Zur Geschichte des Modelldenkens und
des Modellbegriffs
Aus Herbert Stachowiak (Ed.): Modelle -
Konstruktion der Wirklichkeit. München: Wilhelm Fink Verlag
1983, 17-86.
Ca. 45 Textseiten
geschrieben März-Dezember 1978
revidiert bis August 1979; Kurzfassung März 1979
Bitte öffnen Sie
in separatem Fenster zu diesem Artikel: Anmerkungen
Literatur
Als Ergänzung
dazu: Modellgeschichte ist Kulturgeschichte
Stark erweiterte englische Version (2009):
Model history is culture history
Eine Kurzfassung erschien: Zur
Geschichte des Modellbegriffs und des Modelldenkens im Bezugsfeld
der Pädagogik. In Herbert Stachowiak (Ed.): Modelle und
Modelldenken im Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (April) 1980,
202-224.
Inhalt
0.
Einleitung
1. Aus
den Anfängen des Modelldenkens und
Modellherstellens
1.1 Verfahren und Bräuche
zwischen Nutzen und Kunst, Kult und Magie
1.2 Mythos, Handwerk und
Mechanismus
1.3 Vorbild und
Urbild
1.4 Buchillustration und
Bilderbuch
2. Zur
Geschichte des Modellbegriffs und der dazugehörigen
Sachen
2.1 Mass, Form, Muster,
insbesondere Hohlform und figürliche Vorlage
2.2 Idealer und plastischer
Entwurf: Vorbild, Beispiel und Nachbildung
2.3 Anschauungsunterricht als
Ideal
2.4 Handwerkliche und
technische Ausbildung im Banne von Wissenschaft und
Wirtschaft
2.5 Hochblüte des alten
und Keime des neuen Modelldenkens
2.6 Modellwelten: Presse,
Sammlung, Spiel
2.7 Innere Anschauung und
Versinnlichung
2.8 Dynamische
Veranschaulichung, mechanische Konstruktion (ideal und
real)
2.9 Anschauliche Modelle in
Mathematik und Chemie
2.10
Äquivalente Abbildung von Zuständen beliebiger
Systeme
2.11
Isomorphie, Ähnlichkeit, Analogie und
Äquivalenz
3. Von
dem Bewusstsein davon, dass wir in Modellen denken
3.1 Von der Abbildtheorie zur
kybernetischen Betrachtung
3.2 Abstrahierendes und
ökonomisches Strukturdenken
3.3 Von Symbol und Zeichen zur
Neopragmatischen Erkenntnistheorie
Zur Geschichte des
Modelldenkens und des Modellbegriffs
Strenggenommen ist es
unstatthaft, Modellbegriff und Modelldenken herausgelöst aus
ihren Umfeldern darzustellen. Zumindest System-, Analogie- und
Funktionsdenken einerseits, Bild-, Symbol- und Abbildtheorie
anderseits sowie Ideen-, Zeichen- und Bedeutungslehre müssten
gleichgewichtig und in ihrer überaus engen Verzahnung mit der
Problematik "Modell" behandelt werden.
Die Auseinandersetzung
müsste sich dabei um Fragen der Erkenntnistheorie, Hermeneutik
und Ontologie bewegen und würde sich vom Nominalismus
über den Empirismus und Materialismus bis zur
Existenzphilosophie erstrecken. Sie würde hinführen zur
Informationstheorie und Kybernetik, zur Linguistik und Semiotik,
aber auch zur Philosophy of Science, zur Logistik und
Metamathematik.
Im vorgegebenen Rahmen
ist ein solches Unterfangen nicht durchführbar. Ich bin
gehalten, mich in einiger Strenge auf "Modell" zu beschränken.
Dabei ist vor allem die historische Dimension zu
eröffnen.
Denn erst für die
Zeit seit etwa der Mitte des letzten Jahrhunderts finden wir eine
reichhaltige explizite Modell-Literatur vor: etwa in Gestalt der
zahlreichen Aufsätze im "Studium Generale" von 1948 und 1965,
der Schriften von Herbert Stachowiak aus den Jahren 1957, 1965 und
1973 und der ausgreifenden Übersicht des Leningrader
Philosophen V. A. Stoff von 1969.
1. Aus den
Anfängen des Modelldenkens und Modellherstellens
1.1 Verfahren und
Bräuche zwischen Nutzen und Kunst, Kult und Magie
Wenn man den
Modellbegriff in einer sehr weiten Bedeutung nimmt, ist das
Modelldenken so alt wie die Menschheit. Man hat dabei sowohl an die
Bearbeitung von Steinen, Knochen und Holz zu Geräten,
Werkzeugen und Waffen (Organverstärkung und -ersatz [1]) sowie
Schmuck zu denken als auch an künstlerische Äusserungen
wie Gravierungen, Malereien und Plastiken, aber auch an
Bestattungsbräuche (Grabbeigaben, Schädeltrepanationen,
Bestreuen mit Rötelfarbstoff, Bestattung von
Bärenschädeln), an Jagdzauber, Beschwörungen und
Fruchtbarkeitsriten.
Verknüpft
einerseits mit Opfer und Tanz - und wohl auch Gesang und Musik -,
anderseits mit der Verwendung von Idolen (auch Fetische und
Amulette) und Schmuck (auch Körperbemalung), bildhaften
Darstellungen, Totemen und Kommandostäben, gehen Magie,
Geisterglaube und Kunst, Religion und Kult, Tabu, Suggestion,
Vorstellung und Symbolisierung vielgestaltige Symbiosen ein. Es ist
daher gut möglich, Magie im umfassenden Sinne als eine
erste Form von Modelldenken aufzufassen [2].
Inwiefern das
Handwerk der Altsteinzeit Modellcharakter aufweist,
beschreibt John Desmond Bernal (1970, S. 69): "Aus dem
Vorhandensein standardisierter Geräte kann noch eine weitere
Schlussfolgerung gezogen werden, nämlich die, dass im Kopfe
des Herstellers bereits eine Vorstellung von dem
betreffenden Gegenstand bestanden haben muss, bevor er mit der
eigentlichen Herstellung begann. Ja, mehr noch: Teilweise
bearbeitete Feuersteine deuten darauf hin, dass vor Beginn der
eigentlichen Bearbeitung Rohlinge hergestellt wurden. Später
sollten sich dann diese Erfahrungen in bewusstem Vorausschauen zum
Entwurf und zum Plan und daraus zu jenem Charakteristikum
der Wissenschaft - zur experimentellen Methode - entwickeln,
und zwar dadurch, dass man verschiedene Verfahren zur Herstellung
eines Gegenstandes an Modellen oder Zeichnungen ausprobierte, statt
dass man sich auf Versuche im Originalmassstab
verliess."
Die hohe Qualität
der eiszeitlichen Kunst - vorab der Höhlenmalereien seit ca.
20 000 vor unserer Zeit - setzt Erfahrung, Übung und Schulung
voraus. Da man sehr viele Bildvorlagen und sogenannte
"Skizzenblätter" gefunden hat, nimmt man an, dass es einen
Künstlerstand und richtiggehende Kunstschulen gab. Diese
Vorlagen wurden wahrscheinlich auch unter den Stammeszauberern
weitergegeben. Es handelt sich dabei um gravierte Kiesel,
Plättchen oder Knochen, auf denen zum Teil sogar Korrekturen
der Linien zu sehen sind.
Andere vielfach
übereinander gelagerte und einander überschneidende
Zeichnungen lassen darauf schliessen, dass über ältere
Gravierungen Farbe gestrichen wurde und dann wieder neue
Entwürfe eingeritzt wurden: Auf den mit Farbe eingeriebenen
kleinen Platten wurden dann jeweils nur die Linien des einen Tieres
nachgezogen, das gerade interessierte.
1.2 Mythos, Handwerk
und Mechanismus
Seit Beginn der
Hochkulturen kennen wir die Mythen: als eine zweite Art des
Modelldenkens. Ernst Topitsch (1958) spricht von "Denkformen" oder
"Modellvorstellungen" und unterscheidet biomorphe samt therio- und
anthropomorphen von intentionalen, nämlich technomorphen und
soziomorphen Modellen als Deutungen für die Welt (z. B. 1972,
S. 10f., 16 ff. et passim; vgl. auch F. Wagner 1970, S.
24ff.)
Später fügte
er als weitere bedeutsame Art die ekstatisch-kathartischen Modelle
hinzu und widmete ihnen eine ausführliche Betrachtung (E.
Topitsch 1965). Sie kreisen um Magierekstatik und
Reinigungsmysterien (von Welt und später Seele), vor allem
unter dem Motiv von Abfall und Wiederaufstieg.
Betreffen diese
Modelle hauptsächlich Entstehung und Aufbau des Kosmos als
Ganzen, so gibt es auch Modelle für Ausschnitte davon, wie M.
Jammer berichtet (1965, S. 167): "Im allgemeinen waren die ersten
Modelle Konkretisierungen von Ideen oder Handlungen, die für
die primitiven Religionen bedeutungsvoll waren oder die ihren Sinn
aus traditionellen Mythen erhielten. Eines der bekanntesten
Beispiele aus dem alten Ägypten ist das sogenannte
Totenschiff, das mit den Toten begraben wurde, um ihren Seelen das
Überqueren des Nils zu erleichtern. Es war nicht nur eine
Miniaturimitation ..., sondern es war eine Konkretisierung eines
Komplexes abstrakter Ideen mit einem ihm eigenen Mechanismus: es
war eines der ersten mechanischen (oder besser, hydrodynamischen)
Modelle eines nichtmechanischen Prozesses."
Eine ähnliche
visuelle Darstellung ist der Sonnenwagen von Trundholm (ca. 1200 v.
Chr.), ein Gefährt, auf dem eine goldbeschlagene und von einem
Pferd gezogene Scheibe steht. In Ägypten überquert der
Sonnengott Re auf einer Tages- und einer Nachtbarke das
Himmelsmeer. Diese Vorstellung hat bis Anaximenes nachgewirkt (vgl.
F. Krafft 1971, S. 133 f.).
Eine weitere bekannte
Modellvorstellung ist die Formung des Menschen auf einer
Töpferscheibe, z. B. durch den ägyptischen Widdergott Chnum, ein Motiv, das sich auch in der Bibel findet (vgl. z. B.
Hiob 10, 8 f.). Profane Modelle von Häusern (u. a. als Urnen
oder Grabtruhen), Schiffen und Wagen aus Ton oder Holz haben sich
vom 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. bis heute erhalten.
Erste
"durchkomponierte" Modelltheorien finden sich in Platons "Politeia"
und im "Timaios". Den Aspekt der Proportion und der
Gliederung des Alls in zum Teil konzentrische Sphären
gab es indes schon seit den altgriechischen Philosophen
(Anaximander, Anaximenes und Pythagoras). Bekanntlich ging noch
Johannes Kepler in seinen Untersuchungen über das wahre
Planetensystem von der Suche nach harmonischen Verhältnissen
aus.[3].
Interessant ist, dass
diese Himmelsmodelle schon bei den Alten bald in mechanische
Vorstellungen übergingen (Aristoteles) und später zum Bau
von Planetarien führten. Schon die Akademie in Athen
scheint den systematischen Gebrauch solcher technischer Modelle
für das Studium der Astronomie eingeführt zu haben (vgl.
M. Jammer 1965, S.167). Archimedes soll ein Buch über die
Herstellung von Himmelsgloben (peri sphairopoias) geschrieben
haben, und sein Planetarium, das durch Marcellus von Syrakus nach
Rom gebracht wurde, diente didaktischere Zwecken, wie das
Cicero in seiner "re publica" (I, S. 21 f.) anschaulich beschreibt
[4].
Daneben gab es zu
dieser Zeit eine ganze Reihe von technischen Modellen, pneumatisch
oder mit Wasser betriebene Apparate, wie die "Automatentheater" von
Philon und Heron, Wasseruhren, Orgeln und Kriegsgeräte.
Insbesondere letztere - aber auch etwa Pumpen und Hebevorrichtungen
jener Zeit -zeigen einen wichtigen Aspekt technischer bzw.
handwerklicher Modelle auf, nämlich Organentlastung,
Funktionsersatz oder -verstärkung [5].
1.3 Vorbild und
Urbild
Neben dieser Abbild-
resp. Ersatz-Komponente (vgl. A. Gehlen 1957) findet sich auch die
Vorbild-Komponente im Modelldenken recht früh. So etwa im
Alten Testament, wo es nach der Zwingli-Bibel (1955; 1.Chr. 28, 11
f.) heisst:
"Und David gab seinem
Sohne Salomo ein Modell der Halle und des Tempels ..., ferner ein
Modell von alledem, was er sonst im Sinne hatte ..." (bei Luther:
"das Muster von allem, was durch den Geist in ihm war").
Eine ähnliche
Stelle in 2. Mos. 25, 9 zeigt noch deutlicher den handwerklichen
Aspekt des alttestamentarischen Modellbegriffs, wenn der Herr zu
Mose spricht: "Genau nach dem Urbild der Wohnung (für das
Heiligtum, R. M.) und nach dem Urbild aller ihrer Geräte, das
ich dir zeigen werde, so sollt ihr es machen" (Luther verwendet
hier den Ausdruck "Muster") [6].
Im Zusammenhang einer
sorgfältigen historischen Darstellung der Entwicklung des
Systembegriffs weist Alois von der Stein (1968, S. 6) darauf hin,
dass zur Kennzeichnung einer "systematischen Zusammenstellung"
neben Syntaxis und Syntagma der Begriff "hypotyposis" auftaucht,
der uns für die Zusammenstellung der christlichen Lehre
in heilsgeschichtlicher Absicht u. a. zweimal im Neuen Testament
begegnet: "Halte fest am Vorbild der gesunden Worte, die du von mir
(Paulus, R. M.) gehört hast" (2. Tim. 1, 13; "formam habe
sanorum verborum").
An Paulus hat auch
Christus seine ganze Langmut erweisen können, "um ein Vorbild
aufzustellen für die, welche künftig an ihn glauben
würden zum ewigen Leben" (1. Tim. 1, 16; ad de- oder
informationem etc.). Aber auch andere Menschen können
Vorbilder ("typon") allen Gläubigen, d.h. der Herde sein
(Phil. 3, 17; 1. Thess. 1, 7; 2. Thess.
3, 9; 1. Pet. 5, 3, jeweils lat. "forma";
1. Tim. 4, 12; Tit. 2, 7 jeweils "exemplum").
Schliesslich wird auch
das Evangelium als Arbeitsgebiet (Zwingli) bzw. Wirkungskreis
(Luther) als "kanon" [7] (2. Kor. 10, 13
ff; Gal. 6, 16; lat. "regula") gefasst,
dessen Mass ("metron", "mensura" 2. Kor. 10, 13 ff; vgl.
Röm. 12, 3; Eph. 4, 7) Gott jedem zugeteilt hat, wie er will
(1. Kor. 12, 11).
Dass schon die
olympischen Götter in ihren klaren typischen Gestalten dem
Menschen Modelle gaben, um sich selbst daran zu erkennen,
erwähnt Bruno Snell (1975, S. 189).
Noch Platon war Gott
das rechte Mass aller Dinge (Legg. 716 C; vgl. Rep. 497 C). Deshalb
hat auch, "wer in Wahrheit seinen Verstand auf das wahrhaft
Wesenhafte der Dinge richtet, gar keine Zeit, hinab auf das Treiben
der Weltkinder zu blicken ...: sondern nur Zeit dafür, seinen
Blick und seine Betrachtung auf eine Welt zu richten, worin eine
ewige Ordnung und Unwandelbarkeit herrscht, worin die Wesen weder
Unrecht tun noch von einander leiden, und worin alles nach einer
himmlischen Ordnung und Vernunftmässigkeit geht, sowie dann
diese Welt nachzuahmen und soviel als möglich davon in
seinem Leben ein Abbild darzustellen" (Rep. 500 B-D; vgl. B.
Snell 1975, S. 233, 240ff).
Analog dazu muss ein
Handwerker, der etwa einen Tisch herstellen will, "wissen, was ein
richtiger, guter Tisch ist, und im Hinblick auf diesen macht er
seinen Tisch" (B. Snell 1975, S. 201; vgl. Gorgias 503 ff.). Gleich
arbeitet der Demiurg (Timaios 28ff.).
Wie die griechischen
und römischen Künstler Figuren aus Wachs und Ton als
"Modelle", d.h. hier Übungsobjekte und Vorbilder für
Skulpturen verwendeten, berichten zur selben Zeit die
"Encyclopédie" (1765 unter "modele") und Winckelmann in
seiner Geschichte der Kunst des Altertums (Wien, 1776, 4, S. 508
ff.). Daraus erhellt nach J. G. Krünitz (1803, S. 576), dass
sie sich vorzüglich der Hände und Fingernägel beim
Formen und Bilden der Gestalten bedienten. Die Redensart des Horaz
"ad unguem factus homo" bezeichnet demnach einen sehr vollkommenen
Menschen, "weil die Bildhauer ihren Modellen mit den Nägeln
die letzte feinere Ausbildung gaben".
Unter erstmaliger
übertragener Verwendung vorn modulus berichtet 200 n.
Chr. Tertullian (nat. 1, 12, 9) über die Methode der
Herstellung von plastischen Figuren: "circino (i. e. mit dem Zirkel,
R. M.) et plumbeis modulis praeparatio simulacri in marmor ...
transmigratur".
Dass vor der Errichtung
öffentlicher Bauwerke bereits in der Antike sowohl Gesamt- wie
Detailmodelle (paradeigma; exemplar, typos) angefertigt wurden,
weisen sachkundig J. v. Schlosser (1891, S. 36 ff. u. 62 ff.) und
daran anknüpfend O. Benndorf (1902) sowie L. H. Heydenreich
(1937) nach.
Im Unterschied zu
heute wurden die Wettbewerbsaufgaben nicht anonym eingereicht, was
u. a. aus einer Plutarchstelle hervorgeht: "Wenn Gemeinden für
Tempelgebäude oder Kolossalskulpturen eine Bestellung
ausschreiben, so hören sie sich die Vorträge der
konkurrierenden Künstler über die beigebrachten
Voranschläge und Modelle an; dann wählen sie denjenigen,
der die nämliche Leistung billiger, besser und rascher
ausführt" (H. Straub 1964, S. 57, zitiert Friedländer:
"Anschläge und Risse") [8].
Im Abschnitt
"Geschichte der christlich-antiken Baukunst" hat J. v. Schlosser
schon 1891 (S. 28-78) über die Verwendung von Modellen
berichtet, wobei er als Charakteristikum erwähnt, dass ein
Modell "nicht unmittelbar praktischen Zwecken dient, sondern wieder
ein Schema, ein Simile, ,ad instar antiquorum operum', zur
Verdeutlichung der Lehren Vitruv's vorstellt" (S. 32, vgl. 36). Das
Material für solche Modelle war meist Wachs.
1.4 Buchillustration
und Bilderbuch
Abgesehen von Gesten,
Signalen und Lauten können Skizzen, Ornamente und Zeichen,
Figuren und Idole, Gewebe und Schmuck sowie dreidimensionale
Modelle und Musterexemplare von Gerätschaften, insbesondere
Töpfen, durchaus als frühe Mitteilungsmittel und
Ideenspeicher angesehen werden.
Doch wurde das
Gedächtnis der Menschheit erst durch die Schrift
gefestigt. Dabei ergab sich folgender Werdegang: Alle Schriften
wurzeln in Bilderschriften, aus denen im Laufe der Jahrhunderte
Wort- und Lautzeichen und schliesslich das "Alpha-bet" entstanden.
In einer Gegenbewegung dazu begann man, die Texte zu
illustrieren. Frühe Beispiele sind das ägyptische
Totenbuch, das seit der 26. Dynastie (7. Jh. v. Chr.) in Kapitel
eingeteilt und mit Vignetten versehen wurde.
Dank des regen
kulturellen Austauschs mit dem ägyptischen Kulturkreis seit
dem 6. Jahrhundert v. Chr. (z. B. Thales, Hekataios, Pythagoras)
fassten sowohl Buchbild wie Bilderbuch auch im alten Griechenland
Fuss. Einerseits waren Illustrationen für
Lehrbücher unentbehrlich: Astronomische und geometrische
Lehrbilder gab es vermutlich seit dem 6., medizinische seit dem 4.
Jahrhundert v. Chr.
Nach Kurt Weitzmann
(1959) wurden auch mythologische Handbücher, Homerische Epen,
die Tragödien des Euripides und bukolische Poesie mit Bildern
versehen. Weitzmann selbst hat Rekonstruktionen von Rollen der
"Iphigenie" für das 3. und der "Ilias" für das 1.
Jahrhundert v. Chr. versucht (1959, S. 66 u. 36). Szenen- und
Schauspielerbilder gab es etwa zu den Komödien von Terenz (ca.
160 v. Chr.); Portraits von Autoren lieferte Varro (1. Jh.
v. Chr.).
Auf der andern Seite
erstellte man Bilderbücher auf Papyrusrollen,
"fortlaufende zyklische Bildfolgen, vielleicht von kurzen
erklärenden Texten begleitet, z. T. als Vorlagen für
Handwerker aller Art gedacht" (H. Hunger im "dtv-Lexikon der
Antike", 1969-70, S.269). Das waren richtiggehende
Musterbücher. Bildfolgen anderer Art finden sich
später auf der Trajans- und Mark-Aurel-Säule auf dem
Forum Romanum (2. Jh. n.
Chr.).
Mit dem Aufkommen des
Codex nach der Zeitwende entfaltete sich eine reichhaltige
Illustration von Bibel- und anderen christlichen Texten bis zu
"filmstreifenartigen Darstellungen" (H. Hunger, a. a. O., S. 268; Cottonbibel, 5. Jh. n. Chr., Wiener Genesis 6. Jh. n. Chr.). Weitzmann führt
sie in seiner sorgfältigen und reichhaltig bebilderten
Übersicht (1959, S. 133 ff.; vgl. 31 ff.) prinzipiell auf die
illustrierten Texte des klassischen Altertums zurück, ebenso
in direkter Linie die Pflanzen- und Tierbilder (z. B. die
Apuleius-Herbarien seit dem 4. Jh. n. Chr., der Dioskurides-Codex
von 512; später der "Physiologus"), die Homer- und
Vergil-Illustrationen, Jagdszenen und mythologischen Bilder,
Tierkreis- und Sternbilder, astronomische Personifikationen und
geographische Karten. Der ganze Reichtum der Bilderwelt entfaltete
sich fortan unter den Stichworten "Miniatur", "Illumination" und
"Initialen" [9].
2. Zur
Geschichte des Modellbegriffs
2.1 Mass, Form,
Muster, insbesondere Hohlform und figürliche
Vorlage
Im Unterschied zu
"System", das schon bei den Alten Griechen, und zwar als ein
"Gebilde, das aus mehreren Teilen zusammengesetzt und meist
irgendwie ein ,Ganzes` ist", vorkommt - wiewohl nicht als
durchreflektierter Terminus (vgl. A. von der Stein 1968) -, ist
"Modell" ein Lehnwort aus dem Lateinischen, doch, wie Herbert
Stachowiak ausführt (1973, S. 129), verfügt es über
eine indogermanische Wurzel (*meH;), die im Griechischen als metron
(Mass) und medo, medomai (ich denke an etwas, erwäge, sorge
für etwas) auftaucht (vgl. zur Wurzel ma/me z. B. J. Gebser
1973, S. 127ff. u. 188ff.).
Nachweise im
"Thesaurus Linguae Latinae" (ca. 1970) und spärlicher im
"Totius Latinitatis Lexicon" (Ägidius Forcellini, III, 1805,
S. 98-100) sowie schon im "Thesaurus Eruditionis Scholasticae"
(Basilius Faber, Leipzig 1572, S. 512 f.) zeigen bei den alten
Römern einen regen Gebrauch sowohl von modus wie modulus und
verwandter Wörter - z. B. moderor, modificor, modulatio, nicht
aber modellus - im Bereich "Art" "Weise", "Form" resp. "Mass",
"Grösse", "Menge", und zwar sowohl im allgemeinen Sinne wie im
speziellen vorab für Reden, Stimmen und Töne.
Horaz (40 v. Chr.)
verwendete modulus allgemein, Vitruv führte es kurz darauf in
seinem "Buch über die Baukunst" (neu gedruckt 1490) mehrfach
(vgl. M. Jammer 1965, S. 167) als architektonisches Grundmass ein
und wies auf die griechische Entsprechung "embates" hin
[10].
[Zur genauen Geschichte der Begriffe Modell, Model, Modul, Modulation, usw. siehe:
Modellgeschichte ist Kulturgeschichte und
Abb. 1.]
Bemerkenswerterweise
ist rnodulus zweimal ins Deutsche aufgenommen worden. Zuerst als
das frühhochdeutsche Lehnwort "Model" [aber auch als „Modul“]. In Grimms "Deutschem
Wörterbuch" (1885) wird vermutet, die geistlichen Baumeister
hätten das Wort von den namentlich unter Karl dem Grossen ins
Land gezogenen römischen und südfranzösischen
Werkleuten gelernt, denen Modulus "ein Mass für die
Anlegung der Säulen und des Verhältnisses der einzelnen
Teile derselben zueinander war".
In diesem strengen
Sinne haben sich Modul (vgl. z. B. Chr. Wolff 1716 u. 1734; J.
Hübner 1717 u. 1741, J. H. Zedler 1739, J. K. G. Jacobsson 1783;
J. G. Krünitz 1803; G. S. Klügel 1808; W. T. Krug 1827-29)
wie Model (J. G. Krünitz 1803; I. Jeitteles 1839; J. u. W.
Grimm 1885) auch in der Neuzeit gehalten.
Eng verwandt damit
sind die Moduln in der Physik als
Proportionalitätsfaktoren bei Verformungseigenschaften
(Elastizität; Hooke, Young), in der Technik (bei
Zahnrädern) und in der Mathematik (Logarithmen - seit
Cotes' († 1716) "Harmonia mensurarum" (vgl. G. S. Klügel 1808) -
Kongruenzen, Vektorräume, Abelsche Gruppen, Ringe).
Auch Le Corbusiers
"Modulor" gehört hierher.
Als standardisierte
Bauteile finden wir schliesslich Module in der Technik, u. a. in
der Elektronik.
Seit dem 10.
Jahrhundert ist Model auch in freierem Gebrauch üblich:
wiederum allgemein als Muster, Form, Vorbild, spezifisch als
gewerbliche Musterform eines Dinges, das in vielen
Fällen obrigkeitlich hinterlegt ist. Dabei kann es sich um
eine Hohlform handeln (z. B. Guss-, Druck-, Backmodel, lat.
oft forma, proplastice, proplasma) oder um figürliche
Vorlagen für Gewebe, Stickereien und Spitzen [11] (vgl. A.
Lotz 1933; auch J. L. Frisch 1741; J. G. Krünitz 1803; J. u. W.
Grimm 1885) oder um Schnittmuster.
Der Schuster macht
Pantoffeln, Schuhe und Stiefel "super Modulo", "über dem
Leist" (vgl. J. A. Comenius 1658, S. 128f.).
2.2 Idealer oder
plastischer Entwurf: Vorbild, Beispiel, Nachbildung
(Auszüge aus diesem Kapitel sowie aus den Kap. 2.3 und 2.6 wurden nachgedruckt im Sammelband: Innovation gewinnt. Kulturgeschichte und Erfolgsrezepte. Zürich: Orell Füssli 1997, im Kap. 11: „Innovatives Lernen am Modell“, 131-135)
Die Renaissance
brachte die Entdeckung von Person, Perspektive und Plastik: Der
Mensch erobert seine Selbständigkeit - zuweilen mündet
sie in Selbstüberheblichkeit aus -, er erkennt und stellt sich
dar als nackt, und er tritt als freie Figur aus Säule, Relief
oder Nische ins Helle, in den Raum, in die Welt; er setzt sich in
Bewegung und studiert Bewegungen. Vorbild für den
Künstler ist nicht mehr eine Platonische Idee, sondern das
"modello". Das ist einmal der Mensch - "Mensch" geht ja, wie
auch "Materie" und "Masse", nach J. Gebser (1973, S. 129f.) auf
dieselbe Wurzel zurück wie "Modell".
Dass dabei immer noch
ein Vollkommenheitsideal virulent ist, erhellt etwa aus der Klage
von Raffael: "Um eine Schöne zu malen, müsste ich deren
mehrere vor Augen haben. Da es mir an Modellen fehlt, male ich aus
dem Gedächtnis nach einer Idee, die ich im Kopfe
habe."
Modelli sind aber auch
die künstlerischen Nachbildungen des Menschen aus Ton
oder Wachs, die ihrerseits als Vorbilder für die
endgültige Skulptur aus Holz, Terrakotta, Marmor oder Bronze
dienen, sowie die verschiedenen technisch notwendigen Formen
für den Metallguss selber.
Ferner wurden
kleinmassstäbliche architektonische Entwürfe
spätestens seit der Verbreitung der Vitruvschen Lehren durch
Leonbattista Alberti (L. Olschki 1918, I, S.83-88) als "moduli"
bezeichnet [12], woraus dann z. B. 1550 in der Übersetzung ins
Florentinische "modegli" und "modelli" wurden.
Brunelleschi, der
Begründer der perspektivischen Zeichnung (J. Gebser 1973, S.
47; vgl. L. Olschki 1918, I., S. 33, 39-44) erhielt den Bauauftrag
für die Kuppel des Domes zu Florenz erst, nachdem er 1418 den
beratenden Ausschuss mit "neuen Argumenten und einem genauen
Modell" (L. Sprague de Camp 1964, S.450) zu überzeugen
vermocht hatte (vgl. auch J. Burckhardt 1868, S. 84; J. v. Schlosser
1891, S. 41).
Erhalten sind von
Michelangelo Holzmodelle für die Fassade von S. Lorenzo
(1516f.) und die Peterskuppel (1558-61: un modello grande di
legniame), und Aufsehen erregten die langwierigen Entwurfsarbeiten
für das Grabmal von Papst Julius II und die Mediceische
Grabkapelle [13].
Daneben soll modello
nach J. G. Krünitz (1803, S. 524) auch für "vertiefte
Form" gebraucht worden sein, und von daher hat das deutsche Wort
"Modell" laut dem hierfür wenig ergiebigen und
unzuverlässigen Grimm (1885, Sp. 2440) "schon im 16.
Jahrhundert unter oberdeutschen Goldschmieden ... bestanden, die
von Italien her vielfach Musterformen in Blei und Gips für
ihre Arbeiten bezogen".
Selbstverständlich wurde modello stets auch in
übertragener und damit allgemeiner Bedeutung als Vorbild,
Massstab, Muster verwendet.
Über Entwicklung
und Vielfalt der verschiedenen Abkömmlinge von modulus geben
für das Italienische z. B. Tommaseo, 1929, für das
Französische Godefroy, 1888, Littré, 1957, Robert,
1959, und von Wartburg, 1966, für das Englische der "Oxford
English Dictionary", 1933, detaillierte Nachweise.
Der Fluss im
Sprachgebrauch zeigt sich sehr schön im Englischen, wo
für Modelle von Bauwerken, Maschinen und Landschaften seit
Mitte des 16. Jahrhunderts model und modell (selten moddel), aber
auch module verwendet wurde; umgekehrt wurde Vitruvs modulus mit
module und modulus wie model übersetzt.
Systematisiert wurde
in dieser fruchtbaren Zeit der heuristische Ansatz der
Modellverwendung durch den Geistlichen Simon Sturtevant im ebenso
modern anmutenden wie detaillierten und anschaulichen Kapitel
"Heuretica" seiner Patentschrift "Metallica" von 1612 (vgl. J. D.
Bernal 1970, S.390f.).
Heuretica definiert er
als "the Art of inuentions, teaching how to find new, and to iudge
of the old". Diese Lehre von den
Erfindungen zerfällt in einen realen und in einen technischen
Teil. Ersterer betrifft "the instruments
and reall things which belong to the inuentions", letzterer die
Fertigkeiten, "the dexterous habit and faculty", der
Handwerker.
Bei der Unterscheidung
von Erfindungen selbst ergibt sich in Bezug auf die Grösse
(,,magnitude ... greatnesse or quantity") eine Dreiteilung in
Modell, Protoplast und Grosse Mechanik. Das "moddle" ist
eine "Mechanick", welche auf einer kleinen Unterlage die Teile und
Umrisse einer Erfindung repräsentiert und zeigt, ohne dass
diese auch nutzbringend funktioniert. So kann also vom Modell einer
Windmühle nicht erwartet werden, dass es auch Korn
mahlt.
Ein solches Modell
kann kleiner, aber auch - im Falle von Details - grösser sein
als das dargestellte Ding. Es kann gezeichnet oder gemalt sein (und
ist dann "superficiall"), oder aber es kann "reall" sein, wie etwa
ein Schiffsmodell.
Die realen Modelle
sind verbesserungsfähig und leiten den Handwerker und seine
Hilfskräfte an, wie er das endgültige Gebilde (die "grand
Mechanick") auszuführen hat. Eine Vorstufe dazu ist der
"Protoplast" - in heutiger Sprache der Prototyp -, der alle
Funktionen des endgültigen Geräts bereits erfüllt
und nutzbar arbeitet, durch weitere Modifikationen aber noch
verfeinert oder auf spezifische Umstände umgerüstet
werden kann. Der allererste Protoplast einer Gruppe von
Geräten oder Apparaten ist der "Archetype of the Protoplast",
z. B. die erste Windmühle, mit der überhaupt Korn
gemahlen werden konnte.
In einem besonderen
Kapitel gibt Sturtevant dann noch "Cannons or Rules seruing to
iudge of the goodnesse" einer Erfindung oder Verbesserung an, wobei
er eine differenzierte Äquivalenztheorie entwickelt mit den
Kriterien Equi-sufficiencie, Equi-cheapness,
Equi-excellency.
Wiewohl der Barock in
Gegenwendung zur eher körper- und bilderfeindlichen
Reformation der Körperlichkeit erneut Raum schuf und ihr durch
geballte Masse, ausladende Figur und ausgreifenden Entwurf
dreidimensionale Form gab, setzte sich auch die abstrakte Bedeutung
des Modellbegriffs weiter fort.
Sie findet Ausdruck im
Vorwort des Herausgebers William Rawley zu Francis Bacons "New
Atlantis" (1635): "This Fable my Lord devised, to the end that Hee
might exhibite therein a Modell or Description of a College
..." In der drei Jahre später
erschienenen lateinischen Fassung heisst es: "modulum quendam et
descriptionem".
Wenig Beachtung fand
dagegen Descartes sinnigerweise gleichzeitige eigenhändige
Mahnung in seinem "Discours de la méthode" (1637, 2.3a):
"Zeige ich Ihnen hier also das Modell (modèle, R. M.) meines
Unternehmens, weil es mir ziemlich gut gefallen hat, so bedeutet
dies nicht, ich wolle irgend jemandem raten, es nachzuahmen." Als
Descartes 13 Jahre später in Schweden starb, verfasste der ihn
wie einen Vater verehrende 20jährige Christiaan Huygens ein
Klagegedicht, in dem es unter anderem heisst: "apres avoir produit
le modele du monde, s'informe desormais du mystere des cieux" (R.
Specht 1966, S. 31).
Weshalb ging es weit
über 200 Jahre, bis diese beiden Werklein - 1890 resp. 1863,
1870, 1898 usw. - wie auch etwa die frischen Programme von Galilei
- 1892 - und Comenius - 1870, 1875, 1876, 1892 - ins Deutsche
übersetzt wurden?
Mars und die Musen
gehen mitunter Hand in Hand. Nicht von ungefähr befassten sich
die grossen Künstler, Mechaniker und Geometer Leonardo,
Michelangelo und Dürer, aber auch Galilei, Stevin, Guericke
und Desargues unter anderem mit Festungsbau (vgl. L. Olschki
1918, I, S. 35-44, 120-137, 210, 240 f., 428 ff.; III, S. 71-87,
152-157, 206 f., 223 f.).
Daher findet sich auch
ein früher Nachweis des deutschen Modellbegriffs in Daniel
Speckles vielfach aufgelegter "Architectura von Vestungen"
(Strassburg: Jobin, 1589, S. 6), wobei der Autor zugleich
Begründung und Beschreibung des Modellbaus gibt: "Weil aber
etwann Potentaten und andere Herren sich nicht allwege auss den
grundrissen noch auffgerissenen Perspectiven berichten können,
So will im Bawen ein hohe notturfft sein, dass man solches von
Holtzwerck auffrichte, da dann alle grösse, höhe, breite,
dicke, böschungen an Bolwercken, Wähl, Mauren, Streiche,
Brustwehren, Gräben, Läuffen und alles nach dem junge
Massstab auffzogen und für augen gestelt werden kan, wie es
gebawen werden soll, darnach man sich zurichten."
Gleichermassen
erläutert Leibniz 1669 in seiner "Ars inveniendi" die
Vorzüge der Verfertigung von Modellen: "is qui volet exstruere
fortificationem utiliter conficiet Modulum omnes loci elevationes
et incommoda repraesentantem, idem hoc modo facilè poterit variis
modis eum redigere in perspectivam"' (G. W. Leibniz 1903, S. 163,
übers.: "wer eine Festung errichten will, verfertigt mit
Vorteil zuerst ein Modell, das alle Erhebungen und
Unregelmässigkeiten des Geländes genau zeigt; so kann man
das auszuführende Werk leicht in die richtige Stellung
bringen").
Ohne den Begriff
modulus zu verwenden, beschreibt schliesslich Comenius in seiner
1633-38 entstandenen "Grossen Didaktik" (1957, S. 140) worum es
geht im XVI. Kapitel unter dem Grundsatz VI: "Der Baumeister ...
fasst erst ein allgemeines Bild von dem ganzen Gebäude in
Gedanken auf (mente ideam concipit, R. M.) oder zeichnet eine
Skizze davon auf Papier (in charta sciagraphiam delineat) oder
fertigt auch wohl ein hölzernes Modell an (ligneum exemplar
conficit), und demgemäss (secundum hoc) legt er den Grund,
führt dann die Wände auf und sichert es endlich mit dem
Dach darüber" (ähnl. schon in der vorher entstandenen
"böhmischen" Didaktik mit dem Hinweis auf mögliche
Verbesserungen am Modell, vgl. J. A. Comenius 1970, S. 107,
ähnl. 116).
Hier zeigt sich
deutlich, dass auch beim dreidimensionalen Architektur-Modell die
Betonung nicht auf Abbild - nämlich des allgemeinen Bildes
(imago) in Gedanken - liegt, sondern stets auf dem
verbesserungsfähigen Vorbildcharakter.
Daher heisst es auch in einer der
frühesten deutschsprachigen Lexikon-Definitionen bei J.
Hübner (1717, Sp. 1078): "Modele (in der Auflage von 1741
eingeschoben: ,Modell, Exemplar`, R. M.), eine cörperliche
Abbildung eines Dinges ins kleine, oder nach dem verjüngten
Maas-Stabe, sonderlich die Abbildung einer Vestung in Holtz, Gips,
Thon, oder auf der Erde selbst. Die Mahler und Bildhauer nennen
alles, was sie nachzumachen sich vorsetzen, ein Modell, und also
nennet man auf der Mahler- und Bildhauer-Academie denjenigen ein
Modell, welcher sich gantz nackend vor die Schüler darstellet
oder hinleget, damit man nach ihm zeichnen möge.
lnsgemein
werden Modelle genannt, die von Holtz, Gips, Wachs, oder Thon
gemachten kleinen Figuren von Bildern, Häusern, Palatiis oder
Machinen, nach welcher hernach das grosse soll verfertiget werden,
daher an vielen Höfen, sonderlich wo grosse Schlösser
erbauet werden, die so genannten Modell-Tischer und Wachs-posirer
seyn, welche vorher ein cörperliches Modell nach dem auf dem
Papier vorgezeichneten Aufriss, nach dem verjüngten
Maass-Stabe verfertigen müssen, damit sich der Bau-Herr eine
so viel bessere ideam von dem aufzurichtenden Gebäu
vorstellen, und so lange es noch ins kleine ist, die Fehler so viel
besser daran können corrigiret werden. Ein Modell heist man
auch, die in den Parterren oder Lust-Gärten angebrachten
zierlichen Blumen-Betten-Figuren (1741: Beeten, R. M.), bestehende
entweder in schönen, und auf das Wappen alludirenden Figuren,
oder künstlich geschlungenen Zügen und Gängen."
2.3
Anschauungsunterricht als Ideal
In einer späteren
Auflage von Chr. Wolffs "Mathematischem Lexikon" (1734, Sp. 852)
heisst Modell "ein nach verjüngtem Maass-Stab verfertigter und
einem grössern Cörper ähnlich gemachter kleiner
Cörper. Es hat diese Sache vielerley Nutzen, sonderlich aber
dienet ein Modell, den Begriff einer Grösse deutlicher zu
machen,. die Imagination zu stärcken, Licht und Schatten an
denen Cörpern zu lernen, die Profile und Durchschnitte ohne
die geringsten Anstösse zu machen, nicht weniger eine
Fertigkeit im Zeichnen, sonderlich in denen perspectivischen
Stellungen sich zuwege zu bringen" (fast identisch auch bei J. K. G.
Jacobsson 1783, S. 79).
Anweisung zum
Modellieren gab man z. B. im Mathematikunterricht an den
fünf Platonischen Körpern. Und J. H. Zedler (1739, Sp.
714f.), der Wolff ausgiebig zitiert, fährt fort: "Man
lässet alsdenn die Anfänger sich auch in Verfertigung
anderer Körper üben, als in Kegeln, Pyramiden,
Prismatibus, Kugeln, Cylindern, und so fort. Besonders werden die,
welche sich auf Professionen und Handwercke legen, einen grossen
Nutzen spüren, wenn sie zuvor in der Stereometrie nach den
Geometrischen Handgriffen richtige Modelle machen lernen, indem
alle Künste nichts anders als Nachahmungen der Natur sind,
welche der Grösse nach in der Geometrie auf das genaueste
untersuchet wird."
Nach der Bücher-,
Wort- und Kunstgelehrsamkeit der Renaissance galt der
muttersprachliche Sach- und Anschauungsunterricht [14] - Lernen
durch Nachahmung und Übung am Modell, die Verwendung von
Originalen, Mustern und bildhaften Darstellungen mit
Erläuterungen, das Bemühen um stufenweisen Aufbau und
Methodik sowie die Förderung des Verständnisses durch
Einsicht statt blossem Auswendiglernen - als Erziehungsideal des
Barocks.
Das wird schon in
Campanellas "Sonnenstaat" (1623; erste Fassung 1602) deutlich, wo
er sein Reformprogramm an den sieben Mauerringen der Stadt
erläutert: "Der ,Weisheit` hat die Mauern der ganzen Stadt von
innen und aussen, unten und oben mit herrlichen Gemälden
schmücken und auf ihnen so alle Wissenschaften in fabelhafter
Anordnung wiedergeben lassen.
... Sie haben
Lehrer, die all diese Bilder erklären, und die Kinder pflegen
noch vor dem zehnten Lebensjahre ohne grosse Mühe, gleichsam
spielend und dennoch auf historische Weise (also ,durch
Anschauung`; Voigt) alle Wissenschaften zu lernen" (T. Campanella
1960, S. 120 u. 122).
Doch nicht nur um
Bilder geht es: "Auf der Innenseite der Mauer des zweiten Ringes
... erblickt man alle Arten von edlen und gewöhnlichen
Steinen, Mineralien und Metallen gemalt, ebenso wirkliche
Bruchstücke davon als Proben (atque verorum quoque frustula,
R. M.), jedesmal mit einer Erklärung (declaratione) in zwei
Versen." Auf der Aussenseite "stehen in Mauernischen Gefässe
mit teilweise 100 bis 300 Jahre alten Flüssigkeiten zur
Heilung der verschiedenen Krankheiten". Ausserdem sind "Hagel,
Schnee, Donnerschläge, und was sonst alles in der Luft vor
sich geht, in Bildern (figuris) und Versen (versiculis)
dargestellt. Sie (die Bewohner) kennen sogar die Kunst, innerhalb
eines geschlossenen Raumes alle meteorologischen Erscheinungen wie
Wind, Regen, Donner, Regenbogen usw. hervorzubringen".
An der Innenseite des
dritten Ringes stehen neben Abbildungen lebende Bäume und
Kräuter in Töpfen auf den Bogen der äusseren Mauer,
und bei der Aussenseite geriet Campanella in Erstaunen, als er
"Fische sah, die einen Bischof, eine Kette, einen Panzer, einen
Schlüssel, einen Stern, ein männliches Glied und die
Abbilder (simulacra) dieser bei uns vorkommenden Dinge im
allgemeinen bedeuten" (T. Campanella 1960, S. 121).
Eine weitere Art von
Anschauung lässt uns auf älteste magische Praktiken des
Homo sapiens rückblicken: "Im Schlafgemach stehen schöne
Bildwerke berühmter Männer, die die Frauen anschauen.
Darauf richten sie die Blicke durch das Fenster zum Himmel und
bitten Gott, er möge ihnen einen tüchtigen Nachkommen
schenken" (T. Campanella 1960, S. 131).
Francis Bacon
berichtet wenig später in seinem "New Atlantis" (1624
geschrieben) im Rahmen der Obersicht über
Forschungsstätten und Hilfsmittel von den
Werkstätten für mechanische Künste (mechanical
arts), wo, "wenn es sich um eine eigene Erfindung handelt, jeweils
Musterstücke davon, also die am sorgfältigsten
gearbeiteten Ersterzeugnisse", zurückbehalten werden (engl.:
we have of them also for Patternes and Principalls; lat.:
Exemplaria, tamquam primigenia, et optime elaborata).
Ferner ahmen die
Atlantier "die Bewegungen der Lebewesen in Nachbildungen nach
(engl.: by Images; lat.: in simulachris, R. M.). wie etwa in
künstlichen Menschen, Vierfüsslern, Vögeln, Fischen
und Schlangen" (F. Bacon 1960, S. 210 u. 212).
Bei Comenius, dem
grossen Theoretiker und Praktiker der Anschaulichkeit, findet sich
im zentralen XX. Kapitel der "Grossen Didaktik" über die
"Methode für die Wissenschaften" die wichtige didaktische
Regel, der Mensch müsse alles durch eigene Anschauung
und sinnlichen Nachweis lehren (per autopsiam et sensualem
demonstrationem doceamus omnia).
Bemerkenswert dabei
ist, dass man zu Lernzwecken von allen, nicht nur den real
fassbaren Dingen Modelle - im Sinne von Stellvertretern
(exemplaria), Abbildern (imagines) - als Anschauungsmittel
(autoptica instrumenta) herstellen kann: "Wenn einer daran
zweifelt, dass man auf diese Weise den Sinnen alles vorführen
könne, auch Geistiges und Abwesendes (was sich im Himmel oder
in der Hölle oder an Orten jenseits des Meeres befindet und
ereignet), der möge bedenken, dass von Gott alles zur Harmonie
geschaffen ist, so dass das Obere durch das Untere, das Abwesende
durch das Gegenwärtige, das Unsichtbare durch das Sichtbare
durchaus dargestellt (repraesentari, R. M.) werden kann" (J. A.
Comenius 1957, S. 197).
2.4 Handwerkliche und technische
Ausbildung im Banne von Wissenschaft und Wirtschaft
(Dieses Kapitel wurde in leicht veränderter Form nachgedruckt im Sammelband: Innovation gewinnt. Kulturgeschichte und Erfolgsrezepte. Zürich: Orell Füssli 1997, als Kap. 8: „Fördern Schulen den Erfindungsgeist?“, 86-92)
Vorbereitet durch
Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.), Gerbert (10. Jh.) und Theophilus
(1 I . Jh.) wurden im 12. Jahrhundert die "artes
mecharticae" durch Hugo v. St. Victor den klassischen sieben
freien Künsten gleichgestellt (A. Timm 1964, S.
1417).
Dennoch pflanzte sich
die antike Abwertung der mannigfaltigen Fertigkeiten, Erkenntnisse
und Erzeugnisse von Handwerk und Gewerbe als "banausoi technoi"
(dazu C. Graf v. Klinckowstroem 1959, S. 52ff., 64; F. Wagner 1970,
S. 20ff., 221 f.) und "artes vulgares et sordidae" zum Teil bis in
unsere Tage hartnäckig fort - so finden sie etwa in den
meisten philosophischen Wörterbüchern, im "Kleinen
Pauly", 1964ff., und im "dtv-Lexikon der Antike" (1969-70) keine
Erwähnung.
Dazu kann freilich
beigetragen haben, dass in den weitgehend autonomen
Baukorporationen (collegium fabrorum, auch
Bauhütten-Bruderschaft) sowohl der Antike wie des Mittelalters
bis zur Reformation die "Geheimnisse" - Geometrie, Statik,
Architektonik, Materialkunde usw. - der für heilig gehaltenen
(vgl. noch Chr. Wolff 1734, Sp. 854) "hohen Kunst" recht
eifersüchtig gehütet wurden (vgl. auch L. Olschki 1918, I,
S. 417ff.). Analoges gilt seit dem 11 ./ 12. Jahrhundert für
die z. T. aus den Gilden vorab der Kaufleute (bezeugt seit dem 8.
Jh.) hervorgegangenen Zünfte der Gewerbetreibenden und
Innungen der Handwerker.
Der Gedanke des
Modellbaus fand in solchen geschlossenen Berufsvereinigungen
seinen ersten Nährboden. Im Bauwesen war er im Trecento so
weit gediehen, dass beispielsweise jeder neue Baumeister für
den Dom zu Florenz den Eid auf ein in der Nähe der Kirche
aufgemauertes Modell, die "Chiesa piccola", ablegen musste (J. v.
Schlosser 1891, S. 41).
Auf etwa 1235 datiert
das legendäre Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt
(1935 neu herausgegeben und erläutert von Hans R. Hahnloser,
Wien).
Zusammen mit dem
Musterbuch aus dem Kloster Rein (A. Timm 1964, S. 15) und den
Portraitbüchern der Zwölfbruderstiftung des
Nürnbergers Konrad Mendel (C. Graf v. Klinckowstroem 1959, S.
76f.) leitet es den rasch breiter werdenden Strom von Büchern
mit liebevoll angefertigten Darstellungen: aus Technik und
Wirtschaftsleben ein, wobei häufig weder die handwerkliche
noch die kriegerische Komponente zu kurz kommt (z. B. "Bellifortis"
von Konrad Kyeser, 1405).
Die Erfindung der
Buchdruckerkunst sicherte ihnen bald weitere Verbreitung. Das erste
Druckwerk über Ingenieurtechnik ist das 1472 in Verona
erschienene Maschinen- und Waffenbuch von Robert Valturio "Elenchus
et Index rerum militarium" (vgl. L. Olschki I, S. 131 f.). Die
ganzseitigen Holzschnitte wurden dann in Augsburg zur Illustration
von Flavius Vegetius Renatus' "De re militari" (um 390 entstanden)
übernommen.
Neben der Verwendung
von Gesamt- und Teilmodellen für Bauwerke und Skulpturen gab
es bald auch solche für technische Hilfsmaschinen
(Brunelleschi und sein Schüler Francesco di Giorgo) oder
Apparate, wobei bei Leonardo da Vinci schwer auszumachen
ist, was er nur skizziert und was er tatsächlich
ausgeführt hat (A. Timm 1964, S. 22; J. D. Bernal 1970, S.
370ff.).
1586 verfertigte der
Tessiner Baumeister Domenico Fontana, der nachmalige Vollender der
Peterskuppel, ein Demonstrationsmodell, wie er den legendären
Transport des Obelisken auf den Petersplatz zu bewerkstelligen
gedachte (H. Straub 1964, S. 132; Bild bei C. Graf v.
Klinckowstroem 1959, S. 36; vgl. 127).
Es ist als wahrscheinlich
anzusehen, dass etwa zur selben Zeit der junge Galilei sich mit
Maschinen und mechanischen Spielen beschäftigte. Die
ältesten Biographen berichten davon. "Während Gherardini
beständig auf Galileis technische Tätigkeit in Verbindung
mit der Theorie der Mathematik hinweist, erzählt Viviani mit
überzeugendem Reichtum an Einzelheiten, dass Galilei in den
ersten Jahren seiner Kindheit sich an der Herstellung von
Instrumenten und Maschinen vergnügte, die er selbst erfand
oder den allgemein gebräuchlichen nachbildete" (L. Olschki
1927, III, S. 143). Daher bestellte Vater Galilei den an der
Florentiner Kunstakademie wirkenden Lehrer für angewandte
Mathematik, Ostilio Ricci, zum Mentor seines Sohnes. "Galilei
lernte infolgedessen diese Wissenschaft nicht in ihren abstrakten
und reinen Formen, sondern in ihren zweckdienlichen Anwendungen als
die führende Disziplin der ,arti del disegno' kennen, welche
alle Zweige der Kunst- und Ingenieurtechnik umfasste" (III, S.
142f.). Später hat er einmal geäussert, dass ihm gerade
die Erfahrung der Maschinen- und Apparatebauer "oft den
Kausalzusammenhang wunderbarer Erscheinungen eröffnete, die
zuvor für unerklärbar und unglaublich gehalten
wurden".
Jahrhundertelang waren
es die Klöster - allen voran St. Gallen - gewesen, die
neben den Berufsvereinigungen auch das handwerkliche Wissen
bewahrt und in eigenen Werkstätten gefördert hatten (dazu
etwa H. J. Störig 1954, S. 148 f.). Es war eingebettet in die
weite Spanne zwischen christlicher Gelehrsamkeit und Ordensstrenge
auf der einen, Landwirtschaft und Obstzucht, Gewerbe und Handel auf
der andern Seite.
Mit dem Aufblühen
der Städte änderte sich die Situation. In vielen
Städten Italiens, Flanderns und der Hanse entstanden Schulen
mit Laien als Lehrern und mancherorts auch eine eigentliche
Handwerkskultur. Ein wichtiges Zentrum war Nürnberg, das auch
für die Wissenschaft grosse Bedeutung erlangte,
wofür die Namen Regiomontanus, Werner, Dürer und
Pirckheimer stehen (vgl. L. Olschki I, S. 261, 419ff.).
Regiomontanus selbst gehörte der Wiener Mathematiker- und
Astronomenschule an, die wesentlich zur Erneuerung der
mathematischen Wissenschaften beigetragen hatte (z. B. Peurbach).
Welche Verbreitung und
damit welchen Einfluss die Schilderungen handwerklicher Verfahren
durch den Benediktiner Theophilus Presbyter (11. Jh.) und Hugo von
St. Victor (vgl. A. Timm 1964, S. 13 ff.) oder die Hinweise auf
Haushaltsführung durch Konrad von Megenberg ("Öconomica",
1354) hatten, wäre noch abzuklären.
Ebenso die Wirkung des
ersten Naturphilosophen, der in französischer Sprache schrieb,
Nicole d'Oresme († 1382; vgl. J. D. Bernal 1970, S. 324), verdanken wir
ihm immerhin die graphische Darstellung durch geometrische
Figuren (forma) als Veranschaulichung der "Funktion", die
gebrochenen Exponenten, die Ausweitung der Impetustheorie und
zahlreiche Sätze zur Mechanik samt einer Abhandlung über
das Geld (z. B. H. J. Störig,1954, S. 157f.).
Da also
mathematisches, insbesondere algebraisches und geometrisches
Wissen samt den zugehörigen Fertigkeiten als
Rüstzeug sowohl zur Ausübung eines Handwerks wie für
die Bau- und Ingenieurtechnik, für den Aufschwung der
Wirtschaft wie die Grundlegung der Naturwissenschaft zunehmend
Gewicht erlangte, ist auch ein kurzer Blick auf dessen Geschichte
angezeigt (vgl. dazu J. E. Hofmann 1951, S. 142ff.).
Schon im ausgehenden
Altertum war die mathematische Ausbildung von der Kirche nur noch
insoweit geduldet worden, als solche Ausbildung unumgänglich
zur Feststellung des Osterdatums und zur Ausrichtung des Chors de
Kirche nach Osten nötig war. Im Laufe der Zeit wurde im Rahmen
eine anfänglich recht dürftigen Ausbildung in den einst
stolzen artes liberales Zählen, Finger- und Kopfrechnen
geübt (daher "trivial"). Die "Arithmetik" de Oberstufe bestand
in Abacus-Rechnen und pythagoräischer Zahlenmystik, die
"Geometrie" vor allem in Erd- und Naturkunde und die "Astronomie"
in de Berechnung der kirchlichen Feiertage (computus).
Erst an den seit dem
13 und 14. Jahrhundert in rascher Folge - in Anlehnung an die
früheren "Häuser der Weisheit" in Bagdad und Kairo -
gegründeten und meist aus Rechts- und Medizinschulen
herausgewachsenen Universitäten (H. J. Störig
1954, S. 152 ff., 165 f., 171 f.) wurden die Fächer des
Trivium und Quadrivium ausgebaut und in der Artistenfakultät
gelehrt. Diese musste von allen Studenten - in Ermangelung einer
"Mittelschule" - durchlaufen werden, ehe sie sich der juristischen,
medizinischen oder theologischen Fakultät zuwenden
durften.
"Mathematik" umfasste
nun als selbständiges Fach die Gebiete des ehemaligen
Quadriviums. Ihr fiel im Quattrocento die Führung in der Wende
vom Traditionalismus zum Rationalismus zu. Vorerst rein
theoretisch, wurde sie unter dem Eindruck eines wiederaufgetauchten
Archimedes-Codex (um 1450) praxisnaher (vgl. auch L. Olschki I, S.
209ff., 130ff., 58ff.).
Ein namhafter Anteil
dieser Entwicklung fiel auch den zahlreichen italienischen
Akademien zu. Sie hatten sich zwar noch nicht vom
Buchstaben, aber von der Kirche losgelöst, legten damit den
Grund für das, was wir heute Geisteswissenschaften nennen, und
befruchteten Naturwissenschaften und Technik. Leonardo Olschki
(1918-27) vermittelt einen Eindruck auch von den Gepflogenheiten
und Stimmungen, die damals herrschten. Die Bezeichnung "Akademie"
wurde als humanistische Reminiszenz für durchaus
familiäre, zwanglose und freundschaftliche Zusammenkünfte
von Gelehrten, Enthusiasten, Ästheten und Fürsten
erstmals von den florentinischen Platonikern um die Mitte des 15,
Jahrhunderts eingeführt, deren tragendes Fundament das
Streitgespräch bildete.
Ein weiterer Schritt
erfolgte um 1540 mit der Gründung einer neuen Florentiner
Akademie durch Laien. Ihr Programm war, die Landessprache - statt
das gelehrte Latein - zu pflegen und Wissenschaft und Bildung auch
dem Volk zugänglich zu machen. Berühmt wurden die
öffentlichen Vorträge des Polyhistors Benedetto Varchi
(L. Olschki II, S. 171-194; vgl. 114ff., 161ff., 199ff.). Da sich
dieses allgemeine Programm im Laufe der Zeit erfüllte bzw.
erschöpfte, traten Spaltungen auf.
Die 1582
gegründete, Accademia della Crusca wurde als rein
philologischer Verband das Vorbild aller europäischen
Sprachakademien (II, S. 172).
Schon 1563 war die vom
Biographen Vasari ins Leben gerufene Accademia del Disegno durch
Cosimo I feierlich eröffnet worden (II, S. 187 f.). Sie
strebte die Pflege der Mathematik als Grundlage der Zeichenkunst in
den verschiedensten Anwendungen an (I, S. 430; vgl. 143). Wie
umfassend ihr Auftrag aufgefasst wurde, ersieht man aus dem
Lehrplan, welcher folgende Gebiete betraf: 1. Anatomie, 2.
Mathematik, 3. Technik, d.h. Strassen-, Kanal- und Brückenbau,
4. Architektur und 5. Perspektive; Euklidische Geometrie wurde am
Sonntag öffentlich gelehrt (II, S. 188).
Man kann diese
"mirabile scuola", wie Cellini sie nannte, zu deren erstem Leiter
noch der greise Michelangelo berufen wurde und die 1571 von Cosimo
mit den Privilegien und dem Titel einer Universität
ausgestattet wurde, durchaus unseren technischen Hochschulen
mit ihren auf die praktische Verwertung wissenschaftlicher
Hervorbringungen hinzielenden Aufgaben vergleichen.
Auch H. Straub (1964,
S. 18) erwähnt sie als "eine Art polytechnischer Schule mit
obligatorischem Mathematikunterricht" (nach L. Olschki III, S. 141;
vgl. 293). Versehentlich verlegte sie F. Wagner (1970, S. 220) als
"eine Laienhochschule für Praktiker mit einem Wissensprogramm,
das den andern Hochschulen fehlte" nach Rom. Die gleichnamige
Römer Akademie entstand aber - laut J. G. Krünitz, 1791 -
erst unter Papst Benedikt XIV (1740-1758).
Mehr als
Kuriosität erwähnt werden kann schliesslich in diesem
Zusammenhang die 1560 vom vielseitigen Giambattista della Porta in
Neapel eingerichtete Accademia secretorum naturae (L. Olschki II,
S. 262-267).
Zu den Mitgliedern der
Florentiner Kunstakademie zählten unter anderem Galileis
Lehrer Ricci und Galilei selbst schon als
Vierundzwanzigjähriger (III, S. 175-178; vgl. S. 278).
Sein Lieblingsschüler und Biograph Vincenzo Viviani wirkte als
Mathematiklehrer wiederum an derselben Stätte, aber auch an
der 1651 (oder 1657) gegründeten kurzlebigen dritten
Florentiner Akademie des Cimento (II, S. 194, 300).
Mit Galilei verbunden sind schliesslich
auch die akademischen Bestrebungen in Venedig (II, S. 195-199, 298-300; IlI, S. 231) und die "Akademie der
Luchse" (Lincei, 1603-1630) in Rom (III, S. 233ff., 283 ff., 293,
296ff., 331 f.; vgl. II, S. 177), die ihn mit hohen Ehren aufnahm
und als einflussreichstes Mitglied anerkannte. (Ihr Name
könnte eine Anspielung darauf sein, dass hier erstmals
Versuche mit Fernrohren unternommen wurden.)
Galilei entwarf auch
ein Lehrprogramm für eine 1607 gegründete Akademie in
Padua, die sich der Erziehung von Militärpersonen widmen
sollte (Accademia Delia; III, S. 154f.). 1611 leitete er selber
Zusammenkünfte, die er nach altem Brauch Akademien nannte
(III, S. 247 ff.).
In Frankreich war 1530
von Franz I. das College Royal, das heutige College de France,
für den Unterricht in den Humaniora, den die Sorbonne - einst
blosses Studenten- und Lehrerheim (college) - nicht duldete,
gegründet worden (J. D. Bernal 1970, S. 357).
Das erste Institut in
England, in dem die Wissenschaft gelehrt wurde, war das 1579
errichtete Gresham College. Hier wurden nicht mehr nur die
Humaniora gepflegt: Von den sieben Professoren waren je einer
für Geometrie und Astronomie berufen worden.
Die Royal Society
sollte daselbst einmal ihre ersten Zusammenkünfte abhalten (S.
393 f.). Wie bei der Academie royale des Sciences gingen ihrer
offiziellen Gründung Jahrzehnte an formlosen Vorbereitungen im
Stile der ersten italienischen Akademien voraus. Es waren aber in
beiden Fällen, wie F. Wagner (1970, S. 111) berichtet,
Versammlungen von Laien und Aussenseitern, von unabhängigen,
reichen und interessierten "Liebhabern", von "virtuosi". Sie waren
zwar von den Dynastien privilegiert, jedoch nicht mehr von der
Gunst eines Fürsten abhängige Höflinge (vgl. auch
J. D. Bernal 1970, S. 421 ff.).
In der Hochstimmung der "Galileischen
Wendung" mit der "Entdeckung "der Mechanik und der "Instauratio
magna" zur Vermehrung und nutzbringenden Verwertung der
"Ergebnisse" hatte Bacon eine Forscher-Technokratie skizziert und
sein Antipode Descartes versucht, ein Technikum als
Sonntagabendschule zu gründen (F. Wagner 1970, S. 76).
Doch erst Mitte des
17. Jahrhunderts war die Zeit reif zur organisierten
Beförderung von Wissenschaft und instrumentaler Forschung
durch die Königlichen Gesellschaften (vgl. F. Wagner 1970, S.
76ff., 81 ff., 110ff.; J. D. Bernal 1970, S. 421 ff.). In
Deutschland erfüllten diese Sendung die Academia Naturae
Curiosum (die nachmalige Leopoldina) und später die von
Leibniz initiierte Preussische Akademie der Wissenschaften (1700).
Ihrer gleichzeitig in Prag entstandenen Schwester folgten bald
weitere Akademien und Naturforschende Gesellschaften in ganz
Europa.
Als Leitbild dienten
weitgehend die Statuten der Royal Society, welche deren
Geschäft definierten als "die Mehrung des Wissens von
natürlichen Dingen und von allen nutzbaren Künsten,
Manufakturen, mechanischen Fertigkeiten durch Experimente - ohne
Berücksichtigung von Fragen der Theologie, Metaphysik, Moral,
Politik, Grammatik, Rhetorik und Logik".
Wenn auch im Schatten
dieser gelehrten Bemühungen stehend, hat zur Beförderung
von Technik und Bildung einerseits der" Vorstoss in den
Erdboden" (Stichworte: Bergwerksschulen; Kraftübertragung,
Pumpen, Metallurgie, Hochöfen), andererseits derjenige auf
die hohe See (Entfaltung und Anwendung von Astronomie und
Geographie im Dienste des Ruhmes und des Profits; J. D. Bernal 1970,
S. 375ff.: vgl. 293-296, 357f.) namhaft beigetragen.
Seefahrtsschulen
gehörten zu den ersten, die intelligenten Jugendlichen aller
Schichten eine Ausbildung sowohl in Mathematik wie Handwerk boten.
In ihrem Schosse entstanden neue Berufe für die Herstellung
von Kompassen, Karten und Instrumenten.
Es ist aber vor allem
das Verdienst der Merkantilisten und Kameralisten (z. B. V. L. v.
Seckendorff, W. v. Schröder), sich seit Mitte des 17.
Jahrhunderts im Rahmen einer Etatisierung der
Wirtschaftskräfte auch der Verbesserung der
Volkserziehung gewidmet zu haben (A. Timm 1964, S. 27 u. 31
ff.). J. J. Becher strebte mit "Werkhäusern" und der Forderung
nach "Kunstschulen" die Verbreitung technischer Kenntnisse an.
Leibniz folgte 1692 mit dem Wunsch nach
"Handwerkerschulen".
A. H. Franckes Idee
einer Verbindung von Frömmigkeit und Nützlichkeit in der
"Realschule" breitete sich nach 1700 über ganz Europa aus, und
zwar als anschaulicher "praktischer Unterricht", der auf
einer breiten Lehrmittelsammlung basiert.
Fortan achtete man
darauf, dass sich darunter auch Instrumente, Maschinen und Modelle
befanden (vgl. auch etwa J. G. Krünitz 1803, S. 549ff.). In
Stockholm hatte Christopher Polhem bereits 1697 ein "Laboratorium
mechanicum" als Versuchs-, Forschungs- und Ausbildungsanstalt
eingerichtet und dafür zahlreiche Maschinenmodelle angefertigt
gehabt, die "noch heute im Bergbaumuseum in Falun sowie im
,Technischen Museum` in Stockholm durch ihre Präzision Staunen
erregen" (A. Timm 1964, S. 27).
Auch Christian Wolffs
Förderung der allgemeinen Schulbildung und der Technologie
hatte einen nachhaltigen Einfluss. Endlich erkannte man auch die
Ausbildung der Lehrer selbst als Erfordernis, und richtete
dafür Seminarien ein (z. B. 1696 A. H. Francke).
Die Ecole
polytechnique ist ein Kind der französischen Revolution.
Ineins mit der Reform des veralteten Staatsapparates fand hier ein
Aufschwung der höheren Volkserziehung nach wissenschaftlichen
Grundsätzen statt, denn für die sich machtvoll
ausbreitende Industrie wie das Militär war die Wissenschaft
unentbehrlich geworden. Nur die hervorragendsten Männer wurden
an diese Schule sowie an die Ecole Normale Superieure und die Ecole
de Médecine berufen.
Diese Institutionen
gewährten erstmals Begabten aus allen Schichten die
Möglichkeit, in der Wissenschaft Fuss zu fassen. Leider
verschloss die 1799 in London gegründete Royal Institution als
Treffpunkt der feinen Gesellschaft aber gerade für talentierte
Mechaniker ihre Türen. Die Lehre beschränkte sich auf
öffentliche Vorträge.
Erst als nach dem
Vorbild der 1822 von Lorenz Oken gegründeten "Gesellschaft
deutscher Naturforscher und Ärzte" 1831 von Charles Babbage
die British Association for the Advancement of Science eingerichtet
wurde, wäre der Popularisierung der Wissenschaft - und zwar
durch private Initiative - der Weg geebnet gewesen (J. D. Bernal
1970, S. 513f.).
Doch dieser in
Frankreich eingeleitete Bildungsumbruch hatte andere weit reichende
Konsequenzen. Zu deren Klärung muss etwas ausgeholt werden, da
sich in mehreren Etappen verschiedene Entwicklungsrichtungen
ineinander verflochten. Die neuzeitlichen Akademien waren die
ersten selbstgesetzlichen wissenschaftlichen
Institutionen gewesen. Sie bahnten die "Sozialfunktion der
Wissenschaft" (F. Wagner 1970, S. 110) an und verliehen ihr
Öffentlichkeit.
Ihnen folgten die
Forschungsgesellschaften einerseits unter dem Prinzip der Reduktion
der Qualität auf die Quantität, das heisst der
Abstraktion und Isolation der Erscheinungen, was das
systematische Experimentieren, Messen und Berechnen und
schliesslich durch die induktive Methode die mathematische
Fassung in Gesetzesform erlaubt, andererseits mit der Absicht, das
Verständnis des Naturwissenschafters für das
Handwerk Zu fördern (J. D. Bernal 1970, S. 427, 432) und
drittens mit dem Ziel, das neue Wissen nutzbringend
anzuwenden.
Von hier aus vollzog
sich der Einzug der Wissenschaft in die Gesellschaft und
ihre Anerkennung als führende geistige Macht. Nicht zuletzt
die in diesem Zusammenhang zu sehende wissenschaftliche
Konstruktion und Verbreitung von Schiffschronometern sowie
optischen Instrumenten ineins mit der erfolgreichen Lösung der
Hauptprobleme der Mechanik und Astronomie wurde zur technischen
Grundbedingung der industriellen Revolution.
Ihre volle Gewalt
erhielt diese letztere jedoch erst durch die Einführung der
verbesserten Dampfmaschine, der ersten auf wissenschaftlichen
Grundlagen aufgebauten Maschine. Gleichzeitig bemächtigte sich
dieser technischen Innovation, wie F. Wagner (1970, S. 113)
unverblümt formuliert, das "kapitalistische Wirtschaftsdenken
des unbeschränkten Erwerbs".
Erst diese ungehemmte
Erwerbsgesinnung spannte die Naturwissenschaft und Technik in den
Produktionsprozess ein - Manufaktur, Bergbau und
Landwirtschaft wurden "mechanisiert" und konzentriert - und machte
sie "aus virtuellen zu expansiven Kräften, die in der Tat die
,Natur` wie die geistigen und sozialen Lebensformen verwandelten"
(S. 90; s. a. 113).
Daraus ergab sich eine
Verflechtung von Forschung und Lehre mit der Fabrikation (und
Rüstung), so weit, dass der Physiker und Chemiker ein
"Instrument der Wirtschaft" wurde, welcher die Ergebnisse dieser
Forschung als "Handelsobjekt" dienen (S. 121).
Hatten im Zeitalter
der Manufaktur und vorwissenschaftlichen Technik die Methoden und
Instrumente der Wissenschaft zwar die Erforschung, nicht aber die
Nutzung und Ausbeutung der Natur erlaubt, so hat also die
industrielle Umwälzung "jene Erfindungen, von denen Bacon
Komfort und Reichtum erwartete, aus dein Bereich vereinzelter
Fünde oder geselliger Spielereien in den unaufhaltsamen Strom
des ,technischen Fortschritts` gerissen, der das ,Erfinden` zu
einem Beruf erhob, der seine Berufung in der Verwandlung der Welt
erblickt" (S. 90).
Doch nicht nur das
Erfinden wurde zum bürgerlichen Beruf, sondern auch das
Lehren. Wie J. D. Bernal (1970, S. 501 ff.) ebenso deutlich
schreibt, löste zuerst in Frankreich der besoldete
Wissenschafter (Professor) im Staatsdienst den - gewiss auch
oftmals politisch missbrauchten - Wissenschafter aus Liebhaberei
und den vom Adel ausgehaltenen Wissenschafter ab. Hinzu trat der
moderne Ingenieur und Techniker (S. 511, 552
ff.).
Nicht vergessen werden
darf, dass für die polytechnische Ausbildung immerhin die
Realschulen mit ihrem technologischen und kameralistischen
Unterricht bereits mehr als ein Jahrhundert den Boden vorbereitet
hatten (A. Timm 1964, S. 39) und auch in den Universitäten
diesen neuen Betrachtungsweisen zunehmend Platz eingeräumt
worden war.
Auf dem Hintergrund
einer von der Wirtschaft usurpierten Technik wurde die Wissenschaft
indes zur Weltmacht, die Welt zur "Wissenschaftswelt". Die
"christlichen Virtuosen" des 17. Jahrhunderts hatten ausgespielt.
Aus Gelehrten wurden Forscher, aus Entdeckern Erfinder, aus der
Wissenschaft ein Geschäft und aus dem göttlichen
Heilsplan ein rationaler Zukunftsplan. Resultat ist eine
technisch-formale, das heisst "ethisch indifferente Haltung" (F.
Wagner 1970, S. 121).
Daher verwundert es
nicht, wenn als Abwehr gegen eine Allmacht dieser Art und in
Verbindung mit einem Neuhumanismus Humboldtscher Prägung vorab
in Deutschland humanistische Gvmnasien an die Stelle der
alten Lateinschulen traten. Sie sollten zugleich über die
bisherigen Realschulen hinausweisen und keine Erziehung "von
Sklaven einer Profession", sondern eine "freie Menschenbildung"
erreichen.
Das bedeutete freilich
eine Abwendung von den "Realien" und der Technologie im umfassenden
Sinne. "Der Verbindung mit der gewerblichen Wirtschaft ging man
während der Dauer der Schulpflicht, ganz aus dem Wege, und die
in den Schulen eingerichteten Kabinette für den Unterricht in
naturwissenschaftlichen Fächern boten lediglich Stücke
zu, Demonstrations-, aber keineswegs zu Übungszwecken" (A.
Timm 1964, S. 55).
Damit ging die
Volksbildung eines wesentlichen Verständnisbereiches des:,
industriellen Zeitalters verlustig. Es ergab sich eine Lücke,
die durch Bau- und Bergakademien sowie Gewerbeschulen bis heute nur
partiell geschlossen werden konnte. Auch in England, dem Mutterland
der Maschinenindustrie, gab es vor dem 20. Jahrhundert eine
technische Volks-Ausbildung nur in ganz geringem Umfange (J. D.
Bernal 1970, S. 518; vgl. 513ff.).
Doch noch nicht genug
der Folgen: Die französische Revolution konnte sich - als
sowohl politische wie soziale - als die Erfüllung des
Fortschritts von Wissenschaft und Technik begreifen.
Wissenschaftlich fundierte Ausbildung schaffte fortan
nützliche Arbeitskräfte für Staat und
Industrie.
Umgekehrt wurden
infolge ihrer zunehmenden Komplexität Wissenschaft und Technik
immer abhängiger von der Wirtschaft; diese wieder bestimmte,
bald als Grossindustrie, den Staat. So entwickelte sich eine
Eigendynamik, deren Früchte bestimmten Schichten - Beamte,
Elite - vorbehalten blieb.
Vor allem die
Naturwissenschaften schieden infolge ihrer Technisierung,
Spezialisierung und Fachsprache weitgehend aus dem
öffentlichen Gespräch und dem allgemeinen Begreifen aus.
Dadurch ergab sich "das weltgeschichtliche Paradox; dass eine
Wissenschaft, die aus dem Anliegen einer Handvoll Gelehrter zu eine
Weltmacht geworden war, im gleichen Masse an
Zugänglichkeit verlor, in dem sie an
,Öffentlichkeit' und Weltläufigkeit gewann" (F.
Wagner 1970, S. 119).
2.5 Hochblüte des
alten und Keime des neuen Modelldenkens
Die zunehmende
Differenzierung der Bauformen und Dekorationen seit der
Frührenaissance machte einen Ausbau der Geometrie
notwendig: Perspektive, Stereometrie und Konstruktion
regelmässiger Vielflächner wurden entwickelt.
Bereits um 1490 hat
sich einer der ersten Vermittler zwischen offizieller Wissenschaft
und weltlicher Praxis, Luca Pacioli, damit befasst (L. Olschki
1918, I, S. 157). Seine "Summa" (1494) ist der erste vulgäre.
Text - also geschrieben in der Volkssprache, nicht im gelehrten
Latein -, in welchem die fünf regulären
Körper beschrieben sind, "deren symbolische Bedeutung der
Humanismus und das Studium Platos der naturwissenschaftlichen
Forschung wieder offenbarten" (I, S. 172 u. 223).
Im Anhang seiner von
Leonardo da Vinci illustrierten "Divina Proportione" (1497
geschrieben, 1509 gedruckt) ist der "Libellus de quinque corporibus
regularibus" seines Lehrers Piero de' Francesci übersetzt ( I,
S. 142 f., 207 ff., 215-239).
Olschki betont, dass
die von Pacioli resp. Piero erdachte Methode der Herstellung
regelmässiger Körper direkt auf die
Materialienbearbeitung für Dekorationszwecke zurückgeht.
"Die Bearbeitung des Materials, wie Stein und Marmor, für
bautechnische wie bildhauerische Zwecke nach den damals
vorherrschenden mathematischen Prinzipien machte genaue
Volumenbestimmungen und zuverlässige Angaben für die
Verwandlung eines Körpers in einen anderen notwendig. Die
Zeiten, in welchen man das Material nach dem Augenmass bearbeitete,
waren längst vorüber" (I, S. 218). Daher durfte auch ein
Abriss über die Architektur nicht fehlen, welcher die
Anregungen Albertis bis zu den letzten Konsequenzen
durchführte, genau wie es für alle Forschungen bei
Leonardo da Vinci in den gleichen Jahren der Fall war.
Doch nicht nur wegen
der Erfordernisse der Baukunst war dieser bis dahin
vernachlässigte Zweig der Geometrie wieder aktuell geworden,
sondern auch dank der Beschäftigung mit den Platonischen
Dialogen vorab im Kreis um Marsilio Ficino in Florenz.
Im "Timàus"
spricht Platon andeutungsweise von einer heliozentrischen
Weltordnung und versinnbildlicht deren Harmonie durch
stereometrische Gebilde und ihre Beziehungen zueinander (I, S.
222). Diese geometrische Mvstik verband Pacioli mit der auf
die Pythagoräer zurückgehenden Zahlenmystik. Das ist aus
seiner Zugehörigkeit zum Franziskanerorden erklärlich,
welcher sich besonders um die Verbreitung der letzteren
bemühte (I, S. 171).
Vor allem Nicolaus von
Cusa hatte schon mit "phantastischen Kombinationen" aufgewartet.
Geradezu modellistisch ist seine Auffassung der Zahl als .primum
rerum exemplar" oder als "symbolicum exemplar rerum". Sowohl der
Cusaner wie vor ihm Albert von Sachsen, Leonardo von Pisa, Thomas
Bradwardine und der Euklid-Kommentator Campanus hatten auch die
regelmässigen Vielflächner erwähnt, allerdings noch
nicht in die mystische Sphäre erhoben (I, S. 216f.,
221).
Seit Paciolis
eigentümlicher Verknüpfung von Mystik und Praktik wurde
die mystische Komponente der Platonischen Körper zu einem
Angelpunkt in der wissenschaftlichen Forschung (I, S. 220-227). Sie
erfuhr in der Kosmographie Keplers ihre Krönung. Darin sind
die regelmässigen Vielflächner symbolische Modelle der
Weltordnung (vgl. auch F. Wagner 1970, S. 58f.). Das Bild bei J. D.
Bemal (1970, S. 397) vermittelt einen Eindruck von dieser
klassischen Modell-Vorstellung.
Auch Kopernikus hatte
den "Timäus" gelesen. Wie er zu seinem System gelangte, ist
indes weitgehend unbekannt. Neben dem Unbehagen über die.
unterschiedlichen und "unsicheren" Deutungsversuche der
Planetenbewegungen durch "die Mathematiker", dem Wunsch nach einer
einfacheren und exakteren Vorhersage der Planetenstellungen und der
Kenntnis von Theorien der Philosophen über Heliozentrik und
Erdbewegung aus dem Studium griechischer und lateinischer Autoren,
mögen vor allem die von Aristoteles stammenden physikalischen
Grundsätze - die Kopernikus fälschlicherweise als
pythagoräische ansah - von der Forderung nach Kreis- und
Gleichförmigkeit sämtlicher Bewegungen am Himmel
leitend gewesen sein.
Eine Wiederbelebung
des Kreis-Gedankens hatte schon Cusanus für seine Theorie der
Elemente ersonnen gehabt. Doch die Planeten und Fixsterne
beschreiben bei keine vollkommenen Kreise, und die Erde bewahrt
ihre Vorrangstellung, auch wenn sie nicht unbeweglich
inmitten des Weltalls ruht. Nicole d'Oresme und Regiomontanus
hatten bereits eine Erdrotation als theoretische Möglichkeit
erörtert. Und von Leonardo gibt es eine Tagebuchnotiz: "Il
sole non si muove."
Klar beschreibt
Kopernikus am Anfang seines Buches (1543) sowohl sein Programm wie
seine Philosophie: "Nachdem ich nun die Bewegungen angenommen, die
ich der Erde in nachstehendem Werke zuerteile, fand ich endlich
nach langjähriger und sorgfältiger Untersuchung, dass,
wenn die Bewegungen der übrigen Planeten auf die Umkreisung
der Erde bezogen und nach der Umwälzung eines jeden Gestirnes
berechnet werden, nicht bloss die an ihnen beobachteten
Erscheinungen daraus folgerichtig sich erklären lassen,
sondern auch die Reihenfolge und Grösse der Gestirne und alle
ihre Bahnen und der Himmel selbst eine solche harmonische Ordnung
darbieten werden, dass in keinem Teile ohne Verwirrung der
übrigen Teile und des ganzen Universum irgend etwas umgestellt
werden könne."
Kommen diese
Ansätze naturwissenschaftlichen Modelldenkens von der
Mathematik her, so findet sich eine zweite Richtung in den
Experimenten von William Gilbert und Otto von Guericke. Ersterer
begriff in seinem Buch "De Magnete" (1600) die Erde als einen
grossen Magneten. Für den experimentellen Beweis nahm er eine
"terrella", d. h. einen globusförmigen Magneten mit
eisernen Zacken als "Gebirgen" besetzt (Bild bei J. D. Bernal 1970,
S. 409). Die Zeichnungen im Kapitel II von Buch IV (W. Gilbert
1958, S. 235-240) können als erste echte Modelldarstellungen
in der Experimentalwissenschaft angesehen werden.
Schon die Versuche von
Guericke zur Herstellung eines Vakuums auf der Erde, welche 1663 in
der Vorführung der "Magdeburger Halbkugeln" am Hofe des
Grossen Kurfürsten bei Berlin kulminierten (Bilder bei J. D.
Bernal 1970, S. 442 und C. Graf von Klinckowstroem 1959, S. 131),
dienten der experimentellen Untersuchung der Frage nach der Natur
des interplanetarischen Raumes. (Kann dieser unter Anerkennung der
kopernikanischen Lehre von einem Stoff wie dem Äther
erfüllt sein, oder ist er als blosser Raum leerer
Raum?)
Wenn nun zwischen den
Weltkörpern, die auf Kreisen um ihr Bahnzentrum ziehen,
spezifische, bewegende und qualifizierende, unkörperhafte
Wirkkräfte über das Vakuum hinweg wirken, dann
müsste dies durch eine drehbare und zu reibende
Schwefelkugel darzustellen sein, meinte von Guericke (Bild
bei C. Graf von Klinckowstroem 1959, S. 133).
Ohne sich dessen
bewusst zu werden, erfand er damit die Elektrisiermaschine. Sie
regte die Experimentatoren der Royal Society in London zu
ähnlichen Versuchen über Reibungselektrizität
an.
Umgekehrt standen bei
William Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs hydraulische
Vorstellungen Pate. In seiner ersten handschriftlichen
Aufzeichnung aus dem Jahre 1616 heisst es, er habe an der
Beschaffenheit des Herzens demonstriert, "dass das Blut in
kontinuierlichem Strome von den Lungen in die Aorta fliesst wie
durch zwei Ventile einer zum Wasserheben verwendeten
Wasserpumpe".
Ähnliche
hydraulische Überlegungen finden sich auch bei Descartes,
vorab im "Traité de l'homme" (1664). Das erste Modell des
Blutkreislaufs wurde von dem Deutschen Salomon Reisel (1674)
angefertigt. An anderer Stelle verglich Harvey das Herz als
"Urquell des Lebens" mit der Sonne als Herz der Welt (J. D. Bemal
1970, S. 411).
Diese Vorstellung
weckt sofort Erinnerungen an Kopernikus, der die Sonne in alter
Tradition u. a. als "die Seele, die Leuchte der Welt"
betrachtete.
Unter einem Schlagwort
zusammengefasst könnte man für einen wichtigen Teil der
Bestrebungen dieser Zeit "empirische Mechanik als Modell" namhaft
machen, wobei Descartes mit der Einbettung in die Geometrie als
Mass aller Dinge auch wieder die Ansätze von Pacioli und
Kepler einbrachte.
Nicht zu
unterschätzen für die Konstruktion sowohl von Maschinen
als auch für die Gewinnung wissenschaftlicher und praktischer
Erkenntnisse wie für deren didaktisch geschickte Darstellung
ist also die Benützung von Analogien wohl eines der
fruchtbarsten und dauerhaftesten Leitmotive der Menschheit. Sie
erlaubt die Verknüpfung von Phantasie, Gelehrsamkeit und
Leben, weshalb sie in der Renaissance besonders im Schwang
war.
Das erste
Meisterstück der beginnenden Neuzeit für ein durch
Beispiele, Anekdoten, Sprichwörter, Zitate und Sprüche
belebtes mathematisches Werk ist die erwähnte "Summa" von
Pacioli (L. Olschki I, S. 164ff.). Hier verbinden sich Wissenschaft
und Pädagogik miteinander und beide sich wiederum mit Akribie
und Anschaulichkeit.
Von Boethius hat
Pacioli etwa den Vergleich von vollkommenen und unvollkommenen
Zahlen mit einem gut gewachsenen Menschen und einem Krüppel.
In einer Serie von Analogien und Allegorien entwickelte er ihn
weiter (I, S. 169). Weitere Wurzeln lassen sich in die Patristik
und Scholastik zurückverfolgen, wobei häufig mystische
Elemente unverkennbar sind (vgl. II, S. 18ff.).
Seine Vollendung erreichte das
bildhafte Denken bei Leonardo da Vinci. Leonardo Olschki (I, S.
365-413) bringt eine Fülle von Analogien, welche Leonardo zur
Beschreibung und Erklärung von Naturgegenständen
verwendete, und zwar in der Überzeugung der Gleichwertigkeit
von Kunst und Wissenschaft als Mittel der Erkenntnis.
Die "experientia" ist ihm und seinen
Zeitgenossen "in jener Welt von Künstlern und Praktikern,
deren Schaffen ebenso von der Vision wie von der Berechnung
abhängt und bestimmt wird, ... nicht der wissenschaftliche,
die rohe Erfahrung läuternde Versuch, sondern die' Erfahrung
selber, eben das Erlebnis. Dieser Kategorie von Denken und Forschen
entspricht die Schaffung ausdrucksvoller Scheinbilder einer
Begriffsbildung und -formulierung. Deren Programm ist Leonardos
Bestreben, ,eine Fiktion zu bilden, welche grosses bedeutet' " (I,
S. 411).
Was bei Leonardo die
graphische Darstellung im speziellen anbelangt, so hat sie
methodischen Charakter. Sie erfüllt einen ökonomischen
und pädagogischen Zweck. Die Abbildung ist primär,
das Wort nur Kommentar. Wo keine Darstellung möglich ist,
bedient er sich des Aphorismus (I, S. 334-365).
Hatte noch Giordano
Bruno ebenfalls Analogien, Wortspiele und Aphorismen verwendet
(III, S. 50-67) und damit "den Begriff dem Bilde geopfert"; so
verzichtete Galilei ganz auf sie. Er ersetzte das Analogische durch
das Gesetzmässige: Dadurch "hat er alle
Zusammenhänge gelöst, welche die Naturphilosophen der
Renaissance mit den antiken und den mittelalterlichen
unzertrennlich verbinden, und sich von vornherein von diesen seinen
angeblichen Vorgängern in der Naturbetrachtung frei gemacht.
Dieser Bruch mit uralten Anschauungen und Methoden hat auch die
Aufgabe des Zweck- und Wertbegriffes aus dem naturphilosophischen
Denken zur Folge gehabt" (III, S. 22).
Der menschlichen
Vernunft ist ein Einblick in den göttlichen
Schöpfungsplan, mit Hilfe der Mathematik möglich, die auf
Grund von Abstraktion das Verhalten physikalischer Körper
zutreffend beschreiben und so die Sprache der Natur zu entziffern
vermag. Es ist also das Gesetzmässige, das nun seine
ökonomische Funktion zeigt. "Die Erkenntnis einer einzigen
Tatsache nach ihren Ursachen", heisst es in den "Discorsi" (1638),
"eröffnet uns das Verständnis anderer Erscheinungen, ohne
Zurückgreifen auf die Erfahrung" (III, S. 432). Ein Satz, der
uns von Ernst Mach her vertrauter ist.
Dass Galilei die von
Kepler errechnete Ellipsenbahn der Planeten nicht einmal für
diskussionswürdig hielt, weil in seinen Augen die vollendete
Kreisbewegung der Gestirne als ewig währende Bewegung ohne
Ziel eine Sonderstellung einnahm, wirft ein Licht auf die
Schwierigkeit der völligen Ablösung vom klassischen
Vorstellungen in dieser wohl fruchtbarsten wissenschaftlichen
Umbruchszeit des 17. Jahrhunderts.
Descartes wiederum
liebte Analogien und bildhafte Vergleiche, man denke nur an die
hydraulischen Vorstellungen für Anatomie und Physiologie oder
an die Metaphern vom Baum der Wissenschaft und dem "grossen Buche
der Welt". Dafür steuerte er eine Korpuskular- und
Wirbeltheorie bei: Alle Phänomene im lückenlos
gefüllten Universum können durch Gestalt und Bewegung von
Korpuskeln erklärt werden. Und dieselbe Materie und dieselben
Gesetze finden wir auch auf der Erde, gültig für die
unorganische Natur, aber auch für Lebewesen - ein theologisch
begründetes Weltbild von bisher noch nie postulierter
Umfassendheit, Einfachheit und Einheitlichkeit.
Eine Fabel oder ein
"Modell"?
2.6 Modellwelten:
Presse, Sammlung, Spiel
Neben Schule, Theater,
Spiel und Wissenschaft das bedeutendste Muster der Erzeugung und
Vermittlung von Modellwelten durch die beiden
Modellierungsvorgänge Verkürzung und Hinzufügung,
oft Ausschmückung, ist die periodische
Presse.
Kurz nach 1600 setzt
sie ein, zunächst als populäres Wochenblatt, dann
Tageszeitung, als "Intelligenzblatt" (1633) oder "Gelehrte Zeitung"
(1651 die "Miscellanea" der Leopoldina, 1665 das "Journal des
Scavans" usw.). 1635 wartete der Basler Matthäus Merian der
Ältere mit der ersten Illustrierten auf; ihr folgten
1672 in Frankreich der "Mercure Galant" und 1676 in Hamburg die
"Erbaulichen Ruh-stunden" als Vorläufer der "Moralischen
Wochenschriften", die nach 1700 von England ausgehend weite
Verbreitung fanden.
Ziel derselben war,
wie Joseph Addison seinen Lesern mitteilte, "ihre Belehrung
angenehm und ihre Zerstreuung nützlich zu machen. Aus diesen
Gründen will ich danach trachten, die Moral mit Witz zu
beleben und den Witz mit Moral zu mässigen".
Wiederum ist es
Comenius, der für seine Schola pansophica eine besondere
Stunde für die Benützung von Zeitungsnachrichten
einplante.
Bedeutsam ist nun,
dass auch ausserhalb der Schule eine Ergänzung der
zweidimensionalen Schautafeln des 15.-17. Jahrhunderts - etwa von
Schedel und Schilling, Vesalius, Gesner, Mercator und Agricola bis
zu den "Theatri mechanicarum" von Besson, Zeising, Zonca,
Böckler, Leupold, van Zyl und van der Horst - durch
dreidimensionale Modelle stattfand: Den
Naturalien-Kabinetten traten Kunstkabinette zur Seite.
Unmittelbar
anschliessend an die Beschreibung der Vorzüge einer
Herstellung von "Modulis" für den Festungsbau erwähnt
Leibniz 1669 in seiner Skizze zur "Ars inveniendi" die in seiner
Zeit verbreiteten Modellsammlungen: "de Theatro Naturae et
Artis seu de Modulis rerum ipsarum conservatoriis" (Gottfried
Wilhelm Leibniz 1903, S. 163).
Wenig später
schlägt er in seinem dem "Orbis pictus" nachempfundenen
Entwurf eines "Atlas universalis" als Abteilung der Objekte, die
den "oculis subjici possunt", vor: "Mechanica, ubi omnis generis
Machinae et moduli" (S. 223). Zur gleichen Zeit preist er auch im
Detail die Verfertigung von "modulis ligneis (aut cereis)" zur
Förderung der Imagination (S. 596f.).
Legendär waren
etwa die Nachbildungen des Petersdoms im Vatikan und der Kirche St.
Paul in London, welche als reales Bauwerk ihrerseits "a
été bâtie sur le modèle de S. Pierre de
Rome" (Encyclopédie 1765, S. 599).
Gleichermassen
liebevoll wie ausführlich beschreibt der fleissige Kompilator
J. G. Krünitz (1803, S. 526ff.) die zahlreichen Modelle von
Gebäuden, Landschaften und Bergwerken, Maschinen,
Gerätschaften, Fenstern und Watten (Tafel lose
zusammenhängender Gespinstfasern, oft geleimt), welche damals
in vielen Städten Europas zu besichtigen waren.
Interessant dabei ist,
dass vielfach vom selben Objekt mehrere Modelle in
unterschiedlich grossem Massstab hergestellt wurden,
beispielsweise eine ganze Messingfabrik als Überblick, dann
von "denjenigen Theilen, die zu klein ausgefallen sind, und
folglich nicht deutlich genug vorgestellt werden konnten, z. B. von
den Messingkammern, Drathmühlen, Stockscheeren, und dergl. ein
besonderes Modell von einem grössern Massstabe ... Diejenigen
Theile aber, die an der Maschine aus Eisen geschmiedet, oder aus
Metall gegossen werden, ... pflegt man zuvor, in ihrer
natürlich wahren Grösse, aus Holz zu machen, damit sie
den Arbeitern zu einem Muster, zu einer Lehre dienen können"
(S. 529, ident. zitiert nach J. K. G. Jacobsson 1793, S.
576).
Bei Schiffen ist -
seit Pierre Bouguer (†
1758) - zu beachten, dass die kleine Kopie "sich
bey der Untersuchung seines Verhältnisses in Folge der
Bemastung unmöglich so bezeugen" kann, "wie das Original in
seiner wahren Grösse. Denn man kann ja den Wind auch nicht
verkleinern" (S. 535; das ist, wie manch' anderes, wiederum zitiert
nach J. K. G. Jacobsson 1783, S. 79).
Besonders schöne
Modelle wurden in Kunstkammern ausgestellt, z. B. der Tempel
Salomos mit 6726 Säulen in der Modellsammlung in Dresden, das
Schlesische Riesengebirge im Kabinett des Bergwerks- und
Hütten-Departements in Berlin, das von Pfyffersche Modell der
Zentralschweiz in Luzern. Von den Ruinen, Tempeln. und Monumenten
des alten Rom wurden zahlreiche Korkmodelle (Felloplastiken)
hergestellt, ihrerseits um 1800 in Deutschland von einem Konditor
kopiert und zum Verkauf angeboten. Ihr Zweck: "den Kunstsinn durch
Anschauen und Vergleichung zu schärfen, wahren Kunstgeschmack
zu verbreiten, und den Begriffen von architektonischen Kunstwerken
mehr Klarheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit zu geben" (J. G.
Krünitz 1803, S. 544f.; vgl. auch L. H. Heydenreich 1937, Sp.
932f.).
Zentrale Bedeutung hat
die Arbeit am Modell bei der Entwicklung der Dampfmaschine
gespielt: Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert waren zahlreiche
Mechaniker und Erfinder damit beschäftigt, ein "working model"
der atmosphärischen oder Dampfmaschinen zu bauen. Schon vor 1700 stellte Thomas Savery "a model of his
engine before King William at Hampton Court" aus (R. Stuart 1824,
S. 35). Desaguliers meldete 1716: "we resolved to have a working
model" (S. 75 ).
Etwa 1760 wurde ein
Feinmechaniker namens James Watt in Glasgow mit der Besorgung der
,university's collection of mechanical and philosophical (i.e.
naturwissenschaftlichen, R. M.) models" (S. 95) betraut. Er
interessierte sich zwar nicht sonderlich für diese Apparate,
doch als ein Modell von Newcomen eines Tages nicht mehr
funktionierte, begann er es 1763/64 zu reparieren. Dann packte ihn
der Ehrgeiz, und er sann sich die zahlreichen Verbesserungen aus,
die 1769 zum ersten Patent und zum Fliehkraftregler
führten.
Ein klassisches
Beispiel für die Faszination durch Modelle und des Lernens am
Modell durch geduldiges, vielleicht mühseliges Probieren mit
anschliessender Verbesserung des Modells.
Die Spannweite der
Modellverwendung reicht mithin, der Eigenart menschlicher
Aktivitäten entsprechend, vom Kriegshandwerk über die
Kunst bis in die Kinderstube. Deshalb verweist J. G. Krünitz
(1803, S. 552) am Ende seines 30seitigen Modell-Artikels auf den
Artikel "Kriegs-Schule" (1790, S. 1-272, bes. 24ff.), wo er vom
Nutzen der Modelle zum Unterricht in der Kriegswissenschaft
handelt: "Wo der Gebrauch der Zeichnungen aufhört, da
fängt der von den Modellen an; er erstreckt sich, eben so wie
bey jenen, über alle Theile der Kriegs-Kunst. Insonderheit
kann man alle Arten von Bewegungen der Truppen gar leicht durch
Modell zeigen" (S. 27).
Dafür hat der
Mathematiker Johann Christian Ludwig Hellwig 1780 den "Versuch
eines aufs Schachspiel gebaueten taktischen Spieles, von zwey und
mehreren Personen zu spielen" entworfen (zu operationalen
Akteur-Systemen z. T. spieltheoretischen Charakters vgl. H.
Stachowiak, 1973, S. 67-103).
Krünitz
bemängelt allerdings in seiner ausführlichen Beschreibung
die enge Anlehnung ans Schachspiel und fragt: "Warum folgen wir
hierin nicht dem Wege, den uns die Alten schon vor mehr als 2000
Jahren, durch die hölzernen Figuren, womit sie die Gründe
der Stellungs-Kunst und die Evolutionen den Schülern
begreiflich machten, gezeigt haben ...?" (S. 30).
Unter
"Kinder-Spiel" (1786, S. 847-867, bes. 854ff.) legt
Krünitz dar, wie man mit Modellen von Gebäuden und
nützlichen Maschinen sowohl vergnügt als auch
unterrichtet. Bekannt ist von Goethe, dass er sich 1786 bei seinem
Besuch in Venedig an ein Gondelmodell erinnerte, das sein Vater
besass und mit dem er manchmal spielen durfte (beschrieben in der
"Italienischen Reise", 1816).
Nach A. Timm (1964, S.
91) spielten die Kinder dieser Zeit auch schon mit
"Elektrisierapparaten".
Puppenspiel, -theater
und -stube sind jahrtausendealte Schau- und Lehrstücke
sozialen Verhaltens.
Dass Kinder auch
selber modellbildend tätig sein sollen, erhellt aus der Angabe
eines Buchtitels bei J. G. Krünitz (1803, S. 576): "Rockstroh's
Anweisung zum Modellieren aus Papier; ein nützlicher
Zeitvertreib für Kinder".
Je spezifische
Modellwelten eröffnen die bunten Paletten von Brett- und
Kartenspielen, Würfel- und Glücksspielen,
Geschicklichkeitsspielen und Sport.
Gemäss dem sowohl
heuristischen wie exemplarischen Charakter des dreidimensionalen
Modells als Lernobjekt und Lehrstück, das den "Raum für
Möglichkeiten" (F. Kaulbach 1965, S. 475f.), sei es des
Sehens, Erkennens und Vorstellens, sei es des Gestaltens,
Verbesserns und Vollendens bietet, kann man auch das
Kinderspielzeug - wie die Aktivitäten Basteln, Modellieren und
Spielen - nicht nur als Medium der Kenntnisvermittlung,
sondern auch als Mittel zum Ausprobieren von Möglichkeiten
im Kleinen, in überschaubaren Verhältnissen
auffassen.
Im Spannungsfeld
zwischen reiner Nachahmung und freiem Entwurf, Realität und
Illusion, bildet sich die Persönlichkeit, das Erleben von
Freiräumen und von Grenzen, das Verständnis für
Strukturen, Zusammenhänge und Masse, für Ursachen und
Wirkungen. Zwischen Betrachten und Planen, schönem Schein und
berechnender Zweckhaftigkeit entfalten sich Handfertigkeit und
Kunstsinn, gestalterisches wie soziales Vermögen (vgl. z. B.
auch Schiller: Über die ästhetische Erziehung des
Menschen, 1795, bes. 12. Brief ff.).
2.7 Innere Anschauung
und Versinnlichung
Zum zweitenmal
entlehnt wurde "Modell" also zu Beginn der Neuzeit vom
italienischen modello. Die Bedeutungsnuance als
kleinmassstäbliche Nachbildung oder aber als freier,
spielerischer Entwurf hat wohl den Weg zum Modellbegriff als
terminus technicus in der Wissenschaft geebnet, wobei
vermutlich eine dritte Entlehnung, diesmal aus dem Englischen,
stattgefunden hat.
Dazu muss etwas
ausgeholt werden: Eine Haupttendenz der Physik des 19. Jahrhunderts
besteht in der Ersetzung des Substanzdenkens durch das Denken in
Strukturen und Funktionen [15]. Vor allem Lagrange und Laplace
bringen die (mechanische) Dynamik auf eine hohe mathematische
Perfektionsstufe.
Kennzeichnend für
diese Physikperiode ist des weiteren die Ausdehnung der
experimentellen (wie der mathematischen) Methoden der Dynamik auf
andere, nicht-mechanische Gegenstandsbereiche der Physik.
Beobachtung und Experiment - nach den Vorbildern von Franklin,
Cavendish und Lavoisier - werden bestimmend.
Auf der anderen Seite
kommt es mit dem Abstrakterwerden der physikalischen
Wirklichkeitserfassung gleichzeitig aber auch zu einer "zweiten
Welle" der Veranschaulichung. Kants und wohl auch Goethes Einfluss
wird hierbei spürbar.
So lassen sich in der
Naturwissenschaft seither drei Methodenbereiche
unterscheiden:
1. Zählen, Messen und
Wägen sowie Konstruktion von Instrumenten, Apparaten und
Maschinen.
2. Berechnen, Ausdrücken
in mathematischen Formeln und Aufstellen von Theoremen,
Lehrsätzen, Gesetzen.
3. Theoriebildung und ihre
Veranschaulichungen in hypothetischen Konstruktionen, aber auch in
graphischen Darstellungen, Bildern sowie schliesslich
dreidimensionalen Modellen, die dann oft wieder von gedanklichen
Entwürfen abgelöst wurden, jedenfalls aber "dynamisch"
und damit, wenn man so will, raumzeitlich und damit vierdimensional
blieben.
Diese Bestrebungen
sind zum Teil gegenläufig, zum Teil ergänzen sie
einander.
Wegbereiter dieser
Entwicklung war seit 1820 der grosse Experimentator Michael
Faraday. Er hat einen zweifachen Bezug zu Kant. Einmal
übernahm er dessen dynamische Ansichten von der
Materie, welche die Existenz diskreter Teilchen (Atome), mit denen
die Chemiker so vorteilhaft zu chemischen Gesetzen gelangten,
ablehnte.
Zum anderen kann man
seine Bemühungen auf dem Hintergrund der Auffassung Kants
sehen, dass sich alles Denken direkt oder indirekt, vermittelst
gewisser Merkmale, auf Anschauungen beziehen muss, und dass es
deshalb notwendig sei, seine Begriffe ins Sinnliche zu
wenden, d.h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen
(Kr. d. r. V. B 33 u. 75; vgl. F. Kaulbach 1954, 1958, 1965; V. A.
Stoff 1969, S. 379-328).
Dies bildet den
Ausgangspunkt für eine beträchtliche Begriffsverwirrung,
die sich seither aus dem wechselnden Gebrauch der Wörter
Analogie, Ähnlichkeit, Bild, Illustration, Darstellung,
Konstruktion, Apparat, Vorstellung, Veranschaulichung und
Versinnlichung ergeben hat. Rezeptions- und
Übersetzungsprobleme kommen dazu. Zudem ist das Beiwort
"mechanisch" geeignet, den heutigen Leser in die Irre zu
führen.
Es empfiehlt sich,
eine chronologische Betrachtung zu versuchen. Häufig
vorkommende Wörter sind bei Carl Friedrich Gauss
"Vorstellungsart" und "graphische Darstellung". In einem Brief an
seinen Freund Wilhelm Weber vom 19. März 1845 (1867, S.
629-631) berichtet er, dass er etwa zehn Jahre zuvor seine
Untersuchungen über das Ampèresche Fundamentalgesetz
abgebrochen habe, weil es ihm nicht gelungen sei, den
"Schlussstein" zu finden: die Ableitung der Zusatzkräfte
zwischen bewegten elektrischen Teilchen "aus der nicht
instantaneen, sondern (auf ähnliche Weise wie beim Licht) in
der Zeit sich fortpflanzenden Wirkung". Er habe aber noch die
Hoffnung gehegt, "dass dies später vielleicht gelingen
könnte, obwohl - erinnere ich mich recht - mit der subjectiven
Überzeugung, dass es vorher nöthig sei, sich von der Art,
wie die Fortpflanzung geschieht, eine construirbare Vorstellung zu
machen".
Wie Maxwell in seinem
"Treatise" (1873, § 861 ff., II, S. 435 f.) berichtet, wies
später Carl Neumann nach, dass diese Analogie zur Ausbreitung
des Lichts nicht zutrifft. Er selber aber sei nicht imstande
gewesen, "to construct a consistent mental representation of
Neumann's Theory".
Das ist ein
bemerkenswertes Eingeständnis am Ende eines über
850seitigen Werkes, das davon ausgeht, es gebe ein "medium in which
the propagation takes place", nämlich den Äther, und das
mit dem Satz schliesst: ,If we admit this medium as an hypothesis,
I think ... we ought to endeavour to construct a mental
representation of all the details of its action, and this has been
my constant aim in this treatise" (1873, II, S. 438).
Einen Markstein in der
"graphischen Darstellung" bildet unter dem Begriff und Programm
"Versinnlichung" der von Wilhelm Weber erstellte "Atlas des
Erdmagnetismus" (C. F. Gauss u. W. Weber 1840).
Grundlage war die
"Allgemeine Theorie des Erdmagnetismus" von Gauss (1839, S. 1-57;
auch 1867, S. 119-180). Darin findet sich der Satz: "Die Art der
wirklichen Verteilung der magnetischen Flüssigkeit in der Erde
bleibt notwendigerweise unbestimmt" (1839, S. 46; auch 1840, S. 30;
1867, S. 165). Man kann aber, wie bereits in der "Intensitas ..."
(1832; auch 1867, S. 86f.) nachgewiesen, die innere Verteilung
"substituieren" und durch eine Verteilung auf der Oberfläche
"fingieren", welche der inneren Kraft "exacte
aequivaleat".
Eine weitere
Schlüsselfigur der Veranschaulichung ist der Schotte William
Thomson. Als erster stellte er 1842 eine Analogie zwischen
den Formeln der Wärme und Anziehungslehre auf (vgl. den
Reprint 1890, § 1-24, S. 1-15 und die Bemerkungen Maxwells
[16] 1883, S. 53ff.; 1895, S. 6).
Drei Jahre
später, im Alter von 21 Jahren - ein Jahr bevor er Professor
für theoretische Physik in Glasgow wurde, wo er bis zu seinem
Lebensende blieb -, entwickelte er "das Prinzip der Bilder
als Mittel zur Lösung einiger Aufgaben über die
Verteilung der Elektrizität" (1890, § 208, S. 143) und
hob in einem Aufsatz über Magnetismus die "Analogie"
zwischen einem Resultat für die Induktion und "dem
entsprechenden aus der Optik" hervor (1890, § 157 f., S.
104).
Vier Jahre später
gab er die Begründung: "Der Ausdruck ,Elektrische
Bilder', der für die gedachten elektrischen Punkte oder
Gruppen von Punkten eingeführt werden soll, ist der allgemein
üblichen Ausdrucksweise der Optik entnommen; die vollkommene
Analogie mit den optischen Bildern darf, wie ich hoffe, als
ausreichende Begründung für die Einführung einer
neuen, äusserst passenden Bezeichnung in die
Elektrizitätslehre betrachtet werden" (1890, § 127, S.
83).
2.8 Dynamische
Veranschaulichung, mechanische Konstruktion (ideal und
real)
Gerade diese Bilder
(electrical images [17]) fielen zunächst nicht unter
den Modellbegriff! Sie betreffen einzig die
Elektrizitätsverteilung auf kugelförmigen Leitern,
bleiben also auf den Bereich der Elektrostatik
beschränkt.
Jedoch lässt sich
Veranschaulichung auch in die Elektro- und Thermodynamik
einführen. Das tat Thomson 1847 in seiner Abhandlung
"über die mechanische Darstellung der elektrischen,
magnetischen und galvanischen Kräfte" ("mechanical
representation", vgl. 1904, S. 45), in Kapitel III und V seiner
"mathematischen Theorie des Magnetismus" (1849-50; dt. 1890, §
430-554, S. 329-410), wo er eine "gedachte magnetische Substanz"
(1890, § 463, S. 340), also eine "supponirte magnetische
Materie" (1890, § 478, S. 348 et passim) einführt, sowie
1856 in dem Aufsatz "Dynamical Illustrations of the Magnetic and
Helicoidal Rotatory Effects of Transparent Bodies on Polarized
Light" (nachgedruckt in den Baltimore Lectures, 1904, Appendix F,
S. 569-577).
Die beiden ersten
gaben Maxwell Anstoss für seine Behandlung von Faradays
Ergebnissen (1895, S. 70).
In diesen 1855-56
gehaltenen Vorlesungen "über Faraday's Kraftlinien"
postulierte der 24jährige: Der Fortschritt in der
Theoriebildung basiert auf Vereinfachung und Veranschaulichung der
Ergebnisse früherer Untersuchungen. Als Hilfsmittel dafür
bediente er sich - der selber kaum Experimente durchgeführt
hat - der Analogie: "Unter einer physikalischen Analogie verstehe
ich jene teilweise Ähnlichkeit zwischen den Gesetzen eines
Erscheinungsgebietes mit denen eines andern, welche bewirkt, dass
jedes das andere illustriert" (1895, S. 4).
Es handelt sich
demnach um eine "formale Ähnlichkeit", um Übereinstimmung
von Gesetzen bloss der Form nach. Und da der Bereich der Mechanik,
samt Gravitation und Hydrodynamik, sehr anschaulich ist, kann man
seine Gesetze zur Illustration von Erscheinungen in allen andern
Bereichen verwenden, und zwar, wie Maxwell bezüglich der
Elektrizität betont, "ohne irgendwelche Annahmen über die
physikalische Natur der Elektrizität zu machen oder irgend
eine Hypothese aufzustellen, welche über die durch das
Experiment bewiesenen Tatsachen hinausgeht" (1895, S.
9).
Im speziellen Fall der
Kraftlinien eines elektrisierten Körpers will Maxwell mithin
ein "geometrisches Modell" (1895, S. 7) [18] der physikalischen
Kräfte geben und unter Hinzunahme der "rein geometrischen Idee
der Bewegung einer imaginären Flüssigkeit" (S. 9),
nämlich einer in Röhren von veränderlichem
Querschnitt strömenden unzusammendrückbaren
Flüssigkeit, eine "geometrische Konstruktion" (S. 12)
erstellen, um "die mathematischen Ideen in einer greifbaren Form
darzustellen, als Systeme von Linien oder Flächen, nicht durch
blosse Symbole" (S. 45). "Diese Darstellung involviert keine
physikalische Theorie, sie ist nur eine Art künstlicher
Versinnlichung" (S. 66).
Auch in den 1861-62
verfassten Aufsätzen "über physikalische Kraftlinien"
(dt. 1898) betont er, er habe sich in den früheren Vorlesungen
"der mechanischen Bilder bloss zur Erleichterung der Vorstellung,
nicht aber zur Angabe der Ursachen der Erscheinungen" bedient
(1898, S. 5 ), wie auch Thomsons Methode der mechanischen
Darstellung von 1847 "bloss die mathematische Analogie der beiden
Probleme", nämlich Magnetismus und Elektrizität, benutze,
"um beim Studium beider die Vorstellung zu erleichtern" (1898, S.
6).
Es sind diese
Aufsätze, worin Maxwell seine durch die oben erwähnte
dritte Abhandlung von Thomson angeregte (vgl. 1898, S. 74) "Theorie
der Molekularwirbel" entwickelte.
Kernpunkt ist das
"Medium", in welchem sich diese Wirbel wie Räder in einem
Mechanismus drehen. Damit sich diese gleichsinnig drehen,
braucht es "Zwischenräder". Also macht Maxwell "die Annahme,
dass sich eine Lage von Teilchen zwischen je zwei Wirbeln befindet,
welche wie Frictionsrollen wirken" (1898, S. 25, Zeichnung dazu S.
35).
Selbstkritisch bemerkt
er allerdings: Die "Vorstellung" von Friktionsteilchen "mag
einigermassen unbefriedigend scheinen. Ich will sie nicht als die
richtige Ansicht über das, was in der Natur existiert ...
angesehen wissen. Diese Art der Verbindung ist jedoch mechanisch
denkbar, leicht zu untersuchen und geeignet, die wirklichen
mechanischen Beziehungen zwischen den bekannten elektromagnetischen
Erscheinungen darzustellen" (1898, S. 50).
Maxwell hat also
einzig gezeigt, "in welcher Weise die elektromagnetischen
Erscheinungen durch die Fiction eines Systems von Molekularwirbeln
nachgeahmt werden können", ist sich aber bewusst: "Die
Tatsachen des Elektromagnetismus sind so kompliziert und
mannigfaltig, dass die Erklärung irgend einer Gruppe derselben
durch mehrere verschiedene Hypothesen von Interesse sein muss"
(1898, S. 52).
Soweit eine Skizze der
grundlegenden Ansichten. Ursachen der Begriffsverwirrung liegen nun
u. a. in folgendem: Zu Lebzeiten Maxwells erschien von ihm nur kurz
vor seinem Tod die "Theorie der Wärme" ("Heath", 1871) auf
deutsch, dafür gerade zweimal nach der 4. Auflage
übersetzt (von F. Auerbach; Breslau, 1877 und von F. Neesen;
Braunschweig: Vieweg, 1878).
Im Todesjahr 1879
erschien "Substanz und Bewegung" (engl. 1876), worin der
Modellbegriff zum zweitenmal vorkommt. 1883 erschienen das
"Lehrbuch" (engl. 1873) und "Die Elektrizität in elementarer
Behandlung" (engl. 1877), worin der Modellbegriff ebenfalls
auftaucht (1883, S. 46 u. S. 53).
Erst in den 90er
Jahren erschienen die beiden Schriften über die "Kraftlinien",
wobei in den Anmerkungen von Ludwig Boltzmann 1895 (S. 97-128) nur
die Begriffe "Bild" und "Analogie" vorkommen, 1898 (S. 85-146)
jedoch "mechanische Modelle" hinzutreten.
Dieselbe Inkonsequenz
findet sich bereits in Boltzmanns "Vorlesungen über Maxwells
Theorie der Elektricität und des Lichtes" (1891-93).
Immerhin hat er 1892
in seinem Aufsatz "über die Methoden der theoretischen Physik"
sehr schön die drei Typen von Modellen der damaligen Zeit
herausgearbeitet, von denen im "Katalog mathematischer und
mathematisch-physikalischer Modelle, Apparate und Instrumente" (Ed.
v. Walther Dyck, 1892) - in dem dieser Beitrag erstmals erschien -
eine Unmenge abgebildet sind:
1. Modelle für den
Unterricht in Mathematik und Physik wie geometrische
"Gipsformen, Modelle mit fixen und beweglichen Schnüren,
Schienen und Gelenken aller Art ... mechanische Modelle, optische
Wellenflächen, thermodynamische Flächen aus Gips,
Wellenmaschinen aller Art, Apparate zur Versinnlichung der Gesetze
der Lichtbrechung und anderer Naturgesetze";
2. Rechenmaschinen, die
"an Stelle des Menschen die Ausführung wirklicher
Rechnungsoperationen übernehmen, von den vier Species bis zu
den kompliziertesten Integrationen";
3. die Modelle der
theoretischen Physik (1892, S. 90f.).
Von letzteren war
bisher die Rede. "Alle diese mechanischen Modelle bestanden vorerst
freilich nur im Gedanken, es waren dynamische Illustrationen in der
Phantasie und sie konnten auch in dieser Allgemeinheit nicht
praktisch ausgeführt werden. Doch reizte ihre grosse Bedeutung
dazu an, wenigstens ihre Grundtypen auch praktisch zu
verwirklichen" (L. Boltzmann 1892, S. 97).
Vorangegangen sein
soll hier Maxwell selber. Ob er allerdings den von Boltzmann im
Cavendish Laboratory in Cambridge besichtigten Apparat selbst
gebaut hat, ist nicht ersichtlich (vgl. W. Dyck 1892, S. 405)
[19].
Das erste
Seilmodell als ,mechanical illustration of passage of
electricity" hat jedenfalls Oliver Lodge, einer der eifrigsten
Schüler Maxwells, 1876 beschrieben und wohl auch hergestellt
(s. die Abbildungen in W. Dyck 1892, S. 401 ff., O. Lodge 1896, S.
41 ff., ähnl. S. 96ff., 142ff., 427 f., 470ff.).
Das
hydraulische Modell der Leydener Flasche stammt wohl aus
späterer Zeit (Abbildungen bei W. Dyck 1892, S. 403, und O.
Lodge 1896, S. 67 u. S. 71 f.) [20]. Für das Jahr 1876
führt L. Boltzmann (1891, S. 140) in der
Literaturübersicht eine weitere Arbeit Lodges an: "Modell der
elektrischen Absorption" (vgl. dazu O. Lodge 1896, S.
338ff.).
Dass es nicht ganz
unberechtigt ist, bei diesen Bemühungen von geistigen
Spielereien zu sprechen, erhellt aus der Vielzahl von
Bemühungen, das Maxwellsche Äthermodell von 1861 zu
realisieren (A. Rosenblueth u. N. Wiener (1945, S. 318) bezeichnen
sie als "sterile and actually misleading").
G. F. Fitzgerald
konstruierte 1885 "ein System von Messingrädern mit massivem
Rand, die auf festen Achsen drehbar und durch Gummibänder
gekuppelt sind" (O. Lodge 1896, S. 324, vgl. W. Dyck 1892, S.
400f.).
Lodge selbst hat "eine
doppelte Serie von direkt in einander greifenden Rädern
vorgeschlagen" (1896, S. 325, zahlreiche Abbildungen dazu in Kap. X
und XI als "Mechanische Modelle", S. 224-270). Interessanterweise
ist dieses "System von Zahnrädern" bereits 1861 bei Maxwell
angedeutet: "Von unserem gegenwärtigen Gesichtspunkte aus
erscheint also die Beziehung eines elektrischen Stromes zu seinen
Kraftlinien analog der eines Zahnrades oder einer Zahnstange zu den
Rädern, in welche sie eingreift" (1898, S. 30).
Thematisiert hat den
Modellbegriff Fitzgerald seit seinen zwei Vorträgen 1885
(1902, S. 142-156; S. 157-162), worin er seine Konstruktionen
vorstellte. Als Terminus hat ihn jedoch im Jahr zuvor Thomson in
seinen legendären "Baltimore Lectures" eingeführt. Doch
ihr Druck war erst 1904 abgeschlossen [21]. Darin entwickelte er sein "rude" oder "crude mechanical
model" des "luminiferous aether" durch "supposition of spherical
shells": "This is the simplest mechanical representation we can
give of a molecule or an atom" (1904, S. 12 ff.,
104ff.).
Hernach löste er
ein fast dreissig Jahre altes Versprechen ein: "to make a model of
a solid having the 21 independent coefficients of Green's theory"
(1904, S. 125 mit Zeichnungen). Dann
beschreibt er ausführlich Modelle von "Vibratoren" (1904, S.
163ff.): Holzbalken, die mit Klaviersaiten verbunden und wie eine
Art Strickleiter an der Decke aufgehängt sind. Schliesslich
streift er auch das legendäre Beispiel der Gallerte ("jelly";
1904, S. 83ff.; vgl. dazu O. Lodge 1896, S. 18ff. und die Proteste
von G. F. Fitzgerald 1902, S. 153 f., 173) [22].
Was an technisch
realisierten Modellen vorführbar war, wurde im Herbst 1892 in
einer Ausstellung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung gezeigt.
Der Katalog dazu von W. Dyck (1892, S. 400ff.) gibt die
Beschreibungen der Modelle von Fitzgerald und Lodge sowie des
Norwegers C. A. Bjerknes, ferner von zwei Modellen aus Braunschweig
(M. Möller/ O. Günther) und des wohl ausgefeiltesten
Apparates, den Boltzmann kurz vorher ausgedacht hatte und hatte
ausführen lassen (vgl. auch G. H. Bryan 1903, S. 153-155; L.
Graetz 1908, S. 938 f.). Dies, weil auch bei ihm "mächtig der
Drang nach realer Existenz" gewirkt hatte (L. Boltzmann, 1891, S.
45).
Die ersten
deutschsprachigen Modell-Titel in diesem Rahmen, die auch
Zeichnungen enthalten, finden sich bei H. Ebert (1893; vgl. L.
Graetz 1908, S. 939f.) und Arthur Korn (1897).
Ebenfalls mit
mechanischen Darstellungen befassten sich anfangs der neunziger
Jahre A. Sommerfeld, R. Reiff und W. Voigt. Die
ausführlichsten Übersichten über verschiedene
mechanische Modelle mit Zeichnungen bieten neben W. Dyck O. Lodge
(1896) und H. Ebert (1905).
Bemerkenswert ist
wiederum, dass zu dieser Zeit auch im Schulunterricht sich
solche Modelle einer weiten Verbreitung erfreuten [23].
Dieser Rückgang
ad fontes hat sich aufgedrängt, weil man von ihnen in der
Sekundärliteratur (z. B. R. Seeliger 1948; M. Jammer 1965; V.
A. Stoff 1969) kaum etwas findet. Er mag die dort gegebenen
Ausführungen illustrieren und verständlicher
machen.
2.9 Anschauliche
Modelle in Mathematik und Chemie
Dass diese Bemühungen nicht auf
den Bereich der Physik beschränkt blieben, muss ebenfalls
angemerkt werden.
Immerhin erwähnt M. Jammer (1965,
S. 170), dass sich schon Daniel Bernoulli, Fresnel und Riemann nie
zufrieden gegeben hätten ohne das, was Gauss "construierbare
Vorstellungen" nannte, und R. Seeliger (1948, S. 135, 126)
erwähnt, dass Felix Klein von der "Veranschaulichung der
komplexen Abbildungen durch Strömungsbilder" ausgegangen sei
(vgl. F. Klein 1923, S. 478 f., 484-497), wobei er das von
Henri Poincaré gegebene Beispiel nachzeichnet: "Er studiert
eine der allerabstraktesten Fragen der Funktionentheorie ... Was
macht der berühmte deutsche Geometer? Er ersetzt seine
Riemannsche Fläche durch eine Metallfläche, deren
elektrische Leitungsfähigkeit nach bestimmten Gesetzen
variiert. Er verbindet zwei ihrer Punkte mit den zwei Polen einer
elektrischen Säule. Er sagt sich, dass der Strom hindurchgehen
muss, und dass die Art, in der er sich über die Fläche
verteilt, eine Funktion definiert, deren Singularitäten genau
die durch das Problem geforderten sind" (H. Poincaré 1906,
S. 9).
Wie R. Seeliger
richtig bemerkt, hat sich Klein (vgl. 1923, S. 516ff.) dies im
Jahre 1882 nur gedacht - und zwar in Anlehnung an die
grundlegenden Erörterungen von Kirchhoff, 1845, sowie an
Maxwells "Treatise" -, aber ein Jahr später geschrieben (1923,
S. 649), er habe dieses "Experiment" als realisierbar
vorausgesetzt. Da kürzlich Niveaukurven des logarithmischen
Potentials auf physikalischem Wege realisiert worden seien, gelinge
es den Physikern vielleicht auch, seine von ihm erzeugten
Kurvensysteme "experimentell herzustellen und dadurch dem
näheren Studium zugänglich zu machen" (vgl. auch 1923, S.
507).
Eine analoge
Erscheinung zu Thomson ist in der Chemie Friedrich August
Kekulé. Seine Visionen im Halbschlaf über die tanzenden
Atome, die sich zuerst zu einer offenen Kette gruppierten,
später zu einer Schlange, die sich in den Schwanz beisst, sind
Legende geworden. Es ging also um die Lagerung der Atome im
Raum.
Die graphische
Darstellung durch die Strukturformel mit den Valenzstrichen hatte
der Schotte Archibald Couper 1858 eingeführt, und drei Jahre
später prägte A. Butlerow den Begriff "chemische
Struktur". Das war der erste Schritt.
Wie Kekulé in
seinem "Lehrbuch der Organischen Chemie" (I, 1861, S. 157 f.)
bemerkte, ist es aber einleuchtend, "dass man die Stellung der
Atome im Raum, selbst wenn man sie erforscht hätte, nicht auf
der Ebene des Papiers durch nebeneinandergesetzte Buchstaben
darstellen kann; dass man vielmehr dazu mindestens einer
perspectivischen Zeichnung oder eines Modelles bedarf". Daran hat Kekulé gearbeitet, und er war nach L. Horner (1965, S. 240)
"wohl der erste, der aus einem ,unwiderstehlichen Bedürfnis
nach Anschaulichkeit' heraus aus Kugeln und Drähten Atom- und
Molekülmodelle aufbaute".
Die vollen praktischen
und theoretischen Konsequenzen aus der Vierwertigkeit des
Kohlenstoffatoms zog aber - basierend auf Arbeiten von Pasteur und
Wislicenius über optisch aktive Substanzen, welche bei
völliger chemischer Identität die Ebene polarisierten
Lichts unterschiedlich drehen (geometrische Isomere) - der
Holländer Jacobus Hendricus van't Hoff 1874. Einige Monate
später kam der Franzose Joseph Achille Le Bel zum gleichen
Schluss.
Eine Weile lang tat
man dies als "Verirrung des Geistes" oder "Phantasiespielereien"
ab. Doch die "Stereochemie" bewährte sich, und 1885 bzw. 1890
konnten A. v. Baeyer und H. Sachse mit Hilfe tetraedrisch gebauter
Drahtmodelle neue Einsichten erschliessen und durch Experimente
überprüfen.
Das von H. A. Stuart
1934 eingeführte Kalottenmodell (L. Horner 1965, S. 242)
erinnert an eine Photographie (!), die einem Vortrag von Thomson
aus dem Jahre 1893 über "the molecular tactics of a crystal"
beigegeben ist (1904, Appendix H, S. 602ff.): "You see it looks, in
size, colour, and shape, quite like a mulberry."
Was den Modellbegriff
im deutschen Sprachgebiet anlangt, so hatten ihn auch die
Mathematiker schon lange verwendet (vgl. Chr. Wolff 1734; J.
H. Zedler 1739; J. K. G. Jacobsson 1783; ferner den ersten Modelltyp
im Aufsatz von L. Boltzmann 1892, S. 90f. und die vielen Beispiele
im Katalog von W. Dyck 1892, S. 168-179, 243-306 et
passim).
Am 30. Juni 1862
zeigte E. Kummer ein "in Gyps gegossenes Modell der
Krümmungsmittelpunktsfläche des dreiaxigen Ellipsoids" in
der Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse der
Königlichen Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
(Monatsberichte derselben, S. 426-428).
Auch Julius
Plücker († 1868; vgl. 1895 u. 1896) hat, wie sein ehemaliger
Assistent Felix Klein (W. Dyck 1892, S. 283 f.) berichtet, in den
letzten Jahren seines Lebens, und zwar angeregt durch Faraday,
zahlreiche auf die Theorie der Linienkomplexe zweiten Grades
bezügliche Modelle anfertigen lassen [24].
2.10 Äquivalente
Abbildung von Zuständen beliebiger Systeme
Anders verwandte Ernst
Mach in seiner "Mechanik in ihrer Entwicklung" (1883, S. 463 f.)
den Modellbegriff, wenn er meint: "Die Atomtheorie hat in der
Physik eine ähnliche Funktion, wie gewisse mathematische
Hülfsvorstellungen, sie ist ein mathematisches Modell
zur Darstellung der Thatsachen."
Und er erläutert:
"Wenn man auch die Schwingungen durch Sinusformeln, die
Abkühlungsvorgänge durch Exponenzielle, die
Fallräume durch Quadrate der Zeiten darstellt, so denkt doch
niemand daran, dass die Schwingung an sich mit einer Winkel-
oder Kreisfunction, der Fall an sich mit dem Quadriren etwas zu
schaffen hat."
Nachdem Boltzmann 1891
den Modellbegriff für ideale Konstruktionen zur
Veranschaulichung von Gleichungen eingeführt hatte [25],
sprach er im 2. Band 1893 nur noch von "Bild". Die praktische
Ausführung bezeichnet er konsequent als "Apparat". Das ist
auch im Nürnberger Katalog der Fall, doch nennt er hier den
Maxwellschen Vorläufer "Modell" (1892, S. 405) und verwendet
diesen Begriff in seinem Aufsatz (1892, S. 97) für analoge
Bestrebungen.
Das ist also die
Nahtstelle, wo sich der doppelte angelsächsische
Sprachgebrauch Einlass in die deutsche Sprache verschafft hat.
Grundlegend ist jedenfalls die Repräsentationsfunktion
des Modells, sei es nun ideal oder (sekundär)
real. Es verweist so oder so, und zwar als "Fiktion" oder
Entwurf, auf Ausschnitte der Welt, auf physikalische
Erscheinungen.
In aller Klarheit hat
das Heinrich Hertz im Kapitel "Dynamische Modelle" seiner
"Prinzipien der Mechanik" dargelegt, womit er 1894 den
Modellbegriff explizit in die deutsche Fachsprache der
Naturwissenschaft eingebracht hat.
Er stützt sich
auf Theorie und Terminologie Maxwells, insbesondere dessen Schrift
"Substanz und Bewegung" (dt. 1879). Hiernach dient ein
Modell der dreidimensionalen Darstellung der "Configuration
materieller Systeme", und es wird von ihm nur vorausgesetzt, "dass
es dem materiellen Systeme in der Form gleiche, es ist nicht
notwendig, dass es sonst noch etwas mit ihm gemeinsam habe" (1879,
S. 3).
Es erlaubt aber,
Eigenschaften eines materiellen Systems zu studieren.
Dass es eine Mehrzahl von solchen
Darstellungsmöglichkeiten gibt, lehrt nicht nur die
Geschichte, sondern auch Maxwell, wenn er im "Treatise" (1873, §
831, S. 416f.) über seine Theorie der Friktionsteilchen als
Verbindung der rotierenden Wirbel schreibt: "The attempt which I
then made to imagine a working model of this mechanism must be
taken for no more than it really is, a demonstration that mechanism
may be imagined capable of producing a connexion mechanically
equivalent to the actual connexion of the parts of the
electromagnetic field.
The problem of
determining the mechanism required to establish a given species of
connexion between the motions of the parts of a system always
admits of an infinite number of solutions. Of these, some may be
more clumsy or more complex than others. but all must satisfy the
conditions of mechanism in general."
Deshalb betonte auch
H. Poincaré (1891, S. 2 u. 6): "Maxwell gibt nicht eine
mechanische Erklärung der Elektricität und des
Magnetismus; er beschränkt sich vielmehr darauf, nachzuweisen,
dass solch' eine Erklärung möglich ist ... Wenn also eine
Erscheinung eine vollständige mechanische Erklärung
zulässt, so wird sie auch noch eine unbeschränkte Anzahl
anderer Erklärungen zulassen, welche ebensogut von allen durch
das Experiment enthüllten Einzelheiten Rechenschaft ablegen"
(ebenso 1904, S. 215 u. 222).
So konnte also Hertz
formulieren: "Unendlich viele, physikalisch gänzlich
verschiedene Systeme können Modelle eines und desselben
Systems sein. Ein System ist Modell unendlich vieler, gänzlich
verschiedener Systeme" (1894, S. 197).
"Um den Ablauf der
natürlichen Bewegung eines materiellen Systems vorauszusehen,
genügt die Kenntnis eines Modells jenes Systems. Das Modell
kann unter Umständen viel einfacher sein, als das System,
dessen Bewegungen es darstellt" (1894, S. 198).
"Das Verhältnis
eines dynamischen Modells zu dem System, als dessen Modell es
betrachtet wird, ist dasselbe, wie das Verhältnis der Bilder,
welche sich unser Geist von den Dingen bildet, zu diesen Dingen.
Betrachten wir nämlich den Zustand des Modells als eine
Abbildung des Zustandes des Systems, so sind die Folgen der
Abbildung, welche nach den Gesetzen dieser Abbildung eintreten
müssen, zugleich die Abbildung der Folgen, welche sich an dem
ursprünglichen Gegenstand nach den Gesetzen dieses
ursprünglichen Gegenstandes entwickeln müssen" (1894, S.
199).
Dahinter steckt also
das Grundprinzip der Gewinnung von Erfahrung, welches Hertz in der
Einleitung wie folgt beschrieben hat: "Wir machen uns innere
Scheinbilder oder Symbole der äusseren Gegenstände, und
zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen
Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den
naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände" (1894,
S. 1) [26].
Zu beachten ist, dass
Modell hierbei nicht einfach mit Abbildung verwechselt werden darf.
"Modell" ist hier ein terminus technicus, und zwar insofern als die
Relation "Modell sein" symmetrisch und transitiv ist.
In der Formulierung von Hertz: "Ist ein System Modell eines zweiten
Systems, so ist auch umgekehrt das zweite System Modell des ersten.
Sind zwei Systeme Modelle eines dritten, so sind sie auch Modelle
von einander. Das Modell des Modells eines Systems ist auch Modell
des ursprünglichen Systems. Alle Systeme, welche Modelle von
einander sind, heissen auch dynamisch ähnlich" (1894, S.
197).
Äusserst
scharfsinnig unterscheidet somit Hertz zwei Ebenen: Abgebildet
werden nur Zustände von Systemen. Modelle haben dagegen
Systemcharakter, bilden also eine Ganzheit von Zusammenhängen,
entweder im Reich des Geistes oder im Reich der Natur. Und einzig
um diese Zusammenhänge im einen oder andern Bereich geht es,
denn wie Maxwell zur verständigen Anwendung von Analogien (sc.
Modellen) betont: "Die Ähnlichkeit ist nur eine
Ähnlichkeit von Beziehungen, nicht eine Ähnlichkeit der
in Beziehung stehenden Dinge" (1883, S. 54).
Wenig bekannt sein
dürfte, dass Ludwig Wittgenstein Hertz sehr genau studiert
hat. In seinem im Ersten Weltkrieg verfassten "Tractatus
logico-philosophicus" ist Hertz einer der wenigen dort genannten
Wissenschafter und Philosophen, und unter 4.04 weist er sogar auf
das Kapitel "Dynamische Modelle" in Hertz' Mechanik hin (vgl. auch
6.361).
Einige Kernsätze
des Wittgensteinschen Tractatus (1969) lauten:
"1.13 Die Tatsachen im logischen
Raum sind die Welt.
2.063 Die gesamte Wirklichkeit ist die
Welt.
2.1 Wir
machen uns Bilder der Tatsachen.
2.12 Das Bild ist ein
Modell der Wirklichkeit.
2.182 Jedes Bild ist auch ein
logisches.
3
Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
3.1 Im Satz
drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus.
4
Der
Gedanke ist der sinnvolle Satz.
4.01 Der Satz ist ein
Bild der Wirklichkeit.
Der Satz ist ein
Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken."
2.11 Isomorphie,
Ähnlichkeit, Analogie und Äquivalenz
Wittgenstein als Isomorphietheoretiker
hat in zahlreichen Abhandlungen Wolfgang Stegmüller
herausgestellt, u. a. in der umfangreichen und vielfältigen
Übersicht der "Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie"
(1965, S. 524-561). Wichtig dafür sind auch Kap. VI und VII in
Erik Stenius' "Wittgensteins Traktat" (1969) [27].
Der
Isomorphiebegriff wird in ganz unterschiedlichen
Wissenschaften verwendet. In der Chemie entdeckte Eilhard
Mitscherlich 1818 den Isomorphismus als Gestaltgleichheit bei
Kristallen (vgl. z. B. G. Link 1923; "Eilhard Mitscherlich und die Isomorphie". Abhandlungen und Berichte des Deutschen Museums
1973).
Über den
Isomorphiebegriff in der Mathematik und in der Psychologie geben H.
G. Steiner und W. Witte (in J. Ritter und K. Gründer IV, 1976,
Sp. 627-630) detaillierte Aufschlüsse: Für die
Mathematik wird auf die "Isomorphismen" bei Camille Jordan,
1870, und Felix Klein, 1884, auf die "Ähnlichkeit" bei S. Lie,
1876, und Georg Cantor - 1884, 1886; ähnlich, conform,
Ordnungszahl -, auf die "abstrakten Gruppen" bei H. Weber, 1893,
sowie auf den 2. Band der "Principia Mathematica" von Bertrand
Russell und Alfred North Whitehead, 1913, Neudruck 1968,
hingewiesen.
Allerdings verwendeten
die letzteren Autoren den Begriff Isomorphie nicht. Russell sprach
von "ordinal similarity" und "likeness". Laut Max Apel und Peter
Ludz (1958, S. 150) ist in der Logistik "Isomorphie oder ordinale
Ähnlichkeit (simple ordinality) die besonders von B. Russell
entwickelte Theorie von der Identität zweier formaler
Strukturen, die nur in ihren formalen Qualitäten ähnlich
(und identisch) sind".
Die
psychophysische Isomorphie wurde von Wolfgang Köhler
(1924) postuliert, als Begriff taucht sie erst 1929 in seinem Werk
"Gestalt Psychology" (dt. "Psychologische Probleme", 1933) auf.
1938 handelt dann eines der zehn Kapitel seines Buches "The Place
of Value in a World of Facts" (dt. "Werte und Tatsachen", 1968)
über Isomorphie. Die Sache
lässt sich freilich schon in Ansätzen bei Lotze, 1852,
Fechner, 1860, Mach, 1865, Hering, 1878, G. E. Müller, 1896,
und Wertheimer, 1912, nachweisen.
Noch weiter
zurück geht Georg Klaus (in G. Klaus und M. Buhr 1972, S.
542): "Leibniz hat die Bedeutung der Isomorphierelation für
die Erkenntnistheorie erkannt ( Dialog über die
Verknüpfung zwischen Dingen und Worten). Die Abbildung eines
Bereichs der Wirklichkeit auf Begriffe, Aussagen, Theorien ist
letztlich nichts anderes als die Herstellung einer
Isomorphierelation ... Vermöge einer solchen
Isomorphierelation kann dann im Prozess der Erkenntnis u. U. die
praktisch-konkrete Bearbeitung und Handhabung der Dinge und ihrer
Beziehungen durch das gedankliche Operieren mit den Namen der Dinge
und ihren logischen Beziehungen ersetzt werden."
Auch Hermann Weyl
(1927, S. 4ff.) nimmt mehrfach auf Leibniz Bezug. Im Kapitel
über die "axiomatische Methode" erläutert er die
"Modellmethode ". Mit ihr kann der Mathematiker die
Widerspruchslosigkeit eines Axiomensystems auf diejenige eines
anderen zurückführen. Für die Obersetzung von
Namen für Objekte und Relationen des einen in Namen
für das andere System erstellt er ein "Lexikon".
So hat etwa Felix
Klein ein euklidisches Modell für die nicht-euklidische
Geometrie angeben können: "die Objekte der euklidischen
Geometrie selber erfüllen bei einer von der üblichen
abweichenden Namengebung die nicht-euklidischen Axiome" (S. 19).
Dabei braucht man nicht über die zur Konstruktion des Modells
benutzten Objekte und Relationen die Wahrheit zu wissen, ist doch
ein Axiomensystem nur eine "logische Leerform möglicher
Wissenschaften" (S. 21). Erst wenn für die Namen der
Grundbegriffe eine Bedeutung ausgewiesen ist, werden die
Axiome zu wahren Aussagen.
Dieser Vorgang ist die
"inhaltliche Interpretation" des Systems, welche das
Sachgebiet einer Wissenschaft ergibt. Nun kann eine
Wissenschaft ihr Sachgebiet immer nur bis auf eine isomorphe
Abbildung festlegen (vgl. auch S. 58, 85, 90). Das heisst, sie
verhält sich dem "Wesen" ihrer Objekte gegenüber
indifferent: Wir können die "Dinge an sich" gar nie erkennen,
wissen aber zufolge der postulierten Isomorphie über sie genau
soviel wie über die Erscheinungen, die der Anschauung
offen daliegen (vgl. S. 49, 83ff.). Denn nichts kann über die
Objekte des einen Bereichs ausgesagt werden, was nicht auch im
anderen Bereich gültig wäre (S. 21).
Da nun unser Schauen
"nicht selige Ruhe in sich" ist, sondern zur Erkenntnis
drängt, beschreiben wir die Erscheinungen immer wieder mit
anderen bedeutungsvollen Namen. Findet dies im Rahmen eines Lind
desselben, und zwar widerspruchsfreien Axiomensystems statt, dann
haben wir verschiedene inhaltliche Interpretationen desselben, und
alle sind, von der reinen Mathematik aus gesehen, wahr.
Im Lichte dieser
strengen Betrachtungsweise gehört "Modell" demnach allein dem
Bereich der Logik (und damit der Widerspruchsfreiheit) an,
"Isomorphie" dagegen dem Bereich der Sachen (der inhaltlichen
Interpretation).
Die somit "für
die ganze Erkenntnistheorie fundamentale Idee der Isomorphie"
(S. 21) wurde auch in die Kvbernetik und
Systemwissenschaft übernommen (vgl. z. B. das 1945
verfasste 3. Kap. in L. v. Bertalanffy: "General System Theory",
1973). Sollen zwei oder mehr Systeme hinsichtlich ihrer Struktur
verglichen werden, so versucht man eine Äquivalenz-Relation im
Sinne einer Abbildung der Struktur des einen Systems auf ein
anderes zu eruieren. Ist eine solche Abbildung eindeutig (d.h. nur
in eine Richtung vollständig möglich), so spricht man von
Homomorphie, ist sie umkehrbareindeutig oder ein-eindeutig
(d.h. ohne "Verlust" in beide Richtungen möglich), von
Isomorphie.
W. Ross Ashby
beschreibt dies noch präziser:
1. "Die kanonischen
Darstellungen von zwei Maschinen (oder Black-Boxes, d. h. von zwei
Sachen, die sich genau so verhalten wie eine geschlossene
eindeutige Transformation R. M.) sind isomorph, wenn eine
umkehrbar-eindeutige Transformation von den Zuständen (Eingang
und Ausgang) der einen Maschine zu denen der anderen Maschine die
eine Darstellung in die andere umwandeln kann" (1974, S.
148).
Das bedeutet:
Unterscheiden sich zwei Systeme nur im Hinblick auf die Art ihrer
Elemente (z. B. Zustände, Variablen), nicht aber in der
Anzahl der Elemente und in der Art und Weise der Verknüpfung,
so sind sie isomorph.
2. "Wenn zwei
Maschinen so zueinander in Beziehung stehen, dass sich eine
nicht-umkehrbar-eindeutige Transformation finden lässt, die,
wenn man sie auf eine der Maschinen anwendet, diese mit der anderen
isomorph werden lässt, dann ist die andere (die einfachere der
beiden) ein Homomorphismus der ersten" (S. 157 f., im Druck
sind hier einige Seiten vertauscht worden).
Das bedeutet: Zwei
Systeme sind homomorph, wenn sie einander gleich (isomorph) werden,
sobald das eine (ev. auch beide) vereinfacht wird, d.h. nicht mit
voller Unterscheidungsfähigkeit betrachtet wird.
Bei der Homomorphie
kommt es somit auf die Blickrichtung an, die bei der
Isomorphie nicht von Belang ist. Wenn wir vom einfacheren System
(meist als Modell gefasst) auf das komplexere blicken, müssen
wir dieses komplexere System vereinfachen.
Das kann auf zwei
Weisen geschehen: Entweder greifen wir ein Teilsystem heraus, oder
aber wir fassen bestimmte Elemente (z. B. Zustände) und
Relationen (z. B. Transformationen) zusammen, vermindern also ihre
Anzahl. Dann können wir, vom einfacheren Modell auf das
Teilsystem oder die reduzierte Darstellung des Gesamtsystems
schauend, herauszufinden versuchen, ob sie isomorph
sind.
Dieses Sachverhalts
muss man sich in der Forschungspraxis bewusst sein, wenn man von
Isomorphie spricht, sintemal man im allgemeinen Modelle
eines zu untersuchenden Originals erstellt (S. 158-164).
Diese Modelle sind
meistens, jedenfalls sofern es sich um hochkomplexe Originale
(Systeme) handelt, nur einem Teilsystem oder einer Vereinfachung
des "Ganzen" isomorph (und überdies wird es auch selten in
sämtlichen Einzelheiten betrachtet). Das heisst, wir erfassen
die Wirklichkeit nie vollständig.
Man sagt auch, es gibt
zwar eine inverse Abbildung vom Nachbereich auf den Vorbereich,
doch der Vorbereich deckt nicht das Original in seiner ganzen
Komplexität ab. Das bedeutet: Wir erfassen die Wirklichkeit
selektiv, aspekthaft und niveaubedingt.
Die Aufgabe des
Wissenschafters besteht somit darin, Entdeckungen verschiedener
Beobachter zu koordinieren, sorgfältig ausgewählte
Teilansichten miteinander zu verbinden. Für den Praktiker
dagegen genügt jedoch meist die Verwendung eines
Homomorphismus zur Lösung seines spezifischen Problems. Denn
auch Teilerkenntnisse, wie sie Homomorphismen liefern, sind in
sich selbst vollständig und für praktische Vorhaben
ausreichend, auch wenn sie vom "Ganzen" nur Bruchteile erfassen (S.
154f.).
Trotz Verwendung des
Begriffs "Struktur" lässt sich freilich mit Hilfe von
Isomorphien nicht der innere Aufbau des Originals
festlegen. Das Original bleibt weitgehend eine Black-Box, ein
schwarzer Kasten. Isomorphie gibt uns nur gleiche
Verhaltens-Strukturen von Modell und (reduziertem)
Original.
Durch welche und
wieviele spezifischen Verbindungen (z. B. Schaltungen, Netze)
innerhalb des Originals dieses Verhalten zustande kommt, kann nicht
ermittelt werden (S. 141 f.). Freilich ist in manchen Fällen
durch die Strukturanalyse ein gewisses Grundschema als mehr oder
weniger begründete Hypothese auszumachen, das seinerseits als
Modell ein Homomorphismus des untersuchten Verknüpfungsaufbaus
ist. (Manche Autoren sprechen dabei von
Funktionsanalogie.)
Es gibt kaum ein
Thema, bei dem um Platons "Timaios" herumzukommen wäre. Daher
ist er auch in Zusammenhang der mit diesen Erörterungen
unweigerlich auftauchenden Fragen von "Ähnlichkeit" und
"Analogie" zu konsultieren.
Dass die Abbildung zum
Urbild im Verhältnis der Ähnlichkeit steht, findet
sich 30Cff. Demgegenüber ist freilich "Parmenides" (131A,
132Dff.) zu beachten.
Die Verbindung zur
"Anamnesis" bringen "Menon" (81 ff.), "Phaidon" (73ff.) und
"Phaidros" (249ff.).
Ähnlichkeit als
Grundbegriff taucht im "Theätet" (185C) auf, bei Aristoteles
dann in der "Metaphysik" (V 15, 1021 a 9 ff). Definiert wird sie
daselbst V 9, 1018a 15 ff.
Eine andere Art von
Ähnlichkeit findet sich schliesslich bei der Erzeugung
(genesis) natürlicher Dinge ("Metaphysik" VII 8, 1033b 29 ff.;
"De anima" II 4, 415a 26 ff.).
Ähnlichkeit wurde
dann zu einem wichtigen Begriff in der Scholastik und vor allem bei
Thomas von Aquin (similitudo).
Das 1796 von Samuel
Hahnemann formulierte Ähnlichkeitsgesetz
begründete in der Medizin die
Homöopathie.
Die
Ähnlichkeitstheorie der Strömungslehre (z. B. M.
Weber 1919, 1930; W. Herrmann 1930; P. Füsgen 1939;
Dimensionsanalyse zur Auffindung von Kennzahlen) geht auf
Formulierungen des Ähnlichkeitsgesetzes durch Helmholtz, 1873,
1882, 1889, zurück. Sogenannte "Modellregeln" für diesen
Bereich stammen u. a. von Cauchy, 1829, Bertrand, 1847 u. 1848,
Froude, 1869 ff., und Reynolds, 1883.
Lehren von der
Ähnlichkeit gibt es auch in der Geometrie und
Optik, in der Biologie (Homologie und Analogie;
letztere erfuhr ihre erste Definition durch Richard Owen 1846, vgl.
"On the Archetype and Homologie of the Vertebrate Skeleton" 1848)
und in der Sprachwissenschaft.
Grundsätzliches
bei Theodor Lipps ("Einheiten und Relationen" 1902); Ernst Mach
("Die Ähnlichkeit und die Analogie als Leitmotive der
Forschung", Annalen der Naturphilosophie I, 1902); Harald
Höffding (1911 ); Irmgard Vogt ("Zur Psychologie der
Ähnlichkeit" 1972); und in den Aufsätzen zu Analogie und
Ähnlichkeit in Heft 11 des "Studium Generale",
1955.
Was die
"Analogie" betrifft, so sei wiederum auf Platon ("Timaios"
31 B ff., 53E, 56C) und Aristoteles ("Metaphysik" V 6, 1016b 31
ff.; "Nikomachische Ethik" V 6, 1131a 31; "Analytica priora" II 24
- und zwar das Verfahren als "paradeigmä ") hingewiesen,
ferner auf Archytas von Tarent (Fr. 2) und Euklid ("Elemente" V, in
Anlehnung an Eudoxos von Knidos; und VII, zurückgehend auf die
Pythagoräer).
Aus der Fülle der
Literatur J. Hoppe ("Die Analogie" 1873), L. William Stern ("Die
Analogie im volkstümlichen Denken" 1893), Harald Höffding
(1911; 1924), S. Buchanan (1932), Erich Przywara ("Analogia entis"
1932), H. Schwarz (1971) und Harald Holz (1973); vgl. auch T.
Pavlov (1973).
"Äquivalenz" schliesslich
findet sich zuerst in der Physik bei der Energieumwandlung (Robert
Mayer, 1842), in der Elektrotechnik, Chemie und Optik, aber auch in
der Mathematik, insbesondere der Mengenlehre (wiederum Cantor, 1886
- vgl. auch Freges "eindeutige Zuordnung", 1884) und der Logik
(eingeführt durch Hugh McColl, 1877-78, Giuseppe Peano, 1889;
ferner bei C.S. Peirce, "Collected Papers" IV, 213 und
Russell/Whitehead, "Principia Mathematica", 4.01 sowie z. B. Gerald
A. Sanders, "Equational grammar". 1972).
Narziss Ach hat in die
Psychologie das "Prinzip des assoziativen Äquivalents"
eingeführt.
Weitere Begriffe in
diesem fast unausschöpfbaren Bereich der Beziehungen
können nur benannt werden:
Affinität,
Assoziation und Verwandtschaft;
Adäquation,
Entsprechung, Kongruenz, Korrespondenz und
Übereinstimmung;
Repräsentation,
Substitution, Äquipollenz und Stellvertretung;
Zuordnung,
Transformation und Code;
Korrelat und
Kopie;
Belegung,
Erfüllung, Sättigung, Darstellung, Konkretion,
Abstraktion, Realisierung, Interpretation,
Formalisierung;
schliesslich in einem
weiteren Zusammenhang Verifikation, Bestätigung,
Bewährung, Rückführung, Validierung,
Begründung, Beweis.
3.
Von dem Bewusstsein davon, dass wir in Modellen denken
3.1 Von der
Abbildtheorie zur kybernetischen Betrachtung
Soviel zur Geschichte
des Modellbegriffs. Wie steht es nun aber mit dem "Bewusstsein
davon", dass der Mensch in Modellen oder Bildern, Zeichen,
Symbolen, Analogien denkt?
Einen Markstein setzt
hier wohl Xenophanes. Er karikiert die anthropomorphe Vorstellung
von den Göttern und fährt fort: "Doch wenn die Ochsen und
Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten
mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so
würden die Rosse rossähnliche, die Ochsen
ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche
Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form
hätte" (Fr. 15).
Darüber hinaus hat er das
Hauptprinzip der Modellierung entdeckt: "Wahrlich nicht von Anfang
an haben die Götter den Sterblichen alles enthüllt,
sondern allmählich finden sie suchend das Bessere" (Fr. 18).
Aber es bleibt dabei: "Schein haftet an allein" (lt. Diels) resp.
"Wähnen nur ist uns beschieden" (lt. Capelle, Fr. 34).
Die Porentheorie
seines Schülers Empedokles führt dann bereits einen
Schritt auf die Abbildtheorie [28]weiter: Von den
Gegenständen gehen "Ausflüsse" (aporroai) aus, die in die
Sinnesorgane eindringen und dort, zusammen mit gleichartigen
Partikeln (homoion-Lehre), die Wahrnehmung erzeugen.
Bei den Atomisten
(Leukipp, Demokrit) und Epikur sind es "Bildchen" (eidola, typoi),
die ins Auge eindringen und hier Spiegelbilder der gesehenen
Gegenstände erzeugen.
Bei Platon kommt ein
anderer Modellierungsvorgang ins Spiel. Die Körper, die
sinnlichen Gegenstände sind ihm Abbilder (eidola) oder
Nachbilder (mimemata, ektypomata) der unkörperlichen Ideen
(als Urbilder, paradeigmata, oder Erstgeprägte, Prototypen).
Die physikalische Welt ist ein Bild (eikon) der Welt der Ideen (to
on). Diese Ideen sind ferner geistig (als noumena)
fassbar.
Unter Verzicht sowohl
auf die Ideenlehre wie die Zustrom-Theorien fasst dann Aristoteles
die in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen als Abbilder der
Dinge (homoiomata).
Wie genau diese
Vorstellungen den Sachen entsprechen, wurde Gegenstand der
Wahrheitslehre, später insbesondere geprägt durch
die Formel "veritas est adaequatio rei et intellectus" des Thomas
von Aquin. Freilich verwendet er statt "Übereinstimmung"
(adaequatio, gr. homoiosis) auch correspondentia (Entsprechung) und
convenientia (Übereinkunft: bei Cicero Übersetzung von
homologia).
Aus philosophischen
Gründen bestreitet Nicolaus von Cusa die Möglichkeit
einer strengen Gleichheit bei anderen als rein rationalen
Beziehungen und beschränkt sich auf eine fortwährend
verbesserungsfähige adäquatio (J. E. Hofmann 1951, S.
154).
Wenn wir uns wieder zu
dem Bewusstsein, dass wir in Modellen denken, zurückwenden, so
liegt die Erwähnung Francis Bacons nahe.
Ähnlich wie
Xenophanes karikiert er in seiner Idolenlehre ("Novum Organon",
1620) die fälschen Vorstellungen oder Begriffe, die
sich die Menschen machen. Er unterschied "vier Arten von
Vorurteilsgötzen, die im Besitze des menschlichen Gemüts
sind" und kritisiert z. B. "jenes Vorgeben, dass sich die
himmlischen Körper sämtlich in vollkommenen Zirkeln
bewegen, mit gänzlicher Verwerfung der Schlangen- und
Spirallinien, fast bis auf den Namen. Eben deshalb hat man das
Feuer mit seinem Kreise als Element eingeführt, um mit den
Übrigen dreien, welche in die Sinne fallen, die. Zahl Vier
voll zu machen. Nicht weniger willkürlich legt man den
Elementen, wie man sie nennt, ein zehnfach steigendes
Verhältnis zu einander in Absicht ihrer Feinheit bei, und
dergleichen Träume mehr" [29].
Was Bacon freilich
noch nicht erkannt hat, ist der Tatbestand, dass man auch durch die
Verwendung der in seinen Augen "richtigen Methode", nämlich
Induktion aus Beobachtung und Experiment, zu Modellen
gelangt.
Da sieht Comenius
klarer, wenn er in seiner böhmischen "Didaktik" folgende
Schilderung des Modellierungsprozesses gibt: "Die rechte
Vollzugsweise des ersten (sc. des Kennenlernens der Werke Gottes)
kann man leicht am Beispiel des Spiegels, der Augen und der
Malkunst nachweisen. Denn alles geschieht ja hier als
Widerspiegelung und Abbildung.
Gott z. B. hat seine
mannigfaltige Weisheit in seinen Geschöpfen, in der Heiligen
Schrift und in seinem Sohn dargestellt; die Geschöpfe wiederum
stellen sich dar in den Sinnen, Augen, Ohren, Nasen usw. durch das
Berühren, das Betrachten etc. Aus den Sinnen wechseln die
Abbildungen ins Gehirn über, wo der Geist sie betrachtet und
sich an ihnen labt. Die Wiedergabe dessen, was derart im Gehirn (im
Geist) ist, ist das ausgesprochene Wort; das Bild des gesprochenen
Wortes hinwiederum ist (las geschriebene Wort oder irgendein aus
dem Gedächtnis hergestelltes Werk" (J. A. Comenius 1970, S.
85f.).
Merkwürdigerweise
hat Comenius diese Fussnote aus dem XIII. Kapitel nicht in die
.,Grosse Didaktik" übernommen, die sonst im wesentlichen
denselben Aufbau und Inhalt wie die "böhmische"
aufweist.
Diese Bildtheorie hat
sich auch im "Orbis pictus" (1658) niedergeschlagen, der
seinerseits inspiriert worden ist von Campanellas "Sonnenstaat".
Die Wirkung war rasch und nachhaltig.
Weit weniger schnell
hat sich dagegen das sozusagen kybernetische Modell aus
David Humes "Untersuchungen über den menschlichen Verstand"
(1748) durchgesetzt. Erst Mach knüpfte an die darin gebotene
Assoziationspsychologie, Avenarius an die Empfindungstheorie
an.
Hume begründete
die Aktpsychologie und leitete damit die Abwendung vom
Substanzbegriff ein. Als Stammvater des modernen Positivismus
arbeitete er gleichzeitig das Problem der
Letztbegründung heraus.
Analog dem
Modellierungsprozess bei Comenius liest sich das Schema bei Hume
etwa folgendermassen: Empfinden und Gefühl liefern
Eindrücke (als lebhaftere Auffassungen); die
Einbildungskraft arbeitet mit Gedanken und Vorstellungen
(d.h. schwächeren Auffassungen als Abbilder, "copies", der
Eindrücke).
Die ganze
schöpferische Kraft des Geistes besteht in nichts anderem als
der "Fähigkeit der Verbindung, Umstellung, Vermehrung oder
Verminderung des Stoffes, den uns Sinne und Erfahrung liefern" (D.
Hume 1973, S. 19). Oder positiver formuliert: "Nichts ist so frei
wie die menschliche Einbildungskraft; kann sie auch den
ursprünglichen Vorrat an Vorstellungen nicht
überschreiten, den die inneren und äusseren Sinne
liefern, so hat sie doch unbeschränkte Macht, diese
Vorstellungen zu all' den mannigfaltigen Gebilden, die sie dichtet
und schaut, zu mischen, zusammenzusetzen, zu trennen und zu teilen"
(S. 60).
Diese Verbindung,
Vermischung und Abwandlung beruht auf den drei Prinzipien der
Assoziation: Ähnlichkeit, Berührung und
Verursachung. Motivation, Gedächtnis und Erfahrung als Wirkung
der Gewohnheit und Übung spielen dabei die tragenden
Rollen.
Eine der vielen von
Hume ausgiebig untersuchten Wirkungen der Assoziation auf die
Affekte und Einbildungskraft ist die Erstellung eines
Planes: "Da der Mensch ein vernünftiges Wesen ist und
beständig sein Glück verfolgt, das er durch Befriedigung
eines Affekts oder einer Neigung zu erlangen hofft, so handelt,
spricht oder denkt er selten ohne Vorsatz und Absicht. Immer sieht
er einen Zweck vor sich; und wie ungeeignet die Mittel auch
manchmal sein mögen, die er zur Erreichung seines Endziels
wählt, so behält er doch irgend ein Ziel im Auge. Nicht
einmal seine Gedanken und Überlegungen wird er verschleudern,
wo er keine Befriedigung davon zu ernten hofft" (S. 26).
Daraus resultiert als
letzte Modellierungsstufe die "Einheit der Handlung", die
das ganze Menschenleben als "regelmässige Kette" durchzieht:
"Nicht nur in einem beschränkten Abschnitt des Lebens stehen
die Handlungen des Menschen in Abhängigkeit voneinander,
sondern auch während seiner ganzen Dauer, von der Wiege bis
zum Grabe" (S. 28) [30].
3.2 Abstrahierendes
und ökonomisches Strukturdenken
Bis weit ins letzte
Jahrhundert operierte die Physik wie auch andere
Naturwissenschaften - man denke etwa an das "natürliche
System" der Pflanzen - unter der Annahme, die wissenschaftlichen
Begriffe und Theorien sollten die Realität möglichst
getreu widerspiegeln - zumindest als Hypothese, die
verbesserungsfähig bleibt, und unter häufiger Verwendung
von Analogien (das geht bis zum Rutherford-Bohrschen
Atommodell).
Für etwaige
Unstimmigkeiten zwischen Modell und Wirklichkeit wurden einzig
technische oder mathematische Schwierigkeiten verantwortlich
gemacht. M. Jammer (1965, S. 169) zitiert aus Galileis "Dialog",
1632: "Die Fehler liegen weder an dem Abstrakten noch an dem
Konkreten, weder an der Geometrie noch an der Physik, sondern an
dem Rechner, der nicht richtig zu rechnen versteht." Daher auch
seine bekannte Maxime: "Man muss messen, was messbar ist und
messbar machen, was zunächst nicht messbar ist" (Opere, hrsg.
v. E. Alber, Florenz, 1842 ff., Bd. IV, S. 171).
Immerhin hat Galilei
aber gerade damit auch den Weg bereitet für die neue Art der
physikalischen Weltbetrachtung ä la Mach und Hertz, wie sie M.
Jammer (1965, S. 169) beschreibt: "Der Wahrheitsgehalt der Physik
wird nicht mehr in einer objekt-treuen Spiegelung der
Realität sondern in einer strukturtreuen Beziehung
gesehen. Da dieser Isomorphismus keine objekt-treue
Abbildungsmöglichkeit voraussetzt, darf er mit blossen
Symbolen arbeiten ..., denen vielleicht gar kein Element der
objektiven Realität entspricht."
So hat schon 1837
George Green (1871) am Anfang eines Vortrages eingestanden: "... we
are so perfectly ignorant of the mode of action of the elements of
the luminiferous ether an each other, that it would seem a safer
method to take some general physical principles as the basis of our
reasoning, rather than assume certain modes of action, which, after
all, may be widely different from the mechanism employed by
nature."
Allerdings hat noch
1844 Hermann Grassmann streng klassisch formuliert: "Die oberste
Teilung aller Wissenschaften ist die in reale und formale, von
denen die erstern das Sein, als das dem Denken selbständig
Gegenübertretende, im Denken abbilden und ihre Wahrheit haben
in der Übereinstimmung des Denkens mit jenem Sein; die
letztern hingegen das durch das Denken selbst Gesetzte zum
Gegenstand haben und ihre Wahrheit haben in der Obereinstimmung der
Denkprozesse unter sich" (nach E. Mach 1912, S. 470).
Ausgerechnet Mach
zitiert diesen Satz in einer späteren Auflage der "Mechanik"
als Vorläufer seiner eigenen Auffassung, die "die Anpassung
der Gedanken aneinander" als die Aufgabe der eigentlichen Theorie
bezeichnet (1896, S. 252).
Die erste Hälfte
von Grassmanns Satz hat freilich bald einer modifizierten und
vorsichtigeren Betrachtungsweise weichen müssen, nämlich
der Nachbildung der Tatsachen in Gedanken durch
allmähliche Anpassung der Gedanken an die durch
Beobachtung festgestellten Tatsachen. Das soll auf möglichst
ökonomische und zweckmässige Weise geschehen. Mach
berichtet (1912, S. 469), er habe die "Vorstellung von einer
Ökonomie des Denkens" schon 1861 gehabt (vgl. auch 1912,
Vorwörter; S. 252-271; S. 457ff.).
Bemerkenswerterweise
hat aber bereits Kekulé für die organische Chemie in
seinem zwei Jahre vorher abgeschlossenen 1. Band des "Lehrbuchs"
(1861, S. 95) erläutert: "Alle s. g. theoretischen
Betrachtungen sind nur Wahrscheinlichkeits- und
Zweckmässigkeitsbetrachtungen. Aus einer grossen Anzahl von
Thatsachen hergeleitet, bei Anwendung auf andere passend gefunden,
sind sie vorerst als ein der Wahrheit sich nähernder Ausdruck,
aber desshalb nicht als erkannte Wahrheit zu betrachten.
Alles was also
dermalen in theoretischer Beziehung geschehen kann, ist: eine
Anschauungsweise aufzusuchen, welche sich einer möglichst
grossen Anzahl von Thatsachen in möglichst ungezwungener Weise
anpasst; welche die chemischen Vorgänge in möglichst
einfacher und umfassender Weise darstellt und von ihnen, wenn auch
keine Erklärung, doch wenigstens eine einigermassen klare
Vorstellung gibt." Dies geschieht durch die sogenannten
"rationellen Formeln" (S. 152ff.; 220f.; 521ff. et passim).
[„Die rationellen Formeln haben also den Zweck, eine gewisse Vorstellung zu geben von der chemischen Natur einer Verbindung, also namentlich von ihren Metamorphosen und von den Beziehungen, in welchen sie zu anderen Körpern steht.“]
1876 hat Kirchhoff als
Aufgabe der Mechanik ausschliesslich die mathematisch
verschärfte "Beschreibung" der Bewegungen als
Erscheinungen unter Ablehnung jeglicher Erklärung, d.h. Angabe
ihrer Ursachen, bezeichnet. Es gilt, "die in der Natur vor sich
gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und
auf die einfachste Weise zu beschreiben".
1883 gab dann Mach
einer Richtung der Erkenntnisse seiner Zeit die nachhaltig wirksame
Gestalt, indem er den stufenweisen Vorgang der Naturwissenschaft -
Beobachtung, Deduktion und formale Entwicklung - in folgende
Kernsätze kleidete: "Sind einmal alle wichtigen Thatsachen
einer Naturwissenschaft durch Beobachtung festgestellt, so beginnt
für diese Wissenschaft eine neue Periode, die deductive
... Es gelingt dann, die Thatsachen in Gedanken nachzubilden,
ohne die Beobachtung fortwährend zu Hülfe zu rufen"
(1883, S. 396). Genauer noch: "Alles Naturwissen kann nur Complexe
von jenen Elementen nachbilden und vorbilden, die wir
gewöhnlich Empfindungen nennen. Es handelt sich um den
Zusammenhang dieser Elemente" (1883, S.
478).
Oder etwas
ausführlicher: "Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen
oder zu ersparen durch Nachbildung und Vorbildung von
Thatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind
als die Erfahrung selbst, und dieselbe in mancher Beziehung
vertreten können ... Sie muss daher zwar einerseits in dem
Gebiete der Erfahrung bleiben, eilt aber doch andererseits
der Erfahrung voraus, stets einer Bestätigung, aber
auch Widerlegung gewärtig ... So dürfen wir auch die
intellectuellen Hülfsmittel, die wir zur
Aufführung der Welt auf der Gedankenbühne
gebrauchen, nicht für Grundlagen der wirklichen Welt
halten" (1883, S. 452, 461 u. 476).
Bei der
"Formalisierung" handelt es sich dann darum, "die vorkommenden und
nachzubildenden Thatsachen in eine übersichtliche Ordnung, in
ein System zu bringen, sodass jede einzelne mit dem
geringsten Aufwand gefunden und nachgebildet werden kann"
(1883, S. 396).
Zu beachten ist aber
stets: "Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir
niemals die Thatsachen überhaupt nach, sondern nur nach
jener Seite, welche für uns wichtig ist, wir haben
hierbei ein Ziel, welches unmittelbar oder mittelbar aus einem
praktischen Interesse hervorgewachsen ist. Unsere Nachbildungen
sind immer Abstractionen.
Auch hierin spricht
sich ein ökonomischer Zug aus" (1883, S. 454). Und mit Bezug
auf das Thema seines Buches betont Mach auf der Grundlage seiner
Empfindungslehre: "Selbst die scheinbar rein mechanischen
Vorgänge sind also stets auch physiologische, als solche auch
elektrische, chemische usw. Die Mechanik fasst nicht die
Grundlage, auch nicht einen Theil der Welt, sondern
eine Seite derselben" (1883, S. 478).
Wie sehr also in
Physik und Chemie jener Zeit der Wahrheitsanspruch im klassischen
Sinne noch mitschwingt, ist nicht leicht zu sagen. Er ist gewiss
unterschiedlich.
Zentral jedenfalls ist
der Gesichtspunkt der Gedankenökonomie (Mach,
Avenarius) sowie derjenige der Zweckmässigkeit (Kekule,
Hertz). Dazu formuliert Hertz: "Verschiedene Bilder derselben
Gegenstände sind möglich, und diese Bilder können
sich nach verschiedenen Richtungen unterscheiden." Können wir
demnach rnehrere zulässige und richtige Bilder
derselben Sache haben - am bekanntesten ist wohl das Beispiel vom
Wellen- und Korpuskelcharakter des Lichts, der elektromagnetischen
Schwingungen überhaupt -, so müssen wir nach der
Nützlichkeit oder Zweckmässigkeit
auswählen:
"Von zwei Bildern des
selben Gegenstandes wird dasjenige das zweckmässigere sein,
welches mehr wesentliche Beziehungen des Gegenstandes widerspiegelt
als das andere; welches, wie wir sagen wollen, das deutlichere sei.
Bei gleicher Deutlichkeit wird von zwei Bildern dasjenige
zweckmässiger sein, welches neben den wesentlichen Zügen
die geringere Zahl überflüssiger und leerer Beziehungen
enthält, welches also das einfachere ist" (H. Hertz 1894, S.
2; vgl. W. Heisenberg 1965, S. 112f.).
Es geht also seit Mach
und Hertz um die Darstellung funktionaler
Abhängigkeiten und Zusammenhänge. Das liegt ganz in der
Strömung, die man als "Entmaterialisierung des Weltbildes" (J.
Gebser), als Ablösung der "Physik der Eigenschaften" durch die
"Physik der Prinzipien" bezeichnen kann: "Struktur" ersetzt
"Substanz" [31]. Das ging soweit, dass W. Ostwald 1895 forderte:
"Du sollst dir kein Bildnis oder ein Gleichnis machen."
Deshalb wurden in der
Geometrie und Mathematik sogenannte "Darstellungen" (H. Poincare
1898, D. Hilbert 1899) oder "Konkretisierungen" ("concrete
representations" bei J. W. Young 1911) nicht als Bilder, sondern
als logische Instrumente verwendet, um die
Widerspruchsfreiheit von Axiomen zu beweisen (vgl. dazu schon die
"Realisierung" der nicht-euklidischen Geometrie um 1870 durch
Beltrami und Klein).
Carnap (1934ff.),
Cohen und Nagel (1934) und Tarski (1935) nahmen den Modellbegriff
in dieser Bedeutung als "Erfüllung [32] von
axiomatischen (sc. linguistischen) Systemen und formalisierten
Theorien auf.
Gleichzeitig hatte
auch in der Physik der Gebrauch von Modellen für
Konsistenzbeweise Fuss gefasst, wie sich z. B. aus einer
Bemerkung von J. Larmor, 1900, ergibt: "... das gyrostatische
Modell des Äthers hat nicht den Zweck, uns seine wirkliche
Struktur zu offenbaren, sondern uns zu zeigen, dass das Schema der
mathematischen Beziehungen, die seine Tätigkeitsweise
bestimmen, eine legitime Konzeption ist" (M. Jammer 1965, S.
172).
Seither hat die
Funktion des Modells als blosse Verbildlichung also ständig
abgenommen, aber als Ausdruck konsistenter Synthese von a
priori unzusammenhängenden Beobachtungselementen an Bedeutung
gewonnen [33]. "Als Kriterium der logischen Widerspruchslosigkeit
wurde es gerade wegen der Uranschaulichkeit und Abstraktheit der
Theorie zum wesentlichen Bestandteil der wissenschaftlichen Methode
... Auch der in der Metamathematik verbreitete Gebrauch von
Modellen für die Entscheidung der Definierbarkeit oder
Unabhängigkeit fundamentaler Begriffe mit Hilfe von Padoas
Prinzip beruht letzthin gleichfalls in dem Wesen des Modells als
Kriterium der logischen Konsistenz" (M. Jammer 1965, S.
172).
Keine Strömung
ohne Wirbel und Gegenströmungen. Solche sind für die
mechanistisch-deterministische Betrachtungsweise etwa Romantik und
Entwicklungsdenken, Irrationalismus und Individualismus,
Historismus und Vitalismus.
Insbesondere
Organismusgedanke und Ganzheitsbetrachtung haben über die
organismische Biologie Ludwig von Bertalanffys zur Systemtheorie
geführt. Hierbei sind auch interessante Sonderformen
anzutreffen.
In seinem Aufsatz
über "Modell und Urbild" weist Walter Heistermann (1965, S.
27) beispielsweise auf die Theorie der "unbewussten
Organprojektion" hin, die Ernst Kapp (1877) entwickelt hat (vgl.
auch C. Graf v. Klinckowstroem 1959, S. 435). Danach sind die
technischen Gebilde und Werkzeuge, die Artefakte des Menschen,
unbewusste Projektionen oder Objektivationen der
menschlichen Körper- und Organverhältnisse: Das
Telegraphennetz entspricht dem Nervensystem, das Staatsleben dem
leiblichen Organismus.
Letzteres schlug sich
u. a. in dem bekannten Titel von Albert Schäffle, "Bau und
Leben des sozialen Körpers", 1875-78, nieder. Allerdings
schwächte er später die Entsprechung ab.
3.3 Von Symbol und
Zeichen zur neopragmatischen Erkenntnistheorie
Generationen von
Wissenschaftern und Philosophen sind von Mach beeinflusst
worden.
Weniger Beachtung fand
dabei eine weitere ökonomische Funktion: "Die Mittheilung der
Wissenschaft durch den Unterricht bezweckt, einem Individuum
Erfahrung zu ersparen durch Übertragung der Erfahrung eines
andern Individuums. Ja es werden sogar die Erfahrungen ganzer
Generationen durch die schriftliche Aufbewahrung in Bibliotheken
spätern Generationen übertragen, und diesen daher
erspart. Natürlich ist auch die Sprache, das Mittel der
Mittheilung, eine ökonomische Einrichtung. Die Erfahrungen
werden mehr oder weniger vollkommen in einfachere, häufiger
vorkommende Elemente zerlegt, und zum Zwecke der Mittheilung, stets
mit einem Opfer an Genauigkeit, symbolisiert" (1883, S. 452
f.).
Dabei ist wiederum zu
beachten: "Es gibt in der Natur kein unveränderliches Ding.
Das Ding ist eine Abstraction, der Name ein Symbol für einen
Complex von Elementen, von deren Veränderung wir
absehen. Dass wir den ganzen Complex durch ein Wort, durch
ein Symbol bezeichnen, geschieht, weil wir ein
Bedürfniss haben, alle zusammengehörigen Eindrücke
auf einmal wach zu rufen ... Die Empfindungen sind auch keine
,Symbole der Dinge'. Vielmehr ist das ,Ding' ein Gedankensymbol
für einen Empfindungscomplex von relativer Stabilität.
Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drucke,
Räume, Zeiten (was wir gewöhnlich Empfindungen nennen)
sind eigentliche Elemente der Welt" (1883, S.
454).
Allerdings war gerade
im 19. Jahrhundert der Widerstand gegen die Aufgabe des
Abbild-Gedankens noch stark, wie das die vielen mechanischen
Modelle der Elektrodynamik deutlich zeigen, auch wenn man sich
weitgehend dessen bewusst war, was Hertz betonte: "Die Bilder, von
welchen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen." Wir
können an ihnen nur, "wie an Modellen, in kurzer Zeit die
Folgen entwickeln, welche in der äusseren Welt erst in
längerer Zeit oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens
auftreten werden; wir vermögen so den Tatsachen vorauszueilen
und können nach der gewonnenen Einsicht unsere
gegenwärtigen Entschlüsse richten" (H. Hertz 1894, S. 2;
vgl. W. Heisenberg 1965, S. 112).
Obwohl sich Charles
Sanders Peirce, der Begründer der Zeichentheorie, 1893 dagegen
gewehrt hat, als "David Hume redivivus" bezeichnet zu werden, hat
er doch vieles von Hume übernommen, man denke nur an die
zentralen Begriffe "habit", "instinct" und "faith". Bereits 1868
(1967, S. 186 u. 175) hat er festgestellt: "Wir haben kein
Vermögen, ohne Zeichen zu denken" (5.265). "Alles Denken muss
daher ein Denken in Zeichen sein" (5.251) [34].
Peirce greift wie
Comenius auf die von Thomas von Aquin formulierte griechische
Erkenntnis zurück: "nihil est in intellectu, quod non sit
prius in sensu" (vgl. auch Epikur, Cicero). Erkenntnis ist ihm
Repräsentation der äusseren Tatsachen.
Dabei postulierte er
ebenfalls bereits 1868 (1967, S. 198; ähnl. S. 204: 5.290)
eine Dreistelligkeit aller geistigen Operationen: "Erstens
ist ein Zeichen in Relation zu einem Gedanken, der es
interpretiert; zweitens ist es ein Zeichen für ein
Objekt, für das es jenem Gedanken gleichbedeutend steht,
drittens ist es ein Zeichen in einer Hinsicht oder
Qualität, die es mit seinem Objekt in Verbindung bringt"
(5.283) [35].
Bekannt geworden in
diesem dreifaltigen Zusammenhang ist die Unterscheidung von Symbol,
Index und Ikon, die Peirce vielleicht schon zur selben Zeit in
seinen ersten Vorlesungen in Harvard skizziert hat [36].
Ikon ist dabei durchaus mit "Modell" in Verbindung zu
bringen: "Ein lkon ist ein Repräsentamen, das die Funktion
eines Repräsentamens kraft einer Eigenschaft erfüllt, die
es für sich genommen besitzt, und es würde genau diese
Eigenschaft auch besitzen, wenn sein Objekt nicht existierte ... Es
repräsentiert, was auch immer es repräsentieren kann; und
alles, dem es nur immer ähnlich ist, ist es insofern auch. Es
ist ein Fall von blossem Sosein" (5.73,74). Ein Ikon ist die
qualitativ degenerierte Art von Repräsentamina; es drückt
Qualitäten aus (5.119 vgl. 5.162; C. S. Peirce 1970 u. 1973)
[37].
An diese
Formulierungen der "Vorlesungen über Pragmatismus" (1903, dt.
1973) knüpfte dann Charles W. Morris in seiner Schrift "Signs,
Language and Behavior" (1946, dt. 1973) an [38], als er über
den Grad der Zuverlässigkeit von Zeichen sprach: "Ein
Zeichen ist in dem Masse ikonisch, wie es selbst die
Eigenschaften seiner Denotate hat; sonst ist es
nicht-lkonisch."
Damit ist ein Hinweis
auf den Grad der Angleichung [39] (vgl. H. Stachowiak 1973,
S. 155ff.) gegeben bzw. auf die Verwendung von abundanten und die
Weglassung von präterierten Merkmalen: "Ein Zeichen, das in
gewissem Ausmass ikonisch ist, kann auch nicht-ikonische
Eigenschaften haben, die für seine Signifikation irrelevant
sind. Eine der Gefahren beim Gebrauch von Modellen in der
Wissenschaft entsteht z. B. aus der Versuchung, dem Gegenstand der
Theorie Eigenschaften des Modells zuzuschreiben, die die Theorie
illustrieren, aber in der Theorie selbst nicht enthalten sind" (C.
W. Morris 1973, S. 99) [40].
Zur selben Zeit da
Peirce den Pragmatismus begründete, entwickelte Hans
Vaihinger, ausgehend von der schon von Kant verwendeten Konjunktion
"als ob" und Nietzsches Begriff der "Fiktion" sein "System der
theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der
Menschheit". (1876-78 verfasst, konnte die umfangreiche Studie
infolge widriger Umstände erst 1911 erscheinen.)
Da damals der
Modellbegriff noch nicht im heutigen Sinn in Gebrauch war, wird er
darin nicht verwendet. Dennoch kann dieses Werk - mit den selben
Vorbehalten wie bei Bacons Idolenlehre - als Vorarbeit zu
einer "Allgemeinen Modelltheorie" (H. Stachowiak 1973) angesehen
werden.
Sieht man einmal von
den fundamentalen Arbeiten zur Ähnlichkeitsmechanik (M. Weber
1919 u. 1930; W. Herrmann 1930; P. Füsgen 1939) und zur
Theorie der Atomkerne (C. F. v. Weizsäcker 1938) ab, so setzen
die Reflexionen über das Modelldenken erst in den vierziger
Jahren ein.
Zu erwähnen sind
hier neben C. W. Morris der Kieler Jürg Johannesson (1942),
Arturo Rosenblueth und Norbert Wiener (1945), Eugen Altschul und
Erwin Biser (1948), John G. Kemeny (1948), Ernest H. Hutten
(1948-49; 1953-54, 1956), Herman Meyer (1951) und die Aufsätze
im "Studium Generale" (1948) von Rudolf Seeliger, Karl Friedrich
Bonhoeffer und Rudolf Thiele, wobei letzterer allerdings in seinem
Aufsatz "Über den Gebrauch von Raumbildern in der Psychologie"
nicht von Modellen, sondern von "Bildern" und "Bildhypothesen"
spricht.
Das zeigt, wie lange
die Verwendung des Modellbegriffs auf den Bereich der Physik,
Mathematik, Logik und Semantik beschränkt blieb. Erst Karl W.
Deutsch (1949 u. 1951), T. C. Koopmans (1949 u. 1950), Kenneth J.
Arrow (195j und Ludwig von Bertalanffy (1951) haben den
Modellbegriff für die Sozialwissenschaften und weitere
Wissenschaftsgruppen sowie wissenschaftliche Einzeldisziplinen
(z. B. die Biologie) fruchtbar gemacht.
Gleich etwa
Informationstheorie, Kybernetik und Operations Research oder
Logistik, Semiotik, Wissenschaftstheorie und Sprachphilosophie hat
auch die Beachtung der Probleme und Theorien im Umkreis von
"Modell" in den fünfziger und sechziger Jahren in der
wissenschaftlichen und philosophischen Welt fest Fuss gefasst, was
sich in einer Fülle von Veröffentlichungen dokumentierte
[41].
Auch auf
zahlreichen Symposien wurden Modellbegriff und Modelldenken
diskutiert (L. Gross, 1959; F. Jung et al., 1961 - s. V. A. Stoff,
1969, S. 33, der auch auf S. 46 auf ein Symposium über
Modellierung an der Universität Bristol im Jahre 1959 hinweist
-; L. Apostel et al. 1960-61; E. Nagel et al. 1962; J. W. L.
Beament 1960; A. C. Hoggat, F. E. Balderston 1963; J. W. Addison et
al. 1965: dazu H. Stachowiak 1973, S. 4-7 sowie S. 252f.; vgl. auch
die Readings von H. Guetzkow 1962).
In der reichhaltigen
Sammlung von Aufsätzen über Modelle in verschiedenen
Wissenschaften, die 1965 im "Studium Generale" erschien, haben
Wolfgang Metzger und August Vetter erstmals den Modellbegriff
für die Psychologie explizit thematisiert - ohne dabei
freilich etwa auf Karl Bühlers (1934) "Organon-Modell" der
Sprache, auf K. Lewin (1938) oder gar B. L. Whorf (1950), E. C.
Tolman (1951), R. R. Bush und F. Mosteller (1951), L. v.
Bertalanffy (1951), D. Krech und G. S. Klein (1952), H. A. Simon
(1957), D. E. Broadbent (1958) und P. Suppes (1960) Bezug zu
nehmen.
Daselbst finden sich
ebenfalls "Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle" von
Herbert Stachowiak. Sie knüpfen an
pragmatisch-zeichentheoretische Vorläufer an und eröffnen
die Möglichkeit einer logisch wie empirisch adäquaten
Präzisierung des Modellbegriffs.
Nicht zuletzt das
weltweite Echo auf diese Arbeit (vgl. auch H. Stachowiak 1971 u.
1972) führte den Verfasser zu seiner "Allgemeinen
Modelltheorie" (Erscheinungsjahr 1973). Die in diesem Standardwerk
erreichte Reflexionsstufe: eine neopragmatische
("modellistische") Erkenntnistheorie, die den
Entscheidungsanteil wissenschaftlicher Modellbildung blosslegt und
Wissenschaft mit politisch-ethisch zu begründenden Zwecken und
Zielen in Verbindung bringt.