Mythologie und Humanismus
Karl Kerényi : Humanistische
Seelenforschung. Verlag Langen Müller, München/ Wien 1966.
Es
mag erstaunen, wenn ein Forscher eigenhändig seine Gesammelten Werke
herausgibt. Doch mit 70 Jahren darf es ihm gestattet werden, besonders wenn
es sich um Karl Kerényi handelt. Der gebürtige Ungar, welcher lange Zeit
Professor für klassische Studien und Sprachen an ungarischen Universitäten
war und im Zweiten Weltkrieg in die Schweiz kam, wurde vor allem durch seine
Zusammenarbeit mit C. G. Jung und dessen Institut bekannt. Seine „Mythologie
der Griechen“ (1951) ist ein Standardwerk. [Karl Kerényi lebte von
1897-1973.]
Siebzehn längere und kürzere, zeitlich und räumlich weit
verstreute Artikel aus Zeitschriften und Jahrbüchern - von 1937 an - stellte
er nun chronologisch in einem ersten Sammelband zusammen, der nach seinem
eigenen Wunsch eigentlich 'Versuche einer humanistischen Seelenforschung'
heissen sollte. (Ein zweiter Band der 'Werke. in Einzelausgaben' ist
ebenfalls schon erschienen, ein dritter wird sich ihm bald anschliessen [bis
1998 erschienen insgesamt 11 Bände].)
Nicht 'Seelenforschung' ist
jedoch Kerenyis primäre Absicht, sondern er will mit ihr nur eine bisher
'unberücksichtigte Dimension' für seine mythologischen Forschungen
heranziehen: "Seit jeher suchte ich solche Dimensionen im antiken Stoff
selbst."
Er möchte, dass der moderne Mensch die 'Seele' als das
'Geheimnis alles Lebendigen' versteht. Seine erste Arbeit in dieser Richtung
war „Pythagoras und Orpheus“, die Schilderung der beiden Mythengestalten,
welche die ersten abendländischen Verkünder der 'Lehre von der Wanderung der
unsterblichen Seele' waren. Ein Dutzend Jahre später ergänzte er sie durch
die Studie „Orphische Kosmogonie und der Ursprung der Orphik“. Weitere
Analysen sind der „Geburt der Helena“, der „Pythia“, der „Arethusa“ in
Zusammenhang mit der ‚neuen Idee vom Menschen’, dem „Grossen Daimon
des Symposion“ und manch anderem gewidmet.
Noch ausführlicher
beschäftigt er sich mit dem Mythos des „Urkindes“, des göttlichen Kindes und
dem „Ägäischen Fest“ im ‚Faust II’. Eine detaillierte Betrachtung gibt er in
den „Labyrinth-Studien“ über Zeichnungen von Labyrinthen und Spiralen -
illustriert mit zwei Dutzend Bildern - und zeigt ihre Verbindung mit
kultischen Tänzen auf. Ebenfalls Illustrationen finden sich zum Aufsatz
„Mensch und Maske“. Über weitergreifende und grundsätzliche Fragen lässt er
sich in „Mythologie und Gnosis“ aus.
Zwei Briefe. über Humanismus
beschliessen das Buch. Hier finden sich die Formulierungen:
"Über alles
in der Welt vom Gesichtspunkte des Menschen aus zu denken und an allem, was
je gedacht, den besonderen menschlichen Anteil wahrzunehmen - so könnte der
Humanismus als philosophische Weltanschauung im allgemeinsten Sinne bestimmt
werden".
Dazu "gehört auch das Streben, die Welt, den Denkenden selbst
miteinbegriffen, menschenwürdiger zu gestalten: die Humanität" (369).
Das sind nicht nur schöne Worte, sondern ein echtes Anliegen Kerényis. Er
lebt sie in seinen Schriften und weiss, dass die Forderung nach dem 'homo
humanus' immer bestehen muss, auch wenn der Mensch zwiespältig,
'Mensch-und-Unmensch' ineins, ist. Wir müssen hoffen, dass der Humanismus
komme, verwirklicht werde.
Hierzu kann die Erforschung der Antike,
des unnachahmlich Klassischen wie des Archaischen, sowie die Besinnung auf
das Leben, das heisst 'was der Mensch erleidet und schafft' mithelfen.
Deshalb muss den humanistischen Altertumsforscher 'der Mensch hinter dem
geschichtlichen Phänomen' interessieren. Dann ist Mythologie 'Beschäftigung
mit archetypischem, menschlichem Stoff'.
Kerényis Forschungen zeugen
von Belesenheit in neuen und antiken Schriften, von weitgespanntem Horizont
(von Polynesien über Indien, Skandinavien, die Mittelmeerländer bis nach
Mexiko) und tiefem Ernst. Wissenschaftliche Genauigkeit, Detailbeachtung und
Materialfülle gehören dazu (Quellenangaben und Register umfassen vierzig
Seiten).
Gerade deswegen aber sind diese Studien- trotz ihrer klaren
und einfachen Sprache - schwer zu lesen. Es sind höchst konzentrierte,
inhaltsgedrängte Fachschriften, gespickt mit Fremdwörtern und Namen, erfüllt
mit einem wahren Heer von mythischen Gestalten und Geschehnissen.
Erschienen in den Basler Nachrichten, 27. November 1968
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