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Einige Begriffsklärungen und frühe Forschungsergebnisse (1969)

 

Siehe auch:                Literatur: soziale Mobilität 1750-1970

 

 

Inhaltsverzeichnis

1. Stabilität und sozialer Wandel

2. Soziale Mobilität

2.1. Definitionen und Unterscheidungen

2.2. Analyse der sozialen Mobilität

2.3. Bestimmende Faktoren der sozialen Mobilität

2.4. Schichtung

2.5. Soziale Mobilität und Strukturwandel, Umschichtung

2.6. Die Kanäle der sozialen Mobilität

2.7. Kleine Forschungsgeschichte

2.8. Einige Forschungsergebnisse

2.8.1. Effekte der sozialen Mobilität

2.8.2. Allgemeine Ergebnisse neuerer Untersuchungen

3. Literaturverzeichnis

 

 

1. Stabilität und sozialer Wandel

 

'Soziale Mobilität', die Bewegung von Individuen oder Gruppen bezüglich ihrer Position, ist ein Phänomen, dessen definitorische Bestimmung keine grossen Schwierigkeiten aufwirft. Ähnlich wie etwa bei 'Rolle' und 'Position' - die zwar etwas schwieriger begrifflich zu fassen sind - herrscht bei Fachleuten und Laien weitgehend Einigkeit darüber, was unter sozialer Mobilität zu verstehen sei.

Ebenso offensichtlich ist der enorme Einfluss der sozialen Mobilität auf die Sozialstruktur wie auf das Individuum. Soziale Mobilität ist eines der allerwichtigsten Kennzeichen fast aller heutigen Gesellschaften. Im Verhältnis zu ihrer Bedeutung ist das Schrifttum über sie recht klein.

 

Früher: das Ideal der Harmonie oder Stabilität

 

Bei der Betrachtung von Sozialstrukturen gibt es zwei Aspekte: Stabilität und Wandel. Vor allem früher stellte die Harmonie einer Gesellschaft oder die Stabilität eines Staates das höchste Ideal dar, dem sich Sozialstruktur und -prozesse wie auch die einzelne Persönlichkeit unterzuordnen haben: Eine legitime Ordnung soll den Staat sichern und ihn möglichst eingleisig auf festen Bahnen weiterführen, so das gesellschaftliche Geschehen regulierend.

Oder auch schon in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft dürfen nur 'Funktionen' im positiven Sinne vorkommen - also beobachtbare Folgen, welche die Anpassung eines Systems (oder einer angenommenen sozialen Einheit) fördern, Beiträge, welche die Teile des Ganzen zur Erhaltung (Kontinuität und Selbstregulierung; maintaining equilibrium) des Systems leisten. Dysfunktionen werden als unerwünscht betrachtet.

 

Solche über lange Zeiträume hinweg beinahe stabile oder besser stationäre Gesellschaften gibt es in der Tat, z. B. dort, wo urdemokratische Strukturen, d. h. einfache Rollensysteme, segmentarische Ordnungen (R. Thurnwald; G. P. Murdock) und genossenschaftliche Gesellschaftsformen (A. Vierkandt; P. Trappe) vorherrschen und wo bei Abwesenheit von formalen Strukturen wie Staat und Recht - also keine Institutionalisierung - das Funktionieren ganz und allein von 'Basisprozessen' (dynamische, materiale Struktur) getragen wird, oder - wie man lange meinte - in Gesellschaften mit starren Kastensystemen (z. B. Indien).

 

Heute: soziale Dynamik – mobile Gesellschaft

 

Die gegenteilige Ansicht, im Extremfall etwa, dass Stabilität unerwünscht oder gar pathologisch sei, bedeutet nichts anderes, als die gegenwärtige Lage der Gesellschaft zu akzeptieren, nämlich die Tatsache der sozialen Dynamik, des sozialen Wandels.

Seit mindestens einem halben Jahrhundert [1969] befinden sich die meisten Gesellschaften in einer fortwährenden tiefgreifenden Strukturveränderung (bezüglich Verwaltung, Schichtung, Herrschaft, Macht, Institutionen, Wertsystemen) - was natürlich nicht heisst, dass es früher nicht auch mobile Gesellschaften gab.

 

Bei sozialem Wandel wird unterschieden zwischen solchem innerhalb eines Systems (evolution) und solchem des ganzen Systems (supplanting; T. Parsons).

 

S. M. Miller fasst zusammen: "Jede Gesellschaft hat irgendeinen Grad von Mobilität. Keine Gesellschaft hat keine Mobilität; keine Gesellschaft hat vollständige Mobilität oder vollständigen Positionswechsel von einer Generation zur nächsten. Zwischen diesen beiden Extremen stehen alle Gesellschaften" (S. M. Miller, 1960, 2).

 

Pitirim Sorokin, ein in die USA emigrierter Russe, welcher als Erster eine umfangreiche Zusammenfassung der "Social Mobility" (1927) gab, die unterdessen zum vielzitierten Klassiker auf diesem Gebiet geworden ist, schrieb damals als Einleitung:

"Unsere Gesellschaft ist eine mobile Gesellschaft par excellence. Eine intensive, unablässige Bewegung oder Verschiebung von Individuen von Position zu Position und eine grosse Zirkulation von sozialen Objekten in horizontaler und vertikaler Richtung sind vermutlich die wichtigsten Charakteristiken der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft. Ihnen verdankt sie ihren dynamischen Charakter. Sie sind verantwortlich für viele ihrer Züge, Tugenden und Schwächen, für ihre politische und soziale Organisation.

Unsere Psychologie, unser Verhalten und hundert andere wichtige Erscheinungen sind in beachtlichem Masse durch die intensive soziale Mobilität der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft bedingt" (P. Sorokin, 1927, Preface).

 

„Dysfunktionale Prozesse“ öffnen die Gesellschaft

 

Was Sorokin vor mehr als 40 Jahren [1969] schreiben konnte, hat heute wohl noch mehr Berechtigung und Gültigkeit. Heute hat man zudem erkannt, dass das, was Sorokin noch nicht mit einem Namen belegen konnte, nämlich die ‚dysfunktionalen Prozesse’ (als Brücke zwischen Dynamik und Wandel) eine eminente Bedeutung für die Gesellschaft haben. Diese stimulieren den sozialen Wandel, bewirken Wechsel und Zerreissen der starren Funktionszusammenhänge und erlauben so der Gesellschaft stärker, aber auch lockerer strukturiert, differenziert, pluralistisch, komplex und damit ‚offen’, ja revolutionär zu sein.

 

Entgegen etwa der Behauptung von R. Dahrendorf ist der Mensch in der heutigen Gesellschaft nicht hoch-determiniert, ein pures Aggregat von Rollen (d. h. von der Gesellschaft auferlegten Zwängen als Maske und Ärgernis), sondern er hat eine gewisse Freiheit, ihm stehen Betätigungs- und Entfaltungsmöglichkeiten offen, er kann zwischen Alternativen wählen, und in einem beschränkten Rahmen ist ein Durchbruch zwischen den Schichten möglich.

Einer gewissen Spontaneität ist Rechnung getragen; Rollenwechsel, aber auch Übernahme von Scheinrollen mit beliebiger Identifizierung ist erlaubt. Allerdings bringt eine Rollenänderung etwa durch Standortwechsel neue Determiniertheiten mit sich (Rollenerwartungen verbunden mit Sympathie und Sanktionen); und diese sind nicht geringer geworden, dadurch dass die Rollen und Rollensysteme nicht mehr von 'oben', sondern etwa in Kleingruppen, d. h. in der unteren Ebene selbst gebildet werden.

Zudem wird die individuelle Interpretation der Rolle durch 'Sachzwänge' ausgehöhlt (H. Schelsky); das spontane Geschehen im sozialen Raum ist ja ohnehin immer durch das Recht (Verfassung), Institutionen, Werte und Normen strukturiert und durch repetitiv auftretende – kulturelle - Muster mit Verbindlichkeitsanspruch, welch letztere in ihrer Gesamtheit die 'soziale Kontrolle' ausmachen, kanalisiert.

 

Soziale Wandel: ohne Konflikte und mit Konflikten

 

Die beiden Möglichkeiten der Sozialstruktur, Stabilität und Wandel, spiegeln sich auch in zwei verschiedenen soziologischen Betrachtungsweisen. Die 'Systemtheorie' befasst sich mehr mit dem harmonischen Ablauf eines Systems, wie er in den erwähnten primitiven Demokratien noch vorkommt. In diesen egalitären Sozialstrukturen, welche über Jahrhunderttausende fast gleich bleiben, gibt es keinen grossen Bruch in der Harmonie; geschieht ein Wandel, so vollzieht er sich in harmonischen Übergängen (z. B. mittels Konsensus, im Gegensatz zu Zwang), ist also ein relativ konfliktfreier Wandel.

 

Die ‚Konflikttheorie' und neuerdings in vermehrtem Masse die ‚strukturell-funktionale Analyse' befassen sich mit Disharmonie, Wandel und damit mit Konflikten und Dysfunktionen. Da bei genügend weiter Fassung des Begriffes Konflikt (akuter und latenter; von Diskussionen über Interessenkollision bis Krieg) eine vollständig konfliktfreie Gesellschaft nicht vorstellbar ist, gewinnt die Konflikttheorie immer mehr an Boden, besonders wenn man in Betracht zieht, dass Konflikt und 'Masslosigkeit' (Ausbrechen aus der Norm) den zunehmend rascheren 'Fortschritt' in fast jeder Richtung bewirken.

 

Konflikt: Ursache und Folge des Wandels

 

Als pragmatische Annahme ist relative Stabilität zwar vertretbar; in einer dynamischen Analyse der Zusammenhänge der sozialen Struktur stellen sich jedoch die nach Mustern und Institutionen fixierten Prozesse meist als sehr wandelbar heraus, womit man zwangsläufig zum Bild einer beweglichen Gesellschaft gelangt.

Die dynamischen Elemente darin sind selbstverständlich vor allem bedeutsam betreffs Fortbestand und Wachstum des Systems. Ist das Überleben der Sozialstruktur aber nicht oberstes Gebot, dann kann man den sozialen Konflikten ihren Platz zuweisen, nämlich die Aufgabe, den als notwendig erachteten Wandel der Gesellschaft aufrecht zu erhalten und zu fördern (R. Dahrendorf); sonst muss man den Konflikt geradezu als Krankheit auffassen (R. K. Merton).

Konflikte sind aber nicht nur dysfunktional, desintegrierend, sondern auch positiv funktional (L. Coser); sie können zur Anpassung beitragen, Spannungen vermindern, Hindernisse und Widerstände (etwa der Bürokratie) brechen. Der soziale Konflikt ist nicht nur ein Faktor für den sozialen Wandel, sondern er kann Ursache und Folge eines solchen sein.

 

R. K. Merton hat nachgewiesen, dass sich aus dem Zusammenspiel von Funktionen und Dysfunktionen ein Saldo errechnen lässt. Je nachdem kann man dann von sozialem Gleichgewicht oder Ungleichgewicht, 'dynamischem Gleichgewicht' sprechen.

 

Immer muss aber bei alledem beachtet werden, dass - trotz aller Wünschbarkeit - die Möglichkeiten erneuernden Verhaltens relativ begrenzt sind, dass der strukturelle Kontext, das 'soziale Feld' die Veränderungen kanalisiert.

Nichteinsehen dieses gerade heute so bedeutsamen Tatbestandes heisst einem utopischen Denken huldigen. Umgekehrt gilt, dass die sozialen Konflikte umso intensiver und grösser sind, je geringer die Möglichkeit des Wandels, der sozialen Mobilität ist, es sei denn die Gesellschaft habe die Konflikte gewissermassen institutionalisiert.

 

 

2. Soziale Mobilität

 

2.1. Definitionen und Unterscheidungen

 

Weshalb diese lange Einleitung? Sie zeigt, dass die soziale Mobilität in diesem weiten Rahmen gesehen werden muss und mit all den erwähnten Phänomenen und Begriffen eng verwoben ist. Was ist nun soziale Mobilität genau? Die neueste Definition gibt H. Goldhamer (1968):

„Soziale Mobilität ist die Bewegung von Individuen, Familien und Gruppen von einer sozialen Position zu einer anderen" (H. Goldhamer, 1968, 429)

 

B. Barber (1957) schreibt noch genauer: es ist die "Bewegung zwischen einer relativ dauernden, funktionell signifikanten sozialen Rolle und einer andern, die entweder höher oder tiefer bewertet wird. Diese Bewegung muss als ein zeitlicher Prozess aufgefasst werden, wodurch Individuen (und deren Familien-Einheiten) von einer Rolle und sozialen Klassenposition zu einer andern wechseln, sei es auf Grund ihrer eigenen Tätigkeit oder auf Grund dessen, was ihnen in den verschiedenen Arten sozialer Interaktion geschah, z. B. in ihrer Familie oder Arbeits-Organisation, während eines Krieges oder einer sozio-ökonomischen Expansion in ihrer Gesellschaft“ (zit. nach S. M. Miller,1960, 1).

 

Cultural mobility

 

P. Sorokin schreibt, Obiges ergänzend: "Soziale Mobilität ist jeder Übergang eines Individuums, sozialen Objektes oder Wertes … von einer sozialen Position in eine andere". (P. Sorokin, 1927, 133) Unter sozialen Objekten (oder Werten) versteht er Kulturelemente, wie Informationen, Ideologien, Geräte (z. B. Autos, Radios), Moden, Geld, Gebräuche, Charakterzüge, usw. Wandern solche Elemente, so spricht man von ‚cultural mobility’, die zumeist unter dem Aspekt des sozialen oder kulturellen Wandels untersucht wird.

 

Mobilität von Individuen, Gruppen, Objekten, Werten, Schichten

 

Zusätzlich zur Betrachtung sozialer Mobilität von Individuen, ganzen Gruppen (kollektiver Positionswechsel), sozialen Objekten und Werten kommt immer mehr auch diejenige innerhalb ganzer Schichten hinzu, da Schichten eine Eigendynamik aufweisen können. Ferner ist auch die Verschiebung ganzer Schichten (stratum mobility), die Veränderung der sozialen Rangordnung, der Hierarchie als Ganzes einer Beobachtung und Untersuchung zugänglich.

 

Bedeutsam bei der sozialen Mobilität ist die - vielgenutzte - Möglichkeit internationaler Vergleiche (comparative social mobility).

 

Horizontale und vertikale Mobilität

 

Eine der wichtigsten Unterscheidungen bei der sozialen Mobilität ist diejenige zwischen horizontaler (shifting), die auch als funktionelle bezeichnet wird, und vertikaler (ascending, climbing - descending, sinking) Mobilität.

"Bei der horizontalen sozialen Mobilität findet eine Veränderung der sozialen Stellung auf gleichem sozialen Niveau statt (z. B. Übergang von einem Beruf zu einem anderen ähnlichen Beruf). Vertikale soziale Mobilität liegt vor, wenn Personen oder Gruppen sich in Richtung auf ein höheres soziales Niveau bewegen oder nach tieferen Schichten innerhalb der Hierarchie absteigen (das bekannte Phänomen des Auf- und Abstiegs auf der sozialen Leiter)" (P. J. Bouman, 1968, 83).

 

Nimmt man die Differenzierung zwischen manifestem (aktivem) und latentem Status auf, könnte man auch von latenter und manifester sozialer Mobilität sprechen. Doch darüber gibt es vorderhand weder Hypothesen noch Untersuchungen.

 

Gebiete der Mobilität

 

Weiter lässt sich bei der sozialen Mobilität unterscheiden, auf welchem Gebiet der Positionen sie sich abspielt. Hier kommen hauptsächlich folgende Dimensionen in Frage:

- Beruf, Beschäftigung (occupation), Arbeitsplatz

- Einkommen und Vermögen (income, wealth)

- Kenntnisse, Fertigkeiten (skill)

- Prestige (Ansehen, Wertschätzung), Privilegien, Pflichten

- politische Macht, Partei

- soziale Klasse (social relations: distance or deference (Achtung)), Lebensstandard

- Konfession, Bürgerschaft

- Wohnort (Migration)

- Ehestand (z. B. Einheirat, Scheidung und Wiederheirat) (interfamily circulation; unterteilt in inter- und intranubium)

 

Dabei hat man die Feststellung gemacht, dass ein hoher oder tiefer Rang in einem Gebiet oft einen ähnlichen Rang in anderen Gebieten zur Folge hat.

 

Intra- und intergenerationelle Mobilität

 

Des weiteren gibt es die Aufteilung in intragenerationelle und intergenerationelle soziale Mobilität. Das bedeutet in ersterem Fall die soziale Mobilität bezüglich der Laufbahn (career) des Einzelnen in beruflicher Hinsicht und solcher des sozialen Status ("persönlicher Übergang"; life-span-analysis), im letzteren Falle bezüglich des Unterschiedes zwischen Eltern (eventuell Grosseltern) und Kindern ("in der Generationenfolge").

Die Kardinalfrage lautet hier: In welchem Grad bestimmt die berufliche und finanzielle Position des Vaters diejenige seiner Kinder?

H. Goldhamer (1968) erwähnt in diesem Zusammenhang, dass die soziale Mobilität eigentlich ein Teil der umfassenderen Erforschung der "sozialen Selektion" sei, dass aber zwischen diesen beiden Studienrichtungen heute keine scharfe Unterscheidung mehr möglich sei.

 

Bei der Herkunftserforschung von Personen bestimmter Soziallage stellt man zwei Möglichkeiten fest:

Erstens kann die berufliche Nachfolge als endogene erfolgen (Selbstrekrutierung; ‚berufliche Nachfolge’); ist sie vollständig, spricht man von Starrheit (nonmouvement; inheritance (Erbe)). Für dieses Verharren in ein und derselben Schicht wird der ‚Glass index of association’ als Index der Unbeweglichkeit der Individuen resp. der Schicht verwendet.

Die andere Möglichkeit ist der "exogene Schichtersatz", d. h. der Nachstrom (inflow) aus anderen Schichten. De Ausbruch aus der väterlichen Schicht wird als ‚outflow’ erfasst.

 

Ist die intergenerationelle Mobilität gewährleistet, spricht man von "offener" Gesellschaft (welche gleiche Bildungs- und Statusmöglichkeiten gewährleistet), andernfalls von "geschlossener" (M. Weber; M. Tumin).

 

H. Goldhamer & N. Rogoff heben im besonderen „Mobilität durch Nachfrage“ (demand) ab. Wird dieser Mobilitäts-Anteil von der Gesamtmobilität subtrahiert, erhält man die "fluidity mobility", das heisst diejenige Mobilität, welche nicht mit den im Laufe der Zeit aufgetretenen Wandlungen der Struktur der Berufsschichten und -anforderungen zusammenhängt.

 

Regionale Mobilität

 

Ein Spezialfall der horizontalen, aber auch vertikalen sozialen Mobilität ist die regionale, die Migration (spatial mobility). Sie bedeutet einerseits den Wechsel zwischen Siedlungsformen, z. B. vom agrarischen zum industriellen Sektor (was bisher im Brennpunkt des Forschungsinteresse stand), anderseits den Wechsel von Wohngebiet zu Wohngebiet, die 'Wanderung' (territorial circulation; Ein- und Auswanderung, Binnenwanderung, Pendelwanderung). Dabei spielen Integration, Assimilation und Akkulturation eine Rolle.

Migration wird hauptsächlich von und im Bereich der Ökonomie und Demographie erforscht.

 

2.2. Analyse der sozialen Mobilität

 

Bei der Analyse der sozialen Mobilität können – neben der Richtung - auseinandergehalten werden:

- Frequenz: Häufigkeit von Positionsänderungen pro Zeiteinheit (die auch noch im Verhältnis zur Gesamtpopulation gesehen werden können).

- Ausmass, Umfang (Sorokin: generality): Anzahl der Individuen in einer Gruppierung oder Gruppe, die pro Zeiteinheit wechseln.

- Intensität (F. van Heek (1945) schlägt vor, diesbezüglich noch nach Abstand und Tempo (Schnelligkeit) zu unterscheiden): Steht im Zusammenhang mit der vertikalen sozialen Distanz (Abstand zwischen den Schichten) und bedeutet die Anzahl der Schichten (Stufen), welche ein wechselndes Individuum oder eine wechselnde Gruppe in einer bestimmten Zeiteinheit durchläuft; sie spiegelt das Mass des Auf- oder Abstiegs (S. M. Miller: height of mobility).

- Stabilität: Wie sicher ist die neue Position, d. h. kann eine Veränderung drohen (Labilität über eine Generation hinweg)?

- Art der Bewegung: - Übergang (transition)

- Infiltration (infiltration)

- Verpflanzung einer Gruppe (transplantation)

- Schaffung einer neuen Gruppe oder Schicht (creation of a new group)

 

Die Datensammlung für die soziale Mobilität findet mittels Interviews und Dokumenten (amtliche, betriebliche, schulische) statt. Vor dem Zweiten Weltkrieg bezog man die Angaben häufig aus dem "Who's Who". Auch historische Studien wurden, global und über grosse Zeiträume hinweg, ausgeführt (P. Sorokin, 1927).

 

Statistische Auswertung erfordert Feingefühl

 

Die Resultate können statistisch ausgewertet und in sogenannten "mobility tables" zusammengefasst und anschaulich dargestellt werden.

Lange Zeit zerbrach man sich den Kopf über einige rätselhafte Ergebnisse, bis man herausfand, dass diese Tabellen sich nie auf eine repräsentative Population stützen (können), da bei der intergenerationellen Mobilität nicht die vollständige Schicht der Erwachsenen erfasst wird, sondern nur die besondere Gruppe (zumeist) verheirateter Väter mit mindestens einem (männlichen) Kind.

 

Die bekanntesten und häufigsten, hauptsächlich mathematischen Analysenarten sind:

  • die Markov-Ketten-Analyse (über drei Generationen hinweg; 1907 eingeführt)
  • der Benini-Index (bezüglich 'attraction’)
  • der "Tumin-Feldman Generational Occupational Mobility Score"
  • die „Regressionsanalyse“ (P. M. Blau & O. D. Duncan, 1967)
  • das kombinierte Modell von H. C. White (1963) sowie
  • das „log-normale Verteilungssystem“ von J. Aitchinson & J. A. C. Brown (1957).

 

Zu beachten ist bei alledem immer, was sich aus der Betrachtung der sehr verschiedenen Möglichkeiten der Dimensionen, in welchen sich Positionswechsel abspielen können, leicht ergibt:

"Das Mass der Mobilität existiert nicht, nur manche Masse, welche verschiedene Dimensionen der Mobilität antippen" (S. M. Miller, 1960, 57). "Es gibt kein Mass, das die verschiedenen Elemente der Mobilität vollständig aufzeichnet ... Deshalb können wir nicht von dem Grad der Mobilität einer Nation oder Gemeinschaft, sondern nur vom Grad eines spezifischen Masses der Mobilität sprechen" (S. M. Miller,1960. 10).

 

Mobilität, Fluktuation und Zirkulation

 

Kurz sei noch auf den zuerst etwas verwirrenden Gebrauch der Begriffe Mobilität, Fluktuation und Zirkulation in der Literatur eingegangen. Hierbei kommt es offensichtlich auf den Blickwinkel an.

Mobilität ist mehr in Bezug auf den Einzelnen gesehen (Th. Geiger: anaskopisch), Fluktuation in Bezug auf das ganze System, die gesamte Sozialstruktur (kataskopisch). Zirkulation ist ein Sonderfall der Fluktuation, nämlich eine solche zwischen benachbarten oder verwandten Schichten. (Es ist allerdings auch möglich, dass, wie Th. Geiger es tut, im Englischen das Wort Mobilität, im Deutschen Fluktuation - vielleicht als Übersetzungsversuch - verwendet wird.)

Im übrigen werden aber Mobilität, Fluktuation und Zirkulation meist ungefähr in der gleichen Bedeutung gebraucht.

 

2.3. Bestimmende Faktoren der sozialen Mobilität

 

Über die Bestimmungsfaktoren oder Ursachen der Mobilität ist noch recht wenig bekannt. Grundsätzlich kann man sagen, dass der einzelne bestimmt ist durch:

a) Erwartungen an ihn als Rollenträger, der diesen Ansprüchen gemäss sinnvoll handeln muss (er kann aber auf Grund von b) auch anders) und

b) seine Motivationen, Interessen (Vorlieben), Ziele; seinen Typus, seine Begabungen, Eignung.

 

Was jedoch seine soziale Mobilität bewirkt, kann ein sehr komplexes Feld von Faktoren (eine ganze Faktorenreihe) sein. J. A. Kahl (1957) nennt:

  • Verlagerungen der Wirtschaftsstruktur (fortschreitende industrielle Entwicklung),
  • (berufs-)spezifisch differenzierte Fruchtbarkeit (d. h. verschiedene Geburtenhäufigkeit in einzelnen Schichten) und
  • berufsspezifisch differenzierte Einwanderungen - in Zusammenhang mit der „funktionellen Kapazität“ einer Schicht (Existenzkapazität; Unterkunftschance) und den Auslesemechanismen.

 

P. Sorokin (1927) erwähnt als Faktoren für die vertikale Zirkulation:

  • demographische: Verminderung (Schrumpfung) oder Auslöschen einer Schicht (durch geringere Fruchtbarkeit oder grössere Sterblichkeit. Das Vakuum muss gefüllt werden.
  • Verschiedenheit zwischen Eltern und Kind (Begabungs- und Eignungsunterschiede)
  • Wechsel des anthropo-sozialen Umfelds (besondere Zeitumstände: z. B. Krieg, Nachkriegsereignisse, Krisen)
  • falsche soziale Verteilung der Individuen (wechselnder Bedarf an bestimmten Arbeitsqualifikationen), geringe Möglichkeit zu horizontaler Mobilität.

 

H. Goldhamer (1968) berichtet, dass man sich heute immer mehr vom blossen Aufstellen von 'mobility tables' (die nur sehr beschränkte Teilantworten geben) entfernt und nach den bestimmenden Faktoren (determinants) der sozialen Mobilität fragt.

Er sieht vier wesentliche Gruppen:

  • Beruf des Vaters und familiärer Hintergrund: Familiengrösse (Geschwisterzahl), Geburtenreihenfolge
  • Unterschiede in Schulbildung oder Erziehung
  • Intelligenz (sozial und genetisch bedingt) und Motivation
  • Diskriminierung (Rasse) und andere soziale Handicaps (körperliche Behinderungen, Krankheiten, Süchte)

 

Neben förderlichen Faktoren gibt es selbstverständlich auch hemmende: K. M. Bolte erwähnt:

  • "das Gefüge 'gesellschaftlicher Schichtung' [d. h. ihre Art],
  • die Rechtsordnung,
  • die verschiedensten Vorstellungen, Normen und Werte der Gesellschaftsmitglieder
  • sowie auch gewisse sozialpsychologische Bedingungen" (K. M. Bolte, 1967, 231), wie z. B. schichtspezifische Leitideen.

 

Th. Geiger (1951b) erwähnt:

  • Wirtschaftsstruktur
  • soziale Institutionen
  • Schulsystem
  • ideologische Überlieferungen, usw.

und betont die Wichtigkeit des „typischen Alters“ einer Schicht bezüglich Heirat, Elternschaft, Eintritt in die Schicht und Ruhestand, ferner des schichttypischen Durchschnittsalters und der schichttypischen Lebensdauer.

 

Die Bedeutung der 'institutions' bei der sozialen Mobilität betont ebenfalls H. Goldhamer; darunter fallen Arbeitsverträge, Gesetze über freie Bewegung, die politische Machtverteilung, usw.

 

2.4. Schichtung

 

Soziale Mobilität steht also einerseits in Zusammenhang mit der Position des Einzelnen, anderseits ist sie untrennbar verknüpft mit der Schichtung einer Gesellschaft. Aus diesem Grund tragen viele Schriften, die sich mit sozialer Mobilität befassen, den Titel "Schichtung und Mobilität" (z. B. A. Inkeles, 1950; S. Nishira, 1957; G. Carlsson, 1958 und 1961; M. Janowitz, 1958; D. V. Glass & R. König, 1961; M. M. Tumin, 1967) und hat beispielsweise die International Sociological Association ein "Sub-Commitee on Social Stratification and Mobility", das sich eingehend mit der Erforschung dieser Phänomene befasst.

 

Was heisst soziale Schichtung? Sie meint die Differenzierung einer gegebenen Bevölkerung in hierarchisch übereinandergestellte Klassen und ist eine permanente Charakteristik jeder organisierten sozialen Gruppe, und zwar ökonomisch, sozial, politisch und beruflich.

Aber auch jede Grossgesellschaft hat eine Struktur, die als Schichtung bezeichnet wird und nichts anderes bedeutet als ihre 'horizontale' Gliederung nach dem typischen Status ihrer Mitglieder; d. h. eine Schicht besteht aus einer grösseren Anzahl von Individuen, die bedeutsame 'sozial relevante' Merkmale gemeinsam haben.

 

Definition von Schicht

 

Th. Geiger präzisiert in seinem Artikel "Theorie der sozialen Schichtung" (1955):

"Jede Schicht besteht aus vielen Personen (Familien), die irgendein erkennbares Merkmal gemeinsam haben und als Träger dieses Merkmals einen gewissen Status in der Gesellschaft und im Verhältnis zu andern Schichten einnehmen" (Th. Geiger, 1962, 186).

Er weist auch darauf hin, dass Schichtungen genaugenommen nicht eindimensional und waagrecht sind, sondern dass zumeist mehrere, in verschiedenen Ebenen verlaufende Schichtungen einander durchkreuzen.

 

Zur Charakterisierung von Schichtstrukturen und Schichten hat van Heek (1945) die Begriffe "Höhe der sozialen Hierarchie" und "Besetzung der sozialen Schichten" eingeführt. Ersterer gibt "den Grad des Rangunterschiedes zwischen den sozialen Schichten höchsten und geringsten gesellschaftlichen Ansehens" (P. J. Bouman, 1968, 83) an, letzterer die Anzahl der Personen pro Schicht, d. h. ungefähr gleicher oder verwandter Soziallage.

 

Definition von Klasse

 

Bezüglich des stark historisch und ideologisch belasteten und deshalb nach Möglichkeit zu vermeidenden Begriffes Klasse ist die 'klassisch' gewordene 'neutrale' Definition von M. Weber in "Wirtschaft und Gesellschaft" (1925) zu erwähnen.

"Max Weber bestimmte bekanntlich die soziale Klasse als 'die Gesamtheit derjenigen Klassenlagen ..., zwischen denen ein Wechsel a) persönlich, b) in der Generationenfolge leicht möglich ist und typisch stattzufinden pflegt"' (Th. Geiger, 1962, 115).

 

Ursachen und Faktoren der Schichtung

 

P. Sorokin (1927) betont die "spontanen und natürlichen Wurzeln" der sozialen Schichtung und führt hiefür folgende drei Faktoren als massgeblich an:

- die Tatsache des Zusammenlebens,

- die angeborenen Unterschiede der Individuen (genetisch; dazu R. Dahrendorf, 1961; M. R. Lepsius, 1961),

- die Unterschiede der Umgebung, wohinein die Individuen gestellt sind.

 

Weiter erwähnt er, dass die Verteilung der Individuen in einer Gesellschaft resp. die Position des Einzelnen bestimmt wird, durch:

 

a) die Umgebung, vor allem die soziale Umgebung. Hierbei sind wichtig:

- der Grad der Mobilität der Gesellschaftsstruktur,

- die Charaktere der "Kanäle", durch welche die Bewegungen der Individuen stattfinden,

- die "Mechanismen der Prüfung, Selektion und Verteilung der Individuen".
(Unter normalen Bedingungen verläuft der Auf- oder Abstieg stufenweise und in geordneten Verhältnissen, d. h. kontrolliert durch die sozialen Mechanismen von Selektion und Verteilung der Individuen, und zwar ökonomisch und politisch)

 

b) den Menschen selbst, seine physischen und geistigen Qualitäten, welche ererbt oder erworben sein können (Sorokin fasst zusammen: Die Unterschiede in physischer und geistiger Hinsicht sind das Resultat von Erbe und Umwelt, Selektion und Anpassung zugleich.) Hier sind unter anderem genannt:

- Körperhöhe: Sie hängt direkt proportional mit der Schichthöhe zusammen.
Das liess sich bisher über alle Zeiten hinweg feststellen.

- Körpergewicht

- Gehirngewicht und -kapazität

- Gesundheit (health, strength and vigor), Lebensdauer

- Intelligenz: Das gilt aber nicht generell, sondern nur mit Ausnahme von Perioden gesellschaftlichen Abstiegs (decay)

(- Charakter).

 

Hinsichtlich der Fluktuation sieht Sorokin zwei Möglichkeiten, nämlich:

- den ökonomischen Auf- oder Abstieg einer ganzen Gruppe

- die Zu- oder Abnahme schon der (ökonomischen) Schichtung innerhalb einer Gruppe.

 

Ein Vierteljahrhundert später knüpft Th. Geiger hier an.

 

 

2.5. Soziale Mobilität und Strukturwandel, Umschichtung

 

(Theodor Geiger: Arbeiten zur Soziologie, 1962 - Seitenzahlen in diesem Kapitel ohne nähere Angaben beziehen sich auf diese Schriftensammlung.)

 

Statische Betrachtung verfälscht die Wirklichkeit

 

Th. Geiger kritisiert in seinen Abhandlungen "Statik und Dynamik" (Nachlass), "Eine dynamische Analyse der sozialen Mobilität" (1954) und "Typologie und Mechanik der gesellschaftlichen Fluktuation" (1955), dass bislang die meisten Studien zur sozialen Mobilität auf einer statischen, d. h. unzeitlichen Ebene standen.

"Statische Betrachtung ist keine Vorstufe, führt nicht zu unvollständigen Ergebnissen, sondern recht und schlecht zu einer Verfälschung der Wirklichkeit" (147). Das Forschungsinteresse konzentrierte sich nur auf eine besondere, als starr angenommene Schicht, und man fragte: "Woraus rekrutiert sich diese?", "Wie ist ihre Zusammensetzung?", womit man das Ergebnis gewisser vorangegangener Bewegungen untersuchte, nicht aber den Prozess der sozialen Mobilität.

 

Kontinuierlich fliessende Vorgänge

 

Geiger aber erinnert: "Gesellschaftliche Erscheinungen sind nicht, sondern sie geschehen" (97); Gesellschaft ist Geschehensstrom, besteht aus Abläufen. Es sind "Statik und Dynamik nicht Alternativen des Aussagegegenstandes, sondern der Blickeinstellung und Methode" (Th. Geiger, 1951b, 50). "Dynamische Betrachtung liegt dann vor, wenn die Dimension der Zeit unmittelbar in die Begriffsbildung und die mit Hilfe der Begriffe durchgeführte Analyse eingeht" (98).

 

Die Erneuerung (Regeneration) einer sozialen Schicht in der Generationenfolge ist nun ein kontinuierlich fliessender Vorgang, sie findet nicht periodisch-stossweise statt (sondern: selektive Fluktuation; Umplatzierung). Zudem verändern sich die Schichten selbst in Umfang (Grösse) und Charakter, wenn Individuen hereinkommen und hinausgehen.

Ja, es gleitet nicht nur die Balance zwischen den Schichten, sondern auch das gesamte Sozialgefüge; die ganze grundlegende Schichtungsstruktur kann umgeworfen werden (transformative Fluktuation). Und gerade heute, da 'Wellen sozialen Wandels' aufeinanderfolgen, geschieht dies; folglich wird eine dynamische Analyse, welche 'Substanzen' und das Statische überwindet, zwingend.

 

"Die Bezugspunkte selbst der Bewegungen sind in Bewegung"

 

Eine solche dynamische Analyse gründet sich auf:

  • 'umfassende' Mobilität (Zu- und Abwanderung, Afflux und Deflux; vgl. K. M. Bolte: „Totalmobilität“ als Summe aller Positionswechsel in einer bestimmten Zeitspanne),
  • eine Zeitserie von Querschnittsstudien möglichst über mehrere Generationen hinweg
  • und möglichst detaillierte Schichtungspattern (denn je geringer, d. h. je gröber die Unterscheidung in Schichten ist, desto geringer ist naturgemäss die festgestellte Mobilität; die Grösse der sozialen Mobilität ist also abhängig von der Feinheit der Skala).

 

"Das bedeutet, dass soziale Mobilität erforscht wird als Bewegung von Individuen zwischen sich wandelnden Schichten in einer Gesellschaft von einer sich wandelnden Struktur" (113). "Die Bezugspunkte selbst der Bewegungen sind in Bewegung" (Th. Geiger, 1951b, 60).

 

Definition von Fluktuation

 

In einer solchen Betrachtung steht der Fluktuationsbegriff im Vordergrund. Geiger formuliert: "Im Hinblick auf eine geschichtete Gesellschaft bedeutet soziale Fluktuation, dass zwischen gegebenen Schichten ein Zu- und Abstrom von (unbenannten) Einer-Massen stattfindet" (115).

"Die Fluktuation ist ein Massenvorgang, der sich aus Häufung von Einzelübergängen ... ergibt" (117), "eine mehr oder minder dichte Häufung von gleichgerichteten Bewegungen einzelner" (150) und schliesslich "eine Funktion des Schichtungsfeldes, das man zum Zwecke der Fluktuationsmessung konstruiert" (121).

 

Das Problem besteht nun darin, wie dieses meist mehrdimensionale Schichtungsfeld zu wählen, nach was für Bewertungsmassstäben vorzugehen sei. (Wie ist die 'objektive' Reihenfolge und wie gross ist der Niveauunterschied zwischen den einzelnen Rangstufen?) Soll dies nach dem eigenen (Selbsteinschätzung) oder allgemeinen Urteil (Wert-Consensus, der heute immer mehr zerfällt), nach dem "man", d. h. dem 'subjektiven synthetischen Werturteil’ (F. van Heek) geschehen?

 

Dieses Problem des räumlichen Bezugsrahmens, der Skala einer sozialen Rangordnung, der Kriterien der Aufstellung einer Hierarchie, überhaupt des Berufs- und Sozialprestiges ist ein sehr bedeutsames; mit seiner Lösung steht und fällt die quantitative Untersuchung der sozialen Mobilität und vor allem auch die internationale Vergleichsmöglichkeit.

 

Ärgerlicherweise ergeben gerade die Forschungen mit quantitativ eindeutigen Massstäben wie Einkommen und Besitz (eventuell noch Berufe) die am wenigsten aufschlussreichen und im 'cross-cultural'-Vergleich aussageärmste Resultate. "Denn jede Sozialstruktur kennzeichnet sich, sozialpsychologisch betrachtet, durch eine eigene Reihenfolge der Rangstufen" (P. J. Bouman, 1968, 85).

 

Was bewirkt was?

 

Was ist das Ergebnis von Geigers Überlegungen? Fluktuation und Umschichtung (Strukturwandel) sind nur zwei Namen für ein und denselben Vorgang. Dabei sind allerdings die Richtungen in diesem Wechselwirkungsverhältnis zu unterscheiden:

 

1.) Strukturwandlungen können Fluktuationen erzwingen; Beharren der Sozialstruktur schränkt umgekehrt die Fluktuation ein. "In beiden Fällen ... vollzieht die Fluktuation sich als Häufung von Schichtübergängen einzelner Personen, und der Übergang ist in jedem einzelnen Fall persönlich motiviert, wobei die mit Wandlung oder Beharrung der Sozialstruktur gegebenen objektiven Umstände - neben anderen Faktoren - motivbildend werden" (114).
Der Bewegungsvorgang ist also ausserpersönlich verursacht, aber subjektiv motiviert.

2.) Der Ursachenzusammenhang kann aber auch umgekehrt werden: Fluktuationen bewirken Umschichtungen, Strukturwandel.

 

Beide Arten von Ursachenbewirkungen gehören zusammen, begleiten regelmässig einander; sie stehen nicht in einem streng kausalen sondern eher korrelativen Verhältnis: Es besteht ein doppelt funktioneller Zusammenhang zwischen Fluktuationen und Verlagerungen der Schichtstruktur (d. h. zwischen individuellen und kollektiven Bewegungen).

 

Unerwartete Ergebnisse einer empirischen Untersuchung

 

Nun hat Th. Geiger mit sehr beschränkten Mitteln 1949/51 eine dynamische Analyse der Fluktuation unternommen (Soziale Umschichtungen in einer dänischen Mittelstadt, 1951a). Als Datenmaterial dienten amtliche Erhebungen (Census) über etwa 40 000 Männer der zweitgrössten dänischen Stadt Aarhus. In dieser Studie hängt das Interesse an der sozialen Umschichtung hauptsächlich noch zusammen mit demjenigen an der "Elitebildung". Zur Klärung definiert Geiger nochmals:

"Als Statuswechsel bezeichne ich den Übergang einer einzelnen Person oder Familie von einer Schicht zur andern. Wenn zahlreiche Fälle des Statuswechsels von gleicher Ausgangslage zu gleicher Ankunftslage sich häufen, liegt eine soziale Fluktuation vor" (Th. Geiger, 1951a, 9).

 

Diese Untersuchung ergab nun das erstaunliche Resultat, dass trotz einer verwirrenden Fülle von Bewegungen in den letzten 70 Jahren eine zunehmende Versteifung der Schichtgrenzen stattfand, dass also "die soziale Schichtung keineswegs mit fortschreitender Demokratisierung flüssig wird" (Th. Geiger, 1951a, 109-110).

 

Geiger erklärt, dass das Ideal einer vermehrten Fluktuation bei der Demokratisierung einer Gesellschaft falsch sei, ein ideologisches Überbleibsel aus früherer Zeit der Kämpfe gegen ständische Privilegien. (Andernorts geht Geiger auch gegen die irrige Meinung an, Kasten und Stände seien 'geschlossen', Klassen hingegen 'offen'.)

 

Demokratisierung bedeutet nichts anderes als Einebnung ('Vergleichheitlichung', Egalisierung) der Schichtunterschiede, und deshalb geht die Fluktuation zwischen Berufsschichten zurück, die Einkommensskala ist auf eine mässige Variationsbreite zusammengedrückt, gesellschaftliches Prestige zählt nur mehr wenig.

 

Nicht zu vernachlässigen ist auch ein psychologisches Moment: "Je weiter der wirtschaftliche und soziale Ausgleich zwischen den Schichten fortschreitet, desto leichter wird der 'Aufstieg' - desto weniger erstrebenswert wird er aber auch" (Th. Geiger, 1951a, 111).

 

Demokratisierung = Nivellierung

 

Auch an anderer Stelle beschäftigt sich Geiger mit diesem Problem der Demokratisierung. "Massensezessionen"(z. B. infolge Auflösung einer Berufsschicht und Sog einer andern) und "kollektiver Statuswechsel" (z. B. bei anderen Ausbildungsanforderungen in gewissen Berufen) können, nebst anderen Faktoren, bewirken, dass im Zug einer Demokratisierung sich die Schichten von oben und von unten her einer rang-indifferenten Mittellage nähern (vgl. auch R. Dahrendorf und H. Schelsky). Ergebnis ist "eine Gesellschaft, die zwar nach der Art der Funktionen und Milieus noch reich geschichtet ist, in der aber Unterschiede des sozialen Ranges zwischen den Schichten nicht bestehen" (Th. Geiger, 1962, 143). Dabei geht diese Rangangleichung (Nivellierung) auf Kosten sowohl der oberen wie unteren Schichten. Das ist nicht eine Absinken der oberen Stufe, sondern ein Verlust an Exklusivität.

 

Das muss nicht unbedingt etwas über die Erstrebbarkeit und die Gefahren der "Demokratie" aussagen.

Unbesehen von Statuseinbussen und dem damit verbundenen verminderten Ansporn zum Aufstieg in beruflicher und finanzieller Hinsicht ist doch in erster Linie die Gleichheit von Informationsbeschaffung und -austausch sowie der Bildungschancen (samt Menschenrechten und Meinungsfreiheit) ein unabdingbares Postulat der heutigen Zeit, zu dessen Verwirklichung Kosten finanzieller und statusmässiger Art nicht gescheut werden dürften.

 

2.6. Die Kanäle der sozialen Mobilität

 

Anzuschneiden ist noch das Problem der Kanäle der vertikalen Mobilität, d.h. die Frage, auf welchen Wegen der soziale Auf- oder Abstieg stattfindet. Als Medien, Sektoren und zugleich Siebe für solche Bewegungen dienen mancherlei soziale Institutionen (vgl. M. Tumin).

P. Sorokin zählt auf:

1.) Militär

2.) Kirche

3.) Schule (und Schulbildung, Ausbildungskurse)

4.) politische Organisationen

5.) Berufsorganisationen

6.) geschäftliche Organisationen (wealth-making organisations)

7.) Familie

(8.) Vereine, Gemeinschaften).

 

Sorokin untersucht besonders die Institutionen 2.), 3.), 5.) und 7.) als "Mechanismen der Prüfung, Selektion und Verteilung der Individuen in den verschiedenen Schichten".

 

K. M. Bolte erwähnt zusätzlich den materiellen Besitz (Geld und Güter als Mittel) und die "Arbeitsfunktion", welche soziale Position und soziales Ansehen bestimmen. Eine bestimmte Berufsposition gibt zudem "ihrem Inhaber Möglichkeiten und Kenntnisse, die dann später für ihn zum Schlüssel sozialen Aufstiegs werden können. Wir wissen, dass vor allem Frauen in einigen Berufen erhöhte Heiratschancen haben ... Aufstieg über Heirat ist ein gar nicht so seltener Weg für Frauen" (K. M. Bolte, 1967, 232-233).

 

Zu Punkt 3.) Schule, schreibt Bolte: "Das Streben, die Besetzung sozialer Positionen immer weniger von Vorgegebenheiten wie Herkunft und Vermögen und zunehmend von der individuellen Leistung abhängig zu machen, hat das Bedürfnis nach einer Institution hervorgerufen, in welcher individuelle Leistungen und Befähigungen erweckt, erkannt und vor einer Einweisung in Berufspositionen in gewissem Umfang gemessen werden können. Diese Funktion ist der Schule zugefallen. Während sie früher mit der Vermittlung einer als angemessen angesehenen Schulbildung eher die gesellschaftliche Schichtzugehörigkeit bestätigte, scheint sie sich heute zunehmend zu einem Sieb für soziale Auf- und Abstiege zu entwickeln"(K. M. Bolte, 1967, 233).

 

P. J. Bouman spricht in diesem Zusammenhang von der "pädagogischen Revolution".

 

2.7. Kleine Forschungsgeschichte

 

[zu beachten: Literatur „Soziale Mobilität“, 1701-1970]

 

Die ersten Forschungen über soziale Mobilität befassten sich - neben Migration - hauptsächlich mit der sozialen Herkunft, d. h. der Tätigkeit des Sohnes in Vergleich mit dem Beruf des Vaters (u. a. F. Chessa, 1912; P. Sorokin, 1927; F. Mitgau, 1928; J. Nothaas, 1930; M. Ginsberg, 1932; R. Michels, 1934).

Besonderes Interesse beanspruchte dabei die Rekrutierung der Eliten (akademische Berufe), der finanziellen und politischen 'Aristokratie'.

Ganz vorwiegend (zu ca.80%) stand die Aufwärts-Mobilität (upward mobility), und zwar in beruflicher Hinsicht, im Blickpunkt, wobei soziale Mobilität zuerst fast ausschliesslich als abhängige (dependent), dann aber in langsam zunehmendem Masse als unabhängige (independent) Variable aufgefasst wurde.

Die Beschränkung des Interesses auf berufliche Mobilität hatte jedoch zur Folge, dass man über lange Zeit hinweg diese mit Mobilität überhaupt gleichsetzte.

 

Die ersten Untersuchungen über soziale Mobilität setzten um die Jahrhundertwende [1900] in Europa ein:

 

Deutschland: J. Conrad, 1893; F. Eulenburg, 1904, 1908; R. Ehrenberg & H. Racine, 1912; F. Maas, 1915;

 

Frankreich: A. Coste & Ch. Limousin, 1900; M. Kolabinska, 1912;

 

Italien: F. Chessa, 1912;

 

England: S. J. Chapman & W. Abbot, 1913.

 

Erst etwa ab 1920 wurden Forschungen in den USA unternommen; nach der grossen Zusammenfassung von P. Sorokin (1927) gab es aber lange Zeit kaum noch systematische Studien über die soziale Mobilität.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand schliesslich ein grosser Aufschwung in der diesbezüglichen Forschung statt, dann aber allerdings fast weltweit, das heisst in einer grossen Zahl um den ganzen Erdball verstreuter Länder. Eine umfassende Sammlung mit einer beachtlichen Anzahl von Tabellen und Ergebnissen lieferten

  • Natalie Rogoff (Recent Trends in Occupational Mobility. Glencoe, Ill.: The Free Press 1953) und
  • S. M. Lipset & R. Bendix, zusammen mit H. L. Zetterberg (Social Mobility in Industrial Society. London: Heinemann 1959).

 

S. M. Miller gab die bisher grösste Zusammenstellung von Tabellen über international vergleichende Bemühungen (Comparative Social Mobility,1960).

 

 

2.8. Einige Forschungsergebnisse

 

2.8.1. Effekte der sozialen Mobilität (nach P. Sorokin, 1927)

 

Eine erste umfassende Aufstellung über die Auswirkungen der sozialen Mobilität gibt wiederum P. Sorokin (1927).

Zuerst stellt er bezüglich der "Effekte der vertikalen sozialen Mobilität auf die Gesellschaft" folgende futuristische Spekulation an: Wenn infolge der niedrigeren Geburtenrate der höheren Schichten die mobile Gesellschaft permanent ihre 'besten' Kräfte verlöre (denn sie steigen auf), wäre das Resultat - am Ende - eine Verdünnung der gesamten mobilen Gesellschaft, wodurch schliesslich auch die Elite ausstürbe, was zum Untergang der ganzen Nation führte. Nachfolger wären die 'Barbaren'.

 

Anschliessend an diese etwas skurrile Überlegung gibt Sorokin einen ausführlichen Katalog von Effekten der sozialen Mobilität, der sich, kulturkritisch, hauptsächlich mit sozialpsychologischen Auswirkungen befasst und sich weniger auf empirisch fundiertes Material als auf allgemeine Beobachtungen (‚empirische Verallgemeinerungen’), historische Studien und Vermutungen stützt.

 

Die soziale Mobilität:

 

a) macht das menschliche Verhalten plastischer, geschmeidiger, anpassungsfähiger

b) vermindert die Engstirnigkeit sowie berufliche und andere Abneigungen

c) erhöht die geistigen Anstrengungen

d) erleichtert Erfindungen und Entdeckungen (Neuerungen samt nachfolgender Verbreitung)

e) erleichtert eine Zunahme des 'intellektuellen Lebens' (Ideenaustausch, gegenseitige Befruchtung) und steigert die Geburten-Anzahl prominenter Schriftsteller

f) erleichtert aber auch ein Ansteigen der Geisteskrankheiten, Neurosen. usw.

g) fördert Oberflächlichkeit; mindert die Empfindlichkeit des Nervensystems

h) begünstigt Skeptizismus, Zynismus und Anti-Intellektualismus

i) vermindert die Intimität des Zusammenlebens sowie die Vertrautheit mit Dingen; steigert die psychosoziale Isolation und Einsamkeit des Individuums. Resultat: Selbstmord, Vergnügungssucht, Unrast.

k) erleichtert die Desintegration (ja Zerstörung) der Moral. Resultat: Erhöhung der Kriminalität, Gewalt, Grausamkeit; zerstört die 'sozial notwendigen Handlungen', was zum 'Recht des Stärkeren' und zu Unersättlichkeit (in beruflicher und finanzieller Hinsicht) führt

l) erleichtert die Atomisierung und Verbreitung der Solidarität; fördert den Antagonismus aber auch die Beweglichkeit

m) begünstigt ein Ansteigen des Individualismus gefolgt von einem vagen Kosmopolitanismus und Kollektivismus.

 

An (weiteren) positiven Auswirkungen der sozialen Mobilität hält Sorokin zusätzlich fest: Sie erleichtert eine bessere und angemessenere soziale Verteilung der Individuen (was die Elastizität, aber auch Stabilität der Sozialstruktur fördert), ermöglicht die gleichen Bildungschancen für alle, erleichtert und schafft Wohlstand, erhöht die Produktivität, bewirkt generell einen schnelleren sozialen Progress und eine zunehmende Vermischung der Kulturen.

 

2.8.2. Allgemeine Ergebnisse neuerer Untersuchungen

 

Soweit nicht bis hierher angetönt und erwähnt, lassen sich die nachfolgenden Resultate der neueren Forschungen über soziale Mobilität zusammenstellen - wobei zu beachten ist, dass es sich bei den meisten Aussagen bestenfalls um solche über einen Trend handeln kann und die Autoren weit besser über Forschungspläne und -erfordernisse als über eindeutige Resultate Auskunft zu geben vermögen und geneigt sind:

 

Sozialer Aufstieg

 

Th. Geiger (1951a) stellte fest, dass die Häufigkeit des Statuswechsels mit der Entfernung zwischen Ausgangs- und Ankunftslage abnimmt, d. h. es besteht eine Begünstigung des Statuswechsels nur zwischen funktionell affinen Schichten.

 

K. Svalagosta (1961) führt als allgemeine statistische Erkenntnisse in der Mobilitätsforschung an, "dass die soziale Mobilität über geringe soziale Distanz, d. h. für kleine Statusunterschiede, am höchsten ist und mit Vergrösserung der sozialen Distanz schnell abfällt ... (und) dass die üblichen Masse für sozialen Status zu einer positiv geneigten Verteilung führen. Es gibt relativ wenige mit extrem niedrigem Status, die meisten Leute weichen hinsichtlich des sozialen oder wirtschaftlichen Status nicht sehr stark voneinander ab, und schliesslich gibt es noch eine Minorität, die durch extrem grosse Statusdifferenzen gekennzeichnet ist, aber über dem Status der Majorität liegt" (K. Svalagosta, 1961, 296).

 

S. M. Miller (1960), dessen Sammlung von Untersuchungen sich vorwiegend mit intergenerationeller Mobilität in beruflicher Hinsicht im internationalen Vergleich beschäftigt, betont, dass die Meinung, grosse Mobilität bewirke geringes Klassen-Bewusstsein und -Selbstbewusstsein, falsch ist.

Zudem stellt er fest, dass die Abwärts-Mobilität bisher sehr vernachlässigt wurde. Da aber die Untersuchung der Aufwärts-Mobilität (working class into non-manual, and manual into elite) im internationalen Vergleich unbefriedigende Resultate ergibt, sollte die Abwärts-Mobilität vermehrt erforscht werden. Miller vermutet sogar: "Es könnte sehr wohl sein, das die Abwärts-Mobilität ein besserer Indikator für die 'fluidity' in einer Gesellschaft ist als die Aufwärts-Mobilität" (S. M. Miller, 1960, 59).

 

Bezüglich der Aufstiegs-Mobilität stellt F. Fürstenberg (1962) u. a. fest, dass "die Aufstiegsmotivation eng von der sozio-kulturellen Prägung der Person unter dem vorwiegenden Einfluss von Elternhaus, Jugendgruppe, Schule, Massenmedien und später auch der Arbeitsumwelt abhängt und dass es bestimmte typenbildende Kombinationen dieser Einflüsse gibt" (F. Fürstenberg, 1962, 159).

Der Begabungsfaktor ist nicht als alleinige Aufstiegsdeterminante anzusehen. "Besonders wichtig sind das vererbte Milieu und die Zielvorstellungen des Elternhauses, die weitgehend das Ausbildungsniveau bestimmen" (F. Fürstenberg, 1962, 160).

 

Verschleiss an Begabungen

 

D. V. Glass (1961) gelangt zu bemerkenswerten und sozialkritischen Ergebnissen. Untersuchungen auf seinem Gebiet zeigen "einen fortgesetzten Verschleiss an Begabungen und verweisen neuerdings auf spezifische Aspekte der Schule, der Familie und des sozialen Klassenmilieus, die auf diesen Verschleiss einwirken. Weiter sehen wir jetzt, wie die impliziten oder expliziten sozialen Ziele eines Erziehungssystems die Verschränkung des Einzelnen und der sozialen Klasse mit diesem System beeinflussen.

Der Konflikt zwischen einer auf Elitebildung ausgerichteten höheren Erziehung und den Gesamtbedürfnissen einer Gesellschaft wird in nur zu vielen Gesellschaften deutlich" (D. V. Glass, 1961, 9).

 

Inter-Generationen-Mobilität

 

K. M. Bolte (1967) gibt als Ergebnisse der bisherigen Forschungen an: Bei Inter-Generationen-Mobilität sind die Söhne "stets überproportional wieder in der väterlichen Gruppe zu finden. Aber auch Bewegungen, die aus der väterlichen Gruppe hinausführen, verlaufen so, dass die Söhne jeder Vätergruppe bestimmte Berufsgruppen bevorzugen und andere meiden. Welche dies sind, ist von Gruppe zu Gruppe verschieden" (K. M. Bolte, 1967, 228).

(Dies bestreitet H. Goldhamer (1968), indem er zeigt, dass die Verteilung der Söhne ausserhalb der Väter-Schicht zufällig, sehr breit und vor allem wenig abhängig vom Vater-Status ist.)

 

Weiter Bolte:

"Die Ranglage 'vererbt' sich ... häufiger als die Arbeitsfunktion. Extreme Auf- und Abstiegsbewegungen kommen immer vor, sind aber insgesamt (auch in den USA) von geringer Bedeutung. Die engste Bindung zwischen Vater- und Sohnposition zeigt sich in solchen Gruppen, in denen die Berufsausübung an einen bestimmten Besitz geknüpft ist oder eine besondere Berufstradition fortgeführt wird" (K. M. Bolte, 1967, 228).

 

Horizontale Mobilität

 

Schon längere Zeit ist die Zunahme industriell-technischer Tätigkeiten auf Kosten der landwirtschaftlichen bekannt. Sie wird einerseits von einer starken Spezialisierung und Professionalisierung gefolgt, anderseits von einer starken Zunahme der administrativen (Verwaltung, Handel) und Dienstleistungstätigkeiten (Verkauf), der sogenannten "tertiären Berufe", welchen in vermehrtem Masse auch weibliche Arbeitskräfte angehören.

 

Hat die Mobilität zugenommen?

 

Ob die soziale Mobilität im Gesamten in den letzten Jahrzehnten mehr als nur leicht angestiegen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen.

Es lässt sich einzig feststellen, dass mit der Wandlung der Wirtschaftsstruktur auch die Intra-Generations-Mobilität in bestimmte Richtungen gelenkt wird. Diese unterliegt aber noch anderen Einflüssen, wie Konjunktur, Krieg, Altersspezifizität (einzelner Berufe) und ist demgemäss äusserst schwankend.

 

H. Goldhamer (1968) fasst zusammen:

- Vermutlich nur ca. 1/4 der Veränderungen von Sohn-Positionen sind abhängig von der Eltern-Position.

- In den letzten zwei Generationen hat es keine besonderen Veränderungen in der sozialen Mobilität gegeben (z. B. von 1910-1940; vg. N. Rogoff, 1953, und B. Barber, 1957; dem tritt K. M. Bolte mehrfach entgegen).

- Es bestehen keine auffallenden Unterschiede im Grad der Mobilität zwischen Westeuropa und den USA (höchstens wenn man die Negerfrage betrachtet).

 

Internationale Vergleiche

 

Letzterer Punkt, die Frage des Unterschiedes zwischen den USA und Europa, steht ebensolange schon im Zentrum der Untersuchungen und Vermutungen wie es keine befriedigende Antwort darauf gibt.

 

G. Carlsson (Social Mobility and Class Structure. Lund: Gleerup 1958) stellt eine auffallende Ähnlichkeit der Mobilitätsraten in verschiedenen Ländern und ebenso in der Prestige-Bewertung von Berufen fest, was er auf die Wirkung der 'basic oeconomic institutions' zurückführt.

 

S. M. Lipset & R. Bendix (1959) erwähnen ebenfalls, dass das Gesamtbild der sozialen Mobilität in den industrialisierten Gesellschaften verschiedener westlicher Länder (inklusive Japan) etwa gleich sei.

 

Dem treten aber etwa  S. M. Miller & H. Bryce (1961) entgegen, indem sie nachweisen, dass die in den erwähnten Ländern relativ ähnlichen ökonomische Faktoren zwar eine bedeutende, aber keineswegs vollständig determinierende Rolle für die Mobilitätsmuster der verschiedenen Länder spielen.

Zudem hatte S. M. Miller bereits 1960 in seinen international vergleichenden Studien anhand allerdings sehr grob unterteilter Berufstabellen erhebliche Unterschiede nachgewiesen.

 

Weitere Forschungen sind nötig

 

Abschliessend lässt sich sagen:

Es ist klar, dass Aussagen sehr allgemeiner Formulierung viel leichter zu machen als nachzuprüfen sind. Umgekehrt sind Untersuchungen über einige repräsentative Teilprobleme immer noch nicht mit der wünschbaren Genauigkeit vorhanden, so dass sich auf demselben Gebiet einander widersprechende Ergebnisse herausstellen können. Die in einigen Belangen also noch geringe Ausbeute der immerhin doch beachtlichen Forschungsanstrengungen kann deshalb nur ein Ansporn zu weiteren sein.

 

Wohl als am wichtigsten stellen sich hierbei die Untersuchungen über die Beziehungen von sozialer Mobilität und Wirtschaftsstruktur sowie Erziehungs- resp. Schulsystem heraus.

 

 

3. Literaturverzeichnis

 

Bolte, K. M. Mobilität. Schichtung. In R. König (Herausg.) Soziologie. Frankfurt am Main: Fischer 1967, pp. 224-234, 266-277 (1. Aufl. 1958).

Bouman, P. J. Grundlagen der Soziologie. Stuttgart: Enke 1968.

Fürstenberg, F. Das Aufstiegsproblem in der modernen Gesellschaft. Stuttgart: Enke1962, 2. Aufl. 1969.

Geiger, Th. Soziale Umschichtungen in einer dänischen Mittelstadt. Kopenhagen: Universitätsverlag Aarhus 1951a.

Geiger, Th. Über dynamische Analyse sozialer Umschichtungen. In Karl G. Specht (Hrsg.): Soziologische Forschung in unserer Zeit. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag, 1951b, pp. 50-63.

Geiger, Th. Arbeiten zur Soziologie. Neuwied am Rhein: Luchterhand 1962.

Glass, D. V. Die ISA und die Erforschung von sozialer Schichtung und sozialer Mobilität. In D. V. Glass und R. König (Herausg.). Soziale Schichtung und soziale Mobilität . Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1961, pp. 4-9; 3. Aufl. 1968.

Goldhamer, H. Social Mobility. In International Encyclopedia of the Social Sciences. USA: Macmillan & Free Press 1968, Vol. 14, pp. 429-438.

Miller, S. M. Comparative Social Mobility. A trend report and bibliography. In: Current Sociology. Oxford (GB): Basil Blackwell 1960, Vol. 9, No.1.

Sorokin, P. Social Mobility. New York/London: Harper & Brothers1927
(als : Society and Cultural Mobility,
London: Free Press of Glencoe 1959; paperback 1964).

Svalagosta, K. Gedanken zu internationalen Vergleichen sozialer Mobilität. In D. V.Glass und R. König (Herausg.). Soziale Schichtung und soziale Mobilität. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1961, pp. 284-302.

 

 

(Hausarbeit für ein Soziologisches Seminar, 24.1.1969)

 



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