Zu Ludwig Klages (1872-1956):
Die
Entwicklung seiner Ideen und Werke
Verschiedene
Zusammenstellungen im Herbst 1972, leicht ergänzt
1977,
neu versehen mit
Zwischentiteln
Literatur
ZA
Ludwig Klages: Zur Ausdruckslehre und Charakterkunde. Gesammelte
Abhandlungen. Heidelberg: Kampmann 1927 (21 Abhandlungen aus der
Zeit von 1897-1927).
RR
Ludwig Klages: Rhythmen und Runen. Nachlass 1889-1915,
herausgegeben von ihm selbst. Leipzig: Barth 1944.
Schröder Hans
Egger Schröder: Ludwig Klages. Die Geschichte seines Lebens.
Erster Teil: Die Jugend. Bonn: Bouvier 1966, 1-398.
Zweiter Teil: Das Werk. Erster Halbband (1905-1920). Bonn: Bouvier
Verlag Herbert Grundmann 1972, 399-920.
Bibl.
Hans Kasdorff: Ludwig Klages. Werk und Wirkung. Einführung und
kommentierte Bibliographie. Bonn: Bouvier 1969.
Kasdorff
Hans Kasdorff: Zu den ersten Veröffentlichungen von Klages.
Zeitschrift für Menschenkunde, 33, 1969, Heft 4, 169-191 (=
1969b).
Vgl. auch
Roderich Huch:
Alfred Schuler, Ludwig Klages und Stefan George. Erinnerungen an
Kreise und Krisen der Jahrhundertwende in München-Schwabing
[kurz vor seinem Tod 1943/44 aufgezeichnet]. Privatdruck Magdeburg
1950;
Amsterdam: Castrum Peregrini Press 1972; 2. Aufl. 1973.
Georg Peter
Landmann: Der George-Kreis. Eine Auswahl aus seinen Schriften.
2., um einen Text von Ludwig Klages und ein Nachwort des
Herausgebers erweiterte Auflage. Stuttgart Klett-Cotta
1980.
Hans Kasdorff: Zu
den Dichtungen von Ludwig Klages. Zeitschrift für
Menschenkunde 53, 1989, 113-118.
Richard Faber:
Männerrunde mit Gräfin. Die "Kosmiker" Derleth, George,
Klages, Schuler, Wolfskehl und Franziska zu Reventlow. Mit einem
Nachdruck des "Schwabinger Beobachters". Frankfurt am Main: Lang
1994.
Michael Pauen:
Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und
Philosophie der Moderne. Berlin: Akademie Verlag 1994, 135ff., bes.
187-189.
Michael Pauen:
Einheit und Ausgrenzung. Antisemitischer Neopaganismus bei Ludwig
Klages und Alfred Schuler. In Renate Heuer, Ralph-Rainer Wuthenow:
Konfrontation und Koexistenz. Zur
Geschichte des deutschen Judentums. Frankfurt New York 1996,
242-269.
Heinz-Peter
Preusser: Ein Neuromantiker als Ästhetizist? Über den
Dichter Ludwig Klages. In Bettina Gruber, Gerhard Plumpe (Hrsg.):
Romantik und Ästhetizismus. Festschrift für Paul Gerhard
Klussmann. Würzburg: Königshausen und Neumann 1999,
125-163.
Heinz-Peter
Preusser: Antisemiten aus Kalkül? Über Alfred Schuler,
Ludwig Klages und die Instrumentalisierung des rassistischen
Ressentiments im Nationalsozialismus. In Walter Delabar, Horst
Denkler, Erhard Schütz (Hrsg.): Spielräume des einzelnen.
Deutsche Literatur in der Weimarer Republik und im Dritten Reich.
Berlin: Weidler 1999, 121-136.
Auch in: Juni 30/31, 1999, 121-136.
Heinz-Siegfried
Strelow: "Ich gehöre unter den dunstbedeckten Himmel des
Nordens." Die hannoversche Jugendzeit von Ludwig Klages 1872-1893.
In Michael Grossheim (Hrsg.): Perspektiven der Lebensphilosophie.
Zum125. Geburtstag von Ludwig Klages. Bonn: Bouvier 1999,
203-215.
Heinz-Peter
Preusser: Antisemitismus oder Antijudaismus? Alfred Schuler, Ludwig
Klages und das Ressentiment im Aufbau einer heidnischen Metaphysik.
In: Baal Müller (Hrsg.): Alfred Schuler, der letzte
Römer. Neue Beiträge zur Münchner Kosmik. Castrum
Peregrini Presse 2000.
Elke-Vera Kotowski:
Feindliche Dioskuren. Theodor Lessing und Ludwig Klages. Das
Scheitern einer Jugendfreundschaft (1885-1899). Diss. Univ. Potsdam
2000; Berlin: Jüdische Verlags-Anstalt 2000.
Elke-Vera Kotowski:
Verkünder eines 'heidnischen' Antisemitismus. Die Kosmiker
Ludwig Klages und Alfred Schuler. In Gert Mattenklott, Michael
Philipp, Julius H. Schoeps (Hrsg.): "Verkannte brüder"? Stefan
George und das deutsch-jüdische Bürgertum zwischen
Jahrhundertwende und Emigration. Hildesheim 2001,
201-218.
Stefan Breuer:
Rezension von Elke-Vera Kotowski: Feindliche Dioskuren. Theodor
Lessing und Ludwig Klages, das Scheitern einer Jugendfreundschaft
(1885-1899), 2000. Hestia 2000/01, 2002, 167-169.
Robert Edward
Norton: Secret Germany. Stefan George and His Circle. Cornell
University Press 2002.
Paul Bishop: Ludwig
Klages's Early Reception of Friedrich Nietzsche. Oxford German Studies, 31, 2002,
129-160.
Inhalt
Teil 1: 1888-1890:
Gedichte und Dichtungen des Sechzehn- bis
Achtzehnjährigen
Teil 2: 1872-1903:
Weitere wichtige Motive beim jungen Klages
Teil 3: Um 1900
festigte Klages seine Weltanschauung
Teil 4: Ab 1897:
Graphologie und Charakterkunde
Teil 5: Ab 1898:
Charakterkunde
Teil 6: Ab 1901:
Ausdruckskunde im Rahmen von Graphologie und
Charakterkunde
Teil 7: Ab 1906:
Weiterentwicklung der Philosophie
Teil 8:
Zusammenfassung: Ständige Revisionen seiner grossen
Werke
Teil 9: Wenig
umfassende Sekundärliteratur (1920-1971)
Teil 1: 1888-1890:
Gedichte und Dichtungen des Sechzehn- bis
Achtzehnjährigen
Bereits die Gedichte
des 16jährigen Klages lassen wichtige, immer wiederkehrende
Motive erkennen: Er möchte auf Wolken "dem Sonnenball, der
Purpurglut, dem fernen West entgegen" getragen werden. Dann
identifiziert er sich mit dem Sturmgott, der mit seiner wilden
Gnomenschar im Frühling dem lichtgewobenen und sein
Sonnenschwert schwingenden Frô hilft, die Göttin der
Fruchtbarkeit aus der Eisburg zu befreien, im Herbst jedoch zu
"morden" unternimmt, was er vorher keimen und reifen
liess:
Schön ist's
lang genug gewesen -
Habt euch oft genug
ergetzt!
Und was schön
ist, muss verwesen!
Und was Frucht
trieb, wird zerfetzt!
Scheltet nicht! Dem
Gott des Lichtes
Folgte ich, ein
Freund einst, nach,
Da mit Flammen des
Gerichtes
Er der Göttin
Kerker brach.
Doch das Glück
hat seine Wende.
Auch dem Lichtgott
seine Zeit!
Meiner hat sich bis
zum Ende
Steter Wonne je
erfreut!
Auch der Lichtgott
musste stürzen!
Kampf - die Losung
dieser Welt.
Soll der Ruhm das
Leben würzen,
Sinkt im Streite
auch der Held.
…
Auf zum Kampfe:
heisst mein Name.
Das Verjüngte
nur besteht.
Neue Knospen,
frischer Same
Hütet, dass die
Welt vergeht!
Eine Art Kombination
der ersten beiden Gedichte stellt das dritte dar: Zwei Geister oder
Götter treten zur Zeit des Sonnenuntergangs vor Klages auf:
Der eine, der "schwarze Dämon", spricht: "Ihr werdet geboren,
Bald zu verwesen ... Ein dumpfes Entstehen - Ein schnelles
Vermodern - Ziellos gezwungen Von starrer Gewalt - So wogen die
Welten Ohn' Anfang und Ende, Sinnlos vertauschend Form und
Gestalt!"
Vom andern Geist
stammt das "Götterwort": "Im Herzen zu hoffen, Dass
schliesslich geschlagen Der Teufel, der Tod Und das Werk dann
vollbracht - Das ist der Glaube, Der aus Stein und aus Staube Des
Lebens liebliche Blüte entfacht ... Des ewigen Willens
Gezogene Zirkel Rollt zerrissen Das Weltenall."
Der Kampf zwischen
entgegengesetzten Mächten
Der Kampf zwischen
entgegengesetzten Mächten ist für Klages Motor der Welt:
Das unaufhörliche Wechselspiel von Glut und Eis, Feuerflamme
und Nebeldunst, Keimen und Welken, Blüte und Fäulnis, Alt
und Neu, Sieg und Niederlage verhindert den Stillstand der Welt. Es
sind gewaltige Kräfte, die im heldenhaften Streit die Welt
bewegen - "dem Philistergeist zum Hohn!".
"Nicht liebt man die
Götter, sie werden verehrt!" erkennt im nächsten Gedicht
Wieland, der seine Geliebte Allwis dem Sturmgott zurückgeben
muss, dem "Gott, der nach Taten lechzt: Der schrecklich
zerstört, was der Frühling geschaffen". Vergeblich hat er
gefleht: "Oh lass die Götter, oh bleibe mein! Als Götter
stärker soll Liebe sein!"
Er gibt Allwis frei:
"So fahr denn hinaus In die Nacht, in die Wälder, in Nebel und
Graus!"
Die nächsten
drei Jahre "bringen die dichterische Ausbeute aus einem Zeitraum
der Fülle", wie Klages 1943 im Vorwort zu seinem Nachlass
schreibt (RR, 10). Sie macht, zusammen mit den ersten fünf
Gedichten, auf beinahe 250 Seiten nahezu die Hälfte der
"Rhythmen und Runen" aus.
In der Einleitung
von 1915 hat er diese "sangesvolle Schwermut der Jugendjahre"
ausführlich gekennzeichnet (RR, 15f). Er stand damals ganz "in
der geistigen Haft" des Stabreimdichters Wilhelm Jordan, dessen
Werk er als Fünfzehnjähriger kennengelernt hatte. "In
hymnischen Gesängen von elementarer Klanggewalt" goss Klages
bis 1892 die innere Fülle aus, "voll verwehter Stimmen aus
Horizonten der Vorwelt".
Jahreszeiten
Das Motiv des
fünften und letzten Gedichts von 1889 wird im ersten von 1890
wieder aufgenommen: "Weihnachten". Es ist die trübe, aber
ambivalente Zeit zwischen Herbst und Frühling. Einerseits
träumt die im Frost erstarrte Landschaft von der
Vergangenheit, "von rosenreichen, duftgeschwellten Landen",
anderseits gelten die angezündeten Lichter am grünen
Weihnachtsbaum dem Lenz:
"Wohl hielt mit Eis
in Zauberbann der Tod die Welt gefangen;
Doch durch die Nacht
drang strahlender des Lebens heisses Prangen.
'Das kündet',
rief ich jubelnd aus, 'der Zukunft neu Erwachen!'"
"Frühlingswolkenlied" und "Maiwind" schliessen sich
folgerichtig an. Die Wolken: "Singend ziehen wir, Jubelnd ins Land
... Tragen die Ströme Fruchtenden Regens, Lieblichen Segens
Bergend im Schoss ... Streuen den Samen, Wecken die Keime, Bringen
den Frühling Der Liebe euch her."
Mit diesen
stürmenden Wolken möchte Klages im Maiwind
ziehen:
"Weit hinter dem
Meer da winkt mir ein Strand
Auf einem anderen
Sterne!
Da weiss ich in
schimmernder Pracht ein Land
Da schlingt die
Liebe das ewige Band -
Es lockt aus
schwindelnder Ferne.
Da atmen die
Täler Seligkeit -
Da murmeln
weissagende Quellen -
Das göttliche
Reich der Vergangenheit!"
Die letzten zwei
Verszeilen präzisieren das Ziel des Sehnsuchtdranges. Es wird
im "Sonnenritt" wieder aufgenommen: "Jenseits von euch, verrinnende
Wogen - jenseits von euch, entfesselte Wolken - fern, fern im
Sonnenreiche des Westens ruht heilig und rein wie der
lebensspendende Gral ... das unentsiegelte Geheimnis meiner
Träume."
Doch das Verlangen
des Herzens ist nicht stillbar. Wie jeder Tag seinen Abend hat, so
folgen auf Frühling und Sommer Herbst und Winter: Das Licht
des Tages erlöscht; die herbstlichen Stürme und
Nebelreigen machen den Reisenden frösteln. Die Zeit verrinnt,
enteilt ...
Vergeltung,
Maschine, Tod
Weitere Motive sind:
"Vergeltung" für Baumfrevel, die Maschine sowie der
Tod.
"Du bist Natur wie
jenes Bäumchen dort,
Das
frühlingsfreudig junge Schösse treibt.
Zerstörst du
es, begehst du einen Mord;
Denn Mörder
ist, wer fällt, was lebt und leibt!
Der Gottesodem, der
die Welt durchglüht,
Schlief auch im
Keim, der diesen Baum gezeugt.
Was dir als Feuer
aus den Augen sprüht,
Ist das, was hier
als Knospe schiesst und steigt."
Für die
Maschine steht der Eisenbahnzug, der "brausend durch die
Nacht hin stampft": "Über grenzenlos weite Verfinsterte
Steppen, Durch Moor und Heide Rast die Maschine. Einen Willenlosen
Schleppt sie mit sich. - Weiter, nur weiter, Wagen des Schicksals!
... Vorbei mag alles Ein Schemen schwanken, Bis du entgleisend Zum
Abgrund hinabstürzst Oder am kantigen Felsen
zerklirrst:"
Das
Todesmotiv, schon bei der "Vergeltung" vorherrschend -
verlangt doch die Sühne, dass dem Frevler auch seine Stunde
schlage und er im Holzsarg zu Grabe getragen werde - verdichtet
sich auch im "Begräbnis" (Vgl. Schröder, 21, RR, 42f) zur
Untergangsschau. "Mit wimmernden Drommeten naht ein Chor vermummter
Träger ... Fahl glänzt der Sarg. Um Palmenreiser windet
aus welkem Laub der Sturmwind die Girlande."
"Verloschen ist die
Spur, die du getreten. -
Wir alle treiben
fort im grossen Strome.
Einst schlägt
die Stunde diesem Erdplaneten,
Und blitzzerspalten
stiebt er in Atome!
Und wo vereint die
Hölle mit dem Himmel
Gewoge schuf von
streitenden Gestalten,
Wo Fluch und Mord
das tobende Gewimmel
Der Menschenbrut
äonenlang erhalten -
Ruht Weltallsfrieden
starr und schmerzentladen
Und düstert
eisig klar der hohle Raum.
Doch hell wie ehmals
schimmern die Plejaden -
Man weiss den Ort
des toten Sternes kaum. - "
Schleppt der durch
die Nacht donnernde Eisenbahnzug einen Willenlosen mit sich, so
gehorchen umgekehrt die Sturmgeister dem Willen des Meisters. Hier
verbirgt sich wohl mehr als nur ein Reim. Klages ist der Meister,
der mit "tiefgeheimen Zauberzeichen" Gespenster zu bannen
versucht:
"Was noch nie
gedacht, gesprochen -
Leuchtet durch die
Nebelfalte,
Wie ein Strahl,
hervorgebrochen
Aus umglühter
Wolkenspalte."
Jedoch:
"Noch zu rasch
entfliehn die Bilder.
Noch zu
stürmisch wogt die Glut
Meiner
Seele".
"Der
Sonnenritt"
31 Seiten zählt
die Prosadichtung "Der Sonnenritt". Sie fasst alle bisher
geschilderten Bilder zusammen und stellt sie unter das
Märchenmotiv Dornröschen: Der Ritter auf dem feurigen
Rappen jagt dem Traumbild einer Jungfrau nach.
In verwirrender
Mischung von Traum und Wachen widerfahren ihm mystische Erlebnisse.
Weiden am sumpfigen Teich "raunten einander mit wetterzähem
Geäste Runen der Vorzeit zu". Schilfhalme "flüsterten ein
uraltes Lied" und fordern ihn auf herniederzusteigen, "um zu
versinken im Kelche der Allflut".
Dann wieder hebt ihn
der Wind empor - "immer höher in sonnige Ferne über die
Menschheit, und ich lächelte herab als ein Heros aus der Halle
der Unsterblichen. Und noch höher flog ich empor ... Ich
wähnte zurückgekehrt zu sein in eine ferne, unermesslich
ferne Vergangenheit. Wiegte mich nicht in weichen Armen die
Mutter?"
Später kommt er
in eine grosse Stadt: "Welch neue Welt erschloss sich mir da.
Funkelnde Karossen jagten vorüber - ... unter hohen
Huttürmen stolzierten die Dämchen auf Stelzenhacken -
Wucherjuden mit langen Bärten feilschten um Waren." Vor einer
hohen gotischen Kirche "ragte ein Götzenbild und um diesen
Götzen tanzte alt und jung in kreischender Prozession einen
wahnwitzigen Cancan".
Diesem "goldenen
Kalb" brachte man Menschenopfer dar ... "Mancher blieb zuckend im
Staube vor Ahrimans hochragendem Opferaltar. Doch horch, da luden
plötzlich die Glocken im Dome zur heiligen Frühmesse und
- o Wunder - die Bekehrten legten mit süsslichem Lächeln
die bluttriefenden Dolche aus den Händen, ordneten sich zum
selbstgefälligen Büsserzuge und wallten
himmelsgläubig gesenkten Hauptes durchs hohe Portal hinein in
das Haus des einzig wahrhaftigen Gottes, wo sie der Andacht
genossen und des Brotes und Weines und der Sündenvergebung.
-
Voll Ekel und
Abscheu stürzte ich davon. Da erbebte rings der Boden von
gewaltigen Trommelwirbeln. Die breite Mittelstrasse herauf
marschierten im Soldateskaschritt ein Trupp kurzbeiniger,
blitzäugiger Männer, die mit wilder Wut ihre Pauken
schlugen. Jeder trug eine rote Mütze mit der Aufschrift: Wir
sind die Patrioten! Und zum Takt ihrer Trommeln sangen, nein,
brüllten sie aus heiseren Kehlen:
Das Vaterland ist
gar zu gut, gar zu gut, gar zu gut,
Und wir wollen
Feindesblut - Fein - des - blut - !"
In dieser
bitterbösen Art fährt der 17jährige Klages noch
lange weiter. Motto: "Was stände nicht feil für Geld?"
"Geld heisst der Lebenspuls der Dinge, Geld ist die Schlagader der
Menschheit, Geld der Beweger des Alls ... Merkator heisst der Gott
der Zukunft!"
Die Flucht aus
diesem Sodom und Gomorrha bringt schon das nächste Abenteuer,
den Kampf mit einem dämonischen Doppelgänger. Dann
endlich "bohrte Helios seine Pfeile durch die Dunstwelt der Nebel
... Aus tausend kristallklaren Tropfen lugte glühend empfangen
das blitzende Auge der Welt".
Schliesslich gelangt
der Ritter ans Meer. "Müde senkten sich überwältigt
von der rätselhaften Grösse der Natur wie zum Schlummer
die Lider; zusammensank der Feuergigant, der unsterbliche Wille.
Und ich schloss völlig die Augen, um tiefinnen widergespiegelt
zu sehen das Gottheitsabbild ... Es löste sich von der Seele
des Alls die leidige Schale des Ichs, verflutend im Hauche des
Meeres".
Da erhebt sich ein
heulender Sturm. Der Ritter sieht sich als Prometeussohn, der mit
Menschenwitz und -wille die grünmähnigen Rosse Poseidons
zu bändigen androht. Doch plötzlich tauchen nackte Nixen
aus dem Schaum und schicken sich an, mit "Sirenentriller" den
Sonnensohn zu verführen. Der Prahler, der die
Meeresmächte verhöhnt hat, scheut zurück.
"'Feigling!'
brüllte die Brandung und 'Feigling!' heulte der
Sturm."
Nach diesem Traum,
Gleichnis menschlicher Hybris, erwacht er; die Sonne versinkt
"hinter dem Erdplan und nur der Himmel zeichnete sprühend den
Pfad, den der Lichtgott gegangen war ... und ich öffnete den
Mund, von innerer Gewalt getrieben, und sang in die schweigende
Nacht den brausenden Sonnenhymnus:
Wann die Sonne
nebeldunstumflossen
In die Flammenflut
des Westens sinkt
Und die Erde
glutenübergossen
Feuer aus dem Kelch
des Himmels trinkt,
Zucken fiebernd ihre
Bergeslehnen
Dem umlohten
Firmament entgegen -
Das uralt
titanenhafte Sehnen
will in ihrem
Felsenleib sich regen.
Mächtig
drängt der Allgeist durch die Poren
Des Planeten, seinen
Sitz zu fliehn.
Denn aus Flammen
ward die Welt geboren
Und in Flammen wird
sie einst zersprühn."
Doch der in "Urnen"
gefangenen Sonnenseele gelingt es nicht, sich ins Flammenmeer
aufzuschwingen: "... der Funke muss gefesselt bleiben ... Tief im
Felsenbusen eingebettet Schläft der Weltgeist seufzend wieder
ein."
Dieser Sonnenhymnus
war Klages so wichtig, dass er ihn zweimal in "Rhythmen und Runen"
abdrucken liess (RR, 65f, 113f). Die zierschriftliche Abschrift von
Herta von Larisch bildet eines der kostbarsten Stücke des
Klages-Archivs.
Tief in der
Dunkelheit gelangt der Ritter zu einem niedrigen Haus, bewohnt von
einem Greis mit wallendem Bart, einer strahlenäugigen Matrone
und einem reizenden Mädchen. Draussen erhebt sich
Schneegestöber, drinnen prasselt das Kaminfeuer und ein
Wasserkessel singt: "das sind die Allmachtsminuten im Sklavenleben
des Menschen", die unsterblichen Gedanken flattern "über die
unendlichen Gefilde der Erde ..., steigen hinauf in die Eisregionen
der Monde - und höher zu glutkochenden Sonnen", durchmessen
das All, "bis sie zerstieben hinter den letzten Nebelringen des
Makrokosmos."
Der Greis liest aus
einem umfangreichen Buch die siebzehnstrophige Geschichte eines
Pilgerzuges, Sinnbild vergeblichen menschlichen Bemühens.
Über winterliche Wüsten, durch die Rankenwildnis des
Dschungels monatelang über Weltmeere im Zedernkahn und
schliesslich jahrzehntelang "über Steppen, Heiden und
Savannen, Gebirge, Ströme, durch die dunkle Pracht der
Urwaldsriesen" kämpft sich die immer kleiner werdende Schar
gen Westen, stets Mut schöpfend in der abendlichen
Flammenflut. Endlich gelangen sie in eine "Stadt mit Wappen,
Türmen, Schilden" - errichtet "von denen, die verzagt
zurückgeblieben ... das war dieselbe Wüste, wo
früher sie zum Tode sich gelegt".
Erneut taucht vor
den träumenden Augen die Jungfrau auf. Er wirft sich auf
seinen Rappen und rast im Schneesturm über die nächtliche
Heide. Aus huschenden Nebeln hebt sich eine Burg. Darinnen tanzen
jugendliche Paare. "Da sah man bunte Ritter mit nickenden
Helmbüschen - in wallenden Talaren würdige Prälaten
- Schelmengesichter unter Harlekinshüten - zarte Mädchen
in Gretchengewändern, blitzäugig kokette, die den
knospenden Busen in Rokokoroben bargen, und üppige
Schönen in bäurischen Miedern."
Der Ritter mischt
sich darunter, sieht seine angebetete Jungfrau, beginnt zu wachsen
"und nun wähne ich, ein Riese der Vorzeit zu sein, und durch
meine Adern rollt der glühende Urstoff, woraus alsbald ein
neidischer Gott die Sonnen und Kometen giessen wird, und ich murmle
vor mich hin:
Nieder nun brechen
die lähmenden Fesseln
Und aus dem Moder
reisst sich beflügelt
Mit Donnerlaut der
allmächtige Geist!
Der Wille wird Tat
nun; dem Wunsch wird Erfüllung -
Und es stürmt,
Planeten und Sonnen verzehrend,
Ein
Flammengott
Durch die
tönenden Hallen des Makrokosmos,
Bis er die
Weltmyriaden verschlungen -
Und nichts mehr ist
als die öde, kalte,
Uranfängliche
Nacht."
Der Ritter presst
die Geliebte an die Brust - "ein Kuss glüht auf ihren
schwellenden Lippen". Da ein Donnerschlag, und er versinkt durch
den Ballsaal in bodenlose Schlünde. Erwacht, findet er sich
bis an den Bauch im Morast stecken. Im Mond erscheint der sanfte
Kopf des Mädchens. Der Ritter schreit einen grässlichen
Fluch zu den Sternen empor: "Deshalb also, lüstern lockende
Buhlerin, hast du mich gekirrt mit berechneten Reizen, um mich
hinabzuschleudern in den erstickenden Sumpf?"
Weiter versinkend
klagt er ermattet: "Ewige Sterne - Götterfernen zeigt ihr dem
sehnenden Herzen ... Niemals alternd nach ewigen Ratschluss zieht
ihr feurige Zirkel durch die Öde des Alls ... Wir aber ringen
- und ringen vergebens und sterben. Zu modern sind wir verdammt im
Boden der Erde, die uns gebar. Verglimmen muss der titanische Wille
- die Tat ward den Göttern, verlangende Ohnmacht dem Menschen!
Mich aber, der ich gegriffen nach deinem Gürtel, heiligbleiche
Madonna, stürztest du hinab in verschlingende Gründe -
und kalt lächelst du hernieder und fühllos!"
Teil 2: 1872-1903:
Weitere wichtige Motive beim jungen Klages
Die
Elemente
"Die Elemente
begleiteten ihn durch seine Kindheit und Jugend; das
Sturmesrauschen ...; die Magie des Wassers ...; der Glanz der
Abendsonne ... Das sind die drei elementaren Mächte, die am
stärksten auf ihn einwirkten; das Wasser aber ist das
Wandlungsfähigste unter ihnen, das seinen Einfluss in immer
neuen Formen übt ... Der Sturm ist das Grundelement, dem seine
Seele angehört ... Die Melodie des Regens war ihm voller
Geheimnisse. Tiefer als in ihr offenbaren die schaffenden
Naturkräfte sich nicht ... Der Heranwachsende aber bleibt dem
Geheimnis auf der Spur, wenn er sich [1902!] den Satz notiert: 'Im
Schall des Regens ist die Hochzeit beider, des tellurischen und
siderischen Elements' [RR, 265]" (Schröder, 9f, vgl. auch
71).
Mit fünf Jahren
lernte er das Meer kennen. "In den Gedichten kehren die Bilder der
See immer wieder, 'die Ferne, wo sich Wolken und Wogen
dämmernd vermischen" (Schröder, 11 - RR, 167). Gibt es
"eine Verwandtschaft der Menschenseele mit den Charakteren der
Tageszeiten, so gehört die Klages-Seele der Abendstunde an.
Immer wieder tönt durch die Gedichte der Sehnsuchtsruf: 'Zum
fernen West! Zum fernen West!" (Schröder, 12 - RR, 25,
ähnl. 45, 68ff). Sucht man eine Verwandtschaft mit einer
Jahreszeit, so ist es der Winter (Schröder, 485-490, 506, 536
- vgl. RR, 512), die geographische Heimat der Norden (RR,
502).
Klages erlebte auch
"entrückende Sturmfahrten der Seele", die er wohl zu
unterscheiden wusste von Träumen und Phantasien
(Schröder, 22-25, 31f; ein gegenteiliges Erlebnis: 67, 88 f,
395f). In einem langen Brief im 30. Lebensjahr an Franziska
Reventlow (RR, 513-519) schildert er sich als schüchternen,
folgsamen und klugen Knaben (eine Korrektur, vgl. Schröder,
466f), der jedoch oft, "wenn er fern von allen Menschen", auf
Seelenausfahrten "über die keuchende Welt" sauste: "Beide
Wesen, das menschliche und das dämonische, erstarkten, wuchsen
und reiften in demselben Knaben, und sie wuchsen, ohne eines vom
anderen zu wissen", schreibt Klages.
Auch durch Zauberei,
Magie versuchte er "die immer wiederkehrende, aber kaum zu
beschreibende Verwandlung" zu erleben. "Eine lebhafte Phantasie
machte Ludwig zu einem Meister im Märchenerzählen"
(Schröder, 37-39, vgl. auch 83). Sein ganzes Leben lang hat er
denn auch heranwachsenden Kindern Märchen erzählt und
Zauberkunststücke vorgeführt (Schröder,
447).
"Schüchternheit
nach aussen und eine mystische Tiefe und Intensität des
inneren Erlebens sind die Merkzeichen seiner
Jünglingsjahre ... Klages lebte in einer Traumwelt, die
über das Wachbewusstsein dominierte ... Klages liebte die
Landschaft mehr als die Menschenwelt. Das Verhalten der
Menschen zur Landschaft beunruhigte ihn; der Gegensatz von Stadt
und Land begann ihn zu quälen ... Klages war erfüllt von
Bildern der Vorzeit; ihn beherrschte das Erwachen von
Urerinnerungen", so charakterisiert Schröder Klages im
Gegensatz zur Ibsen-Jugend (Schröder, 80, 84). Ein reifer
Niederschlag war "die merkwürdige mythologische Dichtung" (so
Schröder, 83) "Der Sonnenritt" (1890 - RR, 46-76).
Gegensatz von
Christentum und Heidentum
Mit fünfzehn
Jahren empfing er unauslöschliche Eindrücke von Wilhelm
Jordans Stabreimepos "Nibelunge" (Schröder, 45-47, 51, 54-59,
61, 70f, 235-237): "Der Nimbus alter Gottheiten teilte als
Wirklichkeit sich ihm mit; die leuchtende Aura einer versunkenen
Vorzeit hüllte ihn ein. In ihm wurde ein Stück
schlummernder Vergangenheit geweckt und bestimmte von diesem
Augenblick an seine Lebensbahn."
Seit seinem 13. oder
14. Lebensjahr hat er an einer Tragödie, "Desiderata", dem
Untergang der Langobarden gewidmet, gearbeitet; dieses Thema, "das
letzte tragische Aufflammen der abendländischen
Götterwelt gegen den Eingott des Orients "
(Schröder, 51 - RR, 109), hatte ihn über sechs Jahre in
seinem Bann. Drei Fassungen entstanden, doch das Werk blieb
Fragment (vgl. RR, 77-108, 137-149). In ihm klingt ebenfalls "das
Thema an, dem künftig das Lebenswerk von Klages dient: im
Spiel der menschlichen Charaktere die Wurzeln der
Herrschsucht aufzuspüren und ihre unerkannten Wege,
Ziele und Folgen aufzudecken" (Schröder, 49).
Diese beiden Motive,
der psychologische "Gegensatz von egoistischen und gedanklichen
Triebfedern" und. der religiös-metaphysische "Gegensatz von
Christentum und Heidentum" (RR, 108f), tauchen also hier zum
erstenmal auf. Er wurde im "Wettstreit des Dichtens"
(Schröder, 53) mit dem Schulkameraden Theodor Lessing, der mit
ihm die Jordan-Begeisterung teilte, weiter ausgetragen. (Die
Freundschaft zerschlug sich 1899; später hat Lessing die
Priorität für die meisten der Klagesschen Entdeckungen
für sich in Anspruch genommen.)
Analytisches
Denken
Wie sehr Klages
"gespalten" war, zeigte sich wieder bei der Wahl seines
Studienfaches: "Es lebten in ihm fast unverbunden zwei
Naturen, die seelisch-rauschhafte, in magischem, mythischem und
dichterischem Denken webend, und die dem dialektischen,
mathematischen und physikalischen Denken zugeneigte geistige [vgl.
RR (1891), 495]. Seltsamerweise schon zu Beginn des 18.
Lebensjahres stellte er fest: die geistige bilde ein Hindernis der
seelischen und es sei seine Aufgabe, die Formel zu finden, durch
die sie für immer entmächtigt werde. Ja, das verdichtete
sich ihm am Grabe seiner Mutter zum feierlichen Schwur. Für
jetzt aber sagte er sich: um mein Ziel zu erreichen, muss ich mich
nicht nur aus Büchern, sondern im Laboratorium aufs genaueste
mit den seelefeindlichen Mächten vertraut machen; ich muss den
Feind kennen, um ihn zu schlagen mit seinen eigenen Waffen; ich
muss erproben, durch welche Art analytischen Denkens man zu der
Behauptung gelangt ist, dass die Welt aus Atomen bestehe; folglich
wähle ich auch aus inneren Gründen Chemie"
(Schröder, 100).
Dennoch betrieb er -
zum Praktiker wenig begabt - vorwiegend ein Bücherstudium -
obwohl wiederum kein Stubenhocker -, weshalb er seine
mühevolle Experimentalarbeit erst 1900 zum Abschluss bringen
konnte.
Am meisten
beeindruckten ihn die Schriften Eugen Dührings sowie
Nietzsches kritische Schriften der mittleren Jahre.
Untergangsschau
Briefe an Lessing
aus den ersten zwei Studiensemestern in Leipzig (1891/92) legen
Zeugnis ab von seherischen und dichterischen Gedankenstürmen.
"Im Februar 1892, in der sorglosen Zeitstimmung einer
aufstiegsfrohen Epoche, findet sich in ihm plötzlich der Satz:
'Ich höre das donnerähnliche Brausen des
Weltvernichtungssturmes über den Häuptern sorgloser
Menschen.' [RR, 498]. Das ist der erste der kassandrischen
Mahnrufe, die sich später durch sein ganzes Werk
ziehen.
Die tragische
Weltsicht steigert sich in den Leipziger Dichtungen zur
Untergangsschau" (Schröder, 107, vgl. später 397f). Neben
der vierten Fassung von "Desiderata" sind das vor allem die mehr
als achthundert Verse von "Karthagos Fall" (1891 - RR, 193-213).
Die Schreckensbilder des Kriegs, die er darin malt, sind dabei
nicht solche der Vergangenheit, sagt Klages im Prolog, sondern
damit sollen Gefahren einer "nahen Zukunft" gezeigt werden, "welche
die gegenwärtige Menschheit bedrohen, die mehr denn je von der
Triebfeder der Herrschsucht, des Grössenwahns und der Geldgier
beherrscht wird. 'Die Gestalten sind unter uns' heisst es; und der
verzweifelte Wunsch schliesst sich an: 'Dass wir sie wirken sehn,
das mög', bei allen Göttern, nie geschehn!"
(Schröder, 109 - RR, 195).
Zerrissenheit
Während eines
Zwischensemesters in der Heimatstadt Hannover begann eine Zeit der
Unrast: "Systeme stiegen auf gleich Kartenhäusern und brachen
wie diese wieder zusammen" (Schröder, 115, ähnl, 450).
Diese Zerrissenheit und Sehnsucht - "Das Ich steht dem All
gegenüber" (Schröder, 142 - vgl. RR (1890) 59, (1891)
191, (1903) 423, (1911) 352, (1912) 356) - setzte sich auch nach
der Übersiedlung nach München, 1893, fort, wo er zuerst
Stefan George, den Psychiater Georg Meyer und den Lyriker und
Bildhauer Hans Hinrich Busse, dann Alfred Schuler und später
Karl Wolfskehl kennenlernte.
Während George
Klages als Dichter bewunderte, blieb Klages von Georges poetischen
Leistungen unbeeindruckt, dagegen schätzte er George als einen
lebenserfahrenen, klug beratenden Freund.
Ab 1895/96 begann er
sich mit Fragen der Wissenschaft auseinanderzusetzen
(Schröder, 146-148), wandte sich aber gleichzeitig immer mehr
der Psychologie (Theodor Lipps) und Philosophie zu: "Was ist das
Geheimnis des Schaffenden, worauf beruht die Eigenart des
schöpferischen, des bildnerischen Menschen? Das war
für ihn jetzt die Kernfrage der Seelenkunde und der Anstoss
zur Beschäftigung mit ihr" (Schröder, 150).
Da unterdessen
feststand, dass er nie als Chemiker sein Brot verdienen könnte
und wollte, schloss er sich Meyers und Busses Bemühungen um
die Graphologie an, die ihm nicht nur ein Einkommen als
Gutachter und bald auch als Referent verschaffte, sondern auch sich
zum Aufbau und zur Fundierung einer Charakterkunde
(Schröder, 167ff) abseits der von Klages gar nicht
geschätzten Wundtschen Psychologie anbot.
Herkunft und
Zukunft
Alfred Schuler
brachte Klages nicht nur zum "Glauben an die Wirklichkeit der
mythischen Mächte" (Schröder, 190 - RR, 18), sondern auch
zur "Zukehr zu einer damals völlig neuartigen Bewertung des
Blutes als der Substanz, die über das Gepräge des
Seelenlebens entscheidet" (Schröder, 219).
Mit Wolfskehl, dem
dritten Geistesverwandten, bildeten Schuler und Klages die
"Kosmische Runde", deren Gespräche und vor allem Lektüre
von J. J. Bachofens Schriften für das Werk von Klages von
grösster Bedeutung sind(vgl. KE, 1922, 180f; W, 909). "Es ist
längst vergessen, dass diese drei Männer die Kosmiker
genannt wurden, weil sie das All-Leben über das Einzelleben
stellten, dieses als von jenem abhängig erkannten und in
kosmischen Relationen das Vorbild auch für die symbiotischen
Verbände unter Menschen sahen" (Schröder,
223).
Die
Bachofenlektüre vertiefte nicht nur Klages Verständnis
für Schulers Visionen und Denkweise, sondern öffnete ihm
"die Pforten ... zu den Symbolen und Mysterien des Altertums" und
die Augen für "seherische Grössen aus dem
vorsokratischen Schrifttum der Griechen - Nietzsche,
den Bringer der Philosophie des Orgiastischen - ... die von
schwärmenden Ahnungen flackernd erhellte Spätzeit jenes
kurzen Traumerwachens der germanischen Seele, das man
missverstehend Romantik nennt" (RR, 17, 18 - zit.
Schröder, 237, 238).
Schröder bringt
nach Auszügen von Bachofens Schriften (Schröder, 226-236)
eine schöne, mit Zitaten angereicherte Schilderung dessen, was
Klages fortan bewegte: das Thema Herkunft und Zukunft
(Schröder, 238-242, auch 286-292), das den schicksalshaften
Gegensatz von Heidentum und Stifterreligion, Dionysos-Jahwe genauer
fasst. "So wenig Klages ... eine Wiederbelebung des alten
Heidentums für möglich hielt, so lebhaft erstrebte er die
Sammlung und Bewahrung heidnischer Lebensreste in der heutigen
Menschheit als ein Gegengewicht gegen die Faszination durch den
Zukunftsglauben der Fortschrittsgesinnung" Schröder,
242).
Eine innige Liebe
vom Sommer 1899 bis Anfang 1903 (Schröder, 268-292, 299-323)
zur Gräfin Franziska zu Reventlow stürzte ihn in ebenso
tiefe wie quälende Leidenschaft; in ihr, der "heidnischen
Heiligen" (zit. Schröder, 282), suchte er die Elementarseele.
Alte Erinnerungen an die Jugend, durch Jahre "fruchtlosen Ringens"
(zit. Schröder, 120ff - RR, 10ff) und der Düsterkeit
überschattet, brachen wieder auf, bringen aber nicht
Befreiung, sondern Wehmut und Trauer (z. B. Schröder, 283-291,
311-316).
Teil 3: Um 1900
festigte Klages seine Weltanschauung
1902-1903: erste
Darstellungen der Weltanschauung
Erst 1903 - nachdem
bereits 1899 neues Ufer in Sicht schien (Schröder, 365f, vgl.
auch 323) - nahmen die "unglaublichen Lebensverwirrungen" (zit.
Schröder, 308f) ein Ende: Die Sammlung auf "das Werk"
konnte einsetzen; wobei der Forderung dieses Werks alle
Freundschaften zum Opfer fielen.
Noch aber strebte
dies nicht auf die wissenschaftliche Form hin. "Noch glaubte
Klages, mantisches Wissen in ein Seherwerk bannen zu können,
das ganz im Bereich des symbolischen Denkens beheimatet sein
sollte" (Schröder, 327, ähnl. 398).Gemeint ist das
Fragment "Hestia. Entwurf der Metaphysik des Heidentums" (vgl. RR,
373-413), das nach Klages' eigenen Worten "Bruchstücke der
Weltanschauung des Verfassers" zur Darstellung bringt.
Abgesehen von
einigen wenigen Zeitschriftenartikeln war der andere Versuch von
Klages, seine Weltanschauung zur Darstellung zu bringen, das
Buch über Stefan George (1902). Seine Gedanken seien vom
Impuls geleitet gewesen, schreibt er in der Vorbemerkung, "die im
bildnerischen Einzelwesen wirksamen allgemeinen Grundkräfte zu
erfassen, durch die es zwar zum Tropfen grosser Geistesströme
vermindert, aber auch erhöht wird zum Körper des Alls."
Schröder meint hiezu: "Die Auffassung, der bildnerische und
zumal der dichterische Mensch sei Stimme und Vollstrecker
ausserpersönlicher Mächte, zählt zu den
Grundanschauungen von Klages ... Sie am Beispiel Georges zu
demonstrieren, hat Klages später als Versuch am untauglichen
Objekt empfunden" (Schröder, 329).
Dies "später"
bezieht sich auf die aufschlussreiche Anmerkung in "Zur
Ausdruckslehre und Charakterkunde" (1927), wo Klages schreibt, er
habe nicht eine Erklärung der Verse Georges angestrebt,
sondern sie benutzt, "um an einem vermeinten Anwendungsbeispiel in
teilweise andeutender und symbolischer Sprache zum erstenmal die
Grundlinien der eigenen Weltanschauung zu zeichnen. So hat sich das
Wunderliche begeben, dass weltanschaulich darin ich glaube sagen zu
dürfen nicht eine einzige Zeile steht, die ich nicht heute
noch unterschriebe, während die Anwendung auf Georgesche
Verse nicht nur da und dort, sondern grundsätzlich fehlgreift"
(ZA, 380; vgl. Bibl., 1969, 390).
Die Weltanschauung
als Grundlage der Charakterkunde und
Ausdruckswissenschaft
Das heisst nun auch,
dass in diesen Jahren das weltanschauliche Gerüst für
Klages fortan unveränderlich vorlag und einzig noch einer
Vervollständigung und Differenzierung unterlag. Deshalb
erstaunen Schröders Behauptungen: "Keine Brücke
führt von diesem Vorläufer zu seinen späteren
grossen Veröffentlichungen" (Schröder, 331), und der
weltanschauliche Gegensatz George-Klages sei
unüberbrückbar gewesen (Schröder, 368ff).
Demgegenüber
befindet H. Kasdorff (1969b, 169): "Im Zusammenhang des Ganzen, wie
es sich nach 1910 [d. h. nach dem Erscheinen "der beiden ersten
wissenschaftlichen Bücher über Graphologie und
Charakterologie"] allgemein sichtbar entwickelt, scheinen mir schon
die Anfänge einer näheren Betrachtung wert", und
revidiert die Auffassung von Schröder (150, 167), dass das
"Geheimnis des Schaffenden" und die "Graphologie ... als eine
Hilfswissenschaft" Klages zur Seelen- und Charakterkunde
geführt hätten: "Wenn man die damals nicht gedruckten
Texte der RR nicht kennen würde, könnte ein
flüchtiger Blick auf das Veröffentlichte den Gedanken
nahelegen, die Charakterkunde von Klages sei aus zwei Wurzeln
entstanden, aus der Beschäftigung mit der Seele des
Künstlers und aus der Befassung mit der Graphologie. Aber
dieser Eindruck täuscht. Alle diese drei werden aus
einer gemeinsamen Wurzel gespeist, die damals als solche nur zu
ahnen war ... Sein Suchen nach Art und Sinn des tellurischen und
siderischen Weltlebens ist es, was von Anfang an das Problem der
rätselvollen Spannung in der menschlichen Persönlichkeit
umgreift" (H. Kasdorff, 1969b, 171).
Kasdorff belegt in
diesem Aufsatz wie auch in seiner Bibliographie (Bibl., 290ff),
dass Klages' Einsicht in den Zwiespalt von Geist und Seele "von
allem Anfang an im Denken des jungen Klages angelegt war, dass sie
in allgemeinen Sätzen lange vor der Jahrhundertwende
ausgesprochen ist und dass einige Grundzüge des späteren
Systems in den Gedichten und in den grüblerischen
Niederschriften der Jahre nach 1891, also z. T. von dem
Achtzehnjährigen bereits angedeutet sind! ... Es lässt
sich also sagen: nicht nur was Klages bei seiner
Bachofenlektüre bestätigt fand, nämlich Rang und
Tiefe des Wahrheitsgehalts eines symbolischen Denkens, sondern auch
seine bewusstseinswissenschaftlichen Untersuchungen gehen von
Problemen aus, die bereits der Achtzehn- und Zwanzigjährige
für sich formuliert und deren Lösung sich, wie allgemein
auch immer, schon andeutet. Auf diesem tiefen Grund erwächst
auch die Charakterkunde und Ausdruckswissenschaft" (1969b, 172f;
ähnl. nochmals 180ff, 188ff).
Das richtet sich
also sowohl gegen Schröder (150, 167, 169, wie aber auch etwa
328, 331) als auch gegen K. J. Groffmann (Einleitung zu SW VII,
1968, XXXIV): Klages charakterologisches System hätte also
auch ohne graphologische Forschungen entstehen können, "zumal
die Wurzeln dazu nirgendwo anders als in seinem früh
einsetzenden Ringen mit allgemeinen philosophischen Fragen liegen"
(H. Kasdorff, 1969b, 173).
Das heisst auch,
dass die seit 1911 (G. Schneidemühl, Bibl. Nr. 220; G.
Rosenstein, 1912, Nr. 227, F. Krueger, 1926, Nr. 352)
vielverfochtene Behauptung nicht verfängt, man könne
Klages' Charakter- und Ausdruckslehren ohne den
metaphysischen Hintergrund betrachten, diese seien vielmehr davon
unabhängig.
Geist gegen
Leben
Dies alles
bestätigt Klages selbst.
Obzwar er mehrfach
seine grösste und, möge er auch in manchem andern geirrt
haben, einzige bleibende Entdeckung, nämlich des Gegensatzes
von Geist und Leben und demzufolge des Bewusstseins als einer
Lebensstörung, auf die Jahrhundertwende, also in sein 28.
Lebensjahr, datiert ("Vorwort für die Zeitgenossen" zum W,
VII; G, 38; ebenfalls bei Schröder, 450f, 546f),
präzisiert er doch (W, 919) die Erlebnisniederschläge,
auf denen sein ganzes Forschen beruhe, stammten aus den
Jahren 1889-1892 und seien in seinem Nachlass niedergelegt. Sie
machen fast 250 Seiten, also fast die Hälfte dieses Nachlasses
aus. Er erschien noch zu Lebzeiten, 1944, unter dem Titel "Rhythmen
und Runen".
Zu diesem Lehrsatz -
"Geist und Leben seien zwei völlig ursprüngliche und
wesensgegensätzliche Mächte, weder aufeinander, noch auf
ein Drittes zurückführbar" - verhielten sich alle
sonstigen Neubefunde wie die Folgerungen aus ihm.
Dem Leben einen
Tempel zu errichten
Dies das eine. Das
andere: "Der sogleich wiederholt unternommene Versuch, den
tausendfältigen Ertrag des Gedankens zu einem Werke zu
ballen, scheiterte an innerer wie auch an äusserer
Schicksalsungunst und wurde 1903 endgültig aufgegeben. Mein
1914-15 zusammengestellter Nachlass [eben "Rhythmen und Runen"]
überliefert späteren Geschlechtern wenigstens einige
prachtvolle Bauglieder eines Tempels [vgl. RR, 15, 20], den
von neuem zu planen ich nicht mehr wagen könnte. Seit jenem
Verzicht war es mir gewiss, dass ich den schier endlosen Umweg
mühsamen Forschens einschlagen müsse, um den
vergletscherten Gipfel zu erreichen, den ich in steilem Aufstieg
nicht zu erklimmen vermochte" (W, VII, 1929 ).
Im Vorwort zu
"Rhythmen und Runen" betont Klages nochmals, "dass die
Kristallisationszentralen ausnahmslos aller späteren
Forschungsergebnisse unabänderlich vorliegen seit 1900" (RR,
9). Er dehnt diesen Zeitraum allerdings in einer Fussnote (RR, 351)
bis 1907 oder 1910 aus (ähnl. RR, 482).
So ergab es sich
also, dass in den folgenden 50 (!) Jahren statt dem einen Werk fast
200 Vorträge und Publikationen (worunter zwei Dutzend
Bücher) entstanden. Sie alle stehen unter dem Leitbild, "dem
Leben ein Monument zu errichten", mit welchem Klages 1915
(RR, 20) seine Bestimmung seit der Jahrhundertwende beschrieben
hat, und das Bezug nimmt auf die Verse aus dem Jahre 1899 unter dem
Motto "Monument" (RR, 236), die er denn auch dem Buch "Rhythmen und
Runen" vorangestellt hat.
Dasselbe Bild ist
auch in einem Brief meisterhaft geschildert, den Klages nach dem
Erscheinen des George-Buches im Dezember 1901 an Franziska zu
Reventlow schrieb: "Ein Buch von mir ist nun da, und ich weiss,
dass es, heute unverstanden, doch in die Zeiten hinausragen wird
wie die Säule oder Pforte eines Tempels. Aber ich fühle
zugleich, wie wenig doch von meinem glühendsten Leben darin
ist und dass ich noch Leuchttürme aufrichten könnte an
Gestaden, zu denen auch die Verwegensten nicht
vordrangen.
Allein nicht
Bücher sind es, obschon es äusserlich diese Gestalt hat.
Leben ist alles, was ich je schrieb, je schreiben werde, Blattgold
des Lebens! Ich fühle manchmal, wie sich meine Seele über
die Zeiten erweitert, wie verflossene Jahrhunderte in mir sind und
wie der innere Strom an die Tore der Zukunft pocht."
Betrachten wir nun
die Stufen etwas genauer, wie dieser "innere Strom" mit "massvoll
planender Bildnerkraft" (so in der autobiographischen Skizze "Der
Poet", 1904) den Lauf in die Wissenschaftlichkeit nahm.
Teil 4: Ab 1897:
Graphologie und Charakterkunde
Ab 1897:
Graphologie
Hat Klages in den
Jahren 1894-1904 in Georges "Blätter für die Kunst"
eigene Dichtungen und Aufsätze zur Wesensart des
Dichters und Künstlers, sowie in andern Zeitschriften Artikel
zu allgemeinen Fragen der Kunst und über einzelne
Dichter (Jordan, Goethe, George, F. Huch, Th. Lessing)
veröffentlicht, so seit 1897 in den Zeitschriften der von ihm
zusammen mit G. Meyer und H. H. Busse begründeten "Deutschen
graphologischen Gesellschaft" Buchbesprechungen und Abhandlungen
über graphologische und charakterologische
Themen.
Schon in diesem
ersten "wissenschaftlichen" Jahr findet sich die Unterscheidung der
"Tätigkeit aus Ehrgeiz" vom "Ehrgeiz des Schaffenden" - der
allein dem Werk gilt und aus der tiefen Liebe zum Leben die Kraft
zur Selbstaufopferung erfährt - sowie des "Tuisten" vom
"Egoisten".
Ein Jahr
später, 1898, machte Klages den ersten Versuch einer
wissenschaftlichen Gliederung des Charakters in Form und Inhalt und
arbeitete die "Graphologischen Methoden" aus, die er zwei Jahre
später fortsetzte, wozu er sich des "Rüstzeugs aus
Mills Logik" bedient, die besagt, das natürliche Ziel
jeder Wissenschaft sei die Erfassung der ursächlichen
Zusammenhänge auf dem Weg des induktiven oder deduktiven
Beweisverfahrens.
Nun gibt es aber
nach Klages "einen Fall unabänderlicher und, soweit wir es
übersehen können, unbedingter Folge, der nicht unter den
Begriff der Ursächlichkeit im oben erörterten Sinne
fällt: nämlich die gesetzmässige Aufeinanderfolge
von Vorgängen, von denen der eine seelische; der andere
körperlicher Natur ist ... Wir dürfen und müssen aus
dem Vorhandensein der ersteren auf die gleichzeitige Anwesenheit
der letzteren schliessen. Diese Art Bewegungen zu betrachten
heisst, ihren Sinn, ihre Bedeutung ermitteln ...
Der Gegenstand der
Graphologie ist die Ermittlung der Bedeutung derjenigen
Schreibbewegung, deren Ergebnisse als Abweichungen von den
vorschriftsmässigen Buchstabenformen sichtbar werden" (SW
VIII, 9f).
1898:
Wissenschaftstheorie
Es ist schade, dass
Klages diese Abhandlung nirgendwo mehr hat wiederabdrucken lassen,
befindet doch sogar Schröder: "Wieweit immer sie hinter den
späteren grundlegenden Werken ... zurückbleibt, so nimmt
sie doch eine Reihe wichtiger Grundgedanken aus ihnen vorweg" (SW
VIII, 740).
Geradezu als
wissenschaftliche Entdeckung müssen beispielsweise die
Sätze gelten: "Streng genommen gibt es nur Methoden des
Beweises, aber keine Methode der Entdeckung. In letzterer Hinsicht
hat jede Wissenschaft, je nach ihrem besonderen Gegenstande, ihr
eigentümliches Verfahren, und der wesentliche Teil davon ist
nicht gleich dem fertigen Wissen oder den Grundsätzen des
Beweises zu überliefern, sondern gehört der Begabung und
Geschicklichkeit des einzelnen Forschers an. Abgesehen von diesen
persönlichen Voraussetzungen bedarf es jedoch einer Reihe
äusserer Umstände, wenn jemandem die Möglichkeit
gegeben sein soll, eine Entdeckung zu machen" (SW VIII,
10).
Diese Aussagen von
1898 wirken über die wissenschaftstheoretische Unterscheidung
von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang (H. Reichenbach)
bis in den "Positivismusstreit" in der Soziologie der 60er Jahre
nach - ohne dass sich freilich irgend jemand dessen bewusst gewesen
wäre. Dasselbe gilt für die 1913 formulierte Erkenntnis:
"Man macht nicht Entdeckungen durch Beobachtung, sondern man
bestätigt Entdeckungen durch Beobachtung" (RR,
362).
Eine weitere
fundamentale Erkenntnis ist, dass das mächtigste Werkzeug des
Denkens die Namen sind. Da Beobachtung und Beschreibung der
Erklärung von Phänomenen vorausgehen müssen, bedarf
die Wissenschaft "der Erfindung einer der besonderen Zwecken
möglichst vollkommen dienenden Terminologie und Nomenklatur"
(SW VIII, 13).
Dieser Erfindung
tritt etwas Zweites zur Seite: Da die Namen ausnahmslos aller
Eigenschaften weit davon entfernt sind, genau umschränkte
Begriffe zu bezeichnen, muss man die "Entstehungsgeschichte dieser
Bezeichnungen" studieren. Diese erhellt uns, dass die meisten gar
nicht erfunden wurden" das wesentlich Gemeinsame der
Individualitäten festzuhalten, sondern zur Abmessung des
gesellschaftlichen Wertes derselben" (SW VIII, 15). Sie
tragen die Farben des Gefühlstons der allgemeinen Sym- und
Antipathien, genauer, des gesellschaftlichen "Nutzeffektes", der
"sozialen Brauchbarkeit" und haben demzufolge nicht Gleichheit oder
Ähnlichkeit der damit bezeichneten Charaktere zur
Voraussetzung.
"Jeder Wechsel in
den volkstümlichen Ansichten über das Menschenleben -
also etwa im religiösen Bewusstsein - weiss den Sinn dieser
Namen dadurch, dass er sie zum Subjekt neuer typischer
Redewendungen macht, alsbald der verwandelten Schätzung der
menschlichen Eigenschaften anzupassen" (SW VIII, 16). Dies ist also
Grund für die Schwierigkeit, "neutrale" Charakterbeschreibung
zu betreiben.
Graphologie ist
Bewegungsphysiognomik
Da nun das induktive
Beweisverfahren keine völlige Gewissheit über den
Charakter geben kann, ist als wichtige Ergänzung die deduktive
Ableitung herbeizuziehen. Dazu braucht es eine Theorie. Für
Klages ist das die als Ergänzung zu Lavaters Organphysiognomik
durch Darwin und Piderit verbreitete Funktions- oder
Bewegungsphysiognomik.
Also: "Mit der
Kritik der volkstümlichen Eigenschaftsbegriffe muss Hand in
Hand gehen die Ausbildung der Physiognomik. Die Graphologie aber
ist ein Teil der Physiognomik" (SW VIII, 24). Dann erst kann "der
systematische Aufbau einer Wissenschaft vom Charakter
beginnen".
Kann uns das
induktive Verfahren mit den beiden Methoden der
Übereinstimmungen und der Unterschiede (systematische Sammlung
und methodische Variierung der Experimente) nur über die
Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs Eigenschaft-Merkmal Auskunft
geben, so die graphologische Deduktion, sofern (empirisch
ermittelte) Stücke der Theorie ausgearbeitet sind, Gewissheit
darüber, dass das individuelle Gepräge der Handschrift
einerseits von sehr allgemeinen (willkürlichen und
unwillkürlichen) Regelmässigkeiten oder
"Verhaltungsgewohnheiten", anderseits vom "persönlichen
Gebärdespiel" abhängt.
Ab 1897:
Charaktertypen: Züge der Menschennatur
Eine erste
Grundunterscheidung von Charakteren führt Klagen
bereits jetzt ein: die mehr "produktiven" (auf Umgestalten der
Vorstellungen) und die mehr "rezeptiven" (auf Hingabe an dieselben
gerichteten) Naturen. Dass der Unterschied spezifisch
männlicher und spezifisch weiblicher Charaktere "von
Interessen der Gesellschaft" bestimmt wird, sieht er bereits als
belegt an, indem er auf die moderne Frauenbewegung hinweist, welche
erst die Diskussion in Gang gebracht hat, "ob parallel den
physiologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau auch solche
der Sinnesarten beständen" (SW VIII, 16).
Ein Jahr zuvor hat
Klages übrigens in seinem ersten charakterologischen
Aufsätzchen den Grundgegensatz von "tuistischen" und
"egoistischen" Charakteren herausgearbeitet (später, z. B. im
"Kosmogonischen Eros" nennt er das die Scheidung sympathetischer
von idiopathischen Naturen).
Hinter diesem
Gegensatz, der naturgemäss nur Züge der
Menschennatur typisiert, und auf den griechischen Hedoniker
Annizeris zurückgeht, steckt kein anderer als der später
zur Berühmtheit gelangte von extravertiert und introvertiert
(das bestreitet Schröder, 570).
Egoistisch nennen
wir ... Charaktere, die zu ihren höchsten
Glücksgefühlen nur in der Abgeschlossenheit von andern
Menschen gelangen können, tuistische solche, deren
Befriedigungen erhöht werden durch das Bewusstsein von der
Gegenwart mitempfindender Seelen ... In den Gefühlen des
Tuisten [tritt] mehr die Beziehung von Person zu Person, in denen
des Egoisten mehr sein Verhältnis zum Allgemeinleben hervor"
(ZA, 8; = SW IV, 4). Der Tuist will geliebt sein oder herrschen;
"das typische Weib ist immer Tuist". Dagegen ist die Formel des
Egoisten nicht der "Wille zur Macht", sondern das noli
turbare des Archimedes. Er ist, wie Aristoteles, ein vom reinen
Erkenntnistrieb gepeinigter Forscher.
1900: Die
Graphologie kennt keine festen Zeichen
Die detaillierten
Ausführungen der "Graphologischen Methoden" über die
Möglichkeiten der induktiven und deduktiven Beweisverfahren
für die Bestimmung weniger von Seelen- oder
"Gemütsanlagen" und "Elementartatsachen der Seele", sondern
von Gemütszuständen oder -beschaffenheiten, also von
Eigenschaften, Charakterzügen, aufgrund der Deutung von
Merkmalen der Schrift haben Klagen schon nach zwei Jahren nicht
mehr befriedigt, weshalb er eine ergänzende Erweiterung "Zur
Methode in der Graphologie" (1900) anfertigte, wo er
hauptsächlich gegen die Annahme fester "Zeichen" ins Feld zog:
Jedes allgemeine Merkmale muss nach dem "handschriftlichen
Gesamtbilde" oder aus dem "gegebenen Merkmalszusammenhang" (SW
VIII, 55, 56) je besonders gedeutet werden.
Bemerkenswert ist
ferner die Einteilung der Schriftmerkmale nach folgendem Prinzip:
"Eine Handschrift besteht aus selbständigen und durch
Nachahmung entstandenen Zügen. Beide können erstmalig
sowohl mit als ohne Absicht erworben sein. Jede Handschrift
enthält Züge von jeder Gattung" (SW VIII, 50). Deshalb
ist die Lehre der signes fixes (Michon) unhaltbar.
In der ebenfalls
1900 verfassten ausführlichen Kritik an "Busses
Handschriften-Deutungskunde" finden wir erneut die Ablehnung der
Zeichenlehre wie der Resultantentheorie (Crépieux-Jamin) und
die Hinweise: Vor den speziellen Deutungsversuchen
"wäre zu zeigen, dass und in welchem Masse die Formanalyse
zugleich Bewegungsanalyse ist und dass die herausgehobenen
Gestaltabweichungen Sonderbekundungen sind allgemeiner
Bewegungseigenschaften der schreibenden Hand. Es wären die
beiden Haupterklärungssätze darzulegen: dass die
betreffende Bewegungseigenschaft entweder als Teilfunktion des
unwillkürlichen Körperausdrucks für ein Seelisches
oder umgekehrt aus gewissen sehr allgemeinen Gefühlswirkungen
der erzeugten Liniengestalt interpretierbar ist" (SW VIII,
62).
Des weiteren sei es
ein grundsätzlicher Irrtum, die Übereinstimmungen der
Schrift mit der Schulvorlage zu den deutbaren
Handschrifteneigenschaften zu zählen: "Nicht die
Übereinstimmung hat psychischen Symptomwert, sondern die
Geringfügigkeit der Abweichung" (SW VIII, 64).
Desgleichen
bemängelt Klagen das Fehlen der beiden für die gesamte
Zeichenbeschreibung unerlässlichen Grundbegriffe:
Schwankungsspielraum und Periodizität (von Strichbreite und
Richtungen).
Interessant ist ein
Satz, in dem Klagen die Scheidung von Gefühls- und
Willensleben als gar nicht wesentlich erachtet (SW VIII,
68).
In der Besprechung
von "Meyers Grundlagen der Graphologie" vom nächsten Jahr
fällt der Satz: "Die Handschrift ist Gehirnschrift" (SW VIII,
85), welche Erkenntnis bereits in den "Graphologischen Methoden"
(SW VIII, 17) vorbereitet Ist. (Pophal schrieb 50 Jahre später
ein Buch unter diesem Titel.)
Dann formuliert
Klages das "Meyersche Gesetz: Ausgiebigkeit, Geschwindigkeit und
Nachdruck [der Schreibbewegung] ändern sich unter sonst
gleichen Umständen im gleichen Sinne wie die Intensität
der psychomotorischen Kraft" (SW VIII, 86). Das bildet eine
Vorwegnahme der "prinzipiellen Beglaubigung" des "Grundgesetzes des
Bewegungsausdrucks" (siehe später) und geht ebenfalls
zurück auf die beiden methodologischen
Abhandlungen.
1901: Antrieb und
Hemmung
Von grösserer
Bedeutung ist jedoch das daran anknüpfende, hier erstmals von
Klages entwickelte psychologische Gesetz: "Die Stärke
bewegungsphysiognomischer Auswirkung ist stets das Ergebnis des
Zusammentreffens zweier Elemente: der Grösse des Antriebs und
der entgegengesetzt gerichteten Grösse der Hemmung. Es gibt
Fälle, wo mit dem Antrieb auch die Hemmung zunimmt; dann
wächst die Spannung und die Auswirkung erfolgt unter
beständiger Hemmungsüberwindung ... In anderen
Fällen jedoch sehen wir bei wachsendem Impuls die Hemmung sich
mindern: dann kommt die Auswirkung mühelos zustande und ihre
Heftigkeit ist nicht sowohl für die Stärke des Antriebs
als vielmehr für Schwäche der Hemmung ein Zeichen" (SW
VIII, 87; ähnl. 98, 102).
Daraus ergibt sich
einerseits die seit den "Prinzipien der Charakterologie" (1910)
bekannt gewordene Formel:
R =
T/W, also: "Entstehung des strebenden
'Reagierens' (R) beruht auf der Stauung der Kraft der
Zielvorstellung, die wir die Triebkraft nennen (T), an dem die
Hemmvorstellung tragenden Widerstande (W)" (PCh, 53; = SW IV,
151).
Derselbe Sachverhalt
findet sich auch in "Handschrift und Charakter" (1949, 34; SW VII,
326ff), wenngleich ohne Formel, beschrieben. Anderseits führt
dieses Widerspiel von Antrieb und Hemmung zur "Doppeldeutigkeit der
Ausdrucksmerkmale".
Neben den
Bezeichnungen "Reagibilität", "psychischer Triebkraft" "als
Triebfeder wirkende Geneigtheit" und "Theorie vom optischen
Leitbilde" findet sich auch bereits "gestaut" und "Hemmtriebfeder"
(als welche später der Wille gefasst wird): In den
Charakterzügen der Zurückhaltung, Bestimmtheit,
Selbstbeherrschung, Ausdauer, usw. "ist das Dauermotiv des
Selbstschutzes (bzw. das Bewusstsein der Gefährdetheit) als
Spannung erzeugende Hemmtriebfeder vorhanden" (SW VIII, 90).
Ungewöhnlich entwickelte Hemmtriebfedern lassen ferner eine
unmittelbare Impulsverwirklichung selten oder nie mehr zu (SW VIII,
91).
Die "Theorie des
Schreibdrucks" hatte Klages bereits in einem Vortrag im Herbst 1900
(vgl. SW VIII, 89 u. 754) ausgearbeitet; sie kam aber erst 1902/3
in den "Graphologischen Monatsheften" zum Abdruck. Hier entwickelte
er erstmals das Gesetz des Seelenausdrucks (siehe später) und
die Unterteilung der Charaktereigenschaften in strukturelle und
qualitative (artliche):
"Jede Qualität
hat zugleich die Bedeutung einer spezifischen Triebfeder. Andre
Bestimmungen dagegen betreffen die strukturelle Beschaffenheit des
Individuums, ohne den besonderen Inhalt seines Erlebens zu
berühren. Sie sagen etwas aus über den Grad seiner
Erregbarkeit, seiner Bereitschaft zum Wollen, seiner Fähigkeit
zur Äusserung, betreffen aber in keiner Weise die Ziele des
Strebens" (SW VIII, 101f; ZA, 73).
Hier haben wir
bereits den Kern der Lehre vom Gefüge (Struktur) des
Charakters vor uns (siehe später). Freilich decken sich
bereits hier die Bestimmungen des "Egoismus" nicht mehr mit den
charakterologischen Beschreibungen aus dem Jahre 1897, treffen sie
doch vorwiegend auf den "Tuismus" zu (vgl. Schröder,
568ff).
Es schliesst an der
erste Satz der Willenslehre: "Die Anspannung des Wollens kann ...
nur wachsen mit der Grösse der Hindernisse" (SW VIII, 102; ZA,
74). Im "Nachtrag" zu diesem Aufsatz von 1903 wird dann die
Triebfeder definiert als "bleibende Ursache des inneren Antriebs,
dessen Anlass in den motivierenden Vorstellungen beschlossen liegt"
(SW VIII, 122; ZA, 96). Unmittelbar damit in Zusammenhang taucht
der Begriff des "Ichs" auf "als des nach allgemein bestimmbaren
Gesetzen die Bewusstseinsvorgänge organisierenden
Zentralpunktes".
Charakterkunde ist
das Fundament der Ausdruckswissenschaft, Graphologie ihre
Praxis
Zur "Theorie des
Schreibdrucks" schreibt Schröder (SW VIII, 745): "Der Aufsatz
ist nicht nur für den Graphologen, er ist auch
charakterologisch ergiebig. Einzelne Gegenüberstellungen der
Übersichtstafel [SW VIII, 112-115] können geradezu als
Vorläufer zu den entsprechenden Entgegensetzungen auf Tafel I
'System der Triebfedern' in den 'Grundlagen der Charakterkunde'
[1926, zuhinterst; SW IV, 410-411] angesehen werden - ein
Fingerzeig, wie stark graphologische und charakterkundliche
Forschungen bei Klages Hand in Hand gingen und charakterkundliche
Befunde zuweilen aus graphologischen Deduktionen hervorgegangen
sind."
Klages selber
bezeichnet im einführenden Vorwort zu den "Problemen der
Graphologie" (1910) diese Schrift als den "in unserem Sinne bisher
einzigen Versuch einer Fundamentierung der Wissenschaft vom
Ausdruck überhaupt, als dessen zurzeit für die
Forschung freilich wichtigste Zone wir die Tätigkeit des
Schreibens erachten" (SW VII, 3).
Im Vorwort zur
ersten Auflage von "Handschrift und Charakter" (1917)
präzisiert Klages: "Zur Lehre vom Ausdruck verhält
sich die graphologische Technik ähnlich wie etwa zur
theoretischen Chemie die analytische. Jene bietet letzte
Gründe, Tatbestände und Begriffe, diese zeigt wie man sie
verwerte zum Zweck der Auflösung eines individuellen Ganzen in
seine Elemente. Wie jedermann weiss, pflegt die Praxis
zunächst der Theorie voranzulaufen …" (SW VII,
288).
Bei der in seinem
letzten Lebensjahr erschienenen 24. Auflage von "Handschrift und
Charakter" fügte Klages zuhinterst eine Besprechung der
"Quellen" an und schrieb über die "Prinzipien der
Charakterologie" (1910) resp. "Die Grundlagen der Charakterkunde"
(1926): "Das Buch war nicht nur die erste, sondern ist auch die
bisher einzige wissenschaftliche Grundlegung einer systematischen
und vollständigen Charakterkunde, will sagen, einer
solchen, die allen überhaupt denkbaren Spielarten menschlicher
Charaktere zu genügen weiss, und bildet insofern das Fundament
der ganzen Ausdruckswissenschaft" (SW VII, 537).
Ab 1903: Eigenart
der Formen = Formniveau
Die Prägung des
Begriffs "Formniveau" erfolgte Ende 1905, wie Schröder
nachweist (SW VIII, 718), die "Entwicklung" des Begriffs aber erst
1913 ( SW VI, 701).
Dennoch ist
bemerkenswert, dass bereits 1898 bei Klages von
"uneigenartigen Handschriften" (SW VIII, 4) die Rede ist. Er
zielt hier auf die Berufshandschriften der Abschreiber und
Kanzlisten und stellt diese in den Rahmen der Schriften von Leuten,
deren "unbeschäftigte Aufmerksamkeit ... sich naturgemäss
auf die Schreibtätigkeit [richtet], wodurch die individuelle
Bewegungsunwillkürlichkeit vermindert wird" (SW VIII,
5).
Eine Erweiterung
bietet das Kapitel "Vom Einfluss allgemeiner Gewohnheiten" der
Graphologischen Methoden" (1898), wo nebst der mehr
willkürlichen Ausbildung von "schönen" Schriften die
unwillkürliche Nachahmung in der Ausbildung von
Berufshandschriften als Standeshandschriften (Kaufleute, Beamte)
nachgewiesen wird.
1900 fällt die
Bemerkung von "der in jedem Falle eigenartigen Gesamtbewegung" (SW
VIII, 66) und in einem "Anhang" von 1903 diejenige von der
"Eigenart der Formen, die ... für die relative
Bildungshöhe und den Ursprünglichkeitsgrad des
Charakters kennzeichnend ist" (SW VIII, 126). Diese Eigenart
bemisst sich gerade nicht am "wohl proportionierten Formalismus"
von Schriftzügen, nicht an deren "Schönheit" oder
Glätte und Anmut oder "Harmonie", weil das eine
Vernachlässigung des unwillkürlichen Gebärdenlebens
bedeutete. Die Eigenart, in deren Beurteilung durchaus ein
"Gefühlsmoment" wirksam ist, ist das Gegenteil von
Schablonisierung der lebendigen Formen (SW VII, 125).
Wenig Eigenart
beweisen z. B. "unoriginelle", "triviale", kalligraphische und nahe
bei der Schulvorlage liegende Buchstaben, ferner eine "mehr als
gewöhnliche Regelmässigkeit". Bei Künstlichkeit
einer Schrift, die "aus heftigem Schönheitsverlangen"
entspringt, "werden wir nach Zeichen der Ursprünglichkeit und
erfinderischen Auswahl nicht vergebens suchen" (SW VIII, 126f),
jedoch wenn sie dem ganz äusserlichen Bedürfnis
entspringt, "stilvoll" und "apart" zu erscheinen. Letzterem
unterliegen sehr beeinflussbare Charaktere, welche die Mode einer
Zeitströmung nachzuahmen bestrebt sind.
Als Beispiel einer
solchen karikiert Klages anschliessend die Anhänger Georges,
die Symbolisten (SW VIII, 128; vgl. auch Schröder, 367).
"Diese Maskerade nun erstreckt sich bis in die Handschriften. Man
muss schon einige Routine erlangt haben, um wenigstens anfangs
nicht verführt zu werden von gewissen Merkmalen, die, wo sie
ursprungsecht, Intimität und Vornehmheit erwiesen. Oft erst
dem eingehenden Zergliedern enthüllen Unsicherheiten und
Inkonsequenzen oder auch 'schnörkelhafte Hinzufügungen'
die mehr oder minder gelungene Mache" (SW VIII, 128). Solch
"schöngeistiges Scheinenwollen" enthüllt, was sich als
"ästhetisch massvolle" Beschränkung gibt, als aus
"innerer Vorsicht des Beifallbeflissenen" und mangelndem
Selbstvertrauen rührende Anpassung an den
"Zeitgeist".
Im "Fall Wagner"
(1904), auf den Klages 1910 zurückverweist ("Probleme der
Graphologie", SW VII, 159, 270) setzt er den Begriff Formniveau zu
dem der Ästhetik in Beziehung: "Will man dies innere Leben am
Kunstwerk die Form nennen, so ist Form der geistigen
Anstrengung unerreichbar und ein 'Stil' trägt den Zauber der
Form genau in dem Masse, als der Rhythmus in ihm sein Gesetz
bemeistert." Das hat auch diagnostische Konsequenzen: "Dergestalt
wird auch eine Handschrift uns mehr oder minder reich, lebendig und
im tieferen Sinne sympathisch erscheinen, und wir werden bei
einigem Gefühl dafür unschwer die schöne und
starke von der schwächlichen oder giftigen Seele unterscheiden
lernen. Aber wie jede Vollendung, so weist auch diese nicht
über sich selbst hinaus, und es wäre eine arge
Fehlfolgerung, aus der Fülle des Lebens auf Fülle
des Geistes zu schliessen" (SW VII, 271f; SW VIII, 575f; ZA 121,
123).
Bei der Betrachtung
von Wagners Handschrift fallen die Formeln "rhythmische Verteilung"
und "harmonische Gesamtgestalt", Eigenschaften, deren die
Handschrift Wagners nach den Vierzigerjahren ermangelt; ja trotz
aller Gewandheit und Behendigkeit fehlt die "tiefere Eigenart",
wovon "die Ursache in einem ebenso starken Eigenartsmangel der
Persönlichkeit zu finden" ist.
Die Grundbestimmung
folgt: "Das 'Eigenartige' ist eine besondere Form des 'Elementaren'
und wird wie dieses mehr erlebt als begriffen. Nicht streng
beweisen lässt sich, dass es da sei oder nicht; wohl aber
erfolgreich hinweisen wird man auf diejenigen Imponderabilien des
sinnlich Erscheinenden, die das Gefühl davon vorzüglich
anregen oder ausschliessen müssen. Man nenne sie allgemein
etwa: Fülle, Schwere und Tiefe" (SW VIII, 580-584; ZA
124-126).
In den "Problemen
der Graphologie" (1910) schliesslich gilt ein ganzes Kapitel dem
"Formniveau" (SW VII, 157-165), also der "in Begriffe nicht
auflösbaren Gesamtqualität" der Schrift, welche den
"Gehalt an Leben" aufgrund der "spezifischen
Gefühlsempfindlichkeit des Betrachters", im Falle von Klages
in fünf Niveaus zu unterscheiden erlaubt.
Teil 5: Ab 1898:
Charakterkunde
1899: Wichtige
Befunde vorgezeichnet
1899 finden sich
charakterologische Befunde in den Aufsätzen "Zur
Menschenkunde" und "Bahnsens Charakterologie" (leicht
verändert wiederabgedruckt in ZA, 1927, 14-26 und 27-52; resp.
SW IV, 12-26 und 27-50) in solcher Prägnanz, dass H. Kasdorff
(1969b, 188f) vermutet, Klages' System von 1910 deute sich sogar in
Einzelheiten schon an: "Ob jemand über ein 800 Seiten starkes
Werk [d. i. von Bahnsen] in dieser Form berichten könnte, ohne
selbst die Grundlinien eines Systems vor Augen zu haben, muss man
bezweifeln."
Kasdorff belegt dies
ausführlich, indem er wichtige Forschungsgebiete von Klages
hier bereits vorgezeichnet findet, z. B.
- die Entstehung
unserer Neigungen zu anderen Menschen,
- der Einfluss der
Landschaft und des Klimas auf den Charakter,
- der Zusammenhang
der Triebfedern,
- das
wissenschaftliche Studium der unwillkürlichen und
gewohnheitsmässigen Bewegungen,
die alle zum Aufbau
eines Systems der Seelen-, Charakter- oder Menschenkunde
führen.
Ab 1898:
Charakterkunde und Sprache
Bereits 1898
konzentriert sich Klages in einem Aufsatz über "Form und
Inhalt des Charakters auf die Namen für
Charaktereigenschaften oder seelische Zustände, insbesondere
auf solche, die den sozialen Wert meinen und dem sittlichen Urteil
unterliegen.
Klages geht es in
der Charakterkunde wie in der Graphologie - ein Jahr zuvor bestimmt
"als eine der Bemühungen, die auf die Gewinnung eines
nüchternen, gleichsam unpoetischen Wissens vom Menschen
gerichtet sind" (SW VIII, 11) - um die Deutung eines Stoffes, "und
zwar in einer Sprache, die, soweit irgend nur möglich, der
Einmischung parteiischer Gefühle entrate. Sie will uns in
menschlichen Angelegenheiten zu ebenderselben Vorurteilslosigkeit
des Sehens verhelfen, auf die wir (ob mit Recht oder mit Unrecht)
stolz zu sein pflegen in den Naturwissenschaften" (SW IV, 12; ZA,
15).
Trefflich sind
beispielsweise die Anmerkungen zu dem, was wir heute
"Aggressivität" nennen: "Die Lust am Vergewaltigen und Wehetun
gehört, wenn nicht zum Wesen des Menschen überhaupt, so
doch bestimmt zum Wesen des geschichtlichen Menschen ...
Keine Religion hat je den Hang zur Grausamkeit im Menschen
verringert; denn das ist unmöglich. Die seelischen
Intensitäten können so wenig vermehrt oder vermindert
werden wie im Reiche der Körper die 'Energie'; wohl aber
vermag eine Religion oder wie immer sonst bedingte Gesinnungsart
den Entspannungen die Richtung zu weisen. Einunddieselbe
Leidenschaft kann in verschiedenen Zeitaltern von so sehr
verschiedenen Gegenständen angeregt werden und in so sehr
verschiedenen Formen sich darleben, dass sie ihr Aussehen
völlig verändert und gleichsam erst wiedererkannt werden
will wie das Antlitz unter der Maske" (SW IV, 14f; ZA,
18).
Dies ist nichts
weniger als eine Vorwegnahme von Sigmund Freuds Theorie der
"Sublimierung", was bestätigt wird durch den Satz aus der
Besprechung von "Bahnsens Charakterologie" (1899): "Scheitert z. B.
die angemessene Entspannung gewisser Triebe an inneren Hemmungen,
so werden sie in Gedankengängen, Vorstellungen, Phantasmen
wirksam und gewinnen dadurch eine Vertiefung der 'Innerlichkeit'
ihres Aussehens" (SW IV, 36; ZA, 37).
Hochinteressant auch
das weitere: Das Christentum hemmte die Entfaltung des Menschen
nach aussen und schuf damit abnorme innere Spannungen. "Die
offenbare Grausamkeit des Altertums verkleidete sich in die
Bussfestigkeit des Reuezerknirschten. Dort unverhehlte Lust an
Kampf und Mord, hier dieselbe Lust, aber larviert in die
selbstmörderische Wut der Flagellanten und Asketen. Und der
neuzeitliche Mensch ... steht nicht zurück; ja grade er
erfreut sich beider Äusserungsarten der Grausamkeit: begonnen
vom Wüten gegen die Gesamtnatur des Planeten
(Austilgung aller nicht verhäuslichten Tiergeschlechter)
über die Entrechtung, Versklavung und schliesslich Vertilgung
der 'Primitiven' bis zu den sublimsten Formen grausamer
Vivisektion der eigenen Seele" (SW IV, 15; ZA,
18f).
In der Besprechung
von "Bahnsens Charakterologie" (1899) wird erneut auf die Bedeutung
der Sprache hingewiesen, "weil unser Denken beständig am
Leitfaden und unter der Führung überlieferter Worte
geschieht" (SW IV, 30; ZA, 30).
Hier setzt nun
Klages Aufzählung von Redewendungen ein, was er bis zu seinem
Tod nicht mehr aufgab. Die ersten Beispiele sind: sich
zusammennehmen, in die Brust werfen, ausser sich sein, ausser
Fassung geraten (auch in "Zur Menschenkunde", SW IV, 16; ZA, 20),
auf etwas gespannt sein. "Man überlege sich, wieviel
Seelenkunde menschenalterlange Erfahrung in das Wort 'Eindruck'
schloss. Wir ständen ratlos vor unsern Erlebnissen und
wären nicht in der Lage, uns mitzuteilen, wenn nicht mit
solchen Namen die Sprache für uns dächte" (SW IV,
30; ZA, 31). Freilich führt die Sprache auch in die Irre,
nicht zuletzt bei Wörtern, in denen "Begriffe von der
gesellschaftlichen Nützlichkeit menschlichen Verhaltens
Gestalt gewonnen" haben. "Wir müssen also die Namen erst
prüfen, ehe wir sie verwenden" (SW IV, 32; ZA,
32).
E
Klages
übernimmt hier von Bahnsen die zutreffende Unterscheidung von
Artanlagen und Funktionsanlagen, welch letztere er auch
individuelle Formanlagen nennt.
"Prinzipien der
Charakterologie"
Die "Prinzipien der
Charakterologie", ebenfalls aus der "Graphologischen
Prinzipienlehre" (1904-8) hervorgegangen und zuerst als
integrierender Bestandteil der "Probleme der Graphologie"
vorgesehen, basieren noch ausgeprägter als diese auf dem
"nicht mehr umdenkbaren Urdualismus" von Leben (Element,
Seele) und Geist (PCh, 1910, 10; GCh, 196914, 201). Sie
bilden nicht nur die Grundlage von Klages Erkenntnistheorie,
sondern entfalten auf dieser "Dualität der konstituierenden
Bestandteile" der Persönlichkeit die ganze "Metaphysik der
Persönlichkeitsunterschiede" und das "System der
Triebfedern".
Ebenso sind
"Materie, Struktur und Qualität des Charakters" (später
in andern Begriffen: Stoff, Gefüge und Artung) auseinander
gehalten.
In den "Grundlagen
der Charakterkunde" (1926, mit nur geringfügigen späteren
Änderungen) treten dann noch Tektonik, scheintypische
Beschaffenheiten und beständige Eigenschaften des Charakters
hinzu, ferner Kapitel über "Gedächtnis und
Erinnerungsvermögen" und "Vom Charakter der Hysterie";
letzteres als Aufnahme und Ergänzung des III. Kapitels der
"Probleme der Graphologie" (das seinerseits auf der
"Graphologischen Prinzipienlehre" von 1904 beruht).
Teil 6: Ab 1901:
Ausdruckskunde im Rahmen von Graphologie und
Charakterkunde
Ab 1901:
Ausdruckswissenschaft
Die
Beschäftigung mit Lavaters sog. Organphysiognomik hat Klages
zur Bewegungsphysiognomik oder Ausdruckswissenschaft gebracht,
deren früheste Ergebnisse sind:
- das Grundgesetz des
Bewegungsausdrucks,
- die Unterscheidung
von ausdrückenden und darstellenden Impulsen und
- die Erkenntnis,
dass der Darstellungsdrang im Erlebnis des Anschauungsraumes
wurzelt und einem persönlichem Leitbild folgt.
Der erste Aufsatz
zur Ausdruckswissenschaft datiert aus dem Jahre 1901 und
behandelt "Prinzipielles bei Lavater" (SW VI, 3-12). Darin findet
sich die Einsicht: Nur aufgrund physiognomischer Regeln von der
Zusammengehörigkeit der Merkmale kann jedes einzelne den Rang
eines Zeichens erlangen.
Im selben Jahr
finden sich in einer Buchbesprechung der Begriff "Hemmtriebfeder" -
nachdem er schon 1898 von der Hemmung und Störung der
Ausdrucksbewegungen gesprochen hatte - und der erste Hinweis auf C.
G. Carus (dessen Psyche" er 1925 mit einer längeren
Einführung neu herausgab).
Auf diesen insgesamt
etwa 125 Seiten der graphologischen Zeitschrift (plus die 20 Seiten
der "Theorie des Schreibdrucks") finden sich also vor dem
Erscheinen des George-Buches eine Fülle von Grundsätzen
und Erkenntnissen, die Klages' weiteres fachwissenschaftliches
Forschen so sehr bestimmen, dass sie keinesfalls
unberücksichtigt gelassen werden dürfen.
Eine akribische
Darstellung dürfte die kontinuierliche Entwicklung von
Klages' Lebenswerk in der Verschränkung von Weltanschauung,
Kunstauffassung, Graphologie, Ausdrucks- und Charakterkunde
sichtbar werden lassen. Zumal, wenn man bedenkt, dass der Nachlass
aus den Jahren 1899-1901 im Ganzen der "Rhythmen und Runen" weitere
340 engbedruckte Seiten ausmacht.
Dass diese
frühen Veröffentlichungen weit mehr als nur "Splitter und
Späne ohne selbständige Bedeutung" (Schröder, 328)
darstellen, geht übrigens wiederum aus Klages' eigenen Worten
hervor. Nicht nur enthalten die ersten 60 Seiten seines 1927
herausgegebenen Sammelbandes "Zur Ausdruckslehre und
Charakterkunde" fünf Aufsätze aus den "Graphologischen
Monatsheften" der Jahre 1897-1901 (plus die 20+14 Seiten der
1900/03 entstandenen "Theorie des Schreibdrucks"), sondern im
Vorwort schreibt der Verfasser selbst, diese wie die späteren
"sachlich wichtigsten Arbeiten" entsprächen auch jetzt noch,
also in seinem 55. Lebensjahr seiner Überzeugung und: "Wer die
hier aneinandergereihten Aufsätze auch nur mit einigem
Verständnis durcharbeitet, wird ... so viel wenigstens
erkennen, dass es eine nicht geringe Gruppe wissenschaftlicher
Einzelprobleme war, die Verfasser, gestützt auf einen
weitschichtigen Stoff, durchforschte, und er wird ... eine
Zielbestimmtheit und Geradlinigkeit bemerken, die in
Ansehung des zugrunde gelegten Zeitraums nichts zu wünschen
übrig lässt" (ZA, 4, vgl. auch 14).
Ähnlich
äussert er sich auch zwei Jahre später im "Vorwort
für die Zeitgenossen" des Widersachers: "... mit wie vielen
Kapiteln ich immer über alles bisher Veröffentlichte
hinauszugehen scheine, Andeutungen der Endresultate finden
sich da und dort in anderen Schriften von mir seit nahezu dreissig
Jahren" (W, XIII).
Für einen
akribischen Nachweis dieser Konsequenz in der Entwicklung ist hier
nicht der Platz. Wir werden auch den Fortgang nur
skizzieren.
1904 begann Klages -
neben einer sich reich entfaltenden Vortrags- und
Unterrichtstätigkeit (in seinem "Psychodiagnostischen
Seminar") - mit der Ausarbeitung der 220 Seiten umfassenden
"Graphologischen Prinzipienlehre", was ihn fünf Jahre
beschäftigte. "Für die Entstehung des Lebenswerkes von
Klages kommt ihr grundlegende Bedeutung zu", schreibt Schröder
in seinem ausführlichen Kommentar (SW VIII, 717). Dennoch
wurde sie nicht in den "Sämtlichen Werken"
wiederabgedruckt.
1905: Die
Ausdrucksgesetze
Da werden zum
erstenmal das "Ausdrucksprinzip" (1905), das "Darstellungsprinzip"
(1908) und die "Willenslehre" (1906) formuliert.
Ersteres geht
zurück auf die Definition der Ausdrucksbewegungen in den
"Graphologischen Monatsheften" von 1898 als "diejenigen
unwillkürlichen Körperfunktionen, welche affektive
Zustände im Menschen begleiten und als Symptome derselben
angesehen sind" (SW VIII, 35) sowie auf das erstmals in der
"Theorie des Schreibdrucks" (1902) formulierte Gesetz, dem die
ganze Statik und Dynamik des Seelenausdrucks folgt: "Der
körperliche Ausdruck jedes Seelenzustandes ist so beschaffen,
dass er seinerseits diesen Zustand hervorrufen kann" (SW VIII, 99),
was wiederum nichts anderes ist als eine Umkehrung und
gleichzeitige Präzisierung der Erkenntnis aus den
methodologischen Schriften, dass "der Eindruck, den eine
Handschrift hervorbringt, zu den Ursachen ihrer Beschaffenheit
[oder: Entstehung] gehören kann" (SW VIII, 51 u. 54; vgl.
schon 30f).
Das Ausdrucksgesetz
wurde 1905-1910 "Grundgesetz des Ausdrucks" genannt und lautet:
"Jede innere Tätigkeit nun, soweit nicht Gegenkräfte sie
durchkreuzen, wird begleitet von der ihr analogen Bewegung" (so die
Fassung in den "Problemen der Graphologie" von 1910, SW VII,
137).
Im revidierten
Wiederabdruck von 1927 (SW VI, 14) trägt es den Namen
"Grundgesetz des Bewegungsausdrucks und der Bewegungsdeutung", und
"innere Tätigkeit" ist durch "Seelenvorgang"
ersetzt.
Die "prinzipielle
Beglaubigung" für dieses Gesetz, nämlich: "Die Bewegtheit
nimmt zu direkt proportional der inneren Tätigkeit" (SW VII,
140) findet sich ebenfalls in der Revision von 1927: "Die
Bewegtheit des Körpers nimmt zu proportional der Bewegtheit
der Seele" (SW VI, 16), sonst aber nirgendwo mehr.
Zu beachten ist,
dass bereits 1908 erstmals die durchkreuzenden "Gegenkräfte"
wegfallen. In einem Vortrag sagte Klages: "Zu jeder inneren
Tätigkeit gehört die ihr analoge Bewegung, zu jeder
Tätigkeitsdisposition die analoge Bewegungstendenz" (SW VIII,
168). In einem Vortrag, datiert zwischen 1908 und 1913, heisst es
dann: "In jeder Willkürbewegung liegt als nicht gewollt die
Persönlichkeit des Wollenden" und: "Zu jeder inneren
Tätigkeit gehört die ihr analoge Bewegung - oder, wenn
man statt Tätigkeit auch 'Bewegung' setzt: Jeder inneren
entspricht die ihr analoge äussere Bewegung" (SW VI,
680f).
Der erste Satz
taucht in den "Problemen der Graphologie" von 1910 in der Gestalt
auf: "In jeder Bewegung liegt die persönliche Ausdrucksform"
(SW VII, 127). In "Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" von 1913
heisst es unter "Ausdrucksgesetz": "In jeder Willkürbewegung
steckt die persönliche Ausdrucksform" und "jeder inneren
entspricht die ihr analoge Bewegung den Körpers" (SW VI, 150).
Als Ergänzung tritt der uns schon von 1902 (SW VIII, 99)
bekannte Satz hinzu: "Der körperliche Ausdruck jedes
Bewusstseinszustandes [1902: Seelenzustandes; 1921:
Lebenszustandes] ist so beschaffen, dass sein Bild diesen Zustand
wiederhervorrufen kann" (SW VI, 70, vgl. 58, 75, 162).
In der zweiten, auf
den doppelten Umfang erweiterten Auflage dieses Buches (1921) hat
Klages dann dem "Ausdrucksgesetz" eine neue Doppelfassung gegeben:
"Jede ausdrückende Körperbewegung verwirklicht das
Antriebserlebnis des in ihr ausgedrückten Gefühls" und:
"Jede Ausdrucksbewegung [1935: Der Ausdruck] verwirklicht nach
Stärke, Dauer und Richtungenfolge die Gestalt einer seelischen
Regung" (SW VI, 169 u. 170).
Dabei bleibt es auch
in der "Grundlegung der Wissenschaft vom Ausdruck" von 1935 (SW VI,
474 u. 483), nun unter dem Titel "Das Ausdrucksprinzip". Die andern
zwei Sätze sind nun in verschiedene Kapitel gestellt und
lauten: "Die beliebige Willkürbewegung drückt ungewollt
die Persönlichkeit des Wollenden aus" und: "Der Ausdruck eines
Lebenszustandes ist so beschaffen, dass seine Erscheinung den
Zustand hervorrufen kann" (G, 19709, 28 u. 72; SW VI,
356 u. 398).
Der Lehrsatz aus
"Graphologie" (1932, unverändert 1949; SW VIII, 428f): "In
jeder Willkürbewegung erscheint der Charakter ihres
Trägers", lautet nun: "In jeder persönlich
charakteristischen Bewegungseigenschaft erscheint die
persönlich charakteristische Bewegungsweise" (G,
19709, 31; SW VI, 359).
Erwähnenswert
ist noch, dass der Satz von 1910 aus dem Abschnitt "Das Grundgesetz
des Ausdrucks" "Die "Ausdrucksbewegung' ist ein generelles
Gleichnis der Handlung" (SW VII, 146 - vgl. bereits in einem
Vortrag 1908, SW VIII, 168f, ferner: wohl etwas später SW VI,
682) sich über "ein Gleichnis" (1913), "das Gleichnis" (1921)
zu "Der Ausdruck ist ein Gleichnis der Handlung" (1934) gewandelt
hat.
Bezüglich des
zweiten Gesetzes hat die Klages-Forschung bis heute übersehen
- abgesehen von einer kleinen Bemerkung Schröders (SW VIII,
740, 744) -, dass es schon im ersten graphologischen Aufsatz aus
dem Jahre 1898 formuliert ist: "Jede zweckvolle Bewegung wird von
unwillkürlichen Bewegungen begleitet. Daher gilt für sie
das gleiche Gesetz, welches das gesamte Gebiet der
unwillkürlichen Ausdrucksbewegungen beherrscht: sie werden in
ihrem Ablauf gestört und gehemmt, wenn sie in dem Augenblicke,
wo sie sich zu vollziehen im Begriffe sind, deutlich
vorgestellt werden" (so im Selbstzitat, SW VII, 258; der
Wíederabdruck bringt eine revidierte Fassung von 1926; SW
VIII, 3).
1900: Das
persönliche Leitbild
Im Jahre 1900
stellte Klages unter Bezugnahme auf "persönliche Vorlieben"
und "besondere Assoziationen" sowie mit Hinweis auf das Werk von
Lipps fest, "dass die Schreibbewegung durch das individuelle
Liniengefühl des Schreibers in jedem Augenblick
unwillkürlich beeinflusst werden muss" (SW VIII, 51f, vgl.
auch 79f, 94f).
Von 1908 an
erscheint dieses Gesetz stets unter der Aufschrift "Das
persönliche Leitbild". Dies ist die "individuelle
Selektionskonstante" oder derjenige "Komplex unbewusster Tendenzen
..., durch die das individuell spezifische
Vorstellungsvermögen im Gefühlsleben zur Wirksamkeit
gelangt", womit das Gesetz lautet: "Ein selektiver Impuls kann umso
eher zur Geltung kommen, als die betreffende Ausdruckssphäre
bewusst zu werden geeignet ist" (so die Fassung in den "Problemen
der Graphologie" von 1910, SW VII, 219-221 - der revidierte
Nachdruck von 1927 bringt nur zahlreiche terminologische
Änderungen, SW VI, 27 u. 29).
In
"Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" von 1913 wird dieses
Gesetz am Anfang des 3. Kapitels nur kurz gestreift: Das Gesetz des
individuellen Raumsinns "fügt dem Ausdruck des seelischen
Zustandes demjenigen hinzu, mit welchem die Seele impulsiv Antwort
gibt auf das Bild ihres eigenen Ausdrucks" (SW VI, 95, vgl. auch
63). In der zweiten Auflage von 1921 findet "das allgemeinste
Gesetz des Darstellungstriebes" dann im Unterkapitel "Das Gesetz
des Leitbildes" die Formulierung: "Jede willkürbare Bewegung
des Menschen wird in jedem Augenblick gemodelt von
unwillkürlichen Erwartungen ihres anschaulichen Erfolges" oder
kürzer: "Jede willkürbare Bewegung des Menschen wird
unbewusst mitbestimmt von seinem persönlichen Leitbild" (SW
VI, 233 ff).
Diese Sätze
finden sich in leicht abgewandelter Form auch in der "Grundlegung
der Wissenschaft vom Ausdruck" von 1935, freilich nicht im Kapitel
"Das Darstellungsprinzip", sondern am Anfang des Kapitels "Vom
persönlichen Leitbild". Beim zweiten Satz ist das "unbewusst"
weggelassen, und der erste Satz lautet : "Die willkürbare
Bewegung kann vom Darstellungsdrang nur insoweit gemodelt werden,
als sie einhergeht mit unbewusster Erwartung ihres anschaulichen
Erfolges" (SW VI, 596f).
Angemerkt sei, dass
die Prägungen "Jede menschliche Spontanbewegung wird
mitgestaltet von unbewussten Erwartungen ihres anschaulichen
Erfolges" resp. "Jede Spontanbewegung des Menschen wird unbewusst
mitbestimmt von seinem persönlichen Leitbild" (SW VIII, 436f)
in "Graphologie" von 1932 bis 1949 (4. Aufl) unverändert
steht.
Teil 7: Ab 1906: Die
Weiterentwicklung der Philosophie
1906:
Willenslehre
Noch verzwickter ist
die Enthüllung der Entwicklung der Willenslehre. Ansätze
finden sich in Aufzeichnungen seit 1899 (RR, z. B. 477f). Von
grundlegender Bedeutung ist hierbei der Begriff der
Hemmung.
Eine erste
zusammenhängende Fassung der Willenstheorie, soweit es sich um
den Ausdruck des Wollens handelt, steht 1906 in der
"Graphologischen Prinzipienlehre". Sie besagt:
"Der Zustand des
Wollens wirkt auf den Ausdruck regulierend oder: die Vorherrschaft
des Willens spricht sich im unbewussten Walten einer Regel aus" (so
die Formulierung in den "Problemen der Graphologie", 1910, SW VII,
195).
Klages geht hierbei
vom fundamentalen Unterschied der aussermenschlichen Natur "von der
Natur, die durch den Willen hindurchgegangen ist", aus und gelangt
damit zum Gegensatz von Eigenart und Gesetzlichkeit, der in
späteren graphologischen Schriften (seit "Handschrift und
Charakter", 1917) als derjenige von Ebenmass und
Regelmässigkeit zur Fruchtbarkeit in der Deutungspraxis
gelangt. "Einen festen Massstab, sei es des Raumes, sei es der Zeit
gibt nicht die Natur, ihn fordert und setzt und zwar in
jedem Akt des Erfassens ausschliesslich der Geist." Dem Willen
steht die Regel zur Seite "oder die den Rhythmus durchbrechende und
ihn schliesslich zerstörende Mechanisierung der
Lebensprozesse" (SW VII, 195f).
Bereits hier findet
sich auch der Unterschied: Die Antike und alle "Naturvölker"
stehen unter dem Vorrang des Pathos, während das Christentum
und alles Spätere dieser heidnischen Sinnlichkeit den
"weltüberwindenden" Willen entgegenhält. Daraus ergibt
sich auch die Unterscheidung von Kultur als sozial sich
vollendender Wachstumseinheit und Zivilisation als allgemeiner
Verstandesherrschaft.
Nur schon diese
wenigen Sätze zeigen, dass auf den 260 Seiten der "Probleme
der Graphologie" wie auch in den ebenfalls 1910 erschienenen
"Prinzipien der Charakterkunde" alles angelegt ist, was dann unter
ständiger terminologischer Präzisierung und Erweiterung
in den folgenden Werken breit ausgefächert wurde.
1910: Der Wille als
universale Hemmtriebfeder
Die in den
"Problemen der Graphologie" verstreuten Äusserungen zur
Willenstheorie basieren auf der Überzeugung: "'Antrieb' und
'Hemmung' sind die nicht auseinander zu reissenden Hälften der
inneren Tätigkeit. Wie die Stärke des elektrischen
Stromes als zerlegbar gedacht wird in die elektromotorische Kraft
und den Widerstand des ihn leitenden Mediums, so ist der geistige
Vorgang in jedem Augenblick das Ergebnis aus der Wirkung
zweier Kräfte, deren eine treibt, während die
andere zügelt, und das tatsächliche Erleben vollzieht
sich ausnahmslos im steten Wechsel von 'Stauung' und 'Abfluss'' (SW
VII, 155, ähnl. 187). Ganz ähnliche Formulierungen finden
sich später im "Widersacher" (1929) im Kapitel "Wollung und
Handlung".
Aus diesem
Sachverhalt ergibt sich dann die bekannt gewordene
Formel
R =
T/W (Reagibilität gleich Triebkraft zu
Widerstand), die bereits hier wie auch in den "Prinzipien der
Charakterologie" als dreifältig erkannt, in den "Grundlagen
der Charakterkunde" 1926, Kap. VI.; SW IV, 296-319) ihre
endgültige Form fand:
Eg =
Lg/Tg (Gefühlserregbarkeit gleich
Gefühlslebhaftigkeit zu Gefühlstiefe),
Ew =
Tk/W (Willenserregbarkeit gleich Triebkraft
zu Widerstand), und
A =
E/Wa (Äusserungsfähigkeit gleich
Erregung zu Äusserungswiderstand).
Diese drei
Verhältniseigenschaften machen das Gefüge des Charakters
aus und können auch als Affektivität, Temperament und
Naturell bezeichnet werden.
Dass der Wille, als
eigene Disposition gedacht, die "universelle Hemmtriebfeder"
("Prinzipien der Charakterologie", 61; SW IV, 158) oder als
Träger der Möglichkeit des Wollens die "generelle
Hemmtriebfeder" ("Probleme der Graphologie", SW VII, 190) ist,
steht seit 1910 in diesen Formulierungen da, also nicht erst 1913
wie Schröder (SW VI, 701) meint.
Mit
"Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" von 1913 - wo auch
erstmals vom charakterologischen Doppelsinn aller Bewegungsmerkmale
und dem weltgeschichtlichen Verfall der Gestaltungskraft die Rede
ist -, einem im selben Jahr gehaltenen Vertrag auf einem Kongress
für medizinische Psychologie und Psychotherapie in Wien
über die "Theorie (und Symptomatologie) des Willens" sowie dem
Aufsatz "Mensch und Erde" zur Jahrhundertfeier der Freideutschen
Jugend auf dem Hohen Meissner - worin er die verheerenden Folgen
der Willensherrschaft in der Natur- und Kulturzerstörung
erstmals in flammenden Worten anprangerte - ist die erste Etappe
seines Lebenswerks abgeschlossen.
Ab 1910: Die Lehre
von den Bildern
Auch die "Lehre von
den Bildern" und die "Lehre vom Begriff", seit 1889 resp. 1892 in
zahlreichen Dichtungen und Prosaversen niedergelegt, sind in den
"Problemen der Graphologie" (1910) formuliert.
1892 hiess es z. B.:
"Das aber ist der Weg des Geistes: die Welt der Sinne münzt er
um in eine Welt der Begriffe", und 1899: "Dass es für uns
zwei Wirklichkeiten gibt, eine des gewöhnlichen
Bewusstseins und eine der Seele, dies ist der gedankliche Ausdruck
jener Zerklüftung des inneren Seins, die mit Platon und
Christus in die Welt des Lebens einzog" (RR, 466 u.
475).
1900 hiess es:
"Leben ist Fluss, Beharrung ist Tod. Das Leben erstarrt und endet
im Glauben an die Wirklichkeit der Dinge, im Wahn der Dauer. Das
Weltall hat die Wirklichkeit eines unaufhörlichen Vorgangs",
oder: "Die Welt des Denkens ist die des gewöhnlichen
Bewusstseins. Die Seele lebt in der Welt der Bilder, und
zwar entweder als die makrokosmisch schweifende oder als die
mikrokosmisch-haftende" (RR, 249 u. 255f).
1910 heisst es:
"Ohne die Gabe, im sinnlich nur Ähnlichen und mithin
Verschiedenen ein begrifflich Identisches festzuhalten,
kännten wir keine Welt der 'Objekte', sondern einzig der
'Bilder', in der jeder Tag eine neue Sonne, jeder Abend neue
Gestirne brächte und wo der volle ein anderer ist als der
halbe Mond" (SW VII, 191).
Hier fallen auch
erste Hinweise auf das sog. "Eleatenproblem" und die Frage der
Kausalität (letzteres auch in PCh, 62; SW IV, 159).
Drei Jahre
später lautet es, noch prägnanter: "Damit der Willensakt
möglich werde, bedarf es zuvor des Urteilsaktes, der an die
Stelle des immer sich wandelnden Bildes den im Verfliessen der Zeit
mit sich identischen Gegenstand setze, indem nur ein solcher von
uns bezweckt werden kann. Während jeder Eindruck qualitativ
und fliessend ist, so geht unser Wollen auf das darin mittels des
Geistes gefundene Seiende aus, im Verhältnis zu dem die
erlebte Sinnenseite nun erst den Charakter der blossen
'Erscheinung' annimmt. Wenn nun aber demgemäss der Zweck nicht
der sinnlichen Welt angehört, die als in rastloser Wandlung
begriffen sich keiner Voraussicht zur Anknüpfung böte, so
ist er offenbar ein ideeller Punkt und das Abzielen des Willens
geschieht in einer begrifflichen Richtung" (SW VI, 86).
Anschliessend folgt
die bekannte Erläuterung, dass 'die Zwecke' ursprünglich
den Pflock Im Zentrum der Scheibe, nach dem man zielt und schiesst,
kennzeichnet. Daran schliesst sich die Unterscheidung von
Willkür- und Ausdrucksbewegung an. Die Richtung der ersteren
ist, "weil vorausgedacht, auf den raumlosen Punkt gestellt, die
Ausdrucksbewegung folgt ungebunden, aber blind dem Anreiz des
Eindrucks" (SW VI, 87).
Ab 1913:
Dualität von Geist und Leben
Zwar ist bereits in
einem langen Aufsatz von 1913 über die Ausdrucksbewegung die
"metaphysische Dualität ... von Geist und Leben" bestimmend,
und die Verwechslung von geistigen Akten mit Mächten
des Lebens (SW VI, 90) wird als fundamentaler Irrtum
herausgestellt, doch zur strengen, vor allem auch begrifflich
sauberen Scheidung von "Bewusstsein und Leben" gelangte Klages erst
im so betitelten Aufsatz von 1915. Hier ist die - an die Formel von
1904 vom "aufzuckenden Lichte des Geistes" resp. vom "aufzuckenden
Blick eines Auges ... des Geistes" (RR, 279 u. 336f)
anknüpfende - Bemerkung von 1913, dass geistige Akte, "wie der
aufzuckende Blitz die zuvor verdunkelte Landschaft, ebenso
zielvolle Abläufe zwar beleuchten, nicht aber schaffen" (SW
VI, 90 - vgl. RR (1903), 319, (1915) 365f) in die Form gebracht:
"Nicht der Strom des Erlebens ist Bewusstsein, sondern solches
entsteht, sofern er vom Blitzlicht des Erfassens getroffen wird"
(SW III, 648).
Das ist weit
präziser als in der Abhandlung "Vom Traumbewusstsein I" vom
Vorjahr, womit er einen Beitrag liefern wollte "nicht so sehr zum
Verständnis der Träume als zur Theorie des Bewusstseins
überhaupt, dessen Wachheit nicht begriffen wird ohne Einsicht
in das Wesen seines Träumens" (SW III, 158). Das lehnt
noch an den Abschnitt "Die Pole der Seele" von 1911 (RR, 288f)
an.
Seit 1916: Arbeit am
"Widersacher"
Der Ausbruch des
Ersten Weltkriegs hatte für Klages einen tiefen Schock
bedeutet, der die Konzentration auf seine eigene Arbeit schwer
beeinträchtigte. Das "Psychodiagnostische Seminar", im Begriff
sich beinahe zu einer kleinen Privatuniversität auszuweiten,
musste geschlossen werden, da viele Teilnehmer eingezogen wurden
oder sich freiwillig meldeten.
So begann Klages mit
der Sichtung, Ordnung und Fixierung seines dichterischen
Nachlasses (der wie erwähnt, 1944 gedruckt wurde). Im
August 1915 übersiedelte er in die Schweiz und liess sich am
linken Zürichseeufer, zuerst in Rüschlikon, von 1920-28
im C. F. Meyer-Haus in Kilchberg, von 1933 bis zu seinem Tod 1956
im Hause seines Freundes und Gönners Ch. Bernoulli)
nieder.
Aus seiner Unterrichts-
und Vortragstätigkeit, vorwiegend in privatem Kreise, sowie aus
"Lehrbriefen" gingen zahlreiche seiner späteren Aufsätze,
Werke und einzelne Kapitel daraus hervor. Hier schrieb er auch -
durch Erwerbsarbeit und Herausgabe zahlreicher Bücher
ständig unterbrochen - in 16 Jahren sein 1500seitiges
Hauptwerk "Der Geist als Widersacher der Seele" (I, II 1929;
III1, III2 1932; = SW I und II).
Wie er im "Vorwort
für die Zeitgenossen" dazu schreibt, ist der erste Band "der
Wissenschaft vom Wesen und der Entstehung des Bewusstseins"
gewidmet. Die Grundzüge hiervon erschienen 1916-1919 in vier
Fortsetzungen in der Monatszeitschrift "Deutsche Psychologie" unter
dem Titel "Geist und Seele", der bis zuletzt auch für
das Hauptwerk vorgesehen war.
"Inzwischen
türmten sich, eine Nachwirkung des Krieges, die äusseren
Hindernisse ins Unermessliche, so dass ich mich entschloss,
wenigstens das in Vorlesungen [1918] mehrmals entworfene Programm
des Gedankenganges, soweit es die Lehre vom Bewusstsein als
einer Störungserscheinung der Vitalität betraf, 1920
[1921] unter dem Titel "Vom Wesen des Bewusstseins'
selbständig herauszugeben" (W, VIII). Für die kleine
Schrift war zuerst der Titel "Zur Lebenslehre", dann "Die
Grundlagen des Bewusstseins (Lebenslehre)" vorgesehen, was sich
schliesslich im Untertitel "Aus einer lebenswissenschaftlichen
Vorlesung" niederschlug.
Aus "ganzen Ketten
von Lehrbriefen, teils diagnostischen, teils und vor allem
mythenwissenschaftlichen Inhalts,... schlugen sich bleibende
Gebilde nieder, so "Handschrift und Charakter" [1917, aus 20
graphologischen Unterrichtsbriefen entstanden] auf der einen Seite,
so "Vom kosmogonischen Eros" [1922] auf der andern Seite"
(W, VIII).
Es schlossen sich
zwei Bücher an, "mit denen der Wissenschaft von den
Charakteren ein für allemal die Richtung gewiesen ist"
(W, VIII): "Die Grundlagen der Charakterkunde" (1926; als vierte
und erweiterte Auflage der "Prinzipien der Charakterologie" von
1910) und "Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches" (1926).
Letzteres Thema beschäftigte ihn seit 1919.
Die erneute
Beschäftigung mit Goethe - nach Ansätzen um die
Jahrhundertwende - datiert aus derselben Zeit und fand ihren
Niederschlag in der Schrift "Goethe als Seelenforscher" (1932; als
Jahrbuchbeitrag schon 1928).
Ein weiteres Thema,
dasjenige vom "Wesen des Rhythmus" stand seit 1913 in seinem
Blickpunkt, doch der "feindliche Gegensatz" von "Rhythmus und Takt"
wurde erst 1920 erkannt (in der 2.Aufl. von "Handschrift und
Charakter") und ein Jahr später in denselben Worten in der
2.Aufl. von "Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" (im Untertitel
"Das Formniveau") ausführlich zitiert. Die vorläufige
Formulierung "Vom Wesen des Rhythmus" erfolgte 1923, die
endgültige unter demselben Titel 1934.
Daneben lief die
Befassung mit graphologischen Fragen weiter, was sich in
Aufsätzen und Vorträgen unter dem Titel "Handschrift und
Charakter" (1911, 1920, 1921, 1923; in verschiedenen Versionen) und
"Gegen das graphologische Pfuschertum" (1926) sowie in den
Büchern "Einführung in die Psychologie der Handschrift"
(1924), "Graphologisches Lesebuch" (1930) und "Graphologie" (1932)
niederschlug.
Einzeluntersuchungen, die mit dem "Fall Nietzsche - Wagner"
(1904) und "Bismarcks Handschrift" (1912) eingesetzt hatten, gelten
nun den Handschriften von Karl May (1919, was Klages freilich nicht
wusste), der Mathematiker Bernoulli (1922), Erzbergers (1925),
Schopenhauers (1926), Kaspar Hausers (1926), Nietzsches (1927),
Beethovens (1929) und Schliemanns (1930) - zusammengestellt in SW
VIII, 563-672.
Hatte die
Charakterkunde in verschiedenen Vorträgen und
Aufsätzen (z. B. "Über den Begriff der
Persönlichkeit", 1916) sowie in der Schrift
"Persönlichkeit" (1927) weitere Vertiefung erfahren, so kam
die Ausdruckskunde erst 1935 wieder zum Zug, freilich gleich
mit dem abschliessenden Standardwerk "Grundlegung der Wissenschaft
vom Ausdruck" (erschienen als 5., erweiterte Auflage der bereits
1921 auf den doppelten Umfang erweiterten "Ausdrucksbewegung und
Gestaltungskraft").
Neben
all diesen publizistischen Arbeiten erfolgte
die Ausgestaltung des "Widersachers", weshalb es nicht verwundert,
dass Klages von einer täglichen Arbeitsleistung von
zunächst 14, später 16 Stunden schreibt (1920; vgl. SW
VIII, 724, 721; Schröder, 910).
1929-1932: Die
Themen von: "Der Geist als Widersacher der Seele"
Die ersten
drei "Bücher" des "Widersachers" gelten der Lehre vom
Bewusstsein. Das vierte, "Die Lehre vom Willen", bildet eine
folgerichtige Fortsetzung, ist sie doch "ein wesentlicher Teil der
Lehre von den Entstehungsbedingungen des Bewusstseins" (W, 515).
Bereits vor Beginn der Arbeit am Widersacher abgeschlossen,
entschloss sich Klagen jedoch erst 1920 diese Lehre in das
Hauptwerk aufzunehmen, da sonst "das vollständige Fehlen der
Theorie des Willens" eine "ausserordentliche Lücke"
hinterlassen hätte.
Das
fünfte "Buch" schliesslich, "Die Wirklichkeit der
Bilder", das fast die (zweite) Hälfte des Gesamtumfangs
ausmacht, setzt sich aus der "Lehre" und dem "Weltbild des
Pelasgertums" zusammen. Letzteres lag bereits 1918 vor und war bis
etwa 1927 als selbständige Veröffentlichung gedacht.
Vorläufer dazu sind das Fragment "Hestia" (1903) sowie
Vorlesungen über mythologische und folkloristische Themen (z.
B. "Zur Psychologie des Volksliedes", 1910, ferner: private
Unterrichtsbriefe, 1917 und 1918) und Arbeiten über das Wesen
des Symbols (ebenfalls seit 1917).
Was das Erosproblem
betrifft entstand Anfang 1918 und fand eine selbständig
gebliebene Fassung im "Kosmogonischen Eros" (1922), der "eine das
Hauptwerk zwar ergänzende, aber völlig selbständige
Schöpfung" (Vorwort zur fünften Auflage des W, 1951)
bildet. Ebenfalls keine direkte Aufnahme in den Widersacher fanden
einige Aufsätze, die 1920 resp. 1929 im Sammelband "Mensch und
Erde" erschienen.
Dafür bringt
das längste Kapitel des Widersachers, "Magna Mater", die
dreissig Jahre dauernde Auseinandersetzung mit dem Werk Bachofens
zum krönenden Abschluss, wiederum unter Aufnahme von
Abschnitten aus "Hestia" (Muttertum des Baumes und des
Wassers).
Die "Lehre" von der
Wirklichkeit der Bilder, welche Befunde der als Fragment 1914 und
1919 abgedruckten Untersuchung "Vom Traumbewusstsein" sowie
Aufzeichnungen von 1918 wiederaufnimmt, entstand schliesslich im
zeitlich letzten Arbeitsgang des Widersachers.
Schröder nennt
im Kommentar zum Widersacher das fünfte Buch eher
irreführend "Lebenslehre" oder "Metabiologie" (SW II, 1551f),
was doch mehr auf die ersten vier zuträfe. Zudem schrieb
Klagen 1917 an seinen Verleger Dr. Arthur Meiner in Leipzig: "Ich
verstehe es, wenn Sie nach den Ihnen bisher bekannt gewordenen
Teilen meines Werkes [in "Deutsche Psychologie", 1, Heft 3/4 und 5]
dieses ein 'erkenntnistheoretisches' nennen; muss jedoch bemerken,
dass es sich tatsächlich keineswegs um eine Erkenntnistheorie,
sondern um eine neue Grundlegung der Psychologie auf biologischer
Basis handelt".
Ähnlich schrieb
er ein Jahr später: "Mit den Vorarbeiten zu einem
vollständigen System der Charakterkunde bin ich seit
anderthalb Jahrzehnten beschäftigt. Es hat sich aber erwiesen,
dass eine wirklich beweiskräftige Ausgestaltung zweierlei
voraussetzt:
- eine
vollständige Lehre vom Bewusstsein und
- eine
vollständige Lebenslehre (= philosophische
'Biologie').
Das beide
enthaltende Werk (im Sinne einer Lebenslehre als der Grundlage
einer Bewusstseinslehre) habe ich seit mehreren Jahren in Arbeit
und hoffe es trotz ausserordentlicher inner und äusserer
Störungen in absehbarer Zeit vollenden zu können"
(Schröder, 771).
Daran
anknüpfend spricht Schröder davon, dass es Klages um die
"vitalen" Entstehungsbedingungen oder die "biologischen"
Ermöglichungsgründe des Bewusstseins gegangen sei,
führt jedoch anschliessend (SW II, 1552)
Dispositionsentwürfe an, in denen der spätere dritte
Abschnitt des dritten Buchs des Widersachers bereits die
Überschrift "Die seelischen Grundlagen des
Bewusstseins" trägt.
Beachtenswert ist,
dass die Frage nach dem Bewusstsein bis ins Jahr 1900
zurückgeht, wo in den "Bruchstücken der Weltanschauung"
steht: "Man trägt nichts von aussen in eine Seele hinein; das
Bewusstsein ist Folge, nie Ursache. Wohl aber kann man von aussen
die Entfaltung einer Seele hemmen ... Aber woher diese Verschattung
und Umschlackung des Urfeuers? Was ist der Sinn und Ursprung
unseres begreifenden Bewusstseins? (RR, 243 u. 247).
Ähnlich nennt
er 1903 die Entstehung des begrifflichen Denkens "das
fragwürdigste Geheimnis der Weltgeschichte" (RR, 422), und
gibt anhand des apollinischen "Kenne dich selbst" eine erste
Grundlegung seiner Theorie des Erkennens und
Selbstbewusstseins.
Interessant mag noch
sein, zu wissen, dass Klages im Jahre 1918 systematisch begann,
alle Fremdwörter aus seinen Publikationen nach
Möglichkeit auszumerzen, und die Rolle der
Selbsttäuschungen, die im Nietzschebuch eine zentrale Stellung
einnehmen, bereits einmal bei der Auseinandersetzung eines
graphologisch Begutachteten mit seinen Gutachtern im Jahre 1906
aufgetaucht ist.
Teil 8:
Zusammenfassung: Ständige Revisionen seiner grossen
Werke
Graphologie und
Charakterologie
Bereits im
frühesten Versuch von Klages, eine Methodik der
Graphologie zu entwickeln ("Graphologische Methoden" , 1898,
SW VIII, 7-38), bezeichnet er die Graphologie als Wissenschaft.
Zwei Jahre später wurde er gewahr, dass dieser Versuch "an
mehreren Lücken leidet", weshalb er eine "ergänzende
Erweiterung" nachschob (SW VIII, 46-56). Beide Abhandlungen wurden
nicht mehr nachgedruckt.
Erst die "Theorie
des Schreibdrucks" (1902/03; SW VIII, 96-116, 117-132) fand
Aufnahme in den Sammelband "Zur Ausdruckslehre und Charakterkunde"
(1927, ZA, 67-89, 90-97). Der Text wurde stilistisch
überarbeitet und gekürzt, insbesondere am Schluss. In
seinem letzten Lebensjahr (1956) hat ihn Klages für
eine geplante, aber nicht erschienene Neuauflage des Sammelbandes
erneut einer Revision unterzogen (SW, VIII, 745).
1904 begann Klages,
neben einer reich sich entfaltenden Vortrags- und
Unterrichtstätigkeit (in seinem "Psychodiagnostischen
Seminar") eine "Graphologische Prinzipienlehre"
auszuarbeiten, was ihn fünf Jahre beschäftigte. Daraus
und aus anderen Materialien entstanden 1910 die beiden eng
zusammengehörender Schriften "Die Probleme der Graphologie"
und "Prinzipien der Charakterologie".
Umarbeitungen
"Die Probleme der
Graphologie" (1910) wollte Klages, vergeblich, von 1915 an bis nach
1922 neugestalten. Sie wurden 1917 durch "Handschrift und
Charakter" ersetzt, welcher "gemeinverständliche Abriss der
graphologischen Technik" 1920 wesentlich umgearbeitet und erweitert
(als "Lehrbuch", wie Klages dem Verleger schrieb), 1926 mit
"wenigen kleinen Verbesserungen", 1940 (geplant schon 1935)
umgearbeitet, 1943 ergänzt, 1949 abermals verändert und
1956 mit einigen Berichtigungen erschien. Posthum wurde er
dann 1965 von B. Wittlich "für die Deutungspraxis bearbeit und
ergänzt".
Die "Prinzipien der
Charakterologie" (1910) erschienen in der 4. Auflage (1926)
umgearbeitet und auf mehr als den doppelten Umfang erweitert als
"Grundlagen der Charakterkunde". Die wiederum erfuhren 1928
"geringfügige Zusätze" und erschienen 1948
nochmals überarbeitet.
Ausdruckskunde und
Philosophisches
Im trotz des Kriegs
äusserst fruchtbaren Jahrzehnt 1910-1920 fand eine
Profilierung der Philosophie und eine Präzisierung der
Terminologie statt.
"Ausdrucksbewegung
und Gestaltungskraft" (1913) erschien 1921 in fast auf das Doppelte
erweitertem Umfang mit dem Untertitel "Grundlegung der
Wissenschaft vom Ausdruck" und 1935 in der 5. Auflage
völlig umgearbeitet mit dem Haupttitel "Grundlegung der
Wissenschaft vom Ausdruck", welche 1950 nochmals
überarbeitet und ergänzt wurde. Dieses Werk
begründet bereits einige philosophische Einsichten und bringt
sie in nähere Zusammenhänge.
Die Aufsätze
"Vom Traumbewusstsein." (1914 und 1919) und die Abhandlung "Geist
und Seele" (1916, 1917 und 1919) führen bereits zum Hauptwerk,
dem Widersacher (1929/32), dessen Fertigstellung sich jedoch
verzögerte durch die Herausgabe
- von
Sammelbänden eigener Aufsätze ("Mensch und Erde", 1920,
"Zur Ausdruckslehre und Charakterkunde", 1927),
- von Büchern
von J. J. Bachofen (1925), M. Palágyi (1925), Carus (1926)
und W. Preyer (1928), ferner durch die Ausarbeitung
- von Büchern
über Nietzsche (seit 1919; erschienen 1926) und Goethe (seit
1918; erschienen 1928 und 1932), sowie
- "Vom Wesen des
Bewusstseins" (1918; erschienen 1921), "Vom Kosmogonischen Eros"
(1922) und "Vom Wesen des Rhythmus" (1923; umgestaltet erschienen
1934).
Umarbeitungen
"Vom Wesen des
Bewusstseins" (1921) wurde in jeder folgenden Auflage, 1926, 1933
und 1955 umgearbeitet. "Vom kosmogonischen Eros" (1922)
wurde 1926 "stilistisch und sachlich überarbeitet" sowie
erweitert; 1930 erfolgten weitere Änderungen in der
Darstellung.
Schliesslich wurde
"Persönlichkeit" (1927) in der 2. Auflage verbessert
(1937 unter dem Titel "Vorschule der Charakterkunde"),
ebenso "Der Geist als Widersacher der Seele" (1929/32), genauer
dessen 1. Band (1937). Bei letzterem Werk wurde 1954 das
23seitige "Vorwort für die Zeitgenossen" weggelassen und durch
ein fünfseitiges "Einführendes Vorwort zur dritten
Auflage" ersetzt.
Nach dem W beruhigte
sich die publizistische Tätigkeit von Klages. Er gab 1940 den
Nachlass Alfred Schulers und 1944 seinen eigenen (RR) heraus,
veröffentlichte einige Vorträge sowie als letzte
ausgearbeitete Schriften "Ursprünge der Seelenforschung"
(1942) und das grosse Alterswerk "Die Sprache als Quell der
Seelenkunde" (1948).
Genaueres
hierüber findet sich, wie bereits erwähnt bei H. E.
Schröder ("Das Werk" I, 1972, sowie im Kommentar zu SW
II, 1966, 1551-1555, ferner in den Kommentaren zu SW VI, 697-713 und
SW VIII, 713-824) und in vielerlei übersichtlichen
Zusammenstellungen bei H .Kasdorff (Bibl., 285-338, ferner
345-410).
Ungenaue Angaben bei
H. E. Schröder
Schröders
Angaben entbehren allerdings letzter Genauigkeit. (Die korrekten
Angaben finden sich bei H. Kasdorff, Bibl., 356ff [=K].)
Er (1969, 1551ff)
gibt die Arbeitszeit an "Vom Traumbewusstsein" mit 1914-1919 (K:
1913; ferner 1919), das Erscheinungsjahr vom "Wesen des
Bewusstseins" (entstanden 1918) zweimal mit 1920 (K: 1921) an. Die
Entstehungszeit der "Einführung in die Psychologie der
Handschrift" verlegt er ins Jahr 1924 (K: 1921), des Vortrags
"Goethe als Seelenforscher" ins Jahr 1931 (K: seit 1918; 1928;
Kasdorff, 1969b, 184: 1917).
Auf Seite 328 der
Biographie von Schröder (1966) sind noch einige Fehler zu
berichtigen: Der Band der Monatsschrift "Die Gegenwart" ist mit IL
(49) nicht mit XLIX, was keinen Sinn ergibt, zu bezeichnen; die
"Graphologischen Monatshefte" erschienen erst ab 1899, vorher hiess
die Schriftenreihe "Berichte der Deutschen graphologischen
Gesellschaft" (1897 und 1898) - vgl. richtig Seite 169 und SW
VIII,* 717. In Busses "Graphologischer Praxis" veröffentlichte
Klages 1905, nicht 1903, erstmals Aufsätze; die einzelnen
graphologischen Veröffentlichungen nennt Schröder
nicht.
Über den ersten
Ansatz Schröders zu einer Biographie ("Ein deutsches
Forscherleben. Zum Tode von Ludwig Klages", Zeitschrift für
Menschenkunde, 4/1956, 317-330) schweigt des Sängers
Höflichkeit. Genauer, wenn auch unübersehbar polemisch,
ist Schröders Kommentar zu Theodor Lessings autobiographischen
Schriften" (1970).
Teil 9: Wenig
umfassende Sekundärliteratur (1920-1971)
Es verwundert kaum,
wenn bei einem derart umfangreichen Werk, das stete Wandlungen
durchgemacht hat, eine auch nur einigermassen umfassende
Übersicht bis zur Stunde nicht vorhanden ist.
Gibt es zwar einige
mehr oder weniger ausführliche Darstellungen
- des
"Widersachers" (6 Dissertationen: J. Deussen, 1934; H.
Bendiek, 1935; C. H. Ratschow, 1938; M. Kliefoth, 1938; W. Witte,
1939; R. Müller, 1971; sowie M. Ninck, 1931/33; H. Kinkel,
1933; F. Wiersma-Verschaffelt, holl., 1953; J. Meinertz, 1955 und
H. Kasdorff 1954/69); ferner J. Lewin, 1931; E. Seilliere, frz.,
1931 und erstaunlich wenige
- seiner
Charakterkunde (O. Hermann, 1920; J. François, holl.
1930; A. Kronfeld resp. E. v. Niederhöffer, 1932; G. Thibon,
frz., 1933; E. J. M. Breukers, holl., 1941/47) sowie je eine
einzige
- seiner
Ausdruckskunde (R. Klüwer, 1954, auch die
Charakterkunde behandelnd) und
- seiner
Graphologie (H. Engelke, 1940), so steht es mit
- Gesamtdarstellungen noch
schlechter, bieten doch nur C. Wandrey (1933), C. Haeberlin (1934),
H. E. Schröder (1938/64), A. Simons (1942), E. Frauchiger
(1947), K. Nowack (1951), J. Rausch (1952) und E. Bartels (1953)
Ansätze dazu.
für weitere Literatur seit 1970 siehe:
Ludwig Klages: Sekundärliteratur