Grande Terre (Neukaledonien)

 

1.3.

 

 

Bereits um Nullsiebenhundert liegen wir an der Pier („Gare Maritime Nouvelle“) von Nouméa, der Hauptstadt von Neukaledonien, gelegen fast am Südende der 400 km langen Insel Grande Terre

 

 

Schon nach dem Frühstück, kurz nach sieben Uhr bin ich bachnass, denn die Sonne sticht bereits unbarmherzig. Wir haben schon in Nouména, der Hauptstadt von Neukaledonien, angelegt. Wegen eines medizinischen Notfalls gestern Abend hatte der Kapitän die Fahrt beschleunigt.

 

Schnupfen und Husten sind unverändert, erträglich. An den Schienbeinen beginnt sich die Haut zu schälen.

 

Als ich auf dem Stadtplan die Bezeichnung „Le Bout du Monde“ entdeckte, war es klar, dass ich, am Markt vorbei, dahin spazieren würde. Auch auf die Mole des Jachthafens musste ich mich vorwagen, bevor ich ein Internet-Café suchte. Nun sitze ich im McDonald und habe eine Übertragungsrate von 10-18 KiB/s. Ich werde also die drei Stunden, bis das Schiff abfährt, hier verbringen. Zum  Runterladen von Mails werde ich nicht mehr kommen.

 

Grande Terre, die hügelige Hauptinsel von Neukaledonien, erstreckt sich 400 km lang und 50 km breit von Nordwesten nach Südosten und ist 16 750 Quadratkilometer gross. Die zwei höchsten Erhebungen im Norden und im Süden sind rund 1600 m hoch. Die Wirtschaft basiert auf der Verarbeitung von Nickel und dem Fremdenverkehr.

 

Nouméa hat etwa 65/76 000 Einwohner – ein Drittel von ganz Neukaledonien – und soll „Paris der Südsee“ heissen. Was auffällt, sind die vielen hochmodernen Häuser, darunter viele mit Appartements, und die vielen Autos, volle Parkplätze und dichter Verkehr im Hafengebiet. Es ist hier, wie auf allen Inseln, die zu Frankreich gehören, sehr sauber.

 

Mehr fällt mir nicht ein, während ich auf das Netbook starre, ob die Datenübertragung auch reibungslos klappt. Ich hätte mir die Sache ja ausserordentlich erleichtern können, wenn ich auf das Aufladen der grossformatigen Fotos (4000x3000 Pixel) verzichten würde. Aber ich möchten den Zuhausegebliebenen das Maximum bieten, und zwar sofort, nicht erst nach der abgeschlossenen Reise.

 

11.00: Die Übertragungsgeschwindigkeit sinkt. Ich befürchte, zum Hochladen von Huahine (?) und Rarotonga kommt es nicht mehr. Vielleicht werde ich nicht einmal mit Tahiti fertig. Und nun ist die Verbindung abgebrochen, „ça arrive. Il faut attendre deux ou trois minutes“, meint der Kellner.

 

Nach einigen Minuten kam tatsächlich wieder eine Verbindung zustande. Vorzeitig musste ich sie abbrechen. Die drei Stunden kosteten nichts - eine Dienstleistung von McDonald. Im Eilschritt strebte ich dem Schiff zu, und mit fünf Minuten Verspätung auf den „letzten Einschiffungstermin“ kam ich als Letzter an.

 

 

 

Ein ungewohnter Anblick: Ein Kreuzfahrtschiff (MS Albatros) hinter Palmen, hier am Hafen von Nouméa, der Hauptstadt von Neukaledonien

 

 

 

Dasselbe Schiff als Spiegelung in den Eingangstüren eine Dépendance der Mairie Nouvelle von Nouméa

 

 

 

Ein prächtiger Riesenlobster im Markt von Nouméa

 

 

 

Port Moselle von Nouméa, der Hauptstadt von Neukaledonien: Links typische hochmoderne Appartementhäuser, rechts das Restaurant „Au Bout du Monde“ am Jachthafen

 

 

 

Port Moselle: grosse Jachten soweit das Auge reicht

 

 

 

Das Wasser im Jachthafen von Port Moselle (Nouméa) links blau, rechts ölig

 

 

 

Die Baie de la Moselle vor Nouméa: Blick von einer Hafenmole gegen die Stadt. Wenn man genau hinschaut, sieht man auf den umliegenden Hügeln ab und zu eine Araukarie (Pinie) in den Himmel ragen

 

 

 

Port Moselle: Blick über den Jachthafen landeinwärts. Gut sichtbar sind die Araukarien

 

 

 

Typisch Südsee? Beim Verlassen der Insel Grande Terre (halb so gross wie die Schweiz) werfen wir einen letzten Blick auf die vielen Autos

 

 

 

Und schon gilt es wieder Abschied zu nehmen. Nur 6 Stunden sind  wir am Pier von Nouméa, dem „Paris der Südsee“ gelegen

 

 

 

13.30: Ein letzter Blick auf die letzte und grösste Südseeinsel, die wir besucht haben: Grande Terre, die 400 km lange hügelige Hauptinsel von Neukaledonien

 

 

Der Mist, der einem eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang durch den Kopf gehen kann!

Weitere Fehler von mir: zu knochig, trägt Brille, hat Piepsstimme, fliehendes Kinn, redet mit den Händen; ist ein Schwätzer, flunkert, ist überheblich, zynisch, nicht humorvoll, Heuchler, überheblich, Langweiler, phantasielos.

Da kommt ein alter österreichischer Gebirgsjäger, stoppt meine bünzlige „Selbstanalyse“. Während die Sonne glühend ins Meer taucht, erzählt er , wie er einst im Zweiten Weltkrieg in der hässlichen russischen Wüste derart Heimweh gehabt habe, dass er mit dem Polarstern gesprochen habe.

 

 

 

18.23: Der Himmel ist fast wolkenlos. Die Sonne wird rasch unter dem Wolkenstreifen hervorkommen und ins Meer tauchen, nur von ein paar winzigen Wölkchen gefleckt

 

In der Karibik Lounge: Plötzlich dachte ich: „Was spielt da Anatoli für ein wahnsinniges Stück?“ Mit der Zeit realisierte ich, dass es „Stardust“ war, die Melodie, die ich mir vor fünf Wochen gewünscht hatte. Mein rechtes Auge begann von selbst zu tränen.

Anatoli war überhaupt gut in Form. Er spielte gut, ziemlich am Anfang ein Liebeslied, das Scott Joplin für seine mit 24 Jahren verstorbene Frau geschrieben hatte, gegen Schluss Kompositionen von Dave Brubeck. Dieser hatte ein Stück für die Genesung eines kranken Freundes komponiert. Anatoli widmete es – vor etwa sechs Zuhörern – „seinem Freund Roland“ und klopfte dazu auf Holz. Den Abschluss bildete „Take Five“, das Brubeck nur populär gemacht hat; Komponiert hat es der Saxophonist Paul Desmond. Anatoli möchte mit 90 noch so spielen können wie der heute 90jährige, Brubeck, der dieses Jahr eine Tournée in Deutschland macht.

 

 

2.3.

Meine vielen Tränen könnten ein falsches Bild vermitteln. Ich bin glücklich! Ich versuche alles, was diese exquisite Reise bietet, in vollen Zügen zu geniessen. Ich koste meine (mickrigen) seelischen Wallungen im Rahmen meiner (bescheidenen) Möglichkeiten aus.

 

Erheiternd finde ich folgendes: Obwohl ich unheilbar krank bin, war ich auf dieser Reise noch nie beim Arzt – toi, toi, toi. Inge dagegen musste ihn schon zweimal in Anspruch nehmen, einmal wegen ihres “grippalen Infekts“ (den ja alle Passagiere haben) und neulich , weil sie auf der Fahrt mit der Piroge Rückenschmerzen eingefangen hat. Sie berichtete beim Frühstück überdies, ihre Kabinennachbarin habe bereits 600 Euro für Arztkosten aufgewendet.

 

Mein Schnupfen und Husten ist heute, wohl wegen des Durchzugs gestern Abend auf dem Lidodeck und der Kälte in der Karibik Lounge wieder heftiger geworden.

 

***

 

19.00: Das tut gut!

Nach der Siesta war mir langweilig und ich befand: Warum nicht schon um halb Sechs zum Bier auf das Kopernikusdeck gehen, statt erst um sechs. Als ich droben aufs Meer schaute, erinnerte ich mich an ein Gefühl heute Morgen: Es gehört zum Schönste, in der Morgensonne etwa von Acht bis Elf an der Sonne zu liegen, aus dem Kamin dröhnt das Blubbern der Motoren, sachte schaukelt das Schiff auf einem „nicht messbaren“ (wie der der Kapitän sagt) Seegang.

 

Nach einer Weile gesellte sich der Tischnachbar, der kürzlich Geburtstag gefeiert hatte zu mir, plauderte ein bisschen und erwähnte dann, dass der neue Liebhaber von Anke sie aufgefordert habe, noch eine weiteres Teilstück der Reise auf dem Schiff zu bleiben. Sie könne in seiner Kabine schlafen. Dazu müsste sie allerdings eine bereits gebuchte anschliessende Reise  in die Türkei annullieren.

 

Als ich für den Sonnenuntergang meinen Fotoapparat aus der Kabine geholt hatte, kam eine Passagierin, die ich schon einige Male gegrüsst hatte, auf mich zu und sagte, wie leid es ihr täte, dass mich Anke  sitzen gelassen habe. Als ich sagte, das gehöre doch zu einer Schiffsreise, meinte sie, aber nicht die Art und Weise, wie es geschehen sei

Offenbar haben das viele beobachtet. Es tut gut zu spüren: Man ist nicht alleine.

Ich erwähnte, dass ich spätabends  in letzter Zeit nicht mehr an der Casablanca Bar und an Harry’s Bar vorbeigegangen sei. Sie beglückwünschte mich dazu, denn gestern Abend sei es „richtig peinlich gewesen“.

 

 

Und wieder wird ein herrlicher Tag von einem schönen, aber nicht farbigen Sonnenuntergang gekrönt. Auf dem Bild ist die Sonne noch hoch über dem Meer in den Wolken. Das Eintauchen in den Pazifik, der heute wirklich „still“ war, konnte man nicht sehen

 

Die Story geht noch weiter: Schon unmittelbar nach dem Mittagessen hatte sich auf dem Lidodeck die Freundin von Anke zu mir gesetzt. Wir plauderten sicher eine Stunde. Beim Abendessen auf demselben Deck wollten mich zwei Gruppen an Tischen einladen, doch ich sah wiederum die Freundin von Anke und setzte mich zu ihr. Wir unterhielten uns gut, da setzte sich, kaum zu glauben, Anke neben mich auf die Bank. Bald kam auch ihr Galan. Später kamen auch noch zwei andere Gäste, die ich mochte. Ich holte Wein und stiess demonstrativ mit allen an, nur nicht mit Anke & Co. Ich unterhielt mich lebhaft mit allen ausser Anke und ihrem Spezi. Ich erwähnte, dass ich heute Mittag erwogen hätte, die URL für mein Tagebuch zu ändern und allen Freunden mitzuteilen, dass ich mich „aus besonderen Gründen“ gezwungen sähe, dies zu tun. Anke fragte noch etwas wegen der Ausschiffung am Samstag (warum? sie soll doch zum Weiterfahren aufgefordert worden sein). Das Pünktchen auf dem i bildete der Kapitän, der vorbeikam und sagte, es sei schön, wenn die Leute tanzten.

Um 20.45 verabschiedete sich der Galan, Anke blieb (warum?).

 

Fünf Minuten später wünschte ich allen einen Guten Abend und begab mich zu Anatoli. Dort sass Werner mit seiner Frau Josyane. Er winkte mit von weitem, mich zwischen sie zu setzen und liess mir vom Champagner einschenken, den er bestellt hatte. Nachdem Anatoli „Fly Me to the Moon“, „Bei mir bist du scheen“ und andere Schlager gespielt hatte, behauptete Werner, er könnte mein Vater sein. Er meinte ich sei 54. Ich korrigierte seinen Irrtum. Er ist 78 und ein Brocken von einem Mann.

 

3.3.

 

 

Der letzte Tag auf See: Es ist bedeckt. Seestärke 5. Aussentemperatur: 25°, Wassertemperatur 23°, Luftfeuchtigkeit 81%.

 

Wir kommen in kühlere Gefilde. Das Wetter ist zu unfreundlich als dass man auf Deck liegen könnte.

Um 11 Uhr blitzt’s und donnert’s sogar.

Es bleibt ein regnerischer Tag. Die Temperatur steigt nicht über 26°. Wir finden es kalt.

 

 

 

19.00: Der letzte Abend auf See auf dem Kopernikusdeck.

Da der Himmel bedeckt ist, sieht man keinen Sonnenuntergang, nur einen leeren Tanker  - das erste Schiff, dem wir in fünf Wochen auf See begegnen.

 

 

Manche Männer werden ihr Traum des Zweiten Weltkriegs nicht los. Sei es der  österreichischen Gebirgsjäger (Jahrgang 1924), mit dem ich von  17.30. bis 1830 auf dem Lidodeck sprach, sei es der Hamburger mit dem selben Jahrgang, der mir, bevor Anatoli zu spielen begann, von seinen Eltern erzählte, die 1909 in Genf geheiratet hatten und von seinen drei Jahren Kriegsgefangenschaft.

 

Als ich beim Nachtessen war, hatten sich Anatoli und seine  Frau Swetlana zu mir gesellt. Als ich fertig war, drängte mir Swetlana zwei Schnitten Pizza auf. Irgendiwei liebe ich das: die Unausweichlichkeit der Gastfreundschaft. Ich kann keinesfalls ablehnen. Zum Glück kann ich ich essen soviel ich will

 

Nachdem die beiden gegangen waren kam die Freundin von Anke, in Gala, aus dem Salon. Ich sagte, wir beide hätten die vergangenen fünf Wochen verpasst. Sie bedankte sich artig. Und schon setzte sich wieder Anke zu uns. So bald ich konntge, machte ich mich davon..

 

Entweder mag ich Tschaikowski nicht oder wie Anatoli ihn spielt. Dies denkend, erinnerte ich mich plötzlich beim Monat Juni des Zyklus Jahreszeiten  an einen späten Abend im September mit J. in der Casa-Bar. Ich habe noch nie die Augen einer Frau so leuchten gesehen. Später zitierte ich ihr in einem Mail eine Zeile aus dem Song „You Go To My Head“ (1938):

 

„You intoxicate my soul with your eyes“.

Sie antwortete bald darauf, sie „habe einen absolut übervollen Koffer an Kompliziertem und Schwierigem. Danke für dein Wirken …“.

Das war’s.

 

***

 

Südsee?

Das war’s?