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Fehlentscheidungen unter der Lupe - und Lehren daraus

 

 

Motto: "Mehr denken beim Lenken" gilt auch für Unternehmer und Manager

 

 

Fehlentscheidungen sind mit einem trügerischen Sicherheitsgefühl verbunden. Dieses führt dazu, dass weder andere Alternativen noch mögliche Zukunftsentwicklungen der Umwelt in Betracht gezogen werden. Geistige Trägheit muss daher eine aktuelle Studie den Managern bescheinigen.

Die Lehren ergeben sich daraus von selbst: mehr Sensibilität für Probleme und Umweltveränderungen, sorgfältigeres und systematischeres Vorgehen und - Selbstkritik.

 

Irrationale und hilflose Manager?

 

Das strahlende Bild des Managers ist in jüngerer Zeit von verschiedenen Seiten wieder angekratzt worden. Manfred Kets de Vries holte einmal mehr aus den Tiefen der Psychoanalyse den "Irrational Executive" und die dementsprechend "Neurotic Organization" hervor (beide Bücher 1984).

 

Nachdem Heinz Wuffli den "Herbst des Unternehmertums" (1982) noch mit vornehmer Zurückhaltung geschildert hatte, läutete 1985 Dietrich Strasser ebenso informativ wie giftig den "Abschied von den Wunderknaben" ein, und Winfried M. Bauer rechnete pauschal mit den "hilflosen Managern" ab (Siehe Abb. 1).

 

Niederschmetternde Forschungsergebnisse

 

Der Ökonom Hartmut Geissler legt nun "eine empirisch-explorative Ursachenanalyse" von betrieblichen Fehlentscheidungen vor (Frankfurt: Peter Lang Verlag). Wie so häufig sind die Ergebnisse niederschmetternd (Siehe Abb. 2). Aber man kann aus Fehlern und ihrer Ergründung vieles lernen (Siehe Abb. 3). Geissler arbeitet sauber heraus, worauf es ankommt.

 

50 Unternehmensinhaber, Vorstandsvorsitzende oder Geschäftsführer unterschiedlich grosser Firmen im Umkreis des Betriebswirtschaftlichen Forschungszentrums für Fragen der mittelständischen Wirtschaft in Bayreuth stellten sich für ausführliche Interviews zur Verfügung, die im Schnitt zweieinviertel Stunden dauerten. Sie gaben erstaunlich offen Auskunft.

 

Die meisten Fehlentscheidungen betrafen Investitionen (technischer Einkauf), Absatz, Personal und Produktion. Es handelte sich vorwiegend um "Initiativentscheidungen", also innovatives Verhalten, nicht Anpassungen. Dabei wurden ein oder zwei Ziele verfolgt. Diese wurden nur in 40% der Fälle präzise schriftlich fixiert. Zielkonflikte traten nicht auf.

 

Die meisten Entschlüsse wurden von 3 Personen gefasst. "Einsame" Entscheide und Entschlussfassung in grösseren Gruppen kamen seltener vor. Der Gestaltungsspielraum für die Entscheidung wurde überwiegend als gering bis sehr gering empfunden. Ein starker Zeitdruck dagegen wurde nur selten namhaft gemacht.

 

Von Anfang an nur eine Möglichkeit ins Auge gefasst

 

Am befremdlichsten ist, dass nur in einem Viertel der Fälle zwei mögliche Alternativen gegeneinander abgewogen wurden. In über 70&% der Fälle stand lediglich eine einzige "Alternative" zur Debatte. Das rührt nur selten davon her, dass in vorherigen Teilentschlüssen bereits Alternativen ausgesondert worden wären. Denn schon fast in der Hälfte aller Fälle wurde von Anfang an nur eine Möglichkeit ins Auge gefasst.

 

Bei drei Vierteln der Fehlentscheidungen hätte eine andere "Lösung" zur besseren Zielerreichung geführt. Diese hätte in fast allen Fällen (93%) bereits zum Entschlusszeitpunkt existiert. Nur in einem Drittel der Fälle wurde sie aber überhaupt in Betracht gezogen.

Umso erstaunlicher ist das subjektive Sicherheitsgefühl, das die Entscheidungsträger bei der Beschlussfassung hatten:

·        95 % waren sicher, sie hätten alle relevanten Alternativen berücksichtigt

·        88 % waren sicher, genügend Informationen über die betrachtete(n) Alternative(n) zu besitzen.

 

Wunschdenken = Barrieren im Kopf

 

Im Klartext: Die meisten Fehlentscheidungen rühren, was Edwin Rühli schon 1963 festgestellt hat, von "auffallendem Wunschdenken" her: Von Anfang an besteht eine "vorgeprägte Lösungsauffassung" (Werner Kirsch), ein "geheimer Favorit", der durchgestiert wird. Damit verbunden ist ein gefährliches Sicherheitsgefühl. Daher wird überhaupt nicht nach Informationen gesucht, obwohl sie beschaffbar wären. Tauchen jedoch Informationen auf, werden sie entweder ignoriert, heruntergespielt oder umgedeutet. Der Einsatz von Entscheidungsmethodik wird geringgeschätzt.

 

Weiter bemerkenswert ist, dass weder personelle, zeitliche noch finanzielle Engpässe für die unzureichende Informations-Nachfrage angeführt wurden. Die Barrieren sind im Kopf vorhanden (das heisst "kognitiv") und beruhen nicht auf "persönlicher Überlastung".

 

Entwicklungen in der Umwelt interessieren nicht

 

Es verwundert daher nicht, wenn sich die Entscheidungsträger kaum über Umweltturbulenzen, welche das Entscheidungsergebnis beeinflussen könnten, den Kopf zerbrechen. Die Hälfte aller Befragten beachtete nur einen einzigen denkbaren Umweltzustand, also ein künftiges Ereignis, von dem der Erfolg der Entscheidung massgeblich abhängig sein könnte. Ein Viertel erwog wenigstens zwei.

 

·        "Obwohl die Erfassung zukünftiger Umweltsituationen zugestanden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, wurde bei der Entscheidungsfindung insbesondere die Betrachtung relevanter Umweltzustände von den Entscheidungsträgern geradezu sträflich vernachlässigt", meint Geissler. "Sie vertrauten zu sehr auf vergangene Konstellationen, aus denen bei gleichartigen Entscheidungen erfolgreiche Ergebnisse resultierten."

 

Das "Sattheitsgefühl der Sicherheit"

 

Das kann verheerende Konsequenzen haben: Bei der Entschlussfassung waren alle Personen (bis auf eine) überzeugt, es könnten keine unerwarteten Umweltzustände eintreten. Im nachhinein mussten alle (bis auf zwei) zugeben, dass für das Misslingen Umweltzustände "verantwortlich" waren; die nicht beim Entschluss beachtet wurden. Sie waren aber in drei Viertel der Fälle vorhersehbar!

 

Das "Sattheitsgefühl der Sicherheit" (Geissler) führt logischerweise dazu, dass man sich auch keine Gedanken macht, wie wahrscheinlich künftige Umweltzustände und erwartete Ergebnisse überhaupt sind.

 

Fehler schon am Anfang

 

In welchen Phasen des Entscheidungsablaufs treten am ehesten Fehler auf?

Bei Investitionsprojekten der 30 grössten finnischen Industrieunternehmen zeigte sich eine gleichmässige Verteilung der Fehler über alle Phasen (Ideen-, Evaluations- und Planungs- sowie Durchsetzungsfehler).

Bei den von Geissler in der fränkischen Region untersuchten mittelständischen Firmen lagen die Fehler eher in der Anfangsphase, also beim Erkennen des Problems sowie beim Erarbeiten und Bewerten der Lösungen. Fehler bei der Problemerfassung pflanzen sich wie in einer Kettenreaktion und erst noch mit kumulierendem Effekt fort.

 

"Learning by doing" bedeutet Selbstkritik

 

Fazit: Es fehlt den Entscheidungspersonen weniger an fachspezifischem Wissen, "sondern allzu oft am Wissen über ihr eigenes Entscheidungsverhalten (Siehe Abb. 4). Die Entscheidungsträger haben nicht gelernt, kognitive Begrenzungen ihres Verhaltens zu erkennen, um so ihre individuellen Schwachstellen zu überwinden.

Ein erster Schritt zur Abhilfe wäre die distanzierte, selbstkritische Kontrolle vergangener Entscheidungsprozesse." Das bedeutet nichts anderes als "learning by doing" ernst genommen.

 

Dank der umfassenden Bestandesaufnahme von Geissler lassen sich aus den Analysen der Fehlentscheide die entsprechenden Lehren ziehen. In einer Formel zusammengefasst lauten sie: Sensibilität, Sorgfalt, Systematik und Selbstkritik.

 

 

Literatur

 

Hartmut Geissler: Fehlentscheidungen. Eine empirisch-explorative Ursachenanalyse. Frankfurt: Peter Lang 1986.

 

siehe auch:    Literatur: Dummheit, Irrtum, Fehler, Täuschungen, falsche Aussagen, Justizirrtümer

 

(geschrieben im Juni 1987;

erschienen unter den Titeln:

Fehler in den Chefetagen. Budget, Mai 1988, 18-19.

"Denn sie wissen nicht, was sie tun...". Handelszeitung, 9. Februar 1989, 13.

Fehlentscheidungen - und was man daraus lernen kann. Das neue Erfolgs- und Karrierehandbuch für Selbständige und Führungskräfte, Heft 10, 1987, 69-74)




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