HomeWas ist Esoterik?

 

Die umfassendste und beste Website zur Esoterik: Eso Garden

 

I

 

Esoterik ist heute ein Sammelbegriff für zahlreiche gegensätzliche Strömungen wie

·                    Geheimbünde und spirituelle Gemeinschaften

·                    Schamanen und Zigeuner, Mönche und Indianer

·                    Voodoo und die Totenbücher der Maya, Ägypter und Tibeter

·                    Deutetechniken und parapsychologische Phänomene

·                    Heiltechniken und Satanismus

·                    östliche Weisheit und christliche Mystik

·                    östliche Techniken und westliche Alchemie

·                    Zahlenspielereien und Naturschwärmerei

·                    Phantasy und historische Spekulationen

·                    Lebenshilfe, Denk- und Körperschulung

·                    Bereiche der Tiefenpsychologie und Quantenphysik

 

II

 

Definition: Esoterik ist eine Auffassung der Welt und der Versuch einer Deutung, wie es je ganz anders und verschieden auch Religion und Aberglauben, Kunst und Philosophie, die Mythen und Sagen, die Ideologien und die Wissenschaft betreiben.

 

 

III

 

Die Bibel äussert sich unter anderem wie folgt dazu:

 

"Es soll in deiner Mitte keiner gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, kein Wahrsager, Zeichendeuter, Schlangenbeschwörer oder Zauberer, kein Bannsprecher oder Geisterbeschwörer, keiner, der Wahrsagegeister befragt oder sich an die Toten wendet" (5. Moses 18, 10-11; ca. 8. Jh. v. Chr.).

 

"Samuel war gestorben ... Saul aber hatte das Land von Totenbeschwörern und Wahrsagern gesäubert ... Und Saul befragte den Herrn, aber der Herr gab ihm keine Antwort. Da sprach Saul zu seinen Dienern: Suchet mir ein Weib, das Macht hat über Totengeister, dass ich zu ihr gehe und sie befrage" (1. Sam 28, 4-20; ca. 9.-7. Jh. v. Chr.).

 

"Viele aber von denen ,welche die vorwitzigen Künste getrieben hatten, trugen die Bücher zusammen und verbrannten sie vor ihnen" (Apostelgeschichte 19, 19; um 90 n. Chr.).

 

 

 

Verflochtene Stränge der Esoterik

 

Ein kulturhistorischer Approach

 

Esoterik ist ein Sammelbegriff für etwa 50 ganz verschiedene Sachen aus der geistigen, kultischen und religiösen Geschichte des Menschen. Wir können salopp sagen, es handle sich um einen Haufen Schrott aus alten Zeiten oder aber, es handle sich um "verschüttete Erkenntnisschätze aus der goldenen Vorzeit".

Und nun pflückt sich der eine diese, der andere jene Strömung heraus, sodass sie einander nicht verstehen können.

 

Wissenschaftlich Gesichertes aus allen Zeiten

 

Daher möchte ich wenigstens eine Übersicht bieten, damit wir uns ein bisschen orientieren können. Da dies möglichst umfassend geschehen soll, kann ich nur in einzelnen Fällen etwas in die Tiefe gehen. Wichtig ist dreierlei:

1.     Es geht bei allem um das, was wissenschaftlich einigermassen gesichert ist.

2.     Es gibt viele andere Bezeichnungen, die etwa dasselbe meinen wie Esoterik, z. B. Geheimwissenschaften, Okkultismus, magische Künste, Religiosität oder gar "ganzheitliches Denken".

3.     Diese Vorstellungen und Praktiken stammen aus ganz unterschiedlichen Zeiten.

 

Es ist daher am besten, eine grobe Einteilung für unsere Zwecke zu machen. Manche mögen die Einteilung von Jean Gebser kennen. Ohne dass sie sich inhaltlich deckt, können die Begriffe von Gebser verwendet werden.

Nicht empfohlen dagegen sei der Beizug von Schriften Erich von Dänikens.

 

1. Die Hominisation (vor 6-3 Mio. Jahren)

 

Für die Geschichte des Menschen sind die letzten 5 oder 6 Millionen Jahre relevant. Etwa seit dieser Zeit bewegen sich die höheren Affen (Gorilla und Schimpanse) und die Menschen deutlich auseinander. Seither kann man die Entwicklung spezifisch menschlicher Eigenarten und Fähigkeiten verfolgen.

Über die ganz frühe Zeit wissen wir wenig, immerhin haben wir Fussabdrücke eines aufrecht gehenden Wesens und Skelette eines weiblichen Wesens, dem die Forscher den Namen "Lucy" gegeben haben. Diese Funde datieren auf eine Zeit von etwa 3,7 resp. 3 Mio. Jahren vor heute.

 

2. Die archaische Zeit (vor 3-0,5 Mio. Jahren)

 

Seit etwa 2,5 Mio. Jahren wissen wir etwas mehr, denn wir haben mehr und reichhaltigere archäologische Funde. Dazu ziehen die Forscher Beobachtungen an sog. Naturvölkern oder Primitiven bei, die bis vor kurzem noch relativ ungestört von der Zivilisation gelebt haben.

 

Farbe, Geometrie und Feuer

 

Wir finden zuerst Werkzeuge und bunte Objekte, die vermutlich gesammelt wurden. Vermutlich verwendete der Homo erectus damals auch schon Grabstöcke und Behälter. Ab etwa 1,5 Mio. Jahren werden Feuersteine zu nehmend nach geometrischen Proportionen hergestellt. Ein amerikanischer Forscher (Thomas Wynn) hat das genau verfolgt.

Ebenfalls seit 1,8 resp. 1,5 Mio. Jahren gibt es Hinweise auf Wohnstätten, Waffen (Bolas) und Feuergebrauch sowie Spuren von Farbpigmenten.

Den Gebrauch von Feuer könnte man mit religiösen Vorstellungen, oder gar, wie der Zürcher Zoodirektor Heini Hediger meint, mit "Transzendenz" in Verbindung bringen. Unbestreitbar fördert das Sitzen um ein Feuer den sozialen Zusammenhalt, was soweit führen könnte, dass sich Sprache, nämlich zum Erzählen, entwickelte.

Das Sammeln von farbigen Objekten und die Verwendung von Pigmenten deuten auf einen ästhetischen Sinn. Es ist anzunehmen dass sich die frühen Menschen mit Farbe anmalten und vielleicht herumtanzten.

Jedenfalls: Funde sind vorhanden, allerdings gehen die Datierungen und die Deutungen unter den Gelehrten oft weit auseinander. Das ist eben das Geschäft der Wissenschaft. Als Faustregel für den Laien gilt: "Je entschiedener die Behauptung, desto vorsichtiger ist sie zu beachten."

 

Eine Million Jahre Pause!

 

Von 1,5 Mio. Jahren bis vor 500 000 Jahren, also rund eine Million Jahre ist - nach gegenwärtigem Wissen - Pause. Einzig das Gehirnwachstum des Menschen ging dauernd weiter.

Wir können die Zeit von vor 5 Mio. Jahren bis hierher mit Gebser als "archaisch" bezeichnen.

Kein wissenschaftliches Thema ist die ganze Geschichte mit Atlantis, den Atlantiden und den anderen Rassen, insbesondere den hervorragenden nordisch-germanischen, welche um 1880 von Helena Blavatsky erfunden wurde und seither von den Theosophen, Anthroposophen und neuen Rosenkreuzern propagiert wurde.

 

3. Die magische Zeit (vor 500 000 bis vor 5000 Jahren)

 

Die nächste Phase bis vor etwa 10 000 Jahren oder gar bis zum Beginn der Hochkulturen vor 5000 Jahren können wir als die "magische" Phase bezeichnen. Dabei müssen wir uns immer bewusst sein, dass solche Bezeichnungen enorm pauschal und daher gefährlich sind.

 

Kannibalismus

 

Einer der auffallendsten Züge des Menschen seit 500 000 Jahren, auch wenn die Forschung sich darüber streitet, ist der Kannibalismus. Es gab vermutlich Kopfjägerei und Menschenopfer. Vielleicht wurde das Gehirn als Delikatesse verspeist oder man wollte sich die Kraft oder Weisheit des Getöteten einverleiben. Mit den Überresten praktizierte man einen richtigen Schädelkult, vielleicht bereits zur Ahnenverehrung, und das Schädeldach benützte man als Trinkschale.

Nun, hoffentlich sind wir heute darüber hinaus. Kannibalismus ist eine schlechte Grundlage der Esoterik. Immerhin finden sich bis heute noch davon Spuren: Am bekanntesten ist das christliche Abendmahl, da wird der Leib des Herrn verspiesen und sein Blut getrunken. Den Schädelkult finden wir noch in den mittelalterlichen Beinhäusern, z. B. bei der Schlachtkapelle von Sempach.

 

Kulte

 

Aber die "primitiven" Menschen machen ja noch viel anderes. Seit 250 Jahren haben ihnen die Gelehrten einen ganzen Haufen geistiger oder religiöser Kuriositäten zugeschrieben, z. B. Animismus, Totemismus, Fetischismus oder Tabu, Mana, Numinosum, usw.

Darüber sei hier nicht berichtet. Was mir wichtig scheint, ist folgendes: Wir können von Kulten sprechen. Sie zeigen sich z. B in der Anordnung von Gebeinen, also den Knochen der Verstorbenen oder von erlegten resp. geopferten Tieren. Sie zeigen sich aber auch in figürlichen Gestaltungen aller Art.

Fussabdrücke in Höhlen deuten schliesslich auf Rituale oder Tänze hin, bestimmte Gerätschaften (z. B. "Kommandostäbe"), Höhlenzeichnungen (z. B. der "Zauberer") und bevorzugte Stellen von Wohnstätten ( z. B. in Dolni Vestonice) auf besondere Funktionen hin, z. B. Zauberpriester, Geistheiler oder Medizinmänner. Oder waren es etwa Priesterinnen?

Jedenfalls: Wenn wir das Schamanentum in die Frühzeit verlegen (H. Kirchner), müssten wir auch die Kenntnis und Praxis parapsychologischer Erscheinungen schon hier vermuten, also Aussersinnliche Wahrnehmung, Telekinese, Materialisation usw.

 

Das Deuten der natürlichen Ordnung

 

Der Kult hat sich wohl am Erleben des Todes und dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit entzündet, vielleicht auch schon am Bewusstsein, dass der Mensch durch sein Herumstreunen und Jagen in die natürliche Ordnung eingreift.

Diese natürliche Ordnung muss den frühen Menschen stark beschäftigt haben. Dabei stellte man fest, dass es davon zwei Arten gibt, eine mechanische und eine vitale. Die eine lässt sich mit Zahlen und Geometrie fassen und darstellend, die andere mit Darstellungen des Gebärens, der Fruchtbarkeit, der Sexualität.

 

Die geometrische Deutung der Welt

 

Hinter den Zahlen und der Geometrie steckten vermutlich die Beobachtung des Tageslaufs und der Jahreszeiten, des nächtlichen Sternenhimmels und der Mondphasen.

Eine Forscherin (Marie E. P. König) vertritt die Ansicht, die kultisch aufbewahrten Schädel hätten eine "runde" Weltordnung symbolisiert. Man hat auch viele von Hand geformte Löss- oder Tonkügelchen ohne erkennbaren Zweck gefunden, von denen man annimmt, dass sie an die Wand der Höhle geworfen wurden. Ferner fand man viele kreisförmig angeordnete Steine oder Tierknochen.

Ritzungen und geometrische Figuren gibt es schon sehr früh. Alexander Marshack hat sich viele Jahre mit dieser sog. "symbolischen Aktivität" des Frühmenschen befasst. Er deutet manche Kerbungen als Mondkalender, andere als Rechenstäbe.

Seit 100 000 Jahren gibt es Hinweise darauf, dass man mit Drei- und Vierheiten diese Ordnung zu fassen versuchte. Der Neandertaler begann damals, seine Toten richtig zu bestatten. Viele Gräber haben eine Ost-West-Ausrichtung und sind in Dreiheiten angeordnet, z. B. in drei Linien, im Dreieck oder in Dreiergruppen. Die Vierheit finden wir auf einem kleinen runden Plättchen von versteinerten Kleintierchen (Nummuliten) in Form eines Linienkreuzes.

Ein Zürcher Ingenieur (Amadeus Weiss) hat in Höhlenzeichnungen bereits astronomische Erkenntnisse verborgen gefunden. Die Anordnungen der riesigen Steine in den Megalithkulturen - z. B. Stonehenge - deuten ebenfalls auf astronomische Kenntnisse hin.

 

Die vitale Ordnung

 

Hinter der vitalen Ordnung steckt einerseits das Auf- und Untergehen der Sonne, vielleicht auch das Ziehen der Wolken und der Wechsel der Witterung, Dürre und Flut, anderseits das Geborenwerden, wachsen, Reifen und Sterben der Tiere und Menschen, das Blühen und Verwelken von Blumen, vielleicht auch das wechselvolle Erleben von Freud und Leid, von Ekstase und Schmerz, Anstrengung und Entspannung.

Seit der homo sapiens sapiens (von mir hier immer Höhlenbewohner genannt, obwohl er nicht in Höhlen wohnte) vor rund 30 000 Jahren die Weltbühne betritt, finden sich für diese Darstellung unzählige Frauenstatuetten, sog. Fruchtbarkeitsidole und Zeichnungen der Geschlechtsorgane, insbesondere der weiblichen. Vor kurzem fand man in Israel eine solche Statuette, die 200 000 Jahre alt ist.

 

Von Anfang an ein Matriarchat?

 

Deutet das darauf hin, dass ein Matriarchat herrschte? Darüber kann man streiten. Die extremste These lautet: "5 Millionen Jahren Vorgeschichte der Frau." Das bedeutet, dass so lange Zeit eine weibliche Weltordnung herrschte.

Andere Gelehrte vermuten, das Matriarchat habe beim Höhlenbewohner vor 35 000 Jahren oder erst mit dem Sesshaftwerden des Menschen vor 10 000 Jahren eingesetzt. Dass freilich schon seit 5500 v. Chr. Befestigungsmauern gebaut wurden und ausgerechnet in Mesopotamien ständig Krieg herrschte und Sklaven gehalten wurden, ist bedauerlich.

Wie dem auch sei, es ist den Feministinnen zu verdanken, dass die These der frühen Herrschaft der Frau wieder aufgegriffen worden ist. Besonders einleuchtend hat Heide Göttner-Abendroth die "matriarchalen Religionen" der Frühzeit beschrieben. Es sind Wiedergeburtsreligionen. Hinter den Fruchtbarkeitsbildern steckt eine umfassende Kosmologie, die von den grundlegenden Kräften des Lebens und des Todes ausgeht.

 

Ob schon die Höhlenbewohner solche Mythen hatten (wie z. B. André Leroi-Gourhan annimmt), oder ob diese erst entstanden, als der Mensch zum Ackerbauern und Viehzüchter wurde, ist nicht so wichtig. Jedenfalls ist ziemlich sicher, dass es zu Beginn der ersten Hochkulturen, also um 3000 v. Chr., solche Mythen gab.

 

4. Das Zeitalter der Mythen (3000-700 v. Chr.)

 

Damit komme ich zum vierten Zeitabschnitt, dem Zeitalter der Mythen. Das bedeutet keineswegs, dass nun der Kult verschwand. Im Gegenteil.

Aber da man nun erstmals schriftliche Aufzeichnungen aus den frühen sog. Hochkulturen hat, ist es interessant geworden, zu erforschen, was man sich von der Welt damals "erzählt" hat. Denn: Was sind eigentlich Mythen? Eine schöne neue Definition (von W. Burkert) heisst: Mythen ist die älteste Form, über Götter zu sprechen. Und warum ist das nötig? Weil der Mensch immer nach Orientierung sucht.

 

Mythos als Welterklärung - Zauberei als Weltbeeinflussung

 

Der Mensch möchte die Welt, d.h. die verwirrende Fülle der Ereignisse, was um ihn herum und mit ihm passiert, das Geschick und das Schicksal, verstehen und erklären können. Daher heisst eine andere Definition von Mythos (R. Hernegger 1978, 167): Erklärung des Unbekannten durch Bekanntes. Mythen zeigen also Welt- und Lebensordnungen. Wenn man psychologisieren will, kann man sagen: Aus dem menschlichen Erleben und Triebleben hinaus- oder hinaufprojiziert, wirken sie als Orientierung auf es zurück.

Dabei bleibt der Mensch freilich nicht stehen. Weil er die Welt auch beeinflussen, verändern möchte, versucht er es mit Magie (Zauberei) und Mantik (Voraussage).

Esoterik besteht grundsätzlich aus zwei Komponenten: Weltkerklärung und Weltbeherrschung.

Interessant ist z. B. die sog. Dämonologie, vor allem in Mesopotamien, weniger bei den alten Ägyptern. Man meinte, für Krankheiten und Unfälle seien böse Geister, zum Beispiel von Nicht-Begrabenen, verantwortlich, und die könne man besänftigen, beschwören oder austreiben. Reinigungsriten waren so wichtig wie Kräutertränke, stinkende Gebräue und Essenzen.

Damit verbunden war das Deuten von Vorzeichen (Omina), z. B. des Vogelflugs. Bekannt ist auch, dass man aus der Form der Leber oder aus Träumen die Zukunft vorherzusagen versuchte. Der "Beruf" des Zauberers und der Hexe sind seit dem 2. Jt. v. Chr. dokumentiert.

Immerhin verschwindet mit dem Aufblühen der Hochkulturen in Mesopotamien, am Nil, am Indus und am Huangho der Kannibalismus. Opferkulte jedoch bleiben, besonders in Indien, wo man sogar von Opfermystik (Brahmana-Texte 1000 - 700 v. Chr.) spricht.

Anderseits gab es schon Versuche, die Welt durch abstrakte Ordnungen zu fassen, in Ägypten durch Maat und in Indien durch Rita; beides bedeutet etwa Ordnung und Gerechtigkeit. In Sumer gab es rund 100 elementare Prinzipien, die "me".

 

Ägyptische Mysterien: öffentliche Feste

 

Es ist in gewissen Kreisen viel von "ägyptischen Mysterien" die Rede. Das ist falsch. (Die Bezeichnung kommt aus dem Neuplatonismus: Iamblichos verfasste um 300 n. Chr. ein Werk unter diesem Namen.)

Es handelt sich dabei um Feste, die öffentlich waren. Geheim blieben einzig die Rituale der Priester-Kaste (W. Burkert, 44); z. B. der Gottes-Dienst im Heiligtum des Tempels (Casson, 78f).

 

Osiris - der Weg ins Jenseits

 

Wie alle ackerbautreibenden Völker glaubten auch die Ägypter, durch den Vollzug von Riten die Natur bewegen zu können, ihnen Segen zu spenden und, zweitens, nach dem Tod weiterleben zu können.

Osiris wurde in frühester Zeit mit Fruchtbarkeitskulten in Verbindung gebracht (Ions,124). Zu Beginn der historischen Zeit wurde er zum König resp. Gott der Toten. Später wurde er wieder zum Fruchtbarkeitsgott. Um 2200 v. Chr. wurde sein Kult volkstümlich. Zugleich verbreiteten sich die Bestattungsriten, die bisher dem Pharao vorbehalten waren, im ganzen Volk. Das hängt damit zusammen, dass geistig und politisch ein Erstarken der Persönlichkeit oder des Gewissens (J. H. Breasted) und ein Demokratisierungsprozess eingesetzt hatten. "Alle Menschen, nicht allein der Pharao, erwarteten jetzt, in den Genuss des ewigen Lebens zu kommen, und Osiris war der Vermittler, durch den sie dorthin zu gelangen hofften" (128).

Osiris-Anhänger hofften also auf ein Leben ewigen Glücks in einer anderen, von einem gerechten und guten Herrscher regierten Welt (51). Mittel dazu war im 3. Jt. v. Chr. bemerkenswerterweise Ethik statt Magie. Erst später musste sich der Gläubige im Leben mit dem Leiden des Osiris völlig identifizieren. Nach dem Tod musste er rituell einbalsamiert werden; das ging anfänglich 70 Tage.

Damit der Verstorbene den schreckerregenden Landstrich zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten wohlbehalten durchqueren konnte, mussten ihm Schutzamulette und Losungsworte mitgegeben werden. Letztere waren am Anfang für den Pharao und hohe Beamte die heute als "Pyramiden"- und "Sargtexte" bekannten Sprüche. Der schönste lautet: "Ich lebe, ich sterbe, ich bin Osiris." Seit 1500 v. Chr.haben die Sprüche magischen Charakter; sie sind gesammelt im sog. Totenbuch. Diese "Zaubersprüche" sollen auf dem Gang durch die Unterwelt - die Höllenfahrt - übelgesinnte Geister abwehren (126).

Zum Kult gehörte immer auch ein Mythos oder ein Geflecht von Legenden. Der Osiris-Mythos wurde vielfach verändert, ergänzt und vermischt, z. B. mit demjenigen des Horus und demjenigen der Isis. Der Isis-Kult bestand fast zu allen Zeiten der ägyptischen Geschichte; auf der Insel Philae in Oberägypten wurde Isis sogar bis in das 6. Jh. n. Chr. verehrt (62). Der griechische Schriftsteller Plutarch hat ( allerdings erst um 100 n. Chr.) eine Version des Osiris-Mythos ausführlich überliefert.

Eine weiter Vermischung ergab sich in der Spätzeit mit dem Kult des Apis-Stiers. Ptolemäus I. wollte den neuen synthetische Gott Osor-Apis zum Staatsgott von Ägypten und Griechenland machen. Der Name wurde bald zu Sarapis, und sein Kult breitete sich rasch weit aus.

 

Das Matriarchat wird zum Patriarchat pervertiert

 

Nimmt man an, dass die frühen Mythen eine "matriarchale" Spiritualität oder Vitalität ausdrücken, dann kann man behaupten, dass die Ägypter schon bald und später dann vor allem die Indogermanen die matriarchalen Mythen in patriarchale verwandelten. Heide Göttner-Abendroth spricht von Absorption und Deformation, ja von Tricks und Pervertierung ins Gegenteil.

So wird zum Beispiel die Grosse Urmutter zum Urvater oder sie erhält einen Vatergott zum Gemahl oder Vater. Dieser übernimmt ihre Macht- und Fruchtbarkeitssymbole - Doppelaxt für Blitz und Donner, die Taube, der Himmelswagen und der Anch - und schwingt sich schliesslich zum einzigen Gott auf.

Das lässt sich recht gut datieren: In Ägypten wurde um 1400 v. Chr. der Kult des einen Sonnengottes eingeführt (Aton), bald darauf schwang sich Jahwe für das jüdische Volk zum Alleinherrscher auf und Ahura Mazda bei den Persern.

 

5. Die Rationalisierung (700-200 v. Chr.)

 

Diese Verwandlung zum Patriarchat hatte weitreichende Folgen. Nicht nur das Weibliche wurde herabgewürdigt, sondern auch der Mythos wurde entwertet. Die männliche Vernunft begann zu dominieren.

In Griechenland bezeichnet man diese zweite Bewegung als Weg "vom Mythos zum Logos" (Wilhelm Nestlé 1940) oder als "Entdeckung des Geistes" (Bruno Snell 1946). Dasselbe fand auch in Indien und China statt.

Das geschah in der Zeit von etwa 700 bis 200 v. Chr. Karl Jaspers nannte diese Zeit "Achsenzeit". Jean Gebser spricht von der mentalen Struktur.

 

Die Suche nach ersten Prinzipien

 

Zentral war die Suche nach "ersten Prinzipien". An die Stelle des vitalen Kosmos trat ein mechanischer.

Genauso wie bei der Umdeutung der matriarchalen Mythen in patriarchale gingen bei der Rationalisierung die früheren Ansätze nicht ganz verloren. Sie lebten unterirdisch, manchmal sehr wirkungsvoll, weiter.

Bis etwa zum Jahre 700 v. Chr. war der Mythos eine unfragliche Weltdeutung. Beim Schafhirten Hesiod taucht nun plötzlich das Thema Wahrheit auf. Hesiod verkündete als erster historisch fassbarer Dichter des Abendlandes "seine" Wahrheit. Als selbstbewusstes Individuum erfasst er den Mythos von seiner persönlichen Fragestellung her und versucht, rational systematisierend die Geschichte der Welt in einem Ordnungsprinzip zu erfassen.

 

Der Mensch (=Mann) schaut mit dem Auge des Geistes

 

Wo der Mythos mit der Seele schaute, schaute der griechische Philosoph, Mathematiker oder Künstler mit dem "Auge des Geistes". Damit war das Gefühl weitgehend ausgeschaltet. Nicht von ungefähr sagte Platon: "Kein der Geometrie Unkundiger trete unter mein Dach." Und die sog. Lustethik bei Epikur ist eine "hochdifferenzierte Vergeistigung" (Ernst Zinn); das höchste Gut ist "das aus dem Freisein von Schmerz und Furcht resultierende statische Wohlgefühl" (W. Liebich).

Seit dieser Zeit ist "der" Mensch der Mann, in der jüdischen und christlichen Religion als Ebenbild eines männlichen, einzigen Gottes.

Vernunft (nous) als Denkprinzip und Logos als Weltordnung sind konstant, unveränderlich und wie Platon meinte, bei allen Völkern, Rassen oder Gruppen gleich.

 

Die Stoiker sind Weltbürger

 

Der Kosmos ist die geschlossene "Wohlordnung", ein geordnetes Ganzes, ein "System" - vor allem bei den rigorosen Stoikern. Diese verstanden sich (nach Diogenes und den Kynikern) als Kosmopoliten, d.h. Weltbürger; Grundlage dafür bildet die Einsicht in die alles durchwaltende, zweckmässige göttliche Weltordnung (logos), in die man sich widerspruchslos einzufügen hat.

 

Zu jeder Idee gibt es auch das Gegenteil

 

Da es Mythos nicht um Wahrheit, sondern um Sinn geht, konnten die unterschiedlichsten Mythen - und Götter - nebeneinander bestehen. Es brauchte weder Systematik noch Widerspruchsfreiheit. Sobald aber der Anspruch auftaucht, mit Vernunft, Ratio, Intellekt die Wahrheit nicht nur zu suchen und zu treffen, sondern zugleich damit auch zu sichern und gegen jeden denkbaren Zweifel zu immunisiernen, entsteht einerseits Fanatismus, anderseits Kritik und Wettbewerb. Nicht umsonst sagte der Entdecker des "logos", Heraklit: "Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König." Deshalb waren die Alten Griechen bekannt für Ihre zahllosen Debatten. Von jeder Idee oder Ansicht konnte auch das Gegenteil vertreten werden.

 

Ebenfalls abstrakt: Brahman und Tao

 

Erstaunlicherweise vollzog sich im fernen Osten eine ganz ähnliche Um- und dann Abwertung des Mythos und eine zunehmende Abstraktion. So wird etwa in den Upanischaden (800-600 v. Chr.) Brahman zum höchsten, unpersönlichen, schöpferischen Weltprinzip. "Brahman" heisst ursprünglich: Formulierung der Wahrheit.

Die Upanischaden sind eine Geheimlehre, die sich nur dem denkenden und suchenden Menschen enthüllt. "Die Sprüche der Brahmanen betätigen sich heimlich und nicht offen", sagte Buddha. Im Buddhismus kommt übrigens auch kein Gott mehr vor, und alles besteht aus leblosen Dharmas.

Die Charvakas huldigten einem krassen Materialismus.

 

Auch das chinesische "I Ging" mit den polaren Prinzipien Yin und Yang sowie das "Tao" als Weg, Gesetz oder Vernunft können als mechanistisch und abstrakt gefasst werden.

 

Monistisch oder dualistisch

 

Wir haben also in dieser Zeit die Entwicklung einer recht elitären geistigen Welt, in denen nach Prinzipien, obersten Gesetzen und dergleichen gesucht wird. Diese können monistisch sein, wie der griechische Logos, das indische Brahman oder das chinesische Tao, oder dualistisch, wie bei Empedokles (Liebe und Streit), dem persischen Religionsstifter Zoroaster oder im "I Ging".

 

Die griechischen Mysterien bargen vitale Geheimnisse

 

Also: Wir können erst seit der Achsenzeit von "Geheimnissen" sprechen. Und alle bisher erwähnten sind abstrakt. Nun gab es, wenn man so will, als Relikte aus der matriarchalen Zeit, aber auch noch vitale Geheimnisse, die Mysterien, und die waren nicht so elitär, sondern volkstümlich.

Man kann sagen, es ging in ihnen um die Verwandlung, um das "Stirb und Werde". Die Mysterien waren Feste, an denen das "Geheimnis" mitgeteilt wurde.

Nach neuesten Forschungen sind die Mysterien von Eleusis der Modellfall für alle anderen. Sie sind seit etwa 600 v. Chr. bezeugt. Nur wenig jünger sind die dionysischen oder bakchischen Mysterien. Ihnen wurden nachgebildet die Mysterien der Meter (bekannter als Magna Mater oder Kybele), der Isis und des Mithras. Alle diese Kulte waren griechisch, auch wenn Kybele aus Phrygien stammt, Isis eine ägyptische Göttin und Mithras ein persischer Gott war.

Die eleusinischen Mysterien wurden von der Polis Athen organisiert und vom "König" beaufsichtigt. Die dionysischen dagegen gab es vom Schwarzen Meer bis Ägypten und Süditalien. Die anderen drei Kulte wurden vor allem ab 200 v. Chr. in Rom wichtig. Den Isiskult schildert Apuleius im letzen Buch seines Romans "Der goldene Esel". Die Mysterien hielten sich, bis sie 391 vom Christentum verboten wurden.

 

Mysterien sind nicht Mystik

 

Mysterien sind nicht zu verwechseln mit Mystik. Mystik ist eher eine Bewusstseinsveränderung durch Meditation, Versenkung, Kontemplation, Yoga oder Drogen oder ein vorwiegend asketisches Erleben Gottes oder eine ekstatische Gottesschau (Erkenntnis des Göttlichen oder Einigung mit dem Göttlichen).

Mysterien dagegen sind Geheimkulte, festliche Anlässe der Initiation von Menschen, und zwar solchen, die sich freiwillig dafür entschieden haben. (Und das ist ebenfalls erst nach der "Entdeckung der Persönlichkeit" seit 700 v. Chr. möglich.)

Ausser beim Mithras-Zeremoniell, der ein Soldatenkult war, durften überall auch Frauen und Kinder mitmachen.

 

Mysterien bieten Psychotherapie ...

 

Der Zürcher Altphilologe Walter Burkert vergleicht Mysterien mit Psychotherapie. Anlass zum Mitmachen ist ja die Suche nach "Rettung" aus Angst und Not.

Nicht selten ist z. B. Isis im Kult mit Asklepios eng verbunden: In Athen hat sie einen Tempel innerhalb des Asklepios-Bezirks; der heilende Tempelschlaf, die Inkubation, kommt im Isiskult so gut wie bei Asklepios vor; zu den vielen Namen der Isis gehört auch die Identifikation mit Hygieia, der vergöttlichten "Gesundheit" (22).

Freilich konnte die Rettung auch ganz banal im Gewinnen von Reichtum bestehen.

Auch die Mysterien des Dionysos und der Meter dienten durchaus lebenspraktischen Zwecken. Platon befasste sich in seinem Dialog "Phaidros" mit ersteren und machte Dionysos zum Herrn des "telestischen Wahnsinns" und führte aus, dass diese Riten gelten für "Krankheiten und schwerste Leiden, die in gewissen Familien auftreten, auf Grund eines alten Götterzorns".

Damit wird an die alte Dämonologie angeknüpft. Und die Therapie erfolgt durch rituell induzierten Wahnsinn, durch wie Burkert sagt, eine "Art Urschrei-Therapie, in der die Stauungen und Verkrampfungen sich lösen" (25, vgl. 95f ).

Eine ähnliche Anwendung des Meter-Rituals wird in den vieldiskutierten Bemerkungen des Aristoteles über die "Katharsis" vorausgesetzt, die lustvolle Erleichterung durch die Erregung heftiger Emotionen.

Burkert fasst zusammen:"Für die grossen und kleinen Nöte und Hoffnungen des Alltags hatten religiöse Praktiker ihre Rituale entwickelt, die offenbar wohl abgestimmt waren auf die Empfänglichkeit der menschlichen Psyche."

 

... und Seligkeit

 

Aber das ist nicht alles. Die Mysterien sind mehr als eine Sammlung von Rezepten. Ihr letztes Ziel ist nicht "Rettung", sondern "Seligkeit", und diese bezieht sich auf eine Existenz nach dem Tode. Wer die Mysterien gesehen hat, dem ist ein besseres Dasein im Jenseits garantiert.

Dabei kann das Jenseits ebensowohl als Kontrast zum Diesseits erscheinen wie als seine Projektion. Verbunden werden beide jedenfalls durch Symbole wie den Zyklus von Saat, Wachstum, Ernte und neue Saat oder durch den Abstieg in die Unterwelt. Schön heisst es bei den eleusinischen Mysterien: "Dreimal selig sind die, die nach der Schau dieser Weihen in den Hades steigen; ihnen allein ist da unten Leben gegeben. Alle anderen erfahren dort nur Übles" (Sophokles).

 

Orphik und Pythagoreer

 

Relativ wenig bekannt ist über die sog. Orphik und die Pythagoreer. Sie werden oft miteinander in Verbindung gebracht.

Die Pythagoreer waren eine geschlossene Gemeinschaft, die in den griechischen Städten Unteritaliens von etwa 520 bis 400 v. Chr. lebte. Legendär sind einerseits ihre Verbote, Fleisch und Bohnen zu essen, anderseits die Auffassung: "Alles ist Zahl."

Bemerkenswert ist auch ein Leib-Seele-Dualismus nach der Devise soma=sema, d.h. der Leib (soma) ist das Gefängnis (sema) der Seele. Damit verbunden ist eine Seelenwanderungslehre, die vielleicht aus Indien übernommen wurde, und eine Erneuerung der babylonischen Astrologie. Die Pythagoreer hielten die Gestirne für göttlich; die Orphik sah in den Sternen die wahre Heimat der Seelen, in die sie nach der Erlösung aus dem Kreislauf der Dinge zurückkehren.

 

Abstrakte und vitale Geheimnisse

 

Ich fasse die Achsenzeit zusammen: Wenn wir hier von "Geheimnissen" sprechen, dann müssen wir stets beachten, dass es sich um zwei ganz verschiedene Arten, abstrakte oder vitale, handeln kann. Sehr vieles, gerade auch, was wir heute unter östlicher Weisheit kennen, ist abstrakt, auch die "Geheimbünde" der Pythagoreer, denn es ging dabei um Askese. Vitale Geheimnisse bargen nur die Mysterien.

 

6. Die Orientalisierung (200 v. Chr. - 400 n. Chr.)

 

Gegen die doch ziemlich verbreitete und verblüffende Rationalisierung in West und Ost erhoben sich seit etwa 200 v. Chr. Gegenbewegungen. Die kulturelle Ausbreitung des Griechentums, "Hellenisierung" genannt, stiess bei den umliegenden Völkern auf Protest.

Man hat auch gesagt, es habe eine "Orientalisierung" eingesetzt. Das ist polemisch, denn die Orientalisierung war längst erfolgt. Aber wie wenn die vielen Mythen und Philosophien, Vorstellungen und Spekulationen noch nicht abenteuerlich genug gewesen wären, kamen nun in einem riesigen Schub noch viel wildere dazu.

Alexandria

 

Geographisch wichtigstes Zentrum war seit dem Tod Alexander des Grossen Alexandria im Nildelta, und zwar einerseits für die Wissenschaften, z. B. Mathematik (Euklid), Astronomie (Aristarch), Geographie (Eratosthenes), Medizin (Herophilos) und Grammatik, anderseits für die Esoterik.

Sowohl wichtige astronomische Werke als auch wichtige astrologische Schriften entstanden hier, sowohl grundlegende medizinische und mathematische Schriften wie vermutlich auch einige dem Hermes Trismegistos zugeschriebene Texte.

Besonders stark vertreten waren in Alexandria neben Griechen, Persern und Syrern auch die Juden; hier wurde z. B. das Alte Testament ins Griechische übersetzt, die sogenannte "Septuaginta".

 

Stoiker und Epikureer

 

Die Schulen des Platon und des Aristoteles, die sog. Akademie und der sog. Peripatos, sanken bald zur relativen Bedeutungslosigkeit hinab (die Akademie wurde zeitweise von Skeptikern geleitet).

Wichtigste Geistesrichtungen im 1. Jh. v. Chr. waren die Stoiker und die Epikureer, die Neupythagoreer und die Astrologie sowie bei den Medizinern die Pneumatiker und die Empiriker.

 

Der Stoiker Poseidonios übernahm manches aus der aristotelischen (peripatetischen) Schule, berücksichtigte aber auch die Astrologie und Mantik. Seine Lehre von der "Sympathie", welche alles mit allem verbindet, hatte eine enorme Nachwirkung.

Poseidonios bekämpfte die Epikureer und trug damit wohl zu ihrem baldigen Untergang bei. Sie waren damals ohnehin eher Schriftsteller (Lukrez, Horaz) und dem Ideal eines unpolitischen Lebens in der Zurückgezogenheit (gemäss der Lehre Epikurs: lathe biosas) verpflichtet. Im übrigen hielten sie die Religion für eine Quelle von Aberglauben und Täuschung, hatten also nichts für Geheimnisse und Wunder übrig.

Die Ärzteschule der Pneumatiker verband die Lehre des Poseidonios mit einer Pneumalehre und der hippokratischen Säftelehre. Ein Neuaufleben der Skepsis führte zu einer empirischen Ausrichtung der Medizin. Statt an Dogmatik hielten sich diese Ärzte an Erfahrung und Beobachtung.

 

Astrologie und okkultes Wissen

 

Nachdem es etwa 300 Jahre lang keine Pythagoreer mehr gegeben hatte, tauchen nun plötzlich wieder mehrere Gelehrte auf, die "okkultes Wissen aller Art, Astrologie, Mantik und Magie" sammelten und erprobten (W. Burkert im L. d. A.). In der Lehre vermischten sie altpythagoreische Zahlenspekulation mit platonischer Naturphilosophie. Eine brisante Mischung, die bald zu wunderlichsten Saaten aufging.

Noch mehr: Magier aus Persien und jüdische Zauberer (vgl. z. B. Bolo von Mendes; 5. Moses 18,9ff; Apg. 19,19; Gal. 5,20) gewannen wieder an Einfluss. Die Sternkundigen aus Mesopotamien, die Chaldäer, verbreiteten die Astrologie. Die Römer verboten zwar (139 v. Chr.) deren Auftreten, aber das nützte nichts. Im Gegenteil, die Astrologie blühte richtig auf, nicht zuletzt dank der Unterstützung des Poseidonios.

 

"Erlöser" und Heiler

 

Zur Zeit Jesu wurde das geistige und kulturelle Leben im Mittelmeerraum noch vielfältiger und turbulenter.

Seit einiger Zeit (ca. 160 v. Chr.) gab es in Israel, erstmals, die Idee der Auferstehung (Daniel 12, 1-3), vielleicht unter persischem Einfluss. Und die Idee des "Erlösers" (soter) war weit verbreitet, z. B. liess sich (schon um 300 v. Chr.) ein Seleukidenherrscher, Antiochos I, "Soter" nennen; später wurde Sarapis im ganzen römischen Reich als "Soter", als Retter und Heiland, verehrt.

Kein Wunder, dass viele Wundertäter die Lande durchzogen, z. B. Apollonius von Tyana und Alexander von Abonuteichos, die sich auf Pythagoras beriefen. Apollonius gab Ratschläge und Weissagungen von sich, heilte Kranke, trieb Dämonen aus und soll sogar eine Tote wieder zum Leben erweckt haben.

Es gab kynische Bettlerphilosophen, die mit struppigem langem Bart, schmutzigem Mantel, Ranzen und Knotenstock das römische Reich durchwanderten.

Überdies entstanden allerlei esoterische Zirkel (z. B. von Neupythagoreern), Geheimbünde und Sekten, ferner eine ganze Reihe neuer Bewegungen, z. B. Hermetik und Gnosis, Mystik und Kabbala.

 

Neuplatonismus und Alchemie

 

Ein riesiges Sammelbecken für fast alle Strömungen bildete später, von 200 bis 500 n. Chr., der sog. Neuplatonismus. Er "darf als Erbe des gesamten geistigen Lebens der Antike angesehen werden", heisst es im "Lexikon der Alten Welt" (1965). Er beinflusste seinerseits fortan alle andern Strömungen, besonders die christliche Mystik (Dionysius Areopagita, Eriugena, Eckart) einerseits, die Alchemie anderseits.

Vielleicht gab es die Alchemie aber schon längst in China, oder sie war in Alexandria entstanden.

 

Kraftvolle jüdische Mystik

 

Nun muss man etwas präzisieren: Mystik und Kabbala wurden erst mehr als 1000 Jahre später zu richtigen Bewegungen. In der römischen Kaiserzeit waren es nur einzelne Personen, welche in diese Richtung lebten oder lehrten. So kennen wir für die jüdische Mystik etwa Philon von Alexandria und ganz allgemein die sog. Merkaba-Mystik.

Für den mystischen Platonismus steht Apuleius (mit dem "Goldenen Esel"), und einige hundert Jahre später taucht ein geheimnisvoller Dionysius Areopagita als erster christlichen Mystiker auf. Er lebte vielleicht im 5. Jh. und hat u. a. die Upanischaden aufgenommen.

Für die Kabbala haben wir eine vermutete Entstehungszeit von 70 bis 150 n. Chr.: Der "Sohar" wurde von Rabbi Simon ben Jochai und das Buch "Jezira" von Rabbi Akaba entworfen. Beide Werke wurden aber erst 1100 resp. 700 Jahre später aufgeschrieben.

Das Judentum selbst geriet nach der Zerstörung von Jerusalem 70 n. Chr. und nach dem Scheitern des Aufstandes unter Bar Kochba 130-135 in eine Krise. Seither leben die Juden in der Diaspora.

 

Das Corpus Hermeticum

 

Über das sog. Corpus Hermeticum hat sich der Basler Philosophielehrer Olof Gigon (im L. d. A.) böse geäussert. Er hält es für eine in mehreren Etappen und Fassungen um die Zeitwende entstandene Sammlung theologisch-philosophischer Erbauungsschriften. Heute sind nur noch einige grössere und kleinere Fragmente erhalten.

Trotz der Berufung auf Hermes Trismegistos ist die Sammlung keine "ägyptische" Weisheit, sondern abgesunkene, zerfaserte griechische Literatur, "Proletarierplatonismus", in den sich ziemlich viel Aristoteles und späte Stoa mischt. Gigon meint: "Die Gesamtsammlung ist zweifellos den geistigen Bedürfnissen der Halbgebildeten des 1.-3. Jh. n. Chr. entgegengekommen, hat auch vom 15. Jh. an in theosophisch orientierten Zirkeln immer wieder Beachtung gefunden."

 

Gnosis

 

Von eminenter Bedeutung war die Gnosis. Das war eine ausserordentlich vielseitige religiöse Bewegung. Ihr Hauptthema ist "... die Erkenntnis dessen, wer wir waren, wohin wir geworfen wurden; wohin wir eilen, wovon wir erlöst werden; was Geburt ist, was Wiedergeburt."

Der monistische Typus hat sich bei Juden (Simon Magus) und Christen (Valentinus) mit Schwerpunkt in Ägypten und Rom ausgebildet, der dualistische vor allem bei den Persern (später: Manichäismus ab 3. Jh. und Mandäer).

Oft waren Mysterienkulte damit verbunden (Simonianer, Ophiten); wegen der sexualmagischen Praktiken spricht man auch von Sperma-Gnosis.

In einer neuen Zürcher Dissertation (Jörg Büchli 1987) werden folgende Punkte als gemeinsam herausgestellt:

  • die radikale Weltverachtung: die sichtbare Welt ist negativ, böse und finster
  • die Welt ist das Produkt einer göttlichen Tragik
  • der Mensch lebt in einer ihm fremden Welt
  • der Dualismus Welt-Gott
  • Gott ist entweder der Gott "Mensch" (Schenke) oder unbekannt, akosmisch, fremd (Jonas)
  • es gibt eine Erlösergestalt
  • der Erlösergott ist getrennt vom Schöpfergott (Demiurg)
  • es gibt einen göttlichen Funken im Menschen, der wieder hinaufgebracht werden muss
  • Gott gleich Licht
  • die Mannweiblichkeit (Androgynität).

Ein anderer Forscher (Tröger) fasst zusammen: "Was die 'Gnosis' im Innersten zusammenhält, ist ihre Protesthaltung, ihr Widerspruchsgeist, ihre pessimistische Skepsis gegenüber der Welt, ihr Anspruch auf die höhere Stufe der Erkenntnis und damit auf Exklusivität."

 

Das junge Christentum - gegen Okkultes, und doch ...

 

Von den vier Evangelien fällt dasjenige von Johannes etwas aus dem Rahmen. Das rührt wohl daher, dass es zwei besondere Einflüsse zeigt: 1. den Dionysos-Kult (W. Burkert), und 2. die Stoa, und zwar durch den Begründer der jüdische Mystik, Philon von Alexandria. Seine Lehre vom "Logos" als Mittler zwischen Gott und Welt führ zum schönen Anfang des Evangeliums: "Im Anfang war das Wort ...".

Das junge Christentum hatte neben der offiziellen Staatsreligion sechs ernsthafte Konkurrenten:

·                    zuerst einmal die Stoa als Salonphilosophie

·                    dann die Neupythagoreer als Magier und Mantiker

·                    die Astrologie

·                    einen ganzen Komplex gnostischer und hermetischer Strömungen

·                    und schliesslich die fünf römischen Mysterien.

·                    Im dritten Jh. kamen der Neuplatonismus und die Alchemie dazu.

 

Gegen Astrologie und Gnosis hat sich das Christentum immer entschieden gewehrt. Als das Neue Testament (ab 367) kodifiziert wurde, hielt man alles Gnostische säuberlich draussen. Aber als das Christentum 313 durch die Anerkennung von Konstantin zur gleichberechtigten Religion wurde, übernahm man vieles aus den heidnischen Mysterien, damit die Sache volkstümlich wurde. So wurde etwa der Altar und Weihrauch eingeführt, und 353 verlegte man den Geburtstag Christi auf den 25. Dezember, den Geburtstag des Mithras, des unbesiegbaren Sonnengottes (sol invictus), um dessen Kult aus dem Volksbewusstsein zu verdrängen. Die Anhänger des Mithras wurden verfolgt, die Priester getötet.

Rasch entstand ein Kult mit Lokalheiligen und Reliquien und jahreszeitlichen Festen aus "heidnischer" Tradition. Sehr rasch (325/381) wurde auch das Dogma der Trinität - das aus der matriarchalen Religiosität stammt - fixiert. Etwas später (431) wurde die immerwährende Jungfräulichkeit Marias verkündigt und wurde ihr der Titel der ägyptischen Göttin Isis, "Gottesmutter", verliehen. Sie erhielt auch deren Attribute, den sternengeschmückten Mantel und den Halbmond.

Ebenfalls kurz nach der Anerkennung wurden die ersten jüdischen Synagogen gestürmt oder niedergebrannt, und der Kampf gegen die Heiden und ihre Heiligtümer nahm offizielle und dramatische Ausmasse an. Die ersten "Ketzer" aus den eigenen Reihen wurden 385 hingerichtet, und zwar wegen "magischer Künste" (maleficium).

 

Der Patriarch von Alexandria, Bischof Theophilus, hetzte die Bevölkerung im Jahre 391, als alle heidnischen Kulte verboten wurden, zur Zerstörung der Bibliothek auf. Sie war vollständig: Nicht nur Bücher über Magie und religiöse Schriften, sondern auch die schöne Literatur und die wissenschaftlichen Werke verbrannten. Daher haben wir so lückenhafte Texte aus dem Altertum.

Auch die Schriften der Gnostiker, von denen die Lehre des Christentums (seit Clemens und Origenes) trotz aller Abwehr manches aufnahm, wurden seit etwa 400 systematisch vernichtet. Dennoch überlebte die Gnosis und wurde nach dem Jahr 1000 bei den Katharern und Albigensern zur gefährlichsten Rivalin der katholischen Kirche. Sie wirkte über Jakob Böhme (um 1600) und die Rosenkreuzer bis zur Anthroposophie.

 

Auch im Osten Gegenbewegungen gegen den Rationalismus

 

Es ist nun nicht mehr so leicht, abstrakte und vitale Lehren voneinander zu scheiden. Das zeigt auch ein Blick auf den fernen Osten. Auch hier gab es eine Gegenbewegung gegen den Rationalismus:

  • In Indien breitete sich seit der Zeitenwende der Shaktismus als sexualmagischer Kult aus,
  • der Buddhismus hielt Einzug in China,
  • und in China soll der Taoismus durch Aufnahmen schamanistischer Bestandteile und Angleichung an den Buddhismus "zu verworrener Mystik und wüstem Aberglauben" ausgeartet sein (Schmidt/ Schischkoff).
  • Seit etwa 300 n. Chr. lässt sich der magische Tantrismus fassen, eine ungemein vielfältige Strömung mit einer männlichen und einer weiblich orientierten Hauptrichtung.

 

Die ebenfalls bald fassbaren Methoden Yoga und Ch'an resp. Zen gehören auf die abstrakte, asketische Seite.

Patanjali (2. Jh. v. Chr. oder 450 n. Chr.) bernützte das Samkhya-System der Hindu-Philosophie für die theoretische Darstellung der Yoga-Methoden.

Bodhidharma, der 28 indische Patriarch des Buddhismus, verlegte 526 n. Chr. seinen Sitz nach China und begründete die Ch’an-tsung, die „Meditationsschule“. In Japan wurde diese um 1200 durch Eisai und Dogen als Zen eingeführt.

 

7. Revival der Antike (1100-1460)

 

Wenn man etwas streng ist, kann man sagen, dass von 400 bis 1100 n. Chr., also 700 Jahre lang, für das Geistesleben Pause war.

 

Klöster - Islam - Reitervölker

 

Freilich geschah manches: Das römische Imperium zerfiel. Ganz Europa wurde christianisiert. Die Klöster (ab 4. Jh.) wurden rasch zur wichtigsten kulturbewahrenden und kulturvermittelnden Institution.

Im zentralen Europa hielten sich das aufstrebende Frankenreich und das byzantinische Reich als Kulturmächte etwa die Waage.

Der Islam umklammerte in einer Zangenbewegung den Süden Europas von Arabien über Nordafrika bis Spanien.

Die Normannen (oder Wikinger) bildeten eine analoge Zangenbewegung von Norden her, via England und Normandie bis nach Italien, via Kiew und Dnjeper zum Schwarzen Meer.

Für dauernde Irritation sorgten die aus dem Innern Asiens in Wellen hervorbrechenden Reitervölker von den Hunnen und Bulgaren über die Magyaren bis zu den Mongolen und Türken. Bei ihnen dominierte religiös der Schamanismus. (Den gibt es auch bei den Lappen, Eskimos und Sibiriern.)

 

Der Islam als Vermittler

 

Nicht gering achten darf man die Leistungen des Islams. Ohne Mönche einerseits, den Islam anderseits gäbe es keine europäische Kultur.

Die Araber haben sowohl bewahrend wie befruchtend gewirkt. Sie bewahrten die wissenschaftlichen und philosophischen Werke der Antike. Wertvolle Impulse gaben sie der Geisteswelt mit der Sufi-Mystik, mit alchemistischen Schriften und mit grossartigen Leistungen in der Medizin und Mathematik, Astronomie und Geographie.

Aber erst als die romanisch-germanischen Völker Spanien und Süditalien zurückeroberten, kam es zu einem neuen Aufbruch. Ziemlich rasch wurden ab etwa 1150 (z. B. in Toledo sowie bald auch in Monte Cassino und Palermo) alle Werke der Antike übersetzt, zuerst aus dem Arabischen, dann aus dem griechischen Originalwortlaut. Es handelte sich einerseits um astrologische und alchemistische Texte, anderseits besonders um die Schriften des Aristoteles, von dem mehr als 1000 Jahre lang kaum jemand Kenntnis genommen hatte.

 

Gnostische Sekten werden verfolgt

 

Ab etwa 950 wurde die Gnosis von Bogumilen in Bulgarien und Thrakien aufgenommen. Ihr Führer Basilius wurde 1118 verbrannt.  Die Bewegung verbreitete sich seit der Jahrtausendwende auch in Italien (Patarener) und in Südfrankreich (Katharer, Albigenser).

Alle Gruppen wurden als Sekten verschrien und von der katholischen Kirche gnadenlos verfolgt ( Die Katharer wurden 1244 in Montségur entscheidend vernichtet.) Doch die Bewegung lebte im Balkan noch bis etwa 1450.

Wie Karl R. H. Frick in seinem Buch "Die Satanisten" (1985, Bd. 2, 88f, 103f) berichtet, betrieben einige Gruppen der Gnostiker ab ca. 1100 auch einen Satanskult. "Bei all diesen Gruppen war die Ritualistik der später als Schwarze Messe bezeichneten spezifischen Kultform bereits ausgeprägt. Zu dem nächtlichen Versammlungsort, dem Kerzenritus mit Lichtauslöschen, der Evokation eines Tieres, eines bösen Geistes oder des Satan selbst, der sexualmagischen Orgie und der Hostienschändung, kam noch die Sakrifizierung der Analregion."

 

Die Templer als Hüter gnostischer Überlieferung?

 

Das "Internationale Freimaurer-Lexikon" von Lennhoff/ Posner (1932) ergänzt: "Im Mittelalter galten in erster Linie die Templer (1118-1314) als Hüter gnostischer Überlieferung. Wie der Neuplatonismus, so beeinflusste die Gnosis stark die neuchristliche Form der Kabbala (bei Pico della Mirandola um 1460) und andere Systeme und insbesondere auch Reuchlin (1494) und Jakob Böhme und damit die Rosenkreuzer.

Mit der Freimaurerei kamen gnostische Systeme im 18. Jahrhundert in Berührung, als christliche Mysterien in die Freimaurerei einsickerten ... Die Gnosis wurde auch - zu Unrecht - herangezogen, um in der Zeit der maurerischen Verirrungen die Abstammung der Freimaurerei von den Tempelrittern zu erhärten ... gnostisch-esoterischen Kultus enthielt die Lehrart der Martinisten (um 1770). Auch bei Fessler (um 1800) sollte die höchste Stufe in einer vollständigen Geschichte der sogenannten maurerischen Gnosis die letzten Aufschlüsse geben."

 

Kabbala

 

Die gnostischen Tendenzen bei den Katharern und Albigensern veranlassten die Juden, sich für ihre eigenen Traditionen zu interessieren. (Das Buch "Jezira" war vermutlich im 9. Jh. entstanden.) Kurz vor 1200 entstand in Südfrankreich das Buch "Bahir". Die Schriften des "Sohar" wurden etwa 100 Jahre später (1270) in Spanien von Mose de Léon aus Avila kanonisch zusammengefasst und verbreitet.

 

Um 1200 gab es einen deutschen Chassidismus in Speyer, Worms und Mainz.

 

Neuplatonismus

 

Der Neuplatonismus wurde immer wieder von einzelnen Denker aufgegriffen, so vom persischen Philosophen Avicenna (um 1020), vom Spanier Avicebron (um 1050), vom Engländer Roger Bacon (um 1260), vom italienischen Heilkünstler und Astrologen Pietro d'Abano (um 1300) sowie vom deutschen Mystiker Eckart (1320).

 

Ab 1100: Revival der "orientalisierten" Antike

 

Wenn wir das 2. Jahrtausend n. Chr. als Ganzes betrachten, können wir feststellen, dass geistig viererlei passierte:

  • Etwa 500 Jahre lang stand man völlig im Bann der - vorwiegend griechisch geprägten - Antike
  • bis um 1600 die neuzeitliche Wissenschaft zum Durchbruch kam.
  • Dann setzte um 1740 als Gegenbewegung zur Aufklärung wieder eine "phantastische" Phase ein,
  • die in weiteren Wellen bis heute dauert.

 

Etwas burschikos kann man sagen: Es kam ab 1100 zu einem Revival der Antike.

 

Astrologie

 

Am schwersten fassen lässt sich die Astrologie. Das ist eigentlich paradox, hat sich doch diese Art der Mantik kontinuierlich durch das ganze Jahrtausend bis heute gehalten - allen Anfeindungen und Verboten zum Trotz.

In Bagdad befassten sich die grossen Ärzte und Mathematiker Al Kindi (um 850) und Al Farabi (um 950) bereits wieder mit Astrologie.

Marc Roberts schreibt, dass sich auch zahlreiche Kabbalisten damit beschäftigt hätten. Schon 1150 schrieb Avi Joseph eine Abhandlung über die Wesen, welche die verschiedenen Himmelssphären bewegen und den Einfluss der Sterne.

Bekannte Astrologen waren auch Ibn Esra (um 1150), seine Zeitgenossen Abraham Chiia, Abraham Nasi und Ibn Gabirol (Avicebron). In der zweiten Hälfte des 13. Jh. waren die Astrologen, die Alphons X., König von Kastilien an seinen Hof holte, Rabbiner. Alfons X. liess auch die lateinische Abschrift einer spanisch-arabischen Sammlung von magisch-astrologischen Schriften ("Piccatrix", 1256) anfertigen. (Bei Helmut Werner ist die "kabbalistische Astrologie" demgegenüber erst um 1850 entstanden.)

Zu den klassischen Astrologen zählen Michael Scotus (1230), Albertus Magnus (1250) und der italienische Mönch Guido Bonatti (1280) ferner Regiomontanus (um 1450), welcher (ungefähr zur gleichen Zeit wie Peurbach) die "Ephemeriden" erfand und die "Direktions-Tafeln" entwarf.

Obwohl von der Kirche nicht gern gesehen, ware Anhänger der Astrologie der Kardinal Petrus von Ailly (um 1400), Lucas Bellantius, Cyprian Leowitz, Giovanni Pontano und Luca Gauricus.

 

Gefährliches Leben

 

Alchemie, Astrologie und Magie sind für den Franziskaner Roger Bacon, den theoretischen Begründer des Empirismus, der Höhepunkt der Naturwissenschaft, eine Geheimlehre im strengen Sinn. Sein "Opus maius" (ca. 1270) enthält eine detaillierte Beschreibung der Philosophie und Praxis der Alchemie. Er überwarf sich mit seinen Oberen und wurde schliesslich - vielleicht wegen Kritik oder Magie - verurteilt. Er verbrachte die letzten 15 Jahre seines Lebens im Kerker, bis er 1292 starb.

Hofastrologe im Dienst des Herzogs von Kalabrien war um 1300 Cecco d'Ascoli. Er soll als Ketzer hingerichtet worden sein, weil er die Theorien des englischen Mathematikers Johannes von Sacrobosco (um 1250) eigenwillig interpretiert hatte.

Pietro d'Abano (einmal auch als Peter d'Apona bezeichnet) starb 1316 im Gefängnis, bevor er als Zauberer hingerichtet werden konnte.

 

Mystik

 

Die mystische Strömung breitete sich ab 1100 machtvoll aus. Neben den christlichen Mystikern Bernhard von Clairvaux und den Victorinern gab es auch viele Frauen, z. B. Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau, ja sogar Zürcherinnen im Kloster Töss.

Ein Höhepunkt brachte die Zeit von 1300 bis 1330 mit Meister Eckart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler und Jan van Ruysbroek. Etwas später folgte Rulman Merswin, der "Gottesfreund vom Oberland" Gerhard Groote, der Initiator der Brüderschaft vom gemeinsamen Leben (1381), ein unbekannter Frankfurter Mystiker, welcher um 1400 die "Theologia Deutsch" verfasste und schliesslich Thomas à Kempis, Herausgeber der "Nachfolge Christi" (1427).

 

Alchemie: zuerst europäisch, dann erst christlich

 

Die Alchemie war über die Syrer (6. Jh.), das byzantinische "Corpus alchimisticum" (8. Jh. und die Araber (ab 900: "Turba Philosophorum"; Jabir/ Geber) zusammen mit Astrologie und Hermetik ins Hochmittelalter gelangt. Sie wurde bis etwa 1700 in ganz Europa ernsthaft betrieben.

Sie hielt Einzug an Königshöfe, z. B. bei Friedrich II., der um 1220 unter anderem König von Sizilien war und als erster Alchemist auf dem Kaiserthron gilt. Man fand sie aber auch an päpstlichen Höfen, in Studierstuben und Arztpraxen.

 

Damals, also von 1200 bis 1300, entstand eine eigenständige "europäische" Alchemie, die auch an den Universitäten, z. B. als Grundlage der Medizinerausbildung gelehrt wurde.

 

Um 1300 gab es eine drastische Änderung: Die Alchemie wurde von den Hochschulen ausgeschlossen und in die Praxis gedrängt. An weltliche Höfen sind nun Goldmacher erwünscht. Die Theorie (basierend auf der aristotelischen Naturphilosophie) wurde nicht mehr weiter ausgebaut. Das erlaubte den Einzug von christlichem Gedankengut (zuerst: Petrus Bonus und "Aurora consurgens"), insbesondere der Eucharistie: Der Lapis (Stein der Weisen) wurde mit Christus gleichgesetzt, die Verwandlung der Metalle mit derjenigen von Brot und Wein beim Abendmahl.

Freilich war die neue religiöse Seite der Alchemie anti-kirchlich, nämlich gnostisch (siehe z. B. den Uroboros). C.G. Jung hat sich bei seinen Studien leider nur auf die schon christlich gefärbte Alchemie gestützt.

 

Gut fassbare Alchemisten sind

  • der aus Schottland stammende Astrologe und Chiromantiker Michael Scotus (um 1175-1235), der 1209-1220 in Toledo Astronomie und Alchemie lernte und manche Schriften aus dem Arabischen übersetzte, nachher am Hof von Friedrich II. lebte
  • der spanische Arzt, Sozialreformer und Astrologe Arnold von Villanova (um 1300), welcher für 1335 den Weltuntergang prophezeite
  • der Mallorquiner Raymundus Lullus. Er lernte 1293 in Neapel Arnold von Villanova kennen. 1330 soll es ihm in Mailand gelungen sein, den Stein der Weisen zu finden. Es wurden unzählige alchemistische Bücher unter seinem Namen geschrieben. Bleibenden Bestand von ihm hat seine Kombinatorik (Roob, 286-290, 508, 597), die noch Leibniz faszinierte. Es wird vermutet, dass er seine Inspiration von den "Lauteren Brüdern von Basra" (um 950) erhielt, von denen auch der Magier Gurdjieff um 1900 seine Idee des "Enneagramms" hatte (Roob, 658).
  • sowie die Franzosen Jean de Rupecissa (um 1360) und Nicolas Flamel (um 1390); mit letzterem wurde die Alchemie zur "königlichen Kunst" (vgl. R. Federmann: Die königliche Kunst. Eine Geschichte der Alchemie. 1964).

 

Die wenig fassbaren Basilius Valentinus (um 1430) und Salomon Trismosinus (1470) sollen Paracelsus beeinflusst haben. Auch vom englischen Alchemisten George Ripley (um 1450) weiss man nicht sehr viel.

 

Hermetik

 

Laut Marc Roberts (429) stammt die erste lateinische Übertragung der "Tabula Smaragdina"" aus dem 12. Jh. "und hat als Grundlage eine arabische Vorlage, die wiederum auf griechisch-alexandrinische Quellen zurückgeht". Grundlage sind die Entsprechungen der Alchemie.

Laut Helmut Werner (276) wurde die Tafeln vom 13. Jh. an Hermes Trismegistos zugeschrieben.

Laut Bohnke (86) wurden die Tafeln im 13. Jh. in einer lateinischen Übersetzung bekannt, wohl aus dem Umkreis von Albertus Magnus.

Laut Antoine Faivre (1996, 47) findet sich die erste Fassung in dem um 825 erschienenen "Buch der Ursachen".

Laut Doucet (1980, 209) soll es eine Abschrift auf einem Papyrus geben, der wenigstens 1700 Jahre alt ist (sog. Leydener Papyrus).

 

Die zweite Säule der Hermetik bildet das "Corpus Hermeticum", das erst nach 1450 wieder entdeckt wurde. Die wichtigste Schrift darin, der "Poimander", enthält nichtchristliches gnostisches Gedankengut.

Hermes Trismegistos spielt auch im sog. "Cooke-Manuskript" der Freimaurer (um 1410) eine Rolle. Lennhoff/ Posner berichten:" In dessen Legende findet Hermes Trismegistos nach der Sintflut die eine der beiden Säulen, Pythagoras später die andere, in die vor dem grossen Wasser alles Wissen von Lamechs Söhnen eingegraben worden war. Hermes Trismegistos ist hier also gleichsam der erste Lehrer der Menschheit, der 'Vater aller Weisheit'."

 

Hermes Trismegistos gilt auch als Erfinder der Alchemie und der Magie, daher der Name "hermetische Kunst" für die Alchemie, die in einer hermetischen Kette als Geheimlehre weitergegeben wird (nach Lennhoff/ Posner).

 

Auf Hermes Trismegistos berufen sich zahlreiche Alchemisten wie Arnaldus von Villanova (um 1300), Raymundus Lullus (1330) und Trevisanus (1450) sowie Nikolaus von Kues (1460).

 

Das hermetische Grundgesetz

 

Gemäss Hans-Dieter Leuenberger ("Das ist Esoterik", 1985) können die Gesetze von Hermes Trismegistos in vier Grundprinzipien zusammengefasst werden (ähnlich bei Bohnke, 88):

"1. Alles, was auf einer oberen Ebene geschieht, findet seine Entsprechung auch in den unteren Ebenen. Was auf der oberen Ebene geschieht, wirkt auf die untere Ebene ein; und umgekehrt gesehen ist alles, was auf einer der unteren Ebenen vorhanden ist, ein Abbild dessen, was auf den oberen Ebenen ist und wirkt.

2. Alles in der Welt ist polar. Das bedeutet, dass alles, was ist, in zwei Ausgaben, in zwei Polen vorhanden ist, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, wie etwa männlich-weiblich, positiv, negativ-hell-dunkel, oben-unten, sichtbar-unsichtbar, und so weiter.

3. Zwischen diesen Polen herrscht ein gegenseitiger Kraftfluss, der etwas Neues, ein Drittes, entstehen lässt, das mit den zwei ersten Polen zusammen eine neue Einheit bildet, die wiederum zum Spannungspol wird.

4. Alles im Kosmos läuft zyklisch, rhythmisch ab und unterliegt dem Gesetz der Balance und der Ausgewogenheit. Beispiele dafür sind der Herzschlag, der Atem oder das Gesetz der Gravitation im Weltall, das die Gestirne genau berechenbare Bahnen ziehen lässt ... Jeder aktiven Betätigung entspricht eine ihm gemässe Ruhepause. Ausdehnung und Zusammenziehung des Herzens machen den Herzschlag aus, Einatmen und Ausatmen den Atem. Und all das geschieht in einer ganz bestimmten Harmonie, damit es überhaupt funktionieren kann."

 

Tarot

[andere und viel genauere Angaben siehe:

Kleine Geschichte des Tarot

Der Tarot – eine kleine Chronologie]

 

Laut Hans-Dieter Leuenberger (1991, 99f) taucht Tarot schon früher auf als allgemein angenommen. Er meint: "Das 13. Jahrhundert war auch die Zeit, in der in Europa ein seltsames Kartenspiel namens Naibbe auftauchte, gegen das sich sofort Obrigkeit und Kirche aufs heftigste zur Wehr setzten.

Wir dürfen mit einiger Sicherheit annehmen, dass es sich dabei um Tarot handelte, der möglicherweise von den zur selben Zeit in Europa auftauchenden Zigeunern vom Fernen Osten auf ihren langen Wanderungen nach Europa mitgebracht wurde.

Ähnlich wie der Grals-Mythos ist auch der Tarot ein Mittel, esoterisches Wissen durch die Zeiten hindurch zu übertragen. Ein Archiv aus archetypischen Bildern, in denen das ganze esoterische Wissen enthalten ist."

 

Andere Hypothesen der Herkunft sind die ägyptischen Mysterien (184) oder ein Volk in den Bergtälern des Himalaja.

Laut Helmut Werner ( und ähnlich Marc Roberts) war Tarot "ursprünglich nur ein Spiel, das gegen Ende des 18. Jh. mit dem Okkultismus in Verbindung gebracht wurde". Die frühesten uns bekannten Karten hat 1392 Gringonneur für den französischen König Charles VI. geschaffen. Aus dem 15. Jh. sind dann die Visconti-Sforza-Karten und die Tarocchi di Mantegna- Karten überliefert.

 

Aristoteles kommt wieder zum Zug

 

Nachdem um 1200 in Spanien Maimonides den jüdischen Glauben auf der Grundlage aristotelischen Denkens begründet hatte, zogen die Christen bald nach: Thomas von Aquin stellte das bisher hellenistisch-neuplatonisch ausgerichtete Christentum unter die Autorität des Heiden Aristoteles.

Schon lange hatten allerlei Sekten und der Streit der Dialektiker (Berengar von Tours) mit den Orthodoxen (Damiani) das Christentum grundsätzlich in Frage gestellt. Nach 1300 entstand daraus die Auseinandersetzung zwischen Nominalismus (resp. Konzeptualismus; Wilhelm von Ockham) und Realismus (Pariser Universität), was schliesslich, 300 Jahre später, zur neuzeitlichen Wissenschaft (Stevin, Gilbert, Galilei, Kepler) führte.

 

Aber dazu musste noch viel geschehen!

 

Warum heisst die Zeit von 1300 bis 1550 Renaissance?

 

Es war eine "geistige Wiedergeburt" nach der "Finsternis" (Petrarca) des Mittelalters, und zwar durch ein Entdecken und Aufarbeiten der Antike.

Eine andere Bezeichnung heisst "Humanismus", das weist darauf hin, dass man den Menschen entdeckte, in den Mittelpunkt stellte und sich ihm widmete

a)    in der Erziehung und

b)    in der bürgerlichen Gesellschaft (Salutati, Palmieri).

 

Italien war hierbei führend. Florenz war nicht nur das kapitalistische, sondern auch das geistige Zentrum. Hier wurde unter anderem anhand von Manuskripten, die in Byzanz gefunden wurden, der Platonismus und der Neuplatonismus wieder entdeckt und zusammen mit der Kabbala, Magie und Mantik wiederbelebt. Der Byzantiner Plethon veranlasste Cosimo de Medici zur Gründung der Platonischen Akademie (1459) und träumte von einer sittlich- politischen Erneuerung der Menschheit.

 

8. Hochrenaissance: Hochblüte der "alten" Esoterik (1460-1550)

 

Die höchste Blüte der Esoterik fällt mit der höchsten Blüte der Renaissance zusammen. Sie dauerte von 1460 bis ca. 1550. Vielleicht war die Erfindung des Buchdrucks (1440) daran auch beteiligt.

 

  • Der Arzt Marsilio Ficino übersetzte 1463 aus dem Corpus Hermeticum für Cosimo de Medici den Poimander und den Asklepios aus dem Griechischen ins Lateinische und wollte eine Gelehrtenrepublik gründen. Ihm verdankt auch der Neuplatonismus eine Wiederbelebung - übersetzte er doch nicht nur fast alle Schriften von Platon, sondern auch die Neuplatoniker Plotin und Porphyr. Ficino schrieb ferner über Astrologie und Talismane mit den Symbolen (Charakteres) darauf.

  • Sein Landsmann Pico della Mirandola machte die Kabbala salonfähig und bemühte sich, ihre Lehren mit jenen des Neuplatonismus zu einer christlichen Synthese zusammenzuführen. 1486 veröffentlichte er 900 Thesen, die er in Rom diskutiert haben wollte, z. T. auch über Mantik. Er musste nach Frankreich fliehen und wurde dort verhaftet. Auf Intervention von Lorenzo di Medici konnte er jedoch bald nach Florenz kommen und an der Platonischen Akademie wirken. Er soll vergiftet worden sein.

  • Nikolaus von Kues (Cusanus; um 1460) entwickelte, ähnlich wie Eckart, eine pantheistische oder mystische Naturphilosophie. Er stand auch unter neuplatonischem Einfluss und berief sich auf Hermes Trismegistos. Er beschrieb die "Coincidentia oppositorum", das Zusammenfallen der Gegensätze. Für ihn ist der Mittelpunkt des Kosmos überall und nirgendwo. Seine Ideen wurden von Agrippa von Nettesheim (um 1510) und Paracelsus (um 1530) aufgenommen und waren bis Cardano, Bruno (1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt) und Leibniz (1700) wirksam.

  • Der Humanist Johannes Reuchlin wurde von Pico della Mirandola in Florenz (1490) zum Studium des Neuplatonismus und der Kabbala angeregt. Im Anschluss an Nikolaus von Kues spricht er von der Koinzidenz der Gegensätze des Verstandes im höheren Bewusstsein. Wichtige Werke: "De verbo mirifico" (1494), "De arte cabbalistica" (1494) und "Artis cabbalistica scriptores", eine Sammlung von Werken kabbalistischer Schriftsteller, welche die erste Übersetzung des Buches "Jezira" enthält. Es heisst, ohne Reuchlin wären die kabbalistischen Schriften verlorengegangen.

  • Der Abt und Vielschreiber Trithemius (um 1500) befasste sich mit Geheimschriften und Talismanen sowie Mystik. Seine alchemistischen Schriften sind umstritten.

  • Das Hautinteresse des Arztes und Abenteurers Agrippa von Nettesheim galt dem Neuplatonismus, der Kabbala und der Astrologie. In seinem Hauptwerk "De occulta philosophia" (1510; dt. erst 1855) versucht er eine Synthese von Magie und Christentum.

  • Das legendäre Vorbild zu Goethes "Faust" soll um 1520 gelebt haben. Helmut Werner berichtet, es habe zwei, einen jüngeren (Scharlatan) gegeben, der als Arzt und Wahrsager durchs Land gezogen sei, und einen Buchdrucker Johann Faust gegeben.

  • In Paracelsus (um 1530) vereinigen sich Neuplatonismus (Ficino), Alchemie und Magie. Er popularisierte die Analogie Mikrokosmos-Makrokosmos und entwickelte die Alchemie zur Chemiatrie (auch: Iatrochemie), also zur Arzneimittelbereitung. Die berühmtesten Werke, wie die "Astronomia Magna", worin er eine theosophische Kosmographie entwirft, erschienen erst aus dem Nachlass. Paracelsus wirkte auf die protestantische Mystik und Jakob Böhme, auf die Alchemisten Fludd und van Helmont und die spätere Naturphilosophie.

  • In der Nähe von Paracelsus stehen auch die beiden ersten deutschen protestantischen Mystiker Sebastian Franck ("Paradoxa", 1534) und Kaspar Schwenckfeld (gest. 1561).

 

Weitere wichtige Esoteriker in Italien

 

  • Der Alchemist Graf Bernhard von Treviso (Trevisanus), welcher es auch mit Urin probierte, soll im Alter von 82 Jahren (1481 oder 1487) das grosse Geheimnis entdeckt haben
  • Der Geistliche Johannes Augustinus Pantheus verfasste um 1520 zahlreiche alchemistische Traktate und entwarf eine Kabbala der Metalle.
  • Der Philosoph Agostino Nifo befasste sich auch mit astrologischen Fragen (um 1520).
  • Der Arzt Girolamo Cardano (um 1550) bekannte sich zu einer pantheistischen Naturphilosophie.
  • Der Hermetiker Giovanni Battista Nazari befasste sich mit Prophezeiungen und Alchemie (1572).

 

In Frankreich

  • Der Mathematiker Carolus Bovillus (1510) war ein Anhänger von Cusanus
  • Der Arzt und Pfarrer François Rabelais (um 1530) brachte die Idee der Abtei von Thelema mit der Losung "Tu' was du willst" auf (Aleister Crowley übernahm sie um 1900)
  • Der Kabbalist Guillaume Postel schrieb seine ersten Bücher schon um 1540 und kam ständig mit der Inquisition in Konflikt.
  • Der Arzt Nostradamus begann 1547, seine Prophezeiungen niederzuschreiben.

 

In Spanien

  • reformierten die Mystikerin Therese von Avila (1550) und ihr Schüler und Beichtvater Johannes vom Kreuz (1570) den Karmeliterorden. Sie erneuerten auch die Mystik innerhalb des Katholizismus.

 

Wie kam es zur neuzeitlichen Wissenschaft?

 

Es ist ja erstaunlich, wenn man es genau nimmt: Die neuzeitliche Wissenschaft ist aus Neuplatonismus und Kabbala, Mystik und Alchemie herausgewachsen. Freilich mussten dazu noch einige Ideen zum Durchbruch kommen, z. B. diejenige

·                    des Nutzens (Valla, Alberti)

·                    der Macht (Machiavelli)

·                    der gottgefälligen Leistung (Calvin) und

·                    des Fortschritts im Diesseitigen (Morus, Bodin).

Ferner musste sich die Idee des Mechanischen (Telesio, Kepler, Descartes) und der grundsätzlich empirische und rationale Approach durchsetzten, also die methodische Naturbeobachtung.

 

All dies war erst möglich, als der Neuplatonismus und die ganze Hermetik den seit Maimonides und Thomas von Aquin, also 300-400 Jahre lang dominierenden Aristotelismus überwunden hatten.

Kopernikus (1543) verglich die Sonne in der Mitte des "wunderschönen Tempels der Welt" noch mit dem "sichtbaren Gott" des Hermes Trismegistos, Galilei war ein überzeugter Platoniker, Kepler hat sich mit der Erstellung von Horoskopen über Wasser gehalten und basierte auf einem pythagoreisch-neuplatonischen Weltbild, und Newton war Alchemist und gleichzeitig sehr religiös. Er war überzeugt von der Einheit der Wahrheit.

Leibniz begeisterte sich als junger Doktorand für die Rosenkreuzer (1666) bald auch für die Kabbala (Lullus) und die chinesische Philosophie.

 

Das ist für viele schockierend. Fritjof Capra und andere liegen also falsch, wenn sie alle Schuld für die heutige Misere dem Rationalismus von Descartes zuschieben. Die "Schuld" liegt an nichts anderem als an den beiden seit den Höhlenbewohnern die Esoterik bestimmenden Komponenten, nämlich dem faustischen Drang nach Welterkenntnis und Weltbeherrschung.

 

9. Barock: Illustrierte Abgesang der "alten" Esoterik (1550-1700)

 

Esoterischer Abgesang und wissenschaftlicher Aufbruch

 

Der Barock bot eigentlich nur einen müden Abgesang auf die kraftvolle Esoterik der Renaissance. Immerhin war er reichlich mit Kupferstichen und farbigen Bildern illustriert. Doch die Hexenverfolgungen waren noch voll im Gang.

Einzig neu im esoterischen Bereich waren die protestantische Mystik von Valentin Weigel, die Theosophie Jakob Böhmes, die Freimaurerei, die Rosenkreuzerlegende und die Idee einer Bruderschaft der Gelehrten der "neuen" Wissenschaft. Das war eine Verbindung von Alt und Neu.

 

Die "neue Philosophie"

 

Einen Abschluss der Spätrenaissance bot das naturphilosophische System in der "Neuen Philosophie" (1591) des Italieners Francesco Patrizzi. In ihm verbindet sich eine leidenschaftliche Gegnerschaft gegen die aristotelische Metaphysik mit einer schwärmerischen Hingabe an die neuplatonische Mystik, christliche Trinitätsspekulation und orientalische Geheimüberlieferung. Damit ist er ein Wegbereiter der neuen Wissenschaft.

 

Giordano Bruno

 

Anknüpfend an Lullus, Cusanus und Kopernikus entwickelte der Italiener Giordano Bruno einen naturalistischen Pantheismus. Er verband 1584 gnostische, neuplatonische und hermetische Anschauungen. Er wurde 1600 als Ketzer verbrannt, weil er nicht mehr die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems sah. (Frances A. Yates: "Giordano Bruno and the Hermetic Tradition", 1971).

 

Empirismus und Rationalismus

 

1620 begründete Francis Bacon den methodischen Empirismus (fortgesetzt von Thomas Hobbes und John Locke).

 

René Descartes griff den Nützlichkeits- und Fortschrittsglauben des von ihm bewunderten Bacon auf und begründete 1637 den methodischen Rationalismus (fortgesetzt von Spinoza und Leibniz). Da sein Versuch, ein Technikum als Sonntagabendschule zu gründen, scheiterte, rief er am Schluss seines Hauptwerks ("Discours de la Méthode") alle Naturforscher, "denen am Wohl der Menschen gelegen ist" zur Bildung einer Forschungsgemeinschaft auf. Dazu gehört auch eine universelle Wissenschaftssprache.

 

Beide Geisteshaltungen trugen fortan unter der Fahne des "richtigen Verstandesgebrauches" Forschung und wissenschaftliches Denken weiter. Denn "Rationalismus und Empirismus sind verschiedene Antworten auf die gleichen Fragen" (G. Gawlick, 11).

 

Das methodische und anwendungsorientierte Denken wurde fortan in zwei Richtungen ausgebaut: "Der ideale Rationalist glaubt an die Stärke des natürlichen Lichtes der Vernunft, das ihm weit über die Leistung der Sinne hinaus ... Gewissheit garantierende Evidenz vermittelt ... Der ideale Empirist neigt demgegenüber dazu, ... allein die nach verbindlichen Regeln überprüfte Erkenntnis von Einzeltatsachen für gewiss zu halten und zu unterstellen, dass die menschliche Vernunft nicht in der Lage ist, irgendwelche darüber hinausgehenden nichttrivialen Gewissheiten zu vermitteln" (R. Specht, 15f, vgl. G. Gawlick, 10f).

 

Wichtig wurden einige anthropologische Ideen. Der Calvinist Isaac de la Peyrère stellte 1655 die Theorie der Präadamiten auf, nach welcher es schon viele tausend Jahre vor Adam Menschen gegeben habe, von denen die Indianer abstammten. Johannes Scheffer beschrieb 1673 erstmals den Schamanismus der Lappen. Der vielgereiste Arzt François Bernier lieferte 1684 die erste Rassengliederung der Menschheit.

 

Die Rosenkreuzeridee

 

Für den Aufbruch der neuzeitlichen Wissenschaft ist nicht nur die Forschung und das rationale Denken verantwortlich. Wichtig dafür sind auch die beiden Schriften von Johann Valentin Andreae "Fama Fraternitatis" (1614) und "Confessio Fraternitatis" (1615). Als praktisches Ziel der beiden Traktate wird eine Generalreformation der Welt durch die Errungenschaften der modernen Wissenschaft angekündigt. So etwas wie eine Bruderschaft der Rosenkreuzer gab es von 1615-1630.

 

Die von Andreae begründete Rosenkreuzeridee kann man als spirituelle (nicht praktische) Alchemie fassen. Auch der Arzt Michael Maier und Robert Fludd gehören dazu. Beide waren befreundet und plädierten für die "gute" Magie.

Weiter von Andreae beeinflusst waren der Pädagoge Jan Amos Comenius sowie der Mathematiker und Naturforscher Joachim Jungius.

Descartes (1620), der Begründer des Rationalismus, und Leibniz (1666), der Begründer der Aufklärung, interessierten sich für die Rosenkreuzer.

 

Utopien

 

Johann Valentin Andreaes "Christianopolis" (1619) ist unter dem Eindruck von Campanellas Utopie " Der Sonnenstaat" (begonnen 1602, gedruckt 1623) entstanden. Es ist eine mystisch-hermetische Gelehrtenrepublik. Diese Utopie hatte wiederum Einfluss auf Francis Bacons "New Atlantis" (nach 1626). Die Legitimität des Wissens ist bei beiden an christliche Frömmigkeit und sozialen Fortschritt gebunden.

In einem Sammelband "Der utopische Staat" (1960) schreibt der Herausgeber Klaus J. Heinisch, "eine versteckte, dafür aber umso stümperhaftere Nachahmung des 'Sonnenstaats'" sei das Buch "Mundus alter et idem" von Joseph Hall (1643). "Von grösserer Originalität zeugen noch im selben Jahrhundert die 'Nova Solyma' Samuel Gotts (1648), das glückliche 'Sevarambien' des Denis Vairasse (1677-79) und die 'Oceana' James Harringtons (1656), während der 'Leviathan' des Thomas Hobbes (1651) dank der Genialität seines Verfassers trotz aller eindrucksvolle Bildhaftigkeit eine neue, weit mehr theoretisch gerichtete Abart der Staatsromane begründet" (217).

Diese Weltentwürfe bilden die Wurzeln des "utopischen Sozialismus".

 

Alchemie

 

Etwa 1651 entstand Rembrandts Radierung "Praktizierender Alchemist", die später "Faust" genannt wurde. Dieser Alchemist arbeitet nicht im Labor, er ist vielmehr ein Magier, ein spiritueller Alchemist, wie es sie in der Rosenkreuzerbewegung gab. Der Alchemist war ein beliebtes Sujet in der Malerei des 17. Jahrhunderts. David Teniers malte in 22 Bildern Alchemisten im Labor, umgeben von magischen Utensilien, Schlangen und Krokodilen - wie es sicher nicht war.

 

Nach Maier ("Atalanta fugiens" 1618; Reprint 1964) und Fludd ("Utriusque Cosmi" 1619) gab es das ganze Jahrhundert grosse Alchemisten.

  • Der Alchemist Heinrich Kunrath (gest. 1605) machte unter anderem die Schrift des englischen Mathematikers und Hermetikers John Dee "Monas hieroglyphica" (1564) in Deutschland bekannt. Sein "Amphitheatrum Sapientiae Aeternae", seit 1588 immer wieder neu aufgelegt, mit Kupferstichen, gilt als klassische Darstellung der christlichen Kabbala.

  • 1599 erschien eine Abhandlung "Tractat vom Stein der Weisen mit den zwölf Schlüsseln", und 1602 erschienen weitere 21 alchemistische Schriften von einem angeblichen Basilius Valentinus unter dem Titel "Currus triumphalis Antimonii" (dt. 1646). Vermutlich ist der Herausgeber Johann Thölde auch der Verfasser. 1659 erschien die Schrift "Azot" (1613) reich illustriert in Paris.

  • Daniel von Stoltzenberg, ein Schüler Maiers, gab 1624 das reich illustrierte "Chymische Lustgärtlein" heraus

  • Im wahrscheinlich von Maier angeregten "Musaeum Hermeticum" (1625) desselben Frankfurter Verlegers Lucas Jennis finden sich einige hervorragende Kupferstiche von Matthäus Merian; die stark erweiterte Fassung von 1678 enthält zahlreiche wichtige Schriften und Illustrationen (Faksimileausgabe 1970 in Graz)

  • Ein weiteres schön illustriertes Werk war "de Goude Leeuw" von Goosen van Vreeswyk (1676, Amsterdam)

  • Zu den Nachfolgern von Paracelsus gehörten der alchemistische Arzt Johannes Baptista van Helmont ("Ortus medicinae" 1648) und sein Sohn Franciscus Mercurius, welcher Leibniz in die Kabbala einweihte

  • Michael Sendivogius (gest. 1636) soll von Sethonius den "Stein der Weisen" erhalten haben, Er führte Kaiser Rudolf II und vielen andern gekrönten Häuptern Transmutationen vor. Er verfasste viel Bücher.

  • Sir Kenelm Digby (gest. 1648), englischern Heilkünstler und Alchemist, rühmte sich, im Besitz des "Steins der Weisen" zu sein. Bekannt sind seine "Chymical Secrets" (1683) und der Traktat "Lucerna salis".

  • Elias Ashmole, der Rosenkreuzerei und Freimaurerei verband, gab 1652 in London einen Bildband "Theatrum Chemicum Britannicum" (Neudruck Hildesheim 1967) heraus

  • Henricus Madathanus (gest. 1683), Leibarzt des Herzogs von Mecklenburg und anderer Fürsten, war bekannt als Vertreter der Chemiatrie-Schule. Zwei seiner alchemistischen Schriften erschienen 1675 ("Testamentum de Lapide Philosophorum") resp. 1678 ("Aureum Seculum Redivivum").

  • Johann Kunckel von Löwenstern wirkte ab 1654 als Alchemist und Glasmacher an verschiedenen Höfen, ab 1679 auf der Pfaueninsel bei Potsdam

  • Giuseppe Francesco Borri wurde 1660 von der Inquisition wegen Ketzerei der Prozess gemacht. Er floh durch halb Europa, wurde gefasst und musste 1672-80 in Rom im Gefängnis verbringen. Sein "Schlüssel" (1681) gibt gute Einblicke in seine Geisteswelt.

  • Unter dem Namen Philaletha gab es möglicherweise zwei Alchemisten. Der eine schreib zahlreiche Bücher, auch unter weiteren Pseudonymen, z. B. "Ripley Revived" (um 1660). Eine Illustrierte Ausgabe von "Lumen de Lumine" erschien 1693 in Hamburg

  • Kaiser Friedrich III. soll in Prag von einem Herrn Richthausen 1648 ein Kästchen mit "prima materia" erhalten haben; mit einem Gran davon soll er zweieinhalb Pfund Quecksilber in reines Gold verwandelt haben.

  • Auf das 1677 erschienene Buch "Mutus Liber", einer Art alchemistisches Glossar von Zeichen für die Wissenden - bezogen sich ein Jahrhundert später die Freimaurer Martines de Pasqually und der Graf Saint Martin.

  • Der Bergwerksdirektor Georg von Welling praktizierte um 1700 am Hof von Karlsruhe als markgräflicher Alchemist. Goethe schöpfte aus seinem "Opus-mago-cabbalisticum" (1719).

 

Man kann sagen, dass um 1700 die Alchemie zu Ende war.

 

Protestantische Mystik

 

Der bedeutendste Vertreter der nachreformatorischen Mystik war der Pfarrer Valentin Weigel (gest. 1588). Er fusste auf Cusanus und Paracelsus. Aus seinem Werk lernte Jakob Böhme den Gehalt der bisherigen Mystik kennen. Seine Schriften erschienen fast alle erst lang nach seinem Tod, von 1609 ab (z. B. "Erkenne dich selbst" 1615), da er zur Vermeidung von Konflikten mit der herrschenden kirchlichen Orthodoxie seine mystisch-theosophische Lehre, der auch ein gnostisch-weltverneinender Zug beigemischt ist, geheim hielt.

Seine Anhänger, die Weigelianer, verbanden sich später mit den Anhängern von Jakob Böhme.

 

Theosophie

 

Einen nachhaltigen Einfluss hatten die Schriften des Schuhmachers Jakob Böhme. Seine Schrift "Morgenröte im Aufgang" (1612) gibt Zeugnis einer neuen Glaubenshaltung, die später als Theosophie bezeichnet wurde. Bei Böhme finden wir das romantischen Wissen um das "Stirb und Werde", um die Tag- und Nachtgestalt aller Schöpfung erstmals in hochdeutscher Sprache formuliert.

Seine Mystik war von spiritueller Alchemie durchsetzt, meinen Lennhoff/ Posner (39), sie war eine Art irdische Naturphilosophie ( von Paracelsus beeinflusst) und beeinflusste auch die Rosenkreuzer. Der Graf von Saint Martin übersetzte ihn ( um 1780) erstmals ins Französische und machte ihn dadurch auch den Deutschen wieder bekannt.

1682 erschienen Böhmes "Theosophischen Werke" in Amsterdam in einer illustrierten Ausgabe. Ebenfalls Illustrationen zu Böhmes Gedankengebäude machte der in London wirkende Nürnberger Theosoph Dionysos A. Frehner um 1700.

 

Französische Mystik

 

In Frankreich entwickelte sich im 17. Jahrhundert eine Mystik, die vor allem "quietistische" Züge zeigt. Sie gruppiert sich vor allem um Franz von Sales, Madame Guyon und Fénelon.

Franz von Sales, Erzbischof von Genf, gründete 1610 einen religiösen Orden: Seine "Entretiens spirituels" wurden posthum 1629 veröffentlicht.

Die Mystikerin Jeanne Marie Bouvier de la Motte-Guyon schreib 1683 ihr erstes Buch ("Les torrents"), zwei Jahre später ihr zweites ("Moyen court pour l'oraison"). 10 Jahre später kam sie für 8 Jahre in die Bastille. Ihre Werke erschienen erst nach ihrem Tod. Sie hatte mit ihrer Autobiographie (1720) auch einen grossen Einfluss auf die Psychologie (das läuft unter "Empfindsamkeit").

Der Priester Fénelon traf 1688 mit Madame Guyon zusammen und kritisierte in seinem Erziehungsroman "Télémaque" (1694) die Politik Louis XIV. Von diesem Buch war noch der Begründer des Utilitarismus, Jeremy Bentham, als Siebenjähriger (1755) fasziniert.

 

Kabbala

 

Um 1600 veröffentlichte Rabbi Chaijm Vital die Lehren seines Meisters Luria, der "heilige Löwe" genannt.

1602/6 veröffentlichte Heinrich Kunrath in seinem "Amphitheatrum" Kupferstiche, welche als klassische Darstellung der christlichen Kabbala gelten. S. Michelspachers "Cabala" erschien 1616 in Augsburg mit Illustrationen.

Ihren Höhepunkt erreichte die christliche Kabbala mit der kommentierten lateinischen Übersetzung der drei ältesten Stücke des Sohars , die Christian Knorr von Rosenroth unter dem Titel "Kabbala Denudata" 1677 und 1684 veröffentlichte.

In seinem berühmten Rosenkreuzerroman "Le Comte de Gabalis" (1670) - manche sprechen von einer satirischen Novelle - führt Abbé de Villars vier fingierte Gespräche mit einem deutschen Kabbalisten, eben dem Grafen von Gabalis. Ebenfalls von der Kabbala inspiriert ist das komisch-heroische Epos von Alexander Pope "Der Lockenraub" (1714).

 

Hermetik

 

Die erste bildliche Darstellung der "Tabula Smaragdina" findet sich in einer Darstellung der alchemistischen Schrift "Aura consurgens" Anfang des 16. Jh. Ein Greis hält die beiden Tafeln auf seinem Schoss. Auf ihnen sind hieroglyphenartig die hermetischen Axiome dargestellt (Roob, 362). Vielleicht entsprechen sie den Symbolen, welche auf einem Rosenkreuzer-Stich aus dem 17. Jh. dargestellt sind (Werner 656). Die erste bildliche Darstellung mit Text findet sich in Kunraths "Amphitheatrum" (1602/6).

Was Marc Roberts (429) als "Tabula Smaragdina" mit der Bezeichnung "Abraham Eleasar 1760" angibt, hat laut Roob (516) mit den beiden Wegen der Alchemie - langsam wie der Bach oder flink wie das Wiesel - zu tun, aber offenbar nichts mit den Tafeln.

 

Das Werk von Cesare della Rivera "Il Mondo Magico degli Heroi" (1603) soll einen grossen Einfluss auf Julius Evola ("La Tradizione Ermetica" 1931) gehabt haben.

Eine eigenwillige Interpretation der Schriften von Paracelsus liefert der Rosenkreuzer Henricus Nollius. Er gilt als hermetischer Pansoph. Seine "Physica Hermetica" erschien 1655.

Ein schön illustriertes Buch von Erasmus Franciscus trug den Titel: "Das eröffnete Lust-Haus der Ober- und Niederwelt" (Nürnberg 1676).

 

In der Sammlung "Bibliotheca Chymica curiosa" (1702) des Schweizer Arztes Jean Jacques Manget ist ein Traktat von Trevisanus enthalten, der u. a. einen Teil der Tabula smaragdina enthält.

 

Die deutsche Übersetzung des Corpus Hermeticum von Marsilio Ficino erschien 1667; ein "Museum hermeticum" seit 1677 in Frankfurt.

Eine erste vollständige deutsche Übersetzung des Corpus Hermeticus erschien von Alethophilus 1706 in Hamburg unter dem Titel: "Hermetis Trismegisti Erkaentnüsse der Natur" (Reprint der Ausgabe von 1786 bei der "akasha" Verlagsgesellschaft, Haar, 1982).

 

Gnosis/Gnostik

 

Der im Corpus Hermeticum enthaltene Text "Poimander" gilt als einer der Hauptschriften der Gnosis.

Jakob Böhme soll unter dem Einfluss der Gnosis gestanden sein.

 

Magie

 

Der Theologieprofessor in Oxford, Méric Casaubon, bekräftigte in seinem Buch "Off Credulity and Incredulity in Things Divine and Spirituall" (1668-1673) den Glauben an Geister, übernatürliche Erscheinungen und Hexerei. Er liess auch die Dokumente über die spiritistischen Sitzungen von John Dee und Edward Kelley (1581-83), welche ihm Elias Ashmole gegeben hatte, in seinem Werk "A True and Faithful Relation of what passed for many Years between Dr. John Dee and some Spirits" (1659) drucken.

Leibniz befasste sich mit diesen Dokumenten ausführlich. Sie hatten auch einen grossen Einfluss auf den Golden Dawn; hier sprach man von "henochischer Magie".

 

Satanismus

 

Im 17. Jahrhundert beginnt, laut Karl R. H. Frick ("Die Satanisten", Bd. 2, 1985, 121-130) "eine Entartung der ursprünglich religiös aufzufassenden Schwarzen Messe, wie Sie uns seit dem 11. Jahrhundert in der luziferischen Gnosis bekannt wurde. Hauptpersonen waren die Magierin Madame La Voisin (gest. 1680) und der Zauberer Lesage. Sie übten satanische Praktiken in Pariser Hofkreisen aus. Diese interessierten sich auch für Ihre Wahrsagerei und Handlesekunst. Auch die Marquise de Montespan, die Geliebte des Sonnenkönigs, nahm an den Schwarzen Messen teil.

 

Woher kommt die Freimaurerei?

 

Michael W. Fischer behauptet in seinem informativen Buch "Die Aufklärung und ihr Gegenteil" (1982), die Freimaurerei wurzle ideell, strukturell und organisatorisch in dem nach England verpflanzten Rosenkreuzertum (66-80; 95ff). Die Verbindung boten der Alchemist Robert Fludd sowie der Pädagoge Jan Amos Comenius und sein Verleger Hartlib. Sie hatten um 1641 Kontakte zu Freimaurerkreisen (Robert Moray, Elias Ashmole), welche die Gründung der englischen wissenschaftlichen Gesellschaft, der "Royal Society" (1662) vorantrieben. Diese Gesellschaft musste vorsichtig sein, daher wurde nicht politisiert; ihr "Fortschritt der Wissenschaft" wurde aber erstmals offiziell anerkannt.

 

Michael W. Fischer schreibt: "Jenseits religiöser Bindungen sahen sie vielleicht den grossen Architekten des Universums als einen umfassenden religiösen Begriff, der den wissenschaftlichen Drang, das Werk des grossen Architekten zu erforschen, in sich schloss."

 

Schon 1605 hatte Francis Bacon die Gründung einer „Bruderschaft der Erkenntnis und der Erleuchtung“ gefordert, innerhalb derer die Gelehrten ihr Wissen austauschen sollten. Später skizzierte er ein Kollegium, das im „Haus Salomonis“ (1626) forschen sollte.

In einer Biographie über "Sir Francis Bacon" diskutiert die englische Historikerin Jean Overton Fuller (1981, 241-251) die Frage, ob Bacon zu den Gründern der Freimaurerei gehört. Jedenfalls können heute noch manche rosenkreuzerische wie freimaurerische Symbole in seinem Haus ausfindig gemacht und betrachtet werden.

Verbürgt ist, dass es Freimaurer (Robert Moray, Elias Ashmole) waren, welche die Gründung der Royal Society (1662) vorantrieben.

 

Eine andere Version der Entstehung der modernen Freimaurerei bietet der schottische Forscher David Stevenson ("The First Freemasons", 1988): In den Jahren 1598 und 1599 hat der königliche Baumeister in Schottland, William Schaw, Richtlinien ausgearbeitet, welche man als Anfang der spekulativen Maurerei betrachten kann. Es kommen darin bereits eine maurerische Einweihung vor und die beiden Grade Lehrling und Geselle (vgl. auch Paul Naudon, 31-36, 55).

 

Wissenschafter interessieren sich für Alchemie und Rosenkreuzer

 

Der grosse Naturwissenschafter Isaac Newton war seit 1671 Mitglied und seit 1703 Präsident der Royal Society. Er interessierte sich nicht nur für Alchemie, sondern auch für Mystik (besonders Jakob Böhme) und für die Rosenkreuzer. Newton war von seinen erstaunlichen physikalischen und mathematischen Entdeckungen nie ganz befriedigt. "Vielleicht hegte er unbewusst oder halb bewusst die Hoffnung, dass die Alchemie der Rosenkreuzer ihn höher leiten könnte", meint Fischer (102).

 

Ein Freund Newtons, ebenfalls Physiker und Mitglied der Royal Society, war John Theophilus Desaguliers, der dritte Grossmeister der modernen Freimaurer (1719). Er war ein Sammler alter Überlieferungen und hat wohl wesentlichen Einfluss auf die Zusammenstellung der legendären "Alten Pflichten" (1723) der Freimaurer gehabt. Ferner führte er der jungen Grossloge den englischen Hochadel zu, zuerst den Herzog von Montagu, der 1721 Grossmeister wurde. In den ersten 50 Jahren der Freimaurerei waren zudem fast alle adeligen Grossmeister auch Mitglieder der Royal Society.

 

Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, ebenfalls einer der ersten der führenden Köpfe der Aufklärung, war in seiner Jugend (1666) kurze Zeit mit Alchemisten in Verbindung gestanden, die vermutlich dem Orden der "Unzertrennlichen" (1580 gegründet; auch: Gesellschaft zum Kreuz; Hauptloge Indissolubilis) angehörten.

Dieser Orden könnte eine Verbindung der "alten" Rosenkreuzer (des 17. Jh.) zu den Gold- und Rosenkreuzern des 18. Jahrhunderts (Richter, Fictuld) gebildet haben (dazu Lennhoff/ Posner, Sp. 1157f).

 

Fortsetzung:      Woher kommt die moderne Esoterik? (Esoterik seit 1700)

 

 

(basierend auf einem Vortrag vom 5. Februar 1992; wesentlich erweitert und besser gegliedert)



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