Home Jeremias Gotthelf: Uli der Knecht (1841)

 

Der Glunggenbauer Joggeli

 

Eine kleines Charakterporträt

 

 

Abbildung aus Jeremias Gotthelf: Uli der Knecht und Uli der Pächter, neu hrsg. von Otto Sutermeister; illustriert von H. Bachmann, Chaux-de-Fonds: Verlag von F. Zahn, ca. 1894, 106.

 

Zur Illustration der Schweizer Film:

Franz Schnyder: Uli der Knecht. Mit Liselotte Pulver (Vreneli), Hannes Schmidhauser (Knecht Uli), Emil Hegetschweiler (Glunggenbauer Joggeli), Heinrich Gretler (Johannes, Bodenbauer), 1954; VHS

 

 

 

Zum ersten Mal werden wir mit Joggeli auf dem Viehmarkt bekannt gemacht. Gotthelf gibt uns schon in diesem Kapitel ein gutes Bild von Joggelis Charakter.

 

Joggeli ist ein altes und schitteres Mannli, das allen Leuten misstraut. Er spürt, dass es mit ihm bereits ein bisschen bergab geht und dass er deshalb auf seinem Hof nicht mehr überall für einwandfreie Ordnung sorgen kann. An seinen zwei Kindern hat er keine Stütze. Der Sohn bewirtschaftet einen Gasthof, und die Tochter sitzt nur zuhause herum, arbeitet weder in der Küche noch auf dem Feld, sondern strickt nur den ganzen Tag.

 

Joggeli erzählt auf dem Markt sein ganzes Unglück. Er habe all sein Vertrauen und alle seine Hoffnungen in einen Meisterknecht gelegt, der elf Jahre bei ihm gearbeitet habe, und nun habe er erfahren müssen, dass dieser Knecht ihn die ganze Zeit betrogen und hintergangen habe. Joggeli ist natürlich recht erbost über diesen untreuen Knecht und hat darum auch sein Vertrauen zu andern Leuten verloren.

Dieser Missgriff mit den Meisterknecht erklärt uns also, warum Joggeli ein so grenzenloses Misstrauen an den Tag legt. Jetzt ist Joggeli ganz ratlos und bittet Johannes um Rat. Den Hof will er nicht verkaufen und einen Lehensmann will er auch nicht einsetzen. Das Beste wäre, wenn Joggeli einen tüchtigen Meisterknecht erhielte. Daher bittet er Johannes, ihm doch zu einem solchen zu verhelfen. Er zahle jeden .Lohn, er sei nicht knauserig.

 

Joggeli fährt nun vom Markt hinter Johannes zu dessen Gut. Unterwegs zieht er überall Erkundigungen ein über Johannes und Uli. In jedem Wirtshaus fragt er, ob der Johannes ein guter Bauer und ob Uli wirklich ein so guter Knecht sei. Er zeigt hier zum erstenmal sein Misstrauen ganz offen. Auch als Uli ihm auf dem Hof das Pferd abnimmt, gibt er ihm genaue Anweisungen, wie er das Pferd striegeln und tränken solle. Er traut auch Johannes nicht ganz als dieser sagt, Uli gehe ganz freiwillig von diesem Hofe weg. Er glaubt, die beiden hätten sich entzweit , und weil Uli jetzt .nicht mehr hier bleiben wolle, gehe er natürlich dorthin, wo er am meisten Geld erhalte.

 

Joggeli verfügt, wenn es sein muss, auch über ein gutes Mundwerk. Er überredet nämlich die Frau von Johannes, wenn Uli ein so guter Knecht sei, dann wolle er ihn gerade einstelle, und die Frau willigt ein. Erst als er schon fort gegangen ist, kriegen Johannes Frau und auch er selbst Bedenken. Sie sagen, Joggeli, der alte Fuchs, hätte sie schön überlistet.

 

Auf der Glungge zeigt uns Gotthelf, was für Zustände auf einem verlotterten Bauernhof herrschen können. Joggeli hat absolut keine Autorität. Er schnauzt seine Untergebenen einfach an, und diese nicht faul, schleudern ihrerseits Schimpfwörter an Joggeli. Er selbst arbeitet nicht gerade viel, und da dies die Knechte sehen, wollen auch sie nicht arbeiten. Sie lehnen sich auf, weil sie wissen, dass Joggeli keine Macht über sie hat.

 

Was will er machen, wenn sie nicht recht arbeiten? Entlassen kann er sie nicht, denn er braucht jemanden, der ihm wenigstens den Hof in mehr oder weniger guter Ordnung hält. Wenn er ihnen weniger Lohn gibt, dann ziehen die Knechte einfach aus, und Joggeli ist wieder allein. Als kann er gar nichts gegen diese Burschen unternehmen, und darum ist er so böse auf alles. Über sich selbst ärgert er sich, weil er sieht, dass er den Knechten nicht mehr beikommt, und über die andern schimpft er, weil sie alle gegen ihn eingestellt seien. Wenn einige beisammen seien, dann richteten sie  ihr Trachten nur darauf,  ihn ins Verderben zu stürzen.

Dies sehen wir am besten bei seiner Rede, als Uli auf der Glungge ankommt.

 

Fast tagtäglich zeigt Joggeli sein Misstrauen. Am ersten Tag, als sich Uli beim Arbeiten im Stall versätet, glaubt Joggeli, er sei schon da von gelaufen. Er schimpft über Johannes, dieser sei doch ein schlechter Kerl‚ dass er ihm einen so unzuverlässigen Knecht aufgehalst habe, aber es sei nun einfach so mit den Leuten, man könne nicht einmal seinen eigenen Kindern mehr trauen.

 

Trotzdem ist Joggeli auch zu Lob fähig. Als er die schöne Ordnung und die geraden Futterwalmen im Stall sieht, lobt er Uli ganz ehrlich. Er rät sofort den Knechten, sie sollten ein Vorbild an Uli nehmen und übrigens gefalle ihm dieser neue Meisterknecht gut. Aber er solle nur nicht zuviel befehlen, denn da hätte er am Schluss selbst nichts mehr zu regieren.

 

Gerade im Folgenden zeigt es sich,  wie sehr Joggeli um seine Macht und seine Autorität, die er schon lange nicht mehr hat, bangt. Uli macht ihm den Vorschlag, schon jetzt zu holzen, jetzt sei das Wetter gut dazu. Joggeli weiss nicht recht, was er davon halten soll. Er denkt dann aber, Uli wolle sich jetzt schon breit machen und sagt darum nein. Er möchte auch nicht mit einem Vorschlag vor die Knechte treten, den er gar nicht selbst gefunden hat.

Er findet auch noch verschiedene andere Ablehnungsgründe. Bis jetzt wurde auf dem Glunggengut immer nach folgendem System gewirtschaftet: Erst wenn eine Arbeit beendet war, schaute man, was wohl als nächste zu tun wäre. Also keine vorsichtige Planung für das ganze Jahr, sondern einfach: „Es wird schon recht herauskommen, wenn wir auch ein wenig später fertig sind, wir werden es dann schon zur Zeit unterm Dach haben.“

Also spielt bei Joggeli die Tradition, das Alteingesessen eine grosse Rolle. Er sagt einmal kurz und knapp zu Uli, das sei nicht der Brauch, und deshalb werde es auch nicht gemacht. Er hängt stur am alten und will das Neue nicht an sich herankommen lassen.

 

Bei Diskussionen widerspricht Joggeli zuerst regelmässig, nur damit Uli nicht von Anfang an recht hat. Darum weist ihn seine Frau immer wieder darauf hin: „Die guten Gedanken der andern suchst du zuschanden zu machen, nur weil du auch etwas sagen willst. Meinst du es käme dann noch einer zu dir? Höchstens ein Quacksalber, der dir zuerst gehörig schmeichelt und dich dann gründlich übertölpelt!“

 

Am folgenden Tag tritt Joggeli erstaunlicherweise mit der Frage vor die Knechte, ob sie heute nicht holzen wollten. Doch die Knechte erheben ein lautes Lamentieren. Die Pferde seien nicht in Ordnung ,das Wetter sei nicht gut und es seien dann zuwenig Leute da zum Dreschen. Joggeli wäre vollkommen hilflos gewesen, wenn nicht Uli eingegriffen und die Knechte buchstäblich zum Holzen geschleppt hätte.

 

Auch mit seiner Frau versteht es Joggeli nicht gerade gut. Wenn sie einmal etwas Vernünftiges bereit gemacht hat, kommt. Joggeli und verdirbt alles wieder, sodass die Frau gezwungen ist, viele Dinge hinter dem Rücken ihres Mannes zu machen, damit wenigstens etwas in Ordnung ist.

Das ist natürlich auch kein glücklicher Zustand, aber Joggeli kann sich trösten, dass auch auf andern Höfen die Frau niemanden in ihre Küchen- und Gartengeheimnisse einweiht.

 

Dies bringt uns auch auf die allgemeine Problematik von Joggelis Gestalt. Wie stellt er sich zu der Beziehung Meister-Knecht ein? Ich glaube, hier liegt der grüsste Fehler von Joggeli. Er betrachtet einen Knecht als Untertan, dem man befiehlt, und dieser muss gehorchen. Das heisst, der Meister ist ein hochgestellter Mensch, während der Knecht wie der Meisterknecht nur arme Teufel sind, Angestellte zum Gehorchen. Sie sollen knechtische Arbeit verrichten und sich mit ihren bescheidenen Einnahmen und Unterkünften zufrieden stellen. Joggeli betrachtet also die Dienste nicht als Menschen, sondern als Arbeiter.

Ganz im Gegensatz dazu stellt sich Johannes diesem Problem: Er schaut seinen Knecht auch als einen Menschen an. Er nimmt sich der Nöte und Sorgen der Diensten väterlich an und sitzt beratend mit ihnen zusammen. Er hilft ihnen überall und schaut sie nicht einfach von oben herab an. Er betrachtet sie als wertvolle Mitarbeiter.

 

Joggeli ist, wie wir schon gesehen haben, kein sehr guter Bauer. Überall ist stümperhafte Arbeit geleistet worden, die Werkzeuge sind rostig, nichts ist an seinem Ort. Auch an der Organisation fehlt es bei Joggeli. Einmal wird es so gemacht und das andere Mal gerade umgekehrt. Er kümmert sich auch nicht um den Eindruck, den sein ganzes Gut gegen aussen macht.

 

Sein Versagen als Bauer lässt ihn keine Freude mehr am Hof erleben. Sein Misstrauen kommt immer wieder zum Ausdruck. Er schickt Uli mit einer Kuh auf den Markt, lässt ihm diese durch eine bestellte Person abkaufen und als Uli heimkommt schaut er, ob dieser nichts vom erhaltenen Geld für sich auf die Seite getan hat. Er habe nadisch wissen wolle, ob Uli ihn betrüge oder nicht.

 

Währenddessen ging das gewohnte Leben auf dem Hofe weiter, und Joggeli wurde es mit der Zeit unheimlich zumute.

 

Es ist aber noch zu sagen, dass Joggeli doch noch ein klein wenig gesunden Menschenverstand zeigt. Als sich nämlich der Baumwollhändler bei ihm vorstellt und seine Weisheiten erzählt, ist es Joggeli nicht ganz geheuer. Er wittert, dass hier etwas nicht ganz stimmt, findet aber nicht heraus was, und daher wird er schliesslich vom Baumwollhändler trotzdem überredet. Nachdem dieser bei Joggeli die hartnäckigen Bedenken zerstreut hat, bringt er ihn soweit, dass er ihm glaubt. Auch hier hat Joggeli sich zu schwach erwiesen.

 

Abschliessend will ich nochmals das Wesen von Joggeli zusammenfassen. Er ist im Grunde genommen ein guter, aber schwacher Mensch. Seine Schwäche wurde auch von andern ausgenützt, indem sie ihn betrogen und hintergingen. Sein allseitiges Ungenügen hat ihn sein Ansehen und seine Autorität gekostet. Er will sich sein Versagen nicht eingestehen und klammert sich deshalb hartnäckig an seine Machtstellung als Meister.

Er hat auch Angst, von Uli in den Hintergrund gestellt zu werden. Er möchte immer noch befehlen, obwohl er nicht mehr dazu taugt. Weil er sich selbst nichts zutraut, ist er gegenüber jedermann misstrauisch.

 

Er ist aber auch ehrlich, und wenn sein Misstrauen endlich beseitigt ist, spendet er aufrichtig, aber selten genug Lob. Er spielt den Meister über die Diensten, anerkennt aber auch, wenn diese etwas wirklich Vernünftiges geleistet haben.

 

Joggeli ist ein wohl gutmütiger, aber verhärteter und verschrobener Mensch, der sich durch seine Engstirnigkeit, ewiges Misstrauen und sein Ungenügen das Leben vergällt.

 

(Deutsch-Vortrag, Sommer 1960)

 




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