Zur Einheit in der Philosophie
Notizen, April 1968
Inhalt Phänomenologie Wissenschaft Philosophie Philosophie als zurückfragendes Fragen Bedingungen der Möglichkeit Einheit, Wahrheit und Wagnis Parallelen in der Physik Bewusstsein, Sein und Dasein Dasein und Philosophie Mensch und Ethik
Phänomenologie
Unser Bewusstsein ist intentional auf es (das Gegebene und Anwesende) gerichtet, stiftet so Sinn und nimmt es so, wie es sich selbst - in der Intuition als gebender Anschauung - gibt. Alles ist "Bewusstsein von (etwas)", alles begegnet dem Denken nicht anders als in Intentionen, Akten und Vollzügen des Bewusstseins - im Gegensatz zum unbewussten Spüren -, und diese (das "transzendentale, reine Ego") "konstituieren" die Welt.
Immerhin bleibt das Fundamentalproblem bestehen: Wie kommt es vom Objekt (Sache; Bezeichnetes) zum Begriff (Bezeichnendes) davon, oder umgekehrt? Geht die Anschauung durch ein System hindurch bis sie Begriff wird (das heisst eingeordnet ist)? Wenn das Objekt begrifflich erkannt wird, ist dann die Einheit Subjekt-Objekt im (selbstbewegenden) Denken wiederhergestellt? Oder: Gibt es nichts anderes, als die Klüfte zwischen Sein und Denken, Sein und Handeln, Haben und Tun wechselseitig zu befestigen, zu einer zweiheitlichen Einheit zusammenzufügen?
Phänomene hinnehmen ist schwieriger als denken.
Wissenschaft
Sie geht, obwohl zweckgebunden, auf allgemeingültige Aussagen aus; ihre Modelle und Theorien sind aber korrigierbar (Neopositivismus: Approximationstheorie).
Philosophie
Sie muss im Alltag stehen und einen empirischen (erfahrungs- und erlebnismässigen) Bezug haben. Sie hat keine andere Wirklichkeit, geht dem Leben nur tiefer auf den Grund; sie transzendiert ("Überstieg" als Besonderheit des dialektischen Verhaltens) die Wirklichkeit, aber überspringt sie nicht. Sie nimmt das Seiende als Seiendes und das Werdende als Werdendes. (Das Ganze des Seins und Werdens geht den Menschen als Menschen an.)
Selbstgenügsame Einheit: Verknüpfung (Synthese), Einheits-Struktur (Gefügehaftigkeit).
Qui trop embrasse mal etraint.
Gegebenes: Vorgefundenes, Vor- und Zuhandenes, Zeug, Begegnendes, Vernommenes.
Philosophie als zurückfragendes Fragen
Philosophie geht auf die Wirklichkeit im Ganzen und Allgemeinen, auf die reale wie ideale und hat damit keinen exemplarischen eigenen Gegenstand, bestimmten Objektbereich.
Sie ist ein transzendierend - im Hinblick auf Bedingungen und Absichten - zurückfragendes Fragen. Damit ist sie auch, als auf sich selbst zurückbezogen, ständig ein aktuelles Problem für sich: Was, welches ist das (eigentliche; philosophische) Wissen, das sie anstrebt, worin besteht das wahre Wissen, um das es gehen muss, worin das Letzte, in dem ihr Anliegen seine Erfüllung findet? Der Gegenstand muss von der Philosophie je sich selbst zubestimmt werden; so ist sie auch Sache ihrer eigenen Frageweise und das erste ihrer Probleme, indem sie auch ihre eigenen Voraussetzungen bestimmen muss.
Bedingungen der Möglichkeit
Fragen: Gibt es ein aprioristisches Seinsverständnis? Wie gewinnen wir apodiktisch gewisse - unbezweifelbare - Erkenntnis?
Deshalb also dreht sich letztlich alle Philosophie um die Verankerung des Seienden und Werdenden in einem Grund und um diesen selbst, der alles stiftet und trägt, um das Umgreifende, das Absolute, das sich als Abgrund der Freiheit erweisen kann (ähnlich wie in Religion und Mystik), um Sein und Werden schlechthin - das jedem Seienden und Werdenden eigen ist, ihm innewohnt und es allererst zu Seiendem und Werdendem (im verbalen Wortsinn) macht -, kurz: um das umfassend Letztbefragbare und -begründende, den Ursprung der und die letzte Seinsordnung selbst ("das Prinzipsein überhaupt"), das Sein als Sein, das Werden als Werden. Diese zwei - auch wenn von uns immer hypostasiert - sind das Erste und Letzte überhaupt, weder Summe, Totalität noch Ganzes (als Synthese) und sind un(be)greifbar, das Unverfügbare, das Selbstverständliche und Unverständlichste zugleich: es ist das Über-vernünftige, Durchleuchtende (Transparente, Diaphane), das Licht in den Prinzipien (Gründen), das Eine (Ensoph, Pleroma), aus dem alles ausstrahlt (Emanation, Explikation) und in das es wieder zurückfliesst - das immer Rätselhafte und ratlos Machende.
Einheit, Wahrheit und Wagnis
Wenn wir die Bemühung um das Verstehen aller Dinge aus einem (Funktions-) Zusammenhang ernst nehmen und uns Selbstkritik (Nüchternheit), aber auch Beteiligung (Ergriffenheit) und immanenter Stringenz des kritischen Denkganges (Methode) sowie einer systematischen Tendenz (Streben) zu Überblick und Vollständigkeit befleissigen, ist Philosophie also kein Kompromiss zwischen heutigen Wissenschaft und Religion, sondern "philosophia perennis", die eine fort- und überdauernde Kontinuität des sich durch den Lauf der Geschichte (die sie ja selbst ist) stets abwandelnden und sich doch treu- und gleichbleibenden Fragens - und Infragestellens, Besinnens - nach den letzten Gründen in Gemeinschaft mit dem Übergreifenden.
Das Verhältnis der Philosophie zur Wahrheit ist hierbei ein polares: Einerseits ist Wahrheit als Ziel, zu Erstrebendes gesehen (Sein), anderseits ist sie nicht erst am Ende des Weges zu erreichen, sondern liegt dem Philosophieren an seinem Grunde, gewissermassen als ständiger Begleiter im Rücken und eröffnet sich mit jedem Schrift aufs neue (Werden): Philosophie, wo sie anhebt, weiss immer schon um die Wahrheit, spricht immer schon in ihrem Namen. Doch - entgegen der Auffassung vom Bestehen ewiger, transzendenter, aber überdeckter Grundwahrheiten - ist alle Wahrheit zumindest doppelt und nur relativ erreichbar; sie misst sich einzig an ihrer Fruchtbarkeit. (Und jedes einigermassen wesentliche, starke (einseitige) Weltbild ist wahr, denn man kann damit durchkommen, leben.)
Wahrheit ist die Idee einer unumstösslichen Einheit, worin ein jedes seinen Ursprung hat und mündet, seinen geometrischen Ort, die bergende Mitte hat. Diese letzte notwendige Einheit allen Seienden und Werdenden - inmitten dessen das Menschliche miteingeschlossen ist - bedeutet weder Homogenität (Einerleiheit) noch Identität, sondern ein alle Entgegensetzungen übergreifendes Gefüge, das die Welt, die mittels Verstand und Denken zerlegt wird, am Auseinanderfallen hindert. Sie ist das Ganze aus den Gegensätzen (coincidentia oppositorum) und trägt viele Namen, ist aber nicht mehr sagbar. Sie ist das Gesamt alles Seienden und Möglichen und dessen, was wir selber sind und werden, mithin ein immer neuer Erschliessung harrender Zusammenhang: Die Welt muss auf den waltenden Grundbezug hin durchsichtig gemacht werden.
Wirklichkeit: eine Vielfalt in ungeheurer Entgrenzung ("endlich aber unbegrenzt") - z. B. als Endlosigkeit der möglichen Wahrnehmungen. Die Welt wie sie ist, ist eins (Heraklit: „Eine notwendige Verknüpfung ist Ganzes und Nicht-Ganzes: auseinanderstrebend strebt es zusammen“). Innere und äussere Sicherheit findet nun der Mensch nur durch Erkenntnis, d. h. die Handhabung eines Fassbaren. Das auslegende, ordnende, subsumierende und abstrahierende (schematisierende und kanonisierende) Denken - das Scheidewasser zur Zergliederung der Welt in ihre Konstitutions-, Schichtungs- und Konstruktionselemente - erlaubt ein Beherrschen (etwa mittels Gesetzen), nicht aber ein Haben, Besitzen: denn was man hat, hat auch einen - und damit ist die Sicherheit dahin.
Somit verlangt das angestrebte Einssein mit der Welt und sich selbst ein Wagnis, das über dem trennenden, zerspaltenden und damit zerstörenden Denken steht, denn der Verstand kann die Ganzheit nicht beweisen; sie ist rational nie als (rein theoretische) Einheit aufweisbar; die Welt stimmt nicht logisch, ist nicht von Grund auf vernünftig (genauso wie dem Widerspruch nie rein rational beizukommen ist): Fer Sinn ist nicht (nur) auf dem Pfad des Denkens fassbar.
Der Wagemut besteht nun im Einsatz von allen Kräften, im Überspringen der letzten Lücke mit der eigenen Person, welche die Einheit will und handelt, weil sie( an) sie glaubt, glauben muss. Zum Denken tritt also das von ihm geleitete Handeln, der Forderung nachkommend, dass eine Einheit (Identität) von Betrachtung (Beschauen) und Tat da sein muss, womit sich der Mensch und die Welt im wesentlichen tätig, im werkenden und wirkenden - im lebendigen, sinnlichen wie geistigen - Vollzug ergeben: Das Denken wird durch das Leben vorangetrieben und umgekehrt.
Das ist kein billiges Erringen, das nur schädigend wäre, noch eine titanische Anmassung (Hybris).
Der Anfang der Philosophie besteht überhaupt immer im Vertrauen (Glauben) auf die (menschliche) Vernunft, welche dem Menschen das Dunkel der Welt enträtseln soll und kann, welcher die Wirklichkeit sich, verlässlich, erschliesst, sowie in der empirischen Erfahrung, dass es eine "Behütung und Bestätigung" gibt - man kann auf die Dauer auch nicht gegen die Wirklichkeit anglauben - und schliesslich im Erwachen des Willens zu begründeter Einsicht des Menschen in sein Wesen (Erkenntnis) und zur Selbstbestimmung daraus (denn der Mensch will und soll leben).
Parallelen in der Physik
In ganz ähnlicher Weise ist auch etwa die moderne Physik zu derartigen Ergebnissen gekommen. Es hat sich gezeigt, dass das Denken allein nicht ausreicht, sondern schöpferisches Handeln, Intuition und Meditation mit dabei sein müssen, und dass die Trennung (oder Spaltung in) Subjekt-Objekt nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, da eine Rückkoppelung, gegenseitige störende Beeinflussung Experiment-Beobachter stattfindet:
Analog verficht die Philosophie die ontologische Synthese, in der das reale Objekt im Akt existent wird. Der Akt scheidet ontologisch und vereint wirkend die Welt der Existenz und die der Realität. Das Gemeinsame - oder Zwischen - ist hierbei das Akt-Korrelat. ("Die Synthese von Akt und Sein ist das Band, das die endlose Mannigfaltigkeit der geschichtlichen Äusserungen des Menschen, sei es auf der Ebene des Denkens, Wollens oder Empfindens, zusammenhält.")
Weiter: Die Welt ist durch die erkannten und erkennbaren Naturgesetze - die nur Wahrscheinlichkeitsaussagen enthalten - gar nicht eindeutig bestimmbar, berechenbar; wir können die Gegenwart prinzipiell nicht genau und vollständig erkennen (Unschärfenrelation); es gibt auch verschiedene Schichten der Wirklichkeit (Hierarchie).
Wie sich unter anderem aus der Quantenmechanik ergibt, ist die Welt auch nicht so, wie wir sie unmittelbar wahrzunehmen glauben; Sinneseindrücke werden automatisch-unbewusst verarbeitet. So stellt die Physik fest: In der Welt muss eine bestimmte Ordnung bestehen, denn nur in einer solchen können wir uns zurechtfinden, nur in einer geordneten Welt ist Leben möglich - in einem gewissen Mass von Freiheit, Zufall. Die begriffene Welt und ihre Ordnung lässt sich dabei durch verschiedene (gleichstrukturierte, isomorphe - auch "unanschauliche", zeichenhafte, mathematische) Bilder - nicht Abbilder - darstellen, fangen und formen.
Fazit: Der Mensch ist in seine Umwelt eingebettet, ein Teil der Schöpfung und damit begabt, ihre Ordnung aktiv zu er-fassen - der Philosoph Schelling spricht von "Mitwisserschaft mit der Schöpfung" -: "Der Geist erkennt nur, indem er schafft, er besitzt nichts, als was er tut.“
Bewusstsein, Sein und Dasein
Neben der Einheit, die uns, sprachlos, einerseits im Glauben und Schauen oder (Ein-)Fühlen (Mitschwingen), Ahnen und in mystischer Versenkung, anderseits im Er-leben, in den Entscheidungen und im immer schon Entschieden-haben geschenkt ist, lässt sich in Hinblick auf das Denken sagen: Die Philosophie, der Mensch und Wissenschafter weiss nur gewiss, dass das Letztwirkliche und Unsagbare, der letzte (Hinter-)Grund und Zusammenhalt besteht, nicht aber worin. Der Ursprung dieser Gewissheit liegt vorerst in der Einheit des Bewusstseins, das alles umfasst, wovon überhaupt die Rede sein kann: Alles, war wir meinen, als seiend und werdend inanspruchnehmen, gerade auch in der Objektivität (im Nicht-Gemeintsein), in der wir es vermeinen, ist nur für ein (werdendes) Dasein seiend - auch wenn es als unabhängig von uns (z. B. vom Beobachter) gedacht und ausgesprochen (gesagt) wird. Ein jedes ist nur im Horizont unseres Bewusstseins, oder vom Bewusstsein umschlossen im Horizont des Meinbaren und Denkbaren; alles ist durch unser Denken so vermeint.
Seiendes ist aber nicht (nur) ein Bewusstseinsprodukt, sondern es begegnet dem Denken (im Unterschied zum unbewussten Spüren) nicht anders als so. Wenn nun aber auch das "ursprünglichst" Gemeinte als seiend (und damit eben "nicht-gemeint") gemeint ist, besteht gar eine Denkbarkeit (Meinbarkeit und Benützung) des unfasslichen Seins - dieses allgemeinsten, leersten, selbstverständlichsten und undefinierbarsten Begriffs, dieser Idee - durch das Dasein, welch letzteres dann gewissermassen eine Bühne im Sein ist, als Ort, wo das Sein erst bewusst werden kann, als Seiendes gegeben und sich werdend entfalten kann. Ist das Denken aber von dem umgriffen, das es meinend umgreift, ist es selbst ein Seiendes und Werdendes. So gibt es ein Bewusstsein von Seiendem und Werdendem, das als Sein und Werden ihm (sich) selber bewusst ist. Hiermit ist das Dasein als Bewusstsein ein eigenes "Letztes" und Umfassendes: Das Sein hat seinen Ursprung im Vorgang des Erkennens, das ein schöpferischer Akt ist. Das helle Bewusstsein - als Funktion des Daseins ("Bewusstseinsstrom als menschliches Erleben") - geht in diesem Sinne allem voraus.
Umfassen nun das Sein als Sein und das Werden als Werden ihrerseits (als Quellgrund und Verbindlichkeit) das Dasein, dieses hinwiederum Sein und Werden, so ergibt sich ständig das eine aus dem andern „in Ewigkeit": es ist das gegenseitige Unterfassen von Sein (und Werden) und (werdendem) Dasein - und zwar in zwei kategorial verschiedenen Weisen: einerseits ontisch, anderseits intentional-mental. Wird das Dasein als stiftende Funktion verstanden, die in sich Sein und Werden erst zu sich kommen lässt, dann ist es ein Letztes auch in seiner Umfasstheit.
Der Unumstösslichkeit der Einheit ist mithin auch von ganz anderer als der in den vorigen Abschnitten erwähnten Seite Gewähr gegeben, beinahe durch einen Gang im Kreise (Zirkel im Beweis; elliptische Sätze).
Dasein und Philosophie
Philosophie erhebt nun genau denselben Anspruch. Sie stellt im Dasein dessen eigenes Seinsverständnis dar und ist damit der besondere Ausdruck dessen, was Dasein immer schon ist. Philosophieren ist Betätigung und Bestimmung des Daseins, wenn dieses als geprägt von seinem - als Grundverfassung - In-der-Welt-sein (als Mit(da)- und Selbstsein), als In-Sein und Haben (als Zu-tun-haben-mit, Sich-verhalten-zu und Verstehen-von "Welt" und "Sein") aufgefasst wird, und die Ganzheit des Verhältnisses Philosophie-Dasein besteht darin, dass es ein Zusammenhang der ersten Prinzipien, der Ursprünge allen Seins und Werdens ist. -9 Dieser Rückbezug der Philosophie kann noch näher beschrieben werden: Ursprung und Antrieb des Philosophierens ist einerseits die eigene Gesetzmässigkeit des erkennenden Verhaltens (Motivationsgeflecht und Neugier), anderseits das werdende Dasein des Menschen, in dem er sich selbst anheimgegeben ist und notwendig nach einer übergreifenden Orientierung im Ganzen und Letzten strebt - ist doch das Dasein ein Seiendes, dem es in seinem Sein (gerade) um dieses Sein selbst (Existenz) geht, in Sorge, als Sein des Daseins, und in umsichtigem Besorgen - und dessen Wesen darin liegt, dass es je sein Sein als seiniges zu sein hat, d. h. dass es überhaupt existiert: Es ist seinem eigenen Sein überantwortet (Heidegger).
Philosophie ist als Ausdruck des Daseins somit dessen Vollzug oder Geschehen. Die Verbundenheit in der Struktur Dasein-Philosophie besteht nun darin, dass das menschliche Dasein Verhalten.-zu und Umgang-mit Seiendem (Gegenwärtigem und Mitgegenwärtigem, Appräsentem) ist und zugleich ein Selbstsein in Spannungen und Widersprüchlichkeiten. Das Dasein ist je meines, je deines, ist die Seinsstrukturen verstehend und schon umgreifend, indem es im Meinen (Vermeinen) bereits eine Deutung (Sinngebung) der Welt, der Daten in Bedeutungs- und Bewandtnisbezügen gibt.
Das Da-sein (Befindlichkeit und Betroffenheit) ist deshalb von Anfang an eigentlich philosophisch, weil es sein Sein und Werden auf Seins- und Werdensdeutungen hin transzendiert. - Schon das durchschnittliche Seinsverständnis (im Horizont der Zeit) gehört zur Wesensverfassung (Seinsart) des Daseins selbst, ist eine Seinsbestimmtheit von diesem.
Dieser prä-philosophischen Spezifität menschlichen Existierens steht die Philosophie (als Gespräch der Geister) im eigentlichen Sinne gegenüber, die in reflektierter Form von methodischer Besinnung und Kritik (Überprüfung auf Leistung, Grenzen und Stimmigkeit) eine Bestimmung des Seins und Werdens gibt. Philosophie und Dasein sind dann beide Zeugnis einer inneren Identität, haben beide ein besonderes Verhältnis zu ihrer Geschichte (Historizität), eine eigentümliche Aktualität (unmittelbares Angehen) und sind immer aus sich auf sich selbst zurückgebogen (selbstbezüglich; vor- und rückbezüglich zugleich): Es geht je und je um sich selbst. Dasein ist als Selbstsein das Ganze seiner Möglichkeiten - wohinein gerade auch das Versäumen, Verlieren und. Unrechttun, Schuldigsein und -werden gehören -: Dasein ist ursprünglich in und aus und als Selbstbezug. (Das bedeutet weder Egozentrizität noch Solipsismus.)
Heisst Philosophie schlicht, seine eigenen Möglichkeiten entschlossen zu wählen und zu ergreifen, zu übernehmen und zu verwirklichen, zu "werden", dann ist Philosophie und Dasein zu Recht auch ihr Anspruch auf Letztheit - und Transzendenz - zu eigen: Philosophie zielt aufs Letzte, Dasein ist selbst das Letzte, in ihm geht es um das Letzte, um sich selbst. Der Mensch erfährt sein Sein erst im "sein-Sein-sein", so geht es in allem Philosophieren als Antwort auf die Struktur des Seins letztlich um menschliches Sein und Werden (ex- oder implizite). Gerade weil dem Menschen seine eigene Möglichkeit selbst auferlegt ist, erfährt und er-lebt er sich als sich selbst aufgetragene Einheit und polarisierte Urerfahrung, als Möglichkeit und Aufgabe ineins, deren Gestaltung und Erfüllung er leisten muss.
Grundthematik der Philosophie in diesem Sinne ist somit das gegenseitige Fundierungs- und Verknüpfungsverhältnis von Sein (und Werden) überhaupt und Menschsein (dem Wesen des Menschen), die beide einander implizieren - beispielsweise in allgemeiner Ontologie und Fundamentalontologie. Wesen und Einheit der Philosophie macht also gerade die Bewandtnis und Struktur des Seins (und des ausgezeichneten, exemplarischen Seienden mit dem ontisch-ontologischen Vorrang: Dasein) überhaupt aus, aus dem das Dasein des Menschen seine Erhellung finden muss.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Philosophie bedeutet, das Grundgefüge aufzufinden, wo der funktionale Sinn im Ganzen ist, die Wurzel(n) des Seins und Werdens, der Personen, Dinge und Sachen (als uneinholbare Zielpunkte aller meiner Intentionen).
Mensch und Ethik
Dass der Mensch, das unvergleichliche und nicht festgestellte Wesen ("alle sind verschieden, aber doch gleich") nicht in seinem So-sein zu fassen ist, seine Wesensbestimmung nicht durch Angabe eines sachhaltigen Was vollzogen werden kann, ist klar geworden. Es lässt sich nur bemerken, dass dem Menschen eine ständige Bewegung (Prozess), ein Streben über sich hinaus - in Freiheit, aber nicht Entfremdung - zu eigen ist: in ungewordene Möglichkeiten ("Noch-nicht" und Zukunft) sowie zum Wissen- und Könnenwollen, zu Sinn und zur Transzendenz, was sich in Hoffnung (teleologisch; als Tendenz zum Ziel), Wünschen, Illusionen und Utopien niederschlägt.
Die erste positive Beziehung ist dabei das Zu-sich-selbst-kommen(-müssen), das mit Bewusstsein auf einem langen Weg vollzogene Reifen und durch sich selbst sich selbst Werden von Mensch und Welt:
Das geschieht in einer vorgängigen doppelten (und funktionellen) Spaltung (Entsetzung, Selbstüberschreitung des Denkens und Erlebens) der Einheit, um dann bewusst, ausdrücklich und selbstgenügsam sich (selbst), in Zweiheit, zu sein - ähnlich dem Zurückverwandeln der Synthese in Identität (mit sich selbst). Es ist ein handelndes Finden der Wahrheit, ein sich selbst Einverleiben und Wiederfinden im Erkennen der Ganzheit, ein sich selbst - als erlebende Mitte - auf die Sprünge kommen.
Die ethische Aufgabe besteht hierin: Die (Rück-)Beziehung des Menschen zu sich selber (des Ich zu sich; es) zu regulieren und zu sehen, dass die Gegensätze sich nicht in leere Einheit verflüchtigen. Der Inhalt aller Ethik - wo die Urproblematik: Willensfreiheit versus Prädestination ersteht -, allen Sollens ist: Gestalt sein, ein voller, vielfältiger, kernhafter und wertgerechter Mensch, "Charakter" im Sinne von "durchgebauter Form" sein und Wesensgestalt in der Gemeinschaft werden (Individuation): "Mensch werde und handle gut!"
Deshalb wird die Forderung heute immer lauter, dass Philosophie in erster Linie Anthropologie sein muss - gegenüber der "Grundlagenforschung" -, welche vor allem die Möglichkeiten des Menschseins im Trubel einer technisierten Welt herausarbeitet und als vorzüglichste Disziplin die Ethik beinhaltet, die nicht ein Prinzip, sondern die konkrete Situation, in der sich der Mensch in seiner jeweiligen Gegenwart findet, zum Ausgangspunkt hat.
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