Über den Ausnahmezustand des Bewusstseins
Zu einem Vortrag von Hans Büchenbacher an der Universität Basel
Die philosophisch-anthropologische Arbeitsgemeinschaft lud zu einem kurzen Vortrag ins Kollegienhaus der Universität. Dr. Hans Büchenbacher sprach über "Existenzphilosophie und Anthroposophie".
Mit Hilfe von Hermann Glockners Philosophiegeschichte zeigte er, wie Karl Jaspers die Transzendenz (das Jenseits) als Metaphysik "beschwört" und die Existenz als ständig zu vollziehende Aufgabe sieht. Der Mensch muss das Wagnis des Scheiterns eingehen, um darin das Sein zu erfahren. Im Untergang wird alles transparent. Jaspers kann als Kantianer bezeichnet werden. Doch heute hilft uns der notwendige Glaube an die drei Kantschen Ideale Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nicht weiter. Das ist für den modernen Menschen keine befriedigende Weltanschauung.
Auch Heidegger überzeugt nicht, verfiel er doch 1933 selbst dem "man", dem Mitläufertum .Die Bezeichnung Unverborgenheit für "aletheia"(Wahrheit), in welcher die "Lichtung" des sichverbergenden Bergens gewährt wird, die Sein (Anwesenheit) und Denken (Vernehmen) erst für- und zueinanderstellt, ist unrichtig, bedeutet doch "a-letheia" die Aufhebung des "Vergessens".
Mit Rudolf Steiner in das Göttliche eindringen
Nach Kant kann der Mensch infolge der Beschränktheit seines Erkennens nicht in das Göttlich-Geistige eindringen. Dr. Hans Büchenbacher bezieht deshalb wie Rudolf Steiner gegen Kant Stellung. Unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis von Steiner, besonders seiner okkulten Schriften, ist die Kenntnis und Durchführung seiner "Philosophie der Freiheit" (1894). Man muss einen "Ausnahmezustand des Bewusstseins" herstellen. Nach der Konzentration auf ein beliebiges Thema muss man von ihm absehen und rein den Denkprozess, die Begriffsabfolge wiederholen. Dann werden die Begriffe zu geistigen Realitäten, zu Kraftwesenheiten. Das ist die erste göttliche Seinserfahrung, die man erreichen muss, damit man die eigenen hellseherischen und übersinnlichen Erfahrungen verstehen kann. Verbunden mit moralischer Phantasie erlebt man dann das Göttliche. Das ist "ein Leben in Gott".
Anfangs dieses Jahrhunderts ermöglichten die Theosophischen Gesellschaften Steiner, Vorträge zu halten. 1911 aber trennten sich die Wege, und nur deutsche und schwedische Gruppen blieben bei Steiner.
Abschliessend wurde das fast eherne Gesetz der Weltgeschichte erwähnt, nach welchem die grossen Kulturperioden genau 2160 Jahre dauern.
Steiner nimmt in der heutigen Epoche einen bedeutenden Platz ein und strebt die Verwirklichung des christlichen Impulses an, die darin besteht, den Verlockungen Luzifers und Ahrimans zu widerstehen. Darum muss Steiners Werk und Wirken mit heiliger Nüchternheit betrachtet und nachgelebt werden.
[Von Hans Büchenbacher erschien 1962 eine kleine Broschüre im anthroposophischen Verlag, Dornach: „Die ‚Philosophie der Freiheit’ und die Gegenwart“.]
Erschienen in den Basler Nachrichten, 30. Oktober 1969
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