Home Philosophische Lehre von der Seele

 

Fragmentarische Notizen einer Vorlesung von Erich Brock an der Universität Zürich,

Wintersemester 1966/67

 

 

 

Die Intention dieser Vorlesung ist philosophisch, nicht psychologisch.

 

Die Psychologie ist durch Jahrhunderte als Gefangene der Philosophie mitgeführt worden, bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Erst dann wurde sie zur Einzelwissenschaft, die auf mehr oder weniger primitive Weise versuchte, gesetzliche Abläufe im Seelenleben zu finden.

Lange geht es aber nicht ohne Erkenntnistheorie neben der Instinktivität (oder Methode). Ein Einbruch der Philosophie mit ihrer Problematik und ihren düsteren Hintergründen ist nötig.

 

Psychologie als Einzelwissenschaft sollte positivistisch sein (nach Comte), nach Tatsachenfeststellungen und regelmässigen Zusammenhängen suchen. Sie geht vom Einen zum Andern fort. Als Einzelwissenschaft muss sie ihr Material nicht in (grössere) Zusammenhänge stellen, muss es nicht abgrenzen mit Prinzipien, die über Instinktives (die Methode) hinausgehen.

Aber Abgrenzung muss sein; richtige Zusammenhänge gilt es herauszustellen. Es scheinen noch andere Kenntnisse als die von Einzelheiten (Erscheinungen) nötig, wenn wir nach dem Wesen fragen. Wenn wir fragen: Woher kommen diese Erscheinungen? Von einer tieferen Ebene?

 

Was ist die Seele in sich, hinter der Flucht ihrer einzelnen Kundgebungen? Diese Frage existiert für die Einzelwissenschaft nicht; das ist weitgehend berechtigt.

Diese Frage ist unbeantwortbar, also eine Frage für die Philosophie – denn alle echten philosophischen Probleme sind unlösbar, die Fragen unbeantwortbar, aber fruchtbar, wenn wir daran herumnagen.

Also keine Flucht vor der Frage: Was ist das Ding an sich? Wir müssen das An sich zum Gegenstand nehmen, das heisst von innen betrachten, nicht von aussen (wie die Einzelwissenschaft), also vom sinnlichen Schauen her, also intuitive Methode.

 

Zuerst muss man wissen, was man will, was für einen wesentlich ist, was beiseitegelassen werden kann, denn es gibt in der Wirklichkeit keine exakten Kausalketten. In jeder Kausalverknüpfung ist etwas, das gleich bleibt und etwas, das ändert. Sonst wäre die Welt starr. Das Neue ist also neu und doch auch alt. Es ist eine Mischung von beiden Seiten; man kann es mehr oder weniger regelmässig nennen. Es ist exakt beherrschbar nur, wenn wir isolieren, Unwesentliches, Verunreinigendes ausscheiden. Ein (wissenschaftliches) Gesetz dient dazu, wirkliches Geschehen zu beherrschen.

Es ist eine unbewusste Funktion des Menschen, sich zum Ziel zu nehmen, die Wirklichkeit aufs Reissbrett zu spannen und alles wegzustreichen, was bewirkt, dass nicht das herauskommt, was wir wollen.

Dem geht aber irgend etwas in uns voraus: eine Abgrenzung, Herausschneidung, das geschieht durch Künstlerisches, Intuition. Nur der exakte Teil wird aber ins Bewusstsein gehoben.

 

Intuitives kann aber nicht absolut gesetzt werden. Wer sich auf die Intuition verlässt, ist meist betrogen, nicht für die Wissenschaft tauglich. Die Intuition muss wissenschaftlich nachgewiesen werden, wenn auch nicht exakt. Vor der Intuition muss häufige Beobachtung stehen. Das ist kein Kreis! (Die Möglichkeit, dass es umgekehrt ist, ist offenzuhalten. Dann müsste man sagen: Die Welt ist kein Chaos deshalb, sondern wir haben eine ungeheuerliche Komplikation noch nicht entdeckt.)

 

Naturgesetze als geltend behautet, bleiben Glauben (aller Glaube ist eine Zuendeführung der Vernunft).

 

Wir können nicht mit der einen Hälfte des Erkennens auskommen. Exaktes und Unexaktes kann nicht synthetisiert werden, sondern in der Mitte bleibt immer etwas Unexaktes und etwas Exaktes.

 

***

 

Das Besondere, besser: das Problem bei der Erkenntnis der Seele liegt darin, dass sie hauptsächlich Erkenntnis der eigenen Seele ist, was Fremderkenntnis eigentlich erst  ermöglicht. Subjekt und Objekt des Erkennens sind dasselbe. (Die Mitte ist prinzipienlos.)

 

Das Bewusstsein ist nicht etwas Vorhandenes, sondern eine Spannung, als Bewegung da, die wir vollziehen, gerichtet auf Inhalte und Gegenstände. Es ist eine „Atembewegung der Seele“, die in allem liegt, was wir (Selbst)Bewusstsein nennen:

Neugier > sich selber gegenüberstellen > sich verwundern: Das bin ja ich > identifizieren.

Die Selbsterkenntnis der Seele ist kein absoluter Akt, sondern eine innere Gegensätzlichkeit, die laufen, immer wieder überwunden werden muss. Dabei besteht die Möglichkeit zu beiden Akzenten: Überraschung und Enttäuschung (ja Erschrecken).

Unheimlich, dass der Mensch Erfahrungen über sich machen kann und muss. Was da vor sich geht ist nicht Ich, es unterliegt objektiveren, niedrigeren (Natur)Gesetzen. Das Seelenleben unterliegt einfach Gesetzen, ob sie uns passen oder nicht. Davon fühlen wir uns eingeengt und zum Objekt gemacht. Wenn man aber ganz unfestgelegt sein will, zeigt sich, dass man das ist; das heisst es gibt Bereiche, wo wir uns nicht kennen.

 

Ein gesundes, förderliches Leben spielt sich in der Mitte ab, nicht in den Extremen.

 

Die Forderung, sich selbst zu erkennen, ist zwielichtig: wieweit sollen, wollen können wir? Es gibt Punkte, wo man aufhören muss, sonst ergibt sich Versteinerung; es braucht Wunderbares und Selbstverständliches (das Bei-sich-selber-Sein), nicht nur eines. Daher die Lebensregel: Der Mensch muss in seiner Lebensführung, Gestaltung seines Seelenlebens beide Faktoren zur Geltung bringen: Fremdes von Aussen als (An)Reiz – Selbstidentität (mit sich eins, identisch sein).

 

Der Mensch darf nicht bis auf den Grund zerrissen sein.

 

***

 

Es gibt zwei Arten von Erkenntnis: a) intuitive Wesenserkenntnis

                                                           b) diskursive Erscheinungserkenntnis

 

a) ist im Augenblick vollendet, geht von Mittelpunkt zu Mittelpunkt, von Subjekt zu Objekt (vermag aber für sich und das so keine Rechenschaft abgeben)

b) hält sich an bestimmte gesetzliche Abstraktionen von Reihen von Erscheinungen. Da gibt es keinen Mittelpunkt:
Ideal: Quantifizierung, Mathematik, Bestimmung.
Zielt auf Handhabung, Technik, Manipulierung (eng mit dem menschlichen Verstand verknüpft).

a) ist mit Gefühl verknüpft, mit dem Unmittelbaren – nicht mitteilbar, nicht aufbewahrbar. Es können nur einzelne Merkmale mitgeteilt und diskutiert werden (also ist Zuhilfenahme von b) notwendig)

 

Alle strengen Scheidungen sind nur methodisch, kommen in Wirklichkeit in Fruchtbarkeit nicht vor.

Daher: a) und b) können weitgehend (mehr oder weniger) ineinander gearbeitet werden (Zusammenspiel). Des geht tatsächlich! Wie genau, ist nur eine Sache des Dosierens.

Aller Analyse muss ein synthetischer Akt vorausgehen, nämlich eine Intuition: wie der Schnitt gelegt werden soll und welche Seiten als wesentlich, welche andern als unwesentlich betrachtet werden sollen.

 

Daher gibt es  - als dialektische Notwendigkeit – zwei Formen der Psychologie seit der Befreiung aus der Unterordnung unter die Philosophie:

Experimentelle Psychologie und

Tiefenpsychologie.

 

Um 1900: Quantitäten der Verstandes- und Wahrnehmungsprozesse. Erkenntnis, dass Vernunft unausscheidbar zur Erkenntnis des Seelenlebens benötigt wird.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg: Umschwung zur Tiefenpsychologie (Erkenntnis des Wesens der Seele). Neue Erkenntnis wurde zwar gewonnen, aber man ist zu sehr im Intuitiven hängengeblieben! Folge: Chaos ergoss sich von der Wissenschaft in alle Bezirke. Nun muss das Übers-Ziel-Hinausschiessende gebremst werden.

 

Also: Beide Erkenntnisarten müssen zusammenspielen und zeigen, dass es zwei Seelenarten (Teile) gibt.

Der eine Teil der Seele ist für die diskursive, der andere auf die intuitive Erkenntnisart präformiert. Die Seelenteile spiegeln die Erkenntnisart.

 

***

 

Es gibt zwei Richtungen der Erkenntnis:

1.     aktualistische Deutung der seelischen Erscheinungen

2.     substantialistische Deutung der seelischen Erscheinungen

Unterscheidungsmerkmal ist, ob man ein Leben nach dem Tod annimmt oder nicht.

 

Bei Protagoras findet eine Loslösung vom Dinglichen statt: Die Seele besteht aus Erscheinungen des Augenblicks, bildet eine Kette von dynamischen Augenblicken.

Auch der Buddhismus kennt eine „nichtsubstantiale“ Seele, ähnlich noch Schopenhauer.

Bei Fichte ist die Seele nur Handlung (Tathandlung).ohne Substrat.

Demgegenüber kennt die christliche Theologie eine „dingliche“ Seele.

 

Die Seele bietet sich unter zwei Aspekten dar, je nachdem, wie man nach ihr frägt. Aber das sind nicht nur Spiegelungen unseres Fragens, sondern im (seelischen) Gegenstand selbst ist eine Polarität: Die Seele hat zwei Stockwerke. Im höheren Teil ist das ethisch und metaphysisch Wertvolle.

 

Es geht also darum, die Seele abzuklopfen, in sie hineinzuhorchen: Man muss die innere Qualität der seelischen Vorgänge befragen, ob zwei Stockwerke gerechtfertigt sind.

 

Das Vorstellungsleben, aber auch mehr oder weniger das Willensleben sowie das Verstandesleben erschliessen sich eher dem diskursiven Erkennen. Auch sind sie mehr mittelbar, das heisst sie befassen sich nicht mit dem Gegenstand. Daher drängt das seelische Geschehen weiter in Assoziationen, Verhakungen (doch Menschen, die nur dies tun, sind wesenlos). Darüberhinaus gibt es ein Sollensgesetz, das heisst, es ist immer eine Norm da ein Fortgang, intendiert nach dem Richtigeren, nach wahrerer Erkenntnis und Vorstellung.

Das Ich will durch die Berichtigung seiner Inhalte zu sich selbst kommen, näher zu sich.

Eine Tendenz zu Einheit, Ausgleich, Stimmigkeit muss sein, sonst besteht eine Zerrissenheit bis auf den Grund.

Dieser (strebende) Bezirk der Seele ist etwas Höheres. Die Höhendimension heisst Geist – wurde in der Geschichte mit religiösen, metaphysischen, rationalistischen, weltanschaulichen Akzenten versetzt. (Das war nicht gut. Heute haben wir die Erfahrung, dass der Geist nicht selbstgenügsam ist – wie das über Jahrtausende behauptet worden ist. Es wird dem Geist öde in der kühlen, dünnen Luft der Höhe. Die Seele möchte etwas Festeres.

„Höhe“ ist also nicht etwas Absolutes. In der Höhe muss der Geist wissen: Es gibt noch etwas Anderes, das Untergeschoss. Das war über Jahrhunderte allerdings muffelig – man denke ans viktorianische, wilhelminische Zeitalter.

 

***

 

Nochmals zur Zweiteilung  der Seele:

 

1. Oberbewusstsein (welches theoretisch funktioniert)

Hier wohnen die Erkenntnis und einige Geschlechter des Seelenlebens wie (theoretischer) Wille (Vernunftwille), Vernunft, Verstand.

Hier ist auch die kritische Funktion – durch Abstand halten -, wenn es Ziele hat, die über und ausserhalb des Gegebenen stehen.

Dazu kommt: Assoziieren (sofern es nicht chaotisch)

Dazu kommt: Glaube auf Grund

a) von Einzeltatsachen, b) apriorischer Grunderfahrung.

Die Seele lebt in ihrem Gegenstand nicht drin, sondern draussen.

 

2. Der andere Pol des Seelenlebens: Gefühl, Trieb

Dafür hatte man früher primitive Kategorien wie Lust-Unlust oder Begierde und Flucht (das sind rationalistisch verseuchte Alternativen).

Der Begriff „Gefühl“ taucht erst Ende des Mittelalters auf, in der franziskanischen Mystik Mönche vom Tegernsee, Nikolaus von Kues).

(Der dominikanische Gottesbegriff – bei Thomas von Aquin – hat etwas Rationales. Geist ist Vernunft, ein Wesen, welches zu den Werken ein Verhältnis hat.)

Das „Gefühl“ ist dann erst wieder in der Romantik breit hervorgebrochen.

Damals fand die Entdeckung des Unbewussten statt. (Die Dichter haben das schon lange gewusst.).

Voran ging Leibniz (obwohl in Einzelheiten scharf rationalistisch); er scheute vor schroffen Gegensätzen. Das Unendlich-kleine führte zum Unterbewusstsein, nämlich das, was zwischen dem gar nicht Bewussten und dem Bewusstsein ist.

 

Wie ist diese unbewusste seelische Wirklichkeit bewusst zu machen? Das Wie ist verschlossen, aber dass es stattfindet, sehen wir jeden Tag.

Ein Weg, ihnen nahezukommen, sind die Gemeingefühle (Allgemein- oder Gesamtgefühle). Sie geben Einblick in unsere Seele und in den Allgemeinzustand unseres Körpers. Je nachdem wir aufgelegt sind, fühlen wir uns frisch oder abgeschlagen.

Das Gefühl gibt nicht von aussen her ein Urteil, sondern ist mittendrin.

Das Gefühlsleben sättigt uns, gibt uns Dichtigkeit, Substanz, erlöst von der Uneigentlichkeit im Draussensein.

 

Die Kellergeschosse des Unbewussten (Schlaf, Aufwachen) sind schwer mit Erkenntnis zu erkunden.

Träume sind keine Einbildungen oder Phantasmagorien, sondern Wirklichkeiten.

Träume sind etwas Unmittelbares und Endgültiges. Der Mensch hat keinen Willen mehr darin; es ist alles so, wie es ist.

Träume haben die Macht, uns zu beglücken oder in Verzweiflung zu stürzen. Im Alter werden die Träume öde, trivial oder höllisch, nicht mehr beglückend wie in der Jugend.

Aufwachen ist ein Moment der Bilanz: „Dies ist mein Kräftestand.“

Zwischen beiden Reichen gibt es wenig Brücken. Lebensnotwendigkeit ist die Überbrückung.

 

***

 

Die Seele hat eine komplizierte Infrastruktur, die mit den Symbolen der Polarität geschildert  werden kann.

Wie kann diese Spannung in Fruchtbares verwandelt werden?

 

In der Kindheit ist noch „diese“ Harmonie vorhanden.

 

Harmonie funktioniert nur bei sehr wenigen Menschen reibungslos, eher bei „einfachen“ Menschen, wo die Intensität des Geistes- und Gemütslebens niedrig ist. Geistig Höherstehende verfügen über eine „kunstgewerbliche Harmonie“.

 

Harmonie ist nur möglich, wenn die beiderseitigen Intensitäten nicht ins Absolute gehen.

 

Es ist unmöglich, in alle Richtungen gleich intensiv vorzugehen.

 

Fürs absolute Glück ist der Mensch nicht geschaffen.

Skepsis sich selber gegenüber ist vonnöten.

 

Der Geist ist ohne freiwillig sich fügendes Gefühlsleben ein Herrscher ohne Heer.

 

Der Mensch ist nicht dazu geboren, Harmonie zu finden (da Erschlaffung der Spannung); das gelingt in der Natur nur den Tieren.

 

Wesen des Menschen: Mühendes Bewusstsein von tiefen Zusammenhängen ist nur erreichbar, wenn eine Störung der Harmonie erfolgt (nicht wenn es selbstverständlich ist).

Die schmerzlichen Disharmonien müssen in vernünftigen Dimensionen bleiben, dürfen nicht am Fundamentalen rühren.

 

Gefährlichste Menschen: wenn eine Seite zu intensiv, zu absolut.

 

Man kann die seelischen Disharmonien in Beziehung stellen zu anderen fundamentalen Disjunktionen im Mensch und Welt, nämlich Ewigkeit (Wille, Verstand) und Augenblick (Trieb, Gefühl): „Zeit“ ist nur in diesen beiden Erlebnisformen ausschöpfbar.

 

Wenn die beiden Bereiche nicht aufeinander eingespielt und ins Benehmen gesetzt werden, ergibt sich die Philosophie eines Krüppels. Die finden wir in sehr vielen Philosophen und Posen. Und diese äussersten Beauftragungen werden dann von geringeren Menschen zu Idealen für die Massen umgeschmiedet, die zu ungeheuren Verdüsterungen führen.

 

Wer nichts für Grösse übrig hat (die an Zerstörung grenzen kann), ist auf dem Stumpengeleise. Grosses kann nur durch Zerstörerisches hervorgebracht werden.

Der Mensch muss über Normales hinausstreben. „Normales“ ist spiessbürgerlich.

 

Das Streben nach absoluter Sicherheit und Einheit ist nicht nur Schwäche und negativ. Es ist z. B. die Urwurzel aller Religion.

Der Mensch sucht Selbstgenügsames, eines das Lösungen enthält, wo alles zusammenkommt. Das ist der Urdrang des Menschen nach Religion. Seine reine Form ist Mystik.

Mystik ist eher intellektuell als gefühlsmässig, das heisst, eine eisklare und glasklare Methodik zum Ausrotten jeder Regung.

 

Daraus entsteht aber eine Problematik mit zerstörerischem Charakter, nämlich dass dies den Massen auferlegt wird. Es ist ein „Programm des geistigen Selbstmordes“. Das hat für die Masse der Menschen gar keinen Sinn. Es bedeutet eine Zerstörung von Unbefangenheit, Fülle und Instinktivität der Natur.

 

***

 

Ausflüge in die „Weltgeschichte des Geistes“:

 

Schon bei den „Naturvölkern“ zeigen sich die Spaltungen der Seele, die beinahe bis ins letzte gehen.

 

Als erstes bei den „Völkern der Hochkulturen“ betrieb Indien die höchste geistige Einseitigkeit. Zuerst gab es schwülstige Plastik, dann hochgetriebenste Geistigkeit. Die Inder liessen sich leiten von einer Vorspiegelung der geistigen Einheit, die nur eventuell auch Lebendiges umfasst.

Diese Einflüsse finden wir noch in der Mystik und im Neu-Platonismus.

 

Bei uns herrscht die Stoa: Sie verspricht, durch den Absolutheitsanspruch der Vernunft Sicherung zu bieten. (Ähnlich auch Parmenides und Spinoza: Es gibt nur Geist = Sein.)

 

Seit der Renaissance erlitt diese Sicht einen Niedergang. Höhepunkt um 1900.

 

Es gab einen Rückschlag aus dem unteren (getretenen) Teil der Seele. Gleichzeitig erfolgte eine Schilderhebung des Relativen, Bedingten. Das war gegen das Absolute gerichtet, nahm aber selber Formen des Absoluten an: Alles Intellektuelle (Ordnende, Systematisierende) und Willensmässige wurde verneint. Es gab keinen Beziehungsreichtum mehr. Lyrik bestand nur noch aus freihängenden Metaphern und Symbolen. Alles besteht nur noch aus Sinnbildern zur Darstellung des Lebenstriebes.

 

Eigentlich ist keine Kritik mehr möglich in der modernen Kunst. Es kann nichts mehr darüber gesagt werden. Gleichzeitig besteht aber ein Bedürfnis, zu erklären, sich auszusprechen.

 

Der zweite Rückschlag: Der Wille wird mehrheitlich geistig (aber nie ganz).

Beispiele sind die totalitären Systeme, beispielsweise die Kommunisten (Da gibt es keine Hinterwelt mehr, aus welcher etwas herausgeschält wird).

Kennzeichen: Sündlosigkeit (Vollkommenheit) und Pathos des Fortschritts.

Ähnlich Parmenides und Pythagoras: den Menschen neu schaffen als moralischen.

 

Vorgänger des Kommunismus: Pietisten („Wir sind die Auserwählten, wir leben vor und verwirklichen!“),

z. B. Templerorden

Pietisten in Pennsylvania („Bethlehem Steelworkers“)

Herrnhuter

 

Die Menschen wollen nicht Freiheit, sondern Absolutheit, nicht Subjekt, sondern Substanz

 

***

 

Normalität und Gesundheit sind durch inneres Gleichgewicht ausgezeichnet. Es kann aber nicht analysiert werden.

 

Allem Leben ist ein Streben nach Normalität immanent. Aber das kann zur Erstarrung führen.

Im Organismus gibt es selten einbahnige, gradlinige Bestrebungen, sondern ein Zusammenspiel entgegengesetzter Faktoren (Antagonisten) auf jeder Ebene des körperlichen Geschehens, z. B. beim Nervensystem Parasympathicus (Speicherung und Zurückhaltung) und Sympathicus (antreibend, mobilisierend). Je nach Situation muss ein Faktor vorherrschen, beispielsweise bei Gefahr.

 

Bei manchen Menschen ist ein System besonders angeregt, von Hause aus, durch das Schicksal bestimmt. Es sind sehr extreme Schicksale möglich (Bestimmungen, über die der Mensch nicht so leicht hinwegkommt):

 

Für einen normalen Ablauf des Seelenlebens gehört dazu: Befriedigung.

 

Befriedigung liegt zu einem grossen Teil nicht in des Menschen Hand.

 

Wenn ein Trieb fundamental unbefriedigt bleibt, kommt es zum Absterben, Veröden des Gefühlslebens. (Damit kann der Mensch alt werden.)

 

Analog zur Befriedigung ist die Befriedung (mehr formaler Begriff). Sie hängt mit „Frieden“ zusammen und bedeutet: Übereinstimmung, Identität mit sich selber

 

Befriedigung und Nicht-Befriedigung, Befriedung und Nicht-Befriedung liegen in einem inneren Widerstreit (formal, logisch). Das ist einfacheren Menschen schwerer bewusst zu machen.

Die Einheit muss sich in jedem Augenblick neu herstellen, sich bewähren.

 

Harmonie (Fügung) bedeutet nicht ein schlaffes Nebeneinanderliegen. Sie ist ein dynamischer Begriff. Beide Teile müssen hart sein. Beide Seelenteile grenzen sich aneinander ab, streben aneinander empor. Also braucht es nicht nur Harmonie, sondern auch Spannung.

 

Alle Gleichgewichte sind eigentlich nur labile.

z. B. Speicherung gegen Einsatz

Augenblick und Ewigkeit

Erkenntnis und praktischer Anwendung, (z. B. Heilung.)

 

Es gibt zwei Arten physiologischer Störungen

1.     der untere Teil ist stärker

2.     der obere Teil ist stärker.

1. Beim Tier entspricht dies dem fixfertig gelieferten Instinkt, der sehr viel Vernunft in sich hat.

Dem Tier unbekannt, also neu beim Menschen ist die Idee der Absolutheit

Wenn der Mensch nur nach Sättigung der Triebe sucht, ist das eine pervertierte Form der Idee der Absolutheit. Süchtigkeit führt zum Verlust des Willens, richtet aber auch sich selbst zugrunde und das Gefühl mit.

Auch beim Tier gibt es einen Anteil von Geist (= Feinheit) im Gefühls-, Triebleben.

Der Mensch sollte keine viehische Gefühlsbefriedigung tun.

 

2. Das Absolute scheint (nur) im Geist zu Hause zu sein.

Der Absolutheitsfimmel bewirkt Hörigkeit dem Trieb gegenüber. Das 20. Jahrhundert zeigt einen Rückstoss ins rein Gattungshafte.

 

Früher waren „von oben“ (Eltern, Kaste) her geschlossene Ehen in grösserem Prozentsatz glücklich als heute, wo individuelles Findenkönnen und Freiheit.

 

Probleme:

Wieweit kann der Wille Macht ausüben über Dinge, die ihm nicht unterstehen?

Der Wille bringt nur Prothesen (für beide Seelenbereiche) hervor. Wenn er sich aber nicht mehr in die Hand bekommt? Sich verloren geht?

Wie kann gewollt werden ohne Wille?

 

***

 

Im seelischen Geschehen gilt, wie in der Physik: Druck ruft immer gleichgrossen Gegendruck hervor.

Kleist: „Marionettentheater“.

 

Es braucht eine richtige Mischung zwischen:

Bewusstsein und Unbewusstem

Wille und Machenlassen

(gewagter) Naivität und Methodik.

 

Ein reflektiertes (überlegtes) Selbstvertrauen ist meist weniger wirkungsvoll als ein naives (instinktives).

 

Es braucht eine Mitte zwischen

Selbstbejahung (Mit-sich-selbst-Einssein) und

nur Selbstvertrauen (gusseisernes).

 

Es gibt für den Menschen keine absolute Sicherheit, dafür müsste er absolutes Vertrauen haben. Das führt zur Psychologie der Religion.

 

***

 

Die Vorsokratiker  sind „fruchtbarer“ als die heutige Besserwisserei.

 

Bei Empedokles wird die Kugel zusammengehalten durch Liebe und ihr Gegenteil, Hass. Die heutige Welt ist auf dem Weg zu einer Atomisierung (durch den Verstand hervorgebracht, der auseinandersetzt) und Hass.

Die Idee der Einheit ist unentbehrlich.

Der Verstand liefert die Subjekt-Objekt-Spaltung. Sie lässt sich nicht zusammenfügen.

 

Jacobi sah (gegenüber Kant): Die Spaltung, das Aneinandervorbeigehen ist das Problem.

 

Es gibt kein Denken, keine Wissenschaft  ohne glaubensartiges Grundvertrauen – dass Denken die Wirklichkeit anpackt, also sinnvoll ist.

 

Es entwickelt sich gar nichts, wenn nichts eingewickelt war.

 

Pflanzen, Tiere und Umwelt sind aufeinander hin entworfen und passen sich mit der Zeit aneinander an.

 

Hexenverbrennungen sind sadistische Ausschweifungen zu Zeiten, da nur Einheit ist.

 

Einheit sollte hergestellt werden, stellt sich nicht von selbst ein. Das erfordert die Glaubenskraft des Individuums.

 

Wenn die Welt einen Sinn hat (sie muss), muss das Individuum Beständiges beisteuern.

 

Das Individuum ist eine Form, die Kraft sammelt und steigert.

 

Das Individuum muss zu sich selbst kommen, sich und seine Rolle ergreifen.

 

Der Mensch muss sich auf der Welt bewähren, das heisst, das Richtige erkennen und tun - sich Bemühen sollte genügen.

 

Der Entwurf muss im Kampf mit der Umwelt und den Bedingungen sich ausbilden, damit er die Grundidee tragen kann.

Dazu ist eine Kraftvermehrung notwendig.

 

***

 

Unsterblichkeit der Seele:

empirisch nicht nachweisbar.

Non liquet

[Brock ist:] sehr skeptisch, denn z. B. es melden sich über Medien nie Stimmen mit geistig bedeutenden Inhalten, nur Plattes.

 

Interesse des Lebens: Kraftsteigerung. Bester Beweis für die Unsterblichkeit: Im Jenseits muss es Fortentwicklung geben.

Faust II: „nach Drüben“.

 

Auch die Seelenwanderung kann nicht helfen, das Rätsel zu lösen. Denn das Bewusstsein dazwischen ist ausgelöscht! (Kontinuität nur erlaubt Steigerung).

 

Einsicht: Absolut Sicheres ist nicht auszumachen.

Unsterblichkeit ist höchstens überwiegend sicher. Soll auch nicht ganz sicher sein.

> Glaube, muss mit Denken erarbeitet werden.

 


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