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Eine langatmige Betrachtung zum Thema „Arbeit“ und „Verdienst“ von Federfuchsern
18.1.-11.2 1973
Inhalt I. Arbeit II. Verdienst (1970) III. Solidarität aller Arbeitenden
I. Arbeit
Zeit. Vertrödeln, vertreiben, stehlen, gewinnen und wieder verlieren. Totschlagen? Was tun Schreibtischmenschen mit ihrer Zeit? Im Unterschied zu Tramführern, Bauarbeitern, Magazinern, Vertretern und Schalterbeamten? Verbringen sie den Tag anders als Ärzte und Schwestern, Lehrer und Schüler, Verkäufer und Einkäufer? Aufs Sitzen kommt es jedenfalls nicht an; das tun Chauffeure und Handwerker, Gewerbetreibende und Fabrikarbeiter oft auch.
Sondern wir Buchhalter, Verwaltungs- und kaufmännische Angestellte, Zeichner und Planer aus, so behalten wir von den an Tischen sitzenden "Werktätigen" die Journalisten, Texter und Schriftsteller übrig. Auf letzteren möchte ich das Augenmerk richten. Ver-tut er seine "Arbeitszeit" genauso "effizient" wie die andern? Was tut er eigentlich? Und umgekehrt, was ist das für ein Werk, das die andern tätigen? .Sind ein müder Rücken, schmerzende Arme oder Beine und ein brummender Kopf Beweis für Leistung? Wonach bemisst sich überhaupt der Ertrag von Arbeit: an der gefüllten Kasse, am Bewusstsein, soundso viele Menschen bedient, beraten oder herumgeführt zu haben? Der Monteur und Spengler hat geschraubt, gehämmert und geholfen, der Elektrolehrling verdrahtet, die Akkordarbeiterin x-mal dieselbe Verrichtung ausgeführt, die Laborantin soundso viele Analysen, der Mechaniker zahlreiche Services gemacht. Was sieht er oder sie am Abend davon? Eine Sekretärin kann wenigstens einen Stoss getippter Briefe zur Post tragen, ein Dreher die Werkstücke auf dem Schubkarren, eine Näherin die reparierten Kleider betrachten, ein "white collar man" den Berg oder das Häufchen erledigter Pendenzen. Viele aber stehen abends nicht vor einem sichtbaren Erfolg ihres Bemühens. Dennoch waren sie tätig, haben ihre vorgeschriebene „Präsenzzeit“ abgesessen, -gestanden, -gelaufen oder -gefahren: der Polizist im Streifendienst, der Anwalt vor Gericht oder in der Kanzlei, der Bauer in "Feld und Stall". Und die Hausfrau, die Mutter? Die Alten und die Kranken? Sie alle verbringen "auch" die Zeit.
Dass kein offen-sichtliches Ergebnis vorliegt, ist also nicht ausschlaggebend für den Schriftsteller. Ein magerer Trost, wenn er die Notizen eines "erfolglosen" Tages in den Papierkorb wirft? Womit beschäftigt er sich eigentlich: Lesen, Schreiben, Denken, also LSD. Er lebt in einer seltsamen Doppelwelt, die einerseits aus Träumen gewoben, anderseits von Skepsis durchsetzt ist. Er entwirft Scheinwelten als möglichst getreues Abbild der Realität, und gleichzeitig analysiert er diese unerbittlich. Unbestechlichkeit wäre sein Orden, ist er doch sein eigener Auftrag- und Arbeitgeber. Jedoch kann er nicht einfach ins Blaue hinaus schreiben. Das Thema stellt gewisse Forderungen und Anforderungen; der Strom der Ideen kann versiegen.
Was will er? Ihn drängt es meist über den Aphorismus, den Aufsatz, die Erzählung, den Essay hinaus, zum Buch. Das wäre dann ein sichtbares Resultat, das eine längere Lebensdauer hat als der Artikel in einer Zeitung oder Zeitschrift. "Was aber bleibet, stiften die Dichter." Das ist zwar hochtrabend, wird aber desungeachtet eines der geheimsten Hauptmotive schreibender Tatkraft sein.
Der Schreibende wälzt geistige Probleme, schildert seelische Konflikte und durchleuchtet gesellschaftliche und manchmal sogar politische, wirtschaftliche und kulturelle Verhältnisse. Im Wechselspiel von Betroffenheit, Engagement und objektivierender Distanz fühlt er sich als Natur- oder Seelenforscher, der die Oberfläche durchsticht und zu den Hintergründen vorstösst. Oft aber fragt er sich verzweifelt, ob er überhaupt Talent dafür habe und ob sein Urteil "gesund" sei. Er ist nicht immer überzeugt, dass er das Richtige tut. Er philosophiert darüber. Statt mit träumen kann man das als meditieren bezeichnen: über sich selbst, die eigene Jugend, den Auftrag, die "Berufung", über Gott und die Welt. Ständig brechen solche Besinnungspausen in sein Ver-arbeiten ein. Es gestaltet: seine Vergangenheit und auch die Zukunft, Modelle des Zusammenlebens, des Scheiterns auch. Wäre er also Futurologe, der sich mit verschiedenen "möglichen Zukünften" herumplagt? Oder ein Wissenschafter, dessen Objekt nicht eine chemische Substanz, ein physikalisches oder astronomisches Phänomen, ein Organismus in freier Wildbahn oder unter dem Mikroskop ist, sondern der Mensch. Ist er demnach Psychologe? Das muss er sicher sein, doch das sollte ein Politiker, Verkäufer oder Vertreter, ein Beamter oder Berater auch.
Selbstverständlich kann der Schreiber nicht wie der Erfahrungswissenschafter einfach den Menschen auf den Prüfstand spannen, Drähte und Messapparaturen anlegen und Verhaltensbesonderheiten abzapfen. Der Schriftsteller tut das im Laboratorium der Seele und des Geistes. Selbstverständlich kann er auch einen verschämten Seitenblick aufs zuschauende Publikum werfen. Dann verfasst er Schnulzen und Serien von Trivialliteratur. Solches kann dann weit in die Weit geschmettert, gefilmt oder televisioniert werden, auf dass Millionen in ihre Wolkenkuckucksheime entführt werden. Das ist wohl immer die Gefahr bei jeder "künstlerischen" Leistung: der Wagner-Fan träumt im Festsaal, der Bildungsbeflissene in der Bildergalerie, der "verhinderte" Literat in Dichterlesungen.
Besteht also ein Widerspruch zwischen der scharfsichtigen, zeitkritischen Analyse und der Konstruktion von Reichen der Phantasie. Zwischen Idyll und Intrige, zwischen Schäferstündchen und schonungsloser Entlarvung von Herrschaftsverhältnissen, zwischen Fiktion und Report, zwischen Banalität und geistigen Höhenflügen hangelt der Schreibende von Menschen zu Menschen. Ist er also Humanist und Moralist oder Zyniker und Misanthrop?
Sind das überhaupt Berufe wie Schlosser, Polier, Koch, Maler, Revisor, Pilot oder Klimatechniker? Von diesen sitzt kaum einer brav zu Hause und erfreut sich eines nach Belieben einzuteilenden Tagesablaufs. Diese Freiheit des schreibenden Menschen hat jedoch ihre Tücken. Oft lastet sie schwer: "Was soll ich schreiben, wie, wozu?" Oft meldet sich das Zeitproblem: "Heute wieder nichts zustande gebracht; heute nur gelesen und einige Notizen gemacht; heute ‚nur' spaziert und herumgesessen“, oder: „Einen Vormittag auf der Bibliothek versäumt, d. h. nachgeschlagen und nichts gefunden.“ Das quält.
Es ist nicht so leicht, eine Arbeit brav und tüchtig zu "erledigen", ein Soll zu "erfüllen", wenn tausend Gedanken, aber kein einziger tragender, hundert Ideen, aber keine zündende im Kopf herumschwirren. Und dann daran denken, wie nutzlos das Schreiben ist oder oft erscheint. Der "normale" Werktätige leistet wenigstens seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend einen Beitrag zum Wohlergehen aller, zum mehr oder weniger reibungslosen Funktionieren von Staat und Gesellschaft. Jeder ist im Idealfall ein notwendiges, griffiges Rädchen im Getriebe der Welt. Der Denker und Schreiber aber oft Sand, giesst nicht Öl auf die Wogen, sondern wühlt das Ungemach noch mehr auf, kehrt das Unterste, Übelste, Grässlichste zuoberst oder kappt die Taue des "Traumboots der Liebe" von ihren Himmelsbojen und lässt das Schiffchen auf dem Boden der Realität oder am Gestade der Lächerlichkeit zerschellen. Seine Faust, die Mächtiges zu gestalten dürstet, erweist sich als schlaffes Händchen, das nicht einen roten Faden zu halten vermag.
Kann man sagen, dass der Schriftsteller ein kantiges und drückendes Kreuz trägt? Schleppt aber nicht der Hauswart oder Küchenbursche, die Serviertochter und der Fliessbandarbeiter ein ähnliches Los? Wer wird eher mit seinem Leben "fertig": der Direktor oder Prokurist, der Detaillist, der Pfarrer, die Bürohilfe oder der Strassenwischer?
Und wer arbeitet mehr oder besser an unsrer aller Gemeinschaft mit: der Programmierer und Architekt, die Packerin oder der Briefträger oder solche Leute, die Sätze schreiben etwa wie den folgenden: "Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages" (Goethe) oder:
"Aber dieser exakte Mensch ist heute vorhanden! Als Mensch im Menschen lebt er nicht nur im Forscher, sondern auch im Kaufmann, im Organisator, im Sportsmann, im Techniker; wenn auch vorläufig nur während jener Haupttageszeiten, die sie nicht ihr Leben, sondern ihren Beruf nennen" (Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften").
Stimmt das eigentlich, was Dichter und was ich bisher schrieben? Leben wir nicht alle in Luftschlössern und in Illusionen, entweder die Arbeit treu verrichtet oder Zusammenhänge und Strukturen durchschaut zu haben? Was tut’s, wenn diese Wahnvorstellungen sozial bedingt, ein Produkt von Anlage und Milieu, von Genom und Gehirn sind, kurz ein Ergebnis des menschlichen Erbes, das als "genetische und soziokulturelle Bedingtheit" herumspukt, in Herzen und Köpfen. Und die Arbeit an sich selbst, zählt diese nicht? Das Begehren oder der Wille, etwas aus sich zu machen. Das "Abenteuer Mensch und Menschheit" erfolgreich zu bestehen. Freilich oft ohne sichtbaren Erfolg. Manches zeigt sich nur im kleinsten Familien- und Freundeskreise oder am Arbeitsplatz. Es ist abzulesen an der Abgeklärtheit oder dem Engagement, an der Heftigkeit oder Gelassenheit. Wäre das schon alles, es wäre nicht viel.
Um was geht es denn? Was ist das Eigentliche? Ich weiss nicht, welche Berufe sich darüber Gedanken zu machen pflegen. Wer vertritt das Erbe der Philosophie und Theologie? Einer, der am Zeichenbrett, an der Werkbank, am Schalter oder Tresen plötzlich von der Frage überfallen wird: Was tue ich eigentlich? Taucht diese Frage überhaupt auf, und wenn ja, wann, in Zeiten grösster Bedrängnis zu Hause, beim Warten auf das öffentliche Verkehrsmittel oder wenn die Ampel auf Rot steht? Wenn der grösste Andrang im Geschäft oder Büro herrscht, oder in der Kaffeepause? Ich weiss nur, dass beim Schreibtischmenschen diese Frage fast zum täglichen Brot gehört. Doch davon kann er nicht leben. Er muss ja schreiben. Produzieren wie viele andere. Artikel oder Aufsätze, Berichte und Features, Kommentare und Glossen, Analysen und Vorträge, vor allem aber Rezensionen - "Schlagt ihn tot, den Hund, es ist ein Rezensent"?
Wäre das tägliche Brot ein so hartes? Muss man nochmals mit Goethe fragen: "Was träumet Ihr auf Eurer Dichter-Höhe? Was macht ein volles Haus Euch froh? Beseht die Gönner aus der Nähe! Halb sind sie kalt, halb sind sie roh. Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel, Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen. Was plagt Ihr armen Toren viel, Zu solchem Zweck, die holden Musen?"
Das "Musenross" ist ein ungezähmter Gaul. Eh man sich’s versieht, hat er einen abgeworfen. Muss also der Moralist auch noch Tierbändiger sein. Seinen Mustang zureiten. Das hört sich abenteuerlich an. Doch mit einem leeren Blatt vor der Nase, das darauf wartet, vom Bleistift, Federhalter oder Kugelschreiber vollgekritzelt oder von Tasten vollgehämmert zu werden, sieht die Zähmung des Pegasus anders aus. Fleiss und Wissen, Originalität, Phantasie und guter Stil. Wie vertragen sich diese Erfordernisse miteinander? Und muss der Schreiber nicht zusätzlich noch "Beziehungen" und "Glück" haben und dazu Tabus aufgreifen, Marktlücken entdecken und ausfüllen oder umgekehrt sich dem Publikumsgeschmack anpassen?
Wie erringt er überhaupt die Gunst des Publikums? Gewiss, Beamte versehen "ihren Dienst", Angestellte erfüllen die Aufgaben, die der Arbeitgeber stellt, Arbeiter führen aus, was der Meister und damit der Betrieb fordert. Da erwartet niemand tosenden Applaus. Schon mit der Anerkennung vom Publikum oder den Vorgesetzten harzt es aber oft. Der Schreibende kann jedoch gar nicht anders als auf Echo warten; er braucht es. Die Hörer und Leser bilden gewissermassen seinen Nährboden. Einerseits muss er zu erspüren suchen, was diese von ihm erwarten, anderseits muss er ihnen etwas bieten. Wenn ein Kunde einen andern Laden, ein Gast ein anderes Lokal aufsucht, ist das bedauerlich. So aber ein Autor die Achtung seiner Anhänger verliert ... Doch was sind schon Anhänger. Der Publikumsgeschmack ist bekanntlich launisch, die Moden und Vorlieben wechseln, bei Kleidern und Möbeln, vielleicht auch beim Geschriebenen. Mal Schmus und Sex; mal sentimental, mal hart. "Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren" (wiederum Goethe). Wer aber schreibt für diese Spätergeborenen? Primäres Ziel wird kaum sein, dereinst in Nachschlagewerken und Anthologien "verewigt" zu sein.
Was wäre denn Ziel des Schreibers? Auch ein "Dienen"? Den Massenmedien, Anstalten und Verlagen, oder der Menschheit, der Menschlichkeit gar? Will er ausbilden oder bilden, erziehen oder belehren, informieren oder aufklären oder schlicht unterhalten? Eben: Zwischen Erbauung oder Entspannung und Kritik an Missständen, sozialen und politischen, pädagogischen und ökologischen lavieren die vielleicht fünfzigtausend "Wortproduzenten" deutscher Zunge.
II: Verdienst
Ihr Einkommen ist so unterschiedlich wie ihre Bildung, ihre "Schreibe" so verschieden wie die Gruppen der Konsumenten. Kaum einer kennt sein Publikum. Man schreibt einfach, mal für die einen, mal für die andern. Was soll das eigentlich alles?
Ist Schreiben nur sinnvoll wenn Geld dabei herausschaut? Ist es nur als Arbeit zu kennzeichnen, wenn das Resultat gedruckt oder gesendet und damit verbreitet wird? Und wenn einer nur „für sich" oder dann für die Schublade - seine eigene und diejenige von Redaktionen - schreibt?
Es ist nämlich gar nicht so leicht, vom Schreiben zu leben. Zwar verdienten in Deutschland ein Drittel aller hauptberuflich "Freien Autoren" (vorwiegend bei Firmen und beim Fernsehen) 1970 über 24 000 Mark im Jahr (darunter aber nur 14 % weibliche Autoren, die immerhin fast ein Drittel aller Schreiber ausmachen), doch mussten von den 20- bis 30jährigen 37 %, von den über 60jährigen die Hälfte und von den über 70jährigen gar 77 % mit weniger als 1000 Mark im Monat vorlieb nehmen. 16 % aller Freien Autoren, von den über 70jährigen gar die Hälfte müssen mit 250 Mark monatlich auskommen. Wer zitiert da: „Die Literatur ist das Gedächtnis der Menschheit“?
Kein Wunder also, dass über 80 % der Freien Autoren sogar der "besten" Jahre (30. bis 60. Altersjahr, wovon 45 % mehr als 2000 Mark monatlich verdienen) meinen, Schriftsteller und dergleichen gehörten mehrheitlich oder mindestens zur Hälfte zu den besonders benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft. Sie pflegen, wie man so sagt, das Image vom "armen Poeten". Dies wohl auch deshalb, weil drei Viertel von ihnen ein Jahreseinkommen von über 24 000 DM, ein Viertel gar von über 50 000 DM als ihrer Arbeitsleistung angemessen betrachten würden. Das heisst umgekehrt, dass etwa 60 % dieser Freien Autoren - bei den jüngeren und älteren sind es noch 10 % resp. 5 % mehr - weniger verdienen, als sie für angemessen halten. Dennoch würden von allen Freien Autoren nur minime zwei Prozent (von den unter 30jährigen 5 %) auf einen andern Beruf umsteigen. Was bedeutet, dass Schreiben eine Berufung - oder Krankheit - ist, die man nicht mehr los wird. Freilich schreibt nur die Hälfte aus "persönlichem Bedürfnis"; 20 % schreiben, "um andere zu unterhalten"; zwischen 30 und 40 % geben ferner noch ökonomische, berufliche und gesellschaftspolitische Gründe als Motive für ihre Tätigkeit an. Immerhin 62 % (am meisten Journalisten und Publizisten, am wenigsten Dichter) fühlen sich aber verpflichtet – 36 % jedoch nicht -, auf den Abbau sozialer und politischer Missstände hinzuwirken, was wiederum etwa die Hälfte durch Schreiben versucht; nur je um die 15 % würden das durch lang- oder kurzfristige politische Aktivitäten unternehmen.
Der vollamtlich Schreibende verfügt demnach um ein etwas zweideutiges "Sendungsbewusstsein", welches vergessen macht, dass weit über ein Drittel von ihnen weniger als 1000 Mark monatlich verdient und bei etwa 40 % - bei über 70jährigen betrifft es mehr als die Hälfte - die Einkünfte schon mal für ein viertel oder halbes Jahr oder noch länger, überhaupt ausfallen. Gerade wer sich eine "anspruchsvolle" Berufsbezeichnung zugelegt hat, zieht am ehesten den Kürzeren:
Solches schafft natürlich ein gewisses Ressentiment gegenüber erfolgreichen Schreibern. Höchstens ein Drittel bis die Hälfte, so meinen die andern, hätten sich aufgrund eigener Leistung oder Begabung hochgearbeitet. 21 % resp. 31 % aller Schreiber vermuten zudem, die "bekannten" Autoren seien durch Bestsellerlisten und Werbekampagnen aufgebaut worden. Dabei nehmen sie es mit dem Fleiss oft selbst nicht so genau, arbeiten doch von den Freien Autoren immerhin 13 % weniger als 10 Stunden und nur, oder immerhin, 43 % (knapp 50 % der jungen, aber nur 20 % der alten) mehr als 40 Stunden in der Woche. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass nur ein Drittel - von den Wissenschaftern und jungen Autoren allerdings fast zwei Drittel - meint, schreiben könne man lernen, während es 57 % für eine Begabungssache halten; von den über 70jährigen schwärmen sogar drei Viertel von der "natürlichen" Begabung.
Diese paar Angaben aus der Autorenenquête des Spiegels ("Der Autorenreport", 447 Seiten, Rowohlt Taschenbuch, 1972) mögen auf die eine oder andere Weise zu denken geben. Wenn man bedenkt, dass 44 % der Freien Autoren nicht für ein bestimmtes Publikum schreiben, aber auch nur ganze 4 % "für alle" sowie 7 % für unterprivilegierte Gruppen und je etwa 13 % für ein gebildetes resp. kritisches, politisches Publikum, dann könnte einem etwas Angst werden. Wissen die Schreiber überhaupt, was sie tun? Etwa die Hälfte aller (auch der teil- und nebenberuflichen) Autoren kümmert sich ja nicht einmal um ihre eigenen Verträge. Und die Begründung? Je etwa ein Viertel meint, 1. die juristischen Einzelheiten seien ihnen zu kompliziert, 2. sie hätten keine Zeit dafür, 3. ihre Einflussmöglichkeiten seien zu gering, es nütze ja doch nichts und 4. sie wollten in erster Linie publizieren, nicht verdienen.
Beachtliche Resignation scheint sich also der allgemeinen Ziellosigkeit zuzugesellen. Verständlich oder unverständlich?
III. Solidarität aller Arbeitenden
Vielleicht ist es bei andern Berufen ja ähnlich. Mancher Beamter, Facharbeiter oder Angestellter wird auch seine Bürde an Enttäuschung zu tragen haben, und manches wird mit dem Älterwerden nicht leichter oder heiterer. Immerhin zählt knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung zu den "Erwerbstätigen", und von denen sind mindestens 85 % Lohntütenempfänger. Sie erhalten regelmässig ein Gehalt als "mitarbeitende Familienglieder" und Hausangestellte oder aus den Säckeln von Privatbetrieben und öffentlicher Wirtschaft. Die andern sind „selbständig". Ein hehres Wort, hinter dem zweierlei steckt: Die Selbständigerwerbenden bringen etwa dieselbe Steuersumme auf wie alle Unselbständigen zusammen. Das betrifft wohl vor allem Ärzte, Zahnärzte, Anwälte, Architekten, Ingenieure und Unternehmer, die in der Mehrzahl selbst als Arbeitgeber - sowie als Verwaltungsräte: - fungieren. Das Los der völlig allein Arbeitenden haben wir aber am Beispiel der Freien Autoren kennengelernt. Bei den "Künstlern" wird es nicht viel anders sein; nicht jeder Graphiker oder Photograph wird sich als Werbeberater etablieren können, nicht jeder Musiker und Unterhalter eine feste Anstellung finden. Dabei ist natürlich nicht zu übersehen, dass auch die Eröffnung eines Restaurants, eines Ladens, eines Servicebetriebe, einer Vermittlungs- oder Beratungsstelle, Agentur oder Firma, eines Büros, Salons oder eines Vergnügungsetablissements oft ein dornenvoller Weg ist.
Was aus all diesen Aufzeichnungen und Überlegungen hervorgehen sollte, ist zumindest: mehr Solidarität ist vonnöten. Die meisten, sehen wir einmal ab von denen, die von Zinsen ihrer verschieden gearteten Besitztümer leben können (es sind etwa 10 Prozent der "nicht aktiven Bevölkerung"), müssen schlicht arbeiten. Ob als Arbeitnehmer oder -geber - die Ausdrücke sind ja eigentlich verkehrt, gibt doch der Angestellte die Arbeit und der Arbeitgeber nimmt sie - spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Das periodische Empfangen des Zahltagstäschchens, eines Checks oder das Öffnen der Laden- oder Betriebskasse gewährleistet nicht unbedingt Zufriedenheit beim Arbeiten. Ob ein Vertreter, der Inhaber eines Inkassobüros, ein Detektiv, Bühnenarbeiter oder Landwirt glücklich ist, hängt sicher nicht nur vom Einkommen ab. Ob auf dem Sektor Import-Export, Transport oder Fürsorge, Inneneinrichtung, Überwachung oder Hygiene, Bau, Schule oder Immobilienverwaltung, usw., immer sind es einzelne Menschen, Mitbürger wie ich und du, die ihr Scherflein zum Bruttosozialprodukt, zum Wohl des Volkes beitragen. Mal willig, mal unwillig, aber Geld muss "verdient" werden. Nur die Luft, das Spazieren und Ausruhen auf einem Bänklein sind (noch) gratis.
Wie man also nicht nachsichtig über die Federfuchser lächeln soll - sehen wir einmal ab von dem, was sie schreiben und an die liebe Mitwelt bringen -, so steht es natürlich auch diesen nicht an, über die Lohnabhängigen herzuziehen. Schliesslich sind Fernseh- und Funktautoren zu 76 resp. 69 % und weit über die Hälfte der andern Schreiber auch von ihrem "Arbeitgeber" wirtschaftlich abhängig; je mehr sie verdienen und je jünger sie sind, desto mehr. Weit über ein Drittel ist zudem bezüglich Themen vom Auftraggeber abhängig.
Deshalb glauben auch nur etwa ein Viertel bis ein Drittel, dass die Presse- und Meinungsfreiheit im vollen Umfang gewährleistet sei und sage und schreibe nur 8 %, dass der freien Meinungsbildung von keiner Seite Gefahr drohe. Übrigens sehen beispielsweise die Zürcher Studenten die Situation ganz ähnlich: Etwa 30 % sind der Ansicht, dass an ihren Hochschulen ihre persönliche Meinungsfreiheit nicht gewährleistet sei.
So sind also Schreibende wie alle andern Berufstätigen in den Wirtschafts- und Gesellschaftsprozess eingespannt, verrichten getreulich ihre Arbeit und werden der Sache nicht allzu froh. „Eine gute Suppe nützt der Menschheit mehr als ein schlechter Roman", formulierte ein Berliner Autor sarkastisch. Dennoch schreibt der Schreiber weiter, sieht fern und liest angesehene Zeitungen, diskutiert mit dem Ehepartner und Freunden, mit Kollegen auch, Redaktoren und Verlegern, hält aber im übrigen die persönlichen Erfahrungen und Einsichten, Eindrücke und Recherchen als am wichtigsten. Der eine reist, der andere besucht Tagungen, der dritte wandert und der vierte stöbert in der Bibliothek herum (das ist auch noch gratis).
Wer vertrödelt nun mehr Zeit? Die Werktätigen oder diejenigen, die neben den zahlreichen, oft gering bezahlten, Kurzproduktionen an einer Serie oder einem Buch arbeiten? Keiner soll jedenfalls auf den andern hinabsehen. Alle haben ihr Kreuz zu tragen, ihr tägliches Brot zu verdienen.
Wer Autor ist, so heisst es, sei eben selber schuld. Dem wäre anzufügen: wer es nicht ist, auch.
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