Home Christian Garve: Über die Moden. 1792, 180 Seiten.

 

aus: Gesammelte Werke, Erste Abteilung, Bd. 1:

Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Literatur und dem gesellschaftlichen Leben. Teil 1. Breslau 1792; Nachdruck Hildesheim: Olms 1985, 117-294.

 

Separate und illustrierte Ausgabe Frankfurt am Main: Insel-Verlag 1987.

 

 

Ausgewählte Stichworte und Zitate, ca. 1986

 

Was die Wahl bestimmt oder zu Änderungen veranlasst, ist entweder das Gute oder das Schöne. Gut und Böse sind durch die Gesetze des Gewissens bestimmt, Schön und Hässlich durch den Geschmack und die Mode.

Die Sitten beziehen sich auf erstere (die Pflichten); die Mode gebietet über Schmuck und Anstand, sie ist „die zu jeder Zeit herrschende Meinung von dem Schönen und Anständigen in kleinern Sachen ..., in Sachen, die weder durch Anwendung der Regeln des Geschmacks noch der Zweckmässigkeit, mit völliger Übereinstimmung, regulirt werden können“ (121-122).

 

Die Mode ist (232):

  • Verführerin
  • Gesetzgeberin
  • Richterin.

 

Mode betrifft:

  • Kleidung (Verzierung der Person; Schmuck)
  • Wohnung (Verzierung der Häuser; Hausgeräte, Equipage)
  • Lebensart (Höflichkeit) (123).

 

Auch die Kunst unterliegt der Mode! (177-179).

 

Moden sind „eben so gut Mittel der Absonderung, als der Vereinigung“ (124), sind also standesspezifisch.

 

Wichtig ist (124-125):

  • der Nachahmungstrieb: Einige wenige (aber auch ein Volk, z. B. Frankreich) ziehen die Augen weniger auf sich und werden von ihnen als „Muster“ angesehen
  • die Ungleichheit: Wenn es viele soziale Stufen gibt, wird der Blick nach oben gerichtet.

 

„Das allgemeine Principium der Mode, der Nachahmungstrieb Vieler, und das Ansehn des  Beyspiels Einiger“ (163), fixiert Unbestimmtes (= die kleinern Sachen).

 

Wenn der Wohlstand steigt: weniger Nachahmung als freie Wahl (> Demokratisierung; 142).

 

„Jeder Mensch zeigt die Classe, zu der er gehört, durch den Wohlstand an, welchen er beobachtet“ (180).

 

„Der erste Schritt verfeinerter Sitten ist die Nachahmung dessen, was andre für schön halten; der letzte ist die eigne Wahl dessen, was man als schön erkennt“ (142).

 

„Die Mode regulirt entweder die Sachen, die zu Befriedigung unsrer körperlichen Bedürfnisse dienen, oder die gesellschaftlichen Gebräuche“ (143). Letztere betreffen entweder das Benehmen und die Vergnügungen, oder die „verabredeten Zeichen unsrer Gesinnungen gegen andre“.

Das eine sind „Konventionen“ („Arten von stillschweigenden Verträgen“), das andere ist die „Sprache des Umgangs“ (insbesondere Höflichkeit) (157).

 

Je verfeinerter die Gesellschaft, desto mannigfacher die Konventionen und desto einfacher (ja kälter) die Höflichkeit (166).

 

Die Mode schafft im Bürgertum Unzufriedenheit (234-249).

 

Pluralismus verhindert, dass Parteien mit Waffen aufeinander losgehen, ergibt Toleranz (197-202).

 

Gewohnheit entlastet, Mode strengt an (215-218).

 

Zwei Regeln sind zu beachten (251ff; 272ff):

 

  1. Ideal: Moden nicht zu schnell und nicht zu langsam mitmachen.
  2. Die Moden des Standes, zu dem man gehört, nicht überschreiten.

 

Dreierlei macht die Würze jedes gesellschaftlichen Vergnügens aus (276):

    • Imagination
    • Witz und
    • Zärtlichkeit.

 

 

Wie setzten sich Neuerungen durch?

 

Die Gründe für Veränderbarkeit (126-142):

  1. Trieb nach Beschäftigung
  2. Räsonnieren über Schönheit
  3. Arbeitsteilung und Innovation!
  4. „die Begierde der Reichen, ihren Reichthum, und der Vornehmen, ihren Rang äusserlich zu zeigen“ (132) (dann: „trickle down“)
  5. Kontakt der Völker untereinander.

 

Neuerungen

  • machen Aufsehen und
  • erregen Widerspruch (194).

 

„Einem grossen Theile der Menschen ist das Fremde, das Ungewohnte, an und für sich zuwider. Ein andrer missbilligt die Eitelkeit, die unter immer veränderten Gestalten von neuem die Augen auf sich ziehn will. Ein dritter hat sich in die alte Mode so hineingeformt, und findet sie seinen besondern Bedürfnissen und Eigenheiten so angemessen, dass er sie sich, als ein Stück der ihm nothwendig gewordnen Bequemlichkeiten, nicht will rauben lassen“ (194-195).

 

„Indessen eben diese Widersetzlichkeit, welche die Neuerung bey dem grössern Haufen findet, verbunden mit dem Beyfalle, den sie bey dem kleineren und eitleren erhält, setzt die Gemüther in die Bewegung, wodurch sie zu einer Änderung vorbereitet werden. Die Sache wird debattirt: viele berathschlagen sich darüber mit sich selbst und mit andern; und die noch nichts von ihr wussten, lernen sie zuerst durch den lauten Tadel ihrer Gegner kennen. Nun dürfen nur die, welche die Mode zuerst aufbrachten, standhaft bey derselben bleiben ... oder das Neue mag etwas gefälliges und angenehmes haben, welches nach und nach die Vorurtheile besiegt: so wird sie am Ende um desto schneller um sich greifen, je mehr sie am Anfange angefochten wurde“ (195-196).

 

Mode schafft Arbeitsplätze, aber individuell: Sie vervielfältigt die Gegenstände der sinnlichen Begierden (228-229). „Sie beschäftigen den Geist der Menschen, deren Aufmerksamkeit einmal auf sie gerichtet ist, unaufhörlich, aber nie oder selten sehr starck und lebhaft. Sie entzünden alle Augenblicke kleine Aufwallungen von Begierden oder Unmuth, aber sie erregen selten grosse Leidenschaften: Sie machen also den Geist klein, indem sie ihn beunruhigen“ (231).

 



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