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Hans-Rudolf Müller-Schwefe: Technik und Glaube. Eine permanente Herausforderung. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1971.
Wenn die Wissenschaft die Religion unserer Zeit ist, dann ist die Technik ihr Kult, welcher den Alltag des Menschen gestaltet. Zur Abklärung des Wesens der Technik greift der Hamburger Ordinarius für praktische Theologie weit aus und bringt Zeugnisse nicht nur von Theologen, sondern auch von Philosophen und Kulturhistorikern.
Nach einem profilierten Überblick untersucht er den Weg des Technikverständnisses von Aristoteles und Platon über Augustin und das bedeutsame 13. Jahrhundert bis zu den „Utopisten", Descartes und Leibniz. Tief lotet er sodann das technische Weltverhalten der Gegenwart aus. Das Problem ist hierbei, "dass der einzelne, Mann und Frau, diese Freiheit, die die Technik gibt, vor dem andern und für ihn verantwortet". Optimismus und Pessimismus sind "selbst nur Spiegelungen der Freiheit des Menschen, die ihn in Entzücken und Entsetzen zugleich versetzt". Müller vertritt ein strenges Polaritätsprinzip in dem Sinne, dass immer "beide Seiten“ als einander bedingende und stützende notwendig sind: "Technik und Mythos, Rationalität und Tiefe, Aktion und Erleiden.“ "Nicht Desertion aus der Technik in den Mythos kann die Lösung lauten, sondern menschliches Bestehen der Technik als Geschick."
Müller geht in seinem ebenso vielschichtigen wie überragenden Werk auch auf die Atomphysik und Kybernetik ein. Da spricht also ein Theologieprofessor zu uns, der über ein stupendes Wissen in den verschiedensten Wissenschaften verfügt, dies angemessen einzusetzen vermag und für einmal nicht in die Psychosoziologie abgleitet.
Nicht um Angst, Frustration und Projektion, nicht um soziale Vorurteile und Interdependenzen geht es hier, sondern um die Existenz, die Verwirklichung der Einmaligkeit und Freiheit des konkreten Menschen in Verantwortung und rationaler Gestaltung. Der Mensch ist nur real am Wendepunkt von Vergangenheit und Zukunft.
Wahrlich profund und umfassend, sachlich und dennoch kühn ist diese bedeutsame Schrift - eine der anspruchsvollsten der letzten Jahre (in Paperback), die dem Leser in der grossartigen Vermischung von poetischer Sprache und meisterhafter Vollständigkeit ein gerüttelt Mass an Mitdenk- und Verarbeitungsleistung abzwingt.
Anthropologie und Christologie führen beide zum Menschen - und zu Christus: Kreuz und Auferstehung sind unüberholbar.
Erschienen in den Basler Nachrichten, 19. Januar 1972
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