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                     100'000 Jahre im Zeitraffer

 

siehe dazu:  Etappen ganzheitlichen Denkens: kurzer Überblick

                      Etappen ganzheitlichen Denkens: ausführliche Version

 

Inhalt

4 mehrfache „Wendezeiten“

Jean Gebser: Die vier „Mutationen des Bewusstseins“

Ab 1948: Das Zauberwort „System“

Gescheiterte Gesamtkonzeptionen

Seit 1926: „holistic“

 

 

Ganzheitliches Denken hat die Menschheit seit 100'000 Jahren begleitet. Archäologische Zeugnisse des Neandertalers und des doppeltweisen Menschen (Homo sapiens sapiens) weisen darauf hin. Vielleicht pflegten schon die „Höhlenbewohner" eine matriarchale Religiosität. Sicher ist, dass der allmähliche Übergang vor 15-10'000 Jahren zur Sesshaftigkeit die Seele des Menschen unter Stress setzte.

 

(Ursache für die Einführung von Ackerbau und Viehzucht waren vielfältige Umweltveränderungen, die letztlich auf eine Erwärmung des Klimas zurückzuführen sind. Seither greift der Mensch aber auch selber namhaft in die Umwelt ein.)

 

Vorher zog er als Jäger und Sammler in der Gegend herum, nun wurde er in dörflichen Siedlungen zum Bauern und Hirten, Handwerker und Händler. Zur Deutung der Naturvorgänge und -ereignisse sowie seiner Stellung in der Welt entwarf er vielfältige und bunte Mythen. Er rettete sie in die Hochkulturen hinüber, die er ab 3000 v. Chr. aufbaute, verwandelte sie aber bald in patriarchale.

 

Für die alten Reiche von Ägypten und Mesopotamien lassen sich zahlreiche Weltschöpfungsmythen und Weisheitslehren (z. B. von Ptahotep) rekonstruieren.

Im Mythos schuf z. B. der ägyptische Gott Atum (= "der Ganze, der Vollendete") sich selbst und zeugte seine Nachkommen durch Selbstbesamung. Ptah dagegen erzeugte alles aus seinem Herzen und durch seine Zunge, also durch Wille und Wort.

 

Die religiösen Kulte wurde anfänglich vom Pharao resp. Gottkönig und seinen Priestern – manchmal auch Frauen - vollzogen, Krisenzeiten führten zur Demokratisierung.

Um 2200 v. Chr. wurde der Osiris-Kult in Ägypten volkstümlich. In Mesopotamien gab es Fruchtbarkeits- und Reinigungsriten. Propheten, Opferschauer und Traumdeuter, Zauberer und Hexen sind schon im 2. Jahrtausend v. Chr. dokumentiert.

 

4 mehrfache "Wendezeiten"

 

800-200 v. Chr.: „Wendezeit“

 

"Wendezeit" nannte Erwin Rohde (1894) die nächste geistige Umwälzung. Karl Jaspers fasste sie etwas länger als "Achsenzeit" (ca. 800-200 v. Chr.). Damals geschah in Griechenland fünferlei:

  1. Eine erste Orientalisierungswelle brachte die Eleusinischen Mysterien (ab 8. Jh. v. Chr.), die Orphik (7./ 6. Jh. v. Chr.), den esoterischen und politischen Bund der Pythagoreer mit ihrer Lehre von der Seelenwanderung und Reinigung (520 v. Chr. - ca. 400 v. Chr.) und in Persien den Dualismus von Licht und Finsternis von Zarathustra sowie den Mithraskult (5. Jh. v. Chr.).
  2. Gleichzeitig beschritten die Griechen (wie auch im Osten die Inder und Chinesen) den vielfältigen Weg "vom Mythos zum Logos" (Wilhelm Nestle, 1940). Sie vollzogen die "Entdeckung des Geistes" (Bruno Snell, 1946), welche im 4. Jh. v. Chr. in den Riesenwerken von Platon und Aristoteles kulminierte.
  3. Die alten Götter- und Heldenmythen lebten freilich weiter. Sie wurden – wie auch die Mysterien – von den Römern übernommen. In Indien bewahrte später der Hinduismus das Erbe des Mythos.
  4. In der Atomlehre von Leukipp und Demokrit zeigten sich die ersten Ansätze zum mechanistischen Denken. Im 3. Jh. v. Chr. wandten sich die Ärzte in Alexandria einem (skeptischen) Empirismus zu.
  5. Die Sophisten trugen die Philosophie in die Öffentlichkeit. Als Lehrer vertraten sie die praktische Anwendung in Rhetorik, Lebensführung und Politik. Je nach Ausprägung konnte sich daraus Skepsis, Relativismus, Zynismus, Resignation oder gar Nihilismus ergeben. Ähnliches fand auch in Indien und China statt.

 

Sämtliche dieser Errungenschaften des Denkens und Glaubens kann man als ganzheitlich auffassen – sogar Dualismus, Atomismus und Skepsis-, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.

 

Alles Weitere kann man als Fussnoten zur Philosophie der alten Griechen resp. zum Brahmanismus und Buddhismus (in Indien), zum Konfuzianismus und Taoismus (in China) betrachten.

 

200 v. Chr. - 500 n. Chr.: Eine wenig beachtete kreative Phase zur Römerzeit

 

Die nächste kreative Phase der Weltgeschichte dauerte von  200 v. Chr. bis 500 n. Chr. und zeigte ähnliche Entwicklungsgruppen:

1. Die zweite Orientalisierungswelle brachte Astrologie, Alchemie und Hermetik in den Mittelmeerraum, ferner seit der Zeit Christi Mystik und Gnosis, Neupythagoreismus und Kabbala.

2. Die theoretische und praktische Mechanik wurde von Archimedes (gest. 212 v. Chr.) und Philon, später von Vitruvius und Heron vorangebracht. Die Atomlehre fand Eingang in das Lehrgedicht von Lukrez "De rerum natura" (ca. 55 v. Chr.).

3. Von der griechischen Philosophie nahmen die Römer vor allem die Stoa, mit ihrer Lehre von der organischen Verbundenheit von allem, auf (siehe: Mark Aurel). Dazu einiges von Epikur, Skepsis und Platonismus. Von 200-500 n. Chr. erfüllte der Neuplatonismus den Mittelmeerraum.

4. Aber auch die Götterwelt und zahlreiche Mysterienkulte wurden übernommen.

5. Das Urchristentum erfuhr bald mannigfache Wandlungen. Es wurde nach seiner Anerkennung 313 rasch militant und übernahm zahlreiche "heidnische" Bräuche.

6. Ein Neuaufleben der Skepsis führte unter anderem zu einer empirischen Ausrichtung in der Medizin. Statt an Dogmatik hielten sich diese Ärzte an Erfahrung und Beobachtung.

 

Zweiteiliges Mittelalter

 

In der ersten Hälfte des Mittelalters (500-1000) bewahrten Syrien, Byzanz und der Islam das Erbe des Altertums. Es wurde erst in der dritten Orientalisierungswelle (1100-1600) im mittleren Europa bekannt. In der Philosophie wurde zuerst Aristoteles wiederentdeckt (Hochscholastik), dann der Platonismus (Florenz).

Während christliche und jüdische Mystik aufblühten und Astrologie sowie Alchemie wieder Fuss fassten, wurde gleichzeitig in vielen kleinen Schritten die neuzeitliche Wissenschaft vorbereitet.

 

Ab 1580: Ganzheitlichkeit als Gegenbewegung zum mechanistischen Denken

 

Das heute vielgeschmähte mechanistische oder kartesianische Denken hat also eine lange Vorgeschichte, die nicht unterschlagen werden darf. In ihm fliesst Unterschiedlichstes zusammen, z. B. Ingenieurtechnik und Kunst der Renaissance; Nominalismus und Methodendiskussion, Alchemie und Zahlenmystik, Kapitalismus und Kolonialismus.

Anderseits darf man es nicht allein für unser heutiges Malaise verantwortlich machen. Militarismus und Egoismus, Geldgier, Natur- und Menschenverachtung waren mindestens so folgenreich.

Überdies setzte sich das mechanistische Denken gar nie richtig durch; es blieb immer angefochten. So führte etwa der Art und Chemiker G. E. Stahl 1707 den Begriff „Organismus“ ausdrücklich als Gegensatz zum „Mechanismus“ ein. Er griff auf Paracelsus (1530) und van Helmont (und 1630) zurück und meinte: Nur insofern der Körper von der Seele zweckmässig bewegt wird, kann er belebt sein. Auch die einfachsten physikalischen und chemischen Vorgänge des lebendigen Organismus sind grundsätzlich andere als in der leblosen Welt.

 

Im weiteren lassen sich seit 1600 folgende Gegenbewegungen zum mechanistischen Denken feststellen:

 

1. die vierte Orientalisierungswelle im Gefolge direkter Berichte aus Persien, Indien, China und Japan sowie von Schamanen und "Naturvölkern";

2. die Beschäftigung mit den Mythen und Mysterien der alten Völker;

3. christliche Erweckungsbewegungen in Europa und Nordamerika;

4. utopische Entwürfe und Idyllen, oft verbunden mit Reformbestrebungen;

5. Kulturkritik.

 

Leider sind wir uns dieser Fülle von Bewegungen und Gegenbewegungen nicht mehr bewusst. Unsere heutige Zeit krankt ja daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg sowohl der kulturelle wie auch der familiäre Traditionsfaden abgerissen ist.

 

Die letzten zwei ganzheitlichen Wellen: um 1800 und 1900

 

Was das ganzheitliche Denken im besonderen anbelangt, zeigt sich in unserem bald zu Ende gehenden Jahrtausend ein merkwürdiges Phänomen: Es tritt besonders deutlich jeweils um die Jahrhundertwende auf, also z. B. um 1100 oder 1580-1640. Ferner zeigen sich in der Jahrhundertmitte kurze Zwischenblüten. Nach 1950 stehen wir demnach folgerichtig wieder in einer Ganzheitswelle.

 

Die zweitletzte grosse Ganzheitswelle dauerte von 1780-1830: Sie brachte das unbeachtet gebliebene Systemdenken (J. H. Lambert), den deutschen Idealismus von Kants Idee der Selbstorganisation bis zu Hegels Selbstentfaltung des Weltgeistes in der Geschichte. Die Romantik kann man als Gegenbewegung zur Intellektualisierung wie zur beginnenden Industrialisierung sehen und Goethes Morphologie als Gegenbild zur „zerlegenden“ Chemie und Physik resp. Physiologie auffassen. Bedeutsam wurden auch  das humanistische Forschungs- und Bildungsideal sowie die organische Auffassung von Geschichte und Natur, Staat und Wirtschaft.

 

Einige wichtige Ansätze der letzten Ganzheitswelle von 1880-1939 waren z. B.:

•           Lebensphilosophie und evolutionistische Strömungen („emergent evolution“)

•           Gestalt-, Ganzheits- und geisteswissenschaftliche Psychologie

•           ganzheitliche und verstehende Soziologie

•           Humanökologie und Kulturmorphologie

•           Organizismus, Vitalismus und Holismus in der Biologie und Ökologie

•           Solidarismus und Universalismus in der Ökonomie

•           Gesamtunterricht und Einheitsschule, Sozial- und Reformpädagogik

•           organische Architektur und Funktionalismus, Gesamtkunstwerk

•           Natur- und Heimatschutz.

 

Also abermals eine Fülle von ganzheitlichem Bestreben, die freilich nicht zu verhindern vermochte, dass zwei Weltkriege ausbrachen, die Welt in Blöcke zerfiel, sich Arm und Reich immer weiter auseinander bewegten und die Natur zerstört wurde.

 

Immerhin flackerte in den 40er Jahren das ganzheitliche Denken nochmals kurz auf, etwa im angestrebten humanistischen Wiederaufbau der deutschen Universitäten (Jaspers, Litt, Lersch) oder in der Friedensbewegung amerikanischer Wissenschafter ("One World or None"), in der Psychosomatik und in der Sozialen Marktwirtschaft. Adolf Portmann erneuerte Goethes Morphologie und Ganzheitsschau.

 

Jean Gebser: Die vier „Mutationen des Bewusstseins“

 

Jean Gebser skizzierte in seiner grossartigen Synthese "Ursprung und Gegenwart" (1949/53) die vier "Mutationen" des Bewusstseins.

Dabei vollzog sich die zweitletzte, diejenige vom mythischen zum mentalen Bewusstsein um 500 v. Chr. in Griechenland, wurde aber erst seit etwa 1250 n. Chr. durch den europäischen Menschen nachgeholt. Um 1500 leitete Leonardo da Vinci die Defizienzphase der mentalen Struktur ein: die Masslosigkeit der Ratio. Seit etwa 1900 kündet sich das integrale Bewusstsein an: Picasso öffnet die "aperspektivische" Welt; mit Einstein bricht die vierte Dimension, die Zeit, in unser Bewusstsein.

Gebser meinte:

  • "Uns kommt es durchaus auf die Ganzheit, letztlich auf das Ganze an; und diesen Versuch einer Gänzlichung drückt auch unser Wort 'aperspektivisch' aus" (26).
  • "Der Mensch ist das Ganze seiner Mutationen, und nur insofern es ihm gelingt, die Ganzheit zu leben, ist sein Leben ein ganzheitliches" (228).
  • "Und wer zeitfrei ist, durchsieht das Ganze, dem er nicht als ein Teil, sondern als Ganzheit eingewirkt ist" (394).

 

 Ab 1948: Das Zauberwort „System“

 

"Gegenwärtig treten auf allen Gebieten Auffassungen in den Vordergrund, die mit einem recht verschwommenen Begriff als 'ganzheitlich' bezeichnet zu werden pflegen", schrieb der Biologe Ludwig von Bertalanffy 1948. Er begründete damals die "Allgemeine Systemlehre", und zwar ausdrücklich als "a new scientific doctrine of 'wholeness'".

Doch die Systemtheorie löste diesen Anspruch nie ein. Sie bewährte sich in Verbindung mit der gleichzeitig entwickelten Kybernetik sowie Operations Research und Netzplantechnik hauptsächlich im technischen und logistischen Bereich. Die Bemühungen der 70er Jahre um System-Management (St. Gallen) oder Systems Engineering (BWI der ETH) waren zumindest gut gemeint.

 

Warum klappte es mit dem Systemdenken nicht? Man hatte die Fülle der von 1880 bis 1930 erarbeiteten Erkenntnisse und Spekulationen über Ganzheit hochnäsig unter den Tisch gewischt. Mit dem Zauberwort "System" glaubte man, alles in den Griff zu bekommen.

Auch die gleichzeitig mit dem Systemdenken entstandene Futurologie, welche vor allem in den 60er Jahren zu Ansehen gelangte und manche Regierungen zur Zukunftsplanung veranlasste, führte zu Enttäuschungen. Der Glaube an die "Machbarkeit" der Zukunft, an die Lenkung von Menschen, Systemen und Entwicklungen war offenbar überspannt. Vielerlei Reformen zerstörten mehr als sie förderten - oder sie blieben in Halbheiten stecken.

 

Gescheiterte Gesamtkonzeptionen

 

Auch der Entwurf von Gesamtkonzeptionen in den 70er Jahren verlief im Sande. Wer erinnert sich noch daran, dass die deutsche Bundesregierung 1971 einen Bildungsbericht veröffentlichte, in dem es hiess:

"So sieht das neue Bildungssystem aus: ein Gesamtkonzept, das

von der Kindergartenerziehung bis zur Weiterbildung reicht.

- Auf eine freiwillige Kindergartenerziehung folgt eine neu gestaltete

und verbesserte Grundschule. Anstelle verschiedener Schultypen ...

treten Gesamtschulen für alle Kinder ... Sie bieten jeder Begabung

Anreiz und Entfaltung. Die Trennung von allgemeinbildender und

berufsbildender Bildung wird aufgehoben. Eine Gesamthochschule

mit reformiertem Studiengang löst die Universität alten Stils ab.

Mit der Weiterbildung schliesst sich der Kreis: persönliche, berufliche

und politische Bildung."

 

In der Schweiz gab es die 1966 vom Bund in Auftrag gegebenen "Landesplanerischen Leitbilder" (1969-72), die unter Francesco Kneschaurek erarbeiteten "Perspektivstudien" (1969-74) und die Bemühungen um eine Totalrevision der Bundesverfassung (1965-77). Anfang 1972 setzte der Bundesrat ferner eine Kommission zur Erarbeitung einer "Gesamtverkehrskonzeption", 1974 eine analoge für die "Gesamtenergiekonzeption" ein. Die Schlussberichte erschienen 1977 (GVK-CH) und 1978 (GEK-CH).

 

Was ist davon geblieben? Die Empfehlung der GVK lautete: "nur noch gesamtheitliche Betrachtungsweise des Verkehrs", diejenige der GEK: "Schonung von Landschaft, Gewässern und Luft sowie Schonung der Umwelt im umfassenden Sinne, z. B. auch im Blick auf Reserven und Nachwelt."

 

Ebensowichtig wie die Forderung nach ganzheitlichem Denken wäre demnach die Untersuchung seines Scheiterns schon im Versuchsstadium. Kürzlich [12. Juni 1988] wurde sogar das letzte kümmerliche Relikt der GVK, die KVP, in der Volksabstimmung bachab geschickt. War die "koordinierte Verkehrspolitik" etwa gar nicht mehr ganzheitlich, oder will die Mehrheit einfach nicht mitmachen?

 

Seit 1926: „holistic“

 

Diese Fragen muss man im Hinterkopf behalten, wenn man die neueste Modewelle betrachtet. Statt "gesamt" heisst es nun "ganzheitlich". Es scheint, als sei das eine Übersetzung des englischen Wortes "holistic". Jedenfalls taucht um 1978 ziemlich plötzlich die "Holistic Health" auf, also ganzheitliche Gesundheit oder Medizin.

 

Das aus dem griechischen Wort für "das Ganze" (to holon) gebildete englische Kunstwort spukte schon einige Zeit herum:

  • 1926 veröffentlichte der südafrikanische General J. C. Smuts ein Buch mit dem Titel "Holism and Evolution" (dt.: "Die holistische Welt", 1938). Seiner Anschauung folgten die Biologen J. S. Haldane (1931) und Adolf Meyer-Abich (1933). Letzterer verstand seinen Holismus als Überwindung von Vitalismus und Mechanismus.
  • Mit seinem Buch "Das Elend des Historizismus" (engl. 1957; dt. 1965) brachte Karl R. Popper in der Soziologie die eben angelaufende Diskussion über Holismus versus Individalismus in Schwung. Die holistische Position behauptet, soziale Gebilde stellten Ganzheiten eigener Gesetzlichkeit dar, die mehr als die Summe ihrer Teile (Individuen) seien. Nach individualistischer Auffassung sind Menschen selbständige Einzelpersönlichkeiten, deren Rechte und Interessen von der Gesellschaft unabhängig, ja ihr vorgeordnet sind. Beides hat "methodologische" Konsequenzen. Die Diskussion schwappte später in die Psychologie über.
  • In den 60er Jahren (1967) erfand Arthur Koestler das "Holon", ein janusköpfiges Ganzes, das einerseits aus Teilen gebildet ist, anderseits selber Teil eines grösseren Ganzen ist. Ein hierarchisch organisiertes, sich selbst organisierendes, offenes System von Holons bildet eine "Holarchie". Dieser Vorschlag fand keine Resonanz.
  • Eine recht breite Übersicht über "Holistic Thought in Social Science" seit 1880 bot Denis Charles Phillips 1976. Freilich handelt sein Buch vorwiegend von ganzheitlichen Ansätzen in der Biologie.
  • 1948 entdeckte der Elektrotechniker Dennis Gabor das Verfahren der "Holographie", wofür er 1971 den Nobelpreis erhielt. In den 70er Jahren bezogen der Gehirnforscher Karl H. Pribram (1971) und der LSD-Forscher Stanislav Grof die Holographie als Leitmodell in ihre Arbeiten ein.
  • Der Physiker David Bohm prägte in den 70er Jahren den Begriff "Holomovement". Eine Sammlung von Aufsätzen erschien 1980 unter dem Titel "Wholeness And The Implicate Order", auf deutsch: "Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus", 1985. Drei Gespräche, die Renée Weber mit David Bohm führte, bilden das Hauptgewicht des Buches "The Holographic Paradigm and other Paradoxes", 1982, hrsg. von Ken Wilber, auf deutsch: "Das holographische Weltbild", 1986 (darin auch Beiträge von Karl H. Pribram und Marilyn Ferguson, sowie zwei lange Interviews mit Fritjof Capra und Ken Wilber).

 

Pikanterweise hat nun "Holistic Health" mit alledem nichts zu tun. Sie kommt vielmehr von der Psychosomatik und Stressforschung, Psychotherapie und Psychiatrie her, oft kräftig gewürzt mit Heilkräutern oder Religiosität östlicher Art, unterstützt von Singsang und Malerei.

 

Visionen

 

Siehe auch:    Literatur: Die 7 „goldenen Jahre“ der Visionen und Initiativen (1972-1978)

 

In seiner Dissertation „Soft Systems Design“ (1979) an der University of California, Berkeley, hat (Wulf-)Rüdiger Lutz drei Visionen vorgestellt, in seinem Buch  „Die sanfte Wende“ (1984) sieben unterschiedliche (vielleicht hat er sie übernommen von Paul Hawken et al.: „Seven Tomorrows“, 1982).

Hartmut Bossel legte 1978 in seiner Schrift „Bürgerinitiativen entwerfen die Zukunft“ für nicht weniger als 29 Lebensbereiche ein Alternativ-Szenario vor: jeweils die ökonomische Fortschreibung und eine ökologische Alternative – eine gigantische Sammlung!

 

(Auszug aus einem 8seitigen Text unter dem Titel „Ganzheitliches Denken – was ist das und woher kommt es?“,

der am 23. August 1988 an die Zeitschrift „Budget“ gesandt wurde; nicht erschienen)

 



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