Home Hegel zur "Existenz"

 

Referat zum Kolloquium „Hegels Logik“

Handschriftliche Notizen im Wintersemester 1966/67

 

Inhalt

Wo kommt „Existenz“ vor?

Die sich entwickelnde Bewegung von „Existenz“: vermitteltes Sein - Sache – wesentliches Sein - Erscheinung

Die Dreifaltigkeit der „Existenz“ im einzelnen

 

 

 

Wo kommt „Existenz“ vor?

 

Diese Ausführungen stellen eine Gliederung der „Existenz“ dar.

 

Nachdem „Existenz“ in Hegels „Wissenschaft der Logik“ [Erster Teil: Die objektive Logik, 1812] im 1. Buch Erwähnung gefunden hat im Absatz „Einheit des Seins und Nichts“, wo unter dem Kapitel „Sein“ das Werden behandelt ist, taucht „Existenz“ im 2. Buch ganz am Ende des 3. Kapitels des 1. Abschnittes wieder auf, wo es um die Bedingung im Absatz über den Grund im Abschnitt „Das Wesen als Reflexion in ihm selbst“ geht.

Gleich daran anknüpfend wird von „Existenz“ in einem eigens sie betreffenden Kapitel des Abschnitts „Die Erscheinung“ gehandelt, wird gleichzeitig aber weitergezogen ins Kapitel „Die Erscheinung“, findet sich weiter im folgenden Kapitel „Das wesentliche Verhältnis“ und tritt nochmals in den beiden Kapiteln „Das Absolute“ und „Die Wirklichkeit“  im Abschnitt „Die Wirklichkeit“ auf.

 

Wie die Abstufung oder Abfolge der einzelnen Absätze und Kapitel der „Wissenschaft der Logik“ keine willkürliche ist, so ist auch das Auftauchen von „Existenz“ nicht zufällig, sondern eine sich entwickelnde Bewegung.

 

 

Die sich entwickelnde Bewegung von „Existenz“: vermitteltes Sein - Sache - wesentliches Sein - Erscheinung

 

In den zwei (2. und 3.) Anmerkungen ¨über die „Einheit des Seins und Nichts“ wird „Existenz“ bestimmt als „vermitteltes Sein“, genauer noch als vermittelt seiendes Sein, und diese Vermittlung wird durch den Grund geleistet. „Existenz“ ist hier also in der Unterscheidung von Dasein als „bestimmtes“ Sein, als das, was die Bedingungen aussucht“, betrachtet.

Es fällt auf, dass Hegel später und überhaupt „Existenz“ und Dasein sehr wenig bezüglich ihres Bezuges zueinander betrachtet, was in vielen anderen Philosophien von Kant bis in die Neuzeit doch in ausgeprägtem masse geschieht. Hegel sieht zwischen „Existenz“ und Dasein keine, wie man sagen könnte, primären Bezüge, sondern sekundäre, was er im Kapitel „Die Existenz“ in der Betrachtung von Kants Verständnis von „Existenz“ als bestimmtes Dasein behandelt.

 

Wenn wir nun die Bewegung von „Existenz“ etwas genauer betrachten wollen, setzen wir am besten im Absatz „Hervorgang der Sache in die Existenz“ ein. Hegel ist über den „Grund“ und die „Bedingung“ zur „Sache“ gelangt und schreibt nun:

 

„Die Bewegung der Sache, durch ihre Bedingungen einerseits und andererseits durch ihren Grund gesetzt zu werden, ist nur das Verschwinden des Scheins der Vermittlung. Das Gesetztwerden der Sache ist hiermit ein Hervortreten, das einfache Sich-Herausstellen in die Existenz, reine Bewegung der Sache zu sich selbst.“

Hegel präzisiert:

Wenn alle Bedingungen einer Sache vorhanden sind, so tritt sie in die Existenz. Die Sache ist, ehe sie existiert; und zwar ist sie erstens als Wesen oder als Unbedingtes; zweitens hat sie Dasein oder ist bestimmt, und dies auf die betrachtete gedoppelte Weise: einerseits in ihren Bedingungen, andererseits in ihrem Grunde.“

 

Und weiter unten:

„Die ganze Sache muss in ihren Bedingungen dasein, oder es gehören alle Bedingungen zu ihrer Existenz; denn alle machen die Reflexion aus; oder das Dasein, weil es Bedingung ist, ist durch die Form bestimmt, seine Bestimmungen sind daher Reflexionsbestimmungen und mit einer wesentlich die anderen gesetzt.“

 

„Wenn also alle Bedingungen der Sache vorhanden sind, so heben sie sich als unmittelbares Dasein und Voraussetzung [auf], und ebensosehr hebt sich der Grund auf. Der Grund zeigt sich nur als ein Schein, der unmittelbar verschwindet; dies Hervortreten ist somit die tautologische Bewegung der Sache zu sich, und ihre Vermittlung durch die Bedingungen und durch den Grund ist das Verschwinden beider. Das Hervortreten in die Existenz ist daher so unmittelbar, dass es nur durch das Verschwinden der Vermittlung vermittelt ist.“

 

Die Sache geht aus dem Grunde hervor. Sie wird nicht durch ihn so begründet oder gesetzt, dass er noch unten bliebe, sondern das Setzen ist die Herausbewegung des Grundes zu sich selbst und das einfache Verschwinden desselben. Er erhält durch die Vereinigung mit den Bedingungen die äusserliche Unmittelbarkeit und das Moment des Seins.“

 

Aus diesem „Verschwinden“ des Grundes und der Bedingungen resultiert dann Folgendes:

„Diese durch Grund und Bedingung vermittelte und durch das Aufheben der Vermittlung mit sich identische Unmittelbarkeit ist die Existenz.“

 

 

Hegel geht nun zur „Erscheinung“ (2. Abschnitt) weiter. Er beginnt:

Das Wesen muss erscheinen.“

 

„Die Lehre vom Sein enthält den ersten Satz »Das Sein ist Wesen«. Der zweite Satz, »Das Wesen ist Sein«, macht den Inhalt des ersten Abschnittes der Lehre vom Wesen aus. Dieses Sein aber, zu dem das Wesen sich macht, ist das wesentliche Sein, die Existenz; ein Herausgegangensein aus der Negativität und Innerlichkeit.“

 

So erscheint das Wesen.

 

„Erscheinung“ ist also „wesentliches Sein“, als dasjenige, zu dem sich das Wesen macht. Dieses Erscheinenmüssen, dieses Sich-machen-zu(-etwas) geht in zwei Etappen vor sich:

  • Erstens zum Schein oder Scheinen des Wesens in ihm selbst, also die Reflexion (das wurde im 1. Abschnitt behandelt),
  • zweitens zur Erscheinung, welche vervollständigter Schein ist. Diese Vervollständigung nun ist durch das Existenzwerden geleistet.

 

„So ist die Existenz drittens wesentliches Verhältnis; das Erscheinende zeigt das Wesentliche, und dieses ist in seiner Erscheinung.“

 

Die Bewegung (des Wesens) ist aber noch nicht fertig. Wir sind jetzt erst beim Ding angelangt, welches eine dreifaltige Existenz aufweist:

a)     eine „zunächst Existenz“, wenn man das so sagen kann,

b)     Erscheinung („nur gesetzte, in das Anderssein reflektierte Existenz“),

c)      wesentliches Verhältnis.

 

Es sei hier gerade noch auf die weitere Bewegung des Wesens hingewiesen: Aus diesem wesentlichen Verhältnis geht sie bis zur Wirklichkeit; das Wesen ist hier mit seiner Erscheinung eins. Hegel sagt, es offenbart sich.

 

Damit ist eigentlich die Bewegung des Wesens abgeschlossen, nicht aber diejenige des Seins (und, weil wir bereits auf dieser Etappe stehen, doch des Wesens), das zum Begriff sich bewegt, wird und aus ihm als Objektivität hervorgeht.

 

 

Die Dreifaltigkeit der „Existenz“ im einzelnen

 

Zur Dreifaltigkeit der Existenz nun der Text:

 

„Die zur Unmittelbarkeit fortgegangene Wesenheit ist zunächst Existenz und Existierendes oder Ding, – als ununterschiedene Einheit des Wesens mit seiner Unmittelbarkeit. Das Ding enthält zwar die Reflexion, aber ihre Negativität ist in seiner Unmittelbarkeit zunächst erloschen; allein weil sein Grund wesentlich die Reflexion ist, hebt sich seine Unmittelbarkeit auf; es macht sich zu einem Gesetztsein.

So ist es zweitens Erscheinung. Die Erscheinung ist das, was das Ding an sich ist, oder seine Wahrheit. Diese nur gesetzte, in das Anderssein reflektierte Existenz ist aber ebenso das Hinausgehen über sich in ihrer Unendlichkeit; der Welt der Erscheinung stellt sich die in sich reflektierte, an sich seiende Welt gegenüber.

Aber das erscheinende und das wesentliche Sein stehen schlechthin in Beziehung aufeinander. So ist die Existenz drittens wesentliches Verhältnis; das Erscheinende zeigt das Wesentliche, und dieses ist in seiner Erscheinung. – Das Verhältnis ist die noch unvollkommene Vereinigung der Reflexion in das Andersein und der Reflexion-in-sich; die vollkommene Durchdringung beider ist die Wirklichkeit.“

 

Dies aus der Einleitung zum (2.) Abschnitt „Erscheinung“.

 

Kurz noch zum anschliessenden 1. Kapitel „Die Existenz“. Hegel spricht hier zuerst wieder von „Existenz“ nicht generell, sondern von der ersten Entfaltung.

 

„Wie der Satz des Grundes ausdrückt: »Alles was ist, hat einen Grund oder ist ein Gesetztes, ein Vermitteltes«, so müsste auch ein Satz der Existenz aufgestellt und so ausgedrückt werden: »Alles, was ist, existiert«. Die Wahrheit des Seins ist, nicht ein erstes Unmittelbares, sondern das in die Unmittelbarkeit hervorgegangene Wesen zu sein.

Wenn aber ferner auch gesagt wurde, was existiert, hat einen Grund und ist bedingt, so müsste auch ebenso gesagt werden, es hat keinen Grund und ist unbedingt. Denn die Existenz ist die aus dem Aufheben der durch Grund und Bedingung beziehenden Vermittlung hervorgegangene Unmittelbarkeit, die im Hervorgehen eben dies Hervorgehen selbst aufhebt.“

 

„Existenz“ ist also eine Unmittelbarkeit, die im Hervorgehen (des Seins aus dem Wesen) eben dieses Hervorgehen selbst aufhebt.

 

Die zweite Entfaltung der „Existenz“ kommt im (2.) Kapitel „Die Erscheinung“ zur Sprache, wo die „Existenz“ nicht mehr als unmittelbare, sondern als reflektierte oder wesentliche betrachtet wird.

 

„Die Existenz ist die Unmittelbarkeit des Seins, zu der sich das Wesen wiederhergestellt hat. Diese Unmittelbarkeit ist an sich die Reflexion des Wesens in sich. Das Wesen ist als Existenz aus seinem Grunde heraufgetreten, der selbst in sie übergegangen ist. Die Existenz ist diese reflektierte Unmittelbarkeit, insofern sie an ihr selbst die absolute Negativität ist. Sie ist nunmehr auch als dies gesetzt, indem sie sich als Erscheinung bestimmt hat.

Die Erscheinung ist daher zunächst das Wesen in seiner Existenz; das Wesen ist unmittelbar an ihr vorhanden. Dass sie nicht als unmittelbare, sondern die reflektierte Existenz ist, dies macht das Moment des Wesens an ihr aus; oder die Existenz als wesentliche Existenz ist Erscheinung.“

 

Die dritte Entfaltung der „Existenz“ wird im folgenden (3.) Kapitel „Das wesentliche Verhältnis“ behandelt. Dieses wesentliche Verhältnis (welches „Gesetz“ ist) enthält die dritte Entfaltungsstufe der „Existenz“, indem es die „bestimmte Vereinigung“ dieser „Existenz“ mit dem Wesen enthält.

Die „Wirklichkeit (3. Abschnitt) ist hierauf die Einheit des Wesens und der „Existenz“.

 

„Das wesentliche Verhältnis ist daher zwar noch nicht das wahrhafte Dritte zum Wesen und zur Existenz, aber enthält bereits die bestimmte Vereinigung beider.“

 

Zwei Seiten weiter:

„In diesem ganz formell gewordenen Unterschiede [das erklärt Hegel gerade vorher] geht das Verhältnis selbst zugrunde, und die Substanz oder das Wirkliche tritt hervor, als die absolute Einheit der unmittelbaren und der reflektierten Existenz.“

 

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch