great work, and to give an idea of the effect it will have in large. In all great buildings, it is much the surest way to make a model in relievo, and not to trust to a bare design or draught.”
Die englische „Cyclopaedia“ (1781) hat dies wörtlich übernommen, jedoch mit Übersetzungen aus der “Encyclopédie” wesentlich ergänzt, z. B. am Anfang: “St. Paul’s church is said to be built after the model of St. Peter’s at Rome.”
Und nachher: “There are also models for the building of ships &c. and for ordinary stair-cases, &c. Model, in Painting and Sculpture, is anything proposed to be imitated. And Hence in the academies, they give the term model to a naked man, disposed in several postures, to give an opportunity to the scholars to design him in various views and attitudes. The sculptors have little models of clay or wax to assist them in their designs of others that are larger, in marble &c. and to judge of the attitude and correctness of a figure. Statuaries likewise give the name model to certain figures of clay or wax, which are but just fashioned, to serve by way of guide for the making of larger, whether of marble or other matter.”
Wilhelm Traugott Krug (1827-29) definierte in seinem Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften: „Modell ist das Muster, nach welchem man sich in irgend einer Beziehung (in wissenschaftlicher, künstlerischer oder sittlicher Hinsicht) richtet, wodurch also eine gewisse Handlungsweise (modus agendi) bestimmt ist. Das Modelle kann demnach entweder schon gegeben sein (wie wenn jemand nach einer natürliche Gestalt oder lebenden Figur zeichnet) oder erst von dem hervorgebracht werden, der sich künftig danach richten will. Letzteres thun besonders die bildenden Künstler, um ihren Werken die höchstmögliche Vollendung zu geben; sie modellieren erst das Werk, bevor sie es ausführen. Aber auch derjenige modelliert, welcher einen Entwurf zu einer Rede, Abhandlung, Schrift oder zu einem wissenschaftlichen Systeme macht. Denn wenn er diesen Entwurf nachher ausführt, so richtet er sich nach demselben; und ebendeswegen machte er den Entwurf.“
Wiederum 100 Jahre später (1934-36) sahen die Logiker Rudolf Carnap, Morris Raphael Cohen und Ernest Nagel sowie Alfred Tarski den Modellbegriff als „Erfüllung“ von axiomatischen Systemen und formalisierten Theorien. Eine klassische Definition von Alfred Tarski lautet: „A possible realization in which all valid sentences of a theory T are satisfied is called a model of T.“
Erfolgt „alle Erkenntnis“ in Modellen?
1868 formulierte der Begründer des Pragmatismus, Charles Sanders Peirce: „Wir haben kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken“ (1967, 186). Man kann seine Zeichentheorie, die er später wesentlich ausbaute, auch als Modelltheorie auffassen.
In seinem berühmten Buch „The Logic of modern Physics“ schreibt der Physiker Percy W. Bridgman 1927: „I believe that the model is a useful and indeed unescapable tool of thought, in that it enables us to think about the unfamiliar in terms of the familiar.“
1949 formulierte der Sozial- und Politikwissenschafter Karl W. Deutsch an einem Symposium: „Men think in terms of models.“
Herbert Stachowiak (1973) ist noch weiter gegangen. Nach ihm ist „alle Erkenntnis Erkenntnis in Modellen und durch Modelle“. Das bedeutet nichts Geringeres, als dass jegliche Weltbegegnung des Menschen, „indem sie auf das – passive oder aktive – Erkennen von etwas aus ist“, sich „relativ zu bestimmten Subjekten, ferner selektiv – intentional selektierend und zentrierend – und in je zeitlicher Begrenzung ihres Original- Bezuges“ vollzieht. 1989 schliesslich behauptete Christian Wissel: „Der menschliche Geist ist unfähig, anders als in Modellen zu denken.“
Andere erkenntnismässige Bezüge
Vielleicht gibt es aber im realen Leben andere als erkenntnismässige Bezüge zu Sachen, etwa mittels
siehe auch: Intuition
Eine Fülle von Bedeutungen und Beispielen
Die Fülle der Sachen, die heute als "Modell" bezeichnet werden, ist schwer unter einen Hut zu bringen.
Alles kann Modell sein, muss aber nicht
Alles, was es gibt und was wir uns denken können, kann Modell sein, muss aber nicht. Beispielsweise kann jeder Mensch ein Vorbild für andere sein - kann, muss aber nicht. Entweder kann er einem Künstler Modell stehen oder er wird imitiert, ohne dass er es will oder ohne dass er es merkt - im Guten oder im Schlechten. Man denke etwa an das Verhältnis Eltern-Kind. Die Kinder, sagt man seit 1961 (Albert Bandura), lernen am Modell. Anderseits ist in jüdisch-christlicher Sicht jeder Mensch ein Abbild, nämlich das Ebenbild Gottes. Das Kind kann als verkleinertes Abbild, als ungefähre Kopie von Vater oder Mutter angesehen werden.
Auch für Analogien ist die Auswahl ziemlich gross: Eine Kugel oder ein Apfel kann eine Analogie für das Weltall oder die Erde sein, eine Zwiebel eine Analogie für die Seele (Albert Wellek 1950), eine Uhr oder eine (freilich: idealisierte) Maschine eine Analogie für den Staat (Hobbes, Justi), für den Menschen (La Mettrie) oder ebenfalls für das Weltall (Newton-Leibniz), usw.
Mühe mit der Fülle
Wilhelm von Humboldt und Ludwig Wittgenstein haben immer wieder betont, dass die Sprache im Gebrauch lebt! Es ist also müssig, darüber zu lamentieren, dass einerseits so viele andere Begriffe auch für Modell gebraucht werden, anderseits dass so viele Dinge als "Modell" bezeichnet werden.
Der 20bändige "Oxford English Dictionary" (1933, 2. ed. 1989) und der "Grande Dizionario della Lingua Italiana" (1961ff) verzeichnen je rund 40 verschiedene Grundbedeutungen (mit Unterabteilungen) von "Modell".
Der Konstanzer Pädagogikprofessor Wolfgang Brezinka (1984) arbeitete in einem Aufsatz über "'Modelle' in den Erziehungstheorien" auf etwa 20 Seiten akribisch 15 verschiedene Bedeutungen von Modell in der Pädagogik heraus (siehe auch weiter unten). Er lässt aber einzig das Lehrmittel "zur Veranschaulichung oder Verdeutlichung eines 'Originals'" (354) gelten - die andern 14 Verwendungen hält er für "unnötig".
1902 hatte die "Encyclopaedia Britannica" noch einen schönen fünfspaltigen Beitrag von Ludwig Boltzmann über „model“ gebracht, neun Jahre später dazu zwei weitere über „artists’ models“ und „model-yachting“. In der Ausgabe von 1990 in 29 Bänden gibt es keinen Artikel "model" mehr, auch keinen Artikel etwa über "modelling", stattdessen 65 Seiten über "motion pictures", also Film. Auch in "Collier's Encyclopedia" in 20 Bänden (1993) kommt "model" nicht als Schlagwort vor. Umgekehrt hat die französische "Encyclopaedia Universalis" in einer Neuauflage (Noel Mouloud et al. 1992) über zwanzig Jahre alte Texte unverändert nachgedruckt.
Es ist sicher besser, möglichst neugierig und vorurteilsfrei zu schauen, wofür das Wort "Modell" sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltag gebraucht wird.
Was steht im „Duden Fremdwörterbuch“?
Obwohl die Begriffe Model und Modell in Jacob und Wilhelm Grimms „Deutschem Wörterbuch“ (1885) verzeichnet sind, werden sie vielfach als „Fremdwörter“ (z. B. von Hans Schulz 1942) betrachtet. Im „Duden Fremdwörterbuch“ (1990) steht unter „Modell (das)“: 1. Muster, Vorbild 2. Entwurf oder Nachbildung in kleinerem Massstab (z. B. eines Bauwerks) 3. (Holz)form zur Herstellung der Gussform 4. Kleidungsstück, das eine Einzelanfertigung ist 5. Mensch oder Gegenstand als Vorbild für ein Werk der bildenden Kunst 6. Typ, Ausführungsart eines Fabrikats 7. vereinfachte Darstellung der Funktion eines Gegenstands oder des Ablaufs eines Sachverhalts, die eine Untersuchung oder Erforschung erleichtert oder erst möglich macht 8. Mannequin (vgl. Model 5) 9. Callgirl.
(Wie liebevoll die Sprachforscher ihre Wörter betreuen, zeigt sich darin, dass in der Ausgabe 1997 unter Punkt 9 das Wörtchen „verhüllend“ in Klammern beigefügt wurde.)
Unter „Model (der) und Modul (der)“ steht: 1. Halbmesser des unteren Teils einer antiken Säule 2. Hohlform für die Herstellung von Gebäck oder zum Formen von Butter 3. erhabene Druckform für Stoff- und Tapetendruck 4. Stick- und Wirkmuster 5. (das Model =) Mannequin, Fotomodell
Unter „Modul (der)“ steht 1. siehe Model 1-4 2. Mathematik: a) zugrundeliegendes Verhältnis, zugrundeliegende Verhältniszahl b) Divisor (natürliche Zahl), in bezug auf den zwei ganze Zahlen kongruent sind, d. h. bei der Division den gleichen Rest ergeben c) absoluter Betrag einer komplexen Zahl 3. Physik, Technik: a) Materialkonstante (z. B. Elastizitätsmodul) b) Mass für die Berechnung der Zahngrösse bei Zahnrädern
Unter „Modul (das)“ steht: 1. austauschbares, komplexes Teil eines Geräts oder einer Maschine, das eine geschlossene Funktionseinheit bildet (besonders in der Elektrotechnik) 2. eine sich aus mehreren Elementen zusammensetzende Einheit innerhalb eines Gesamtsystems, die jederzeit ausgetauscht werden kann (Informatik)
Unter „Modulation (die)“ steht: 1. Beeinflussung einer Trägerfrequenz zum Zwecke der Übertragung von Nachrichten auf Drahtleitungen oder auf drahtlosem Weg 2. Übergang von einer Tonart in die andere (Musik) 3. das Abstimmen von Tonstärke und Klangfarbe im Musikvortrag (z. B. beim Gesang; Musik).
Unter „Moulage" (der - auch: die) steht: Abdruck, Abguss, bes. farbiges anatomisches Wachsmodell (von Organen).
Umfassende Einteilungen von Modellen
Jeder Autor hat eine andere Einteilung von Modellen.
Modelle in Architektur, Malerei und Skulptur sowie Giesserei
In der französischen „Encyclopédie“ (1765, Bd. 10) finden sich folgende Arten von Modellen:
Modelle für den Unterricht und zur Illustration physikalischer Theorien
Der Physiker Ludwig Boltzmann unterschied 1892 (90f, 97) drei Typen von Modellen:
Auch: Entwurf und Vorbild
In seinem Lexikonartikel in der Encyclopaedia Britannica (1902) ging Boltzmann noch viel weiter. Er berücksichtigte auch die nicht-wissenschaftlichen Modelle:
2.
“a thing, whether
actually existing or only mentally conceived of, whose properties are to be
copied”
Materielle und formale Modelle
Arturo Rosenblueth und Norbert Wiener (1945) unterschieden materielle und formale oder intellektuelle Modelle. Karl Wolfgang Deutsch (1951) und viele andere folgten ihnen.
Auch der russische Philosoph Viktor A. Stoff unterscheidet in "Modellierung und Philosophie" (1969, 36-50, 315-323) materielle und Denkmodelle (Abb. 1), wobei er etwa Entwürfe von Häusern und Städten, Lagepläne und räumliche Modelle von Molekülen zu den materiellen Modellen zählt, geographische Karten und chemische Strukturformeln aber zu den Denkmodellen. Die verschiedenen Grade der Anschaulichkeit sind zu diskutieren.
Mechanische oder mechanistische, organismische und andere Modelle
In Anlehnung an den Physiker Joseph Larmor unterschied der Physiker Georg William de Tunzelmann 1910 drei „Modelle“ des Universums:
1927 unterschied Joshua Craven Gregory „animate“ von „mechanical“ Modellen. Erst im 17. Jahrhundert - mit René Descartes und Robert Boyle - lösten die mechanischen Modelle die animistischen Modelle der „Primitiven“ ab.
1949 unterschied Karl Wolfgang Deutsch mechanistische (seit Newton und Hobbes) und organismische (seit Rousseau und Burke) Modelle. Herman Meyer unterschied 1951 unter den wissenschaftlichen Modellen mechanistische (z. B. Newtons „Principia“), arithmetische (z. B. eines Würfelspiels) und axiomatische (z. B. für die kinetische Theorie der Gase).
Iconic, analogue und symbolic models
In ihrer “Introduction to Operations Research” (1957, 155ff) unterscheiden C. West Churchman, Russell L. Ackoff und E. Leonard Arnoff drei Arten von wissenschaftlichen Modellen:
Von den letzteren stellen sie in je einem Kapitel folgende Modelle vor:
Die Unterteilung in iconic, analogue und symbolic models wurde von vielen andern Wissenschaftern und Pädagogen aufgenommen. Roger Minshull (1975, 33-59) steht ihr sehr skeptisch gegenüber.
Die Unterteilung der symbolischen Modelle wurde später unter Mitarbeit von Patrick Rivett und Maurice W. Sasieni modifiziert (siehe Patrick Rivett 1972, 34-50).
Scale, analogue, mathematical und theoretical models
In einem Vortrag im Dezember 1958 unterschied der Sprachwissenschafter Max Black (1962, 219-243) „scale models“ von „analogue models“. Bei ersteren handelt sich um vorwiegend verkleinerte Abbilder, aber auch um chemische oder soziale Experimente. Black setzt sie mit dem „Ikon“ von Peirce in Verbindung. Analoge Modelle bestehen aus einem anderen Material als das Original; sie geben nur dessen Struktur wider. Sie beruhen auf dem Prinzip der „Isomorphie“. Sogenannte „mathematical models“ sind für Black nichts anderes als mathematische „Behandlungen“ (treatments) ohne Erklärungsgehalt. Für „theoretical models“ greift er auf Maxwell und Thomson zurück und behauptet, sie seien bloss sprachliche Beschreibungen. „halb-verstandene Metaphern“. Sie führen zu Mystifikationen und Begriffsverwirrung. Black hält den Gebrauch solcher Modelle für einen Umweg. Schliesslich führt er noch den Begriff Archetypus für „root metaphor“, „basic analogy“ oder „ultimate frames of reference“ ein.
Malcolm Baker (2004, 32) unterscheidet vier Arten von 3D-Modellen:
Symbolische und ikonische Modelle
Am Utrechter-Kolloquium im Januar 1960 brachte Gerhard Frey die Unterscheidung von symbolischen (z. B. ein Gleichungssystem), primär ikonischen (z. B. eine Schaltskizze) und sekundär ikonischen Modellen (z. B. die Theorien der klassischen Mechanik) in die Diskussion. Ein symbolisches Modell, zu dem es ein vollständig abbildendes ikonisches Modell gibt, bezeichnet Frey als ikonisch-symbolisches Modell. Die Heisenbergsche Matrizenmechanik und die Schrödingersche Wellenmechanik dagegen sind nichtikonisch-symbolische Modelle.
1974 versuchten Danielle und George Arthur Mihram eine neue “taxonomy of models”:
Models of Data
„Models of Data“ führte Patrick Suppes 1960 am Internationalen Kongress in Stanford ein.
Abraham Kaplan’s Methodologie für die Verhaltenswissenschaften
In seiner Methodologie für die Verhaltenswissenschaften unterscheidet der Philosoph Abraham Kaplan (1964, 267-268, 273-275) fünf Arten von Modellen: „(1) any theory more strictly formulated than is characteristic of the literary, academic, or eristic cognitive style, one presented with some degree of mathematical exactness and logical rigor; (2) a semantical model, presenting a conceptual analogue to some subject-matter; (3) a physical model, a nonlinguistic system analogous to some other being studied; (4) a formal model, a model of a theory, which presents the tatter purely as a structure of uninterpreted symbols; (5) an interpretive model, providing an interpretation for a formal theory.“
Anderswo (1964, 258) sieht Kaplan Modelle als „something eminently worthy of imitation, an exemplar or ideal“ und er istderansicht, dass diese Auffassung des Begriffs Modell keinesfalls irrelevant für die heutige Methodologie ist. Im weiteren (1964, 332-346) unterscheidet er zwei Arten von Erklärungsmodellen: pattern model und deductive model.
Kaplan weist auch auf zahlreiche Gefahren hin, welche der Modellgebrauch mit sich bringt, beispielsweise: Overemphasis on symbols Overemphasis on form Oversimplification (what was neglected is something important for the purposes of that very model) Overemphasis on exactness or rigor Map reading (not all ist features correspond to some characteristic of ist subject-matter) Pictorial realism (forgetting that the similarity exists only in an given perspective).
Wissenschaftliche Modelle
Um 1965 unterschied der Geograph Richard John Chorley: Mathematical models
experimental models
natural models
Helmut F. Spinner unterscheidet im „Handwörterbuch der Organisation“ (1969) nicht weniger als sieben in der Wissenschaft gebräuchliche Modellbegriffe:
Graphische, technische und semantische Modelle
Herbert Stachowiak differenzierte 1957 kausale, konditionale und strukturelle Erklärungsmodelle, gab dies aber später auf und fand schliesslich die konzise Darstellung (Abb. 2) in seiner umfassenden "Allgemeinen Modelltheorie" (1973), wo er drei Hauptgruppen unterschied:
graphische Modelle (vorwiegend zweidimensional), z. B. Photos und Filme, Zeichnungen und Gemälde, Landkarten und medizinische Atlanten, Diagramme und Schaltbilder
technische Modelle (vorwiegend dreidimensional) wie Relief, Schallplatte, Planetarium, Autoteststrecke, Flugsimulator, Prothesen und Computermodelle, aber auch Tierversuche, Repräsentativbefragungen, Gruppendynamik und Business-Games
semantische Modelle (vorwiegend im Kopf), insbesondere Wahrnehmungssysteme (= interne Aussenweltmodelle) und kogitative Modelle vom Staatsanwaltplädoyer über Hölderlins „Hyperion“ bis zu Mythen, wissenschaftlichen Theorien und Prognosen. Als externe Zeichenmodelle treten Umgangssprache, Schrift und Brailleschrift auf - alles Modelle von andern Modellen und voneinander.
Deskriptive und nicht-deskriptive Modelle
Der Soziologe Raymond Boudon unterschied 1970: A) deskriptive Modelle, welche klassifizieren, ordnen oder messen, z. B. in der Psychometrie, Dimensionsanalyse B) nicht-deskriptive Modelle, nämlich: a) theoretische, welche einen Begriff oder einen Satz von Axiomen analysieren zur Erklärung einer gegebenen Realität
b) induktive, welche die beobachtete Realität erklären; es sind verifizierbare Theorien; sie sind eher prädiktiv oder eher explikativ und werden
In seiner ausführlichen Untersuchung von Modellen im allgemeinen und im speziellen in der Geographie sammelt Roger Minshull (1975, 24-25) nicht weniger als 36 verschiedenen Definitionen von “Modell”, die er ansatzweise in folgende Gruppen unterteilt:
Systematischer Raster
Richard Köhler unterscheidet auf Grund eines systematischen Rasters im „Handwörterbuch der Betriebswirtschaft“ (1975) nicht weniger als 16 Modellarten, darunter:
Aus der Sicht des Architekten und Stadtplaners
Der Architekt Jürgen Oestereich hat in seiner Dissertation (1976) für ein Spezialgebiet, die Stadtplanung, vier Klassen von Modelltypen gebildet:
Und er schreibt: „Aus der Funktion der Modelle, Wissen zu organisieren, verfügbar zu halten und eine bestimmte Auswahl im Planungsfall verbindlich zu machen, lässt sich auch auf Fehlgebrauch schliessen. Dies liegt z. B. vor, wenn Substanzmodelle, die sich ihrerseits aus Normen herleiten, nicht-normatives Handeln begründen sollen oder umgekehrt, Konditional-, System- oder Reflektionsmodelle als Normen stiften verstanden werden.“
Modelle in pädagogischen Texten
Wolfgang Brezinka (1984, 836-839, 352) unterscheidet folgende allgemeine Arten von Modellen:
Speziell in pädagogischen Texten findet Brezinka (1984, 340-352) folgende 15 Modellarten, die er unterschiedlich ausführlich beschreibt:
Diverse Modelle
Hermann Fertig (1977, 27-28) unterscheidet vier Arten von Modellen in der Physik:
Freilich sammelt Fertig rund zwei Dutzend weitere Arten von (allgemeinen) Modellen (28-35), diskutiert die Beziehung zwischen Theorien und theoretischen Modellen (35-42) und behandelt eingehend „mathematische Modellsysteme“ (42-57) und „Messmodelle“ (95-126).
Wolfgang Balzer (1982, 142) unterscheidet betreffend empirischen Theorien zwei Arten von Modellen:
„Wenn man in einem Modell die inhaltlichen Axiome einfach ‚vergisst’, so bilden die Komponenten dieses Modells ein potentielles Modell. Hat man umgekehrt ein potentielles Modell, dessen Komponenten darüberhinaus die inhaltlichen Axiome erfüllen, so ist dieses potentielle Modell bereits ein Modell.“ Im weiteren hat Balzer auch andere Modelle, z. B. theoretische (8), partielle (44, 173, 283) und reale (152, 193), mathematische (248) und nicht-mathematische (250), Messmodelle (114, 282, 312) und Raum-Zeit-Modelle (165).
Bemerkenswert ist die Richtung der Modellbildung. Es geht nicht darum ob eine Theorie ein Modell sei und wenn ja, wovon sie ein Modell sei, sondern umgekehrt. Beobachtungen werden anhand einer bereits vorliegenden Theorie als Modelle angesehen.
1992 definierte K. Preston White, Jr. in der “McGraw-Hill Encyclopedia of Science and Technology” (310): “A model is one entity used to represent some other entity for some well-defined purpose. Examples of models include: (1) An idea (mental model), such as the internalized model of a person's relationships with the environment, used to guide behavior. (2) A picture or drawing (iconic model), such as a map used to record geological data, or a solids model used to design a machine component. (3) A verbal or written description (linguistic model), such as the protocol for a biological experiment or the transcript of a medical operation, used to guide and improve procedures. (4) A physical object (scale model, analog model, or prototype), such as a model airfoil used in the wind-tunnel testing of a new aircraft design, or an electronic circuit used to simulate the neural activity of the brain. (5) A system of equations and logical expressions (mathematical model or computer simulation), such as the mass- and energy-balance equations that predict the end products of a chemical reaction, or a computer program that simulates the flight of a space vehicle.”
In der “Wiley Encyclopedia of Electrical and Electronics Engineering” (1994) unterscheidet K. Preston White dieselben fünf Modellarten, beschreibt sie jedoch mit anderen Worten.
Mit bemerkenswertem Eifer hat der Ökonom Dietrich Zschocke (1995, 221-226) 65 Definitionen von “Modell” zusammengetragen, und zwar fast ausschliesslich im Reich der Repräsentation resp. Abbildung. Er untersucht diese Definitionen eingehend und findet heraus (226-261) dass in Mathematik und Realwissenschaften der Modellbegriff völlig verschieden verwendet wird. In der Mathematik ist ein Modell eine Interpretation eines vorgegebenen Systems von Axiomen, während in den Realwissenschaften Modell gerade umgekehrt eine Abstraktion oder Verallgemeinerung eines Archetyps (Objekt, Gedanke, blosse Idee, undurchschaubares Problem) ist.
Für die ökonomischen Wissenschaften unterscheidet Zschocke (1995, 269-306):
Wilhelm Steinmüller unterscheidet in seinem umfangreichen Werk „Informationstechnologie und Gesellschaft“ (1993, 184) drei Modellarten:
Ronald N. Giere (1999) unterscheidet in einer, wie er sagt „unified interpretation of the nature and role of models in science“, folgende Arten von Modellen:
Oliver Thomas hat in einer Studie über den Modellbegriff in der Wirtschaftsinformatik (2005, 29-33) 35 Definitionen oder Beschreibungen von „Modell“ aus den Jahren 1990-2005 sowie je eine von 1974 und 1981 zusammengestellt. Er unterscheidet anhand von sorgfältigen Literaturanalysen und gestützt auf Franz Lehner (1995) vier Modellbegriffe:
Models in Anthropology
Der Anthropologe Bradd Shore (1996, 44-71, 311-373) verficht eine ethnographische Betrachtung des menschlichen Geistes und unterscheidet zwei Hauptgruppen von Modell:
In der Anthropologie unterscheidet Mariella Combi (2004, 168-172) die vorherrschenden Modelle, als da sind: 1) Patterns of culture (Ruth Benedict) 2) Basic or systemic models (Alfred L. Kroeber) 3) Conscious and unconsicous, mechanical and statistical models (Claude Lévi-Strauss) 4) Segmentary models (Edward Evan Evans-Pritchard) 5) Explicit and implicit models (Edmund R. Leach) 6) Operational, representational and explanatory models (Peter Caws).
„All the above models aim to solve the same fundamental problem about the relationship existing between reality, representation and imaginary.“ Combi selbst schlägt „a sensory model“ vor.
Simulation und Konstrukt
Eric Winsberg (1999, 279-284) unterscheidet fünf Modelle in der Computersimulation:
Giovanni Boniolo (2004, 73-84) sieht Modelle als fiktive Konstrukte und unterscheidet:
Boniolo hebt diese Modelle von „mathematical schemes“ ab, die er nicht als Modelle betrachtet. Ferner unterscheidet er zwischen “mathematised representations” and “mathematised models”.
Funktionen und Zwecke von Modellen
Marxistische Einteilungen
Der ostdeutsche Philosoph Georg Klaus (1969, 628, 220, 695) unterscheidet unter anderem drei Hauptgruppen von Modellen: Strukturmodell: „Modell, dessen Analogie mit dem Original in der Übereinstimmung von Eigenschaften der Struktur besteht und das die sich darauf gründende Funktion und gewisse Verhaltensweisen imitiert“ Funktionsmodell: „Modell, dessen Analogierelation sich auf die Funktion des Originals bezieht“ Verhaltensmodell: „Modell, dessen Analogie zum Original sich auf die Gleichheit des Verhaltens und nicht notwendig auch der Struktur, Funktion und des Substrats (d. h. der stofflichen und energetischen Beschaffenheit) von Modell und Original bezieht“.
Ferner hält Klaus vier Gruppen von Zwecken der Modellverwendung auseinander (412ff, 420ff): Modelle dienen dem Funktionsersatz (resp. -erweiterung oder -verstärkung) oder der Erkenntnisgewinnung (und -verbesserung) und meist daran anschliessend der Kenntnisvermittlung oder der Verhaltensregulation (von der Übung über die Projektierung bis zur Erzeugung des Originals selbst).
In dem von Georg Klaus und Manfred Buhr herausgegebenen ostdeutschen „Wörterbuch der Philosophie“ (Leipzig 1969, Reinbek 1972, 731-732) unterscheidet Klaus-Dieter Wüstneck acht Modellfunktionen (engl. siehe Fig. 04): Erkenntnis (Fermentmodelle, Strukturmodell des Eiweisses, kybernetische Schildkröte, Tierexperimente in der Medizin – auch: Atommodell) Erklärung und Demonstration (Maxwellsches Modell des elektrischen Stroms, Demonstrationsmodelle in der Lehre, Fallspiel als Ausbildungssituation) Indikation (spannungsoptische Modelle, Herzsimulator) Variation und Optimierung (Netzmodell der Energieverteilung, Modelle der Operationsforschung) Verifikation (Versuchsmuster) Projektierung oder Konstruktion (technische Konstruktionszeichnungen, Projektierungsmodelle des Anlagen- und Städtebaus) Steuerung (gespeicherte Projektmodelle, z. B. Modelle in der Kopierdrehbank, Lernmodelle, Generalstabskarte mit Lageinformationen, Sandkastenmodell) Ersatz (künstliche Gliedmassen oder Organe des Menschen, Herz-Lungen-Maschine im Operationsbetrieb)
In seinem umfassenden Buch über „Modellierung und Philosophie“ (1969) widmet Viktor A. Stoff – mit viel marxistischer Theorie und Literatur - je ein ganzes Kapitel dem Modell
Heuristische, prognostische und viele weiter Funktionen
Karl Wolfgang Deutsch unterschied in seinem Klassiker „The Nerves of Government“ (1953; dt. 1969, 44) vier Funktionen von Modellen:
Walter Popp (1970) unterschied ähnlich sechs Funktionen von Modell:
Christian Salzmann (1972/1974) und Wilfried Buddensiek, Franz Josef Kaiser, Hans Kaminski (1980) boten Erweiterungen dieser Funktionen z. B. durch:
Andere Funktionen
Roy Lachman (1960) unterschied vier Funktionen von Modell:
Anschliessend beschreibt er ausführlich die kinetische Theorie der Gase und die statistische Lerntheorie und verliert ein paar Worte zur Analogie.
S. E. Elmaghraby (1968) unterschied fünf Arten des Gebrauchs von Modellen: 1 an aid to thought 2 an aid to communication 3 purposes of training and instruction 4 a tool of prediction 5 an aid to experimentation.
Bei den wissenschaftlichen Modellen unterscheidet Stachowiak (1973): Demonstrationsmodelle (didaktische Modelle) zur Veranschaulichung von Zusammenhängen Experimentalmodelle zur Ermittlung (heuristische Modelle) und Überprüfung von Hypothesen theoretische Modelle zur Vermittlung von Kenntnissen über Sachverhalte operative Modelle möglicher Zielaussenwelten zur Bereitstellung von Entscheidungs- und Planungshilfen.
Der Geograph Roger Minshull (1975, 60-106) unterscheidet 9 Verwendungsarten von Modell: 1. in der Forschung
2 in Lehre und Vorführung (Lehrmittel)
Stephan Hartmann (1999) sieht sechs Funktionen von Modellen in der heutigen Physik: a) Apply a theory b) Test a theory c) Develop a theory d) Replace a theory e) Explore the features of a theory f) Gain understanding.
Zusammen mit Daniela Bailer-Jones hat Stephan Hartmann in der Enzyklopädie der Philosophie (1999, 856) folgende Funktionen von Modellen in den Wissenschaften unterschieden. Sie:
Weitere Einteilungen von Modellen
Eher als Kuriosität muss die Unterscheidung der Berner Grafologin Barbara Saegesser (1975) betrachtet werden. Wenn die Modelle der Naturwissenschaften sich auf sicht- und fühlbaren Objekte beziehen können (wie in der klassischen Physik), dann handelt es sich um Restriktionsmodelle, wenn die Objekte zu „klein“ sind und nur erschlossen werden können, wie in der Atomphysik, dann um Fiktionsmodelle.
Inspiriert von Klaus und Stachowiak kann man sich auch Einteilungen der Modelle nach dem Raster „Seinsweise/ Entstehungsart“ (Roland Müller 1977; Abb. 3) oder „Seinsweise/ Funktion“ (Roland Müller 1988; Abb. 4) vorstellen. Die vierfache Zuordnung des Architekturmodells deutet an, dass die Funktion des selben Objekts durchaus variieren kann. Überdies kann auch die Seinsweise variieren: Ich kann mir ein Architekturmodell auch bloss vorstellen, es in Sätzen beschreiben und zeichnen, malen oder photographieren.
Charakterisierung von wissenschaftlichen Modellen
Der belgische Philosoph Robert Franck (2002, 5-8) gibt eine Übersicht über die 10 wichtigsten Eigenschaften von wissenschaftlichen Modellen:
12 Grundbedeutungen von Modell, Model, Modul
Wenn wir eine ganz allgemeine und doch umfassende Bedeutungsübersicht der Begriffe Modell, Model und Modul skizzieren wollen, eignet sich Abbildung 5 als Gedankenstütze. Sie erhebt keinesfalls den Anspruch, irgendwelche Zusammenhänge aufzuzeigen. Sie beruht auf den vier wichtigsten Funktionen von Modellen, nämlich Vorbild und Abbild, Entwurf und Ersatz.
Wir unterscheiden insgesamt zwölf Grundbedeutungen:
1. 8 relationale Modellsorten, also Modelle von einer Sachen, zu einer Sache, für eine Sache, also z. B. Vorschläge zur Schulgestaltung oder Schulreform (Honneffer Modell, Gesamtschulmodell), Schnittmuster für Kleider, die Miniaturnachbildung einer Krokodillokomotive, der Entwurf eines neuen Einkaufzentrums usw.
2. 4 korrelative Modellsorten. Das klingt ähnlich wie relational und ist es in der Sache auch. Doch das Besondere ist: Es handelt sich einerseits um eine Einheit, die eher für sich allein gebraucht wird (z. B. ein Modul bei der Raumfahrt oder ein Modellkleid) oder um eine Präge- oder Gussform, anderseits um eine beliebige Vielzahl genau gleicher Gegenstände, also Prêt-à-porter-Mode, Schuhe, Möbel, Geräte und Apparate, usw.
Vom legendären Auto "Modell T" von Henry Ford wurden von 1908 bis 1927 nicht weniger als 15 Millionen Stück gebaut. Guss-, Druck- und Backformen heissen teils Model, teils Modell (in der Schweiz auch „Förmli“), die damit geprägten oder geformten Gebilde heissen aber in den seltensten Fällen Modell (z. B. ein künstlerischer Abguss) oder Model (z. B. Modelschinken oder "es Mödeli Anke").
Ein- und Zuteilungen sind diskutabel
Selbstverständlich lässt sich sowohl über die Einteilung wie die Zuordnungen streiten. Beispielsweise könnte man die eine "herrschende Meinung" von den meist zahlreichen Alternativen im Sinne von Auffassungen, Deutungen, Anweisungen trennen. Auch eine Trennung von dreidimensionaler Veranschaulichung und Interpretation eines Axiomensystems wäre möglich. Und die Probe, das "Müsterli", das Stoffmuster und das Versuchkaninchen könnten ebenfalls als eine Gruppe für sich stehen. Anderseits könnte man "formulierte Ideen" und "Entwurf" zusammennehmen, vielleicht sogar noch "Vorbild" dazu. Drittens könnten Profile und Schablonen den Prägeformen zugezählt werden, umgekehrt Stempel und Stempelsiegel den Vorbildern, usw. Schliesslich lässt sich fragen, ob z. B. etwa Notationen von Ballettschritten oder Skizzen militärischer Operationen tatsächlich "schematische" Nachbildungen sind oder nicht etwa Versuche der Veranschaulichung von Bewegungen oder Vorgängen.
Sprachliche Grundbeobachtungen und Grundfragen
Grundbeobachtungen sind: Ein Original kann Modell sein (z. B. Aktmodell), aber auch eine Kopie kann Modell sein (Fords "Modell T"). Der Prototyp hat einerseits eher Entwurfs- und damit Versuchscharakter, anderseits musterhaften Vorbildcharakter. Ein Muster ist kein "Müsterli", und Typ ist so vieldeutig, dass Type und Typus nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Bedeutungsspektrum bieten. Manchmal heisst die Gussform Modell, das Gegossene aber auch. Und der Modelltischler macht keine Tische, sondern "Holz- und Kunststoffmodelle für die Giessform für metallene Maschinen und Geräte bzw. für deren Teile"; der Modellschlosser baut solche Formeinrichtungen nicht nur aus Metall, sondern auch aus Gips.
Grundfragen inhaltlicher Art lauten etwa: Sind Hypothesen oder Datenmodelle oder gar Theorien Abbilder der Realität oder nicht viel mehr Entwürfe (Fiktionen?), vielleicht auch formulierte Ideen oder Vorstellungen, ja möglicherweise auch Vorbilder, im Sinne von Muster? Oder: Was ist eine Madonna von Raffael: Abbildung einer Frau, Veranschaulichung einer Idee, Entwurf eines Ideals, Vorbild, ja Massstab für andere Frauen oder andere Maler? Ein Theaterstück kann fast alles sein: Vorstellung im Dramaturgen, Nachbildung der "Comédie humaine", moralische Anstalt (also Vorbild), Entwurf einer besseren Welt, Veranschaulichung einer Lebenslüge, Analogie zum realen Treiben der Menschen ("Wir alle spielen Theater").
Modelle von Modellen
Noch etwas: Es gibt Modelle von Modellen von Modellen, usw. Nehmen wir das Bild von Gott als dem Weltenschöpfer. Da könnte es folgende Modellvorgänge geben: Das menschliche Verhalten dient als Modell für das göttliche Verhalten. Seit etwa hundert Jahren Psychoanalyse sagt man auch, der Mensch projiziere sich selbst, mit seinen erwünschten Stärken, aber auch mit all seinen Schwächen an den Himmel. Gott schafft die Welt in vorbildlicher Weise. Der Mensch macht sich davon wieder ein Abbild. Dieses bringt er in eine künstlerische Darstellung. Davon gibt es ein Photo, das in einem Buch reproduziert wird, wonach ich eine Hellraumprojektorfolie angefertigt habe. Wenn wir von dieser Vorlesung ein Video aufnehmen würden, wäre das ein weiteres Modell, usw.
Literatur
Joseph Agassi: Why there is no theory of models. In William E. Herfel et al.: Theories and Models in Scientific Processes. Proceedings of AFOS ’94 Workshop, August 15-26, Madralin, and IUHPS ’94 Conference, August 27-29, Warszawa. 1995, 17-26 (betrifft bloss die Geschichte der Physik, Descartes gegen Newton; auch vielfacher Gebrauch des Wortes System) Daniela Bailer-Jones, Stephan Hartmann: Modell. In Hans Jörg Sandkühler (Ed.): Enzyklopädie Philosophie. Hamburg: Meiner 1999, 854-859. Wolfgang Balzer: Empirische Theorien: Modelle, Strukturen, Beispiele. Die Grundzüge der modernen Wissenschaftstheorie. Braunschweig: Vieweg 1992. Ludwig Boltzmann: Über die Methoden der theoretischen
Physik. In Walther Dyck 1892, 89-98; Ludwig Boltzmann: Model. In. Encyclopaedia Britannica.
London: “The Times” Printing House 10th Edition, volume XXX, 1902, 788-791; Giovanni Boniolo: Theories and models: really old hat? In Massimo Negrotti (Hrsg.): Yearbook of the Artificial, Vol. 2: Models in Contemporary Sciences. Bern: Peter Lang 2004, 61-86. Raymond Boudon: Mathematische Modelle und Methoden. Frankfurt am Main: Ullstein 1973 (Übersetzung von Kapitel VIII des Werkes: Tendances principales de la recherche dans les sciences sociales et humaines – Partie I: Sciences sociales. Paris: UNESCO/ Mouton 1970) Wolfgang Brezinka: 'Modelle' in den Erziehungstheorien. Zeitschrift für Pädagogik, 30. Jg., 1984, 834-858. Percy W. Bridgman: The Logic of Modern Physics. New York: Macmillan 1927; Neudruck 1960, 45, 52-53. Wilfried Buddensiek, Franz Josef Kaiser, Hans Kaminski: Grundprobleme des Modelldenkens im sozio-ökonomischen Lernbereich. In Herbert Stachowiak (ed.): Modelle und Modelldenken im Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1980, 92-122. C. West Churchman, Russell L. Ackoff, E. Leonard
Arnoff: Introduction to Operations Research. New York: Wiley 1957; 13. Aufl.
1969 (Part III: „The Model“, 155-194); Mariella Combi: Cultural models in anthropology. In Massimo Negrotti (Hrsg.): Yearbook of the Artificial, Vol. 2: Models in Contemporary Sciences. Bern: Peter Lang 2004, 163-176. Randle Cotgrave: A Dictionaire of the French and English tongues. Reproduced from the first edition, London: Islip 1611, Columbia: University of South Carolina Press. 1950. Karl Wolfgang Deutsch: Some Notes on the Role of Models in the Natural and Social Sciences. Synthese 7, 1948-1949, 506-533. Karl Wolfgang Deutsch: Mechanism, Organism, and Society. Some Models in Natural and Social Science. Philosophy of Science 18 (1951), 230-252 (zit. 230) (Reprint 1967). Karl Wolfgang Deutsch: The Nerves of Government.
Models of Political Communication and Control. New York: Free Press of Glencoe
1962, 2. erweiterte ed. 1966; Duden: Das Fremdwörterbuch. Mannheim: Dudenverlag, 5. ed. 1990; weitere ed. 1997. S. E. Elmaghraby: The Role of Modeling in I. E. Design. Journal of Industrial Engineering 19. 6, June 1968. Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Neufchastel: Faulche, X, 1765. Hermann Fertig: Modelltheorie der Messung. Berlin: Duncker & Humblot 1977. Gerhard Frey: Symbolische und ikonische Modelle. In: Hans Freudenthal (Ed.): The Concept and the Role of the Model in Mathematics and Natural and Social Sciences. Proceedings of the Colloquium Sponsored by the Division of Philosophy of Sciences of the International Union of History and Philosophy of Sciences, Organized in Utrecht, January 1960. Dordrecht: Reidel 1961, 89-97. Ronald N. Giere: Using Models to Represent Reality. In Lorenzo Magnani, Nancy J. Nersessian, Paul Thagard (Ed.): Model-Based Reasoning in Scientific Discovery. New York: Kluwer Academic/ Plenum Publishers 1999, 41-57. Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 1854-1960, Dünndruck-Reprint in 33 Bänden bei dtv 1984 (Buchstabe „M“ 1885) Stephan Hartmann: Models and stories in hadron physics. In Mary S. Morgan, Margaret Morrison (eds.): Models as Mediators. Perspectives on Natural and Social Science. Cambridge: Cambridge University Press 1999, 326-346. Johann Hübner: Curieuses and reales Natur-Kunst-Berg-Gewerck- und Handlungslexikon. Leipzig: Gleditsch, 1. Aufl 1712; 3. ed. 1717, spätere ed. 1741. Abraham Kaplan: The Conduct of Inquiry. Methodology for the Behavioral Sciences. San Francisco: Chandler 1964; Nachdruck New Brunswick/ London: Transaction Publishers 1998 (Chap. VII: Models, 258-293). Georg Klaus (Ed.): Wörterbuch der Kybernetik. Frankfurt am Main/ Hamburg: Fischer Bücherei 1969 (Lizenzausgabe nach der 2. Auflage des Dietz Verlags, Berlin; 1. ed. 1967).
Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 6. Aufl. in 2 Bdn, Leipzig: Bibliographisches Institut 1969; Richard Köhler: Modelle. In Erwin Grochla, Waldemar Wittmann (Ed.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Stuttgart Poeschel, 4. ed. 1975, Sp. 2701-2716. Wilhelm Traugott Krug: Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften. Leipzig: F. A. Brockhaus 1827-29 (lI: Modell; V: Ergänzung dazu). Roy Lachman: The model in theory construction. Psychological Review 67, 1960, 113-129; Nachdruck in Melvin H. Marx, Felix E. Goodson (Hrsg.): Theories in Contemporary Psychology. New York: Macmillan 1963, 78ff; mehrere Nachdrucke; 2. Aufl. 1976. Herman Meyer: On the Heuristic Value of Scientific Models. Philosophy of Science 18, 1951, 111-123 (Reprint 1967) Roger Minshull: An Introduction to Models in Geography. Harlow: Longman 1975. Noel Mouloud et al.: Modèle. In Encyclopaedia Universalis. Bd. 11, 121-135, Paris 1971; völlig identisch (bis auf Änderungen in den Literaturangaben zum Thema Physik) auch in der Ausgabe von 1992 (hier Bd. 15) ergänzt durch fünf Seiten über "Théorie des modèles". Roland Müller: Was ist ein Modell? Schweizer Rundschau, Dezember 1977, 9, S. 3-10. Roland Müller: Modelle in der Psychologie. Vorlesung am Psychologischen Institut der Universität Zürich, November 1988 (unveröffentlicht). Jürgen Oestereich: Modell – Begriff und Gebrauch in der räumlichen Planung. Diss. TH Aachen 1976. Charles Sanders Peirce: Schriften I. Zur Entstehung des Pragmatismus. Mit einer Einführung herausgegeben von Karl-Otto Apel. Frankfurt: Suhrkamp 1967. Walter Popp: Die Funktion von Modellen in der didaktischen Theorie. In G. Dohmen, F. Maurer, W. Popp (eds.): Unterrichtsforschung und didaktische Theorie. München 1970, 49-60. Patrick Rivett: Principles of model building. The construction of models for decision analysis.
London: Wiley 1972 (vgl. 1980); Arturo Rosenblueth, Norbert Wiener: The Role of Models in Science. Philosophy of Science 12, 1945, 316-321. Barbara Saegesser: Der Idealtypus Max Webers und der naturwissenschaftliche Modellbegriff. Ein begriffskritischer Versuch. Diss. Univ. Basel 1972; Basel: Birkhäuser 1975 (ungenügend, kennt wichtige Literatur nicht, bezieht sich v. a. auf M. Jammers Aufsatz von 1965; die Restriktions- und Fiktionsmodelle 148-158) Christian Salzmann: Gedanken zur Bedeutung des Modellbegriffs in Unterrichtsforschung und Unterrichtsplanung. Pädagogische Rundschau 26, 1972, 468-485; verändert nachgedruckt in Leo Roth, Gerhardt Petrat (ed.): Unterrichtsanalysen in der Diskussion. Hannover: Schroedel 1974, 171-205. Hans Schulz: Deutsches Fremdwörterbuch. 6 Bde 1913-1983 (Modell in Bd. 2, 1942) Bradd Shore: Culture in Mind. Cognition, Culture, and the Problem of Meaning. New York: Oxford University Press 1996; paperback 1998 (on „cultural models“ 44-71, 311-373). Helmut F. Spinner: Modelle und Experimente. In Erwin Grochla (Ed.): Handwörterbuch der Organisation. Stuttgart: Poeschel 1969, Sp. 1000-1010. Herbert Stachowiak: Über kausale, konditionale und strukturelle Erklärungsmodelle. Philosophia Naturalis, Bd. 4, H. 4, 403-433. Herbert Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer 1973. Wilhelm Steinmüller: Informationstechnologie und Gesellschaft. Einführung in die Angewandte Informatik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993 (720 Seiten Text, plus 280 Seiten Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Register).
Patrick Suppes: Models of Data. In Ernest Nagel,
Patrick Suppes, Alfred Tarski (Ed.): Logic, Methodology and Philosophy of
Science. Proceedings of the 1960 International Congress, Stanford, California:
Stanford University Press 1962, 252-261; Viktor A. Stoff: Modellierung und Philosophie. Berlin: Akademie Verlag 1969 (aus dem Russ. 1966). Walther von Wartburg: Französisches Etymologisches Wörterbuch. 1922-1967 (Stichwort: modulus, 1966, 15-19) K. Preston White: Model theory. In. McGraw-Hill Encyclopedia of Science and Technology. 7th ed. 1992, 310-313; K. Preston White: Modeling and Simulation. In: Wiley Encyclopedia of Electrical and Electronics Engineering. 1994, vol. 13, 404-417. Erich Winsberg: Sanctioning Models: The Epistemology of Simulation. Science in Context 12.2, 1999, 275-292. Christian Wissel: Theoretische Ökologie. Berlin: Springer 1989, 1. Dietrich Zschocke: Modellbildung in der Ökonomie. Modell, Information, Sprache. München: Vahlen 1995.
Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved
Webmaster by best4web.ch
|