Home Historisches zum mechanistischen Denken

                     Notizen zu 7 Büchern, ca. 1988

 

 

Inhalt

Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. 1883/1901

Heinrich Hertz: Die Prinzipien der Mechanik. 1894

Eduard Jan Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes. 1956

Giedeon Freudenthal: Atom und Individuum im Zeitalter Newtons. Zur Genese der mechanistischen Natur- und Sozialphilosophie. 1982

Arno Baruzzi: Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae. 1973

Floyd W. Matson: Rückkehr zum Menschen. Vom mechanistischen zum humanen Weltverständnis. 1969

Roger J. Faber: Clockwork Garden. On the Mechanistic Reduction of Living Things. 1986

 

 

 

Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1883.

4. Aufl. 1901 (die erste Seitenzahl); 7. Aufl. 1912 (die zweite Seitenzahl);

8. Aufl. 1921 ist identisch mit der 7. Auflage; 9. Aufl. 1933.

 

siehe auch:

Figure 42: Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwickelung (1883)

Figure 44: Ernst Mach: The Science of Mechanics (1960)

 

 

Dreistufiger Vorgang- der Naturwissenschaft (397/ 409):

·        Beobachtung aller wichtigen Tatsachen

·        Deduktion: Nachbildung der Tatsachen in Gedanken

·        Formalisierung.

 

"Es handelt sich dann darum, die vorkommenden und nachzubildenden Tatsachen in eine übersichtliche Ordnung, in ein System zu bringen, so dass jede einzelne mit dem geringsten Aufwand gefunden und nachgebildet werden kann" (396/ 409).

 

"Alle Urteile sind ... Ergänzungen und C/ Korrekturen schon vorhandener Vorstellungen" (455/ 459).

 

"Alle Wissenschaft hat nach unserer Auffassung die Func/ ktion (,) Erfahrung zu ersetzen. Sie muss daher zwar einerseits in dem Gebiete der Erfahrung bleiben, eilt aber doch andererseits der Erfahrung voraus, stets einer Bestätigung, aber auch Widerlegung gegenwärtig" (461/ 465).

 

"Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche Funktion wie gewisse mathematische Hilfsvorstellungen, sie ist ein mathematisches Modell zur Darstellung der Tatsachen" (463f/ 467).

Theorien dieser Art sind "provisorische Hilfsmittel" (463), "Hilfsvorstellungen".

 

Aufgabe der Theorie: "Anpassung der Gedanken aneinander" (erst 1912: 470)

 

Anpassung der Gedanken an die Tatsachen (128/ 130)

 

Empfindung               Abbildung → Modell

d. h. das Abbild ist nicht Modell

 

"Unsere Naturwissenschaft besteht in der Nachbildung der Tatsachen in Gedanken oder in dem begrifflichen quantitativen Ausdruck der Tatsachen. Die Nachbildungsanweisungen sind die Naturgesetze. In der Überzeugung, dass solche Nachbildungsanweisungen überhaupt möglich sind, liegt das C/ Kausalgesetz. Das C/ Kausalgesetz spricht die Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander aus" ( 473/ 478).

 

 

Wir dürfen die "intellektuellen Hilfsmittel, die wir zur Aufführung der Welt auf der Gedankenbühne gebrauchen, nicht für Grundlagen der wirklichen Welt halten" (476/ 483).

 

"Alles Naturwissen/ Alle Wissenschaft kann nur C/ Komplexe von jenen Elementen nachbilden und vorbilden, die wir gewöhnlich Empfindungen nennen. Es handelt sich um den Zusammenhang dieser Elemente" (478/ 484).

 

"Derjenige, welcher eine ... neue Beobachtung macht, und eine neue Regel aufstellt, weiss gewöhnlich, dass man auch irren kann, wenn man eine Tatsache in Vorstellungen und Begriffen nachzubilden sucht, um dies Bild als Ersatz stets zur Hand zu haben, wo die fragliche Tatsache ganz oder teilweise unzugänglich ist ... Der Beweis der Richtigkeit einer neuen Regel kann dadurch erbracht werden, dass diese Regel oft angewandt, mit der Erfahrung verglichen und unter den verschiedensten Umständen erprobt wird. Dieser Prozess vollzieht sich im Lauf der Zeit von selbst" (73f/ 70f).

 

"Alle Princ/ zipien", d. h. z. B. die Prinzipien der Statik, wie das Hebelgesetz oder das Kräfteparallelogramm, "fassen mehr oder weniger willkürlich bald diese, bald jene Seiten derselben Tatsachen heraus und enthalten eine skizzenhafte Regel zur Nachbildung der Tatsachen in Gedanken. Niemals kann man behaupten, dass dieser Prozess vollkommen gelungen und dass er abgeschlossen sei" (77f/ 73)

 

Auf zweifache Weise wächst die Naturwissenschaft:

"Einmal, indem wir die beobachteten Tatsachen, die Vorgänge im Gedächtnis festzuhalten, in den Vorstellungen nachzubilden, in Gedanken zur rekonstruieren suchen. Bei Fortsetzung der Beobachtungen weisen aber diese nacheinander oder zugleich vorgenommenen Konstruktionsversuche immer gewisse Mängel auf, durch welche die Übereinstimmung derselben sowohl mit den Tatsachen als auch untereinander gestört wird.

Es ergibt sich also das Bedürfnis der sachlichen Korrektur und der logischen Zusammenstimmung der Konstruktionen; dies ist der zweite die Wissenschaft bauende Prozess" (erst 1912: 80).

 

"Für den wissenschaftlichen Gebrauch muss aber die gedankliche Nachbildung der sinnlichen Erlebnisse noch begrifflich geformt werden ... Dieses Formen geschieht durch Herausheben des für wichtig Gehaltenen, durch Absehen von Nebensächlichem, durch Abstraktion, Idealisierung. Das Experiment entscheidet, ob die Formung genügt. Ohne eine vorgefasste Ansicht ist ein Experiment überhaupt unmöglich, indem letzteres durch erstere seine Form erhält ... Von dem vorher Erfahrenen hängt es ab, worin das Experiment ergänzend einzutreten hat" (erst 1912: 125).

 

"Die Mechanik ist aber nicht allein Selbstzweck, sondern sie hat auch für die praktischen Bedürfnisse und zur Unterstützung anderer Wissenschaften Aufgaben zu lösen" (251/ 282).

 

 

Heinrich Hertz: Die Prinzipien der Mechanik. Gesammelte Werke Band III, herausgegeben von Ph. Lenard und eingeleitet von H. v. Helmholtz. Leipzig: J. A. Barth, 1894.

 

siehe ausführlicher:

Figure 46: Heinrich Hertz: Die Prinzipien der Mechanik (1894)

Figure 47: Heinrich Hertz: The Principles of Mechanics (1956)

 

 

"Die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen" (2).

Wir können an ihnen, "wie an Modellen, in kurzer Zeit die Folgen entwickeln, welche in der äusseren Welt erst in längerer Zeit oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens auftreten werden" (2).

 

"Zeichen" (9)

 

Modell (197ff).

 

 

Eduard Jan Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes. Berlin: Springer 1956.

 

Schon 1924 erschien von Dijksterhuis eine "Geschichte der Mechanik von Aristoteles bis Newton". Das vorliegende Werk, 1950 auf holländisch erschienen, stellt offenbar eine Erweiterung dar.

 

Antrittsvorlesungen an den Universitäten Utrecht und Leiden hielt er erst 1953 resp. 1955. Offenbar wurde er so spät "a. o. Professor für Wissenschaftsgeschichte" daselbst.

 

Der fast 600seitige Band ist voller Informationen, sehr fachlich, d. h. mathematisch und physikalisch gehalten, setzt daher einige Lesegeduld voraus. Viele Angaben über die Naturwissenschaft des Mittelalters hat er den Werken von Anneliese Maier (ab 1938) entnommen; von deren erstem Buch hat er auch den Titel übernommen.

 

Seine These findet sich im letzten Satz:

"Die Mechanisierung, die das Weltbild beim Übergange von antiker zu klassischer Naturwissenschaft erfahren hat, besteht in der Einführung einer Naturbeschreibung mittels der mathematischen Begriffe der klassischen Mechanik; sie bedeutet den Beginn der Mathematisierung der Naturwissenschaft, die in der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Vollendung findet."

 

Ein Teil der antiken Erkenntnisse (Naturphilosophie und Wissenschaft) wurde in der ersten Hälfte des Mittelalters durch die Klöster weitergetragen. Wichtige enzyklopädische Sammlungen stammen von Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis und Hrabanus Maurus. Bemerkenswert ist dabei, dass die Bischöfe Isidor (um 600) und Hrabanus (um 850) gerade die Atomistik von Epikur und Lukrez zur Erklärung von Naturerscheinungen verwendeten (113-115).

 

Der erste, der mit den arabischen Werken - welche den anderen, grösseren Teil der Antike bewahrt hatten - in Berührung kam, war Gerbert, der spätere Papst Silvester († 1003). Er führte Neuerungen in der Astronomie und beim Abakus durch die indischen Ziffern ein. Die Schule von Chartres führte seine Bildungsarbeit weiter.

 

Gelehrte des Islam hatten aber auch eigene naturwissenschaftliche Forschungen betrieben. Seit ca. 1100 wurden diese und die antiken Quellen durch Übersetzungen, die in Spanien (Toledo) und Süditalien (Monte Cassino, Palermo) erfolgten, bekannt. Ein lebhaftes Interesse für physikalische Fragen setzte im 12. Jahrhundert ein; es wurde aber häufig als Ketzerei betrachtet. Und was noch fehlte, war eine eigene Methodik für Mathematik und Physik.

 

Einen wichtigen Gedanken steuerte Alanus ab Insulis  († 1203) bei: Die Natur ist getrennt von Gott, "Stellvertreterin und untertänige Schülerin des Schöpfers". Damit hat die Wissenschaft nur noch die Aufgabe, die Tätigkeit der Natur zu erforschen; der Rest ist Theologia und Fides.

 

Das 13. Jahrhundert brachte die Aufnahme und Verarbeitung des Aristotelischen Systems, besonders durch die Franziskaner (Alexander von Hales, Bonaventura) und Dominikaner (Albertus Magnus und Thomas von Aquin). Sie sahen noch eine Harmonie zwischen Glauben und Vernunft.

Das wurde im 14. Jahrhundert bezweifelt. Doch dieser Zweifel war fruchtbar für die Entwicklung der Naturwissenschaft. Grundlage war der Nominalismus Wilhelm von Ockhams (besser: Konzeptualismus). Ein Hindernis dafür war jedoch der erstarrte Unterricht an den Hochschulen, der mehr der Eitelkeit als der Sachlichkeit Vorschub leistete (188). Die Trennung von Glauben (Theologie) und Wissenschaft (Philosophie) aber liess sich nicht mehr aufhalten. Immer noch aber fehlte die Einsicht in die beiden Fundamente der Naturwissenschaft: Experiment und mathematische Einkleidung (193).

Wichtige Beiträge leisteten dennoch Nicolas d’Autrecourt und Nicolas von Oresme (209ff, 224, 555). Ockham aber „ist die tiefste der mittelalterlichen Wurzeln, aus welchen die klassische Naturwissenschaft erwachsen sollte“ (483).

 

Die Bedeutung des 14. Jahrhunderts zeigt sich auch im Vergleich der Kapitellängen bei Dijksterhuis:

Jahre 0-1000:            ca. 20 Seiten

12. Jh.:                        ca. 18 Seiten

13. Jh.:                        44 + 4 Seiten

14. Jh.:                        64 Seiten (mit Rückgriffen auf frühere Zeiten),

 

Doch auch die Impulse des 14. Jahrhunderts verpufften (248). Der grossen Mehrheit der Humanisten sei die wahre Wertschätzung der wissenschaftlichen Naturforschung vollständig abgegangen, meint Dijksterhuis. (Das wird neuerdings bestritten.) Ausnahmen waren etwa Nikolaus von Cues, der das Messen empfahl (um 1450), aber ohne Einfluss blieb, die Logiker und Methodologen (1300-1600), die Künstler-Ingenieure (seit 1400), Techniker und Mechaniker.

Herausragendes Beispiel unter den letzteren ist Leonardo da Vinci (um 1500), wo sich die "kommende Erneuerung" am deutlichsten ankündigt.

 

Doch die Geburt der klassischen Naturwissenschaft (309, 319, 360, 431) erfolgt erst durch Kopernikus (1543), Stevin (1586) und Galilei.

 

Nun beginnt die "Mechanisierung des Weltbildes"; alles Bisherige war nur Vorbereitung. Allerdings ging es noch bis 1623, bis das Neue völlig da war. In diesem Jahr ersetzte nämlich Kepler die Vorstellung, dass in den Planeten "bewegende Seelen" wären, durch diejenige der blossen Kraft. Damit wollte er (bereits 1605/15) die Natur nicht mehr als "göttlich beseeltes Wesen", sondern als "Uhrwerk" sehen (345ff). Etwas später (1632) legte Galilei "mit völliger Schärfe endgültig die wissenschaftliche Methode zur Erforschung der anorganischen Natur fest" (377). Bald fing auch die Mathematisierung an, z. B. mit Descartes und Christian Huygens.

 

Den Einfluss Bacons sollte man dagegen nicht überschätzen. Dessen mechanische Listen-Methode ist bis heute nie angewandt worden (443)!

 

Wichtiger ist Descartes. Bei ihm zeigen sich bereits beide Bedeutungen von "mechanisch", nämlich

(1) mittels der Mechanik (besser: Kinetik als Mathematik) zu erklären und

(2) in einem mechanischen Modell nachzuahmen (463f, vgl. 552ff).

Ferner war Descartes vorsichtig: "Wie gut seine Theorien auch alles zu erklären vermöchten, so könne man doch nie mit Sicherheit behaupten, dass sie richtig seien; der Schöpfer hätte dieselben Erscheinungen allezeit auch auf einem anderen Wege hervorbringen können" (467).

Obwohl Newton später sagte: Hypotheses non fingo, tut er eigentlich "nichts lieber, als Hypothesen zu ersinnen" (541, 543). Nun trennte sich die Naturwissenschaft von der Philosophie. Letzterer blieb "das hoffnungslose Problem, psychische Erscheinungen aus physikalischen abzuleiten" (484). Hobbes war der erste, der das versuchte (494).

 

Was ebenfalls nicht mehr gelang, war die Verbindung von Naturwissenschaft und Theologie, obwohl das noch Newton und Leibniz anstrebten. "Die Mechanisierung des Weltbildes führte mit unwiderstehlicher Konsequenz zur Auffassung Gottes als eines Ingenieurs im Ruhestand, und von da zu seiner völligen Ausschaltung war es nur noch ein Schritt" (549). Laplace tat ihn 100 Jahre später.

 

Fazit: Die Mechanisierung des Weltbildes erfolgte von 1500-1700. Sie bedeutet genauer, "dass die Natur in mathematischer Sprache beschrieben werden muss" (557).

 

 

Giedeon Freudenthal: Atom und Individuum im Zeitalter Newtons. Zur Genese der mechanistischen Natur- und Sozialphilosophie. Frankfurt: Suhrkamp 1982, Sonderausgabe 1989;
engl.: Atom and Individal in the Age of Newton. On the Genesis of the Mechanistic World View. Dordrecht: Reidel 1986.

 

Gut 300 Seiten. Thema sind zwei Zusammenhänge:

1. von Philosophie und Naturwissenschaft und

2. sozialen Verhältnissen und Wissenschaft.

 

Ausgangspunkt ist die Diskussion zwischen Newton und Leibniz über den absoluten Raum. "Newton geht von einer Annahme über die Beschaffenheit der Elemente aus und schliesst auf das Resultat für das Weltsystem. Leibniz geht von einer Annahme über das System aus und schliesst von demselben auf die Beschaffenheit der Systemelemente" (79).

 

Newton hielt einen Eingriff von Gott ins Weltsystem für notwendig (er formulierte: der Raum sei das "Sensorium Gottes"). Leibniz dagegen fasste die Welt als eine von Gott vollkommen konstruierte Uhr, die ohne seine Mitwirkung weiter funktioniere.

 

Sorgfältig arbeitet Freudenthal heraus, dass damals zwei verschiedene Arten von Uhren als Modelle verwendet werden konnten: die grobe Handwerkeruhr (clock) und die Pendel- oder Wissenschaftleruhr ä la Galilei, Huygens (montre; watch). Die erstere bedarf häufig der Eingriffe eines Aufsehers.(Clarke, ein Newtonianer, nennt daher die Welt, das Werk Gottes, clock, und spricht Gott Aufsicht und Leitung, inspection und government, zu.) Die letztere läuft allein von selbst; bei Leibniz ist daher Gott der vollkommene Mechaniker: Wissenschaftler und gelehrter Uhrmacher in einem (108).

 

Newtons Theorie liegt die mechanische Naturphilosophie zugrunde, bei der Atomismus (Francis Bacon) und Korpuskularphilosophie (Descartes) unterschieden werden müssen. Newton schloss sich dem Atomismus an, der besagt, die Atome hätten "essentielle Eigenschaften" unabhängig vom System. Dabei könnte er durch Hobbes Auffassung bestärkt worden sein, der dem Menschen ebenfalls essentielle Qualitäten (z. B. Selbsterhaltung) zuschrieb, die unabhängig vom System sind. (Rousseau und Adam Smith folgten, Hobbes ebenfalls. Bei Rousseau sind es Selbsterhaltungstrieb und Mitleid, bei Smith die Neigung zum Handel und das Vergeltungsgefühl, genauer Selbstliebe, Antipathie und Sympathie.)

 

Also:

"Die grundlegende Übereinstimmung zwischen Newton einerseits, Hobbes, Rousseau und Smith anderseits, besteht nicht in inhaltlichen Bestimmungen der Elemente und ihrer Eigenschaften, sondern in der Bestimmung ihrer jeweiligen Gegenstände als Systeme, die aus gleichen Elementen bestehen, denen essentielle Eigenschaften, unabhängig von ihrer Existenz in diesem System, zukommen" (164).

 

Das Gegenteil behauptete die Scholastik (von Thomas von Aquin bis Bellarmin). Nach Thomas besteht die Welt aus ungleichen Elementen, deren primäre Qualitäten von dem ihnen eigentümlichen Ort auf dem Radius des Weltsystems abhängen (185). Damit hängt die Hierarchie alles Seienden zusammen. Zuoberst ist eine leitende Instanz: Gott für die ganze Welt, der Papst für den naturnotwendigen hierarchischen Organismus der Gesellschaft.

 

Woher stammt nun Hobbes' Ansicht? Sie hat soziale Hintergründe. Er bezog eine antifeudale Position und entwarf ein politisches Programm zur Etablierung einer bürgerlichen Gesellschaft als Gesellschaft selbständiger Eigentümer (171). In der Realität entwickelte sich aber eine kapitalistische Gesellschaft. Was heisst das? Bei den Scholastikern war die Gesellschaft ein Organismus aus Ungleichen mit oberster Leitung; bei Hobbes ist der Staat analog einer mechanischen Uhr, und zwar durch Vertrag autarker Menschen zustandegekommen. Sie wählen aus Furcht voreinander (weil jeder nach Macht strebt), ihren Souverän (z. B. den König).

Bei Hobbes wurde also

·        Gleichheit statt Hierarchie

·        Eigeninteresse statt Allgemeinwohl

·        Fähigkeit statt erbliches Recht

·        Vernunft statt Tradition

·        Macht statt göttliches Recht

zum Ausgangspunkt der politischen Theorie (209 u. 253).

 

Kurz: "Die 'mechanische Philosophie' hat sich in der Auseinandersetzung mit der feudalen Philosophie entwickelt", und zwar sowohl in der Natur- als auch in der Sozialphilosophie (257).

 

Einzig ausserhalb blieb Leibniz, der nur das System als Ganzes im Auge hatte, nie jedoch einzelne Elemente. Leibniz war ein "Mittler zwischen den Extremen" (288); er hat sich nicht durchgesetzt.

 

 

Arno Baruzzi: Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae. München: Wilhelm Fink 1973.

 

Habilitationsschrift der Universität München. Ein gut 200seitiges philosophisches Fachbuch. Baruzzi hat 1965 eine Dissertation geschrieben: "Untersuchungen zur Philosophie als Zeitkritik im Hinblick auf Martin Heidegger".

 

Was ist das Denken sub specie machinae?

"Nichts verstehen wir, wenn wir es nicht machen ... Angesichts der Maschine, der Reproduktion in Maschinenwirklichkeit erkennen wir erst an einer Sache, wie sie an sich selbst sich verhält" (53).

 

Das fängt bei Descartes und Hobbes an und endet bei der Kybernetik.

 

Quer durch die Philosophiegeschichte führt dieses Sammelsurium: von Platon und Aristoteles bis Heidegger, Foucault und Heinrich Rombach.

 

Besondere Schwerpunkte sind, mit ständigen Vor- und Rückgriffen:

·        Descartes

·        Galilei

·        Hobbes

·        Leibniz

·        La Mettrie

·        Holbach

·        Marquis de Sade (56 Seiten).

 

Mühsam.

 

 

Floyd W. Matson: Rückkehr zum Menschen. Vom mechanistischen zum humanen Weltverständnis. Olten: Walter 1969.

 

Das amerikanische Original erschien 1964 unter dem Titel: "The Broken Image. Man, Science and Society". Das Vorwort ist mit Oktober 1963 datiert.

 

Die interessanteste Bemerkung steht auf der letzten Seite: Die mechanistische Betrachtungsweise habe "das Stadium des abnehmenden Ertrags" erreicht (280), d. h. trotz einem Mehraufwand an Forschung kommt nicht mehr viel Neues heraus.

 

Eines der frühen Bücher quer durch den Küchengarten von Quantenphysik, Politologie und Psychologie. Leider zuwenig präzis (vielleicht auch nicht gut übersetzt). Zitiert fast nur Sekundärliteratur.

 

Das mechanistische Denken geht auf Galilei, Descartes, Hobbes und Spinoza zurück. Letzterer sagte: "Ich werde die menschlichen Handlungen und Triebe ebenso betrachten, als wenn die Untersuchung es mit Linien, Flächen und Körpern zu tun hätte" (Ethik III, Vorspann).

 

Kurz nach 1800 entwarf Saint-Simon eine Newton-Religion mit Newton-Tempeln usw., basierend auf der Behauptung: "...die universale Schwerkraft ist die einzige Ursache aller physischen und moralischen Erscheinungen ...". Auch sein Schüler Comte wollte die gesellschaftlichen Erscheinungen Naturgesetzen unterstellen. Ist die Gesellschaft mechanisch, so kann sie auch unter wissenschaftliche Kontrolle gebracht, d. h. von einem Konzil von Sozialphysikern regiert werden.

 

Auch der Sozialdarwinismus ist eine Verherrlichung des unpersönlichen Mechanismus. Eingehend (auf 39 Seiten) behandelt Matson den Behaviorismus des 20. Jahrhunderts, basierend auf Hobbes, Locke, Hume und Hartley, Bentham und Mill. Die grossen Namen hier sind Watson, Hull und Skinner. 50 Seiten über Politologie schliessen sich an: Lundberg, Lasswell und A. F. Bentley.

 

Als Gegenbewegung sieht Matson einen neuen Humanismus, entstanden in Physik, Biologie und Tiefenpsychologie. In der Quantenphysik sei die mechanistische Weltschau untergegangen, meint Matson und weist auf die Unbestimmtheitsrelation (Heisenberg 1927) und das Komplementaritätsprinzip (Bohr 1927) hin. Für die Biologie nennt er das Prinzip der Ganzheit und den Begriff der Zielhaftigkeit sowie "Evolution", basierend auf Freiheit. Für die Psychologie nennt er Psychobiologie (die behauptet, dass das Bewusstsein nicht auf physikalisch-chemische Kategorien reduziert werden kann), Funktionalismus (der behauptet, dass wir Wahrnehmungen aktiv gestalten) und die vom "romantischen Mechanisten" Freud abgefallenen Schüler Adler, Jung und Rank sowie die Neo-Freudianer (Psychosynthese, Psychotherapie).

 

Im Schlusskapitel tippt Matson noch Diltheys Lehre vom Verstehen an.

 

Die fehlende Präzision zeigt sich z. B. am Satz, der an ein Zitat von Ludwig Binswanger anschliesst: "Man kann wohl sagen, dass der Existentialismus sowohl in seiner philosophischen wie auch psychologischen Form die bisher zusammenhängendste und eindruckvollste Demonstration der humanistischen These zustande gebracht hat" (254).

 

Wie sieht die Sache heute aus, ein Vierteljahrhundert nachdem Matson seinen Text geschrieben hat? Ist ein Umschwung gekommen? Ist das "Ende des homo oeconomicus", das Peter F. Drucker bereits 1939 beschworen hat (267) schon gekommen? Haben wir heute eine "Wissenschaft des Verstehens" (280) erreicht, ist es gelungen, "die Naturwissenschaft für die Sache des Menschen zu gewinnen" (7)? Ist es gelungen, "das zerbrochene Bild des Menschen wieder zusammenzufügen und ein einheitliches Bild wieder herzustellen" (8)?

 

 

Roger J. Faber: Clockwork Garden. On the Mechanistic Reduction of Living Things. Amherst: The University of Massachusetts Press 1986.

 

Der Physikprofessor Faber möchte die humanistische Idee bewahren, dass Menschen "als kausale wie moralische Einheiten handeln". Gegenüber dem Atomismus plädiert er für Holismus.

 

Drei Annahmen sind für den Atomismus charakteristisch:

(1) Trennbarkeit der Teile vom Ganzen,

(2) Eigenständigkeit der Eigenschaften der Teile,

(3) Lokalität: d. h. die Teile haben nur eine Beziehung zu ihrer unmittelbaren Umgebung.

 

Wer historische Aufklärung erwartet, sieht sich getäuscht. Es handelt sich um ein wissenschaftstheoretisches Buch. Nach allgemeinen Kapiteln stellt das 3. Kapitel eine Auseinandersetzung mit dem Philosophen Gilbert Ryle (1954) dar. Anschliessend zeigt Faber, dass die Kybernetik "reduktionistisch" ist. Mit "Feedback" kann zielorientiertes Verhalten nicht erklärt werden. Eine Alternative zur Kybernetik ist der "Selectionism", aber der taugt noch weniger.

 

Das 7. Kapitel befasst sich mit wissenschaftlichen Theorien, das 8. mit Denken und Fühlen, das 9. mit der Quantenphysik (Davisson-Germer-Experiment, 1927; Einstein, Podolsky und Rosen, 1935). Diese wendet er im 10. Kapitel auf Denken und Fühlen an. Im letzten (11.) Kapitel entwirft er ein "Quantal World Picture", das den Zusammenhang von Materie und Geist beschreiben könnte.

 

Faber stellt eine ganze Reihe Fragen und gibt spekulative Antworten. Seine Überzeugung: Geistige Akte werden nicht von einem Haufen von Atomen ausgeführt, sondern von einer Einheit, dem Geist.

 

Ich habe das Buch nur langsam durchgeblättert und nichts verstanden.

 


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