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Erich Fromm: Die Herausforderung Gottes und des Menschen. Diana-Verlag, Zürich, 1970;
engl. You Shall Be As Gods. A radical interpretation of the Old Testament and its tradition. New York: Holt, Rinehart & Winston 1966; London: Cape 1967.

 

 

"Das Alte Testament ... ist eine Sammlung von Schriften vieler Autoren, die während eines Zeitraums von über tausend Jahren (etwa 1200 bis 100 v. Chr.) verfasst wurden." Es macht aber nur einen Teil der hebräischen Literatur dieser Epoche aus und vertritt nicht allein die Grundsätze der Gerechtigkeit und Rache, sondern gelangt bis zur Idee der Freiheit und Brüderlichkeit.

Die eine Fortsetzung ist die christliche Bibel, das Neue Testament, die andere die jüdische "mündliche Überlieferung", die um 200 (Mischna) bis 500 (Gemara) kodifiziert wurde, der Talmud.

 

Der bekannte Neopsychoanalytiker Erich Fromm - 1900 In Frankfurt geboren, in seiner Jugend von talmudischen Gelehrten unterwiesen und heute mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft in Mexiko lebend [1980 im Tessin gestorben] - kommentiert diese Heiligen Schriften unter dem Blickwinkel des "radikalen Humanismus" – etwa: Internationalismus ohne Gewalt - fast ohne Psychologie und Soziologie.

 

Das Konzept des Einen Gottes

 

Zuerst betrachtet er das trotz allen Wandels dauernde Konzept des Einen Gottes. Ein Konzept verweist auf die Erfahrung, hat also symbol- oder chiffrehaften Charakter. Entfremdet von der Erfahrungsschicht, auf die es sich beziehen muss, ist es "Ideologie", die durch "Bürokratien" verwaltet wird.

Gott hat den Menschen als potentiellen Gott, d. h. als seinen eigenen Herausforderer geschaffen. Diese Gefahr (z. B. Turmbau zu Babel, Sodom und Gomorra) dann abzuwehren, veranlasste er unter anderen die Sintflut, bereute dies jedoch und bot seine Hand zum "Bund" (mit Noah und Abraham, später mit Moses), dessen erstes Gesetz die "Ehrfurcht vor dem Leben" (Albert Schweitzer) ist.

 

Maimonides (12.Jahrhundert) entwickelte in seiner negativen Theologie die Auffassung des "namenlosen" Gottes zum Gott ohne "Wesensattribute": Der lebendige Gott ist und handelt. Idolatrie und Götzendienst verhindern seine schweigende Lobpreisung oder, wie Fromm es nennt, die "X-Erfahrung".

 

Altes Testament und nachbiblische jüdische Überlieferung

 

Der Mensch als im Bildnis Gottes Erschaffener versucht, Gottes Handlungen nachzuahmen, und zwar indem er dessen "Gesetz" ("Wertsyndrom") erfüllt, dem rechten Lebensweg (Halacha) folgt. So kann der Mensch mehr und mehr wie Gott werden und ihn damit erkennen. Auf diese Weise wird er - als "offenes System" - selbständig und frei.

 

Der Mensch soll nicht Diener des Menschen sein, sondern gehorsam "gegenüber der rationalen Autorität". Das bedeutet auch eine Lösung von den primären Bindungen Blut und Boden - vergleichbar der Abschüttelung der Sklaverei in Ägypten durch Moses (wobei entscheidend ist, dass weder der Pharao noch die Herzen der Hebräer sich änderten; beide blieben durch Gottes Gewaltakt verhärtet).

 

"Im Prozess der Geschichte bringt sich der Mensch selbst hervor." Deshalb bemüht sich Fromm um den Sündenfall als geschichtliches Ereignis - nicht als Wesensverderbnis des Menschen -, was "immer wieder im messianisch-prophetischen Konzept betont" wird: Der Mensch entwickelt seine Fähigkeiten des Verstandes und der Liebe (auch zum Fremden und Machtlosen).

 

Messianische Hoffnung lässt sich von den Propheten über die apokryphen Bücher, den Talmud und die Kabbala bis zum Chassidismus nachweisen. Es ist ein paradoxes, dynamisches Hoffen: "Man darf 'den Messias nicht erzwingen', aber man muss ihn jeden Augenblick erwarten."

Vorwiegend frei dagegen kann der Mensch zwischen Leben und Tod, Gut und Böse, Segen und Fluch wählen - mit den Konsequenzen: Vergebung oder Strafe, Sünde und Reue.

 

Eine Vorwegnahme der messianischen Zeit in der Praxis ist der im Judentum zentrale Sabbat: Ausdruck völliger Harmonie von allem. " 'Ruhe' ist ein Zustand den Friedens zwischen Mensch und Natur", Symbol der Einheit von Mensch und Menschen, Befreiung von den Ketten der Zeit.

 

Die Zergliederung einiger Psalmen wirkt verbindungslos angehängt. Das ist bedauerlich, denn Fromms Analyse heiliger Schriften im Hinblick auf "die Befreiung und Erweckung des Menschen" gibt Zeugnis von einer tiefgehenden Auseinandersetzung. Als nichtgläubiger oder nichttheistischer Humanist weiss er sich mit den Gottesgläubigen "in einem gemeinsamen Ziel vereint".

Diese in ihrer Art überzeugende Interpretation - bestechend durch Sachkenntnis, Kürze und Einfachheit - ist zwar eher eine Beschreibung, d. h. es wird gerade nicht ganz deutlich, wohinaus sie eigentlich will.

 

(geschrieben im Juli 1970;

erschienen am 12. August 1970 in den „Basler Nachrichten“)

 



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