Praktische Philosophie
Fragmentarische Notizen einer Vorlesung von Erich Brock an der Universität Zürich, Wintersemester 1964/65
Praktische Philosophie ist auf das Handeln bezogen, theoretische nur auf das Beschauen. Ethik beruht auf der Gesolltheit der schönen Form, fordert Handlung. Das einheitliche Wesen ist um zwei Pole geordnet (Handeln und Beschauen).
Philosophie verlangt den ganzen Menschen, ist nicht nur ein Brüten über Büchern; sie ist nicht eine rein theoretische Philosophie (wie bei den Griechen, welche ein Sich-treiben-lassen ist wie in den Spezialwissenschaften), sondern ein innerer und äusserer Lebenseinsatz, -vollzug.
Das innerste Wesen der Philosophie fällt mit dem innersten Wesen der Vernunft zusammen, also mit dem Theoretischsten, das es gibt.
Die Einheit fühlen wir im Zusammenhalt der Wirklichkeit; aber wir erkennen sie nicht, verstehen sie nicht, wissen nicht weshalb.
Rein theoretische Philosophie ist nicht möglich: Die Einheit, das Zusammenschmelzen ist nicht erkennbar; was da ist, ist der Gegensatz der Einheit, die Vielheit, Mannigfaltigkeit.
Wenn Philosophie zur Einheit kommen will, ist aller Einsatz von Kräften nötig; das Denken ist nur der zweitletzte Schritt, es gelangt nicht zur Beherrschung (der Einheit). Die letzte Lücke muss übersprungen werden mit dem Wagnis des Einsatzes der eigenen Person, welche die Einheit will, Das Risiko oder Wagnis besteht darin, die Einheit zu glauben, wo sie nicht ganz aufweisbar. Das Handeln muss eintreten.
Erstens: Innerster Widerspruch in Schärfe muss sein, sonst resultiert eine schädigende Billigkeit der Einheit (ein billiges Erringen schafft eine flache und fade Einheit).
Zweitens: Die Einheit ist aber auch kein Willensakt, sie ist nicht aus dem Himmel herabgerissen, hergeholt, sondern sie besteht im Sammeln von Fakten, Erfahrungstatsachen für den Flug über die Leere.
Auch praktische Philosophie ist, wenn das Denken über dem Handeln steht; einen Fortschritt des Handelns gibt es nur, wenn es vom Denken begleitet ist.
Kasuistik ist die Lehre von der Fülle der Einzelfälle, Jeder Einzelfall hat aber seine Uneinordbarkeit.
Es ist eine Einheit von Theorie und Praxis, von Handeln und Denken; je nachdem steht mehr denkendes Handeln oder handelndes Denken im Vordergrund, Die theoretische Philosophie hat den Hauptunterschied von Einheit und Gegensatz zu erfinden, als Ideengehäuse, wo das Ich zu sich selbst gelangen kann. Für den letzten Schritt ist aber eben die praktische Philosophie nötig.
Wenige Menschen sind gut oder böse, viele aber wesenlos, d. h. von Gegensätzen nicht erfasst, Wenn es Unsterblichkeit gibt (was wahrscheinlich ist), was tut dann Gott mit den Wesenlosen, da er ihnen nicht Bedeutung, Substanz geben kann?
Das Böse ist wesenhaft, substantiell, massiv (siehe in der Natur, Geschichte usw.).
Die Ethik steht und fällt damit, dass der Gegensatz sich nicht in Einheit verflüchtigt. Spaltung ist der Zustand der vorher ist, Zweiheit, der Zustand, welcher erreicht werden soll. Das Ich erträgt es nicht lange, in der Welt des Gegensatzes zu leben. (Nur Kant und Fichte konnten den abgrundtiefen, dämonischen Bruch zwischen den ethischen Geboten "du sollt" und " du darfst nicht" aushalten.)
Die Theologie hat zwei Jahrtausende lang den Unfug begangen, den Menschen in diesen Zwiespalt hineinzukneten (gottgewollt oder nicht). a) Einerseits durch ein Einheitsgefühl, welches im Kampf vom Selbstgefühl errungen (das sind die "Moralisten", die Handwerker des Lebens, die Einzelhandelnden), b) andererseits durch einen religiösen Typus, welcher unter der Spaltung der Welt leidet (aber die Scheidung von Gut und Böse entkräftet das Leben; - bei Nietzsche ist immer nur geköpfte Religion anwesend).
Mystik: Allumfassendes Übergreifen der Gegensätzlichkeit durch Gott zum System gemacht (das hat von Vernunft geköpfte Ethik als Grundlage) in einem Antinomismus über dem Gegensatz zwischen Gut und Böse.
Der Gegensatz, die Trennung zwischen Ethos und Religion ist unüberspringbar. Man muss die Grundzerrissenheit des Moralismus überwinden, der aufklärerisch meint, mit der Zeit werde es (schon besser) kommen und den Drang hat, es besser zu machen. Aber Zeit ist nur die Hälfte des Seins; es gibt auch die Gegenwart, die verlangt, dass alles, was sein soll, jetzt schon ist. Wo der Mensch nicht mehr warten kann, ergibt das die Religion: Gott muss also sein, und jetzt da-sein. Antinomie der Religion: Was der Mensch muss, kann er nicht erzwingen; Nicht-warten-können sei Unglaube (Irreligiosität). Der Mensch muss aber warten, auf Grund dessen, dass er nicht warten kann; also muss er an Gott glauben. Der Mensch kann in der Religion an Fortschritt glauben und damit die Spaltung der Ethik aufheben.
c) Drittens ist die Ansicht: Es gibt nur das (Eine, das gegensatzlose) Sein; es ist das Gute, Göttliche (Parmenides); nur dieses Sein ist zu denken erlaubt, Vielheit und Mannigfaltigkeit zu denken ist verboten, sonst gibt es die Täuschung des Widerspruchs. Aber: dieses Verbot ist ja schon ein Gegensatz.
b und c ist wohl die Urform des Menschen; muss eins sein, da das Ich schon eins ist. Wo das Einheitsstreben, ist der Mensch zu sich gekommen - er kann sich aber auch verfehlen, (Das Ich überwindet den Abstand zu sich selbst, indem es auf sich reflektiert.)
Die Moralisten können und wollen vermutlich gar nicht zu sich kommen; sie sind aber auch fruchtbar und vor allem achtbar.
Rein theoretische Einheit ist für den Menschen nie erreichbar, auch weltanschaulich nicht, weil die Welt nicht stimmt, rational, nicht von Grund auf vernünftig ist.
Der Mensch, welcher schwerste Schläge zu tragen weiss (ohne metaphysische Vorstellungen) ist ähnlich dem stoischen Weisen (obgleich dieser einen metaphysischen Hintergrund hat). Er treibt die Dinge nicht zum Absoluten, sondern überlässt die Gegenstände der harmlosen Widerspruchsfülle. Er ist ein beinahe geniesserischer Typ, ein Gelehrtentyp wie Kant.
Der Ethiker ist an die Grenzen gedrängt, bei ihm ist nicht das ganze Ich im Spiel. ι Mensch sein heisst: nicht nur Kämpfer sein, sondern auch Friedensbedürftiger, der einmal ausruhen möchte (Leben heisst aber schon ausruhen). Nietzsche war dagegen, deshalb wurde er durch Hinaufgerissensein (zum Besseren) und Hektik, Ruhelosigkeit (ohne Ausruhen im Sein) zerstört. Die Welt ist für diese Menschen nur Material (für Tathandlung) oder Absurdes; sie gelangen zu nichts anderem (Camus; Fichte: Machwille, die Welt zu gestalten).
Philosophie: eher deutsch: ausgleichswillige Dialektik zwischen Verstandeswirklichkeit und Welt, oder französisch: kalte Verstandesschärfe mit Sinnlichkeit verbunden gibt keine Philosophie. Camus ist nur Dichter, kein Philosoph; denn er ist in sich selbst hinein zurücklaufend; ein Philosoph könnte da nicht stehen bleiben; reines Handeln hat Fluchtcharakter.
Unausweichliche Frage auch für den religiösen Menschen, der sein Ich zum Handwerkszeug seines Handelns macht (und damit das Seelen-Heil in den Mittelpunkt stellt): Wer ist der, der das Ich treffen, in Stücke reissen will? Es ist das Ich selber. Nur das Kernhafteste des Ich kann das Ich fördern; das tötende Ich lässt das getötete an Kraft gewinnen; durch Verneinung (Negatives) ist zu höherer Einheit (zum Ich) zu gelangen, Das Ich ist der Mittelpunkt, die Quelle der Kraft, das zu unternehmen (das fehlt im rein ethischen Denken). Das Sein (Seinshaftes, Unveränderliches, Insichruhendes, verkörpert in der Gottesidee), das die Religion meint, ist nicht zu erreichen.
Der Verstand kann nur Konvergenz postulieren, aber nicht beweisen.
Religion: Alles was der Mensch tut, muss ein Fundament haben im Sein, das da ist. Es gibt eine Alternative, zu sagen: Alles ist reiner Zufall, wurzellos; oder: alles Geschehen und Tun ist von Sein getragen.
Freiheit ist an sich ein negativer Begriff, inhaltslos; er muss von Inhalt getragen werden (aber nicht vom Parmenideischen Sein; das bedeutete Einengung). Die Idee des Seins in Absolutheit ist unmöglich. Vom Menschen aus müssen Beziehungen geschaffen werden zum Gegenstand, ein Medium, in dem der Gegenstands sich darstellen kann. Also nicht credo quia absurdum; das bedeutete bestandloses Handeln. Das Sein muss in Zusammenhang zum Handelnden sein, ihm entgegenkommen. In der modernen Theologie ist von Gott nur die Rede im existenziellen Sinn; d. h. sie ist nur für den gläubigen Menschen von Sinn, aussagemachend.
Gott-Mensch ist ein unlösliches Problem. ( Eine Möglichkeit ist: Der Glaube schafft seine Götter, die sich aber vom Menschen lösen, auf ihn zurückwirken und dadurch den Glauben in ihm erzeugen.)
Das Verhältnis Ethik-Religion ist ein polares. Sie sind beide aufeinander angewiesen (im Sinne von Einheit und Gegensatz). Die Ethik kann den Gegensatz bestehen lassen; die Religion geht auf die letzte Ganzheit, Einheit. Es gibt Querverbindungen zwischen diesen äussersten Positionen, die allein nicht extrem bestehen können.
Die Ethik erzeugt ihre Situation aus sich selbst, erzeugt Gut und Böse, Das ist Autonomie oder Selbstgesetzlichkeit. Das (Kantsche) Beharren auf em Gegensatz ist aber fragwürdig. Der Mensch muss durch die Phase der quälenden Widersprüchlichkeit und innern Gegensätzlichkeit (Sünde, Anfechtung) hindurch.
Auch Religion ist eine Erscheinung menschlicher Autonomie; es ist eine Utopie, dass Gott alles vollendet schön eingesetzt habe, denn das Inkrafttreten (der Religion) und Daranglauben setzt ja einen Entschluss des Menschen voraus. Der Mensch muss Gott und seine Anwesenheit entwerfen, denn er braucht ihn. Allgemeine Vernunft und innere und äussere Erlebnisse sind es, die den Menschen dazu bringen, zu beschliessen, an Gott und seine Gegenwart zu glauben (auch beim Moralisten ist es so). Der Mensch kann nicht gegen die Wirklichkeit "anglauben" er braucht Bestätigungen.
Also: Der Mensch schafft Gott, entwirft ihn durch die Vernunft und einen durch Lebensnot gehärteten Willen: es müsse Gott und seine Gegenwart geben. Dazu gegenläufig: Der Mensch macht Gott, um von ihm gemacht zu werden, d. h. dass sich Gott auf eigene Füsse stellt. Also: Was in der Ethik angedeutet, ist in der Religion verwirklicht. Schluss: Beide Gebiete sind in ihrer Gegensätzlichkeit ineinander verzahnt und aufeinander angewiesen.
Es gibt kein Gebiet, auf dem der Mensch zu einem letzten Prinzip vordringen könnte, es sind immer zwei, polare (das eine davon ist durch den Verstand); das ist die letztliche Zweiheitlichkeit.
Die Religion braucht die Ethik, well sie den Gegenstand, den sie meint, nämlich Gott, auf theoretische Weise zu beweisen hat. Also bleibt ein ethischer Gesichtspunkt: Wenn es Pflicht gibt (und Gut und Böse), dann ist Fortleben die Vorbedingung der Pflicht und damit die erste. Fortleben des Menschen heisst, dableiben, zu einem Vollsinn zu treiben (das ist die Pflicht gegenüber sich selbst wie gegenüber Anderen; die Andern verlangen, dass man ein voller Mensch sei).
Die Ethik braucht aber auch die Religion, da in "letzten Situationen" der Weiterlebeswille nur mit dem Gottesglauben (und seiner Hilfe), mit der Idee des absolut umfassend Guten (d. h. Gut und Böse enthaltend) besteht. Dieser Gedanke ist der Ethik fern, der Mensch muss ihn aber haben.
Wenn die Ethik ja und nein sagt, Forderungen und Verbote aufstellt und sie bejaht, dann hat sie das, kommt dies aus der Autorität, nämlich weil es mehr oder weniger immer so gegolten hat, andere Menschen es auch so halten und einzelne Menschen oder Institute diese Ver- und Gebote ausgeben. Der Versuch, die Autorität mit Vernunft zu erklären ist ungenügend, da die Menge der Menschen sich durch Symbole leitet; auch die reinste Vernunft kann der Symbolik nicht entraten.
Wesen der Autorität, Verhältnis des Menschen zur Autorität
Das Alter einer Idee ist wesentlich; sie muss ehrwürdig, altbewährt und von einer grossen Persönlichkeit ausgegeben worden sein, Mit wachsender Anhängerschaft wächst die Glaubwürdigkeit des Vertretenen, Viele Zusammenstehende schaffen grosse Überzeugungskraft und Wärme, die der Mensch braucht. Ein nicht immer unangenehmer Zwangscharakter und Vortrefflichkeit, Überzeugungskraft und Vernunft (d, h. relative Vernünftigkeit, deren man sich naiv bedient) ergeben die Festigkeit der Autorität.
Kern der Autorität ist ein Verdrängungsakt, d. h. man hat den Moment nie erlebt, da man der Autorität zugefallen ist. Alle Autorität ist letztlich von des Menschen Gnaden; wenn er glaubt, heisst das Einleuchtung, Prüfung und Zustimmung. Also: Alle Autorität stammt aus der Autonomie.
Die Unterscheidung Gut-Böse ist primitiver und einfacher als wesenhaft-wesenlos (Paulus: gegen die „Lauen“); allerdings ist dies ein hoffnungsloserer Unterschied, Die Hinwendung zum Göttlichen verleiht Wesen; das Gegenteil ist: ohne Wesen, ohne Entschiedenheit, ohne Substanz.
Inhalt der Ethik: Gegensatz Gut-Böse und die Forderung "Mensch werde, handle gut."
Zwei Fragen treten auf: Erstens: Weshalb wird etwas gesollt (in der Natur ist das doch nicht vorhanden)? Und zweitens: Was wird gesollt, und auf Grund welcher Legitimation wird diese Forderung an uns gestellt?
Antwort auf die erste Frage: Es ist eine Spannung in der Natur (nicht einfach ein Chaos) zwischen Inhalten und Form; das kann kein Zufall sein; es lässt sich (vernünftige) Regelmässigkeit erkennen, also ist ein mannigfaches Sollen vorhanden. Folgerung: ohne eine gewisse Regelmässigkeit und Vernünftigkeit ist keine Existenz möglich. Das sind nicht nur subjektive Einbildungen; man denke an die Schönheit anorganischer Grobstruktur, an die Bergwelt, Seen, Küste, usw.; sie ist allerdings nicht beweisbar, wer das Schöne aber kennt, weiss, dass es nicht entbehrt werden kann. Es ist so in der organischen Welt: Was der Mensch als schön empfindet, kann nicht nur im Menschen sein, dieser Reichtum, diese Buntheit und Vielfalt. Es gibt in der Natur objektiv Schönes, als reiner Selbstzweck (wie Portmann, gegenüber Lorenz).
In der Natur gibt es ein einziges Prinzip: der Drang zum Komplizierteren, die Entwicklung bringt immer mehr Komplikationen (welche eine Zweckmässigkeit hindern). Also: es soll: vielfältig ausgebildet werden.
Wo Sollen, ist aber auch Müssen und Sich-entziehen. Aber die Form verengert. In diese Gegenläufigkeit ist auch der Mensch einbezogen. Von unten an ist der Kampf (die Dialektik) zwischen Negativem (Wertwidrigem) und Wertvollem.
Die Wesensgestalt ist der unterste Grund, dass es Welt gibt; sie soll sein; sie ist also das letzte Prinzip. Der Inhalt des Sollens, aller Ethik ist also: Gestalt sein; weil eben in jedem Organismus ein Prinzip ist, dessen, was sein soll - ein Streben zur Idealform.
In der Biologie: Alle Formbildung (Regeneration, usw.) ist unvorstellbar ohne Ideal, Wesensbild, es wird verfolgt mit Macht, in Tier und Pflanze. Es ist einfach ein Sollen da, auch wenn es unergründbar, es hat einfach zu Worte zu kommen.
Es gibt eine Erklärung von oben nach unten, nicht von unten nach oben (wie Descartes).
Beim Menschen tritt das Sollen zuerst als soziale Erscheinung auf (wie beim Tier: Staaten der Ameisen, Bienen, Termiten). Es ist eine dumpfe Entscheidungsfreiheit (Auflehnung) bei dem, der soll, notwendig. Das Sollen ist eine Naturerscheinung des Moralischen. Es gibt einen Schritt vom Unbewussten zum Bewussteren: das Sollen, wo das Tier in Gemeinschaft lebt. Das solitäre Tierleben ist ärmer, spannungsloser,
In den Tierstaaten ist das Individuum doch nicht ganz ausgelöscht, eine gewisse Willkür und Spiele sind vorhanden, zudem fehlt die individuelle Verständigung nicht. Es ist hinter diesen Individuen eine nicht-sinnliche Wesenheit für Gemeinschaftlichkeit, die Anordnungen, Ordnung gibt. Mit Beschreiben (dieser Staaten) ist es nicht getan, man muss es verstehen, unter Einfühlung, also mit Intuition und Verstandeskritik.
Darwins Mechanismus und Materialismus ist heute immer noch nachschwingend, so bei Lorenz: der Hass, Schädigung und Bosheit diene zum Guten, zur gesellschaftlichen Zusammenarbeit. (Das sind vorgefasste Meinungen mit einem gewissen Optimismus und intellektueller Primitivheit.)
Der Hauptunterschied vom Tier zum Menschen besteht auf dem Gebiet des Intellekts; Gefühl und Gemeinschaftsgefühle sind schon beim Tier sehr differenziert vorhanden (z. B. Eifersucht). Hass und Bosheit bei höheren Tieren sind zwar konstruktiv, aber nicht nur im Dienst für moralische Zwecke.
Die Dinge treten aus ihrer eigentlichen Spannung heraus, sobald man nicht sieht, dass Hass nicht unmittelbar zum Guten führt, sondern, wie die Liebe, ein Urbedürfnis ist; dahinter kann man nicht gehen. Der Hass quält und schwächt, wenn er Ersatz ist für eine feindselige Kampfhandlung; er ist nur unerfreulich für Schwache und Gehemmte, für Starke bedeutet er Absetzung von Anderen, Überlegenheit.
Die Vorform der Moral: Hass und Liebe bei den Tieren; sie sind der stärkste Kitt bei Herdentieren; es entstehen daraus moralische Kräfte, die dem Einzelnen verfügbar werden, das gibt eine moralische Sicherheit, in einer Masse zu sein (vom Ganzen getragen zu werden, dazuzugehören), wo alle es einander gleich machen - ein (physisch) isoliertes Tier stirbt. Eine Zuweisung von gewissen Aufgaben kann eine Auflehnung erzeugen, welche damit das Bewusstsein herausbildet, dass etwas gesollt ist (auf höherer Ebene), das auch abgelehnt werden könnte.
Bei den Menschen gibt es gleich wie bei den Tieren eine Hierarchie, und zwar nach allgemeiner Würdigkeit und Macht, nicht nach physischem Kampfe, sondern ein Einzelner (Einzelnes) erhebt einen moralischen Anspruch. Beim Menschen kommt aber dazu: die Möglichkeit, den Vorgesetzten zu ratifizieren, ihn zu erklären.
Eine geordnete Abhängigkeit gibt viel mehr Glück her für den Menschen als Alleinsein, welches anstrengend ist, da Verantwortung darauf lastet. (Alleingänger veröden meist moralisch und werden sehr aggressiv.)
Auflehnung ist ein Zeichen für die moralische Autonomie; sie kann herrühren von Bequemlichkeit oder durch den Reiz des Verbotes.
Abspaltung bringt den Besitz von einem positiven Prinzip. Hier ist die Grenzlinie zwischen Tier und Mensch: die Selbsterfassung des Individuums, das Selbstwerden oder Subjektsein, welches den Anbruch eines höheren Bewusstseins darstellt.
Autonomie heisst, der Mensch gibt sich selbst Gesetze; dieses Prinzip ist positiv und von allerhöchstem Werte; Andere bauen darauf auf. Das Bewusstsein kann nicht ausgelöscht werden; sich selbst auslöschen kann es auch nicht. Heteronomie bedeutet Versteifung, Ressentiment (seit Nietzsche), eine dumpfe und unsichere Gereiztheit gegen sich selbst und die Dinge.
Autonomie ist aber nicht das Einzige, Menschenwürdige; doch an ihr hangen Geist, Vernunft, Selbstsein, Identität unserer Persönlichkeit. Charakter wächst auf dem Boden der Autonomie, Charakter heisst Verlässlichkeit, das meint Gesetzlichkeit, welche immer auf Identität beruht. Alles was Form und Gestalt ist, trägt Autonomie in sich.
Der Mensch, der sich selbst die Gesetze seines Handelns gibt, hat einen schwierigen Weg vor sich. (Das ist also nichts für die Mehrheit der Menschen.)
Autonomie kann aber auch titanische Anmassung sein, Nur ein Nicht-anders-können, eine Nötigung, ein Hingedrängt-sein erlaubt Autonomie.
Pietät ist die bewahrende und scheue Gesinnung vor der sittlichen Macht dessen, was von altersher besteht; sie gibt den Sinn für die Dinge, die auf inneren Werten stehen, für Symbole eines Wertes, einer Idee, welche mit der geschichtlichen Verwirklichung verwachsen.
Nur das Sich-selbst-gewinnen gibt keine Ruhe, Geborgenheit, Erfüllung, welche erst nach der Zeit der Energie und des Glaubens kommen. Wen nicht, soll der Mensch in Heteronomie bleiben.
Der Mensch muss sich aber auch heteronom verhalten, in der Heteronomie bleiben, In hunderten von Fällen ist es fruchtbarer, es wie alle zu machen; denn in dem wie "man es macht" ist nicht nur eine sinnleere Mode, menschliche Schwäche, sondern zum Teil auch die gesammelte Weisheit von vielen vergangenen Geschlechtern.
Ein leicht kindliches Auftrotzen gegen die ruhige Beharrungsmacht des Seins selbst ist möglich.
Auch für den unerschrockensten Anhänger der Autonomie müssen weite Bezirke der Heteronomie offen bleiben; niemand kann ganz „Selbstversorger" sein; man muss vieles ungeprüft übernehmen; Vernunftprüfungen behält man sich vor, aber vieles muss man unzerkaut schlucken.
Die Prüfung kann an der Vernunft geschehen, das heisst: formale Stimmigkeit, selbstbejahendes Ich, Gesetzlichkeit, Gestalthaftigkeit, usw. Was aber ergibt die Prüfung: Widerspruchsfreiheit, welche aber leer, negativ ist. Also muss man ein Prinzip als Massstab suchen; die Vernunft hat keine Inhalte, die Gesetzlichkeit hat ihre Fälle nicht bei sich. Der Mensch muss die Forderung der Einheit an sich stellen, sie ist aber immer zerteilt in Selbst- und Fremdgesetzlichkeit. Das Problem ist: die Unabhängigkeit, die nicht auf sich selber bestehen kann.
In das innerste Forum der Autonomie tritt etwas ein, was nicht autonom ist, von der Natur des Menschen herkommt, welche nicht das Ich selbst ist, sondern vielerlei Inhalte und Strukturen hat. Die Heteronomie macht auch beim unabhängigsten Geist ihr Recht geltend; dagegen anrennen bedeutet oft einen (unnötigen) Kräfteverschleiss. Querulantentum ist unnötig; angesammelte Erkenntnisse und Weisheit aus Generationen sind dem Einzel"wissen“ überlegen,
Georg Simmel sagt richtig: Die Jugend hat unrecht, aber sie hat recht, dass sie diese (weltumstürzlerischen) Dinge fordert. Genauer: Die meisten jungen Menschen haben Urecht in dem, was sie behaupten, aber sie haben recht, dass sie es behaupten.
Zertrümmern wäre Stillstand des Geistes, Der Vorwurf der Bequemlichkeit wird immer dasein, berechtigt oder unberechtigt,
Autonomie bedeutet nicht Selbstwichtignahme, Hochstellung des Ich, Wichtigtuerei, sondern: der Mensch kommt sich selber auf die Sprünge, Sie ist aber ein gefährliches Mittel zum Selbstmissbrauch; sie duldet keine Eskapaden, da sie nach Mass angefertigt ist.
Der Geist kann nicht darauf verzichten zu herrschen, sich Gesetze zu geben (Kant: das Gesetz ist sich selbst Inhalt); es ist das Wesen des Geistes, unablässig die Forderung seiner Unabhängigkeit, Freiheit zu erheben und aufrecht zu erhalten.
Der Spruch: „Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach“, ist nicht richtig, da das hiesse, dass das Fleisch freiwillig mitzugehen bereit wäre, was es nicht ist. Denn das Fleisch, das Leben hat auch Gesetze, hat Ansätze zu geistiger Formung, es ist nicht anarchistisch, sondern hat beispielsweise Triebe, Gefühle mit einem Sinn.
Der Wert des Lebendigen: Fülle, Schönheit und Individualität zeigen; dass Prinzipien nicht nackt heraustreten, sondern dass ein Schwebezustand zwischen Prinzipien und Faktizität herrscht, In diesem Schwebezustand zu leben ist der Anspruch des Lebens. Der Geist ist darauf (auf das Leben?) angewiesen, darin zeigt sich auch sein Wesen, Der Mensch braucht Autonomie und Heteronomie. Wenn er in der Mitte verharren könnte, wäre das schön; es ist aber meist nicht möglich.
Volles und Schwebekräftiges beruht hauptsächlich auf dem Prinzip der Heteronomie; es kann nicht durch den Geist vorgeschrieben werden. Der Geist muss es annehmen, indem er sich den Wesenszügen des Lebendigen unterwirft (das ist Heteronomie). Es ist also ein Widerstreit auch schon in der Ethik selber: Der Mensch kann nicht reiner Geist werden, ist nicht reiner Geist, sondern es besteht eine Zusammengewachsenheit mit dem lebendigen, lebensmässigen Teil (ähnlich: Kentaur). Askese will diese Kluft überspringen, aber Heteronomie ist nicht unmenschlich, sondern es kann damit eine gewisse Harmonie gefunden werden oder wenigstens eine Einsicht in die Struktur. 2000 Jahre Christentum haben das Leben unter einen Ausnahmeaspekt gestellt, Leiden und Armut verherrlicht; dabei bringt Askese erstens Prinzipienlosigkeit und einen irrationalen Hass gegen Triebe und ähnliches mit sich und führt zweitens zum Bankrott in einer Überschnappung oder Verdünnung des Menschen in einige seichte Inhalte; das konnte nicht massgebend für das Menschentum sein.
Das Verhältnis von Geist (nus; intellectus) und Seele (psyche) im Menschen
Die Seele ist eine Fremdgesetzlichkeit, die der Geist nicht abwenden kann, ohne dass er sein eigenes Wesen verliert.
Die Daseinstragik ist, dass die Überwindung des Gegensatzes nicht möglich gemacht ist, d. h. Heteronomie und Autonomie müssen miteinander bewältigt werden, eine Zusammenarbeit von beiden ist nötig. Es ist einfach so, dass der Mensch in zwei Teile zerfällt, in einen oberen: den Geist oder Willen (das Bewusstsein, welches dünn, hell, beweglich und aktiv ist), und in einen unteren: das Gefühl oder die Triebe (das Unbewusste, welches dumpf und mächtig und zäh verharrend ist); ersterer ständig aus sich selber quellend und handelnd (nus poietikos), letzterer auf dem Sein beharrend und über es aussagend (nus pathetikos). Das Gefühl erhebt den Anspruch, über irgendetwas objektiv Vorhandenes eine Aussage zu machen,
Wenn ein Konflikt ausbricht innerhalb des Ich, taucht die Frage auf: Was sind wir selber?
Vernunft und guter Wille genügen nicht zum glücklich sein (wie die Stoiker feststellen), aber sie geben vielleicht Ruhe. Die Pythagoräer fanden richtig, dass eine Wohlgesinntheit des Schicksals noch dazu gehört (was nicht von uns abhängt), also eine fremde Gesetzlichkeit, die Heteronomie bedeutet, nämlich das Gefühl, die Seele. Freiheit und Glück sind nur, wenn das Gefühl dabei ist; dann erst ist der Mensch bei sich selbst. Die Lehren, welche den Menschen auf Selbstidentität zurückführen wollen, rein im Geist, wollen das Gefühl bagatellisieren. Der Mensch muss aber in sich hineinhorchen. Die Seele ist höchst real, hat ihre (eigenen) Gesetze und eine Gesamtverfassung (welche durch Gemeingefühle ausgedrückt wird, wie es die Psychologie feststellt; z. B. sind Stimmungen Selbstaussagungen von inneren Wirklichkeiten, keine Assoziationen oder dergleichen); wenn die Seele sich so und so fühlt, dann ist sie es.
Pubertät bedeutet, dass die Gefühle zu ernst genommen werden, der nötige Abstand fehlt.
Selbstmord ist nicht hervorgerufen durch Geistesgestörtheit, sondern die Seele ist zerstört; der Mensch zieht die Folgerung daraus, dass dies ein unhaltbarer Zustand ist und versucht sich deshalb zu töten. Aber: "Glaubt eurer Seele nicht alles!", möchte man diesen Menschen zurufen. Selbstmord ist schrecklicher als Mord, denn er geschieht nie aus reiner Frivolität (denn der Lebenstrieb ist ungeheuer stark).
Es ist ungeheuer schwer, den richtigen Mittelweg zu finden, der Seele genug zu glauben, aber nicht zuviel; der Geist soll die Seele nicht zu tragisch nehmen ("alles ist halb so schlimm“).
Der Kern jeder Religion, jedes Glaubens ist: in Widerstreite hineinzugeraten. Das Leben (die Seele) muss denken: meine Wirklichkeit ist meine Wirklichkeit, mein Glück ist mein Glück (oder Unglück). Der Geist muss denken: ich habe gemacht, ich kann an der Objektivität rütteln, ich kann die Welt (und meine eigene Seele) neu gebären. Es gibt einen Durst nach Freiheit, aber eine grosse Entleerung, welche in dieser liegt; dazwischen einen Weg zu finden, das ist die Aufgabe; die Richtung (dafür) kann gegeben werden.
Was nicht unserer Freiheit (= Willensfreiheit?) und Autonomie untersteht, ist nicht nur die äussere Welt und die Erfüllung unserer Wünsche und Triebe, sondern sie sind es selbst, sie sind unserer Verfügung entzogen; d. h. die (unsere) eigene Natur ist nichts Verlässliches, sie ist nicht unbedingt zur Verfügung stehend. Unsere Inhalte (= die Seele) sind etwas ziemlich stark durchgebaut Bedeutendes; die Seele ist gesetzlich, ein Organismus mit konkretes Funktionen, hat also eine befestigte Existenz; sie ist ebensosehr wir selbst wie nicht wir selbst; wir erfahren sie, aber wir können (ihr) nicht diktieren, wir können uns also nicht auf uns verlassen, nichts (tun) was wir wollen.
Wir müssen uns (also) erfahren und uns danach einrichten (was also nicht Freiheit bedeutet).
Die Ehe, beispielsweise, ist ein aktuelles Zeitigen eines bestimmten Gefühles, über unbestimmte Zeit (hinweg), in winzigkleinen Situationen; aber der Mensch kann für seine Gefühle nicht Gewähr leisten.
Der Mensch hat immer eine gewisse Fremdheit, ja sogar Befremdung der Seele gegenüber, auch wo er sich eingerichtet hat, ist er nicht frei, sondern er ist an die Kenntnis davon gebunden; es ist eine Bindung an eine äussere Macht da, welche den Menschen in die Heteronomie hineinzieht.
Der Mensch soll Charakter werden, eine durchgebaute Form, eine wirkliche Struktur, ein Organismus der Seele. Wenn man das vom Ich abzieht, bleibt der intellectus activus, punktual und aktiv, aber ohne Stoff (was bedeutet, dass er etwas Anderes zur Verfügung haben muss). Also: Freiheit gewinnt nur an ihrem Gegenteil Sinn, sonst hat sie (aber) keine Macht.
Lebenskunst: das sind viele kleine Künste; Lebenskunst heisst: kutschieren lernen.
Die Welt ist nicht sinnlos, sie ist nicht umsonst gemacht worden ...
Wir Abendländer müssen uns unserer Welt und Seelenkonstruktion fügen, aber doch nach drüben (ins Morgenland) blicken.
Polarität bedeutet auch Verzahnung; die beiden Pole schliessen einander aus und verlangen einander doch (z. B. Geist-Seele, Autonomie-Heteronomie, Freiheit-Gebundenheit).
Zwischen Glauben und Denken ist keine Ausschliesslichkeit, auch Glauben und Erkennen sind nicht logisch unauflöslich gegensätzlich, eher noch Glauben und Fühlen (ersterer bedeutet nicht Anerkennung der verschiedenen Realitäten als endgültig, sondern der Glaube an etwas Überaugenblickliches; letzteres hingegen stellt die Realitäten richtig dar, nicht illusionär). Dem Glauben ist ein Gefühlserlebnis vorgängig; dann ist der Glaube sogar ein tieferes Verständnis. Oder: Das (?) kann nicht das Letzte sein, es gibt noch etwas dahinter, Glaube ist eine noch höhere Erkenntnis.
Der Begriff Willensfreiheit ist nicht durch sich selbst definierbar, Freiheit kann uns nur negativ, als Abwesenheit von allem Bindenden, nahegebracht werden.
Gide, Sartre, Camus versuchen die Last des Kulturerbes durch aufrührerische Freiheit abzuwerfen. Der junge Camus schwelgt im Rausch des selbstgenügsamen Lebens, ist gegen jede Einengung; das ist aber philosophisch unzulässig, da er die „Verpflegung mitbringt“ (und diese Vorräte unter dem Tisch verzehrt, wenn gerade niemand zuschaut). Freiheit ist kein „acte gratuit“, nicht bestimmungslos und sich selbst gehörend.
Zu Kant: Eine objektive Abwägung der Motive und ihrer Kräfte ist nicht möglich, Es ist auch nicht beweisbar, dass jeder Willensakt kausal zwingend begründet ist, Das Zustimmen zu einer Lösung, das Zufallen, enthält auch ein Element der Freiheit. Auch im Denken sind sehr viele Freiheiten, z. B. Phantasie und freies Entwerfen und Verwerfen von Hypothesen. Auch die Mathematik braucht Phantasie, sie ist nicht nur ein mechanisches Denken.
Wenn keine Willensfreiheit ist, gibt es auch keine Möglichkeit, dem Menschen etwas zu ge- oder verbieten.
Ein Zustand ohne Freiheit ist absurd, genauso wie ohne Gebundenheit (denn ohne letztere gibt es keine Einheit, keinen „Sinn", keine "Vernunft", keine zielbewusste Entwicklung; ohne erstere keine Veränderung, eine Welt ohne Geschehen – was nicht den Tatsachen entspricht, da es gesetzmässige Veränderungen gibt).
Es gibt keine absolute Determination; es ist keine Ausschöpfung des Qualitativen möglich; alle Gesetzlichkeit bedeutet eine Verneinung der Unendlichkeit, richtet eine Endlichkeit auf, vollzieht eine Beherrschung des Geschehens; aber die Unendlichkeit gibt das Unerklärliche, Unbestimmte (auch in der neueren Physik).
In der Welt: Freiheit als solche wie Gebundenheit als absolute unmöglich. Sondern: Eine Gesetzlichkeit, die nicht absolut gilt!
Es ist ein Kompromiss notwendig, Freiheit und Gebundenheit in steiler Absolutsetzung kommen nicht weiter, Variationen und Verzahnungen sind notwendig.
Es ist falsch zu sagen: eine Bestimmung ist nur eine Bestimmung, wenn sie ganz ist(?).
Absolute Freiheit ist ein absurder Zustand, in dem das Leben aufhört; totale Autonomie lähmt, sie ist ein leerer Willenskampf, der den Menschen selber erwürgt. Dann wird dem Menschen bange vor seinem Menschsein, weil die gegenseitige Durchdrungenheit von beiden Reichen verloren ist.
Der Mensch bleibt immer angewiesen auf einzelne Erfüllungen. Ein Gefühl der Distanz muss sein, ein Über-den-Dingen-stehen, Bindungen sind nur das Vorletzte. Die absolute Freiheit ist eine Idee, die uns immer begleitet und uns offen steht als letzte Zuflucht; und weil wir das wissen, machen wir nie Gebrauch davon, der nämlich zeigen würde, dass es nur eine Idee ist. Freiheit als Idee kann nur Gegenstand eines Glaubens sein.
Wenn wir beglückt Freiheit fühlen und erleben, ist dies das Schönste, das uns zufallen kann. Aber es gibt da eine Unstimmigkeit, denn im Erleben der Freiheit ist sie schon erfüllt mit konkreten Erlebnisqualitäten, d. h. sie ist so unverlässlich, wie jedes Gefühlserlebnis, gehört also auch schon wieder zum Reiche der Heteronomie. Was unabhängig von uns ist, hat dämonische Macht. Es ist verloren, wenn wir von ihm abhängig sind. Die Wiedergewinnung zeigt es als Stärkeres, uns Versklavendes. Freiheit hat nur eine schmale Absolutheit, in einem Punkt nur, im Ich, das Selbstbesitz ist. Freiheit zeigt uns den Totenschädel von Nichtigkeit und Leere. Man muss die Fülle aus dem Punkt hervorzaubern, wo das Ethische ins Religiöse übergeht, wo etwas ist, das das Gegenteil aus sich hervorbringen kann (= das Ich). Der Gedanke von Gott ist nicht allein Freiheit und Unendlichkeit, sondern Fülle und Positives. Gott ist eine undenkbare Einheit, ist über beiden Dimensionen, die uns wechselweise fehlen. In der Mystik wird das bezeichnet durch coincidentia oppositorum; dies steht aber nicht in unserer Macht, aber es ist eine Idee, nach der gestrebt werden muss. Es gibt keine andere Lösung, wo die Problematik auf die äusserste Schärfe kommt.
Der Philosophie, welche mit letzten Belastungen operiert, steht Lebensweisheit und ihre praktische Anwendung gegenüber, die Lebenskunst; nämlich die Dinge auf unauffälligste und verdrängungsloseste Weise festzuhalten, also: eine freundliche und bescheidene gegenseitige Durchdringung der Gegensätze.
Es gibt eine Grunddialektik der Polarität und der polaren Struktur dessen, was nicht polar sein dürfte.
Eine Anerkennung von Rechten der Umwelt an einen, wenn man nicht nur den Rahm der Welt abschöpft (will), ist nicht oft zu finden, nicht vernünftig (?).
Die Dinge erschliessen sich nur, wenn man sie ernsthaft besitzen will; das ist aber nur möglich, wenn (von ihnen) Gegenrecht gehalten wird - alles andere ist nur ein Zaungasttum auf der Welt. Also ein neuer Anschlag der Heteronomie auf uns: wir brauchen die Anderen, diese uns; daraus erwächst eine Pflicht. (Binden und Gebundensein kann nicht völlig im Gegensatz stehen.) Was ist nun aber fundamentaler: Die Selbstbeziehung des Menschen oder dass der Mensch von vornherein andern verpflichtet ist und nachher in die Selbstbeziehung hineingestellt wird, indem die Andern als verpflichtenden Anspruch (an ihn) erheben, ein auf sich selbst bezogenes Subjekt zu sein (also nicht entkernt zu sein)?
Da kommt nun noch eine weitere Verwicklung: auch die Dinge können uns gegenüber zu Subjekten werden; wir haben bestimmte Funktionen an den Dingen zu vollziehen. Und dies ist nun eine immer tiefere Anforderung: Was in den Dingen liegt, drängt zu Bewusstheit aus der Dumpfheit, das müssen wir zu sich selbst bringen, also schätzen, lieben (z. B. die Schönheit der Welt müssen wir bedenken, „schmecken“). Das ist also eine (weitere) Pflicht, ausgehend von der Heteronomie.
Was also (aber) ist fundamentaler? Das ist die Urproblematik aller Ethik. Die Heteronomie ist also eine harte, fremde Notwendigkeit, der man sich beugen muss.
Der Mittelpunkt, die Heimstätte reiner Selbstbeziehung ist die Religion, d. h. der Mensch stellt sich selbst und das Heil seiner Seele in den Mittelpunkt; als absolutes Gebot gilt: sich in die Hand einer übersinnlichen Macht (= Gott) geben.
Gott ist kein Gegenstand, sondern Gegenstand reiner Expansivität; er ist nicht einengend, sondern das Absolute zu sich selbst kommen lassend.
Der Altruismus in der Religion bedeutet: Ausnützung der Mitmenschen, um zum eigenen Heil durchzustossen.
Wer lebt, schädigt.
Es ist eine Elementartatsache, dass es Heilige gibt (sie sind aber nicht allgemein verbindlich). Der Heilige ist nicht eigentlich moralisch, sondern es ist seine Natur, wozu er sich nicht zu zwingen braucht.
Der Mensch, der nichts vom moralischen Typus noch vom selbsthaften Typus hat, ist ein Unseliger. Suum quique; aber wer nur die Vernunftüberlegung hat und nicht die Natur (die beiden obigen Typen) ist unselig.
Zum normalen Menschen gehört auch die Uninteressiertheit (d. h. nicht immer an sich denken, sondern sich vergessen vor Grossem; dabei besteht aber die Gefahr, des Sich-zu-nahe-tretens).
Eire Verkrampftheit der Einstellung ist falsch (d. h. wenn beispielsweise der Altruismus zum System wird); sie muss die Schönheit des Natürlichen haben, Übertreibung und Einseitigkeit (der Ausrichtung) ist falsch.
Die Durchstierung zum Absoluten bringt notwendigerweise eine Verzerrung mit sich.
Bezugnahme der allgemeinen Sittlichkeit auf eigene Probleme und Interessen: nur ein schmaler Grat; Abweichungen sind folgenschwer.
Es führt zum Widersinn, wenn man sagt: Wenn die Natur zum Egoismus antreibt, dann muss das Sittliche dagegen anrennen, das Gegenteil fordern, die Natur überwinden (Comte). Denn die Natur ist nicht das zu Überwindende, sondern sie hat einen Anspruch bis hoch hinauf.
Der Grund für die heutige Mangel-Einstellung zum christlichen Glauben: Die Menschen wollen nicht mehr nur Almosen und Wohltätigkeit als Grundlage leisten, (Weil das Christentum fordert: Nächstenliebe und Wohltätigkeit und Unterdrückung der selbstbezogenen (egoistischen) Triebe des Ich; das ist aber nur die Hälfte der Sache, denn die Natur legt auch die Selbstsucht nahe). Die Absolutsetzung des Altruismus führt zum Widersinn; Auschwitz bedeutet eine kompensatorische Reaktion des Altruismus (auch die Natur ist zu Grausamkeit fähig, sogar mit Systematik).
Der richtige Weg ist: auf dem schmalen Pfad, Grat zwischen den beiden Übertreibungen gehen.
Es braucht nicht nur Emotionalität (= Ich-Elimination) sondern auch Ich-Bejahung; nämlich jeder Mensch versteht seine eigene Sache doch am besten; man kann ihn nicht "widerwillig glücklich machen". Denn jeder Mensch ist sich selbst; das bringt Lust wie Schweres (z. B. Verantwortung für sein Ich). In allem hat es der Mensch mit sich selbst zu tun; unmittelbar danach kommt die Fremdbeziehung. Der absolute Altruismus ist weder ethisch noch vernünftig zu begründen, sondern nur von der religiösen Einstellung her; möglicherweise bedeutet er: das Ich will sich loswerden, endgültig mit sich fertig werden, d. h. der Andere ist nicht das gezielte Subjekt (der Zweck), sondern das Mittel, um sich selber zu treffen, sich Schaden (Böses) zuzufügen, sich zu opfern.
Der Heilige gibt einen Hinweis darauf: Jeder Mensch sollte Stunden und Beziehungen haben, wo der Gedanke an das eigene Ich entfällt, wo er uninteressiert ist; jeder Mensch sollte das als edlere Naturanlage haben. Menschen, die durch Schicksale zerstört wurden, dürfen dies in grösserem Masse haben (es ist berechtigt, aber ungenügend); trotzdem darf es nicht zur allgemeinen Maxime gemacht werden.
Ein positiveres Prinzip, das allerdings in letzter Zeit sehr missbraucht wurde und sehr problematisch ist, ist: der Mensch soll seine Interessen in die Gemeinschaft setzen. Die Gemeinschaft ist zwar ein Organismus, eine halbmystische Ganzheit und für ein entleertes Individuum fruchtbar; sie erweckt eine legitime Sehnsucht, steht uns aber nicht mehr offen (in der Zivilisation); sie kann nicht mehr zum allgemeinen Prinzip gemacht werden.
Das Opfer ist kein echtes Opfer, sondern Selbstzweck zur Selbstgewinnung, Der sich selbst opfert ist das Ich; dazu muss das Ich aber dableiben und stärker werden. Das Innerste opfern bedeutet eine ungeheuerliche Verstärkung desselben. Das Ich ist in der Selbstbejahung darum vorhanden, und die Selbstbeziehung aufzuheben; daraus resultiert: das Ich bleibt übrig, das sich selbst aufgehoben hat, es ist damit von ungeheuerer Stärke, d. h. es ist von Gott gedeckt.
Sobald das Opfer innerlich wird, ist das eine höhere (geistige) Auffassung davon.
Opfer als Annahme von Schmerz (Blutopfer bei Primitiven) kann Huldigung oder (freiwillige) Sühne bedeuten, oder anders ausgedrückt: Dank für geleistete Gnade oder Besänftigung (des Zornes) Gottes. Verinnerlichung ist erduldeter, gläubig angenommener Schmerz, welcher die magische Macht des Menschen erhöht und ein Einwirken auf Götter und Gott ermöglicht (ermöglichen soll) - eine letzte Selbstverstärkung, um Gott überlegen zu sein, um ihn zu zwingen, freundlich (gestimmt) zu sein.
Es gibt also ein freiwilliges Schmerzopfer (bei allen Religionen in der Überzahl) als Krafterhöhung (Verstärkung des Ich), dann eines, wenn man die Schicksalsschläge verarbeitet.
Gibt es Magie? ist die Frage des 20. Jahrhunderts. Die Antwort: Ja. Sie verfliegt zwar vor dem Verstand und ist nur vom Unbewussten wahrnehmbar, Die Magie wurde durch unsere Aufklärung zum Verschwinden gebracht, durch unseren abendländischen Rationalismus, aber auch durch den abstrakten und spirituellen jüdischen Monotheismus, ist aber dennoch noch da. Der Kampf gegen das Heidentum war mehr oder weniger ein ganzer Kampf gegen die Magie.
Die Magie bedeutet; Wirkungen durch (Verstärkung der) Seelenkraft hervorgerufen; sie ist wirklich, keine reine Einbildung.
Magie besitzt ambivalente Kräfte, welche objektiv-unpersönlich sind; sie ist höchstens von Menschen manövrierbar, die dazu imstande sind.
Die Annahme böser Geister ist nichts Unmögliches (wenn es Böses im Menschen gibt, wenn er Freiheit besitzt, sich dafür zu entscheiden).
Der böse Mensch hat sein Böses meist nicht bewusst gewählt, sondern er ist böse aus Unentschiedenheit (Franz Moor ist nur ein papierener Bösewicht).
Es gibt schauerlich ironische, gezielte Schicksale, um den Menschen an der arglosesten Stelle zu treffen, etwas Schauerlich-bewusstes und Tückisch-böses, z. B. eine ausgeklügelte Grausamkeit im Naturgeschehen. Beispielsweise auch der Schmarotzer; er muss vorher mit ekelhafter Phantasie ausgeklügelt worden sein, Also: Böses ist in der Natur, nicht nur im Menschen.
Ein Leben nach dem Tode ist nicht vorstellbar, aber denkbar in Zuversicht; aber ein Haken ist: der Mensch glaubt, was er wünscht. Der Beleg dafür ist die Individualität als eigentlicher Sinn der Welt: die Monade (als Lebens- und Geisteseinheit; mit Handeln, Wille und Gläubigkeit) als Samenkorn, das in der Selbstwerdung die Energien an sich reisst.
Das Individuum (hat) bedeutet einen untötbaren Willen zu sich selbst.
99 % der Menschen sagen nicht Ja zum Leben, da für die meisten das Schöne und Gute nur ein Hinweis auf das Absolute ist. Wenn man (aber) nicht Ja zu seinem Leben sagen kann, dann wenigstens zum Leben.
Hiob: Wer nicht durch den Hass hindurch gegangen, versteht nichts von letzter Bejahung.
Es ist uns aufgegeben, den Augenblick auszuleben, alle Dinge darin zusammenzuraffen. Das Diesseitige ist bis zuletzt ernst zu nehmen, aber angesichts des geringen Erfolges seines Strebens ist der Gedanke einer andern Existenz, wo es besser geht, nicht zu entbehren.
Die Individuation ist ("allen Gewalten zum Trotz", Goethe) der Sinn der Welt.
Die Religion hat zwei Seiten; der Mensch muss anfangen, er muss die Initiative ergreifen, nämlich sich selbst zu Gott (hin) entwerfen.
Die Orientalen (indische Meditation) und die Mystiker wollen der Qual der Individuation entgehen, indem sie zum Ursprung streben (in naiver Selbstvernichtung: das Ich soll abgetötet werden, von wem? doch vom Ich, das dadurch stärker wird).
Man muss sich einsetzen, d. h. aus der Hand geben, sich aufs Spiel setzen, etwas (sich) wagen; aber das ist gefährlich.
Bei Gott sind alle Dinge möglich.
Die christliche Dreieinigkeit kommt vom Neuplatoniker Proklos her: Gott ist moné, (ewig und fest), processus (Abfall, Hindurch) und anastrophé (Rückkehr).
Polarität: Einheit (einheitliches Lebensgefühl, Wirklichkeit) steht am Anfang und Ende, Dazwischen ist eine Aufspaltung (denn das Denken spaltet die Dinge auf), woraus mit dem Denken nicht hinauszukommen ist.
Es ist nötig ein guter Wille, der das Gut(e) meint. Das Gut(e) ist auf gute Weise anzustreben, sonst zerfällt es.
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