Fakarava (Tuamotu-Archipel)
7.2.
Eine Erkältung im Lande des Lächelns ...
Bei Anatoli auf dem Flügel sah ich – im Traum – die Notenblätter für „Das Land des Lächelns“.
02.30 erwachte ich mit starkem Schleim in der Nase und heissem Kopf. Ich nahm fiebersenkende Mittel.
Habe ich später geträumt, J. habe mir ein E-Mail geschickt?
06.15 erwachte ich schon wieder. Die Nase lief; und Husten drängte sich auf. In weiser Voraussicht hat mir der Onkologe eine weitere Serie Antibiotika gegen bakterielle Infektionen mitgegeben.
Gestern Abend gab es frischen Lobster und Thunfisch. Unser Schiff hatte den letzten Fang der Insulaner kurzerhand aufgekauft. Leider war der Lobster zäh. Nachher vertrieb mich der Bauchredner bei der Präsentation auf dem Lidodeck zu Anatoli, der diesmal Jazz besser spielte als am Tag zuvor.
Er hat 1962 den Tschaikowski-Preis gewonnen. Als ich ihn auf Van Cliburn ansprach, geriet er ins Erzählen. Der Amerikaner war den Russen als Vertreter des Kapitalismus äusserst suspekt. Er, Anatoli, verehrte ihn und schaute zu ihm auf. Anatoli meint, Van Cliburn habe Rachmaninow besser gespielt als dieser selbst.
Nach dem Mittagessen präpariere ich mein Tagebuch mit den Fotos. Als ich mich um 15. 40 Uhr ziemlich erledigt hinlege, fährt mir durch den Kopf: Ich habe den Tanzkurs verschwitzt. Um 16.40 klingelt das Telefon: Helga hat mich ausfindig gemacht und berichtet, dass man (frau) mich schmerzlich vermisst habe.
Zum Glück habe ich reichliche Vorräte von Tempo-Taschentüchern mitgenommen. Aber nicht wegen der Frauen.
Bei jedem Nocturne von Chopin, das Anatoli spielte, konnte ich nicht umhin, eine Träne zu verdrücken. Ich verbinde damit melancholische Erinnerungen: Ich hörte sie, nachdem ich vor genau 45 Jahren von zu Hause ausgezogen war, in meiner ersten, ungeheizten Wohnung.
Bei den Walzern dachte ich an meine Mutter, die nach dem Nachtessen lange Jahre übte und mich vor allem mit Chopin in den Schlaf spielte. Plötzlich merkte ich auch, was Anatoli bei Walzern wie bei Jazz fehlt: Swing – jene Verschiebungen um Hundertstelsekunden, welche einen mechanischen Takt in einen lebendigen Rhythmus verwandeln.
Als sich Helga und Sibylle nach der Pause zu uns gesellten, ging das laute Gequatsche wieder los.
8.2.
Stimmt nicht. Ich habe nur fünf Päckchen Papiertaschentücher eingepackt gehabt. Wer denkt auch bei „Südsee“ an „Schnupfen“.
Heute Abend tritt der harte Kern unseres Tanzkurses, 8 Männer und 2 Frauen, darunter Helga und Sibylle (die Lücke dazwischen ist mein Platz), im Rahmen des „Gäste-Cabarets“ auf.
Etwa zwei Stunden lang erklärte mir ein Schaffhauser, Beda, bei einem grossen Bier auf Deck, seine Bekehrung zu Gott resp. Jesus.
Als um 18.30 Uhr alle Gäste bei der „Geburtstags-Party“ im grossen Salon weilten, stieg ich in jungendlichem Übermut in den Swimmingpool auf dem Lidodeck. Nach dem Crawlen rannten mir die Augen nicht nur ein bisschen, sondern Nach dem Duschen meinte ich, die Brille sei angelaufen, obwohl ich sie gar nicht auf hatte, derart ätzend war das Wasser gewesen. Im Spiegel sah ich, dass meine. Augen blutunterlaufen waren. Sie brannten und tränten den ganzen Abend.
Nach den gar nicht so schlechten Produktionen im grossen Salon gin ich mit Helga und Sibylle in die Casablanca-Bar hoch, verdrückte zwei Hamburger und tanze mit Helga Disco, Twist und Foxtrott. Es ist gar nicht leicht, einen Koloss zu führen und gleichzeitig Distanz zu wahren. Ich bin überzeugt, dass sie wünschte, ich hätte auf beide meiner diesbezüglichen Bemühungen verzichtet.
9.2.
Wir liegen nun zeitlich 11 Stunden hinter den heimatlichen Gefilden.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag: In sechs Tagen werden wir sechs Inseln anlaufen.
Die speziellen Antibiotika haben gut gewirkt. Nach viereinhalb Tagen scheint die Erkältung am Abklingen zu sein.
Rotoava auf Fakarava im Tuamotu-Archipel
Der erste Eindruck von Fakarava: flach, flach, flach.
Und es bläst ein zünftiger Wind.
Das Atoll ist 60 km lang und 25 km breit, Etwa 1000 Einwohner verteilen sich auf wenige Quadratkilometer Landfläche. Wir gehen in der riesigen Lagune vor der Ortschaft Rotoava im Nordosten auf Reede.
Vor dem Ausschiffen dachte ich noch im Treppenhaus: Es will sich bei mir einfach keine Romantik einstellen.
Als der Tender angelegt hatte, dachte ich, ob mir die Südsee wohl gefallen werde. Wie üblich: Als ich am Schluss herumstand, frage mich eine der Reiseleiterinnen, ob ich an einem Bootsausflug von drei Stunden Dauer teilnehmen möchte. Ich sagte sofort zu, fand in der Gruppe bereits das Tanzlehrerpaar, den Entertainer (Helmut) und den Schiffspfarrer (Martin) vor, und animierte Jürgen noch zum Mitkommen. Nach fünf Minuten Fahrt auf dem grossen Flachbodenschiff aus Kunststoff fing es mir an zu gefallen. Nach einer Viertelstunde kam en mir – schon wieder – fast Tränen. Diesmal weil ich über die Wolkenpyramiden über den Palmenreihen ganz begeistert war, weil sie sie sich durch die rasende Fahrt des Bootes so schnell gegenüber den langgestreckten Inseln verschoben. Ich war völlig hingerissen vom Gedanken: Trotz, mit oder ungeachtet meiner Leukämie erlebe ich dies.
Wir hielten kurze bei einer Vogelinsel. Als ich nachher für ein paar Gäste vom Bug aus Fotos machte und eine Kamera zurückgeben wollte, fiel ich der Länge nach zwischen Menschen und über Bänke ins Boot. Ich dachte die Brille sei gesprungen. Das war zum Glück nicht der Fall, aber meine Schulter schmerzte wie ausgerenkt. Ich setzte mich mühsam wieder hin, und nach wenigen Minuten wurde mir schwindlig und ich sah alles grün. Doch auch das untiefe Wasser war grün, und die langgestreckten Strände mit den von Wind schräg gestellten Palmen ebenfalls.
Hernach badeten wir in einer „blauen Lagune“, beobachteten kleine Haie mit einer Grösse bis zu einem Meter, einen Rochen von etwa einem halben Meter Durchmesser¸ Zebrafische, usw.
Auf dem Heimweg wurden wir noch mehr dürchgerüttelt und nass gespritzt. Ich geriet erneut in Entzücken und sage ständig vor mich her: „Das ist Leben in völliger Reinheit!“
Eine der langgestreckten Inseln an der riesigen Lagune von Rotoava auf Fakarava im Tuamotu-Archipel
Das schnelle Flachbodenboot jagt an kleinen Eilanden vorbei und nimmt Kurs auf die Vogelinsel …
… das vielfarbige Wasser der „Vogelinsel“ …
… ein Blick zurück zur Vogelinsel (vom Platz des Schiffspfarrers aus) …
Im Bikini die Tanzlehrerin Pepi Alvarez, links von ihr mit Sonnenbrille der Entertainer Helmut Sanftenschneider, dazwischen auf der Bank dahinter, mit aufgebundenem Zopf, der Tanzlehrer Victor Castro
... und hier endlich die „blaue Lagune“ mit unserem Steuermann und einem vorne dreigeteilten Stab zum Fische Fangen
Blick auf die „blaue Lagune“ hinaus
Blick zurück auf den schmalen Landstreifen an der „blauen Lagune“ (sichtbar ganz links)
Südsee, wie man sie sich vorstellt: Palmen an der „blauen Lagune“
Der Wind biegt die Palmen ganz gehörig
Nach einer Stunde heisst es: Einsteigen zur Rückfahrt nach Rotoava …
… und viel zu schnell verlassen wir im Abendlicht die grosse Lagune auf der Nordostseite von Fakarava im Tuamotu-Archipel