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                     2400 v. Chr.  - 1900

 

siehe auch:

Literatur: Erfolgstraining / Lebenskunst (1600-2001)

 

 

Teil I: Altertum

 

Die ersten längeren Texte der Weltliteratur sind Erfolgshandbücher.

 

Leider ist die Lehre der ersten fassbaren grossen Persönlichkeit Ägyptens, des Baumeisters, Künstlers und Arztes Imhotep (ca. 2600 vor Chr.) nicht erhalten. Vollständig überliefert ist aber die etwa 200 Jahre jüngere Lehre des Ptahhotep. In 37 Kapiteln stellt dieser Wesir Regeln auf für Sitte und Standesordnung, so das Benehmen gegen Höhergestellte und Vorgesetzte, gegen Kollegen und Untergebene und für das Betragen gegenüber Frauen. Ein erzieherischer Impuls ist unverkennbar, denn die Alten Ägypter sahen sehr wohl, dass der Mensch nicht selbstverständlich das Rechte tut.

 

Die Tübinger Ägyptologin Emma Brunner-Traut hat - wie ihr Mann Hellmut Brunner (Artemis 1988) - einige dieser Texte übersetzt (Herderbücherei 1985). Sie schreibt:

"Den Alten kam es nicht in den Sinn, nach Weltverbesserung zu streben oder auch nur die eigene Gesellschaft zu verbessern, weder sind sie 'ausgestiegen’ noch auch haben sie revoltiert, sondern sie haben das Böse als eine Wirkkraft des Einzelmenschen, m. a. W. bei sich selbst erkannt. Sie waren dessen gewiss, dass keine Klangharmonie zustande kommen kann, wenn die einzelnen Instrumente verstimmt sind. So haben sie beim Einzelnen angesetzt und eine ma'atgemässe Erziehung versucht, indem sie eine Richtschnur in die Hand gaben oder auch einen Wanderstab, der einen stützen sollte, wenn er in Gefahr war zu straucheln."

 

Dieser "Wanderstab" hatte die Form von Lebens- oder Weisheitslehren. Was steht darin? Bei Ptahhotep lesen wir etwa:

 

"Sei nicht aufgeblasen wegen deines Wissens,
besprich dich mit dem Unwissenden so gut wie mit dem Wissenden."

  • "Wenn du ein Mann in leitender Stellung bist, der die Lebensverhältnisse für viele zu regeln hat, dann bemühe dich jeweils um gewissenhafte Behandlung, so dass dein Verhalten ohne Tadel ist ... Gemeinheit rafft zwar Schätze zusammen, aber noch nie ist das Unrecht ans Ziel gelangt. Am Ende bleibt allein die Ma'at."
  • "Wenn du pflügst und es auf dem Felde gut wächst und Gott dir reichlich zuteilt, dann brüste dich nicht vor den Nachbarn. Nur der Zurückhaltende gewinnt Hochachtung."
  • "Wenn du willst, dass deine Lebensführung gut sei, dann mache dich frei von allem Bösen:
    Hüte dich vor allem vor der Verführung zur Habgier, sie ist eine schlimme, unheilbare Krankheit, sie lässt kein Vertrauen aufkommen."

 

Ähnliche Lebenslehren gab es auch bei den Alten Sumerern. Samuel N. Kramer berichtet - in "Geschichte beginnt mit Sumer" (1959) -, dass sich auch die Könige und Herrscher daran gebunden fühlten und ihrer Stellung gemäss für das Gute und Wahre kämpften. Sie prahlten ständig damit, dass sie Gesetz und Ordnung im Lande aufrechterhielten, die Schwachen vor den Starken, die Armen vor den Reichen schützten, Unrecht und Zwang ausrotteten. In einem einzigartigen Dokument stellte bereits der lagaschitische Fürst Urukagina, der im 24. Jahrhundert v. Chr. lebte, voller Stolz fest, er habe den vielgeplagten Bürgern Gerechtigkeit und Freiheit gebracht, die allgegenwärtigen und blutsaugerischen Beamten verjagt, dem Unrecht und der Ausbeutung ein Ende gesetzt, die Witwen und Waisen beschützt. Die Hymnen zahlreicher anderer sumerischer Herrscher enthalten ähnliche Ansprüche auf eine hochmoralische Haltung

Die schriftliche Fixierung von Recht und Ordnung auf Keilschrifttafeln (Ur-Nammu 2100 v. Chr.) oder Stelen (Hammurabi, 1800 v. Chr.) ist bekannt.

 

Weitere wichtige Beiträge der Sumerer sind die erste "Pharmakopoe", eine Sammlung von Heilmittelrezepten, der erste "Bauernkalender", ein Handbuch für die Landwirtschaft, und Rechentabellen, wie sie B. L. van der Waerden in seinem Buch "Geometry and Algebra in Ancient Civilizations" (1983) beschreibt.

 

Selbstverständlich betrieben auch die Alten Ägypter hochstehende Heilkunde, Landwirtschaft und Mathematik sowie Astronomie. Zahlreiche Papyri sind darüber erhalten. Die Dokumente aus Indien und China sind zwar jüngeren Datums, basieren aber meist auf viel älteren Überlieferungen und Texten. Aufschlüsse über Verwaltungstätigkeiten geben schliesslich allenthalben verstreute Inschriften und Texte, aber meist nur in fragmentarischer Form.

 

Reichhaltiges Material liegt überall erst seit der sogenannten "Achsenzeit" (800-200 v. Chr.) vor. Der erste grosse fassbare Ratgeber ist Hesiod (um 700 v. Chr.). Auf einem Bauernhof aufgewachsen, wurde er zum Dichter und Mahner. Sein Handbuch über den Nutzen und Segen der Arbeit heisst "Werke und Tage". Darin meint er: So wie die Götter die Welt eingerichtet haben, muss sich der Mensch um das Gute bemühen, es wird ihm nicht geschenkt; das Gegenteil, das Schlechte, steht aber bereit und ist leicht zu erreichen. Es gibt also zwei verschiedene Lebenswege ("hodos", davon "methodos": das Nachgehen dem Wege)

  • den ebenen und kurzen, den die meisten Menschen gehen, der aber zum Mangelhaften, zur Misere führt, und
  • den steilen, steinigen und langen Pfad der Arbeit, der zum Erfolg und Gedeihen führt.

 

Wer nicht einsieht, dass man nur im Schweisse seines Angesichts aufwärts gelangt, der sollte wenigstens gute Ratschläge beherzigen. Wie schon die Alten Ägypter 2000 Jahre früher meinte Hesiod:

Das Hörenwollen und Bereitsein, gutem Rat zu folgen, ist eine geistige Leistung; sie ist die Voraussetzung für eine sinnvolle Lebensführung. Arbeit ist nötig, dem Hunger und Tadel zu entgehen, führt aber auch zu Wohlstand und Ansehen. Ausführliche konkrete Anweisungen Hesiods betreffen die Landwirtschaft - soziales Verhalten des Bauern, alle Verrichtungen zur richtigen Zeit - und Schifffahrt - ebenfalls zur richtigen Zeit. Gilt es beim Landbau, Trägheit und Zögern zu bekämpfen, so bei Seefahrt und Handel leichtfertigen Wagemut.

 

Rund 400 Jahre später hat Aristoteles die Stelle von Hesiod übernommen, wo er von dem spricht, der sich für den recht Weg beraten lassen soll. Seine ganze "Ethik" - als eine "wissenschaftliche" politische Untersuchung - dient daher der Belehrung des Menschen, der sittlich werden kann.

 

Zur selben Zeit verkündete in China Lao-tse: "Die Seltenen sind es, die mich verstehen; und die mir folgen, sind angesehen."

Und worüber lehrte er? Über das Tao, den Weg. "Wahrlich: Wer dem Wege folgt in seinen Geschäften, wird eins mit dem Weg." Genauer noch: "Kannst überbieten andere nur durch dein rechtes Wandeln."

 

Wohl zur Zeit Hesiods wurde auch die Formel geprägt: "Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen" (1. Mose 3,19). Die 5 Bücher Moses, der Pentateuch, wurde als "Thora" zur Lehre der Juden; später bot das ganze "Alte Testament" und das "Neue Testament" den Christen Rat und Trost. Kontraste dazu bildeten etwa die "Strategielehre" von Sun Tsu (500 v. Chr.) und die Kriegslisten des Philon von Byzanz (3. Jh. v. Chr.) oder die Schriften von Xenophon, Platon und Aristoteles über das ideale Staatswesen und den entsprechenden Herrscher. Über Staatskunst schrieben zur selben Zeit in Indien Kautilya und in China Schang Yang und Kung-sun-Yang.

 

Eine interessante Sammlung kurzer Skizzen über die "Urahnen der Ökonomie" hat Walter Braeuer 1981 vorgelegt. Schon Solon, der grosse Athener Gesetzgeber, warf nach 600 v. Chr., als eben die Geldwirtschaft aufgekommen war, seinen Landsleuten "Geldgier und herrischen Sinn, der keine Grenzen mehr kennt" vor. Er wetterte:

  • "Ohne Grenzen ist aber die Gier bei den Menschen nach Schätzen! Sei einer reich, wie er will, lebend in Fülle und Glanz, morgen begehrt er das Doppelte. Sättigt denn je sich die Habsucht?"
  • "Die Bürger, verlockt von der Gier nach dem Golde, wollen der glänzenden Stadt Macht vernichten im Wahn. Ruchlos ist die Gesinnung der Führer des Volkes ... Reichtümer schachern sie all', achten Gesetz nicht noch Recht."
  • "Scharen Verarmter kommen, als Sklaven verkauft, heimatlos weit in die Welt. Tief ist ihr Nacken gebeugt und das Haupt durch schmachvolle Fesseln."

 

Das erste erhaltene wirtschaftliche Lehrbuch ist Xenophons "Ökonomik" (4. Jh. v. Chr.). Sie ist Hauswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre zugleich. Sie erlebte eine plötzliche Wiederauferstehung fast 2000 Jahre später in England (1532) und Frankreich (1516). Der französische Finanzminister Sully, welcher um 1600 den Merkantilismus einleitete, wurde durch sie nachhaltig beeinflusst.

 

Ökonomik wird bei Xenophon definiert als "die Wissenschaft, durch welche die Menschen ihr Hauswesen emporzubringen imstande sind“. Für die Landwirtschaft stellt er folgende Grundsätze auf:

1. Man muss seine Verwalter selbst heranbilden.

2. Die Verwalter müssen wohlwollend und ehrlich sein, wozu man sie erziehen kann.

3. Es muss den Verwaltern gezeigt werden, dass die Sorgfalt ihnen Gewinn bringt.

4. Das Auge des Eigentümers muss auf dem Betrieb ruhen.

5. Der Ehrgeiz der Verwalter muss angespornt werden.

6. Ein Landwirt soll den Winken der Natur folgen und beobachten, was der Boden gern trägt; dies soll er dann anbauen.

 

Mit den grossen Philosophen Platon und Aristoteles setzte aber schon bald die geistige Missachtung praktischer Tätigkeiten und der Bemühungen um ihre Verbesserung ein. Arbeit wird seither als erniedrigend und eines freien Mannes unwürdig empfunden.

Dennoch entwickelte sich eine reichhaltige Fachliteratur für Landwirtschaft und Handwerk, Technik und Taktik, Architektur und Feldvermessung, Kräuterkunde und Medizin. Was davon praktisch verwertbar war, haben später die Mönche des Mittelalters vor dem Vergessen bewahrt.

 

Moralische Ermahnungen waren beliebter, man denke an Philodems "Abhandlung über den Haushalt und über den Hochmut", Vergils "Landleben" ("Georgica" ) oder die "Satiren" und "Briefe" des Horaz.. Sentenzen aus Senecas "Briefen an Lucilius" hat Georg Schoeck 1970 unter dem Titel "Seneca für Manager" zusammengestellt. 1980 zog Alfred Mohler mit "Cicero für Manager" nach, und kürzlich haben Inge und Siegfried Starck gar Odysseus, Laotse und Sokrates "für Manager" aufbereitet. Ebenfalls bis heute geschätzt sind Epiktets "Handbüchlein der Moral", Plutarchs "Von der Ruhe des Gemüts" und Mark Aurels "Selbstbetrachtungen".

Von letzterem stammt der Rat "Weg mit den Büchern, plag dich nicht mehr damit ab", aber auch die Maxime, die später in die Form gegossen wurde

  • „Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben".

 

 

Teil II: Mittelalter

 

Nach dem Untergang der alten Welt in den Wirren der Völkerwanderung gingen wichtige Impulse erst ab etwa dem Jahr 800 von den islamischen Reichen in West (Cordoba) und Ost (Bagdad), von Byzanz und der sog. "Karolingischen Renaissance" aus. Ein neues Bildungsbewusstsein fasste zaghaft Fuss. Im 10. Jahrhundert entstand die Reformbewegung des Klosters Cluny.

Als entgegen allen Erwartungen mit dem Jahr 1000 die Welt nicht unterging, schuf sich eine geistige und wirtschaftliche Dynamik die Bahn, welche bis heute anhielt. Nicht nur brach eine riesige Bauwut aus, sondern auch Handwerk und Handel, Märkte, Burgen und Städte, Technik und Kunst blühten auf. Bruderschaften und Orden, Universitäten und Zünfte wurden gegründet. Aus der Kirchenreform ging ein mächtiges Papsttum hervor, das im 12. und 13. Jahrhundert die "Weltherrschaft" erlangte - und dann stürzte. Die meisten klassischen griechischen Schriften wurden durch Übersetzungen aus dem Arabischen, dann aus den Urtexten in Mitteleuropa bekannt, freilich auch Magie und Alchemie, Mantik und Astrologie.

 

Ideale dieser Zeit waren unter dem Einfluss von Cluny einerseits Askese, anderseits ein militantes Christentum.

"Mit unnachgiebigem Ernst und Eifer wurde die völlige Abkehr von dem verführerisch gleissenden Diesseits erstrebt und gepredigt, zu steter Todesbereitschaft, tätiger Bruderliebe und anhaltendem Gebet um Erlösung gemahnt", heisst es in einem Schulbuch.

 

Bald ergab sich auch ein Aufschwung des mystischen Gefühls. Neben Busse und Armut entstand jedoch auch eine höfisch-ritterliche Kultur, eine erstaunliche Verbindung von Christlichkeit und Laienbildung, Moral und Kriegertum. Das führte zu seltsamen Literaturgattungen: Heldenepen (z. B. Rolandslied, "Lancelot", Nibelungensage), Troubadourlyrik und Minnesang einerseits, Handbücher für die "Verbesserung der Sitten" anderseits. Tugend und Mine, "Mâze", Treue und Milde, Ehre und Seelenheil, anständiges Benehmen und Zucht standen hoch im Kurs.

"Den eigentümlichen Reiz des Ritterethos macht gerade das Schweben zwischen vielen teils nah verwandten, teils auch polaren Idealen aus", schrieb E. R. Curtius 1943.

In abgewandelter Form taucht es noch in der Renaissance auf, z. B. in den höfischen Amadisromanen (1480-95 bearbeitet von Garci Rodriguez de Montalvo, erschienen 1508; dt. 1569) oder als Castigliones "Hofmann" (1528). Den Abgesang bildete Cervantes' Ritter von der traurigen Gestalt "Don Ouijote" (1605).

 

Zu den wichtigen Lebenslehren gehörten eine Sammlung von Sinnsprüchen aus antiken Schriften von Wilhelm von Conches (um 1150), die heimatlich verbundene Novelle des Hartmann von Aue (vermutlich von Eglisau) "Der arme Heinrich" (um 1190), der Erziehungsroman "Parzival" des Wolfram von Eschenbach (um 1200), der "Welsche Gast" des Thomasin von Zerklaere (um 1215) und Freidanks "Bescheidenheit" (um 1230).

Bescheidenheit war nach der mittelalterlichen Morallehre die sittliche Vernunft, das Vermögen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Wie wichtig aber auch die Tischsitten waren, hat Norbert Elias in seiner umfangreichen Studie "Über den Prozess der Zivilisation" (abgeschlossen 1936, neu bei stw 1976) geschildert.

 

Die grossen Kirchenlehrer wandten sich auch dem wirtschaftenden Menschen zu. Das "Decretum Gratiani" (1140), das 1234 kodifizierte "Corpus iuris canonici" und die "Glossa ordinaria" (um 1230) enthielten auch Vorschriften für den Umgang mit Wirtschaftsgütern. Das rechte Mass (moderatio) war das Grundprinzip der christlichen Wirtschaft, und die Arbeit besass zentrale Bedeutung und Würde. In der Praxis wurden Zins- und Luxusverbote trickreich umgangen.

Albertus Magnus begründete, nach marxistischer Auffassung, auf der Basis des "Bedürfnisses" das "feudale Wirtschaftskonzept". Seines Schülers Thomas von Aquins (um 1250) Staats- und Wirtschaftslehre - z. B. Wert- und Arbeitslehre, Eigentumstheorie - wurde für Jahrhunderte ebenso bestimmend wie seine Auffassung über die Seele, die Rolle der Frau und des Teufels.

 

Aber auch eher weltliche ökonomische Anweisungen tauchen seit 1200 wieder auf. Der Mathematiker Fibonacci führte mit seinem "Liber abaci" die arabischen Zahlen in Europa ein und löste als erster Probleme des kaufmännischen Rechnens, z. B. Tilgung von Darlehen. Werner Sombart (1902) setzt hier die "Genese des ökonomischen Rationalismus" und des modernen Kapitalismus an.

Seither wurden von den Banken, Handelshäusern und städtischen Finanzverwaltungen in Oberitalien doppelte Buchhaltung, Inventur, Kostenrechnung und andere buchhalterische Notwendigkeiten praktiziert (Belege dafür schon um 1300). Handbücher für Kaufleute gab es vom Florentiner Kaufmann und Agenten der Bardi F. B. Pegolotti ("Pratica della Mercatura" 1343), später von Johannes Nider (Tractatus de contractibus mercatorum" 1430) und schliesslich die kaufmännische Erziehungslehre von Benedetto Cotrugli (1458), die allerdings erst 1573 gedruckt wurde.

 

Fast 300 Jahre lang war das um 1250 von Walter de Henley auf Französisch geschriebene Buch "Hosebondrie“ das massgebliche Werk für Landwirte und die Führung eines Haushalts. Ihm folgten Brunetto Latiinis "Li Livres dou Trésor" (um 1265; gekürzt deutsch: "Tesoretto" 1979) und Sandro Pipozzo di Sandros "Trattato di governo della famiglia" (1299). Des Bolognesers Petrus de Crescentiis "Liber cultus ruris“ (1305) war zunächst in Hunderten von Abschriften, dann auch gedruckt bis nach 1600 ein europäischer Bestseller.

 

Noch erstaunlicher ist, dass gleichzeitig auch die landwirtschaftlichen Schriften der alten Griechen und Römer wieder Furore machten.

  • Der spanische Bischof Pedro Gallego übersetzte um 1250 eine ökonomische Schrift, die auf griechische Vorlagen zurückgeht, aus dem Arabischen ins Lateinische.
  • Die pseudo-aristotelische "Ökonomie" wurde etwa zur gleichen Zeit in Süditalien direkt aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt, 1370 vom Geldtheoretiker Nicolaus d'Oresme ins Französische und 1420 von Leonardo Bruni für Cosimo Medici erneut ins Lateinische.
  • Um 1440 erschien "Palladius on husbandrie" auf englisch.
  • 1472 erschien die erste gedruckte Sammelausgabe der klassischen "Scriptores Agriculturae", 10 Jahre später von Georg Mercula eine Sammlung der "res rusticae" von Cato, Varro, Columella und Palladius.
  • Nach 1525 erschienen in rascher Folge auf Deutsch:
    Xenophon, Columella, Palladius sowie die neu entdeckte "Geoponica", eine byzantinische Sammlung aus dem 10. Jh. über den "veldbaw".
  • Die französische Übersetzung von Xenophon erlebte 1516-1561 nicht weniger als 12 Auflagen, die englische Übersetzung 1532 durch Gentian Hervet erreichte in kurzer Zeit 7 Auflagen.

 

Doch es gab in der vielfältigen, farbigen und kontrastreichen Welt des Hoch- und Spätmittelalters nicht nur den wiederentdeckten "antiken" Landbau und den aufstrebenden Kapitalismus.

Nach 1300 wurde das ritterliche Ideal in Italien allmählich abgelöst vom humanistischen und bürgerlichen Ideal. Petrarca sah es in der Verbindung so gegensätzlicher Tugenden wie Selbstgenügsamkeit und Gemeinsinn. Der Florentiner Kanzler Coluccio Salutati (um 1400) meinte, das theoretische Wissen diene der Betrachtung des Wahren, die praktische Klugheit aber solle sich mit dern Guten, und zwar in der Gestalt des "Gemeinwohls", befassen.

Nördlich der Alpen kam durch die Mystik von Eckhart, Tauler, Seuse und van Ruysbroeck eine neue, breite Frömmigkeit auf. Die unter dem Namen Thomas von Kempen veröffentlichte "Nachfolge Christi" (um 1420) wurde in ungezählten Auflagen und Übersetzungen auf Jahrhunderte hinaus das am meisten verbreitete Buch meditativer Sammlung; noch heute sind nicht weniger als neun verschiedenen Ausgaben davon käuflich. Die etwas ältere anonyme "Theologia deutsch" (um 1400) inspirierte noch Martin Luther.

"Weder die Reformation noch der Katholizismus des 16. Jahrhunderts sind ohne die Ausstrahlungen der mittelalterlichen, vor allem der deutschen Mystik zu verstehen", schrieb Winfried Zeller 1967.

 

Heute noch lesenswert sind die vier Bücher des grossen "uomo universale" der Renaissance, Leon Battista Alberti, "Über das Hauswesen" (1444; dtv 1986). Richtig haushalten muss man vor allem mit drei Dingen: den Regungen der Seele, dem ihr gehorchenden Körper und der verfügbaren Zeit. Die Tugend besteht in der Einhaltung des richtigen Masses, der - wie schon Aristoteles und die Stoa forderten - richtigen Mitte zwischen zwei Extremen. So liegt etwa Freigiebigkeit zwischen Geiz und Verschwendung.

 

Albertis Zeitgenosse Matteo Palmieri begründete die Theorie des bürgerlichen Gemeinwesens ("Della vita civile“, 1438), und Lorenzo Valla stützte den Utilitarismus auf die natürliche Lust ("De voluptate", 1431). Er fasste die Lust als das einzige und wahre Gut auf, oder umgekehrt: "Jede Lust ist gut." Sie ist zugleich Voraussetzung wie Folge der richtigen Praxis. Sie entwickelt die Personalität des einzelnen vor dem Hintergrund der ganzen Gemeinschaft. Tapferkeit und Gerechtigkeit sind Leerbegriffe. Wenn man auf die Fakten schaut, sieht man erstens, dass jeder nach seinem Vorteil strebt, zweitens: "Die Guten sind immer dem Nutzen gefolgt", und drittens: Der Gemeinsinn beurteilt eine Handlung nach ihren Auswirkungen; Massstab ist der Vorteil oder Schaden, den sie öffentlich bewirkt. Es ist also nicht dem einzelnen überlassen, nach Willkür oder Sensibilität des Gewissens selber Gut und Böse zu interpretieren. Die Gemeinschaft übt einen Zwang zu ethischem Verhalten aus, so dass jeder sagen muss:

  • "Wenn ich auch alles nur um meinetwillen tue, so will ich doch dem anderen daher nützlich sein, um in gleicher Weise auch mir nützlich zu sein."

 

 

Teil III: Neuzeit bis zur Aufklärung

 

Seit dem Aufkommen des Buchdrucks reisst der Strom der Ratgeberliteratur nicht mehr ab. Von Luther ausgehend entfaltete sich in Deutschland eine "Hausväterliteratur", von Calvin ausgehend im angelsächsischen Raum die sog. "domestic conduct books". Während für Luther der Beruf (vocatio) schicksalshaft vorgegeben ist, ist er dem Puritaner nur aufgegeben, d. h. er muss ihn erst suchen. Die Lutheraner waren wirtschaftlich eher konservativ. Für die Puritaner aber war die Wirtschaft ein dynamisches Geschehen. Erich Egner (1985) schreibt:

"Durch wagemutigen unternehmerischen Einsatz von Arbeit und Kapital suchte man das eigene Gewissen im Einsatz über die Erlangung der göttlichen Gnade zu beruhigen. Der wirtschaftliche Erfolg galt als die Bestätigung oder doch die Vermutung der göttlichen Gnade, die dem so handelnden Gläubigen zuteil werde."

 

Max Weber (1904/5) hat Benjamin Franklin als Prototyp dieses Wirtschaftsmenschen herausgestellt. Dessen 13 "Tugenden samt ihren Vorschriften" (ca. 1730) sind die Essenz jahrtausendelangen Moralisierens.

 

Parallel zur christlichen Haushaltführung und zum stark altgriechisch und altrömisch orientierten Landbau entstanden aber auch landwirtschaftliche Anweisungen, bei denen sich eine Abkehr vom traditionellen Tun und eine Hinwendung zur "rationalen Gestaltung" feststellen lässt (Wolf-Hagen Krauth 1984). Longseller wurden z. B. Gabriele Alonso de Herreras "Obra de Agricultura" (1513; über 20 Auflagen bis 1819), Charles Estiennes "L'agriculture et maison rustique" (seit 1535; dt. 1580) und Agostino Gallos "Le venti giornate dell'agricoltura" (1572).

Das massgebliche christliche Haushaltwerk wurde vom schlesischen Prediger Jacob Coler und seinem Sohn Johann 1592 zusammengestellt; es wurde ständig erweitert bis 1711 immer wieder neu aufgelegt.

Dem Kaufmann standen Rechenbücher (seit 1478) und Abhandlungen über die Buchhaltung zur Seite, etwa vom Franziskanermönch Luca Pacioli (1494) oder vom Hauptbuchhalter der Fugger, Matthäus Schwarz (1518), später hauptsächlich von Fachleuten aus Nürnberg und Antwerpen.

 

Als Kontrast dazu herrschte ein beträchtlicher Boom in Psychologie und Esoterik. Salonfähig war beides gegen 1500 an der Universität Padua resp. an der Florentinischen Akademie geworden. Hermann Schüling hat  1967 etwa 1400 Buchtitel aus dem 16. Jahrhundert zusammengestellt.

Enorme Auflagen erreichten einerseits Bücher von Aristoteles, Alexander Aphrodisiensis (2. Jh. n. Chr.), Galenus (2. Jh. n. Chr.) und Plutarch sowie Ficino, Vives (1538), Melanchthon (1540) und Cardanus (1545), anderseits über Physiognomie, Traumdeutung, Chiromantie, Astrologie und Gedächtniskunst. Eine anonyme "Chiromantia" (v. Joh. Hasius) erschien bereits vor 1500 in 12 Auflagen, eine andere von A. Tibertus 1494. Die volkstümliche Physiognomik des "Complexionsbüchleins" (1511) wird 1540 in das "grosse Planetenbuch" aufgenommen und erlebt insgesamt im 16. Jh. 39 Auflagen. Andreas Corvus' Chiromantie (ca. 1500) wurde ebenfalls in das "grosse Planetenbuch" aufgenommen, aber auch (1533) in B. Cocles' Compendium über Physiognomie und Chiromantie (zuerst 1504), sodass sie nicht weniger als 47 Auflagen erreichte. Selbstverständlich liefen die Drucke noch lange weiter. Das Traumbuch des Artemidor von Daldis (2. Jh. n. Chr.; bei dtv 1979) erschien in ca. 30 Auflagen, Macrobius' "Traum des Scipio" ebensohäufig. Alle chiromantischen Bücher kamen 1590 auf den Index.

 

Eine der unzähligen universellen und eigenwilligen Gestalten dieser Zeit war der Napolitaner Giambattista della Porta. Aufsehen erregten seine - auf antike Quellen zurückgehenden - Vergleiche von Menschenköpfen mit Tierköpfen in "De humana physiognomonia" (1586). Er hat aber auch mit der Camera obscura herumexperimentiert und sich mit hydraulischen Versuchen beschäftigt. Allerlei Kurioses sammelte er in einem Werk "Magia naturalis", zuerst 1558, dann stark erweitert 1589, und in Neapel richtete er eine "Academia secretorum naturae" ein. Sein landwirtschaftliches Lehrbuch trägt den Titel "Villae" (1592).

 

Der Begriff "civilité“ welcher im 16. Jahrhundert die "courtoisie" (Höfischheit, Hofzucht, Höflichkeit) ablöste - erhielt seine spezifische Prägung durch eine kleine Schrift des Erasmus von Rotterdam: "De civilitate morum puerilium" (1530). In den ersten sechs Jahren wurde das Büchlein 30 Mal aufgelegt. Im ganzen lassen sich mehr als 130 Auflagen feststellen, davon noch in der Aufklärungszeit (18. Jh.) 13; Übersetzungen, Nachahmungen und Weiterbildungen sind sonder Zahl.

Das Gegenbild wurde im ebenfalls weit verbreiteten "Grobianus" (um 1550) gezeichnet. Das italienische Anstandslehrbuch dieser Zeit stammt vom Erzbischof Giovanni della Casa: "Il galateo" (1558); es wurde sogleich ins Französische und Englische übersetzt (deutsche Neuausgabe 1988 bei Manutius).

 

Die „Ricordi“ (Beherzigungen) des Politikers und Chronisten Francesco Guicciardini (1512-30; dt. 1942) sind Freunden und Nachkommen als Lebenshilfe gewidmet.

Eine höfische Didaktik bot Antonio de Guevara: „Menosprecio de corte y alabanza de aldeo“ (1539); deutsch z. B. unter dem Titel: „Das vergnügte Land- und beschwerliche Hof-Leben“ (1725).

 

Sehr bedeutsam im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert wurden zwei Literaturgattungen religiöser Art: die Mystik und die heute fast vergessene Erbauungsliteratur.

Der auch als Schwärmer verschriene Sebastian Franck zeigte in seiner "Geschichtsbibel" (1531) und in seiner "Cosmographia" (1534), wie der Mensch die Entscheidung hat zwischen Gott und Teufel. Die "Paradoxa" (1534) kreisen ganz um die Wirklichkeit Gottes. Ihnen folgten Valentin Weigel, dessen Werke aber erst einige Jahrzehnte nach seinem Tod gedruckt erschienen - z. B. "Nosce te ipsum" 1615 -, und Jakob Böhme mit seinen theosophischen Werken wie "Aurora oder Morgenröte im Aufgang" (1612) und "Mysterium magnum" (1623). Die geistlichen Hirtenlieder von Angelus Silesius erschienen unter dem Titel "Heilige Seelen-Lust" im selben Jahr wie der "Cherubinische Wandersmann", 1657. In Spanien hatte die Mystik mit der Heiligen Theresa und Johannes vom Kreuz ihre Blüte gehabt.

 

In Frankreich gilt Jeanne-Marie Bouvier de la Mothe-Guyon als Mystikerin. Ihr umfangreiches Lebenswerk wurde nach ihrem Tod von schwärmerischen Anhängern bekannt gemacht. Ihre Autobiographie (1720)wirkte weit in den Protestantismus hinein.

 

Die vielgelesenen Erbauungs- oder Andachtsbücher kann man bis auf Thomas van Kempis "Nachfolge Christi" und Martin Luthers Kirchen-Postillen (1527) zurückverfolgen. Im Barock machte Johann Arndt mit seinen "Vier Büchern vom wahren Christentum" (1605-08) und dem "Paradiesgärtlein voller christlicher Tugenden" (1612) den Anfang. Nach dem Dreissigjährigen Krieg folgten Heinrich Müller mit zahllosen Predigtsammlungen und Erbauungsschriften, u. a. den "geistlichen Erquickstunden" (1664), und Christian Scriver, u. a. mit seinem "Seelenschatz" (1675).

Philipp Jacob Spener begründete 1670 den Pietismus; grundlegend wurden seine "Pia desideria" (1675) und die "Einfältige Erklärung der christlichen Lehre" (1677). Ähnlich wirkten in England Richard Baxter mit seinem Werk "Die ewige Ruhe der Heiligen" (1650) und John Bunyan mit seiner "Pilgerreise aus dieser Welt in die zukünftige" (1678ff; neu bei Oesch 1988).

An Spener angelehnt ist auch von Johann Friedrich Starck: Tägliches Handbuch in guten und bösen Tagen“ (1727), immer wieder aufgelegt bis 1960.

 

Bis heute nicht abgerissen ist die Diskussion, die sich um den "Principe" entspann, vom Florentiner Machiavelli 1513 in der Verbannung geschrieben, aber erst fünf Jahre nach seinem Tod gedruckt erschienen (1532). Angeregt davon verfasste Gian Francesco Lottini um 1570 eine ökonomische Schrift für den Grossherzog der Toskana, Francesco Medici. In seiner saloppen Art gibt Dieter Schneider (1981) eine Inhaltsangabe:

"Wir fühlen Vergnügen bei der Befriedigung unserer Bedürfnisse, das sind die Wünsche nach Nahrung und Sex. Mässigung sei angezeigt und Vernunft scheide den Menschen vom Tier. Der Mensch beachte nicht immer hinreichend die Zukunft, er überschätze seine gegenwärtigen Bedürfnisse, weil er seinen Gefühlen folge und nicht seiner Vernunft."

 

Ausgehend von den wirtschaftlichen Miss- und Notständen in seinem Land verfasste 1549 Johan Hales einen Traktat "of the Common Weal of this Realm of England" (gedruckt allerdings erst 1581 stark verändert). Er machte für alles die Münzverschlechterung verantwortlich, die vom König ausgelöst worden sei. Er entwickelte bereits ein finanzwirtschaftliches Kreislauftheorem und Gedanken, die sich bei Adam Smith wieder finden, etwa die Steuerung der Wirtschaft nicht durch Verbote, sondern durch Gewinnanreize - denn der Mensch werde nun einmal von seiner Habsucht geleitet. Seine Forderungen blieben ungehört, und die Krisen verschärften sich. Das führte zu einer Flut von ökonomischen Schriften, auch in andern Ländern.

 

Die Begründung der neuzeitlichen Wissenschaft bald nach 1580 durch Galilei, Stevin und Libavius führte bald zu einem mechanistischen Denken und zu einer Überwindung des Aristotelismus, brachte aber auch einen frischen Wind in die moralisierende Literatur.

 

1580 schilderte der Seigneur de Montaigne in seinen "Essais", wie er sein Hauswesen führte. Seine klugen Beobachtungen erstaunen uns heute noch. Francis Bacon, einer der Begründer der Theorie der neuzeitlichen Wissenschaft, liess sich davon zu seinen "Essays moral, economical and political" (1597, vervollständigt 1625) anregen. Doch seinen Plaudereien über Lebensklugheit und Menschenkenntnis fehlt der Charme seines Vorgängers. Da heisst es etwa:

  • "Denn die Zeit ist der Massstab für Geschäfte wie das Geld für die Waren."
  • "Geld gleicht dem Dünger, der wertlos ist, wenn man ihn nicht ausbreitet."
  • "Die Gedanken der Menschen richten sich meist nach ihren Neigungen, ihre Gespräche nach ihren Meinungen, ihre Handlungen nach ihren Gewohnheiten."
  • "Wer sich nur so gibt, wie er ist, muss ungemein grosse Tugenden besitzen."
  • "Der grösste Vertrauensbeweis der Menschen liegt darin, dass sie sich voneinander beraten lassen."

 

Fortan erfreute sich das Essayistische, oft auch Aphoristische und Epigrammatische (z. B. Logau) für Satiren wie Lebens- und Sittenlehren grosser Beliebtheit. Man begann, den Menschen und sein merkwürdiges Verhalten näher unter die Lupe zu nehmen. Unvergessene Charakterzeichnungen sind etwa Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig" (1600) oder die Projektemacher in Ben Jonsons "Alchemist" (1610) und Molières "Fâcheux" (1661).

 

Anfang des 17. Jahrhunderts entstand in England eine neue Literaturgattung, die Beschreibung von Menschentypen. Bereits in der „commedia dell’arte“ (seit ca. 1550) und in den Komödien von Ben Jonson (um 1600) wurden menschliche Charaktere teils liebevoll, teils satirisch typisiert. Von 1605 bis 1710 erschienen in England nicht weniger als 160 Charakterbücher; die bekanntesten davon von Bischof Joseph Hall (1608; dt. 1701), Thomas Overbury (1614) und John Earle (1628). Die „Characters“ von  Samuel Butler (um 1670 geschrieben) wurden  erst 1759 aus dem Nachlass herausgegeben. Im Unterschied zum Studium der Psyche nach der Temperamentenlehre bieten diese Werke empirische Bestandesaufnahmen und streng wertende Schilderungen von Sitten und Masximen.

 

Zeitgenössische Sitten schilderten nicht nur die grossen Dramatiker und Dichter, sondern auch Satiriker wie Quevedo ("Sueños" 1627), Andreas Gryphius ("Horribilicribrifax" 1648), Grimmelshausen ("Simplicissimus" 1669) und Samuel Butler ("Hudibras" 1663). Madeleine de Scudéry, in den Salons des Hötel de Rambouillet als Sappho gefeiert, fasste ihre Schilderungen in 10 Bände "Artamène ou le grand Cyrus" (1649-53). Koketterie und Galanterie, Amüsement und Esprit waren damals Trumpf. Die Memoiren des Seigneurs de Brantôme aus der Anfangszeit dieses teils gebildeten, teils frivolen Hoflebens waren offenbar so brisant, dass sie erst 50 Jahre nach seinem Tod erscheinen durften, nämlich 1665.

Philipp von Zesens "Adriatische Rosemund" (1645) und Marie-Madeleine de Lafayettes "Prinzessin von Cleve" (1678) werden als erste psychologische Romane gerühmt. La Fontaine kleidete seine Beobachtungen in bissige Fabeln (1668-94).

 

Heute noch von vielen geschätzt wird eine Auswahl von 300 Sentenzen und Maximen, die ein Freund aus den Werken von Balthasar Gracián 1647 zusammengestellt hat. Dieses "Oraculo manual, y arte de prudencia" wurde bald unter dem falschen und veralteten Titel "L'homme de court" ins Französische und Deutsche übertragen; erst seit Schopenhauers sorgfältiger Übersetzung (1862) heisst es richtig: "Handorakel". Der Jurist und Aufklärer Christian Thomasius, verdient um die Bekämpfung der Hexenverfolgungen, hat in bewusster Anlehnung als Gracián in seiner "Introductio in philosophiam aulicam" (1688) zu weltmännischer Klugheit erziehen wollen (deutsch: "Kurzer Entwurf der politischen Klugheit" 1702). Der Universalgelehrte Hermann Conring scheute sich nicht, 1665 die 40 Jahre zuvor in Venedig erschienene Schrift des Scipio Claramontius über Menschenkenntnis neu herauszugeben: "Über die Kunst, die Sitten und die verborgenen Leidenschaften eines jeden zu vermuten" (allerdings lateinisch; auch noch 1704).

 

Der Arzt Marin Cureau De La Chambre war im geheimen Personalberater des Sonnenkönigs, Ludwig XIV., und zwar selektionierte er mittels Physiognomik. Er verfasste zahlreiche psychologische Schriften, darunter "L'Art de connoistre les hommes" (1659; deutsche Ausgabe 1794).

Tiefe Einblicke in die Psyche und Leiden des Menschen vermittelten auf unterschiedliche Weise Pierre Charrons "De la sagesse" (1601; um 1780/1800 mehrmals ins Deutsche übersetzt), Francísco de Quevedos "Sueños" (1627; vollständig bei Insel 1966), Lope de Vegas "Sein ist Schein" (im 2. Band der "Ausgewählten Werke" 1961) und Calderóns „Das Leben ist ein Traum“ (1636) oder La Rochefoucaulds "Réflexions ou Sentences et Maximes Morales" (1665-78; u. a. bei reclam 1965), Pascals "Lettres provinciales" (1657; dt. 1773) und "Pensees" (posthum 1669; jetzt vollständig bei Insel 1987), Lamothe Le Vayers „Cinq dialogues“ (1671; dt. 1716) und La Bruyères "Caractères" (1688; dt. 1789 und 1886).

 

John Lockes "Gedanken über Erziehung" (1693; bei reclam 1970) wurden noch fast hundert Jahre später von den Philanthropen in die 16bändige "Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher" (1785-91) aufgenommen und kritisch kommentiert. Sie sind auch heute noch grösstenteils beherzigenswert.

Noch einflussreicher wurde des Erzbischofs Fénelons Erziehungsroman "Télémaque" (1699), der bis 1717 verboten war, dann aber in fast allen Ländern Furore machte (1984 bei reclam).

 

Für die Ökonomie wichtig wurden die Schriften der deutschen und österreichischen Kameralisten, z. B. Veit Ludwig von Seckendorffs "Teutscher Fürsten-Stat" (1656), Johann Joachim Bechers "Politischer Discours" (1668), Philipp Wilhelm von Hörnigks "Österreich über alles, wann es nur will" (1684) und Wilhelm von Schröders "Fürstliche Schatz- und Rent-Cammer" (1686).

Olivier de Serres "Théätre d'agriculture et mesnage des champs" von 1600 erlebte bis 1804 zwanzig Auflagen.

Für Kaufleute gab es von John Wheeler "A Treatise of Commerce" (1601), "Il Negotiante" von Giovanni Domenico Peri (1638, erweitert 1682) und das Handelslehrbuch von Lewes Roberts (1638).

Eine christliche Morallehre legte J. D. Kassel vor unter dem Titel "Das Interesse eines Gewissenhafften Kauffmans" (1674).

 

Fundamente Bedeutung erhielt "Le parfait Négociant" von Jacques Savary. 1675 erschienen, wurde er sogleich ins Deutsche übersetzt und bis 1811 immer wieder neu aufgelegt. Das englische Büchlein "of universal Instruction in Trade and Management of affairs" (1688) erlebte unter dem Titel "The Exact Dealer" immerhin fünf Auflagen.

Daniel Defoe war nicht nur, wie Dieter Schneider (1981) karikiert, "bankrotter Kaufmann, Geheimagent, Journalist und Verfasser des Robinson Crusoe", sondern er befasste sich auch zeitlebens mit wirtschaftlichen Fragen. Er schrieb eine Geschichte der Piraterie und Pamphlete gegen den Londoner Börsenhandel, genauer gegen die Stock-Jobbers (1701, 1719). Sein "Complete English Tradesman" (1727) brachte es in kurzer Zeit auf fünf Auflagen. Ähnliche Schriften gab es in Deutschland von Marperger, von Rohr, Ludovici, May und Büsch.

Johann Michael Leuchs führte in seiner "Handlungswissenschaft" (1791) und in seinem "System des Handels" (1804) die "Lehre des Wahrscheinlichen im Handel (= Speculationslehre, Muthmassungslehre)" ein. Der erste Börsenleitfaden wurde gleich ein Bestseller: Thomas Mortimers "Every man his own Broker" erreichte von 1761-1807 14 Auflagen (Reprint 1969).

 

Offenbar stand es damals um das Geschäftsgebaren nicht zum Besten, sonst wären nicht von 1750-1800 zahlreiche Schriften zum Thema "Moral für Kaufleute" erschienen, vor allem auch als Wegweiser für junge Kaufleute in den damals entstandenen Handelsschulen sowie in Fachzeitschriften für den Handel. Der Populärphilosoph Christian Garve stellte in den Kommentaren zu seiner Übersetzung von Ciceros "Pflichten" (1788) ebenfalls "Betrachtungen über die Handels-Moral" an. Insbesondere wurde auch diskutiert, ob der Kaufmann "hazardieren" dürfe.

Johann Carl May rechtfertigte um 1770 den Handelsgewinn durch das Risiko und meinte:

  • "Es ist aber bey allen Mitteln, welche ein Mensch ergreiffen kann, zu gewinnen und reich zu werden, stets zu beobachten, dass sie weder die Tugend beleidigen noch die Gewissensruhe stören dürfen."

 

 

Teil IV: Aufklärung bis Anfang 20. Jahrhundert

 

Nachdem es technische Bilder- und Handbücher seit der späten Renaissance in reicher Zahl gegeben hatte, kamen in der Aufklärungszeit die Lexika auf. Für die Philosophen und Sprachforscher bedeutsam wurden der "Dictionnaire historique et critique" von Pierre Bayle (1695-98; deutsch von Gottsched 1741-44)und das "Philosophische Lexikon" von J. G. Walch (1726), für das breitere Publikum Johann Hübners "Curieuses und reales Natur-Kunst-Berg-Gewerck-Handlungslexicon" (1712), die englische "Cyclopaedia" (1728), die deutschen Universallexika von Zeller (1732-50) und Jablonsky (um 1750) sowie die französische "Encyklopédie" (1751-80) und Réaumurs "Descriptions des Arts et Métiers" (posthum 1761-88, deutsch 1762-1805). Unentbehrlich wurde Malachy Postlethwayts "Universal Dictionary of Trade and Commerce" (1751-55).

 

Dann wurde Technologie Mode. Johann Georg Krünitz' "Ökonomische Encyklopädie", die ab 1773 erschien, hiess ab 1784 "Ökonomisch-technologische Encyklopädie" und umfasste schliesslich nicht weniger als 242 Bände. Johann Beckmanns "Anleitung zur Technologie" (1777) erschien 1823 in siebter Auflage. J. K. G. Jacobssons "Technologisches Wörterbuch" erschien ab 1781.

Technologie war seit etwa 1750 ein Lehrfach in den sog. Realschulen; die Franzosen führten nach der Revolution die "polytechnique" in die höhere Volkserziehung ein.

 

Ebenfalls schon in der Renaissance war ein Methodenbewusstsein aufgekommen. Stephan Otto zählt im 3. Band von Reclams "Geschichte der Philosophie" (1984) auf zwei Seiten über zwei Dutzend Bücher aus dem 16. Jahrhundert auf, welche Methoden für alle möglichen Gebiete enthalten, z. B. zum Briefeschreiben und Lesen, für die astronomische Forschung, für Theologie, Jurisprudenz, Logik und Mathematik, usw. Otto meint, dass Francis Bacons "Novum Organum" (1620) und Rene Descartes "Discours de la méthode" (1637) nur vor dem Horizont der Methodendiskussion in der Renaissance interpretiert werden dürfen. Eine Zusammenfassung der Descartschen Methode bot die sog. "Logik vorn Port-Royal": "La logique ou l'art de penser" (1662).

 

Auch Methoden zum Erfinden wurden angepriesen, etwa die "Heuretica" des Geistlichen Simon Sturtevant (1612) und die "Medicina mentis" des Grafen von Tschirnhaus (1687; deutsch 1963) oder die Anleitungen zur Kombinatorik von J. H. Alstedt ("Clavis artis Lullianae", 1609) und Leibniz ("Ars inveniendi" (1669). Eine legendäre Variante wurde der “Poetische Trichter, Die Teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in VI Stunden einzugiessen" von G. P. Harsdörffer (1647; Nachdruck 1971), besser bekannt unter der Bezeichnung "Nürnberger Trichter". Derselbe Autor versuchte auch, gesellschaftliche Lebensformen durch "Gesprächsspiele" zu fördern: In 8 Bänden "Frauenzimmer-Gesprächsspielen" (1641-49; Neudruck 1968/69) vermittelte er den Frauen der kulturellen Oberschicht die neue Bildung, heisst es in einem heutigen Lexikon.

 

Auch in der Aufklärung waren Methoden-Bücher weit verbreitet. Da gab es eine "méthode pour apprendre aux dames ä bien babiller" (1747), Koch- und Backbücher, unzählige Methoden, "geschickte Excerpte zu machen" (1724), gute Briefe zu schreiben und Sprachen zu lernen, ja sogar "die Geometrie von sich selbst zu erlernen" (1780-87). Eher exotisch mutet die Methode an, "alle Arten von Scheintoten wieder zu beleben" (1791).

 

Der Zürcher Theologe und Gymnasiallehrer Johann Jakob Breitinger verfasste eine "Catechetische Anweisung zu den Anfangsgründen des richtigen Denkens" (zuerst lateinisch: Principia artis cogitandi“, 1736) und der Lehrer und Pastor Karl Heinrich Krause „Denkübungen für Elementarschulen“ (1813; 7. Aufl. 1844).

In eine etwas andere Richtung ging die "Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Grundsätzen des gemeinen Menschenverstandes" (1782; engl. 1764) des schottischen Common-sense-Philosophen Thomas Reid. Aus dem früheren "Gemeinsinn" wurde hier der "gesunde Menschenverstand" mit seinen intuitiv gewissen Urteilen, "self-evident truths" oder Axiomen. Weitere Schriften von ihm wurden posthum unter dem Titel "Essays on the Powers of the Human Mind" (1803) zusammengefasst.

 

Offenbar hinterliess die Zerstörung der Religion, welche durch die Aufklärung vorangetrieben worden war, eine zunehmende Orientierungslosigkeit. Ab 1730 setzte daher eine Esoterik- und Okkultismuswelle ein, z. B. Erweckungs- und Bussbewegungen in den USA und in England, Hochgrade in der Freimaurerei und Tarot-Deutungen, Swedenborg, Oetinger, Hamann und Saint-Martin, der Graf von Saint Germain, Cagliostro und Mesmer, die chassidischen Lehren und kommunistischen Utopien.

Anderseits wurden die frühen französischen Moralisten und Skeptiker wieder entdeckt und vielfach erstmals ins Deutsche übertragen. Der Arzt Ernst Platner, der Philosoph Fichte, die Schriftsteller Nicolas Chamfort (dt. vollständig: „Ein Wald voller Diebe“, 1987) und Friedrich von Schlegel, der Physiker Lichtenberg sowie der Dichter und Naturforscher Goethe fassten ihre Beobachtungen und Thesen in Aphorismen.

Auch ein breiter populärphilosophischer Strom entstand, vielfach verbunden mit ästhetischen oder erzieherischen Absichten. Stellvertretend für viele Schriften stehen J. B. Basedows "Methodischer Unterricht" (1764), G. E. Lessings "Erziehung des Menschengeschlechts" (1777) und J. G. Herders "Briefe zur Beförderung der Humanität" (1793-97).

 

Trotz einer verbreiteten Auffassung ist der "Knigge", der 1788 erschien, kein "Knigge". Es ist, wie es im Vorwort zu einer heutigen Ausgabe heisst, kein flaches "Komplimentierbuch", keine Anweisung zur Beherrschung der konventionellen Umgangsformen, sondern ein kulturhistorisches Dokument ersten Ranges, dessen Sinn sich auf dem Hintergrunde seiner Entstehungszeit und der politischen Intentionen seines Verfassers enthüllt.

"Knigge wollte nicht einzelnen Parvenüs die Anpassung an eine vermeintlich noch existierende feudalistische Oberschicht ermöglichen, sondern den Aufstieg des moralisch und bildungsmässig zur Führung der Gesellschaft berufenen Bürgertums durch wegweisende Gedanken voll kluger Ironie und tiefer Einsicht in die menschlichen Unzulänglichkeiten vermitteln."

 

Iring Fetscher meint, man könne den Knigge als eine Parallele zu Schillers "ästhetischer Erziehung des Menschen" (1795) auffassen.

"Wie Schiller durch die Kunst das Bürgertum an seine neue, höhere politische Aufgabe heranführen wollte, so Knigge durch die Lebensklugheit und die Fähigkeit des Umgangs mit Menschen.“

 

Lebensklugheit hiess fortan die Devise. Schon 1772 war in einer anonymen Schrift "Über die moralische Schönheit und die Philosophie des Lebens" empfohlen worden, "die Kräfte und Eigenschaften der Seele nach den Erscheinungen im menschlichen Leben, mit Beihilfe der Geschichte, sorgfältig zu bemerken". Und nun entstand eine Bewegung, die man aus späterer Sicht als "Psychohygiene" bezeichnen kann. Um ihre Vermittlung bemühten sich Ärzte wie Ch. W. Hufeland mit seiner Makrobiotik und Hahnemann mit seiner Homöopathie oder der Landwirt Priessnitz mit seiner Kaltwassertherapie und der Lehrer Jahn mit seiner Turnkunst.

 

Philosophen und Denker aller Art betätigten sich als Lebensratgeber, etwa Fichte mit seiner "Anweisung zum seligen Leben" (1806), Ernst von Feuchtersleben mit seiner "Diätetik der Seele" (1838), Julius Galba mit seiner "Allgemeinen Lebensphilosophie" (1849) und Schopenhauer mit seinen Aphorismen zur Lebensweisheit in den "Parerga und Paralipomena" (1851).

 

Seit Ende des 18. Jahrhunderts tauchen in Deutschland immer mehr Bücher auf, die folgendermassen beginnen:

  • "Makrobiotik, oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" (Ch. W. Hufeland 1796)
  • "Die Kunst, sich glücklich als Kaufmann oder Fabrikant zu etablieren" (E. Meyer 1803)
  • "Die Kunst, reich zu werden" (J. M. Leuch 1826)
  • "Der Spekulant; oder die Kunst, in schwereren Zeiten ohne Nahrungssorgen zu leben. Ein praktisches Noth- und Hülfsbuch für alle Stände" (von Dr. H. 1826).

 

Auf Englisch erreichte eine Schrift "The Art of Stockjobbing, explained" in den 1810er Jahren acht Auflagen. Um 1830 setzte im angelsächsischen Sprachraum die "How to"-Bewegung ein. Einer der ersten Titel lautete "How to be happy". Gleichzeitig taucht der Begriff "Know-how" auf; er wurde aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Ein Bestseller wurde "How to be personally efficient in business", der 1915 die zehnte Auflage erreichte. Gerade damals blühte eine reiche Efficiency-Literatur auf.

 

Viel gelesen wurden Ralph Waldo Emersons "Essays" (1841; deutsch 1858, neu bei detebe 1983) und "Führung des Lebens" (dt. 1862; um 1900 erneut dreimal ins Deutsche übersetzt), von Thomas Carlyle "Über Helden und Heldenverehrung" (1841; dt. 1853) sowie "Arbeiten und nicht verzweifeln" (dt. erst 1902) und von Samuel Smiles "Seif help" (1859), das 1866 gleich zweimal auf Deutsch übersetzt wurde und seit 1881 unter dem Titel "Selbst ist der Mann" lief.

Von John Lubbock erschienen auf Deutsch "Die Freuden des Lebens" (1889), von John Ruskin unter anderem "Wie wir arbeiten und wirtschaften müssen" (1896) und "Aphorismen zur Lebensweisheit" (1899).

 

Um 1900 tobte, wenn man einer Buchtitel des Philosophen Rudolf Eucken benützen will, erneut "Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt". Entsprechende Ratgeber waren, wie zu allen Zeiten, rasch zur Hand.

 

(ca. Herbst 1989 geschrieben)


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