Marxistischer Dogmatismus als Verlierer
Quentin Lauer S. J./ Roger Garaudy: Sind Marxisten die besseren Christen? - Ein Streitgespräch. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1969.
Unter dem wohl provokant sein sollenden, aber ganz einfach dummen deutschen Titel "Sind Marxisten die besseren Christen?" stellt sich ein Streitgespräch zwischen dem Chefideologen der Kommunistischen Partei Frankreichs, Roger Garaudy [*1913], und dem amerikanischen Jesuitenpater Quentin Lauer [1917-1997] vor.
Im Namen des langsam in Gang gekommenen Dialogs zwischen den entgegengesetzten Polen Christentum - als Prügelknabe für den anvisierten Kapitalismus - und Marxismus (Kommunismus) verfechten beide Ihre Ansichten mit dem am Beginn formulierten Ziel, voneinander zu lernen und zu untersuchen, wie man gemeinsam, praktisch für eine fortschreitende Humanisierung der Menschheit arbeiten könnte - geht es doch dem Christen um die Würde und das Wohl des Menschen, dem marxistischen Sozialismus um die volle Entfaltung des (schöpferischen) Menschen, seine Befreiung von den Entfremdungen (Abhängigkeiten). Doch geschieht, was geschehen muss: der aufgeschlossene Jesuit siegt auf der ganzen Linie über den dogmatischen Marxisten. Zumindest der Letztere ist aber kaum repräsentativ für den heute ungemein vielfältigen und gespaltenen, um nicht zu sagen: zerstrittenen "Marxismus“ - man denke an Tito, Dubcek, Breschnew, Mao, Castro, Togliatti -, während Lauer, selbstkritisch und um sachliche Information bemüht, immerhin die fünf päpstlichen Sozialenzykliken seit 1891 im Rücken hat. Am besten unterscheiden respektive trennen wir und sprechen nicht von "Christentum und Marxismus" sondern von dem, was Lauer und Garaudy sagen.
Es fällt sofort auf, dass Garaudy ständig ausweicht, mit Statistiken, Programmen und Schlagwort-Postulaten kommt, seltsamerweise meist historisch zurückgeht - und dem Christentum einen Haufen Missetaten und Missstände anrechnet -, sich häufig, fast stereotyp wiederholt, dabei aber recht wirr - weil vieles vermengend und in einen Topf werfend -, richtungslos und unklar bleibt, wohingegen Lauer in der Gegenwart steht, Konzilianz zeigt und nicht nur um Differenzierung und Gewichtung, sondern auch um echte Verständigung bemüht ist. Eine seiner wichtigsten Bemerkungen lautet: "Man kann ... durchaus mit der marxistischen Kritik an bestehenden Verhältnissen übereinstimmen, ohne damit gleichzeitig ihre Veränderung im Sinne des Marxismus zu billigen.“
Garaudy hingegen pflegt einen fast plumpen Hass auf die „Herrschenden“, „Etablierten" - vor allem auf die USA -, auf die kapitalistische und kolonialistische, profitgierige Ausbeutung, Unterdrückung und Erniedrigung. Der Kapitalismus ist für ihn grundsätzlich zu verurteilen, a priori des Teufels - obwohl ihn Marx für die nachfolgende "Diktatur des Proletariats" voraussetzt. Garaudys Fetisch ist der alte Zopf der "Abschaffung des Privateigentums von Produktionsmitteln"; allein der Kollektivbesitz gewährleistet die Freiheit und den Fortschritt des Menschen. Denn schon längst hat sich dieses Gespräch von der möglichen theoretischen und praktischen Zusammenarbeit von Christen und Marxisten zum Streit darüber entwickelt, wer dem Fortschritt des Menschen am besten diene. Und da sich die Kirche im Westen wie in den sozialistischen Ländern zumeist mit den konterrevolutionären oder konservativen Kräften verbündet hat, muss der Glaube als "Entfremdung" bekämpft werden. (Die Verfolgung und Zerschlagung der Kirche im Ostblock sei aber gar nicht so schlimm, wie der Westen behaupte.)
Auf Garaudys ausschweifende Verdammung des weltweiten US-Kolonialimme antwortet Lauer, fast am Schluss des Gesprächs: "Es fällt mir schwer einzusehen, wie eine so gefühlsbetonte und politisch orientierte Verurteilung von etwas, das auch ich als Christ keineswegs befürworte, zu unserem Gespräch nennenswert beitragen kann. Man gewinnt den Eindruck, dass Sie über das Christentum tatsächlich nichts mehr zu sagen haben und daher zur Hetze gegen einen unchristlichen Kapitalismus übergehen."
Als Fazit könnte man feststellen, dass das Christentum in den letzten hundert oder fünfzig Jahren sich "in der Konfrontation mit dem Marxismus seiner eigenen sozialen Bedeutung allmählich bewusst geworden ist", während umgekehrt der Marxismus wohl wenig vom Christentum aufgenommen hat. Eine Annäherung der "Standpunkte" (die hier zutreffende Bezeichnung dieser Sonder-Buchreihe) hat also, zwischen Christentum und Marxismus, wie zwischen Lauer und Garaudy, nur sehr einseitig stattgehabt. Versuchte Lauer auf beiden Seiten das Positive zu sehen und das Negative nicht zu verschweigen, so verharrte Garaudy in alter und recht gehässiger, überraschend undifferenzierter Ost-West-Schwarzmalerei.
Schade. Wenn das die "dritte" und bisher höchste Stufe des Dialogs ist, dann muss man mit einiger Skepsis in die Zukunft blicken, zumal dieses 130seitige Gespräch, das ohne versöhnliche Worte recht unvermittelt abbricht, noch vor dem 21. August 1968 geschrieben wurde. Die Diskrepanz zwischen Theorie, Sollensforderungen, Behauptungen über die Praxis und tatsächlicher Praxis ist - hier und dort, versteht sich - ein ungemein ernstes Problem.
Erschienen in den Basler Nachrichten, 12. November 1969
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