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Dr. Günter Pflanzl: Geist der  Freimaurerei. Ursprung, Weg und Ziel. Herausgegeben von Hans-Ingo Heins. Leipzig: Engelsdorfer Verlag 2007.

 

 

Dieser knapp 400seitige Band enthält 36 „Zeichnungen“, welche Günter Pflanzl (*1920) im Laufe von fast 50 Jahren in einer Freimaurerloge in Celle vorgelegt hat. Der Stuhlmeister dieser Loge hat sie mit Unterstützung der Brüder herausgegeben und durch drei kurze Kapitel sowie eine Einführung von Pflanzl ergänzt. Er schreibt in seinem Vorwort: „Eigentlich war Br. Günter Pflanzl Naturwissenschaftler [Geologe], und doch galt seine Liebe der Klassik, den Griechen und Römern und der Aufklärung. Leider verhindert seine schwere Krankheit, sein grosse Kompilation zum ‚Geist der Freimaurerei, dem Ursprung, Weg und Ziel’ selbst herauszugeben.“

 

Das Wesen der Freimaurerei

 

In seiner „Einführung“ umreisst Günter Pflanzl das Wesen der Freimaurerei:

„Ethik kann man nicht verordnen. Sie muss aus dem freien sittlichen Entschluss des Individuums hervorgehen. Zu dieser Gesinnung zu erziehen, sah Goethe als die vornehmste Aufgabe der Freimaurerei an. Nur dort, wo sich Gesetz und Ethik miteinander zu einer Ordnung der Freiheit, Gerechtigkeit und gegenseitigen Achtung verbinden, können Mensch im Einklang mit sich selbst leben, können Staaten blühen und sich zwischen ihnen fruchtbare Beziehungen entwickeln“ (14).
„Die Eigentümlichkeit der Freimaurerei besteht darin, dass sie ihren Mitgliedern die abendländischen ethischen Ideale auf symbolische Weises vorstellt. Das soll den Menschen zu eigener geistiger Tätigkeit und konsenfähiger Einsicht bewegen und ihn bei aller vielleicht wohlbegründeter Überzeugung doch auch bedenken lassen, dass er das Letzte nicht wissen kann und massvoll und human urteilend, die Folgen allen Tuns im Auge behalte“ (17).

 

Die üblichen Herkunftsbehauptungen

 

In leicht lesbaren abgerundeten Kapiteln geht Pflanzl kurz auf die Herkunft der Freimaurerei aus den mittelalterlichen „Dombauhütten“ (16, 27) ein und schildert dann die Gründung der modernen Freimaurerei 1717 sowie den Inhalt der „Alten Pflichten“ von 1723.

 

Bemerkenswert ist, dass er trotz den Forschungen seines Namensvetters – oder Verwandten? - Mathias Pflanzl (1960), den er zitiert, weiterhin behauptet, es habe „klösterliche Bauhütten“ gegeben, und wenn nicht, so seien halt „zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert in enger Zusammenarbeit mit Klöstern und Kirchen weltliche Bauhütten entstanden“ (22). Nicht lösen kann er sich auch von der „berühmten Baugenossenschaft der Comacini“ (21; ebenfalls 151). Ebenfalls erwähnt er die in der „Goldenen Bulle von Rimini“ (1226) nirgendwo zu findende Angabe, dass Kaiser Friederich II. den Bauhütten der Dome und Kathedralen Reichsfreiheit gewährt habe (23; vgl. 199). Und überdies: Goethe ist kein besonders glaubwürdiger Zeuge von „dieser durch Religion begeisterten, durch Kunst belebten und durch Sitte gebändigten Bruderschaft“ (25, 320).

 

„Der wahre Kern“

 

Unter dem Titel „Der wahre Kern“ klärt Günter Pflanzl in wenigen Sätzen das Verhältnis der Freimaurerei zur Aufklärung. Zwar hat die Freimaurerei der Aufklärung viel zu verdanken, doch sie ist letztlich von der ganzen abendländischen Geschichte geprägt (32). Sie ist daher niemals dogmatisch.

„Den eigentlichen Kern der Freimaurerei bilden nicht theoretische Lehrsätze eines ufer- und substanzlosen, aller Rationalität und Ethik hohnsprechenden Spekulierens, das mit seinen absolutistischen Anwandlungen alle Menschlichkeit zerstört. Es ist der sich selbst sittlich bindende Mensch, der sich durch eine vorzügliche, zurückhaltend hochsinnige Haltung und humane, Freundschaft pflegende Menschlichkeit, Gestalt und Ausstrahlung gibt. Letztlich kommt es auf den Charakter des Handelnden an“ (33; vgl. auch 249).

Ein Lieblingswort von Pflanzl ist „hochsinnig“. So formuliert er beispielsweise in einem klugen Kapitel über „Staat und Gemeinwohl“:

„Ein Staat kann nur gedeihen, wenn sich die Bürger auf hochsinnige Weise ihrer bürgerlichen und ethischen Pflichten bewusst sind und die Verfassung und den Schutz ihres Staatswesens mit seiner Kultur als notwendige Bedingungen ihrer Existenz erkennen und verteidigen“ (63).

 

Symbole erläutert

 

In den nächsten fünf Kapiteln beschreibt der Autor auf gut 50 Seiten die wichtigsten Symbole resp. Objekte, welche die Freimaurer verwenden, wie Steine und (musivisches) Pflaster, Senkblei und Wasserwaage, Lederschurz und weisse Handschuhe, „grosse“ und „kleine“ Lichter, Sonne und Mond.

Später finden auch die Rose (135-137) und der Spiegel (223-227) umfassende und eindringliche Darstellungen. Eine  Zusammenstellung vieler Symbole mit knappen Erläuterungen bieten Seiten 193-197.

 

„Grenzen der Toleranz“

 

Bemerkenswert ist eine Zusammenstellung von Sätzen über die „Grenzen der Toleranz“:

„Toleranz hat mit beherrscht gesitteter Verhaltensweise und mit zumindest einer Prise Hochherzigkeit zu tun. Sie bedarf aber der vorsichtigen Orientierung am Reich der eigenen Werte, denn sie wird sonst leicht zu einer Schlamperei des unterschiedslos Alles-gelten-Lassens, zum geistlosen Kult der Beliebigkeit, schliesslich zur Duldung des Bösen.
Wer um einer sogenannten Entspannung oder um des sogenannten lieben Friedens willen Vernunft und Moral einlullt, Unrecht, Lüge und Gewalt bagatellisiert oder rechtfertigt, und das eine sieht, vor dem anderen aber die Augen verschliesst, ruft das Unglück herbei, das er tolerant zu überwinden vorgibt.
Man kann nur liberal sein, wenn man dem allzu offensichtlichen Missbrauch der Toleranz mit gelassenem Urteil entgegentritt.
Duldung von Rechtsbrüchen ist öfters Feigheit als Toleranz.
Intoleranz muss man nicht dulden und lasse man sich nicht aufzwingen. Doch sei man bedachtsam in seinem Urteil und Handeln, denn von Menschen in demütigenden Verhältnissen ist, besonders wenn sie notleidend, arm und ungebildet sind, Toleranz kaum zu erwarten. Manche Umstände muss man mit Nachsicht behandeln.
Toleranz ist nicht die Weide, auf der sich Löwen und Lämmer unter einem arkadischen Himmel einträchtig tummeln. Unter der Ordnung vernünftiger Gesetze schafft Humanität die Bedingungen, die die Geister in Freiheit zu einem gesitteten Wettbewerb bindet, der sowohl ein Kämpfen wie ein Erdulden und Leiden notwendig macht.
Die Humanität möchte erreichen, dass die Menschen ihre Konflikte auf geistige Weise lösen. Das gelingt nicht immer. Wo Milde ideologisch umgedeutet wird, versuchen die Ideologen das Recht auszuhebeln, und es droht blutige Willkür.
Man sollte nicht gegen jede Art von Intoleranz mit Gesetzesmitteln vorgehen. Es ist manchmal besser, dass sie sichtbar und die Spitze des Eisberges erkennbar bleibt“ (148-149).

 

Pflanzl scheut sich nicht, auch aktuelle heisse Eisen anzufassen. So stellt er beispielsweise in einem längeren Abschnitt „Jenseits der Grenzen möglicher Toleranz“ (268-271) die wichtigsten „aggressiven Lehren vieler islamischer Geistlicher“ zusammen und meint etwas resigniert: „Man muss … fürchten, dass die einer altertümlichen Geisteswelt entstammenden, aller Versöhnlichkeit baren muslimischen Lehren unserer Kultur noch schwere Prüfungen auferlegen“ (270). Dennoch: „Die zunehmende Globalisierung macht eine vernünftige Verständigung zwingend notwendig“ (271).

 

Auch allgemeine Grundlagen der Kultur

 

Das ungeheuer weitgespannten Denken Pflanzls umspannt nicht nur maurerische Themen wie die „Königliche Kunst“ und den Tod, die „Vier Gekrönten“ und das Geheimnis, sondern auch allgemeine Grundlagen der Kultur wie Wort und Dialog, Humanität und Menschenwürde. Er stützt sich dabei auf die Bibel wie auch auf Platon und Aristoteles, auf Erasmus, Goethe und Kant wie auch auf Heidegger. Manchmal ermüdet er den Leser allerdings durch einfache Aneinanderreihung von kurzen Zitaten dieser und anderer Philosophen.

Ganz im Sinne eines Humboldtschen „hochsinnigen“ Billdungsideals widmete sich Pflanzl auch der Frage nach dem Verhältnis der Freimaurer zu den Frauen (293-300).

Abgerundet wird das erstaunliche Werk auf über 70 Seiten durch Lebensbilder und Werkdeutungen von  Lessing, Goethe (21 Seiten), Herder, Mozart, Fichte und Krause.

 

„Ist die Freimaurerei antiquiert?“

 

In die Gegenwart führen schliesslich eine Skizze der deutschen Grosslogen seit dem Zweiten Weltkrieg und auf 11 Seiten eine knappe Beantwortung der wichtigsten Fragen, die an die Freimaurerei gestellt werden.

Herausgegriffen seien die Antworten auf die Frage: „Ist die Freimaurerei antiquiert?“

 „- Die freimaurerischen Gebräuche sind wohl alt, doch die Ideen, die aus ihnen leuchten, sind untrennbar mit den grossen Errungenschaften des menschlichen Geistes verbunden und fordern den hochsinnigen Mann immer neu zu einer Auseinandersetzung mit diesen Schätzen heraus.

- Solange es Menschen gibt, die sich Gedanken darüber machen, was es mit einer anständigen Gesinnung, mit ehrenhafter Haltung und ungezwungen wahrhaftigem Denken eigentlich auf sich hat und die sich fragen, wie sie handeln müssen, um ihren Platz in der Gesellschaft gewissenhaft auszufüllen, solange wird es auch eine Freimaurerei geben.

- Sie wird nicht müde werden, den Menschen vor Augen zu halten, dass es nicht gleichgültig ist, wie man denkt und handelt, und dass dieses Leben nur durch hochsinnige Anstrengung und durch Verzicht zu gewinnen ist, dass aber auch die heitere Geselligkeit ihren Platz braucht.

- Die symbolische Art, in der die Freimaurerei ihre Anliegen darstellt, ist vielleicht überhaupt der angemessenste Weg, den Menschen aus dem Wahn der Verstrickung in dogmatisch unbedachte Wahrheiten zu befreien und ihn auf den Weg eines hochgemut nach Wahrheit strebenden humanen Menschseins zu führen. Niemand kann sich auf eine Wahrheit berufen, ohne sein Gewissen befragt zu haben.

- In der Freimaurerei wird der Mensch gewahr, dass er sich nicht isolieren darf, dass er Teil eines höheren, sich über Raum und Zeit hinaus erstreckenden lebendigen geistigen Organismus ist, in dem erst alle zusammen die Erfüllung der Schöpfung erreichen können“ (394-395).

 

Kleine Unachtsamkeiten

 

Ab und zu schleichen sich Ungenauigkeiten in Pflanzl Ausführungen. So verlegt er die Brüder Grimm in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts (37) oder behauptet, in Andersons „Geschichte“ (1723) würden Pythagoras und Cäsar als Grossmeister genannt (39). Thomas Jefferson (61) war kein Freimaurer. Echnaton wurde etwa 40 Jahre alt, nicht nur 17 (111). Der Buchstabe G kommt nicht aus Frankreich (114), sondern taucht bereits in Samuel Prichards „Masonry Dissected“ von 1730 als „Geometrie“ und „Gott“ auf. Die „Plancklänge“ beträgt nicht irgendwelche m12 (205). Kopernikus, Galilei, Kepler und andere gehören noch nicht zum „Zeitalter der Aufklärung“ (248).

 

Ärgerlich ist ab und zu die Diskrepanz zwischen Numerierung der Fussnoten und der dabei angegebenen Literatur (z. B. Kap. 3, 31). Die Quellenangaben sind nicht immer genau. Die Verweise innerhalb der Texte auf andere Kapitel weisen stets falsche Seitenangaben auf.

Ein Register fehlt.

 

Fazit: eine gediegene Sammlung kulturphilosophischer Betrachtungen

 

Das umfangreiche Werk ist die Frucht eines langen Freimaurerlebens. Trotz des grossen Umfangs und der vielen behandelten Themen weist es kaum Wiederholungen auf. Sein Stil ist gepflegt. Der Autor bedient sich einer klaren und verständlichen Sprache.

 

Man kann Günter Pflanzls Betrachtungen  durchaus als „kulturphilosophisch“ bezeichnen. Sie bieten anspruchsvolle Kost, getragen von einem hohen Ethos. Sie zeigen und bestätigen den Freimaurer als einen Humanisten, welcher in der jahrtausendealten europäischen Kultur verwurzelt ist und sich gleichwohl den heutigen Problemen des Zusammenlebens von Menschen und Völkern auf der ganzen Welt stellt.

 


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