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Einige Prinzipien erfolgreicher Führung, die mit dem bisherigen Forschungsstand der Kleingruppenforschung und der Führungpsychologie gut vereinbar sein dürften

 

Prof. Dr. Günter Wiswede, Institut für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln

 

Aus einem Referat, das 1988 an einem Symposium in Köln gehalten wurde; nachgedruckt in «Führung im Wandel», herausgegeben von Gerd Wiendieck und Günter Wiswede, Enke Verlag Stuttgart 1990, S. 1-38; ferner in:

io Management Zeitschrift 64 (1995) Nr.1/2, S. 2-3.

 

 

1 Ein Führer muss motivieren können

d. h. Dinge bewegen, Schubkraft entfalten, für Ziele begeistern. Aber wie kann der Führer motivieren, wenn er selbst nicht motiviert ist? Eine wichtige Aufgabe von Führungsschulungen heisst daher neuerdings: Wie motiviert man den Vorgesetzten?

 

2 Ein Führer muss führen

In bestimmten Situationen «sieht» jeder auf den Vorgesetzten; er kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Jede unterlassene Führungsleistung kann als Schwäche ausgelegt werden, und das «Aussitzen» von Problemen führt nur in seltenen Fällen zu optimalen Lösungen.

 

3 Ein Führer muss seine eigene Stellung aufrechterhalten

Er muss seine Autorität wahren; jedoch geht das heute kaum noch durch die Berufung auf irgendeine Form der Positionsmacht oder Amtsautorität allein, sondern eher durch die Berufung auf «funktionale Autorität» im Sinne der Fachkompetenz oder einer übergreifenden «generalisierten» Kompetenz.

 

4 Ein Führer muss koordinieren/ integrieren

Kompetenz des Führenden bedeutet nicht etwa, dass ein Vorgesetzter alles können muss, was seine Mitarbeiter können (auch der Dirigent eines Orchesters kann nicht alle Instrumente spielen), aber er muss die Fähigkeit haben, die zersplitterten Einzelkompetenzen zu bündeln und auf ein Ziel hin auszurichten.

 

5 Ein Führer muss Organisationsziele attraktiv machen und auf die Individualziele abstimmen

Man kann Handlungen nicht sinnvoll bündeln und koordinieren, wenn Ziele verfehlt, unrealistisch oder diffus formuliert werden. Auch bei der Formulierung von Teilzielen (die meist realistisch, aber wenig attraktiv sind) sollte ein attraktives Endziel plastisch vor Augen geführt werden, das auch den individuellen Zielvorstellungen und Bedürfnissen entgegenkommt.

 

6 Ein Führer muss die Normen der Gruppe einhalten

Bei der Zielverfolgung bedarf es gewisser Regeln, die nicht zu restriktiv sein sollten, sondern Handlungsspielräume eröffnen und die Entfaltung von Autonomie und Selbstverantwortung zulassen. Auch der Führende selbst nimmt sich in die Pflicht; allzu viele Ausnahmen (Privilegien) sollte er für sich schon deshalb nicht zulassen, weil er dann ein schlechtes «Modell» für seine Mitarbeiter sein würde.

 

7 Ein Führer muss komplexe Zusammenhänge überschauen und komplex angehen können

Zur Durchführung bestimmter Aufgaben ist es oft notwendig, eine Fülle von Informationen auf unterschiedlichen Ebenen einzuholen und zu verarbeiten. Dennoch darf der Führer nicht vor der überflutenden Komplexität kapitulieren und den Durchblick verlieren.

 

8 Ein Führer muss Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden können

Daran scheitern Firmengründer, die von Anfang an mit allen Dingen beschäftigt waren und auch später meinen, sie müssten alles selber machen. Personen, die kein Gespür für das Wesentliche haben und komplexe Probleme nicht auf die wesentlichen Linien reduzieren können, sind für Führungsaufgaben ungeeignet.

 

9 Ein Führer sollte nicht verwalten, sondern führen

Auch wenn Aufgaben der Organisation und Verwaltung dringliche Funktionen darstellen - insbesondere zu Zeiten der Konsolidierung nach der Pionierphase bzw. nach einer Ara «wilden» Wachstums -, geht die primäre Aufgabe als Führer über das Verwalten hinaus; dafür hat man seine Leute, denen man sogar auf die Finger gucken muss, damit sie Verwaltung und Bürokratie nicht als Selbstzweck ansehen.

 

10 Ein Führer muss Kompromisse schliessen können

In einer Zeit, in der die Entscheidungsspielräume durch technologische, ökonomische, rechtliche und sonstige Strukturen und Barrieren begrenzt sind und daher immer enger werden, kann es weniger darum gehen, «einsame» Entscheidungen gegen Gott und die Welt durchzusetzen, sondern vielmehr darum, zwischen verschiedenen Fronten zu vermitteln. Dies ist auch das Signum der Demokratie, und im guten Falle ist das Ergebnis kein fauler, sondern ein schöpferischer Kompromiss.

 

11 Ein Führer muss die Gesamtsituation in Betracht ziehen

Von ihm kann erwartet werden, dass er ein wenig weiter über den Gartenzaun sieht, dass er die Folgen von Handlungen auch für andere Bereiche abschätzen kann und dass er in «Systemen» oder «Netzwerken» zu denken imstande ist.

 

12 Ein Führer sollte längerfristige Perspektiven entwickeln

Kurzatmige Entscheidungen, z. B. nur um ein Problem «vom Hals zu haben», «Schnellschüsse» oder nur auf kurzfristigen Erfolg hin orientierte Handlungen sollten abgelöst werden durch echte Perspektiven. Handlungsbedarf besteht daher auch in scheinbar sorgloser Zeit. Das blosse Taktieren und «Durchwursteln» muss einer konzeptionsverpflichteten Strategie weichen.

 

13 Ein Führer muss die spezifische Situation erkennen, in der Führung stattfindet

Er muss unterscheiden lernen, in welcher Situation (z. B. Aufgabenstruktur, Reifegrad der Mitarbeiter, Teamgeist, Gruppenklima usw.) welche Führungsnotwendigkeiten bestehen. Wird situative Führung nicht als bloss «anpasserisches» Verhalten im Sinne eines Chamäleon-Effekts missverstanden, so ist diese Aufforderung zur situationsgerechten Führung durchaus ein richtiger Wegweiser.

 

14 Ein Führer sollte Führung nicht als Einbahnstrasse auffassen

Er sollte berücksichtigen, dass Führung ein Interaktionsgeschehen darstellt. Auch er ist von seinen Mitarbeitern abhängig; er ist nicht nur Nehmender und Fordernder, sondern seine Mitarbeiter erwarten entsprechende Gegenleistungen (z. B. sich für die Mitarbeiter einzusetzen, Konflikte zu beseitigen, die Abteilung zum Erfolg zu führen usw.).

 

15 Ein Führer sollte gegenüber seinen Mitarbeitern für «Feedback» sorgen

Manche Vorgesetzte sind der Meinung: «Solange ich nichts sage, ist alles in Ordnung.» Die Reaktion des Chefs ist aber nicht allein deshalb wichtig, weil jedes (gewünschte) Verhalten von den (erwarteten) Konsequenzen beeinflusst wird, sondern auch, weil jedes «Feedback» dem Mitarbeiter zeigt, dass der Vorgesetzte Bescheid weiss (z. B. über gute/ schlechte Leistungen).

 

16 Ein Führer sollte auf die Form seiner Führung achten

Auch sachlich zutreffende und inhaltlich akzeptable Entscheidungen können auf der Beziehungsebene zu Missverständnissen und zur Reaktanz führen, wenn der einzelne sich persönlich betroffen fühlt. Der Vorgesetzte achte also nicht nur darauf, was sachlich richtig ist, sondern auch darauf, was er sozial damit «anrichtet».

 

17 Ein Führer sollte zur Erhaltung einer gewissen Disziplin belohnungsorientiert vorgehen

Er sollte sich statt mit der Verhängung von Strafen eher mit der Schaffung von Bedingungen befassen, unter denen sich die Gruppe selbst kontrollieren und selbst regulieren kann. Selbstkontrolle der Mitarbeiter ist weniger mühsam als eine ausufernde «Kontrollspirale».

 

18 Ein Führer sollte mit Bestrafung und Tadel sorgsam umgehen

Bestrafung vor anderen führt i. d. R. zu «Gesichtsverlust». Auch sollte jede Form des Tadels «konstruktiv» sein (z. B.: «Diese Leistung fällt hinter den bisher von Ihnen gezeigten hohen Leistungsstandard zurück») oder in übergreifende Belohnungen eingebettet werden.

 

19 Ein Führer sollte keine Anordungen geben, die nicht befolgt werden

Er muss sich also vorher überlegen, ob die Folgeleistung realistisch ist und unter welchen Umständen sie auch durchgesetzt werden kann. Leere Drohungen, die nicht eingelöst werden können, machen den Führer zum «Papiertiger».

 

20 Ein Führer sollte keine falschen Erwartungen erzeugen

Das gleiche, was für leere Drohungen gilt, gilt auch für leere Versprechungen; falsche Versprechungen erwecken falsche Hoffnungen und führen zu Frustration und Demotivation. Der Mitarbeiter sollte also ständig wissen, was von ihm erwartet wird und was umgekehrt der Mitarbeiter vom Vorgesetzten und vom Unternehmen zu erwarten hat.

 

21 Ein Führer sollte weniger «Einzelkämpfer» animieren, sondern zur Gruppenarbeit anleiten

Auch Kooperation und Teamgeist entwickeln sich erst durch Lemprozesse, und auch der Führer muss lernen, dass «einsame Entscheidungen» nur noch selten sinnvoll sind und dass angesichts wachsender Kompetenz der Mitarbeiter Führung immer mehr eine Sache des «Miteinander» zu werden beginnt.

 

22 Ein Führer darf sich bei sozialen Anlässen seinen Leuten nicht aufdrängen

Der allzu kumpelhafte Führer verliert an Kredit, das vielfach übliche Duzen ist kein Zeichen für echte Sympathie oder Teamgeist, sondern schafft eher eine Atmosphäre plump-vertraulicher Zumutungen. Der Führer muss folglich zur Wahrung seiner Autorität eine gewisse soziale Distanz aufrechterhalten.

 

23 Ein Führer sollte seine Mitarbeiter fordern und fördern

Menschen mit hoher Leistungsmotivation lassen sich gern fordern (sie werden gerade dadurch auch gefördert); ihre Aufgabe hat dann einen höheren Anreizwert. Meist werden Mitarbeiter unterfordert, weil sich der Chef allein für kompetent oder seine Mitarbeiter für unreif hält. Gerade dies wird dann zur «sich selbst erfüllenden Prophezeiung».

 

24 Ein Führer muss zuhören können

Nur so erhält er die richtigen Informationen, wobei er sich von den «Jawohl-Sagern» fernhalten und nicht irgendwelchen selektiven «Einflüsterungen» unterliegen sollte. Auch sollte er gelegentlich Zeit haben: Ein Führer, der nie Zeit hat - manche glauben, gerade dies sei ein sicheres Zeichen echter Führung -, zeigt dem Eingeweihten, dass er kein Führer ist.

 

25 Ein Führer muss Selbsterkenntnis besitzen

Auch oder gerade Führende sollten über ihr Führungsverhalten und ihren Führungsstil reflektieren und dabei gewahr werden, dass jede Führungshandlung nicht nur direkte Konsequenzen in bezug auf den angestrebten Führungserfolg hat, sondern auch wichtige Nebenfolgen oder symbolträchtige Bedeutungen für den Mitarbeiter haben kann. Selbsterkenntnis und Selbstaufmerksamkeit bedeuten auch Selbstbeherrschung und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Dazu gehört ebenso der Mut, Fehler zuzugeben oder Entschuldigungen auszusprechen.

 




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