Home Woher kommt das Wort "Zeitgeist"?

 

Eine Skizze, Juni 2005

 

 

Wer vermutet, das Wort „Zeitgeist“ sei wie viele anderen Wörter vom grossen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe erfunden worden, liegt gar nicht weit daneben. Denn das Wort kommt erstmals vor als Goethe 20jährig war. Es wurde von einem Freund Goethes, dem fünf Jahre älteren Philosophen Johann Gottfried Herder geprägt.

 

Herder übersetzte 1769 einen damals bekannten Buchtitel „Genius Saeculi“ mit dem deutschen Wort „Zeitgeist“. Bisher hatte man dafür etwas umständlichere Wendungen gebraucht, wie

„Genius der Zeiten“ (Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, 1739),

„Genie des Zeitalters“ oder

„Geist des Zeitalters“ (beide Herder, 1766 und 1767).

 

Herder verwendete das Wort „Zeitgeist“ überaus häufig. Eine wunderschöne Stelle aus einem seiner reifen Werke fragt kritisch nach dem Zeitgeist:

 

“Ist er ein Genius, ein Dämon? oder ein Poltergeist, ein Wiederkommender aus alten Gräbern? oder gar ein Lufthauch der Mode, ein Schall der Äolsharfe?

Man hält ihn für Eins und das Andere.

Woher kommt er? wohin will er? wo ist sein Regiment? wo seine Macht und Gewalt? Muss er herrschen? muss er dienen? kann man ihn lenken?“

 

Andere Philosophen und Dichter schlossen sich im Gebrauch der Wortes „Zeitgeist“ rasch an.

 

 

Lavaters Formel vom „frivolen Welt- und Zeitgeist“

 

Darunter befand sich auch der Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater. Er ist in der ganzen Welt bekannt geworden durch seine „Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und der Menschenliebe“ (4 Bände 1775-1778). Die Zeichnung der menschlichen Charaktere durch die Interpretation der Gesichtszüge ist für viele Zeitgenossen keineswegs schmeichelhaft ausgefallen.

Das hängt unter anderem mit Lavaters Weltbild zusammen. Er war sehr konservativ und seinen Zeitgenossen gegenüber kritisch eingestellt. Daher prägte er auch 1791 die Formel vom „frivolen Welt- und Zeitgeist“.

 

Und wahrlich, die Französische Revolution führt zu einer Enthemmung und Sittenlosigkeit. Dennoch ist Lavaters Kritik von Wohlwollen getragen. Er gebrauchte ja auch das Wort „Menschliebe“. Und das bedeutet, was für alle, wenigsten für fast alle Kritiker gilt: Sie lieben auf eine bestimmte Art die Mensche, denn sonst würden sie sie nicht kritisieren.

 

Wer kritisiert hat meist eine pädagogische Absicht. Er möchte die Welt ein klein wenig verbessern. Auch der Pfarrer predigt nicht nur erbauliche Geschichten und erzählt frohe Botschaften. Er tut dies um die Menschen aufzurütteln und um ihnen zu zeigen, wie man vorbildlich leben könnte – wenn man wollte.

 

 

Definitionen von „Zeitgeist“

 

Die erste Definition des Wortes „Zeitgeist“ stammt ebenfalls von Herder (1793): es sind die „herrschenden Meinungen, Sitten und Gewohnheiten einer Zeit“.

 

Eine weitere  Definition stammt vom sogenannten Turnvater Jahn. Denn bevor er sich der körperlichen Ertüchtigung der Jugend zuwandte, erforschte Friedrich Ludwig Jahn die deutsche Sprache. Er war ein flammender Nationalist, daher lehnte er die Verwendung von Fremdwörtern – vor allem französischen - ab und betrieb den Ausbau des deutschen Turnwesens. Auf dem Turnplatz sollten die deutsche Gesinnung gestärkt und die Befreiung von den Franzosen vorbereitet werden!

 

In diesem „Geist“ beschreibt Jahn 1806 den Zeitgeist knapp und trefflich als „Übereinstimmung der Gemüter“.

 

Goethe: „ … der Herren eigner Geist“

 

Selbstverständlich gebrauchte Goethe das Wort „Zeitgeist“ öfters. Einmal beklagte er sich in eine Brief (1814), man habe sein Theaterstück „Hermann und Dorothea“ dem Zeitgeist „als ein Opfer darbringen wollen“.

Ziemlich am Anfang des „Faust“ (I. Teil, 1795-1806 geschrieben) sinniert Doktor Faust tief in der Nacht über seine Ausbildung und seine Qualitäten nach. Nach einiger Zeit taucht sein Faktotum Wagner im Schlafrock und mit der Schlafmütze auf und hält in der Hand ein Nachtlämpchen.

Es entspinnt sich ein Dialog, in dem Wagner immer wieder geistreiche Formulierungen zum besten gibt. Etwa:

„Ach Gott! Die Kunst ist lang;

Und kurz ist unser Leben.“

 

Oder, zu Faust gewandt:

„Verzeiht! Es ist ein gross Ergötzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,

Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“

 

Darauf antwortet Faust:

“O ja, bis an die Sterne weit!

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Was Ihr den Geist der Zeiten heisst,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Da ist’ denn wahrlich oft ein Jammer!

 Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.

 Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer

 Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion

 Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

 Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!“

 

 

Wenn man den „Faust“ liest, hat man immer wieder den Eindruck, dass Goethe auch ein kritischer Geist war, der mit spitzen Worten über seine Zeitgenossen herzog.

Und vom Geist seiner Zeitgenossen hielt er nicht viel.

 


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