Freimaurerische Tugenden, Untugenden und sittliche Strebungen
Nach Klaus C. F. Feddersen: Die Arbeitstafel in der Freimaurerei. Band II: Die Symbolik der Arbeitstafel. (1231 Seiten). Quellenkundliche Arbeit No. 22 der Forschungsloge Quatuor Coronati No. 808, Bayreuth 1986.
siehe auch: Die Tugendlehre von Shaftesbury?
"... aus Grundsätzen moralisch seyn"
In einem langen VII. Teil über „Die sieben
Stufen und die Leiter“ in seinem dicken zweiten Band der „Arbeitstafeln“ (1986,
1005-1051) widmet sich Klaus C. F. Feddersen eingehend den maurerischen
Tugenden und Untugenden. Grosse Landesloge der Freimaurer von
Deutschland, seit 1770 Sieben Tugenden kommen im Gesellengrad der
Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland vor (1009, 1038): 1. Gehorsam 2. Arbeitsamkeit 3. Standhaftigkeit 4. Verschwiegenheit 5. Vorsichtigkeit 6. Mässigkeit 7. Barmherzigkeit oder Liebe gegen unsere
Nebenmenschen. (Weshalb Reinhold Dosch in seinem
„Deutschen Freimaurer-Lexikon“, 1999, 289-299, die Reihenfolge verändert hat,
ist unersichtlich.) (In seiner umfangreichen Sammlung von „Constitutionen“, 1989, 612, druckt Feddersen auch die „Fundamental-Constitution der Grossen Landesloge von Schweden“ aus dem Jahre 1800, nach dem Faksimiledruck der deutschen Ausgabe, Berlin 1871, nach. Darin heisst es: „Die Weisheit hat zur Grundlage des Ordens sieben Ecksteine aufgerichtet, deren Stärke seinen Plan befestigt, seine Dauer gegen die Vergänglichkeit der Zeit bewahrt und seinen Bestand unveränderlich in allen wechselnden Zeitläufen macht. Diese Aufrechterhalter und Pfeiler des Ordens sind: 1. die Religion oder des wahren Gottes Verehrung; 2. die Tugend, ihre Schwester; 3. die Liebe des Nächsten, aus der die Barmherzigkeit herstammt, eine Folge der beiden vorgenannten Eigenschaften; 4. die Einigkeit in Wirksamkeit und Ausübung dieser Schuldigkeiten; 5. die Verschwiegenheit, das rechte Kennzeichen des Weisen; 6. die Arbeitsamkeit und 7. die Standhaftigkeit.“ Diese Ecksteine finden sich auch noch 1988 in „Den Danske Frimurerordens Fundamental Konstitution“.) Nach längeren Exkursen kommt Feddersen zu
einer Gegenüberstellung der vier Kardinaltugenden mit der Benediktinerregel und
den „natürlichen Tugenden“ beim Mystiker Johannes Tauler (1041-1042) und sieht
bei den Freimaurern hierbei vier Meistertugenden: Verschwiegenheit (silentia) – im
Klostergelübde und in der Mystik „Schweigen“ Bescheidenheit (temperantia) – in der
Scholastik „Mässigkeit“ Vorsichtigkeit (prudentia) – in der
Scholastik „Klugheit“ Barmherzigkeit (charitas) – in der Mystik
ebenfalls „Barmherzigkeit“. Als Gegenpol hat die Grosse Landesloge „sieben
Hauptfehler des Menschen, gegen die er beständig auf seiner Hut sein muss“
(1009, auch 1033-1035): 1. Unvorsichtigkeit 2. Unbeständigkeit 3. Furchtsamkeit 4. Eigensinn 5. Vermessenheit 6. Argwohn 7. Eigenliebe. Dazu die klassichen „sieben Hauptlaster,
welche vom Wege zum Lichte ableiten und zum Verderben führen“ (1010 – in
Klammern die abweichenden Formulierungen nach Nettelbladt, 1823; vgl. auch
1035-1038): 1. Hochmut 2. Geiz 3. Unmässigkeit (Übermass) 4. Neid (böse Begierde) 5. Trägheit (Müssiggang) 6. Wollust (Habsucht) 7. Zorn. Ferner gibt es zweimal „sieben Werke der
Barmherzigkeit…, die ein guter und eifriger Freimaurer vorzugsweise zu üben
hat“ (1010; etwas anders formuliert 1044): 1. den Fehlenden mit Ermahnungen entgegengehen 2. die Unwissenden unterweisen 3. den Ratlosen guten Rat erteilen 4. für den Nächsten zu Gott beten 5. die Betrübten trösten 6. Schmähungen ertragen 7. aus gutem Herzen dem verzeihen, der ihn
beleidigt. 1. dem Hungrigen zu essen geben 2. dem Durstigen zu trinken geben 3. den Nackten bekleiden 4. den Gefangenen trösten 5. den Kranken besuchen 6. den Reisenden gastfreundlich aufnehmen 7. den Toten begraben. Damit nicht genug. Es gibt noch „die sieben
Gaben des Heiligen Geistes“ (1010, 1046, 1050 – in Klammern die abweichenden
Formulierungen nach Nettelbladt, 1823, siehe 1012): 1 der Weisheit 2. des Verstandes (der Klugheit) 3. des Rates (des Rechtes) 4. der Stärke (der Kraft) 5. der Erkenntnis (der Wissenschaft) 6. der Gottesfurcht 7. der Liebe (der Gottseligkeit). In einem kürzeren Kapitel (1047-1051) weist
Feddersen nach, dass diese sieben Gaben „die Führer in das irdische Reich
Gottes“ sind, sie „sollen die Menschen erleuchten, aufklären und Gottes Wort zu
richtigem Verständnis bringen“ (1049). Ferner weist Feddersen nach, dass diese
Siebenheit offenbar wörtlich vom Strassburger Mystiker Rulman Merswin stammt
(1049-1050), der im 14. Jahrhundert lebte. Die Engländer … Nach einem langen kulturhistorischen Exkurs
behauptet Feddersen (1022) die Leiter, und zwar mit drei Stufen, komme zum
ersten Mal 1776 auf einem Arbeitsteppich vor. (Er meint wohl den Tapis, der in
der Ausgabe 1776 des Buches „Jachin and Boaz“ als Frontispiz gezeichnet ist.) Dazu schreibt er: „Die Engländer
erklären das so, dass es drei Grundstufen gäbe, welche Liebe, Glaube, Hoffnung
(Charity, Hope, Faith) sind und die drei theologischen Tugenden genannt werden
[vgl. auch 1026-1027, 1040-1043]. Die anderen vier
sind Mässigkeit
(Temperance), Standhaftigkeit
(Fortitude), Vorsicht
(Prudence) und Gerechtigkeit
(Justice), die die vier
Kardinaltugenden genannt werden [in den Formulierungen von Platon und später
siehe 1039-1041; vgl. 1046-1047].“ Nach einem weiteren Exkurs berichtet
Feddersen, dass in England „bei anderen höheren Graden“ sieben oder mehr Stufen
mit folgenden Tugenden zu finden sind (1027): Gerechtigkeit Gleichheit Güte guter Glaube Arbeit Geduld Klugheit oder: Gerechtigkeit Liebe Unschuld Freundlichkeit Glaube Beständigkeit und Wahrheit das grosse Werk Verantwortlichkeit. Im Grad der Ritter Kadosch Im 30. Grad, dem der Ritter Kadosch des
Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, bedeuten die sieben Stufen der
mystischen Leiter (1022): „Gerechtigkeit Güte Demut Treue rastlose Arbeit Pflicht Edelmut in Verbindung mit Einsicht und Klugheit
oder Weisheit“. Weitere Tugenden Im umfangreichen Bildteil stellt Feddersen
weitere Tugenden der Freimaurerei vor - aus A. G. Mackeys „History of
Freemasonry“, 1898 - beispielsweise (1063, 1127): Einigkeit Frieden Fülle oder in etwas anderer Wortwahl als bei den
Engländern (1138): Mässigkeit Stärke Klugheit Gerechtigkeit. Die freimaurerische Ethik In einer 10seitigen Zusammenfassung bietet
Feddersen trotz dem Titel „Die Freimaurische Ethik“ (1141-1150).keine Übersicht
über dieselbe, sondern umständliche Erläuterungen zum Begriff und zur
Geschichte der Ethik. Was die Freimaurerei betrifft und von
allgemeiner Bedeutung ist, sei herausgegriffen: „Die ganze Freimaurerei in allen ihren
Ritualen und Symbolen durchzieht ein tiefes Bewusstsein sittlicher
Verantwortung. Bei allen Symbolen, auch denen der Arbeitstafel, werden entweder
sittliche Werte teilweise direkt verkörpert oder folgern aus der Symbolik“
(1141). „Wenngleich die Anfänge der Freimaurerei
auf der mittelalterlichen Ethik basieren, so wurden die Auseinandersetzungen
mit den philosophischen Strömungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu einer steten
Quelle der Diskussion und Besinnung in der Freimaurerei. „Der Freimaurerei nahe kommt neuerdings der
Versuch K. Stevenhagens [genauer: Kurt Stavenhagen, 1884-1951] bei seinem 1957
erschienenen Werke „Person und Persönlichkeit“, worin er das solitäre und
soziale sittliche Verhalten des Menschen sowie seine ethischen Werteinschätzungen
auf eine Grundintention aus selbstverantwortlichem Handeln zurückführt“ (1145). „Mir scheint, dass man in der Freimaurerei
einen Stufenweg ethischen Verhaltens erkennen kann, der seit dem Beginn in den
Bauhütten in Europa und besonders in England entscheidende Bedeutung in der
Formung des freimaurerischen Menschen gehabt hat. In den mittelalterlichen und
spätmittelalterlichen Bauhütten war natürlich die damals gültige Morallehre mit
den Tugenden und Lastern bestimmend. „In der Freimaurerei hat es seither eine
stete Diskussion über die ethischen Werte für den Menschen und die menschliche
Gesellschaft gegeben. Mir scheint, dass gerade die Freimaurerei
seit jeher ein Forum in der Auseinandersetzung sittlicher Normen gewesen ist
und es auch immer sein muss. Der Freimaurer ist von Anfang an und seit dem 1.
Grade in einen Prozess sittlicher Reifung gestellt, der ihn anregt und befähigen
soll zu der Beurteilung sittlichen Verhaltens sowohl seiner selbst als auch in
der Gesellschaft. Die zunehmende Reifung und Mündigkeit sollen ihn veranlassen,
selbstverantwortlich eine Skala sittlicher Werte zu erkennen, die sicher auf
der einen Seite in der christlich-abendländischen Tradition wurzeln, aber in
der Auseinandersetzung mit dem Geist der jeweiligen Zeit praktikable Normen
einer Ethik entwickeln müssen, die den einzelnen Freimaurer wie die
Freimaurerei allgemein als dirigierendes Element in unserer Gesellschaft
wirksam werden lassen müssen, damit die gerade heute herrschende sittliche
Unsicherheit in der Freimaurerei einen schöpferischen, stabilisierenden Faktor
enthält“ (1148-1149). „Dabei halten sich alte, überkommene
Traditionen. So können wir in den ersten Graden noch heute die scholastische
Ethik der Pflichttreue gegenüber den Tugenden und Lastern erkennen, die im
deutschen Raume von Kant und seiner Schule intensiviert wurden.
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