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Zur Gedenkfeier der Universität Basel zum 500. Geburtstag Erasmus' von Rotterdam, 17. Juni 1969

 

 

Umrahmt von Musik aus der ersten Hälfte des 16 .Jahrhunderts fand gestern Abend in der vollbesetzten Aula des Kollegiengebäudes die "Erasmus-Gedenkfeier 1469-1969" – eine trockene, freudlose Pflichtübung - statt.

 

Als Auftakt bot das vierköpfige Zürcher Ensemble "Ricercare" kurze Stücke von Ludwig Senfl und Heinrich Isaac dar. In den anschliessenden (kurzen) Begrüssungsworten zog der Rektor der Universität Basel, Prof. Dr. iur. Kurt Eichenberger,  Parallelen zwischen Erasmus und dem Menschen des 20. Jahrhunderts. Wie wir heute, so lebte auch Erasmus in einer Zeit des Übergangs; er erlebte die Brüchigkeit des Hergebrachten und versuchte Neues zu entdecken und zu eröffnen.

 

Erasmus' Leben in Europa

 

Der Ordinarius für mittlere und neuere Geschichte, Prof. Dr. h. c. Werner Kaegi, skizzierte hierauf in seiner Ansprache (1 Stunde) "Erasmus ehedem und heute" Leben und Wirkung dieses übernationalen Geistes. Weniger Erasmus als Humanisten, sondern den kirchlichen Erasmus stellte er vor und warf gleich zu Beginn die Frage auf, ob die Augen des Historikers die richtigen sind, Erasmus überhaupt zu fassen.

 

Als geborener Niederländer könnte man Erasmus sogar als Burgunder bezeichnen. 1521 wurde sein weiterer Aufenthalt in Löwen des Wormser Ediktes wegen sehr gefährlich, weshalb er nach Basel übersiedelte. Schon die vorherigen Jahre in Paris waren für ihn eine schwierige Zeit gewesen. In Paris wäre er jedenfalls nur primus inter pares geblieben, in Basel aber war er König.

Im Grunde genommen war sein ganzes Dasein ein ständiges Flüchtlingsleben; seine vielen Reisen nach England und Italien sind Zeichen dafür. Er wollte immer möglichst nahe an einer Grenze wohnen. In England war es, wo er richtiggehend aufblühte. Hier wurde ihm die Idee des Humanismus als "gelebtes Dasein" durch Thomas Morus und John Fisher zuteil. Doch nach dem Ende seiner beiden besten Freunde auf dem Schafott (1535) klang seine Liebe zu England in Trauer und Schweigen aus

 

Die Beziehungen zu Italien und seinen Persönlichkeiten blieb relativ unbedeutend. Trotz seiner Streitschriften gegen Spanien wurde Erasmus gerade dort sehr hoch geschätzt. Jedoch begann der spanische Erasmuskult nach 1530 zu erlöschen und die etwa 1540 in Spanien begonnene Reformation der alten Kirche (Gegenreformation) hatte zur Folge, dass bald alle seine Bücher auf den Index kamen und schon ihr Besitz lebensgefährlich wurde.

 

Die unsichtbare Kirche Christi

 

Nicht im Europa der Vaterländer und -Staaten (Imperien, Reiche) ist Erasmus zu Hause gewesen, sondern in der Kirche. Gerade weil er sie, die katholische, liebte, bekämpfte er sie. Für ihn gab es nur die „civitas“, deren Haupt Christus ist. Überhaupt war ihm die ''philosophia Christi“, das Leben nach den Evangelien, das Wichtigste. Einer seiner bedeutsamsten Sätze ist:

"Vielleicht ergiesst sich der Geist Christi weiter als wir meinen."

 

Eng in Zusammenhang damit steht seine Auffassung von der „unsichtbaren, praeexistenten Kirche", die verborgen in der sichtbaren lebt. Deshalb sah er auch die Einheit der Kirche nicht im Papsttum, sondern im „consensus gentium“.

 

Erasmus heute

 

Eine abschliessende Betrachtung widmete der Referent dem Nachleben des Erasmus und seinem Fortwirken in die Gegenwart. Dazu zählen beispielsweise die Entstehung der Toleranzidee und die Begründung des Völkerrechts im 17. Jahrhundert. Im Zeitraum von 1680-1720 legte die "Flüchtlingspublizistik" den Grund zur Freiheitsidee.

 

Für die heutige Zeit ist die erstaunliche Tatsache festzuhalten, dass die Laienwelt der spanisch- und portugiesischsprechenden Länder am meisten an Erasmus interessiert ist, was sich schon in der grossen Anzahl von Übersetzungen äussert .Auch in Osteuropa, zum Beispiel in Polen, wird Erasmus grosse Beachtung geschenkt.

 

Als die wichtigsten Punkte des Erasmischen Denkens gelten heute erstens die Idee des Friedens und der Kampf gegen den Krieg, zweitens die Verbundenheit aller Christen, die Ökumene und drittens der Erziehungsgedanke. Über allem aber steht die Wahrheit.

Der Friede in Staat, Leben und Religionssachen war Erasmus' Hauptanliegen. Seinen pädagogischen Gedanken der Liebe zum Kind, das in Freiheit erzogen sein will, hat die Gegenwart wenig Neues hinzuzufügen.

 

Erasmus' Schriften

 

Eine der grössten Leistungen des Erasmus war die Herausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache, die zwar nach heutigen Massstäben flüchtig genannt werden muss. Luther benützte sie für seine Übersetzungen.

Weitaus die verbreitetste Lektüre finden heute die "Colloquia" - eine Reihe von Friedensschriften, die sich durch sein ganzes Leben hindurchzieht - und das "Lob der Torheit". Letzteres vor allem - wie Prof. Kaegi ausführte - weil die Wahrheit sich nicht immer hinter den Stirnfalten eines Theologen verbirgt, sondern oft in den Spässen eines Till Eulenspiegels.

 

Eine Anzahl von Tänzen Pierre Attaingnants, auf alten Renaissanceflöten gespielt, beschloss diese schlichte Gedenkfeier.

 

Erschienen in den Basler Nachrichten, 18. Juni 1969

 


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