Nachruf auf Max Thürkauf
Von Christa Meves
Schweizerische Studentenzeitung, Januar/ Februar 1994
Max Thürkauf ist tot. Am zweiten Weihnachtstag 1993 vollendete dieser begnadete Naturwissenschaftler aus Basel im 69. Lebensjahr sein irdisches Dasein nach einer schweren Leidenszeit als Folge eines Schlaganfalls im November 1992.
Ein aussergewöhnliches Leben ging damit zu Ende, ein unersetzbarer Rufer und Mahner zur Umkehr zum Christentum ist nicht mehr unter uns. In der schweren Glaubenskrise, in die das Abendland geworfen ist, wird seine Stimme fehlen. Bis in sein viertes Lebensjahrzehnt war Professor Thürkauf ein erfolgreicher Naturwissenschaftler der Universität Basel. Eine Erfindung auf dem Gebiet der physikalischen Chemie öffnete ihm das Tor zur Karriere; und dennoch kehrte Thürkauf dieser Laufbahn den Rücken, als er erkannte, dass seine Arbeit für die Entwicklung der "Sahara-Atombombe" verwendet worden war.
Er erlebte sein "Damaskus*, wie er es einst in seinem Buch "Das Fanal von Tschernobal" beschreibt. Seitdem stellte er sich ganz ungeteilt in die Nachfolge von Jesus Christus. Er trat wieder in die Katholische Kirche ein und wurde ein praktizierender Christ. Über seinen Weg berichtet er in dem eben genannten Werk: "Mein Weg ging vorwärts, heimwärts - christuswärts - zurïück in seine Kirche. Ein greiser Priester in einer kleinen Landpfarrei (Otto Sprecher aus dem Dorf Wallenwil im Kanton Thurgau) - ein 'Pfarrer von Ars' - und das gelebte Christentum von Papst Johannes Paul II. bewirkten den letzten Schritt: In meinem 56. Lebensjahr empfing ich aus der Hand dieses Priesters nach dreieinhalb Jahrzehnten zum ersten mal wieder das eucharistische Sakrament. Der Geschmack der Hostie versetzte mich in die Welt meiner Kindheit zurück, und die Sekunden standen still: Der Tag meiner Erstkommunion wurde Gegenwart, die Zeit versank im Meer der Ewigkeit. Ich dankte meinen verstorbenen Eltern für meine Erziehung und bat sie um Verzeihung für den Hochmut meiner Jugend und die Schmerzen, die ich ihnen durch diese Sünde bereitet hatte. Das Geheimnis der Gnade ist unergründlich, aber sie wird allen gewährt, die sich um Gott bemühen."
Im Dachgeschoss eines hohen Mietshauses in Basel direkt am Rhein bezog Max Thürkauf eine karge Wohnung und ging von dort aus wie Jonas nach Ninive. Während der Reisen und daheim schreibt Thürkauf ebenso unermüdlich Bücher für Menschen, die noch erreichbar sind. Zwanzig Werke sind es mittlerweile, zwanzig Kleinschriften sind hinzugekommen, von unendlich vielen Zeitungsaufsätzen abgesehen. Seine immer gut besuchten Vorträge sind nicht zählbar.
Der Umfang eines solchen Werkes in 25 Jahren ist gänzlich überdimensional; denn es handelt sich schliesslich grundsätzlich nicht um das blosse Niederschreiben und blosse Reden, wenn's auch noch so leicht aus Herz und Hirn dieses hochintelligenten, begnadeten, sprachbegabten Menschen fliesst. Da ist so viel Vorbereitung, so viel Lektoratsarbeit, so viel Organisation zu leisten, da ist so viel Zeitverlust durch oft umständliches Anreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln damit verbunden, dass schon diese gigantische Leistung davon zeugt, mit wieviel Antriebsdruck, mit wieviel göttlicher Schubkraft dieses Lebenswerk zustande gebracht worden ist.
Hier ist mitten in unserer verwüsteten Welt ein Zeuge aufgetreten, der nicht nur durch die Fachkunde seiner Aussage seine Bedeutsamkeit bewies, sondern allem dadurch, dass er erst einmal selbst ganz ernst damit machte, die Wahrheit des Evangeliums durch sein eigenes verwirklichtes Christentum glaubwürdig zu belegen. Um Christus glaubwürdig zu bezeugen, aus Liebe zu ihm, opferte er ohne äusseren zwang alles, was in der Welt Ansehen verspricht: Das Flair des erfolgreichen Naturwissenschaftlers, des Universitätsprofessors, die Macht des Amtes auch. Deshalb wirkte dieser so tief ernste, bescheidene, uneitle und humorvolle Schweizer so überzeugend.
Zum Tod von Max Thürkauf
Wider den naturwissenschaftlichen Atheismus
Von Roland Schlumpf (sc.) Basel, Anfang Januar
Neue Zürcher Zeitung, 5.1.1994, Nr. 3, Seite 18
Am Stephanstag ist der Basler Professor Max Thürkauf im Alter von 68 Jahren gestorben. Mit dem Tod wurde er von den Leiden als Folgen eines Hirnschlages vor einem Jahr erlöst. Der emeritierte Professor für physikalische Chemie war für sein christlich geprägtes. Engagement gegen technologisches Machbarkeitsdenken in der Naturwissenschaft bekannt, Zunächst war Thürkauf während mehr als zehn Jahren auf dem Gebiet der Atomenergiegewinnung in Forschung und Industrie tätig. In den späten fünfziger Jahren arbeitete er an der Universität Basel an der Entwicklung einer Anlage zur Herstellung von schwerem Wasser. Im Auftrag einer schweizerischen Maschinenfabrik, welche die grosstechnische Auswertung des Verfahrens in Lizenz genommen hatte, leitete er in Paris den Bau einer Schwerwasseranlage, die vom französischen Kommissariat für Atomenergie bestellt worden war. Für die Herstellung von schwerem Sauerstoff erhielt er 1963 den renommierten Ruzicka-Preis. Weitere Arbeiten im Umfeld der physikalischen Chemie waren die Elektronenmikroskopie grosser Moleküle sowie chemische Thermodynamik und Reaktionskinetik.
Je mehr Wissen Thürkauf allerdings akkumulierte, desto mehr dachte er über dessen Folgen nach. Der sensible und religiöse Wissenschafter geriet damit zusehends in einen wachsenden Konflikt mit seinem Gewissen. Auslöser war dabei zweifellos seine späte Erkenntnis, dass in Frankreich mit schwerem Wasser aus "seiner Anlage" Plutonium erbrütet wurde, um eine Atombombe zu bauen. "Es war nicht die Geliebte, die Himmlische, die Göttin, die Chemie als Wissenschaft, es war die Hure, die Chemie als Geschäft", schrieb er dazu viele Jahre später in seinem Buch "Das Fanal von Tschernobal".
Die rationalistisch-materialistische Wissenschaft hatte Thürkauf in eine Sackgasse geführt. Als extrovertierter und kommunikativer Zeitgenosse behielt er derartige Gedanken indes nicht für sich, sondern machte sie zum integrierten Bestandteil seiner wissenschaftlichen Betrachtungen und seiner Lehre.
Erzwungener Rücktritt
Damit geriet er wiederum in Konflikt mit der etablierten Wissenschaft und ihren industriellen Anwendern. Er musste als Leiter des chemisch-physikalischen Instituts zurücktreten und durfte seine Vorlesungen nur noch als "Antithesen" und ohne Honorar halten. An der Universität Basel habe man ihm wohl keinen Maulkorb umgehängt, beschrieb Thürkauf jenen Konflikt, aber den Brotkorb weggehängt, vermutlich in der Meinung, dass ersteres sich dann von selbst erübrigen würde. Auf der Suche nach einem neuen Broterwerb absolvierte er die Oberlehrerprüfung und nahm eine Stelle am Gymnasium Münchenstein an. Mit seiner ungebrochenen Faszination für sein Fachgebiet und seinem Humor vermochte er dort seine Schüler jederzeit zu begeistern. Neben seiner neuen Aufgabe hatte er vermehrt Zeit, sich den erkenntnistheoretischen, philosophischen und religiösen Fragen der modernen Naturwissenschaft zu widmen.
Eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen stammen aus dieser Zeit, darunter "Endzeit des Marxismus", "Christuswärts" und das erwähnte "Fanal von Tschernobal". Als gläubiger Forscher kritisierte Thürkauf den "naturwissenschaftlichen Atheismus". Dabei war er nie ein Unheilsprophet, zu sehr glaubte er bei aller Bitterkeit, seiner Erkenntnisse an das Gute im Menschen. Er war vielmehr ein Mahner, der die Hoffnung nie aufgab.
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