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Brice Parain: Untersuchungen über Natur und Funktion der Sprache .Verlag Klett, Stuttgart, 1969 (frz. 1942).
Vorliegende Schrift ist eine philosophische Spezialuntersuchung. Ist ihr Thema, die Sprache, auch von allgemeinem und brennendes Interesse, so engt doch die Art der Behandlung den Leserkreis enorm ein.
Der 1897 geborene Schriftsteller und "Offizier der Ehrenlegion" Brice Parain studierte Philosophie, östliche Sprachen und war einige Zeit an der französischen Botschaft in Moskau tätig. Seit 1927 ist er bei der "Librairie Gallimard" (N. R. F.) und gilt als Fachmann für russische und deutsche Literatur [er starb 1971]. 1942 erschienen seine "Recherches sur la nature et los fonctions du langage", die jetzt (erst) in deutscher Übersetzung zugänglich sind.
Man kann sie - die damals einen bemerkenswerten Beitrag zur Sprachphilosophie bildeten und Sartre zu einem Essay über Parain veranlassten - fast als etwas schwer verständliche "Einführung in die Geschichte der Philosophie" bezeichnen, welche ganz auf die Sprache zentriert ist. Sie geht denn auch von Platon und Aristoteles aus, springt über zu Descartes und Pascal - der sehr häufig beigezogen wird - und schliesst mit Leibniz, Hegel, Nietzsche (und Bergson). Der Blick ist also rückgewandt und selektiv; man vermisst etwa neben Kant, Hamann, W. von Humboldt und H. Steinthal vor allem die neueren Sprachforscher und -theoretiker Mauthner, de Saussure, Schlick, Carnap, Wittgenstein, die "Cercles Linguistiques", usw.
Immerhin stützt sich Parain auf neuere Kommentatoren alter philosophischer Schriften (sowie den Sprachsoziologen Antoine Meillet) und bringt eine grosse Menge von Originalzitaten - oft in griechisch und lateinisch. Wenn auch in der heutigen Philosophie die Bewusstseinsproblematik von derjenigen der Sprache abgelöst wurde, so zeigen gerade Parains Untersuchungen deutlich, dass die Kritik des Erkenntnisvermögens nicht umgangen werden kann. Deshalb beginnt er auch mit der Feststellung, dass die Begründung der Erkenntnis ungewiss ist, was ihn dazu bringt, "einen festen Boden" (23) zu suchen, den er in der Sprache findet: "Niemand schweigt .Das ist unsere erste Gegebenheit. Von ihr muss man ausgehen" (25). Es "ergibt sich, dass man sich entschliessen muss, in der Sprache den Grund der Objektivität zu suchen, der nirgends sonst in uns ist, und so ihre Transzendenz anzuerkennen" (16).
In genauen Analysen vorab griechischer Texte (mit einem fast dreissigseitigen Anmerkungsapparat), unter Zuhilfenahme von mathematischen Exempeln, Dichtungen und vielen Beispielen aus dem Alltag verfolgt Parain in einer eigentümlichen Mischung von Persönlichem und philosophischen Auslegungen auf zweihundert Seiten den dialektischen Gang der Geistesgeschichte, die Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit.
Nicht ganz klar wird allerdings das Verhältnis von Logos, Logik, Mathematik, Denken und Sprechen (Rede, disocurs), sowie zwischen Gegenstand, Zeichen, Wort, Name, Ausdruck, Bedeutung, Idee, Bild und Handlung. Schön herausgearbeitet sind aber die Auffassungen Platons: "Der Schritt, mit dem alles diskursive Denken beginnt ... heisst Benennung" (33) und Aristoteles': Das Wesen der Sprache liegt im bejahenden oder verneinenden Aussagesatz, nicht in den Worten (53).
Aristoteles' Theorie ist eine des Schlusses und Beweises (54). "Pascal (dann) ist erschreckt über unsere Fähigkeit, zu irren, die sich aus unserem 'Unvermögen zu beweisen' ergibt, das heisst aus der Unvollkommenheit unserer Sprache, die ja das Instrument des Beweisens ist (58) ... Der Mensch besitzt kein anderes Mittel, zur Wahrheit zu gelangen, als die Sprache" (113). Die Wahrheit aber ist ein Wunder (110); es bedarf zu ihr der Gnade.
Die Probleme der Mitteilung (Übermittlung, Kommunikation), von Irrtum und Lüge werden gestreift, die kartesianisch inspirierte "Logik von Port-Royal" erläutert. Leibniz gab der Definition den Sinn einer "Operation" (131) und führte zwischen die Begriffe Wesen und Existenz "das Mögliche" ein. Gleichzeitig ist seine Auffassung die erste Ausdruckstheorie, die dann etwa von Herder und Hegel in der deutschen Philosophie weiter ausgebaut wurde.
Schliesslich versucht Parain in Anschluss an Hegel und verknüpft mit der Freiheitsidee eine "Metaphysik der Transzendenz" zu entwerfen: "Die Sprache ist keine Leere vor uns ... Sie ist die Regel unseres Denkens und unseres menschlichen Handelns, die ausser uns und folglich uns transzendent ist, weil sie der Ort des Allgemeinen und den reflektierten Willens ist (185) ... Ihre Rolle ist es, uns zu helfen, dass wir uns in der Welt den Allgemeinen festsetzen können (188) ... Die Sprache (ist) nur ein Mittel, uns zu ihrem Gegenteil zu ziehen, das das Schweigen und das Gott ist (190) ... In die Sprache versetzt, erfahre ich in ihr, dass ich für die Welt verantwortlich bin, die ich nicht geschaffen habe. Ob ich es mag oder nicht, bin ich zum Mitarbeiter Gottes befördert. Eritis sicut Dei. Das ist die von Gott zugelassene Erbsünde, die ich - sowenig wie ihre Folge, das Heil - nicht abweisen kann ... Nirgends erreiche ich das Schweigen, ... (es) ist jenseits von uns. Die Sprache ist nur der Beweisgang, der auf es zu führt. Je näher wir also dem Schweigen sind, desto näher sind wir der Freiheit" (195-196).
Erschienen in den Basler Nachrichten, 7. August 1969
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